Martin Compart


VERLORENER VERLIERER: DIE 7 LEBEN DES ARTHUR BOWMAN – der neue Roman von Antonin Varenne by Martin Compart

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Es gibt wohl kein ausgelutschteres kriminalliterarisches Subgenre als die Serienkiller-Geschichte. Nach dem kommerziellen Erfolg von Thomas Harris (und dem literarischen einiger anderer Autoren) brach Ende der 1980er Jahre eine anhaltende Flut an unerhörten Dämlichkeiten über den unschuldigen Leser zusammen, die in der Literaturgeschichte ihres gleichen sucht und bis heute ihr debiles Publikum findet. Manchmal weiß man nicht, wer schlimmer ist: Die realen Soziopathen, die ihren Beitrag gegen die Überbevölkerung leisten, oder die geradezu schwachsinnigen Serienkillerschreiber, die ihren Realitätsverlust und ihre Phantasielosigkeit durch Geldgier ausgleichen.

Um so beeindruckender, wenn es alle paar Jahre mal wieder einen Autor gibt, dem es gelingt, dieses Thema neu, überzeugend und originell zu gestalten.

Genau das gelingt Antonin Varenne, dem neuen Star der französischen Noir-Kultur, mit DIE SIEBEN LEBEN DES ARTHUR BOWMAN (C.Bertelsmann), seinem fünften Roman, in dem verschiedene Genres auf nie gekannte Weise zusammen gepackt sind.

Die schlichte Rezeption zu FAKIRE (Ullstein, die mal wieder nicht durchgehalten haben), dem neben DIE SIEBEN LEBEN DES ARTHUR BOWMAN bisher einzigen ins Deutsche übersetzten Romans von Antonin Varenne, verlangt danach, Jonathan Swift zu zitieren:

VARENNE-ok[1]„Wenn ein wirklich großer Geist in der Welt erscheint, kann man ihn untrüglich daran erkennen, dass sich alle Dummköpfe gegen ihn verbünden.“
Der geringe Erfolg von FAKIRE bei uns, was sicherlich der Grund für Ullstein war, diesen Autor nicht weiter zu veröffentlichen, verdeutlicht einmal mehr die kulturelle Verspätung teutonischer Buchkunden, die Dante Alighieri für Heidi Klums Couturier halten und die Bestsellerlisten zu literarischen Müllkippen gestalten.

Sogar die Angelsachsen haben seine Bedeutung für die zeitgenössische Noir-Literatur erkannt und übersetzen sein Werk, das die Reklame der Dichter nicht mehr nötig hat. In seinen Romane kommt außer stilistischen Strahlen nie Licht rein, und die Leute sehen fast alle fürchterlich aus. Hier fährt der ganze Planet endgültig zur Hölle – und man möchte ihm bei der Abreise noch helfen.

book_review[1]Varennes Figuren sind höchst aktuell: Es sind die Kaputten, die sich im Dienste der Mächtigen oder ihrer Institutionen aufgebraucht haben und als Wracks weggeworfen werden. Es sind wütende oder ausgebrannte , sich betäubende, unkontrollierbare menschliche Hülsen, die asozial vor sich hin vegetieren, bis sie mehr oder weniger in eine Aufgabe hinein stolpern, die ihrer überflüssigen Existenz vielleicht Sinn verleiht. Sie haben eine miese Vergangenheit, eine gruselige Gegenwart und eine fürchterliche Zukunft (wenn überhaupt). Charaktere von nächtlicher Schwermut und finsterer Niedergeschlagenheit, die den banalen Leser zutiefst verstören.

Arthur Bowman ist so eine ausgebrannte, fast seelenlose Hülle. Er hatte sich einst in den Dienst der East-India-Company gestellt, da nichts anderes für ihn möglich war. Durch Todesverachtung und Brutalität hat er sich bis zum Sergeant hoch gedient und für die Aktieninhaber gemordet, geplündert und erobert. Bis zum Sepoy-Aufstand (als sie von der Krone übernommen wurde) war die britische Ostindien-Kompanie der größte Konzern und wichtigste Aktiengesellschaft der Welt. Bownan ist bewusst, „dass die weit ausgestreckten Arme der stolzen Kompanie schmutzige Hände wie die seinen gebraucht hatten, um ihre Reichtümer anzuhäufen“. Bowman ist ein wirklich kaputter Noir-Held, der vielleicht Empathie auslöst, aber keine Sympathie. Eben eine Figur, die kaum ein anderer Autor als Varenne so überzeugend lebendig werden lassen kann. Dagegen springen David Goodis Loser wie Gene Kelly singend durch den Regen.

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Der Roman beginnt 1852 in Burma. Sergeant Bowman soll zu Beginn des 2.Birma-Feldzugs eine Geheimmission durchführen, da die Burmesen egoistisch ihre Reichtümer nicht John Company überlassen wollen. Die Mission, die ihn in den feuchten, beklemmenden Dschungel Hinterindiens führt, geht gründlich schief und Bowman und seine Männer fallen in die Hände der Feinde. Ein Jahr Gefangenschaft und Folter brechen sogar den harten Sergeant. Varennes Hinterindien ist deprimierender als das von Joseph Conrad; eine Hölle, die dem Westler Albträume gebiert, „wegen all dem, was er gesehen hat. Wegen dem, was man ihm angetan hat, oder auch wegen dem, was er selber getan hat“. Es ist völlig egal, ob man die grobe Struktur der Handlung durch den Klappentext erfährt oder nicht – Varennes beängstigende literarische Fähigkeiten sind so stark, dass man die Handlung voller Spannung verfolgt. Für ihn gilt ein Satz, den Andé Gide einmal über Dashiell Hammett gesagt hat: „Er schreibt Szenen, die niemals zuvor geschrieben wurden.“ Außerdem kann er die höchst unterschiedlichen Schauplätze atmosphärisch atmen lassen.

Sechs Jahre später ist das Wrack Bowman in London gelandet, wo er im Gnadenbrot der Company seine elende Existenz als Polizist der Docklands fristet. Von Opium und Alkohol zerstört, torkelt er durch London während einer Cholera-Epidemie. Diese Beschreibungen des vertrocknend stinkenden London gehören zu den beklemmenden Höhepunkten des Romans, die man nicht mehr aus dem Hirn bekommt.

Als endlich der Regen kommt um die Stadt sintflutartig rein zu waschen, findet Bowman in einem Abwasserkanal eine Leiche. Der Tote ist furchtbar verstümmelt auf eine Weise, die Bowman unter der Folter in Burma erfahren hat. Der Killer kann also nur einer der zehn Überlebenden sein, der mit ihm die burmesische Gefangenschaft überlebt hat. Um die eigenen Dämonen zu bezwingen, beginnt er die Fahndung nach ihm, die Bowman bis in den Wilden Westen führt, unter Goldsucher, Sklaven und Indianer. Immer auf der Spur weiterer bestialisch zugerichteter Leichen. Bowmans Quest ist nicht nur die Verfolgung des Mörders, sondern auch eine Odyssee des Überlebens und ein episches historisch-soziologisches Fresko von Wucht und innerer Tiefe. Ganz nebenbei zeigt der Roman, was Folter aus den Menschen macht, wie sie für den Rest ihres Lebens als gequälte Kreaturen kaum noch ihre Persönlichkeit bewahren können. Varenne lässt keinen Zweifel daran, dass Folter nur einen Zweck hat: Den kranken Sadismus kranker Menschen zu befriedigen. Auch wenn lächerliche Vereine wie die CIA als Schutzbehauptungen vorschieben, es ginge ihnen um das Erlangen von Informationen. Was sollen das wohl für Informationen sein, wenn man dafür Menschen über Jahre foltert?

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Varenne wurde 1973 geboren. Seine Eltern führten ein rastloses Leben und zogen mit ihm durch Frankreich; einige Zeit lebten sie auf einem Segelboot. Er studierte Philosophie in Nanterre und schrieb seine Abschlussdissertation über Machiavelli. Danach führten ihn Jobs als Gebäudekletterer oder Zimmermann um die Welt: Indonesien, Island, Mexiko, schließlich die USA, wo er seine Frau kennen lernte. Er legte verdientes Geld zurück und schrieb dort seinen ersten Roman: LE FRUIT DE VOS ENTRAILLES, der 2006 veröffentlicht wurde. Daraufhin kehrte er mit seiner Frau, Kind und seinem mexikanischen Hund nach Frankreich zurück und ließ sich im Département Creuse nieder. 2008 folgte der Roman LE GATEAU MEXICAIN. Der große Durchbruch kam dann 2009 mit FAKIRS, der mit zwei Preisen für Kriminalliteratur ausgezeichnet wurde und ihn als den wahrscheinlich originellsten französischen Noir-Autor seit Manchette etablierten. Dies bestätigte 2011 sein Noir-Roman LE MUR, LE KABYLE ET LE MARIN. Ein Meisterwerk, das die Schrecken des Algerienkrieges mit dem Horror der Gegenwart verknüpft. Weitere Literaturpreise. Nach diesen düsteren Büchern wollte er zum Spaß einen Western schreiben. Heraus kam das hier vorliegende Buch, das ihm nicht minder „noir“ geraten ist, auch wenn er verschiedene Genre – historischer Abenteuerroman, Detektivroman, Sittenbild, Thriller und Western – zu etwas völlig eigenständigen verbunden hat. Die Filmrechte an FAKIR sind inzwischen verkauft und man hat ihm angeboten, eine Fernsehserie zu entwickeln. Aber das interessiert Varenne nicht, der auch ein höchst anspruchsvoller Leser ist. Einen der letzten Romane von Ellroy hat er nach halber Lektüre wütend an die Wand geworfen. Für mich gut nachvollziehbar: Der Unterschied zwischen einem Bluffer und einem Nihilisten.

P.S.: Wer sich vielleicht an die Bücher von Richard Laymon und Walter Satterthwait über die Jagd auf Jack the Ripper durch den Wilden Westen erinnert fühlt, sei beruhigt: Varenne ist eine ganz andere Klasse (wobei ihre beiden Romanen durchaus Spaß machen)!



NIGERIA OHNE SÜDAFRIKANISCHE BLUTHUNDE? by Martin Compart
21. Mai 2015, 12:46 pm
Filed under: Afrika, BOKO HARAM, Eeben Barlow, Politik & Geschichte, Söldner | Schlagwörter: , , ,

“Sometimes foreign mercenaries have been saviors—for instance in Sierra Leone, when a privately hired helicopter-gunship crew helped to save the capital, Freetown, from falling into the hands of hand-chopping rebels in 2000.”

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Natürlich lobt Colonel Barlow die nigerianische Armee: „“We did not develop the strategy to destroy the enemy. This was done by the Nigerian Army division commander in the area of operations who gave us his intent, guidelines, and restrictions.”
Das sieht der neue Präsident Nigerias, General Muhammadu Buhari aber ganz anders: Am 18.Mai sagte er (mit weltweiter Aufmerksamkeit der Presse – außer in Deutschland): “The military has never been so incapacitated like now. It is a shame that the Military cannot secure 14 out of the 774 local governments in the country.What is more worrisome is the fact that Nigeria’s military has to rely on South African mercenaries before it could gain recent success in the war against Boko Haram. This situation is shameful and unacceptable.“

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Momentan ist unklar, ob Barlows STTEP-Söldner oder Cobus Claassens PILGRIMs in aktive Kämpfe verwickelt sind. Nach den Erfolgen im Kampf gegen Boko Haram seit Februar, hat es in der letzten Woche einige Rückschläge gegeben. Und da Barlows Drei-Monate-Vertrag im April offiziell ausgelaufen war, fliegt STTEP natürlich unter dem Radar. Tatsache ist, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass selbst ein militärischer Gigant wie Barlow innerhalb eines Monats aus dem traditionellen Sauhaufen, der die nigerianische Armee ist (und dies in zahlreichen erfolglosen UNO-Missionen bewiesen hat) eine Siegertruppe gemacht hat. Stattdessen scheinen sich die Vermutungen zu bestätigen, dass die Stoßtrupps der Söldner (vielleicht die 72 Strike Force), unterstützt durch einheimische Scouts und mit einigen Nigerianern integriert (ähnlich wie schon in Sierra Leone) nachts angreift und die Stellungen von Boko Haram nimmt, während dann am nächsten Tag mit großem Gegröle die nigerianische Armee in die eroberten Stellungen einrückt. Im Idealfall können sie dann die Stellungen halten, während die Söldner dem Feind nachsetzen und den Druck auf ihn erhöhen. “The strike force was never intended to hold ground. Instead, it operated on the principle of relentless offensive action.”, gibt Barlow indirekt zu.

c054316998ca2596d158f3931d9663bc_400x400[1]Die nigerianische Armee, die 2014 von amerikanischen Ausbildern effektiv gemacht werden sollte und es genauso wenig wurde wie schon zuvor die südvietnamesische oder irakische, fällt seit dem offiziellen Ende von Barlows Vertrag durch Rückschläge auf. Stattdessen gibt es Prozesse gegen Angehörige wegen Verstöße gegen die Menschenrechte. Für Zivilisten ist sie seit Jahren fast so gefährlich in ihren Übergriffen wie Boko Haram (auch hier eine Parallele zu Sierra Leone).

Falls sich STTEP und PILGRIM auf Druck der Amerikaner aus Nigeria zurück ziehen müssen, würde das die These bestätigen, dass Amerikaner und Franzosen an einem dauerhaften Konflikt zur Destabilisierung der Region interessiert sind. Denn in diesem Windschatten können ihre Konzerne die Bodenschätze von der Sahelzone bis zur Zenralafrikanischen Republik (de facto ein Satellitenstaat der Franzosen) und darüber hinaus weiterhin billig und ohne chinesische Konkurrenz ausbeuten.

STTEP (das ausschließlich Afrika als Einsatzgebiet in seinen Statuten zulässt) mag für afrikanische Staaten ein wünschenswerter Partner sein, ist aber konträr zu den neo-kolonialen Interessen der Amerikaner und Franzosen. Insofern ist die Existenz von Boko Haram (und anderen destabilisierenden Terror-Organisation) erwünscht. Wie Vampire leben sie vom Blut anderer. Barlow ist zu klug, um sich dazu zu äußern. Aber er ist als Pan-Afrikaner bekannt, der nicht Müde wird, darauf hinzuweisen, dass nur die Afrikaner ihre Probleme (ohne Auflagen von Weltbank und anderen Konzern gesteuerten Institutionen) lösen können. “Like elsewhere on the continent, the majority of the security problems will continue to be driven by socio-political factors and motivated at times by extremism.”

Der nützliche Idiot im Weißen Haus hat natürlich eine bessere Erklärung. Er sagte am 19.Mai in der U.S. Coast Guard Academy: „I understand climate change did not cause the conflicts we see around the world, yet what we also know is that severe drought helped to create the instability in Nigeria that was exploited by the terrorist group Boko Haram.“

FUTURE CONFLICTS AND WARS IN AFRICA by Eeben Barlow (2013):

http://eebenbarlowsmilitaryandsecurityblog.blogspot.de/2013/12/future-conflicts-and-wars-in-africa.html?m=1

Hier einer der besten Hintergrundsberichte! Unbedingt ansehen!



WASHINGTONS SÖLDNER by Martin Compart
15. Mai 2015, 12:44 pm
Filed under: Afrika, Eeben Barlow, Politik & Geschichte, Rezensionen, Söldner | Schlagwörter: , , , ,

Stellvertreterkriege in der 3.Welt gehörten zu den Strategien im Kalten Krieg. „Stabiler Frieden oder gar Entspannungspolitik zwischen den Metropolen wurden um den Preis des immer währenden Gemetzels an der Peripherie erkauft.“
Um amerikanische Interessen zu wahren, unterstützten die USA jede faschistoide oder faschistische Regierung oder Anti-demokratische Guerilla mit großzügigen Militärhilfen. Jede antikommunistische Banditenbande konnte mit Waffen, Geld oder sonstigen Zuwendungen aus CIA-Krokodilfonds oder offiziellen Töpfen rechnen. Wo das nicht genügte, griff die US-Administration durch ihren zivilen Geheimdienst CIA auf Söldner zurück, die die jeweilige Drecksarbeit leisteten, ohne dass man dafür die USA offiziell verantwortlich machen konnte. Die Gefährdung der unterstützten rechten Gruppierungen machte die Hilfe der USA unumgänglich: Warum sollten sich Afrikaner oder Lateinamerikaner vor dem Kommunismus fürchten? Sie hatte kein Privateigentum oder Kapital, das sie schützen mussten. Das war bereits in den Händen westlicher Konzerne und deren Heloten.

Das Debakel in der Schweinebucht und der die Nation teilende Vietnamkrieg ließen es nicht opportun erscheinen, dass die USA weiterhin militärisch direkt intervenierten.

Voss[1]Der 1982 geborene Historiker Klaas Voß vom Hamburger Institut für Sozialforschung hat letztes Jahr eine ebenso lesenswerte wie lesbare Studie über den verdeckten Einsatz von Söldnern in Washingtons Diensten veröffentlicht.

Als die Angelsachsen nach dem Ende des Kalten Krieges durch Auslagerungen begannen private Militärfirmen (PMCs) mit Millionenverträgen auszustatten, sprach man übereilt von der „Rückkehr der Söldner“. Inzwischen haben Söldner-Firmen wie BLACKWATER (und ihre nominellen Nachfolgeorganisationen) das ohnehin miese Image dieses Berufstandes weitgehend ruiniert. Aber von der Rückkehr der Söldner zu sprechen, wie es die Mainstreammedien taten, zeigt nur einmal mehr die Ignoranz der Behaupter.

Voß bestreitet überzeugend diese in der 1990er- und 2000er Jahren mit dem Entstehen großer Söldnerfirmen und PMCs behauptete Rückkehr der Söldner. Er weist nach, dass die Söldner ein wichtiger Faktor in der Anti-sowjetischen Kriegsführung in Dritt-Welt Staaten waren, also „weit mehr als eine Fußnote des Ost-West-Konflikts“, die ansonsten in der Geschichtsschreibung des kalten Krieges gerne behauptet wird.

Bereits 1962 hatten die USA eine Direktive erlassen (damals mit Blick auf Vietnam, aber anwendbar auf weltweite Einsatzgebiete), die es ihnen ermöglichte, der den Kampf gegen kommunistische Aufstände Söldner zu requirieren. Als Premiere dieser Strategie erkennt Voß Einsatz von Söldnern im Kongo. Bei der Unterstützung von Regimes, wie in Kongo, retteten die Söldner zumeist Strukturen, die durch nichts anderes gefährdet waren als durch die Gier und Inkompetenz ihrer Inhaber.

Ein nettes Beispiel für Ironie oder Perversion der Geschichte ist Angola. Präsident Ford hatte beschlossen, dass nach der Unabhängigkeit gewählte Regime, das als sozialistisch eingestuft wurde, stürzen zu lassen. Im Auftrag der CIA wurden südafrikanische Spezialkräfte zur Unterstützung von Jonas Savimbis UNITA eingesetzt. 25 Jahre später kämpften dieselben südafrikanischen Soldaten in der Söldnerfirma EXECUTIVE OUTCOMES für die sozialistische Regierung gegen die UNITA und bildete die angolanischen Streitkräfte aus. Die von ihnen ausgebildeten UNITA-Kämpfer hatten wichtige Rohstoffgebiete besetzt gehabt und die angolanische Armee war nicht dazu in der Lage gewesen, diese aus eigener Kraft zurück zu erobern.

In seinem Buch, das ohne Übertreibung von nun an als Standardwerk zum Thema anzusehen ist, erarbeitet er die Formel für Söldnerinterventionen im Dienste der USA heraus und beleuchtet sie detailliert in ihrer Anwendung in Afrika und Lateinamerika. Die vier Fallstudien behandeln die berüchtigtsten und prominentesten Söldnereinsätze im Kongo, Angola, Rhodesien und Nicaragua.

Voß hat beim höchst beeindruckenden Quellenstudium interessante Dinge herausgefunden. Etwa, das die ersten zehn Jahrgänge des berüchtigten Magazins SOLDIER OF FORTUNE „mittlerweile fast vollständig aus den öffentlichen und akademischen Bibliotheken der USA, einschließlich der Library of Congress, verschwunden“ sind.

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(Das Kapitel über SOLDIERS OF FORTUNE verdeutlicht die Dämlichkeit der Covert Op-Strategen in der CIA: Das von ihnen so gerne genutzte und instrumentalisierte Magazin hatte inzwischen soviel Selbstbewusstsein, dass es durch öffentliches Einklagen einer härteren Gangart Washingtons die Verantwortlichen in den Focus der Medien zerrte und den gesamten „Feldzug“ sabotierte indem er oppositionelle Kräfte in Kongress und Senat munitionierte. Ein wunderbares Kapitel, bei dem man Tränen lacht!)

Er kontextualisiert Presseberichte, Dokumente der US-Administration, Fachliteratur, persönliche Kontakte und Erinnerungsliteratur um das amerikanisch initiierte Söldnerwesen im in einer Genauigkeit darzulegen, wie das bisher noch nicht geschehen ist. Die Problematik des Unterfangens liegt in seiner Natur: „Direkte Verbindungen zwischen US Akteuren und Söldnern wurden minimiert und sind häufig nur durch detektivische Quellen Forschung sichtbar zu machen. Hierin liegt eine Beweislast, die in der Sekundärliteratur oft nur fragmentarisch erbracht wurde.“ Aus den ausgewertete Dokumenten geht – manchmal unfreiwillig komisch – erschreckendes hervor: Die Verantwortlichen versuchten die jeweiligen Realitäten in ihre Ideologie herein zu choreographieren.

Heute sind die USA einer der Big Player in Afrika mit Brückenkopfstaaten wie Uganda und Ruanda. Bis 1958 (erst dann wurde im Außenministerium ein Büro für afrikanische Angelegenheiten eingerichtet) war der Schwarze Kontinent uninteressant und wurde in der CIA lediglich als Wurmfortsatz des Nahen Osten mitverwaltet. Erst Kuba-Schock und Vietnam-Fiasko lenkten den Blick auf die südliche Hemisphäre und die Erkenntnis, das der Kalte Krieg Afrika erreicht hatte. „Von Anfang an vermischten sich in dieser Arena die ökonomischen Interessen der USA an Rohstoffen und Investitionen im Kongo mit politisch-strategisch begründeten Ängsten vor einer kommunistischen Übernahme der gesamten Region.“

„Mit ihrem erfolgreichen Einsatz im Kongo 1964 /65 und schrieben sich Söldner in Washingtons Instrumentarium für verdeckte Interventionen ein und bekamen einen festen Platz Handlungsrepertoire der CIA. “ Im Vergleich mit dem Boko Haram-Problem Nigerias und der Nachbarstaaten fallen verblüffende Parallelen zum Simba-Aufstand 1964 auf: Wie schon im Kongo ließ sich on Nigeria das fast völlige Versagen der Armee beobachten. So verpuffte auch jede Militärhilfe oder sonstige Unterstützung (bis hin zu den US-Drohnen, die nichts positives bewirkten). Die Situation änderte sich erst Anfang 2015 mit dem kurzfristigen Engagement der Söldner von STTEP unter Colonel Eeben Barlow. Die Situation des ausgerufenen (heiligen) Krieg gegen den Terror ist nicht 1:1 zu vergleichen mit dem Kalten Krieg. Aber damals (Vietnam) wie heute (Afghanistan, Irak) mieden und meiden die USA eine direkte Intervention. Im Unterschied zu früher, als es noch ein Apartheits-Regime gab, lehnen die USA aber den Einsatz südafrikanischer Söldner ab, befürworten aber den Einsatz angelsächsischer PMCs. Im Gegenteil: Die US-Administration sorgte dafür, dass Barlow und EO sowohl aus Angola wie auch aus Sierra Leone rausflogen. Und wahrscheinlich üb(t)en sie auch auf Nigeria Druck aus.

Das Buch ist kalt, analytisch und nüchtern (dabei glänzend geschrieben), wie es eben rein wissenschaftliche Werke sind. Aber gelegentlich vernimmt man das leise winseln der gequälten Menschen, die Opfer er analysierten Covert Operations waren.

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„Voß’s Studie liest sich stellenweise wie ein Krimi, und das, ohne dass der Autor Abstriche am streng wissenschaftlichen Arbeiten macht. Nachdem ein amerikanischer Staatsbürger neben drei weiteren Söldnern im Angola-Einsatz in Luanda im Februar 1975 zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war, verklagte dessen Witwe die CIA auf 33 Millionen Dollar Entschädigung. Die Agency verwischte eifrig die ohnehin nur wenigen in den Akten zu findenden Spuren ihrer Operation; die Akten des die Operation führenden Agenten „wurden aufgelöst und an diversen Stellen fehlplatziert, um Anfragen unter dem Informationsfreiheitsgesetz vorzubeugen“ (285).“, schreibt Klaus Starkmann in seiner Rezension in SEHPUNKTE (http://www.sehepunkte.de/2014/12/25155.html).

Wolf Senff notiert in seiner genauen Rezension, auf welche Untersuchungen man, ausgehend von Voß´ Buch, hoffen (und sich freuen) könnte: „Zweifellos wäre aber interessant zu wissen, welche Aktivitäten den Irakfeldzug vorbereiten halfen – abgesehen von der verlogenen Propaganda der CIA und Colin Powells – und in welchem Umfang Söldnertruppen der Firma Blackwater und anderer eingesetzt wurden. Die Frage stellt sich ebenso für den sogenannten Arabischen Frühling. Wurde Libyen im Vorwege systematisch destabilisiert? Leisteten »covert operations« und »clandestine operations« einen Beitrag zur Destabilisierung Syriens, seit neuestem der Ukraine? Wo und mit welchen Aufträgen setzten die USA und andere Beteiligte Söldnertruppen ein? Brisante Fragen von neuem Gewicht und eine Menge Stoff für die Historiker der nächsten Jahrzehnte“ (http://titel-kulturmagazin.net/2014/03/21/klaas-voss-washingtons-soeldner/).

Neben Frank Westenfelders Geschichte der Söldner (das von Voß ebenso zitiert wird, wie er auf Westenfelders Page KRIEGSREISENDE verweist) ist WASHINGTONS SÖLDNER eines der wenigen deutschen Bücher zur Söldnerthematik, das als Pionierarbeit die internationale Forschung bereichert.

P.S.: Voß veröffentlichte zeitgleich mit dem Buch eine im Netz zugängliche kleine Untersuchung „Die Hunde des (Kalten) Krieges. Söldnermemoiren und -zeitschriften als historische Quellen (1960 bis 1990)“ in http://www.zeithistorische-forschungen.de/1-2014/id=5017

Typische Propaganda-Doku:



NEUES AUS DEN SIXTIES: BOB DYLAN HOLT DEN ROCK AUS DER MILCHBAR by Martin Compart

Irgendwie kriegt es Klaus Bittermann momentan nicht hin, mal einen Monat ein Buch zu machen, das mich nicht interessiert. Die Edition Tiamat hat mal wieder einen echten Lauf bei mir.

Diesen Monat also ein Buch über meinen alten Guru Bob Dylan. Besser gesagt: über ein Album von Dylan. Bücher über wichtige Alben der Pop-Musik (setzt einen anderen Begriff ein), sind in den letzten Jahren ein eigenes Genre geworden. Die schlechteren erzählen nur die Produktionsgeschichte, die besseren zeigen auch die inhaltliche Wirkungsgeschichte. Und Bücher über Dylan sind schon länger (Ulrich von Berg erzählte mir vor längerer Zeit, dass er sich das 100.Buch über Dylan zugelegt hatte)ein eigenes Genre.

Für die Spätgeborenen: Dylan war oder ist (er soll tatsächlich noch leben und Frank Sinatra covern) der Typ, der die Beatles mit Haschisch bekannt gemacht und die Rockmusik von ihrer Infantilität befreit hat.

Nun das zweite Buch über HIGHWAY 61 REVISITED, das zweite Album von ihm aus 1965. Ganz klar ein Meilenstein in der Musikgeschichte (obwohl es mir immer noch auf den Keks geht, dass das Vorgänger-Album, BRINGING IT ALL BACK HOME, im Vergleich immer untergeht: Denn da wurde Dylan elektrisch und legte die Grundsteine für HIGHWAY).

Für Mark Polizzotti ist es Dylans wichtigstes und persönlichstes Album. Eine Auffassung, die der „Meister“ wohl teilte: „Meine Platten werden ab jetzt nicht mehr besser werden… 61 ist einfach zu gut. Da ist eine Menge Zeug drauf, das sogar ich mir anhören würde.
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Ich teile nicht jede Beobachtung des Autors, aber es ist schon verblüffend, was er aus jedem Song heraus kitzelt und welche Kontexte er für Musik und Texte herstellt.

Polizzotti geht allen kulturellen und geographischen Spuren nach um Song für Song die Einflüsse aufzuzeigen, aus denen Dylan dann etwas völlig neues gemacht hat. Nebenbei wird deutlich: Welche Kompositions- und Arrangementselemente durch die digitale Technologie und Distribution verloren gegangen sind. Denn es gab mal eine Zeit der A- und B-Seiten, die ganz vorsätzlich aufeinander abgestimmt waren, in der jeder Song bewusst an einen Platz stand und sehr genau überlegt wurde, warum ein bestimmtes Stück die A-Seite abschloss und ein anderer die B-Seite eröffnete. Polzzotti beschreibt diesen langwierigen Prozess bei HIGHWAY (bei den vielleicht auch die Beatles Einfluss hatten). Wenn wir diese Vinylplatten heute auf CD hören (abgesehen von lohnenswerten Bonus-Tracks), ist das eine ganz andere Erfahrung: Es gehen (nicht nur musikalisch) Dimension verloren, die einem Album zusätzliche Tiefe gegeben haben. Was könnte Dieter Bohlen alles vorlegen, wenn ihm das zur Verfügung stünde – man mag es sich kaum vorstellen!

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Außerdem spickt er das Buch mit schönen Anekdoten und erhellenden Momentaufnahmen aus Dylans Biographie. Etwa das Dylan 1984 sagte, er habe das berüchtigte SELF PORTRAIT nur gemacht um die Hippies los zu werden, die „sowas unmöglich mögen konnten, sich damit unmöglich identifizieren konnten…“ Berührend finde ich auch Springsteens Erinnerung, wie er das erste Mal LIKE A ROLLING STONE gehört hat: „Meine Mutter und ich hörten beim Autofahren WMCA, und dann kam dieser Snare-Schuss (am Anfang des Stücks), der klang, als hätte jemand die Tür zu deiner Seele aufgetreten.“

Wie wichtig Dylan für das kulturelle Gedächtnis einer Generation war und vielleicht noch ist, wird in dem Band nebenbei heraus gearbeitet. Angesichts der Plattheit heutiger Pop-Musik (siehe:https://martincompart.wordpress.com/2015/04/14/depression-hauntology-und-die-verlorene-zukunft/) ist es nicht nur der spätkapitalistischen Nutz-Bildung zuzuschreiben, wenn die NRW-Einserabiturientin Elisabeth und die Schuhfachverkäuferin Sheila antworten: “ Wann der 2.Weltkrieg war? Nach dem ersten. Dylan? Das war alles vor meiner Zeit.“
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Ich gehörte lange selbst zu der unerträglichen Spezies der Dylan-Versteher (der, wie alle anderen, als Einziger wirklich verstanden hat, was der Meister den Planeten – besser: mir persönlich – mitzuteilen hatte). Aber der allergrößte Dylan-Fan, dem ich je begegnet bin, war die deutsche Noir-Ikone Ulf Miehe. Lange vor Internet war er international sensationell vernetzt und bekam aus aller Welt Bootlegs, VHS- und Audio-Cassetten.51OXXCqFK3L._SY344_BO1,204,203,200_[1] Er hatte einen ganzen Raum voll damit, und ich verdanke ihm großartige Tapes (die ich natürlich aus Erhaltungsgründen inzwischen digitalisiert habe). Einmal quatschten wir über ein neues (Gangster-)Filmprojekt. Stundenlang stellten wir fest, dass die Eröffnungsmusik unbedingt der SUBTERRANEAN HOMESICK BLUES (Opener von BRINGING IT ALL BACK HOME) sein müsse. Wichtige Arbeit für einen leider nie realisierten Film war also getan. Ulf blödelte auch gerne mal rum. Einmal gab er zum besten, dass er in den USA von der englischen Übersetzung seines Romans ICH HAB NOCH EINEN TOTEN IN BERLIN nur deshalb so viele Exemplare verkauft hatte, weil er das Buch Dylan gewidmet hatte und es so viele Dylan-Komplett-Sammler gäbe.

PS: Die Track-Liste:

1.Like a Rolling Stone – 6:09
2.Tombstone Blues – 5:56
3.It Takes a Lot to Laugh, It Takes a Train to Cry – 4:05
4.From a Buick 6 – 3:15
5.Ballad of a Thin Man – 5:56

6.Queen Jane Approximately – 5:28
7.Highway 61 Revisited – 3:26
8.Just Like Tom Thumb’s Blues – 5:27
9.Desolation Row – 11:22