Martin Compart


DER TASMANISCHE TEUFEL ERZÄHLT by Martin Compart
9. April 2021, 2:16 pm
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Errol Leslie Thomson Flynn (1909-58) hatte viel von einem Anti-Helden aus einem Roman von Ernest Hemingway.

Flynns Leben war aufregender als die meisten seiner Filme (von denen er keine sehr hohe Meinung hatte).

Bücher über Flynn sind schon sowas wie ein eigenes Genre. In den letzten zwanzig Jahren hat das Interesse an dem einst größten Film-Star der Welt wieder zugenommen.
Es gibt sogar einen interessanten Blog über ihn, in dem die irrwitzigsten Details und alle Aspekte seines Lebens beleuchtet werden: https://www.theerrolflynnblog.com .
Manche dieser Flynn-Bücher sind so begehrt, dass sie inzwischen für Summen zwischen 100 und 400 Dollar gehandelt werden.

Das schönste Errol Flynn-Buch ist von Errol Flynn – seine Autobiographie MY WICKED WICKED WAYS.
Angeblich hat es Flynn dem Ghost Writer Earl Conrad auf Jamaica von August bis Oktober 1958 diktiert. Vertrauenswürdigen Quellen nach war Conrad allerdings dauernd betrunken oder jagte Frauen nach.
Als Vorschuss erhielt Flynn vom Verlag Putnam 9000 Dollar. Von dem Buch sind schon bis in die 1970er Jahre über eine Million Exemplare verkauft worden.

2005 legte Aurum Press das Buch mit einer Einführung des Filmhistorikers Jeffrey Meyers neu auf. Veröffentlicht ist der unzensierte Originaltext, denn der wurde in früheren Ausgaben um einiges gekürzt, da die Verlage meinten, einiges sei zu „hart“, um es dem zeitgenössischen Publikum zuzumuten.
Überraschend ist die Qualität des Textes, die Errol Flynn als überraschend brillanten Schriftsteller zeigt. Inzwischen gilt MY WICKED WICKED WAYS neben dem Werk von David Niven als die beste Autobiographie, die je von einem Schauspieler verfasst wurde.

Kein Wunder, dass die Kritik zur Neuauflage euphorisch reagierte:
„Flynn set the record straight and is brutally honest in his posthumously published self-portrait. This restored version of the 1959 original contains numerous passages deleted from earlier editions for fear of lawsuits—he was equally brutal in his portrayal of many Hollywood big shots—plus eight pages of photos and a new introduction by biographer Jeffrey Meyers.“ – Library Journal

„Incredibly absorbing… Just as in life, Flynn spares himself nothing—and from his book emerges the same roguish charm that endeared his celluloid incarnation to millions.“ – Saturday Review

Die Geschmackvollste erschien in The Guardian:

„This is a major autobiography in the tradition of Cellini, Casanova, and Frank Harris. Perhaps it is not the book to leave alone in the house with your daughter, but Flynn was not the man to leave in the house with your daughter.”

Dem kann ich nur zustimmen: eines der besten und aufregendsten Bücher, das ich seit langem gelesen habe. Unbegreiflich, dass es das Buch nicht auf deutsch gibt. Denn auch bei uns ist Errol Flynn inzwischen kult (bei uns hat sich sogar eine Punk-Band nach ihm benannt; siehe den Link weiter unten).

Flynn soff, prügelte sich, kiffte, strich Kokain auf seinen Schwanz und vögelte sich um den Planeten. „I have been in rebellion against God and government ever since I can remember,”

Schon über den kleinen Errol hatte seine Mutter gesagt: ”A devil in boy’s clothing,”

Er war Mitglied einer Jugendgang in Sidney, Abenteurer in Neu-Guinea, Seefahrer, Manager einer Plantage, und… und… und.

Nicht immer stimmt das so alles, wie er es erzählt, sagt der Filmhistoriker Jeffrey Myers in seinem Vorwort. Manches ließ er aus, ungeklärt, ob er es vergessen oder verdrängt hatte (etwa der öffentliche Faustkampf mit John Huston). Bei diesem ungewöhnlichen Leben voller Drogenkonsum verschwamm wohl während der Aufzeichnung ein Jahr vor dem Tod einiges zwischen Realität, gestörten Erinnerungen und Phantasie. Wer sich so intensiv zwischen Natur, wilden Tieren (die er von klein auf liebte), Kriegen (er war als Reporter im chinesisch-japanischen Krieg und im Spanischen Bürgerkrieg) und dem Luxus der Glamour-Industrie herumtreibt, der kann an den Widersprüchen kaputt gehen.
Außerdem lebte der Autor lange, lange Zeit in der Hauptstadt der Lügen (wo man nicht mal davor zurück schreckt, Adam Sandler als Schauspieler zu bezeichnen).

Er lässt kaum ein gutes Haar am Filmgeschäft, versucht sich aber in keinster Weise als strahlender Held darzustellen. Eher im Gegenteil. Dabei zeigt er sich – ob nun im Diktat oder in seinem schriftlichen Lektorat – als glänzender Schriftsteller, dessen Ironie und Zynismus entwaffnend ist.

Er ist sich selbst gegenüber von brutaler Ehrlichkeit. Flynn wollte Schriftsteller werden: Bereits 1937 legte er mit BEAM ENDS einen Roman vor, der auf seinen Erlebnissen in Neu-Guinea beruhte; der Abenteuerroman SHOWDOWN folgte 1946. Darüber sagte er einmal: „Schreiben ist viel härter als Filme drehen. Wenn ich lese, was ich am Vortag geschrieben habe, könnte ich manchmal kotzen.“

Auch als Journalist hat er gearbeitet und zum Beispiel über die republikanische Seite im Spanischen Bürgerkrieg berichtet.

Es wimmelt nur von unglaublichen Anekdoten: Welcher Mann hat je seine zweite Frau bei seinem ersten Vergewaltigungs-Prozess kennengelernt (Verführung Minderjähriger – also unter 18 Jahren – wurde damals generell als Vergewaltigung geahndet)?

Gleich im ersten Kapitel berichtet er, wie er Anfang der 1950er Jahre pleite war (die acht Millionen Dollar, die er seit 1934 bei Warner Brothers verdient hatte, waren nicht nur verprasst, sondern von seinem Finanzverwalter veruntreut worden). Schweren Herzens verkauft er seinen Gaugin und kommentiert: „Paintings seem to be just loaned to you. The longest you can have a painting is your own lifetime. You stop, but the painting goes on – if it is one that is worth going on.”

Manchmal liest es sich, als würde ein betrunkener James Crumley Abenteuer- und Hollywood-Geschichten erzählen. Selbstzerstörerisch und lebensgeil zugleich ging er seinen Weg, der jeden Moralapostel zurück in die Kirchen treiben würde Immer auf der Suche nach dem nächsten Kick oder inneren Frieden endete er finanziell und gesundheitlich ruiniert, geplagt von Selbstmordgedanken. Aber da er sich nicht wirklich ernst nahm, rang er allem etwas ab – voller Ironie und Sarkasmus für seine Art zu leben.
„Jeder, der einen Dollar zurücklässt, ist ein Versager.“

In den 1950ern verwelkte der tasmanische Teufel dramatisch.

Er drehte keine Hollywood-Blockbuster mehr mit ihm als Star, sondern internationale B-Picture, die seine schwindende Prominenz ausnutzten.
Aber er tauchte auch als Neben- oder Hauptdarsteller in einigen großartigen Filmen auf: THE ROOTS OF HEAVEN (1958) von John Huston nach Romain Gary oder THE SUN ALSO RISES (1957) von Henry King nach Hemingway.
Als seine beste Leistung gilt die Darstellung eines Alkoholikers in TO MUCH, TOO SOON (1958). „Das war leicht. Ich musste nur ich selber sein.“

In all den späten Filmen kann man sehen, was für ein bemerkenswerter Schauspieler Flynn war, der sich zu Recht beklagt hatte, dass Jack Warner ihn „immer nur in Strumpfhosen gesteckt hatte“.

Nicht seine Affären (oder seine Freundschaft mit dem Nazi Herrmann Erben, den er als Reporter mit in den Spanischen Bürgerkrieg mitnahm und von dessen Parteizugehörigkeit Flynn nichtd wusste) brachen Flynn in Hollywood endgültig das Genick, sondern seine Sympathien für Fidel Castro. In Wikipedia wird das zusammengefasst:

Beispielhaft war rückblickend auch der vom Fernsehsender Arte im April 2007 als deutsch-französische Erstausstrahlung gesendete Film Die Wahrheit über Fidel Castros Revolution, der bis zu diesem Zeitpunkt unbeachtet in den „Giftschränken“ Hollywoods ruhte. Flynn befand sich auf Kuba, als Fidel Castro seine Revolution in dem Inselstaat begann. Statt Kuba fluchtartig zu verlassen, beschloss Flynn, die gesellschaftliche Umwälzung auf der Insel gemeinsam mit seinem Freund, dem Regisseur Victor Pahlen, filmisch zu dokumentieren. Offensichtlich tief beeindruckt vom Idealismus und der Energie des Revolutionsführers Fidel Castro, erzählt Flynn auf sehr persönliche Weise seine Sicht auf die kubanische Geschichte. Auch in seiner Autobiografie und im kanadischen Fernsehen gab er seiner Bewunderung für Castro Ausdruck, den er als seinen Freund bezeichnete.“

In dem Film sagt Flynn, er hoffe, die Kubanische Revolution sei der Beginn der Vernichtung aller lateinamerikanischer Diktaturen, und er wünsche allen jungen Revolutionären viel Kraft.

Der Mann wusste, wie man sich im State Department oder bei der United Fruit Company Freunde macht.

Bis zum Schluss war er der Hellraiser, der selbst Hollywood überforderte.

Und nach der Lektüre der Autobiographie steht fest:
„There will never be another one like you.”


https://www.errolflynn.de


Flynns Sohn Sean war u.a.Kriegsfotograf und ist einer der Vermissten des Vietnamkrieges.

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