Martin Compart


WEISE WORTE: JÖRG FAUSER ÜBER JAMES HADLEY CHASE UND SEINE DEUTSCHEN KRITIKER by Martin Compart
8. Oktober 2021, 5:09 pm
Filed under: Buchbranche, James Hadley Chase, JÖRG FAUSER, thriller, Weise Worte | Schlagwörter: , ,

„Tempo, Action, Spannung: staunend stehen die Hohenpriester unserer Literaturkulte jedesmal vor diesen Instrumenten aus dem Handwerkskasten des Erzählens, als wären sie Kargos aus einer fremden Zivilisation, an die Gestade unserer Inseln geschwemmt wie ein böser Hokuspokus, den es zu entzaubern gilt… man kann sich ja ausmalen, wie die psychopathischen Killer und machtgierigen Frauen, die das Gros seiner Figuren darstellen, auf die machtgierigen Psychopathen, die das Gros der Literaturkritiker darstellen, gewirkt haben müssen…

Er sei, hat Chase immer wieder beteuert, doch nur ein Kaufmann, der mit Geschichten handle wir andere mit Südfrüchten. Gerade solche Äußerungen reizen die Verächter seiner Geschichten hierzulande bis aufs Blut, und nichts belegt ihr schiefes Weltbild besser als die Tatsache, dass sie in der Regel für die Feuilletons von Zeitungen arbeiten, in deren Wirtschaftsteil von nichts anderem die Rede ist als von dem, was die Protagonisten des Geschichtenhändlers Chase umtreibt: dem großen Geld.“

(aus: DER MANN, DER DAS 20.JAHRHUNDERT LIEBTE, Nachwort zu EVA von J.H.Chase, Ullstein, 1985)

James Hadley Chase venu signer son dernier roman ‚La Blonde de Pékin‘ à l’Elysée Store sur les Champs-Elysées à Paris, France le 7 avril 1966. (Photo by Keystone-FranceGamma-Rapho via Getty Images)



ZU UNRECHT VERGESSENE SONGS by Martin Compart

Eines der schönsten Melodramen:

und der wahrscheinlich am besten produzierte und arrangierte deutsche Song:

Und noch der größte Noir-Song:



AYAYAY, AYAYAY, AYAYAY: DIE GEGENWART DER ZUKUNFT DES JÖRG FAUSER von Rolf Giesen by Martin Compart
13. August 2021, 9:42 am
Filed under: JÖRG FAUSER, Rolf Giesen | Schlagwörter: , , ,

Rolf Giesen, bekannt als Dr. Horror, ist der wohl bedeutendste deutsche Experte für den phantastischen Film und Tricktechnik. Er schrieb zahlreiche Bücher zu diesen und anderen Themen, die auch in den USA veröffentlicht wurden. Seine Lehraufträge brachten ihn bis in die Chinesische Volksrepublik, wo er mehrere Jahre unterrichtete.
In der ersten Hälfte der 1980er Jahre war er Filmkritiker beim Berliner TIP-Magazin, für das auch Jörg Fauser arbeitete. Außerdem waren beide Stammautoren für die von mir herausgegebene Reihe „Populäre Kultur“ bei Ullstein.
Wir zogen häufig gemeinsam um die Häuser und bezweifelten gerne bei geistigen Getränken die allgemein anerkannten Interpretationen des kulturellen Lebens in Europa.

MC

AYAYAY, AYAYAY, AYAYAY:

DIE GEGENWART DER ZUKUNFT DES JÖRG FAUSER

von Rolf Giesen

I.

Vor allem hatte Jörg Fauser ein unvergessenes Gesicht, eine Mischung aus Trübsinn, aus Schwermut, einer gesunden Portion Skepsis und jeder Menge Boshaftigkeit, allerdings keiner bösen Boshaftigkeit, sondern einer kindlichen, die sich der Konsequenzen nicht immer bewusst ist und selbst erstaunt über die Folgen. Die Mordswut, die zu haben er behauptete, stand ihm nicht ins Gesicht geschrieben. Sein Lächeln wirkte gequält und verschmitzt zugleich. Schüchtern und angriffslustig: ständig the chip on the shoulders, wie die Amerikaner sagen, nicht direkt the Wild One, wie der Held seiner Brando-Biografie, sondern ein Angstbeißer. Aber genau wie Brando wirkte er verletzlich. Das konnte man in seinen Augen lesen, die ihre Umgebung mit Interesse beobachteten und musterten, ständig auf der Suche nach journalistischem, nach literarischem Futter, das er zu Munition verarbeitete.

Im Gegensatz zu uns, die wir ihn vielleicht noch vor uns haben (was anderes sollte die Menschheit tun angesichts einer bedrohlich in Mitleidenschaft gezogenen Umwelt?), hatte er einen Krieg erlebt, wenn auch nicht bewusst. Er war 1944 geboren, da hat man noch wenig Bewusstsein. Damit gehörte er nicht direkt zur Generation der Nachgeborenen wie wir, aber wir vereinnahmten ihn gern als unseren Pied Piper. Zwei Politiker kamen im selben Jahr zur Welt wie er: Proll-Gerd und Uwe Barschel. Barschels freien Fall hat er nicht mehr erlebt. Und Schröders Aufstieg, den ersten deutschen Kriegseinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg und eine mit Adolfs, nein: mit Peters Volkswagen ausgeheckte Agenda, die die SPD, seit jeher das „kleinere Übel“, endgültig unmöglich machte, auch nicht. Peter das war Peter Hartz, das war Schröders Niedersachsen-Mafia, in der sich Gestalten wie Carsten Maschmeyer tummelten. Kann, fragte eine Zeitung, kann diese Männerfreundschaft korrupt sein?

1944 war auch das Geburtsjahr von George Lucas, der nach einem Autounfall entschied, nicht Rennfahrer zu werden, sondern Filmemacher, ein milliardenschwer-saturierter, der den Krieg nach Vietnam wieder salonfähig machte: als Cyberkrieg im Weltall, was selbst Ronnie Reagan auf eine Idee brachte, wie man das Reich des Bösen aushebeln konnte. Auch Fauser hatte einen Unfall. Anders als Lucas überlebte er ihn nicht. – und so konnte er die Konsequenzen von Reagans propagandistischer Weltraum-Politik, das Ende der Sowjetunion, nicht mehr miterleben. Der LKW, der ihn am 17. Juli 1987 in München erfasste, in der Nacht, die seinem 43. Geburtstag folgte, war zweifellos stärker als er. Die Vorsicht schwindet, wenn man wütend oder betrunken ist oder beides zusammen.

Fauser ging uns, den missratenen Jungs von Karl Marx, G-Man Jerry Cotton, Mirácoli, Coca-Cola, Rolling Stones, Rattles, Raketenheften, Donald Duck und Hansrudi Wäscher (Zeichner der anatomisch bedenklichen Comic-Hefte Marke Akim aus dem Walter Lehning Verlag), den bedauernswerten Opfern der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften voran in den Tod: unsere Ikone des Schreibens, unser messiah of malice. Zu einem zünftigen Messias gehört notwendigerweise ein gewaltsamer Tod mit nachfolgender Wiederauferstehung.

Wir, seine Jünger, hatten derweil Probleme ganz anderer Natur.

EINSCHUB: Frage in einem Internet-Forum: Wie bekommt man aus alten Comic-Heften den „Müffel“geruch heraus? Für ein Archiv wurden sehr viele Softcover Ausgaben aufgekauft, die fast alle stark müffeln und die anderen „anstecken“. Was ratet Ihr mir?
Wegwerfen!

Aber bitte!

Bei Schimmelgeruch, mit kleinen farbigen Pickeln, so ein Rat, ist schon Vorsicht geboten! Da besteht bei einigen Sorten schon akute Gesundheitsgefährdung beim Einatmen der Sporen.
Im Wetterbericht hoffen sie, dass die durch den Klimawandel mitverursachten Unwetter mal eine Pause einlegen.
Unwillkürlich muss ich an Atlantis denken, den versunkenen Kontinent.
Angesichts des Klimawandels hätten Comic-Hefte sowieso keine Chance. Entweder sie verbrennen, oder das Wasser weicht sie auf und spült sie weg,
Bis dahin, erfahre ich sodann, ist gegen muffigen Geruch folgende Hilfe angezeigt:
Comic in einen verschließbaren Behälter (Plastikbox etc.) geben, dazu reichlich Kaffeepulver. Nach ca. 14 Tagen ist der Geruch verschwunden.
Im Comic-Fandom ist übrigens ein Akim-Messer aufgetaucht, das Anfang der 1950er-Jahre in limitierter Stückzahl von Lehning auf Jahrmärkten unters Volk gebracht worden sein soll. Bevor es für 3000 Euro an einen Dummen versteigert werden konnte, entlarvte es ein beherzter Comic-Kenner übrigens als Fälschung.
Im Medienzeitalter ist es unmöglich, sich auf einen Gegenstand zu konzentrieren. Es fließt eben noch jede Menge Scheiße durchs menschliche Gehirn. Na gut, besser sie verdreckt das Gehirn als die Comic-Sammlung.
Wir hatten es nicht leicht. Ständig fürchteten wir.

Fauser hatte andere Probleme. Er trank sich geradezu in die Unsterblichkeit, bevor ihn die wiedervereinigte Kulturindustrie hätte vereinnahmen und bürokratisieren können, bevor er ein Fettwanst hätte werden können wie Marlon Brando zum Schluss. Fauser glaubte an den jungen Brando, den Unangepassten, und er glaubte auch an Brandos geflügelte Worte: Nur wer seinen eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden. Tatsächlich hatte ihn der LKW nicht überholt, als er seinen eigenen Weg über die Fahrbahn ging, sondern mitgeschleift.

Womöglich hätte man ihn, wäre er noch am Leben, als Juror zum Bachmannpreis eingeladen, besser noch als Wortführer der Jury, als Nachfolger von Reich-Ranicki, der ihm, als er 1984 in Klagenfurt las, vorgehalten hatte, dass einer wie er nicht dazu gehöre: „Er passt nicht in diesen Wettbewerb. Man sollte einmal deutlich sagen, warum. Nicht deshalb, weil der Text gut oder weniger gut oder schlecht ist. Das ist nicht der Grund. Hier gibt es auch schlechte Texte, die gelesen wurden und wahrscheinlich noch gelesen werden, die sehr wohl in diesen Wettbewerb passen. Er passt nicht in diesen Wettbewerb, weil er geschrieben ist, Herr Fauser, das wird Sie vielleicht überraschen, es ist meine tiefste Überzeugung, ohne den geringsten literarischen Ehrgeiz. Hier haben Sie nichts riskiert, nichts versucht. Sie arbeiten mit Klischees, mit Versatzstücken in der Sprache, in den Motiven, im Schauplatz. Das ist – und da hat Wolfgang Kraus vollkommen recht – eine Literatur einer ganz anderen Ebene.

Mit Kunst hat das nichts zu tun!

Das hat zu tun mit einer Unterhaltungsware, die sehr anständig oder schlecht sein kann, gut gearbeitet, ordentliches Handwerk, weniger ordentliches Handwerk, aber dies zu entscheiden oder zu beurteilen ist unsere Sache nicht. Wir sind für andere Literatur zuständig als diese Geschichte. Deshalb sage ich nur, sie ist gar nicht mal schlecht, sie gehört nur nicht hierher.“

Schwacher Applaus.

Ein anderer Juror lässt sich kurz über die „zynische Dimension von Trivialliteratur“ aus.
Peter Härtling zeigt sich verdrossen.

Walter Jens gibt vor, nichts gegen Unterhaltungsliteratur auf höchster Ebene zu haben, aber hier habe man es mit aneinandergereihten Versatzstücken zu tun und mit einer – wörtlich! – Computerliteratur, die auf Unterhaltung spezialisierte Verlage nicht annehmen würden.

Computerliteratur! Die Schreibmaschine war doch, wie Fauser sagte, sein Maschinengewehr. An der Schreibmaschine wurde er zum Werwolf, verwandelte sich Fausers Jekyll in Hydes Jörg. Maschinengewehre und Schreibmaschinen hämmern. Dieses Gefühl, dieser Takt geht bei der Arbeit am Word processor, wie es damals hieß, verloren: tack-tack, tack-tack.
Eine Schweizer Quotenfrau in der Jury, die älter aussieht als sie ist und außerdem Obermüller heißt, beklagt sich bitter, dass sie als Frau und so weiter und so fort: „Ich hab‘ den Text als Frau gelesen [als was sonst?] und hab mich gefragt, ob mir hier der Autor eine Moral verpassen will, nämlich die, dass ich mich nie von der Seite meines Beschützers entfernen soll, weil ich sonst vergewaltigt werde…“

Frau Klara Obermüller schaut befriedigt in die Runde, aber niemand will sie vergewaltigen. Es tritt auch kein Beschützer auf.
Peter Härtling und Reich-Ranicki kriegen sich vor Lachen nicht ein.

Fauser sitzt die ganze Zeit vor dem Gericht der in Klagenfurt versammelten Literaten der Hochkultur, macht ein bedröppeltes Gesicht und lässt die barschen Worte an sich vorbeirauschen.
Der Angeklagte sollte das letzte Wort haben. Er zog es vor, wortlos abzuziehen.

„Wogegen wir hier sind oder was ich meinte, ist die Unterhaltungsliteratur, die nicht mehr ist als bare Konfektion“, rief ihm Reich-Ranicki nach.

Fauser hatte sie alle satt, die Konfektionäre ebenso wie die Nonkonformisten, wie er in Rohstoff, seinem für mich besten Buch, schrieb – „die Nietenjacken wie die Rollkragenpullover, das Gesabber der einen wie die Standpunkte der andern, Sodom und Gomorrha oder Marxismus-Leninismus, Jacke wie Hose, aber wenn mich schon alle anstarrten, wo ich mich hinsetzen würde, dann nahm ich doch lieber bei denen Platz, die keinen Bausparvertrag, kein Parteitagsmandat und keine politische Illusion mehr zu verlieren hatten, nur noch ihre Backenzähne.“

Endlich, fand ich, gehörte ich dazu. Ich fühlte mich verstanden. Auch mir wurde der Eintritt zur Vordertür verwehrt. Auch ich wurde, unterhaltungsbeflissen mit Comics, Gruselfilmen und Pommes frites rot weiß gefüttert, zur Hintertür verwiesen.

Mir fehlten sogar zwei Backenzähne.

Rohstoff war der Sprengstoff, auf den wir Zukurzgekommenen des Wirtschaftswunders gewartet hatten, um uns den Weg zur Vordertür freizukämpfen.

Fauser war, so seltsam das klingen mag, der Katalysator zum Verständnis auch unseres eigenen Lebens, der Nachkriegsgeneration, ihrer Unterhaltungsmusik, ihrer Unterhaltungsfilme, ihrer Unterhaltungscomics, ihrer Unterhaltungsdrogen und ihrer eher weniger geistigen Getränke, ja, des deutschen Nationalcharakters überhaupt, der reichlich grenzwertig ist.

Für uns Jungen war, ehrlich gesagt, nicht Letztes Jahr in Marienbad das Größte, sondern Peblum: Herkules, Samson & Odysseus, das Nonplusultra des Sandalenfilms, 1963 von Pietro Francisci gedreht. Pietro Francisci, der Regisseur, hatte die Muskelmann-Serie mit Steve Reeves als Herkules aus der Taufe gehoben. Er war ein kleiner, dicker Mann (mit Jura-Examen), für den die kommerzielle Seite der Filmkunst keine Schande bedeutete. Nicht einmal die einsfünfzig, die wir jeden Sonntag unseren Alten für die Jugendvorstellung abgeluchst hatten, verachtete er. Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist. Er war eben ein echter Lateiner, der, anders als seine Kollegen von der Novelle vague oder vom Jungen Film, wusste: Non olet!
Und die Alten waren froh, uns für zwei, drei Stunden loszuwerden und ihr schlechtes Gewissen dazu, an das wir sie bei Bedarf erinnerten, also mindestens zweimal in der Woche. Jaja, Krieg und Drittes Reich. Den Leichengeruch hatten sie wahrgenommen, aber gewusst… nein… und bitte nicht daran erinnert. Dann lieber einsfünfzig Schweigegeld.

Die Mädchen hatten derweil ihr eigenes Reich: Tausend Takte Übermut, Vinylschallplatten, Roy Black, Eisdielen, wo sie uns auflauerten, ganz früher in Petticoats. Damals waren sie noch schlank dank Hula-Hoop-Reifen. Jede zweite hieß Manuela. Geradezu hysterisch wurden einige von ihnen, als die Beatlemania aufkam.

Nur Frau Obermüller war nicht dabei.

Schreibend habe ich Fauser natürlich nicht erlebt, redigierend, ja, beim Tip-Magazin in West-Berlin, wo ich ihm meine Artikel über Fantasy- und SF-Filme in die Hand drückte, und trinkend, oft im Duo mit dem trinkfesteren Ullstein-Lektor Martin Compart, mit dem er um die Häuser zog. An der Ecke Pestalozzi-, Krumme Straße (in der Krummen fiel am 2. Juni 1967 der Todesschuss auf Benno Ohnesorg, hier wohnte Fauser eine Zeitlang), frequentierten sie das Martini-Stübchen, das es heute nicht mehr gibt, ebenso wenig wie das merkwürdige West-Berlin der Provinzpolitiker Eberhard Diepgen und Heinrich Lummer, Tag und Nacht geöffnet, das zeitweilig Fausers geliebt/gehasstes Zuhause war.
Wir tranken doch alle. Leben hieß trinken. Die einen vertrugen mehr, die anderen weniger, wieder andere gar nichts. Das gehörte dazu. Hemingway, Dashiell Hammett, Raymond Chandler und der ganze Pöbel – man befand sich in der erstbesten Gesellschaft.
Ich lege gerne jeden Gerass und Walserrr beiseite und nehme mir dann lieber einen Fauser-Text vor und genieße die unterhaltende literarische Konfektion wie einen Roman von Charles Bukowski oder Henry Miller: eine zeitlose Schreibe, wie sie natürlich nicht ins spießbürgerliche Kärnten gehört. Ich fühle mich dann wieder jung, jetzt, da ich alt und selbst auf der Zielgeraden bin, die unweigerlich in irgendeine Versenkung führt, die man Grab nennt.

FORTSETZUNG FOLGT



Stones-Buch + Erinnerungen an Jörg Fauser als Bonustrack by Martin Compart



STONES! by Martin Compart
23. Mai 2020, 7:27 pm
Filed under: ACHIM REICHEL, JÖRG FAUSER, MUSIK, Rolling Stones, Sekundärliteratur | Schlagwörter: ,

Näheres bei Zerberus.

Mit Erinnerungen an Jörg Fauser als Bonustrack.

 

 

EPSON MFP image

Keith Richards by Helmut Wenske, 2011.

 

https://www.amazon.de/s?k=martin+compart&i=stripbooks&__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&crid=3IOZ0Z0M06E0C&sprefix=martin+com%2Cstripbooks%2C219&ref=nb_sb_ss_i_1_10

Zerberus_Banner_04.10.19



ZU UNRECHT VERGESSENE SONGS – IHR LÄCHELN WAR SO ALLEIN by Martin Compart
19. April 2020, 7:19 pm
Filed under: ACHIM REICHEL, JÖRG FAUSER | Schlagwörter: , , ,

Einer der besten Love-Songs aller Zeiten:

Wo hat Fauser immer diese Lyrics hergeholt? Und wer – außer Keith – hat solche Riffs drauf?



„RATTLE REKRUT REICHEL“ by Martin Compart
6. Dezember 2019, 10:45 am
Filed under: ACHIM REICHEL, JÖRG FAUSER, MUSIK, Porträt | Schlagwörter: , , , ,

Dies ist ein Auszug aus meinem Buch 2000 LIGHTYEARS FROM HOME – EINE ZEITREISE MIT DEN ROLLING STONES, stark überarbeitete Neuausgabe demnächst bei ZERBERUS).

.
.
.
.
.
.

Aus dem Kapitel über die 1960er.

Von nun an ging es Schlag auf Schlag!

Jede Woche war was Neues zu entdecken: Kinks, Troggs, Hollies, Manfred Mann, Procol Harum, Animals… Finanziell nicht zu bewältigen. Also sprach man sich ab: Du kaufst die, ich kauf die. Dann tauschen, wenn man die Single hundert Mal in der Woche gehört hatte.
Meine Popularität im Elternhaus erreichte einen Tiefstand. Aber sie kriegten es nicht hin, diese sittlich-ethisch desorientierenden Musik-Kapellen unter Strafe zu stellen. Für uns war die Rock-Musik ein goldener Fluss, und wir standen mit Eimern am Ufer. So erklommen wir die Gipfel der Ruchlosigkeit und Schande.

Noch heute muss man für die frühe Geburt dankbar sein, dass man nicht von kastrierten Prä-Rentnern wie Wincent Vice, Pietro Lombardi oder Glasperlenspiel sozialisiert wurde. Gegen die hätte sogar Willy Hagara gepunktet.

Eine neue jugendgefährdende Tradition entwickelte sich: der Party-Keller!
Manche hatten das Glück, in ihren Häusern Keller zu haben, die nicht als Kohlelager dienten, die recht adrett herzurichten waren. Etwa mit alten Sofas und selbst gezimmerter Bar. Prototypen dieser Hedonismusstellplätze waren bereits in den 50ern von der 5.Kolonne Moskaus eingeschmuggelt worden.

Am wichtigsten war natürlich der Plattenspieler.

Dicht gefolgt von Bildern der Stars, rausgerissen aus der „Bravo“ und an die Wände geklatscht. Ganz weit vorne war man mit einem „Bravo-Starschnitt“, der etwa Robert Fuller (AM FUSS DER BLAUEN BERGE) oder James Dean in Lebensgröße wiedergab. Da konnte schon mal ein Knie fehlen („Da waren wir in Italien und da kriegst du keine Bravo.“).
Ein gutbestückter Party-Keller verfügte natürlich nicht nur über die neuesten Platten, er hatte auch die verbotene Frucht für 10- bis 12jährige im Ausschank: Cola! Wer Cola trank war mindestens schon halbstark. Schmeckte gar nicht so doll, brachte aber Reputation.
An diesem Ort hatte pubertäre Verzweiflung Pause. Mit einem leeren Glas dazusitzen, grenzte an Hausfriedensbruch.

Nein, am wichtigsten für den Party-Keller waren Eltern, die nicht zu Hause waren.

Denn ALTE waren der Horror! Sie lebten ein Leben nach Regeln, die sich andere für sie ausgedacht hatten, die sie nicht einmal kannten.

Und dann kamen die Rattles!
Welches Ambiente war für sie geeigneter als ein Party-Keller? „Come On and Sing“, „Las Las Las Vegas“… Was für ein Krach! Lärm für Frühpubertierende, die mit hochrotem Pickelgesicht unbekannte Wesen fragten, „ob sie mit einem gehen wollen“.

Als man mich aufklärte, dass die Rattles aus Hamburg kamen, wollte ich es nicht glauben. Was für eine Enttäuschung! Als Beat-Band deutsch zu sein, fühlte sich nicht richtig an. Nein, das war schon direkt FALSCH.
Deutsch zu sein war sowieso scheiße. Ami – ja (schließlich plante man eine Karriere als Jess Harper bei den Cowboys), Engländer war auch okay.
Aber Deutscher?
An den Alten konnte man doch sehen, wie hinterletzt es war Deutscher zu sein. Spießer oder Altnazi. Viel mehr war da nicht drin. Und deutsche Musik… I mean really – da war man schon lange drüber weg.
In der Jugend darf man solange hochmütig sein, wie es dem Kenntnisstand nicht widerspricht.

Aber dann fand ich die Rattles doch verdammt gut. Besonders Achim Reichel war ein echter Kerl. Denn bei den Auftritten in heißen Studios hatte er eine Fellweste an, die man ihm aboperierte, als er zur Bundeswehr musste. Zum Start als Panzergrenadier brachte er unterm Stahlhelm 1967 das Video zu „Trag es wie ein Mann“ – noch immer ein Brüller.

Die „ernsthafte“ Journaille war damals stilistisch immer ganz weit vorne, wenn sie über Beat schrieb.

„Die Zeit“ aus Hamburg hatte tatsächlich mitgekriegt, dass es in Hamburg den Star Club und eine Beat-Szene gab. Und dass die Obermacker der Szene Hamburger Jungs waren, die sich „The Rattles“ nannten und nicht – wie man leicht hätte annehmen können – etwas waren, was sich quer durch die Erde aus der Mongolei dorthin durchgebuddelt hatte.

Deswegen war der „Zeit“ Achims Bundeswehreinsatz auch am 29. Juli 1966 einen Wahnsinnsartikel wert, unter der Überschrift RATTLE-REKRUT REICHEL. Ein paar Auszüge:

„Panzergrenadier Achim Reichel, 22 Jahre alt, Ehemann und Vater von zwei Kindern, ist im Privatleben ein Rattle. Ein Rattle ist die deutsche Ausgabe der berühmten englischen, von der Königin dekorierten Beatles. Was John Lennon für die Beatles ist, ist Achim Reichel für die Rattles. Er ist ihr Bandleader, fabriziert für sie Texte, setzt Töne und schlägt die Gitarre. Der Hamburger Star Club ist ihr Domizil. Von hier aus gehen sie auf ertragreiche Tourneen… Doch da flatterte dem Ober-Rattle unerwartet der Einberufungsbefehl ins Haus: Das Kreiswehrersatzamt bat den Beatkomponisten zu einem 18monatigen Gastspiel auf den Kasernenhof. Die Bundeswehr zeigte jedoch Verständnis. Für ein halbes Jahr stellte sie den Rattle zurück, zwecks seiner und seiner Band Geschäfte abzuwickeln. Achim Reichel aber dachte an die Millionen seiner britischen Kollegen und klagte, als nach einem halben Jahr der endgültige Befehl kam, vor dem Verwaltungsgericht. Er trug den Richtern vor: Die Musik, die er mache, sei mehr oder weniger Modesache. In den 18 Monaten seines Wehrdienstes könne sie passé sein. Seine Karriere, die sich so hoffnungsvoll anließ, könne er dann nie wieder nachholen. Der Anschluß sei dann verpaßt.
Die hanseatischen Verwaltungsrichter waren anderer Meinung: `Es liegen bisher keine Anzeichen dafür vor, daß die Beatmusik in naher Zukunft aus der Mode geraten wird´…“

Diese Weitsicht bestätigt mein Vertrauen in die deutsche Justiz.

Eine ältere Kusine, die längst vertraut war mit der Welt des Rock´n´Roll sagte: „Wenn Achim vom Bund zurück ist, ist er genauso erledigt wie Elvis.“

Im Gegensatz zu Elvis ist er stärker zurückgekommen (auch weil er weniger Filme gedreht hat).

Mit Wonderland ließ er es nach dem Bund sofort krachen. An „Moscow“ kam ´68 keiner vorbei.
„Die grüne Reise“ kam für mich zu früh. Diese Begleitmusik für psychedelische Freizeitpharmazeutika entdeckte ich erst nach meiner bescheuerten (aber kurzen) Amon Düül-Phase. Achim schloss nie eine Vollkaskoversicherung für kommerziellen Erfolg ab.

Während Udo Lindenberg zu nerven begann und sich deutsche Liedermacher auf verstaubten Ritterburgen was vorsangen, schuf Reichel die elektronische Musik, die erstmal kaum einer wirklich verstand. Spätestens da war jedem klar, dass er sich nicht einordnen ließ oder wollte. Sturköpfig zog er nur das durch, was er wollte. Seitdem weiß man nicht, womit er beim nächsten Album um die Ecke kommt.

Warum halten ihm die Fans bei allen unerwarteten Volten die Treue?
Das sieht man bei Live-Konzerten, die er immer reichlich gibt:
Auch wenn er auf ´ner Bühne sitzt, hat jeder im Raum das Gefühl, er spielt nicht für uns, sondern mit uns. Dadurch entsteht ein merkwürdig intensives Gemeinschaftsgefühl. Und Achim Reichel wird als „einer von uns“ wahrgenommen. Ähnliches konnte man in den späten 60ern erleben, als die Bands ein Teil des Movement waren und nicht als Wirtschaftsunternehmen gesehen wurden.
Reichel hat diese tief empfundene demokratisch-sozialistische Utopie der 60er nie aufgegeben. Wie sehr ihn die politisch-ökonomischen Fehlentwicklungen bewegen, hört man in seinen wütenden Texten, etwa in „Exxon Valdez“ oder „Neandertaler in Nadelstreifen“.
Aber was nützt der beste Text, wenn die Musik keine Substanz hat?

Mitte der 1970er überraschte er mich mit „Dat Shanty Alb´m“. Das war unter den hanseatischen Emigranten in München stark angesagt.
Und in den 1980ern lernte ich ihn persönlich kennen, dank Jörg Fauser, mit dem Achim damals intensiv zusammenarbeitete. Aber das ist eine andere Geschichte… Siehe https://martincompart.wordpress.com/2019/01/25/herzlichen-glueckwunsch-achim-reichel/

Achim war immer so hanseatisch deutsch, wie Ray Davies britisch oder Bob Dylan nordamerikanisch war, beziehungsweise ist. So wie Davies Music Hall-Einflüsse verarbeitete und aktualisierte, gräbt Achim immer wieder tief im deutschen Kulturgut, um Shantys oder Volkslieder zu entstauben und aktuell zu revitalisieren. In „Kuddel daddel du“ kann man den Schlager der Weimarer Republik raushören.

Wer sich so intensiv mit Volkskultur (im progressiven Sinne) beschäftigt, schafft dann selber welche.

Anders als der Egomane Davies nutzt Achim auch die Werke deutscher Klassiker oder neuer Dichter (am prominentesten wohl Fauser), um sie originell zu vertonen. Er riss zu vergessen drohendes oder zu Schulstoff verkommenes („Erlkönig“, „Zauberlehrling“ etc) zurück in die Popularität.
Das hat so manchem gelangweilten Schüler klar gemacht, wieviel Spaß man an dem alten Mist haben kann.

Mit Davies scheint er auch die Liebe zu seiner Heimatstadt zu teilen. Ohne London ist Ray kaum vorstellbar, er schrieb einige der schönsten Songs über die Stadt („Sunny Afternoon“, „Waterloo Sunset“ u.a.). Bei Reichel schwingt der Hanseat immer mit – im Tonfall und auch in der coolen Ereignisbeschreibung („Dolles Ding“), die man erst braucht, wenn sie da ist.

Am verblüffendsten ist für mich sein laid-back-Sound!
Diese uramerikanische Gitarrenmusik, die man mit Leuten wie Tony Joe White oder J.J.Cale verbindet, geht Reichel in Kombination mit deutschen Themen und Texten so leicht aus der Klampfe, als hätte er sein Leben lang in Oklahoma auf der Veranda Maispfeife geraucht.

Diese Unangestrengtheit kommt auch seinen Hits zu Gute: „Der Spieler“, „Aloha Heja He“, „Fliegende Pferde“, „Exxon Valdez“, „Amazonen“, „Boxer Kutte“, „Kuddel Daddel Du“ – wenn er will, kann er eben mal so Hits raushaun (auch wenn der Markt das manchmal nicht mitkriegt oder Radio-Idioten sie sabotieren, wie bei „Amazonen“ von 1993, von Radiosendern nicht gespielt, weil er das Wort „Männerarsch“ enthielt und als „frauenfeindlich-diskriminierend“ interpretiert wurde).

Ganz nebenbei schrieb er auch noch den definitiven Song, der die „Neue Deutsche Welle“ voll auf den Punkt bringt: „Robert der Roboter“.

Das Lied über maritime Geschlechtskrankheiten „Aloah Heja He“ ist einer der ganz wenigen Schichten übergreifenden Monsterhits: Er funktioniert grölend im Bierzelt und auf Schützenfesten genauso wie unter kichernden, kiffenden Intellektuellen. Vielleicht sowas wie sein „Satisfaction“. Im Mörserfeuer dieses Songs verbrennt er jeden Saal, der dann in bester Laune nach Hause geht, ohne von Gonokokken beunruhigt zu sein. „Die Single klemmte zuerst und die Plattenfirma war schon drauf und dran, den Mut zu verlieren. Und dann kam von denen der wunderschöne Spruch, den ich nie vergessen werde: ‚Achim, wir glauben, der Song ist zu sehr ‚Out of normality‘.“

Das Reichels Platten international lässig mithalten, liegt auch an der Qualität ihrer Produktion. Immer auf der Höhe technischer Möglichkeiten, aber nie überproduziert und mit exzellenten Arrangements (da macht ihm niemand was vor). Und er hat ein Händchen für Musiker! Die Bands, mit denen er tourt, sind immer erstklassig und laufen auf allen 12 Zylindern.

Und während die meisten zeitgenössischen Pop-Musikanten – Bands wie Silbermond und andere mit durchnummerierten Christa Stürmer-Zombie-Sängerinnen – in ihren Hirnen Geisterstädte unterhalten, ist Reichel neugierig und rege wie immer.

Achim gehört zu den wenigen Großen aus den Sixties, die nicht nur nostalgisch Säle füllen, sondern weiterhin relevant sind, weil sie keinen Trends hinterher laufen. Viele Sixties-Ikonen sind inzwischen so leer wie Abbruchhäuser.

Nun ist Achim Reichel selbst Kulturgut. Zum Glück weiß er das nicht und macht einfach weiter, um mit den Stones, Ray Davies und einigen anderen dahin vorzustoßen, wo noch keiner war. Denn er ist immer noch topfit mit seinem wartungsfreien Gute-Gene-Körper.

Einer der schönsten Songs mit Fauser:

Bei dem Arrangement kann ich ausflippen. Einer meiner absoluten Lieblingssongs aller Zeiten!

Einer der schönsten Songs über eine Seite von Fauser – und damals kannten sie sich noch nicht.

Und hier erzählt Herr Reichel was:



ACHIM REICHEL ÜBER JÖRG FAUSER by Martin Compart
15. November 2019, 1:49 pm
Filed under: ACHIM REICHEL, JÖRG FAUSER, MUSIK | Schlagwörter: , ,

Leider war EINE EWIGKEIT UNTERWEGS aber auch die letzte Platte, auf der ich mit Jörg Fauser zusammen gearbeitet habe. Mit Jörg ist mir nicht nur ein guter Freund verloren gegangen, sondern auch eine Art Lehrmeister. Von ihm lernte ich unglaublich viel über das Kreieren von Texten.

Jörg war einfach extrem inspiriert. Der sagte gern mal nach einem Gespräch: „Gib mir mal ein paar Minuten.“, und brachte in dieser Zeit den Inhalt unseres Gedankenaustausches in eine Versform, bei der jedes Wort am richtigen Platz erschien – das fand ich beeindruckend. Fauser war als Schreiber in vielen Disziplinen zu Hause, ein wahrer Meister des Wortes.

Was man aber auch über ihn wissen muss, ist, dass er einen riskanten Lebensstil pflegte. Der lebte seine eigenen Geschichten bis zum Exzess. Und die damit verbundenen Milieu-Studien waren für ihn ein Teil seiner Suche nach dem Echten, dem Wahren.
Mein Lieblings-Titel auf dem Album „In Bali“ vermittelt das in seinem Text ganz deutlich. Fauser kannte sich im Milieu aus. Über Figuren, wie sie In Bali auftauchen, kannst Du nur schreiben, wenn Du sie selber kennen gelernt hast.

Das ist denn auch eine gute Überleitung zu meiner Ost-Asien-Tour, auf der Jörg eben auch dabei war und die er für den Stern dokumentierte. Anschließend ging es dann auf Deutschland-Tour, die ich auf Grund einer Salmonellen-Vergiftung abbrechen musste. Und just, als ich aus dem Krankenhaus kam, ist Jörg betrunken vor einen LKW gelaufen und das auch noch an seinem Geburtstag. Irgendein Tod wäre für ihn wohl zu wenig gewesen – auch wenn das jetzt zynisch klingt. Ein großer Verlust.

https://www.achimreichel.de/



ERINNERUNGEN AN JÖRG FAUSER by Martin Compart
13. September 2019, 9:06 am
Filed under: JÖRG FAUSER, Porträt | Schlagwörter: , , , , , ,

DER LANGE WEG ZUM SCHLANGENMAUL 3/

HEUTE: ABENTEUER IM ÜBERBAU

Drei Tage vor dem Bruce Springsteen-Konzert 1981 war ich auf Speed gegangen und hatte bei meiner Brandrodung durch München einen neuen Rekord aufgestellt. Nachts vor dem Konzert konnte ich nicht pennen. Das Speed glühte nach. Ich war dabei, die Entgiftung mit summa cum laude abzuschließen: Da war doch dieses Buch, das ich schon ´ne Weile lesen wollte: MARLON BRANDO von Fauser. Ein bisschen was hatte ich von ihm schon im „TIP“ gelesen.

Und natürlich war ich von ALLES WIRD GUT begeistert, das mir verdeutlichte, wie tief man in München noch sinken kann…

Später bekundeten wir häufig und missionarisch, dass München viel härter wäre als Berlin mit seiner Subventionskultur, in der jeder für ein „Projekt“ ein paar Groschen abgreifen konnte. Das erzählten wir jedem, der es nicht hören wollte – wie hart sich unser Überlebenskampf in Minga gestaltet hatte:

„Wasser? Wasser gab es nicht jeden Tag. Manchmal war man zu schwach, um sich bis zur Isar zu schleppen, um zu trinken. Und wer hatte schon eine Flasche, um Wasser mitzunehmen? Ein seltenes und kostbares Gut für die bürgerlichen Schichten.

Essen? Nun ja, gelegentlich warf einem schon mal eine gutherzige Marktfrau eine glasige Kartoffel zu oder eine vertrocknete Brezen… Das waren dann Feiertage, an denen man weinend dem Herrn dankte, dass er doch über einen wachte. Man war zu arm, um sich Aberglauben leisten zu können. Wir hatten nur unseren Seelenadel.

Bier? Jaja, Minga-Bierstadt. Bayrisches Bier gilt da ja als Grundnahrungsmittel. Kein Getränk für jedermann. Für uns was ganz seltenes und besonderes. Da kam man ganz schwer dran. Das einzige Bier, das wir auch nur wenige Male gekostet haben, bestand aus zusammen geschütteten, abgestandenen Resten in der Blauen Nacht oder einem unübersichtlichen Biergarten, bevor man mit Tisch- oder Stuhlbeinen da weggeprügelt wurde.

Nachts suchte man Trost beim einzigen Buch, das man aus einem Sperrmüll gezogen hatte und der größte Schatz war, den man in seiner abgewetzten Wehrmachtsuniform immer bei sich trug. Im schummrigen Licht der Straßenlaterne (wenn man das Glück hatte, eine zu finden, von der man nicht mit bissigen Hunden vertrieben wurde) las man dann in der zerfledderten Vorkriegsausgabe von OLIVER TWIST, um ein wenig Hoffnung zu schöpfen. Das ermutigte manchmal, den Strick um den Hals an einer der Isarbrücken wieder zu lösen. Manchmal auch nicht. Dann hing man da, über der nächtlichen Isar, leicht im Wind baumelnd, mit gebrochenem Genick…“

Ich knallte mir das Buch rein und konnte nicht fassen, wie gut es war. So eine Star-Biographie hatte ich noch nie gelesen!

Ich nahm mir fest vor, diesen Typen kennenzulernen.
Später stellte sich heraus, dass wir in München wohl zur selben Zeit in teilweise dieselben Kneipen gegangen waren.
Wir hatten vielleicht am selben Tresen gestanden, ohne ins Gespräch zu kommen. Denn im Gegensatz zu Jörg, bin ich fast nie allein um die Häuser geschlichen. Weißbierkeller, Blaue Nacht, rund um den Viktualienmarkt, das Glockenbachviertel… Wahrscheinlich hatten wir in denselben Nachtvorstellungen dieselben französischen Gangsterfilme geguckt.

„Warum hast du mich nicht mal angerufen? Das haben andere auch gemacht“, fragte mich Jörg später.
„Erstens habe ich mich das nicht getraut, zweitens hättest du mich garantiert abserviert.“
„Nicht unbedingt.“
„Nee, nicht unbedingt.

Für die „Arbeitsgemeinschaft Kriminalliteratur“ (im Umfeld der Münchener Uni 1980 gegründet) schrieb ich regelmäßig Artikel und Kolumnen für das Mitteilungsblatt. Aber auch schon mal ein Feature über das Sammeln von Kriminalliteratur für das „Sammlerjournal“.
Da ich zu zart für körperliche Arbeit bin, schrieb und übersetzte ich, um das karge Bafög aufzustocken.

In München bekam man sogar den Berliner „TIP“, der damals verstärkt überregional vertrieben wurde. Den las ich regelmäßig, denn der Kulturteil war moderner und progressiver als der durchschnittlicher Blätter. Film und Musik hatten mehr Platz, und mit den Rezensionen konnte ich mehr anfangen. Dass da Jörg Fauser seit Anfang 1981 am Werk war, fiel mir erst auf, als DER SCHNEEMANN vorabgedruckt wurde. Der Roman gefiel mir, klar, dass er als Redakteur stattfand, war mir nicht klar.

Der „TIP“ wäre vielleicht das richtige Forum für einen Artikel über Kriminalliteratur. Ich schickte, er wurde angenommen, veröffentlicht.

Nachdem Bernd Jost seinen bevorstehenden Wechsel zu Rowohlt als Nachfolger von Richard K.Flesch verkündet hatte, musste für Ullsteins Gelbe Reihe ein Nachfolger gesucht werden.
Ullsteins Geschäftsführer Viktor Niemann und Pressechef Wolfgang Mönninghof (in Personalunion als Chef-Lektor) trafen sich gelegentlich auf Drinks mit Fauser und „TIP“-Chef Werner Matthes, der Fauser nach Berlin geholt hatte. Es gab auch keine Zweifel, dass Niemann an Fauser als Autor für Ullstein interessiert war. Jedenfalls regte man an, die Ullsteiner sollten sich doch mal den Typen von der Arbeitsgemeinschaft ansehen, der diesen Artikel über Kriminalliteratur geschrieben hatte.

Niemann hatte ich schon zuvor als Chefideologe der AK belästigt
(„Hören Sie auf, die Innenklappe mit Marlboro-Werbung zu verunstalten.“
– „Wäre es Ihnen lieber, dass die Krimis dann teurer würden?
– „Nein. Senken Sie den Preis und lassen Sie gleichzeitig die Reklame weg.“

Ich hatte also meine betriebswirtschaftliche Kompetenz bereits nachgewiesen).

Der Rest ist bekannt: Nach einem Gespräch in Berlin hatte ich den Job, wurde jüngster Herausgeber Deutschlands, und bereits im ersten Job-Monat kreuzten sich Jörgs und meine Pfade.

Ich hatte zwar schon „TIP“-Chefredakteur Werner Mathes persönlich getroffen, aber Jörg noch nicht kennengelernt. Muss Anfang August ’82 gewesen sein, als Matthes mich zu einer Gaststätte bestellte, um über den „Literatur-Tip“ zur Buchmesse zu sprechen. Themenschwerpunkt: Kriminalliteratur.

Es war ein scheißheißer Tag, und ich frittierte im Büro im eigenen Schweiß. Mit einem Taxi fuhr ich durch das brütende Berlin zum Fronteinsatz. Vor der Gaststätte saßen zwei Stoiker und tranken Whisky. Matthes stellte Fauser und mich einander vor. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich es Ihnen zu verdanken hatte, bei Ullstein zum Vorstellungsgespräch geladen worden zu sein. Fauser war cool und skeptisch. Der Kellner kam, um meine Bestellung aufzunehmen. Ich wollte auch einen Whisky. Fauser grinste. Ich konnte kein ganz schlechter sein.
Aber wir saßen nicht nur da und waren hübsch anzusehen, wir gingen auch ernsthafter Trinkertätigkeit nach, und ich akzeptierte natürlich den Vorschlag, über Jim Thompson zu schreiben.

Nach der Veranstaltung in Loccum, verdichtete sich unsere Bekanntschaft und entwickelte sich zu einer zelebrierten Männerfreundschaft.

Wir besuchten gelegentlich Kultur-Veranstaltungen, gehörten aber nicht dazu, weil wir nicht dazu gehören wollten. Wir meinten eine Art „freundlichen Stalinismus“ der Apparatschicks auszumachen, der sich für Disziplin gegenüber genehmen Denkmustern und gegen abweichenden Individualismus richtete. Ihrem Kastendenken stellten wir die Wahrhaftigkeit der Noir-Avenues gegenüber. Diese Kulturszene interessiert (e) sich nur für Biedermeierthemen. Wie die Welt wirklich funktioniert, interessiert sie nicht. Da mussten wir schon zu Jim Thompson oder Ted Allbeury greifen. Es ging gar nicht mal um die Systemfrage, es ging darum, wie das System funktioniert. Erkennt man das, kommt die Systemfrage von selbst.

Existentialistische, an Camus erinnernde Aussage, wie diese von Jean-Pierre Melville passten hier nicht hin: „Ich mag nutzlose Anstrengungen sehr. Der Aufstieg zum Misserfolg ist eine ganz und gar menschliche Seite. Der Mensch geht von Erfolg zu Erfolg unentrinnbar auf sein letztes Scheitern zu: den Tod. In meinen Filmen gibt es immer eine Minute der Wahrheit: Der Mensch vor dem Spiegel, das ist die Prüfung, die Bilanz.“
Nein, hier kreiste alles um großbürgerliche Ästhetik, bürgerliches Glücksstreben in der Idylle eines progressiven Opernhauses und dessen Unmöglichkeit wegen der großen Schuld der Väter. Echokammern eines überholten Geisteslebens. Kulturelle Geisterfahrer.

Jörg wurde nicht vom bourgeoisen Feuilleton missachtet, er wurde von ihm nicht verstanden. Das zeigt sich auch darin, dass er jederzeit zu ihm Zugang fand. Ein Helmut Karasek hatte kein Problem, Jörg im „Spiegel“ über Mickey Spillane schreiben zu lassen, die „FAZ“ druckte seinen Essay über Ross Thomas vorab. „Lui“, „TransAtlantik“ und andere Zeitungen und Magazine standen ihm offen. Indem er den TIP (nicht nur mit der jährlichen Literaturbeilage zur Buchmesse) mit einer regelmäßigen literaturkompetenten Portion ausrüstete, wurde er selbst zum Player in diesem desparaten Genre. Seine Überlegenheit und Originalität kam eben nur nicht bei jedem Mitkombattanten gut an. Besonders nicht seine Tunnelbohrungen durch diesen überdimensionalen Misthaufen, der als deutsche Gegenwartsliteratur gefeiert wurde.

Denn unter den Möglichkeiten für eine zeitgemäße Literatur sahen wir Formen der Kriminalliteratur als überzeugendste Möglichkeiten (in der Umsetzung anders als der häufig talentlose Sozio-Krimi und seine stilistisch begrenzten Autoren). Denn in der sogenannten zeitgenössischen deutschen Literatur ging es ja nur darum, dass Leute, die einen nicht interessieren, nichts erleben.

Mit André Malraux teilten wir die Ansicht, dass Kriminalliteratur „das wirksamste Mittel ist, einen ethischen oder poetischen Sachverhalt in seine ganze Intensität zu übersetzen“.
Angesichts des Widerstandes (zum Teil Hass), der uns von Feuilletonisten und Autoren entgegenschlug, grinsten wir lediglich in unserer tief empfundenen Arroganz und hielten es (abgewandelt) mit John Milton: „Lieber in der Hölle herrschen, als im Himmel dienen.“
Eine unserer Strategien gegen unserer Meinung nach gestriges Kulturverständnis waren Debatten statt Diskussionen, da diese den höheren Provokationsfaktor haben. Jörg kannte die gegnerischen Konzepte genau: Oft las er diese Nabelschau-Bücher nur zu Ende, weil er wissen wollte, ob der Autor tatsächlich dieses miese Niveau halten konnte.

Vergangenheit ist nie zu Ende ist der Titel eines Romans von Ted Allbeury. Für mich sollte sich diese schöne Erkenntnis einmal mehr beweisen. Eines Abends – ich machte mich gerade für die Piste fertig – klingelten die Bullen. Ein Strafbefehl war offen – alter Scheiß aus der Münchener Zeit mit Karibik-Horst, den ich längst begraben wähnte, war noch anhängig. Ich sollte umgehend im Beisein der Cops am Bahnhof Zoo 400 DM auf die Münchener Gerichtskasse einzahlen, oder ich käme in Beugehaft, bis die Banken öffneten.

Soviel Kohle hatte ich nicht einstecken, noch verfügte ich über Eurochecks oder ähnlich neumodischen Kram wie Kreditkarten. Ganz bestimmt würde ich am nächsten Tag noch vor dem Zähneputzen die Überweisung tätigen. Nix da. Entweder sofort am Zoo oder sofort in den Knast.
Ich hatte an diesem Abend echt was Besseres vor. Hat man nicht immer besseres als Knast vor?

Ob ich einen Bekannten aufsuchen könnte? Der Springer-Ausweis wirkte in der Frontstadt damals manch kleines Wunder. Die Cops waren einverstanden und führten mich ohne Handschellen zu Jörg ins 13.Arrondissement.
Da Jörg Gäste erwartete, musste er zu Hause sein. Es war noch früh, zu früh für einen Joint, die Gäste waren erst angekommen. Keine Rauchschwaden zu erwarten.
Was für ein Partyknaller.
Ich klingelte, berichtete, und Jörg musterte die grinsenden Bullen, zog den Trench an, fuhr mit zum Bahnhof Zoo, hob Geld ab, gab es mir, ich zahlte ein und die Bullen wünschten uns noch einen schönen Abend.

Gibt wohl nicht viele Autoren, die einen Lektor vor dem Knast bewahrt haben.

Gelegentlich war Jörg etwas aufgebracht. Allerdings liebte er es auch, erbost zu sein. Ein feuilletonistischer Streuner, Hass in der Feder, hatte ihn oder von ihm geschätztes dann angepinkelt. Das sezierten wir gerne minutiös, um einmal mehr festzustellen, wie gering doch der Verstand sein muss, um bei bestimmten Postillen schreiben zu dürfen.

Von Jörg selbst bearbeitetes Manuskript.

Zeit seines Lebens, wurden Jörg und sein literarisches Konzept unter Wert behandelt. Aber Hemingway hatte ja gesagt: „Kritiker haben noch jeden Schriftsteller, der sie liest, ruiniert“. Jörg nicht. Das Leben auf der Straße hatte ihn viel zu sehr gepanzert. Sie kamen mit ihren Abrissbirnen nicht an ihn ran.

Wirklich geärgert haben wir uns nur, wenn Name, Titel oder Verlag falsch geschrieben waren. Da war Jörg ganz der Meinung von Mickey Spillane: Nur das zählt. Aber die Schiedsrichter des Konformismus versuchten es immer wieder, ließen nicht locker wie tollwütige Frettchen. Oft genug spürte man aus ihren krummen Zeilen den Hass auf Jörgs Überlegenheit, den Hass darauf, dass er ihren Spießerkanon nicht anerkannte und übernahm, den Hass darauf, dass er in jedem Genre – ob Reportage oder Songtext – Gold herstellte, den Hass darauf, dass er nicht mit ihnen fraternisierte, letztlich den Hass auf ihre eigene Unzulänglichkeit.

Noch heute gibt es ja solch ewige Buben, die mit dem traditionellen Lockruf der Sauhirten ihre Gefolgsleute herbeizitieren, weil sie Jörgs Wirkungsgeschichte nicht verkraften und krampfhaft ein Kastensystem zu erhalten suchen, dass von Fauser zu kalter Asche heruntergebrannt worden ist. „Wenn ein wirklich großer Schriftsteller in Deutschland erscheint, kann man ihn untrüglich daran erkennen, dass sich alle Dummköpfe gegen ihn verbünden“, kann als leicht verändertes Hemingway-Zitat für die Fauser Rezeption gelten. Jedenfalls zu seinen Schaffenszeiten.

Was zum Teil von denen zu halten ist, die ihre Talentlosigkeit damit überdecken, dass sie sich heute auf Fauser beziehen, ist eine andere Geschichte.

Wie wir alle (und insbesondere Künstler), war auch Jörg eitel. Wenn jemand clever genug war, die richtigen Knöpfe zu drücken, konnte er mit seiner Wohlgesonnenheit spekulieren. Mich hat das häufig verärgert:
„Aber der hat doch bereits nachgewiesen, dass er nicht schreiben kann!“
„Jeder fängt mal an. Und in seiner Bestrebung zu mir lässt sich erkennen, dass er nach dem richtigen Weg sucht.“
„Er schmiert dir Honig ums Maul, weil er hofft, dass du für ihn nützlich sein kannst.“
„Zweifellos ein Zeichen von Intelligenz.“
„Du hast selbst gesagt, wie schlecht er schreibt.“
„Er hat noch einen langen Weg vor sich. Um so wichtiger, von den Besten zu lernen.“
„Aber sicher. Du bist eine Vollkaskoversicherung für ästhetisches Gelingen.“


Alles was auch nur den Anflug von Hippie-Kultur und Verwandtem hatte, war für Jörg sehr schlecht beleumdet. In seiner TIP-Kolumne ließ er kaum eine Gelegenheit aus, um sich mit alternativen Subkulturen anzulegen („Lieber die Pershing im Vorgarten, als den Politkommissar am Schreibtisch“). Vom „Underground“ war da nicht viel übrig.
Es waren Zeiten der Polarisierung, und das liebte Herr Fauser. Außerdem gefiel ihm die Rolle des Advocatus Diaboli.
Abgesehen von seinem Gespür und Bewusstsein für (politische) Kriminalität war Jörg in vielem so progressiv wie ein sozialdemokratischer Ortsvereinskassierer.
Aber für die vielen Masken der Korruption hatte er ein feines Gespür.

Ich hatte zwar auch für den Rest meines Lebens genug von dem Alternativscheiss (siehe meine Aufzeichnungen in 2000 LIGHTYEARS FROM HOME – Eine Sozialisationsgeschichte mit den Rolling Stones), aber mir standen Hausbesetzer näher als Innensenator Lummer.
Jörg hatte ein Faible für kleinwüchsige autoritäre Spießer. Erkennbar auch in seiner kurzzeitigen Faszination von Proll Gert Schröder und Joschka Fischer. Deren volle Idiotie des Kommenden war damals noch nicht wirklich vorhersehbar; das muss man als mildernde Umstände anführen.
Das Meiste aus dem Alternativscheiss wird sowieso zum Mainstream von Morgen, wenn es sich kommerziell verwerten lässt. Zwischen den Stühlen konnten wir vortrefflich stehen um auf die Sitzenden herabzublicken.

Andererseits war Jörg immer interessiert am Anarchismus und an Freiheitskriegen. Ihm missfiel die Idiomatik, mit der die „Linke“ (was immer das sein mag) alles heroische verteufelte und klein zu machen versuchte. Wir hatten beide erlebt, wie die Linke sich seit den 70ern gegenseitig exkommunizierte. Diese dogmatischen Idioten ernst zu nehmen, fiel schwer, während wir der Roten Armee Fraktion Respekt nicht verweigern konnten.
Der Spanische Bürgerkrieg und George Orwell und die Beats hatten ihm jeden Dogmatismus ausgetrieben. Mit der Faszination des Faktischen, der Macht der Tat, war Jörg ganz bei seinen literarischen Idolen.

Zu meinen Freundschaftsaufgaben gehörte es auch, Jörg gelegentlich zu stabilisieren.
Da ich alles verachtete, was Häme oder Unverständnis über ihn ausschüttete, war das ziemlich leicht. Wenn ich mit meinem hypertrophierten Selbstbewusstsein diese Bagage lächerlich machte und vollkommen überzeugt darauf hinwies, dass es keinen Autor deutscher Zunge gab, der ihm das Wasser reichen könne, blieb ihm nur Zustimmung, bessere Laune und weitere Pläne schmieden.

Kritiker haben Jörg immer mal wieder vorgeworfen, er hätte Probleme gehabt mit Gefühlen umzugehen, sei unnahbar und arrogant gewesen, habe sich hinter einer Männerwelt verschanzt.
Gerade aufs SCHLANGENMAUL bezogen hat man das öfters gehört und gelesen. Alles völlig verblödeter Unsinn kontaktgestörter Stubenhocker. Der Preis für Autonomie ist Isolation.

Jörg konnte ein äußerst warmherziger und sensibler Freund sein. Genauso konnte er eiskalt und arrogant gegenüber Arschlöchern sein (oder weil er gerade schlecht drauf war).
Jörg schrieb über Männerwelten, weil er diese kannte und sich in ihnen bewegte. Für diese Kritiker ist das exotischer als eine Reise mit der Enterprise. Dieselbe Art kastrierter Marketender der Literatur haben Hemingway vorgeworfen, dass er über Stierkampf, Krieg oder das Fischen schrieb. Oder Dashiell Hammett, dass er die harte Welt der Pinkertons kannte. Jörg liebte es, durch Schlamm und Morast der dunkelsten Ecken unserer Gesellschaft zu waten.
Diese geistigen Feuilleton-Hinterlader finden ihre schlichten Freuden wohl nur bei lästigen Autoren, für die Rolf Giesens unsterblicher Satz über den deutschen Film gilt: „Wenn sie schon nichts erlebt haben, warum müssen sie dann Filme darüber drehen?“

Jörg, je mehr ich diesen Scheiß aufzeichne, um so mehr habe ich das Gefühl, mich von Dir zu entfernen.

Gewisse Autoren, die heute begeistert über Fauser sind, ahnen wahrscheinlich tief in ihrem Inneren, dass Jörg für ihr Geschreibsel nur Hohn und Spott übrighätte.

In ihren Betriebszeitschriften schreiben sie alles hoch, was bedeutungslos, langweilig, unerotisch und fade ist. Eben alles, was wie sie ist.
Und dazu gehört noch immer oder wieder das Gros „neuer“ deutscher Kriminalliteratur nach/seit Fauser. Ein guter Referenzpunkt für Idioten.
Leblose Romane für Alphabeten-Zombies mit Restmimik.

DIE KOMPLETTEN ERINNERUNGEN IN:

2000 LY_Anzeige_final_23.05.20_MC

https://www.amazon.de/s?k=martin+compart&i=stripbooks&__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&crid=3IOZ0Z0M06E0C&sprefix=martin+com%2Cstripbooks%2C219&ref=nb_sb_ss_i_1_10



HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH, ACHIM REICHEL! by Martin Compart
25. Januar 2019, 3:06 pm
Filed under: ACHIM REICHEL, JÖRG FAUSER, MUSIK | Schlagwörter: , , ,


 

 

Lieber Achim,

auch von mir vorab herzlichste Glückwünsche zum 75.

Wir hatten uns durch Jörg mal kennengelernt, und Du und Jörg bescherten mir einen der gruseligsten Nachmittage meines kulturellen Lebens: Die Aufzeichnung einer ZDF-HIT-PARADE, in der Du zum wiederholten Male den SPIELER brachtest. Ich erinnere mich noch, wie Jörg und ich bei Dir in der Garderobe saßen und ein Typ von der Plattenfirma mit einer Plastiktüte reinkam. Er fragte, ob Du noch was brauchst. Du verneintest. Beim Rausgehen klimperte es in der Plastiktüte, und Jörg schoss wie von der Tarantel gestochen hinter R&B- oder PR-Manager hinterher. Kurz darauf kam er mit einer Handvoll Zündkerzen zurück, die er brüderlich mit mir teilte (die Zeiten, wo Du vollgedröhnt auf die Bühne gegangen bist, hast Du wohl mit den Rattles, Wonderland oder der GRÜNEN REISE zurückgelassen) und die uns halfen, Dein Vorprogramm durchzustehen.

Jörg war damals tief beeindruckt, weil Du Dieter-Thomas Heck gegen meine Häme verteidigt hast als „einen echten Profi“, der in seinem Genre perfekt arbeitet. Überhaupt habe ich Dich als musikalisch viel toleranter in Erinnerung, als mich, der außer dem Schallplattenspieler kein Instrument beherrschte, aber genau predigen konnte, was gute Musik ist. Immer im Irrtum, nie im Zweifel.

Für diesen Hit-Paraden-Nachmittag wurde ich aber bestens entschädigt: Durch ein paar feucht-fröhliche Abende in Berlin und einem Live-Konzert mit After-Party. Das Konzert hatte mich so begeistert, dass ich Dich so lange nervte, bis Du mir zwei Kassetten (war ein langes Konzert!) mit dem Mitschnitt besorgt hast. Die gabst Du mir mit den unmissverständlichen Worten: „Wenn das auf eine einem Bootleg auftaucht, bist Du dran.“
Ich habe die Tapes noch immer. Zu Ehren Deines Geburtstages habe ich einen alten Recorder entstaubt und werde sie mir mit einer schönen Flasche Havanna Club reinziehen.

Ich kannte Deine Musik (die ich nach wie vor spiele – und zwar alles, jede Phase hat ihre besonderen Reize) natürlich schon lange: Auf einer der ersten Partys, die ich besuchte, wurden Rattles gespielt. Das war in einem typischen Party-Keller in den 1960ern, mit Bravo-Starschnitten an den Wänden. Las Las LasVegas… Oh Mann, dazu habe ich zum ersten Mal getanzt… War eben nicht alles gut, was Du gemacht hast. Eine meiner Lieblinssingles war dann: LASS DIE LEUTE DOCH REDEN von Johnny Hallyday und den Rattles. Du hast mir erzählt, dass ihr das schon getrennt aufgenommen habt: Hallyday in einem Pariser Studio und die Rattles in Hamburg.

Ich hab Dich dann mal auf die Rattles angesprochen (ich meine den Auftritt im BEAT-CLUB) und Du hast mächtig amüsiert von dem psychedelischen Pullover und der Fellweste, in der Du Dich fast totgeschwitzt hast, erzählt. Und wie Du an den Klamotten gehangen hast, bis Du sie Dir aboperieren ließest. Das war so gut erzählt, Du hättest auch als Comedian Karriere machen können.

Da fällt mir gerade ein: Was war das für ne Nummer als Du zum Bund gegangen bist/zum Bund gehen musstest. Meine ältere Cousine – versierte BRAVO-Leserin – sagte damals (Foto in Uniform in der erwähnten Postille) – „Jetzt ist Achim erledigt wie Elvis.“

In den 70ern waren Du und Rio Reiser das einzig Deutschsprachige, was ich gehört habe.

80er ist klar. BLUES IN BLOND ist mir nach wie vor die liebste Platte von Dir. RIVERSIDE DRIVE (vom Album davor) ist mir aber das liebste Stück aus Deiner Zusammenarbeit mit Jörg.

Seit den 90ern war immer was für mich dabei. Und was ich seit den 70ern gemerkt habe, hat sich im Laufe der Jahrzehnte perfektioniert: Deine Platten wurden immer besser produziert, hatten in den 80ern schon internationales Niveau vom feinsten.

Okay, Achim. Ich wünsche Dir alles erdenklich Gute. Und vor allem mir und Deinen Fans noch weitere Platten. Aber mach nicht so einen Scheiß wie Deine Kumpels von den Rolling Stones (bei denen Du mit den Rattles ja auch mal Vorgruppe bei einer England-Tour warst): Spiele keinen alten Scheiß neu ein, sondern bring weiterhin neues Material.

Danke, für Deine Musik, die immer noch aktuell ist und gehört wird. Wenn es sowas wie deutsche Pop-Klassiker gibt (und das tut es ja wohl), dann bist Du einer der ganz Großen unter ihnen; für mich sowieso der Allergrößte. Aber ich neige zur Subjektivität.

Mach´s gut!
Martin

P.S.: Ich freue mich auf die neue Tour!