Martin Compart


DAURISCHE GOTIK – ÜBER ZENTRALASIATISCHE HORROR-KULTUR 2/ by Martin Compart

ENTWICKLINUGSGESCHICHTE DES GENRES

DIE 1920er

Zwei belletristische Werke, beide über Ungern-Sternberg, legten den Grundstein für die daurische Gotik.
Das erste war Ferdinand Ossendowskis romanhafter „Reisebericht“ TIERE, MENSCHEN UND GÖTTER („… diese slawistischste aller Reisebeschreibungen“, James Webb, S.242.). In dem Buch von 1922, dass in den USA im Erscheinungsjahr 300 000Exemplare in 28 Auflagen verkaufte, popularisierte der Autor im Westen den ein Jahr zuvor füsilierten „blutigen Baron“.

Die Poetik der daurischen Gotik spiegelt sich in den Kapitelüberschriften: „In die Wälder hinein“, „Drei Tage unter Feinden“, „Die Schlacht am Seybi“, „Mysterien“, „Das Herz Asiens in Zuckungen“, „Vor dem Antlitz Buddhas“, „Die Prophezeiung des Königs der Welt“ etc.
Das Buch behandelte als erstes die beiden wichtigsten Figuren des Genres: den „wahnsinnigen Baron“ und den „Rächer-Lama“.

Ossendowski berichtete auch von den eurasischen Träumen des Barons. Seine Motivation zur Schaffung eines zentralasiatischen Reichs, das sich auch auf Europa ausdehnen sollte, war zuerst Kampf gegen- und Vernichtung des Bolschewismus, dann aber auch die Führung eines dekadenten Europas hin zum tibetanischen Mystizismus.

Da der extreme Antikommunist Ossendowski polnischer Herkunft war, erklärten die chauvinistischen russischen Theoretiker aber ein späteres Werk zur Grundlage des Genres.
Für sie entstand die daurische Gotikd in den 1920er Jahren in Harbin unter russischen Emigranten. Auch der russische Faschismus entwickelte sich in diesem Umfeld.

Als erstes Werk des russischen Kanons gilt DIE BALLADE DES DAURISCHEN BARONS aus 1928, das ebenfalls Ungern-Sternberg heroisiert und mystifiziert.
In der Ballade werden gotische Motive in extremem Maße ausgeführt: Wie ein apokalyptischer Reiter erscheint der verrückte Baron aus dem Nichts. reitet auf einem schwarzen Pferd, steigt herab und „geht auf Leichen zu“ und durchbohrt einige mit seinem Dolch, seine Augen leuchten dämonisch in der Dunkelheit, begleitet von einem Raben und dem Heulen der Steppenwölfe. In der Ballade schwingt auch der Okkultismus von Helena Blavatsky mit, die seit dem 19. Jahrhundert großen Einfluss bei russischen Esoterikern ausübte.

Geschrieben von Arseny Mitropolsky (1889—1945) unter dem Pseudonym „Nesmelov“. Mitropolsky, alias “Nesmelov” war ein weißrussischer Offizier, der im Weltkrieg und im Bürgerkrieg gekämpft hatte. Er war Mitglied der faschistischen Partei in Harbin und machte Propaganda für die Japaner. Aber er gilt bis heute auch als talentiertester Lyriker der weißrussischen Diaspora in der Manschurei, respektive China. Unter dem Pseudonym „Nikolay Dozorov” war er der führende Propagandist für die japanische Kwantung-Armee.

Weißrussische Emigranten machten in häufig fragwürdigen Memoiren aus dem blutigen Baron einen romantischen Helden des Faschismus. Es wurden alle Arten von Memoiren, neben offenen Mystifikationen, von ehemaligen Offizieren der asiatischen Kavalleriedivision geschrieben. Idiotische Verklärungen und Rechtfertigungen, vollgestopft mit antisemitischen Phrasen, wie sie der Baron so leidenschaftlich verkündet hatte.
So weitete sich unter den Emigranten der Mythos aus.
Der Antisemitismus hatte Tradition in der weißrussischen Armee – und nicht nur, weil zu den führenden Bolschewisten Juden wie Trotzki zählten.
Als organisierte Propaganda wurden DIE PROTOKOLLE DER WEISEN VON ZION nachgedruckt und in der Armee verteilt. Admiral Koltschak ließ sie in Sibirien in großer Zahl produzieren und in seiner Administration ausgeben. Mit dümmlicher Perfidie versuchten sie die Revolution durch antisemitische Propaganda zu diskreditieren. Auch in der aktuellen daurischen Gotik findet sich Antisemitismus und Antirationalismus als Sinnangebot.

Die Beziehung zwischen dem Genre und Faschismus drückte sich unbewusst schon früh aus: Einer von Ossendowskis größten Fans war Heinrich Himmler, fasziniert von zentralasiatischer Mystik richtete er mehrere Tibet-Expeditionen aus, die wohl inoffiziell auch nach Agarthi oder Shambala suchen sollten. Auch ein Artikel von Julius Evola von 1973 beschreibt den faschistischen Kult um Ungern, basierend auf dem Buch von Ossendowski.

1930er UND SOWJETUNION

In der Sowjetzeit wurde der Baron als abschreckendes Beispiel für einen blutrünstigen Konterrevolutionär gelegentlich in Buch und Film behandelt. Er ist der Antagonist in einer Reihe von Spielfilmen über revolutionäre Ereignisse im Fernen Osten: SEIN NAME IST SUKHE-BATOR (1942), EXODUS (1968), DIE WANDERNDE FRONT (1971) und einige andere.

Das erste Sachbuch war wohl die Monographie von B. Tsibikov von 1947; zuvor war 1931 in der Zeitschrift „Krieg und Revolution“ der längere Aufsatz „Die Niederlage von Ungern“ von A.N. Kislov erschienen. 1937 befasste sich Valentin Tikhonov in einem frühen Roman mit ihm.

Die Propagandamaschine des Dritten Reiches erzeugte schließlich das Bild von Ungern als dem ersten Führer eines neuen Typs, dem ersten Faschisten. Ein Höhepunkt war Bernd Krauthoffs Roman ICH BEFEHLE (1938). Wenn man so will: der (bisher) einzige deutsche Beitrag zur daurischen Gotik.

Reichsleiter Alfred Rosenberg, wie Ungern-Sternberg Este und Antisemit und wichtiger Nazi-Ideologe, beschrieb den Baron als „den idealen Arier„, bemerkt Professor Mikhalev (in . https://iq.hse.ru/en/news/296270159) und stellte Ungern als „den ersten Führer eines neuen Typs, den ersten Nazi“ dar. Angeblich widmete Rosenberg Ungern ein Theaterstück, das in den 1930er Jahren in deutschen Theatern lief. „Nach unserer Hypothese liegt der Grund darin, dass Ungerns Kult – im Gegensatz zu denen um Koltschak oder Krasnow – in den 1930er Jahren in Nazi-Deutschland entstand. Die heutigen Imperialisten und die extreme Rechte reproduzieren alte ideologische Muster und Mythen in neuen Kontexten. Der Mythos Ungern wird genutzt, um verschiedene politische Kräfte zu konsolidieren.“

1990 BIS HEUTE

Die Renaissance der daurischen Gotik in den 1990er bis 2000er Jahren war im rechten politischen Kontext eingegliedert, genauso wie in den 1920er Jahren. Die Hauptkonsumenten dieses Produkts waren und sind Vertreter verschiedener radikaler eurasischer Kreise und ihre Anhänger.

1993 veröffentlichte Leonid Yuzefovich das Buch HERRSCHER DER STEPPE über Ungern-Sternberg. Nach Mikhalev ist dieses Buch auch Teil des daurisch-gotischen Kanons, vielleicht das Schlüsselwerk für die Neubelebung.

Auch in westlicher Literatur fand und findet der Baron Eingang, insbesondere in die romanische.
In Frankreich wurde durch Hugo Pratts Graphic Novel CORTO MALTESE IN SIBIRIEN (1973) Interesse entfacht; zwei weitere Umsetzungen als Comic folgten.
Die französische Punk Band Paris Violence widmete ihm 2005 einen Song:

In den Thrillern DARK STAR von Alan Furst, THE FULLER MEMORANDUM von Charles Stross, CLUB DUMAS von Arturo Pérez-Reverte und THE NINTH BUDDHA von Daniel Easterman wird Ungern erwähnt oder spielt sogar eine Rolle

PROTAGONISTEN

Neben Dja Lama und einigen konterrevolutionären Schlächtern ist der blutige Baron zweifellos die populärste und meistgenutzte Figur der daurischen Gotik und in der Verbreitung einer rechten eurasischen Ideologie.

Ungern war laut Augenzeugen, die ihn persönlich kannten, der perfekte Genre-Held: „Die Figur des Barons erinnerte an das Mittelalter, und etwas atavistisch war auch, dass er von seinen Vorfahren, den Deutschen Ordensrittern, denselben Durst nach dem Kriegerleben geerbt hatte, und vielleicht den gleichen Glauben an das Übernatürliche, Jenseitige. Er war abergläubisch; er wurde immer, auch im Feldzug, von Lamas, Astrologen, Wahrsagern begleitet… Er war überzeugt davon, dass er den Menschen bei ihrer Inkarnation half, wenn er sie umbrachte.“ (Pershin).

Seine Aussage „Denken ist Feigheit“ bringt jede rechte Ideologie trefflich auf den Punkt. Der faschistischen Doktrin gemäß: „Immer im Irrtum, nie im Zweifel.“

Hier nur ein kurzer Überblick: Die Offensive und die Guerillaaktionen der Roten Armee in Transbaikalien führten zur Niederlage der Weißen Armee. Der Baron zog sich aus Dauria zurück, marschierte in die Mongolei ein (1920), vertrieb chinesische Truppen aus der Hauptstadt Urga und stellte dann die buddhistische theokratische Monarchie in der Mongolei wieder her. Am Ende der Geschichte verschwörten sich seine eigenen Offiziere gegen ihn und überließen ihn den Bolschewiki, die ihn vor Gericht stellten, verurteilten und hinrichteten.

JÜNGERE MEDIALE VERMARTUNG

Wie schon erwähnt: In der Sowjetzeit wurden fünf oder sechs Filme über Ungern gedreht. In ihnen wurde er als verrückter reaktionärer Diktator dargestellt.
In den 2000er Jahren wurde er auch vom russischen Fernsehen entdeckt. In der erfolgreichen Serie BRIGADA (8 Folgen, je 37 Min.) wurde er als Hauptfigur dargestellt.
In VEPR (das Wildschwein) erscheint Ungern als mystischer Antiheld, der eine gewisse Sympathie weckt.

Ungern taucht verstärkt in der Musik auf. Die Musikgruppe Kalinov Most widmete ihm ein ganzes Album, in dem es im Hauptlied um den Orden Nr. 15 ging, den berüchtigten Vernichtungsbefehl. Die ukrainische Black-Metal-Band „Ungern“ benannte sich nach ihm und schwelgte in Texten zur Verherrlichung des Nationalsozialismus.

Vor allem die osteuropäische Fantasy soll eine Vielzahl von Verweisen auf Ungern enthalten.

Im Jahr 2014 unterstützte das russische Kulturministerium die Finanzierung eines Dokumentarfilms über die Spuren der Wilden/Asiatischen Division.

Ungerns Konterfei ziert heute T-Shirts und gefälschte buddhistische Ikonen.

In den letzten Jahren wurden in Russland Anfragen zur Errichtung eines Denkmals für Roman Ungern gestellt. Die initiierende Gruppe bezog sich auf die Erfahrung der mongolischen Nazi-Gruppierung Tsagaan Haas, die nach unbestätigten Daten die Erlaubnis erhalten hat, ein Denkmal für Ungern in Ulaanbaator zu errichten. Aber bisher ist es noch nicht errichtet worden, und Tsagaan Haas ist eine kleine Gruppierung ohne großen politischen Einfluss.
Während einer Abstimmung in Transbaikalien über die Frage nach einer „Symbolfigur“ für die Region erzielten Ungern und Ataman Semenov die meisten Stimmen. Infolgedessen änderten die regionalen Behörden das Format der Abstimmung und entfernten einige der problematischen historischen Figuren.

Aber auch die Tanibalisierung der USA durch fundamentalistische Christen-Sekten wird dieses merkwürdige Genre in der westlichen Welt kaum marktfähig machen.

LITERATURHINWEISE u.ä.:

Aleksey Mikhalyev, ein Politikwissenschaftler an der Buryatischen Staatsuniversität State University, hat die Popularität Ungern-Sternbergs im heutigen Russland und das Genre untersucht; siehe dazu: http://windowoneurasia2.blogspot.com/2019/06/dauria-gothic-why-russians-today-are.html .

James Webb: Das Zeitalter des Irrationalen. Politik, Kultur & Okkultismus im 20. Jahrhundert. Marix, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-86539-152-0.


hhttps://www.youtube.com/watch?v=8dkPIjfikKcttps://www.youtube.com/watch?v=2TBsJVecfI0

P.S.:

Nichts Neues aus Estland

Im November 2020 erhielt der Verein Ungern Khaan von der Koalitionsregierung Estlands 45.000 Euro an Zuschüssen. Es löste einige Diskussionen in Estland aus. Einige fanden es bedauerlich, dass die estnische Regierung eine Statue eines antisemitischen Kriegsverbrechers mit Plänen zur Weltherrschaft aktiv unterstützte.

Auch der Historiker Ago Pajur von der Universität Tartu wies darauf hin, dass Ungern-Sternberg keine wichtige Rolle in der Geschichte Estlands gespielt habe:

– Es gibt viele Menschen in der Geschichte Estlands, die ein Denkmal mehr verdienen als Ungern-Sternber. Ich sehe keinen Grund, ihm im heutigen Estland ein Denkmal zu errichten.

Eine verdrehte Interessenvereinigung lehnte das Geld dann ab. Grund seien „die medialen Beschreibungen des Barons als Warlord und Kriegsverbrecher, nicht als Befreier der Mongolei (…) Wir treffen die Entscheidung, weitere Beleidigungen des Barons in den Medien zu vermeiden.“

Ungern Khaan hat die Pläne für ein Denkmal von Baron Ungern-Sternberg jedoch nicht aufgegeben. Doch der Plan wird nun ausschließlich durch Spenden finanziert.

Der Wunsch, dem „Blutigen Baron“ Ungern-Sternberg eine Statue zu errichten, sei ebenso politisch wie historisch motiviert, sagt der Archäologe Torgrim Sneve Guttormsen.

Guttormsen betont, dass das Entfernen oder Einsetzen umstrittener Denkmäler in einen Kontext nicht dasselbe ist wie das Entfernen oder Verändern von Geschichte. Stattdessen kann es konstruktive Möglichkeiten geben, die Geschichte zu diskutieren oder zu korrigieren. Doch das ist wohl kaum die Motivation für den Verein Ungern Khaan, glaubt Guttormsen:

Der Artikel wurde ursprünglich in Vi Menn Nr. 07 2022 veröffentlicht
https://www-klikk-no.translate.goog/historie/den-blodige-baronen-mente-han-var-den-gjenfodte-djengis-khan-7121065?_x_tr_sl=no&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sc

https://news.err.ee/1192453/coalition-grants-45-000-for-memorial-to-baltic-german-war-crimes-baron



DAURISCHE GOTIK – über zentralasiatische Horror-Kultur 1/ by Martin Compart

Mittelalterlicher Schrecken, Vampire, Zauberer, mongolische Reiter, Yogis, Lamas, Werwölfen, Krähen, blutige Gemetzel und auferstandene Tote neben realen historischen Gestalten, verstrickt in Ereignisse des russischen Bürgerkriegs, eingehüllt in die Aura tibetanischer Shambala-Mystik.
Derartige Romane erscheinen seit den 1990er Jahren zunehmend in Osteuropa und besonders in Russland, haben ein eigenes Genre gebildet unter dem Begriff Daurische Gotik.

Die klassischen Motive des Schauerromans finden sich auch in der daurischen Gotik wie Wahnsinn (Ekstase, Trance usw.), übernatürliche Vorgänge, mysteriöse Schlösser – aber in einem orientalischen Kontext: buddhistische Klöster, Burgen inmitten der Steppe, mysteriöse tibetische Mönche und Lamas und die Suche nach Shambala anstelle des Heiligen Grals.

Daurian Gothic interpretiert diese asiatischen Topoi jedoch aus europäischer Perspektive neu und schmückt sie auch mit westlichen Motiven.
Daurische Gotik ist eng verwandt mit anderen Formen der asiatischen Gotik, von der wiederum die japanische- und koreanische Gotik weltweit erfolgreich sind in den Medien „Mangas“ und „Animes“. Die narrative Umsetzung der daurischen Gotik findet dagegen im Wesentlichen durch Bücher Fanfiction, Gemälde und Rockmusik statt; seit einiger Zeit auch verstärkt in Film und Fernsehen.

Daurische Gotik ist ein neoromantischer Kunsttrend, der durch eine düstere Atmosphäre und mythologische Geschichten von Kriegen und Konflikten in Transbaikalien (Daurien) und den Weiten Zentralasiens gekennzeichnet ist. Häufig verbunden mit dem mythischen Reich Shambala oder Agartha, dass außerhalb unserer sichtbaren Welt existiert, aber Einfluss auf die Personen haben kann.
In diesen Räumen vermischt die daurische Gotik historische Ereignisse mit Mysterien, reale Personen mit fiktiven.

DER RAUM:

Der Raum Innerasien bezieht sich auf eine kulturell isolierte Steppenregion, die Tuva, Burjatien, den Altai sowie die Mongolei und Tibet umfasst.

Bis zum Ende des 19.Jahrhunderts war Dauria oder Daurien auch eine umfassende Bezeichnung für den transbaikalischen Raum Ostsibiriens. Während des Bürgerkriegs wurde die Ortschaft Dauria, ein wichtiger Knotenpunkt der transsibirischen Eisenbahn, berüchtigt als Hautquartier des weißrussischen deutsch-baltischen Barons Ungern-Sternberg (1886-1921), der als „blutiger Baron“ wegen seiner Terrorherrschaft unter dem Oberbefehl von Ataman Semjonow in die Geschichte einging (sieh Linkverweise am Ende dieses Textes).
Noch entscheidender für seinen Mythos war die Eroberung der Mongolei von den Chinesen durch seine „asiatische Kavallerie“, zusammengesetzt aus Angehörigen der Steppenvölker, Tibeter und Weißrussen, unterstützt vom Militär des japanischen Kaiserreichs.

Die Region Daurien wird in der daurischen Gotik ähnlich fiktionalisiert wie Siebenbürgen bzw. Transsylvanien als Domäne von Dracula.

Beide Faktoren sind für die Namensgebung des Genres entscheidend: Die Gräuel des Bürgerkrieges und Terrorherrschaft der „Atamanscha“ und die eurasische Perspektive des geographischen Raums.

Der Zusammenbruch des Sowjet-Imperiums eröffnete reaktionären Kräften einen neuen Blick auf einen eurasischen Raum unter russischem Einfluss und mit chinesischer Bündnispolitik. Eine Geostrategie, die auch Putin betreibt.

ZENTRALASIATISCHES MITTELALTER

In der zentralasiatischen Steppe endete das Mittelalter erst Anfang des 20.Jahrhunderts und erst in den 1930er Jahren waren dank der Sowjets die meisten Klöster geschleift und die feudalen Strukturen zerstört. Eine Transformation des Feudalismus in den Staatskapitalismus.

In der daurischen Gotik hat das Mittelalter eine positive Konnotation durch größere Nähe zur Natur und Spiritualität, im Gegensatz zur Neuzeit, die besonders wegen des Bolschewismus als negativ angesehen wird.
Faschistische Verklärung des Mittelalters, wie sie auch im 3.Reich oder Mussolinis Italien zu finden war, ist ein Grundpfeiler des Genres. Es ist eine Revolte gegen die modern Welt, wie man sie auch im idiosynkratisch-faschistischen Traditionalismus von Julius Evola (Revolte gegen die moderne Welt, 1934, 1951) findet.
Deshalb sind fast alle Werke des Genres im frühen 20.Jahrhundert angesiedelt.

IDEOLOGIE

Das Genre steht immer im Zusammenhang mit den Zusammenbrüchen russischer Reiche: Anfang des 20.Jahrhunderts mit dem Ende des Zarenreichs und seit den 1990er Jahren mit dem Ende der Sowjetunion. Zeiten, in denen antirationalistische Orientierungslosigkeit bestimmte Schichten zu Okkultismus und reaktionärer Nostalgie führt.

Die öffentliche Rehabilitierung einer Reihe konterrevolutionärer Figuren der 1920er Jahre gehörte zur intellektuellen Konkursmasse der Sowjetunion.
Der extreme Antisemit Baron Ungern war der erste, der aufgrund der Bemühungen russischer Historiker in den 90ern rehabilitiert wurde. Ernsthafte Historiker bestritten zwar nicht seine Gräueltaten, säuberten ihn aber von der bolschewistischen Geschichtsschreibung.

Eine große Anzahl solcher Bücher erfüllten die unterschiedlichsten Interessen, unterstützten sowohl neue eurasische Vorstellungen wie auch nationalsozialistische und imperialistische Tugenden. Sie wandten sich also an ein rechts-nationales Klientel, dessen intellektuelle Begrenztheit ihre ideologischen Vorstellungen lieber fiktional in Romanen und Musik umgesetzt konsumierte.

Die europäische Gothic Novel oder Schauerromanze spiegelte zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Niedergang des Feudalismus und den Aufstieg des Bürgertums fiktional. Ein Model, das sich für die Übertragung in russische Verhältnisse bewährte.

Purvya Mendyaevs Roman GOTT SEI DANK! SIE SIND ALLE WIEDER TOT (2017) über Ja Lama und „wie die größten Esoteriker des 20. Jahrhunderts um die Kontrolle über den Tempel des Todes kämpften“, bringt neben dem Rächer-Lama so illustre Gestalten wie u.a. Karl Haushofer, John Mackinder und Ungern-Sternberg zusammen. Eine Art okkulte „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ mit real existierten Personen.

Kultur, die im Dienst reaktionärer politischer Ideologien eingesetzt wird, garantiert den Erfolg der daurischen Gotik. Mystizismus, Eurasismus und faschistischer Traditionalismus sind zu wichtigen Elementen in der russischen Politik geworden. Außerdem definiert sie eine Art politischer Weltordnung in Kategorien lamaistischer Eschatologie.

In den 2000er Jahren wurde die daurische Gotik zum wichtigsten Propagandamittel der extremen russischen Rechten für ihren Eurasismus, wie etwa von Alexander Dugin vertreten, eine der einflussreichsten Strömungen im heutigen Russland.

EURASISMUS

„Eurasismus oder Eurasiertum (auch Eurasianismus, russisch евразийство Ewrasijstwo) ist eine in den 1920er Jahren von russischen Emigranten formulierte geopolitische Ideologie. Der Eurasismus behauptet, dass ein von Russland dominierter, zwischen Europa und Asien befindlicher „Kontinent Eurasien“ in einem fundamentalen Gegensatz zur „romano-germanisch“ geprägten westlichen Welt stehe“, erklärt WIKIPEDIA.
Es ist also nicht verwunderlich, dass reaktionäre Kreise in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Gefallen an dieser kruden Geostrategie finden. Radikaler Eurasismus war schon immer (siehe Ungern-Sternberg) eng verbunden mit antikommunistischen weißrussischen Emigranten in Asien.

Russland fühlt sich seit langem – auch dank der hysterischen orthodoxen Kirche – vom Islamismus bedroht, besonders durch die Kaukasus-Regionen und Turkmenistan (Stichwort: Basmatschi) bedroht. Den ideologischen Strategen des Eurasismus kommt deshalb eine Verklärung des tibetanisch-mongolischen Lamaismus gelegen.

Angesichts dieser einflussreichen politischen Strömung in Russland ist es mehr als lächerlich, wenn der neue Zar im Kreis seiner Neu-Bojaren der Welt verkündet, er wolle die Ukraine von Nazis und Faschisten befreien.

FORTSETZUNG FOLGT

LITIERATURHNWEISE:

Aleksey Mikhalyev, ein Politikwissenschaftler an der Buryatischen Staarsuniversität State University, hat die Popularität Ungern-Sternbergs im heutigen Russland und das Genre untersucht; siehe dazu: http://windowoneurasia2.blogspot.com/2019/06/dauria-gothic-why-russians-today-are.html .

Siehe auch in diesem Blog:

EINE ASIATISCHE ODYSSEE DURCH BLUTIGE STEPPEN – DIE ERINNERUNGEN VON DMITRI ALIOSHIN (https://martincompart.wordpress.com/2021/02/12/eine-asiatische-odyssee-durch-blutige-steppen-die-erinnerungen-von-dmitri-alioshin/ )

DER RÄCHER LAMA (https://martincompart.wordpress.com/2013/02/14/der-racher-lama-1/ )

DER SCHLÄCHTER VOM USSURI ATAMANKALMYKOW (HTTPS://MARTINCOMPART.WORDPRESS.COM/2009/11/29/DER-SCHLACHTER-VOM-USSURI-ATAMAN-KALMYKOW-1/ )

ICH BEFEHLE – EIN UNGERN-STERNBERG-ROMAN (https://martincompart.wordpress.com/2011/06/07/ich-befehle-ein-ungern-sternberg-roman/ )

OSSENDOWSKI – DER MYSTERIÖSE PROFESSOR 1 (HTTPS://MARTINCOMPART.WORDPRESS.COM/2011/02/20/OSSENDOWSKI-DER-MYSTERIOSE-PROFESSOR-1/ )

DER BLUTIGE WEISSE BARON ( HTTPS://MARTINCOMPART.WORDPRESS.COM/2010/12/02/DER-BLUTIGE-WEISSE-BARON/ )

Aufgrund der nomadischen Lebensweise hatten die Mongolen und möglicherweise andere Nomaden nicht die Möglichkeit, Gefangene selbst in der Zindan-Grube zu halten, so dass sie mit einem solchen mobilen Gefängnis auskommen mussten.



EINE ASIATISCHE ODYSSEE DURCH BLUTIGE STEPPEN – DIE ERINNERUNGEN VON DMITRI ALIOSHIN by Martin Compart

Den Autor dieses autobiographischen zeitgeschichtlichen Berichts ist wenig bekannt. Einige Historiker vermuteten gar, dass es sich bei „Dmitri Alioshin“ um ein Pseudonym handele. Jedenfalls hat er mit ASIAN ODYSSEY ein Buch vorgelegt, dass man als eine authentische Quelle für den Russischen Bürgerkrieg im Fernen Osten und vor allem Sibirien und der Mongolei wertet.

Insbesondere als Quelle für den wahnsinnigen Baron Ungern-Sternberg wird es gerne herangezogen. Seine Eindrücke sind nach heutigem Wissensstand nicht immer korrekt. Zum Beispiel unterschätzt er die Bedeutung und Funktion des Dja Lama (bei Alioshin heißt er nur „Djambolon“ und ist der oberste Viehhirte des Barons).

Der blutige Baron scheint heute – sowohl im Westen wie in Russland – mehr denn je zu faszinieren: In den letzten Jahrzehnten wurden mehrere Bücher über ihn geschrieben, Rock-Songs komponiert, in Russland eine TV-Serie gedreht und am 25.September 1998 weigerte sich das Landgericht von Nowosibirsk (dort stand er vor Gericht und wurde nach seinem Schuldspruch füsiliert ), ihn zu rehabilitieren, wie von rechten Nationalisten gefordert.
Die Koalitions-Regierung von Estland hat letztes Jahr 45,000 Euro für ein Ungern-Sternberg-Denkmal bereitgestellt ( https://news.err.ee/1192453/coalition-grants-45-000-for-memorial-to-baltic-german-war-crimes-baron ).

Jahrzehntelang war Alioshins Buch selten von Antiquariaten angeboten worden Und dann für recht hohe Summen. Seit einiger Zeit gibt es ASIAN ODYSSEY nun als eBook und frei verfügbar unter https://archive.org/details/in.ernet.dli.2015.208476/page/n1/mode/2up . Für jeden, der sich für den blutigen Baron interessiert, ist es eine unverzichtbare Quelle. Zwar nicht unumstritten, aber weniger angezweifelt als Ferdinand Ossendowskis TIERE, MENSCHEN, GÖTTER (siehe hierzu https://martincompart.wordpress.com/category/ossendowski/ ).

Alioshin wurde am 2.Juni 1892 in Riga geboren. Sein Vater arbeitete in hoher Position am Bau der chinesisch-russischen Eisenbahn zwischen der Manchurai bis Chita mit. Deshalb holte er seine Familie 1903 nach Harbin.
Mit seinen Brüdern besuchte Dmitri die Universität in Wladiwostok.
In jungen Jahren trieb er sich häufig im nord-ost-asiatischen Raum herum, gelangte bis Peking.

Ab 1915 diente er als Offizier einer Artillerieeinheit im 1.Weltkrieg und wurde zweimal verwundet. Während eines Genesungsurlaubs in Petersburg heiratete er seine Jugendliebe Halina. Anschließend kehrte er an die Front zurück. Nach Ausbruch der Revolution eilte er nach Petersburg zurück um seine Frau vor den zunehmenden Gräueltaten zu schützen. Es gelang ihm, mit ihr aus der Stadt zu fliehen. Sie wollten nach Harbin zu seiner Familie flüchten. Aber in Irkutsk starb Halina und Alioshin setzte die Flucht zu Pferd allein fort (hier beginnt das Buch). Er gelangte nach Harbin und schloss sich 1919 den Weißrussen in Sibirien an. Die unglücklichen Umstände sorgten dafür, dass er sich dazu gezwungen sah, sich in der Mongolei der Soldateska des Barons anzuschließen.

1923 ging er in die USA, wo er sich in Kalifornien niederließ. Er befreundete sich mit einem Harlan George Keller, der ihn überzeugte, seine asiatische Odyssee aufzuschreiben.

ASIAN ODYSSEY wurde 1940 im New Yorker Verlag Henry Holt and Co veröffentlicht (2001 erschien ein Buch, dass sich mit Alioshins vorherigen Erfahrungen und Erlebnisse schildert: „I Saw a Nation Die: Men May Have Dreams. A narrative of the dream and of the ordeal of Dmitri Alioshin”. In collaboration with Bud Buczkowske and Harland Keller. Writers Club Press, 2001). Ein Jahr später erschien die britische Ausgabe bei Cassell and Company Ltd. In London.

Er starb im Alter von 92 Jahren am 14. Januar 1985.

Das Buch ist nichts für zarte Gemüter.

Neben den vielen authentischen Übeltaten während des Russischen Bürgerkriegs, gibt es auch einen faszinierenden Einblick in die Mentalität einer sterbenden Klasse, die sich krampfhaft daran festhält, zurückzukehren um vorrevolutionäre Verhältnisse wiederherzustellen.

Der erste Teil berichtet darüber, wie er sich vom Baikal See aus nach Harbin in der Manchurai durchschlägt.
Harbin war damals ein zentraler Sammelpunkt für Weissgardisten und vor der Revolution geflüchtete Zivilisten. Durch die Anbindung an die chinesisch-sibirische Eisenbahn war die Bevölkerung schon auf 1 ½ Millionen Menschen angestiegen.

Alioshin beschreibt eindrucksvoll, wie das russische Militär die Stadt tyrannisierte, wenn es nicht Überfälle nach Sibirien plante oder durchführte. Geprägt vom Verlust des Zarismus und den eigenen Privilegien, versucht er noch ein gewisses Ehrgefühl zu leben (bevor er am Ende des Buches an den verwerflichsten Grausamkeiten teilnimmt).

1918 ging er als Chefübersetzer zum amerikanischen Expeditionskorps unter General Graves nach Vladiwostock.!920 schwand sein Vertrauen in das korrupte und sadistische System des Kolchak-Regimes und die bolschewistische Offensive, die Sibirien überrollte trieb ihn mit Millionen anderen immer weiter nach Osten.

Immer wieder berichtet er gruselige Geschichten aus diesem extrem brutal geführten Bürgerkrieg, der geschätzte 10 bis 20 Millionen Opfer gefordert hat.

Our Colonel had a peculiar drinking bowl
made of smooth ivory and trimmed with rich silver.
One of my fellow officers told me its history.
“ Once‘ we encountered strong resistance at the large
village of Dubrava. We fought the Reds for three
days and nights without rest. At last the enemy
exhausted their ammunition and surrendered. We
killed every Red, forcing them to dig their graves
before the execution. The peasants, who buried the
corpses, were shot too. The leader was beheaded and
the elder of the village was compelled to carry the
bloody head into his house, put it in a large pot, light
the fire and boil it. He lost his mind and was shot.
His assistant was assigned to the job but proved to
be no stronger mentally and had to be rescued by a
bullet. Man after man was assigned to the task, and
finally the head was boiled and cleaned, and the top
made into this bowl.”

Alioshin liefert auch „Interna“ über die Struktur von Ungern-Sternbergs Armee, deren zuverlässige Quelle er sein dürfte.

Etwa folgendes:

The baron’s “ army ” consisted of several distinct
units.
Each of those divisions was treated separately
and differently. Closest to his heart was the Chahar
regiment, under the command of Bair Gur, a young
and handsome Mongolian prince.

This regiment received all the privileges, the best ammunition and
equipment, and also the best food obtainable. The
baron always kept the Chahars separate, and at night
they were given a commanding position over the rest
of the camp some one or two miles distant.

Strangely enough, this very regiment, when in
Transbaikalia, once rose in revolt, massacred all their
Russian officers and deserted to Mongolia. Only half
of them reached their homes in the Chahar province ;
the rest were killed by the Chinese at the very border.
This happened at Maimaichen, just opposite Russian
Kiakhta. The Chinese soldiers were too few to combat
the whole Chahar regiment, so they invited them for
a feast in commemoration of their gallant escape from
the baron and his hated Cossacks. When the guests
became intoxicated, the Chinese suddenly began a
general slaughter. Out of some five hundred Chahars,
three hundred were knifed to death, while the rest
succeeded in escaping.

When the baron fled into Mongolia, he invited the
Chahars, now professional highwaymen, to join him
in his ventures. Knowing him only too well as a
daring bandit, they willingly came under his banner.

Die Situation vor der Einnahme von Urga schildert er so:

My companions in the yurt hotly discussed whether
a freshly killed woman would have any sex appeal.
They could not agree, and bets were made to try to
prove their respective contentions at the next oppor-
tunity, which proved to be soon, as the baron had
promised to give Urga up to three days’ plundering,
after it would be taken. No restrictions would be
exercised and the mob would be free to act as they
pleased. Men anticipated with pleasure the fun they
would have in breaking into homes, having all the
wines, food, money, jewels, silks and women they
wanted.

Berühmt ist inzwischen seine Beschreibung des Barons:

Here, for the first time, I saw the baron, and never regretted that I had not seen him before.

He was tall and slim, with the lean white face of an
ascetic. His watery blue eyes were steady and
piercing. He possessed a dangerous power of reading
people’s thoughts.
A firm will and unshakable determination possessed those eyes to such an extent that they suggested ominous insanity.

I felt a cold shiver run up my back when I saw them.

He had unusually long hands and an abnormally small head resting on a pair of large shoulders. His broad forehead bore a
terrible sword cut which pulsed with red veins. His
white lips were closed tightly, and long blond whiskers
hung in disorder over his narrow chin. One eye was a
little above the other.
He was dressed in a dirty papaha, a short Chinese silk jacket of a cherry-red colour, blue military breeches and high Buriat riding
boots. In his right hand he held his famous bamboo
whip ; otherwise he was unarmed…

Half knight and half bandit by ancestry and his own habits, the baron lived a vivid life of uninterrupted and exciting adventures.
Although still in his early thirties, he was already an old man in his beliefs and inclinations. Had he been born in the Middle Ages,
no doubt he would have become a famous conqueror.
In the twentieth century, however, he was out of place.

His dream of creating a Middle Asiatic Empire, with
powerful hordes of Asiatics under his command, did
not belong to our era.
His Buddhist teachers taught him about reincarnation, and he firmly believed that in killing the feeble people he only did them good, as they would be stronger beings in their next life. These
teachings of the “ superior man ” made him relentless
both toward himself and toward others. He was told
that he himself was the reincarnated Tsagan Burkhan,
or God of War, and in his unbalanced mind he became
convinced that he was the world’s salvation.

Man könnte das Buch auch als reine Abenteuergeschichte lesen, denn Alioshin schreibt spannend und gut. Faszinierender ist es m.E. als Zeitdokument.

Denn hier ist man mitten im Maschinenraum der Zeitgeschichte.

P.S.:
Dank an Frank Westenfelder, der mir den Link zum freien Text zugänglich gemacht hat.

http://www.kriegsreisende.de/

„Russischer Bürgerkrieg? Wann soll datt denn gewesen sein? Ein Monat vor Putin?“




DAS GROSSE SPIEL by Martin Compart

Als „das große Spiel“ bezeichnet man den Konflikt zwischen Russland und Großbritannien um die Vormachtstellung in Zentralasien. Als Urheber des Begriffs, der zu einem allgemein gebräuchlichen Terminus werden sollte, gilt der „politische Offizier“ (damals ein Euphemismus für Geheimagent) Captain Arthur Conolly (1807-42), der ihn erstmals 1840 verwendete.

Conolly sollte selbst eines der vielen Opfer im „großen Spiel“ werden: Zusammen mit Colonel Charles Stoddard wurde er nach monatelanger Haft im Juni 1842 in Buchara auf Befehl des Emirs geköpft. Die East India Company hatte Stoddard nach Buchara geschickt, um den Emir zu einer Allianz gegen die Russen zu bewegen. Aber er landete in einem ungastlichen Kerker.
Als sein Freund Conolly ihm nachreiste, um Stoddards Freilassung zu erreichen, erging es ihm ebenso. Die Khanate von Buchara, Kiva oder Samarkand waren für ihre Reichtümer, Grausamkeiten und Sklavenmärkte ebenso berühmt wie gefürchtet. Die kirgisischen Stämme rückten bis auf russisches Gebiet vor um Sklaven für diese Märkte zu erjagen. Im „großen Spiel“ wurden die Khanate von beiden Seiten umworben oder angegriffen.

Es begann 1813 nach dem Rückzug Napoleons aus Russland und dem weiteren Expansionsdrang des Zarenreichs und endete 1947 mit dem Abzug der Briten aus Indien. Die Russen versuchten über Turkestan zum indischen Ozean vorzudringen, um einen eisfreien Hafen zu etablieren, das britische Empire empfand das als Bedrohung Indiens.

Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts sorgten angebliche russische Pläne zur Eroberung Indiens in London für eine politische Hysterie. „Dieses Projektˮ, berichtete der russische Botschafter in London, Carlo Andrea Pozzo di Borgo, ein gebürtiger Korse, im September 1838 an sein Außenministerium, „hat sich in allen Köpfen festgesetzt, ungeachtet dessen, dass es offenkundig unwahrscheinlich und falsch ist.ˮ

Dass die Briten die Russen als Rivalen in Asien wahrnahmen, war die Folge zweier siegreicher russischer Feldzüge in Vorderasien und auf dem Balkan. Im Russisch-Persischen Krieg 1826 bis 1828 hatte das Zarenreich die heutige armenische Hauptstadt Eriwan erobert und die im Süden des heutigen Aserbaidschan gelegene Provinz Nachitschewan.
Russland war damit zur beherrschenden Macht im Südkaukasus geworden. Die Landbrücke Europas nach Asien ermöglichte ihm die Seeherrschaft im Kaspischen Meer und über dessen östliche Küste den Zugang nach Zentralasien.
Das schwächte den britischen Einfluss auf Persien. Kaum weniger dramatisch war der Ausgang des Russisch-Osmanischen Kriegs 1828 bis 1829. Die Russen erhielten danach das Donaudelta und die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer und durch die Dardanellen ins Mittelmeer.

Die Paranoia zweier expandierender Imperialmächte nahm zu: Die Russen fühlten sich von den Briten in Indien bedroht (die Agenten wie Alexander Burnes nach Norden schickten), und die Briten sahen entsetzt, dass sich das Russische Reich in Richtung Süden schob. Dies führte dann auch zum ersten anglo-afghanischen Krieg 1839 bis 1842; die Briten sahen Afghanistan als failed state an, den es zu besetzen galt bevor es die Russen tun konnten, um dann direkt Indien, das Juwel in der Krone, zu bedrohen.

Afghanistan hatte (stärker noch als Tibet) eine Schlüsselposition inne.

Intrigen, Pakte, Geheimmissionen durch Agenten und bewaffnete regionale Konflikte bestimmten das „große Spiel“. Am aggressivsten geführt zwischen dem russischen Zarenreich und dem britischen Empire bis zum 1.Weltkrieg. Ausgeführt wurden die lebensgefährlichen Aktionen auf beiden Seiten von Gestalten, wie sich nur die originellsten Autoren von Abenteuer- und Spionageromanen hätten ausdenken können.

Diese atemberaubenden Aktionen, getragen von manchmal irrwitzigen Ideen, fanden auch Eingang in die Literatur. Zum Beispiel in Rudyard Kiplings KIM oder John Buchans THE HALF-HEARTED. Wobei die Fiktion mit der Realität kaum mithalten konnte.

Nach der Revolution von 1917 machte sich bei den Bolschewisten schnell Enttäuschung breit, da weder westeuropäische- noch amerikanische Arbeiter erfolgreich die verkündete Weltrevolution durchsetzten. Die Marxsche These, dass die Revolution zuerst in den entwickelten Industrienationen erfolgreich sein würde, wurde verworfen.

Deshalb orientierten sich in der bald gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern) die wesentlichen Kräfte gen Osten. Der Zusammenbruch der russischen- und chinesischen Kaiserreiche hinterließ viele Stämme und Völker (Mongolen, Buryaten, Kalmyken usw.) Zentralasiens in ungekannter Unabhängigkeit. Auch in den Kolonien der Europäer regte sich unter den Armen der Widerstand. Es schien naheliegend, in und durch das zentralasiatische Vakuum das „große Spiel“ gegen England wieder aufzunehmen.

Peter Hopkirk (1930-2014) war einer der besten westlichen Kenner des „großen Spiels“ und Zentralasiens. Der ehemalige TIMES-Journalist schrieb einige der besten Bücher zu diesem Komplex. In THE GREAT GAME. THE STRUGGLE FOR EMPIRE IN CENTRAL ASIA, 1990, beschrieb er minutiös die verdeckten (und manchmal nicht so verdeckten) Aktionen der Briten.

Dabei schreckte er auch nicht vor den abstrusesten oder gruseligsten Informationen zurück. Etwa das große Vergnügen eines Khans von Khiva an neuen Folter- oder Hinrichtungsmethoden (seine liebste war das Pfählen). Nachdem dieser Alkohol und Tabak aufgegeben hatte, verbot er auch seinen Untertanen das Rauchen und trinken. Wer dabei erwischt wurde, bekam die Mundwinkel bis zu den Ohren aufgeschlitzt, damit sein permanentes Grinsen als makabre Warnung für Andere diente.

Der Bürgerkrieg von 1918-22, in dem sich die Sowjetunion hauptsächlich gegen die Europa zugewandten reaktionären Kräfte und europäischen Mächte (und Japan) behaupten musste, diskreditierte vorherrschende europäische Traditionen.

Clevere Bolschewiki begannen über Strategien nachzudenken, wie man in Zentralasien den Sozialismus russischer Prägung und Dominanz durchsetzen könne. Um die dortigen Völker, die noch im vorkapitalistischen Wirtschaften verhaftet waren (ein deutlicher Widerspruch zur Marxschen Doktrin über die Revolutionsvoraussetzungen), zu erreichen, begann man die eschatologischen Momente des Bolschewismus mit denen des tibetanischen Buddhismus im Shambala-Mythos zu vermengen.
Denn da gab es leicht vermittelbare Schnittmengen, die man ungebildeten Hirtenvölkern darstellen konnte.

Ideologen wie Sergei Oldenburg verordneten bereits im August 1919 eine große Ausstellung buddhistischer Kunst, die die Nähe zwischen Sowjetunion und Buddhismus illustrieren sollten. Sie verknüpften die marxistischen Ideale der Völkerfreundschaft mit denen von Buddha gepredigten.

Zum Teil mit großem Erfolg, wie sich in der Mongolei zeigte (nachdem man den wahnsinnigen Baron Ungern-Sternberg geschlagen hatte). Die Okkultistin und Tibet-Reisende Alexandra David-Neel notierte überrascht, dass viele Lamas das „Rote Russland“ mit dem Reich von Shambala gleichsetzten.
Der erste und größte Sieg der Komintern war die Revolution in der Mongolei. A
us der erfolgreichen Strategie leitete man die Formel ab, die in den anderen asiatischen Ländern versucht wurde: Suche ein nationales Befreiungsmotiv, interpretiere alte Weisheiten als Bezug zu den Sowjets, bilde revolutionäre Zellen und schüre den bewaffneten Aufstand gegen die Besatzer.

Während sich Peter Hopkirk in SETTING THE EAST ABLAZE, 1985, auf die geheimdienstlichen und militärischen Aktionen (darunter widmet er dem „Bloody Baron“ Ungern-Sternberg eine längere und brillante Analyse) zwischen den Weltkriegen konzentrieret, stellte Andrei Znamenski in RED SAHAMBHALA: MAGIC, PROPHECY AND GEOPOLITICS IN THE HEART OF ASIA, 2011, die okkulten Aspekte in den Vordergrund.

Er beschreibt eindrucksvoll (unter der Nutzung wenig bekannter russischer Quellen), wie bolschewistische Agenten und Agitatoren versuchten, tibetanische Glaubensvorstellungen, insbesondere den Endkampf zwischen Gut und Böse des Shambala-Mythos, für geostrategische Ziele zu nutzen.

Mit der Übertragung des Kalachakra-Tantra wurden auch prophetische Texte übertragen, deren Inhalt kriegerische Auseinandersetzungen darstellen. Demnach sollen Armeen, die der spirituellen Praxis feindlich gesinnt sind, zur Zeit des 25. Königs von Shambala über die zivilisierte Welt herfallen, um jede Möglichkeit für geistige Entwicklung zu zerstören. Nach den Kalachakra-Texten wird die zivilisierte Welt aus dem Reich Shambala Beistand erhalten, und die Angreifer werden zurückgeschlagen. Daraufhin soll ein neues Goldenes Zeitalter beginnen, das für die geistige Entwicklung besonders günstige Umstände bringt.“.(https://anthrowiki.at/Kalachakra-Tantra).

Die Sowjets verknüpften diese „Prophezeiungen“ mit ihrer Eroberungspolitik in Zentralasien. Aber auch Nationalisten (wie der Mongole Dja Lama) oder japanische Imperialisten und Weißrussen (Ungern-Sternberg) instrumentalisierten den Shambala-Mythos.

Das bemerkenswerte Bildmaterial rundet die Studie des Russen ab. Znamenski unterrichtete als Historiker an den Universitäten von Hokkaido, Alabama und Memphis. Seine besonderen Forschungsgebiete sind Schamanismus, Religionsgeschichte und westliche Esoterik. Großen Raum in seinem Buch nehmen auch die merkwürdigen Aktivitäten von Nicholas Roerich und dessen Familie ein.

Erst mit Stalins „großem Terror“ wurden die esoterisch-geopolitischen Experimente eingestellt und die Shambala-Warrior als Konterrevolutionäre vernichtet. Nachdem 1938 die letzten buddhistischen Klöster in Sibirien geschlossen wurden, interpretierte die Sowjetpropaganda den Shambala-Mythos als Werkzeug der Japaner, die seit 1931 in der Mandschurei an der Grenze des mongolischen Satellitenstaates lauerten

Das „große Spiel“ endete erst 1947 nach dem Abzug der Briten aus Indien. Aber inzwischen gibt es eine Art „Neuauflage“, bei der sich Russland den USA gegenüber sieht. Spätestens seit der Einkreisungspolitik Russlands durch die USA mit der NATO auf dem Kaukasus und der (einmal mehr) gescheiterten Besatzung Afghanistans konzentrieren sich die Interessen der beiden Staaten wieder verstärkt auf die neue Seidenstraße und Zentralasien. Mit der neuen Weltmacht China ist ein dritter Spieler hinzugekommen.

ROMANE zum GROSSEN SPIEL:

The Lotus and the Wind von John Masters, 1953.

The Far Pavilions von M.M. Kaye, 1978.

Flashman von George MacDonald Fraser, 1969.

Flashman at the Charge von George MacDonald Fraser, 1973.

Flashman in the Great Game von George MacDonald Fraser, 1975.

Kim von Rudyard Kipling, 1901.

The Imperial Agent von T.N.Murai, 1987 (eine Fortsetzung zu Kim).

Drums Along the Khyber von Duncan MacNeil (d.i.Philip McCutchan), 1969 (erster Band der James Ogilvie-Serie).

The Mulberry Empire von Philip Hensher, 2002.

The Devil’s Cocktail. Alexander Wilson’s second Secret Service novel 1928.

The Half-Hearted von John Buchan, 1900

The Diplomatic Agent von Yulian Semyonov, 1959.



DER RÄCHER_LAMA 2/ by Martin Compart

1914 begann Ja-Lama gegen die angebahnten freundlichen Beziehungen zwischen Russland und der Mongolei zu hetzen. Die russische Regierung schickte eine Kosakenabteilung über die Grenze. Mit einem Überraschungsangriff eroberten sie Kobdo. Sie fanden den Dscham Lama in seiner Jurte sitzend auf einem Thron aus den Häuten der abgeschlachteten Chinesen. Nach einigen Schwierigkeiten und durch Verrat gelang es den Russen ihn zu überwältigen und gefangen nach Russland zu schaffen. Hierzu taucht in der Legende eine Variante der oben erzählten Geschichte auf: Eine Abteilung soll er mit seinen hypnotischen Kräften irre gemacht haben. Die Kosaken fielen plötzlich in großer Wut über ihren Rittmeister her und schlugen ihn tot, weil sie glaubten, er sei der Dscham Lama. Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges blieb Dscham in Russland im Gefängnis.

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Die mongolische Unabhängigkeit hatte gerade mal zwei Jahre gedauert. Russen und Chinesen arbeiteten zusammen, um das Land unter sich aufzuteilen. Bogdo Khan erntete die Frucht seiner Ausschweifungen und wurde zu einem syphilitischen, fast erblindeten Mann. Die Mongolei war einer der unangenehmsten und gefährlichsten Orte der Welt Anfang der 1920er Jahre. Das Gefängnis von Urga – die Zellen waren wie hochkant gestellte Särge – galt als das Schlimmste der Welt.

Nach der Revolution ließen ihn die Bolschewisten, die Ja-Lamas Fähigkeiten kannten, gegen das Versprechen frei, in der Mongolei für die bolschewistische Idee Propaganda zu machen.
Rastlos durchstreifte er die Mongolei. Die Stämme fürchteten oder feierten ihn als Wiedergeburt des legendären Freiheitshelden Amursana, der im 18.Jahrhundert gegen die Manchus focht. Angeblich hatte dieser Amursana den Schwarzen Stein des Königs der Welt nach Urga zum Bogdo Gigen gesandt. 1918 gründete er einen unabhängigen Staat „in der Gegend von Kobdo, indem er sich selbst zum König ernannte und die Anerkennung jeder anderen Autorität neben sich verweigerte. Zuweilen fiel es ihm auch ein, die Befehle des Bogdo Gigen zu übersehen. Und wenn es sich um Durchführung seiner Pläne handelte, war er in seinem Vorhaben nicht sanft. Wer es wagte, sich ihm entgegenzustellen, wurde rücksichtslos entfernt. Die Anhänger des geheimnisvollen Kalmücken wurden blinde Werkzeuge in seinen Händen, die in abergläubischer Furcht vor ihm zitterten… Dscham hatte keine Schwierigkeit, seine Macht in der Provinz Kobdo zu festigen und zu vergrößern. Er hielt sich endlich für größer als den Bogdo Gigen und gehorchte ihm nur noch, wenn es ihm gefiel. Mit Beharrlichkeit bereitete er sich auf die große Abrechnung mit den Fremden vor, die sich in der Mongolei niedergelassen hatten. Er tauchte an den verschiedensten Stellen des Landes überraschend auf, und wo das geschah, fand man überall seine Spur – Russen und Chinesen mit durchschnittenen Kehlen. Es war unmöglich, schien es, ihm Widerstand zu leisten; seine hypnotische Macht schlug seinen Opfern die Verteidigungswaffe aus der Hand. Es war auch unmöglich, ihn festzunehmen oder gar zu töten, denn das Volk schützte ihn und betete ihn an“ (Forbath, S.222f.). Seinen Gegner stach er die Augen aus und bewahrte sie in einem Säckchen auf und führte die gefolterten Kreaturen, die er mit einer bestialischen Methode lebend verwesen ließ, mit sich. Wenn der Fäulnisgestank der armen Geschöpfe unerträglich geworden war, tötete er sie und ließ Überzüge aus ihrer Haut machen.024-347-612

1919 schloss er sich angeblich der Soldateska von Ungern-Sternberg an, der 1920 mit seiner etwa 1000 Mann starken Armee aus Weißrussen, Mongolen, Burjaten, Chinesen und Tibetern in die Mongolei einfiel. Angeblich stellte er dem blutigen Baron eine Leibgarde aus besonders grausamen Tibetern zur Seite. „Später, nicht gar solange nach meinem Besuch, als die Mongolen sich gegen die blutsaugerischen Fremden erhoben, erging es den Russen nicht anders wie den Chinesen. Vergeblich erwarteten sie damals Baron Ungern-Sternberg als Erlöser, der mordend und plündernd die Mongolei durchzog.“ (Forbath, S.130)
Palmer bestreitet die Kumpanei der beiden Irren: „Falls Ungern sich je mit dem Ja Lama getroffen hat, war er wohl von ihm enttäuscht – er hatte vor seiner Ankunft in der Mongolei (1913) sein Lob geszngen, sich später aber nur noch herabsetzend über ihn geäußert – obwohl er von uhm einiges gelernt haben dürfte.“ (Palmer, S.90)

Im Westen hatte Dscham Lama die Provinz Kobdo von der restlichen Mongolei inzwischen vollständig abgespaltet. Der nur pro forma mächtige Bogdo Khan hatte die Raserei Ungern-Sternbergs und Dscham Lamas bald satt. Wahrscheinlich fürchtete er inzwischen selbst um sein Leben. Er verbündete sich heimlich mit Sukke Bator und der Volkspartei. Er verfasste einen Hilferuf, den Sukke Bator versteckt im Griff einer Bullenpeitsche aus der Mongolei schmuggelte. Dschamsaramo, Sukke-Bator, der wahnsinnige Koibalsan und andere Kommunisten und Unabhängigkeitskämpfer reisten nach Moskau, um die Bolschewisten gegen Ungern und Dscham Lama zu Hilfe zu holen. Ein guter Grund für Trotzki, die Rote Armee in die Mongolei zu schicken und die Bindung des künftigen Regimes an Moskau zu festigen. An der Spitze der Roten Armee kam Sukke Bator zurück. Ungern hatte inzwischen das ruinierte Urga verlassen um gegen Russland zu ziehen und im Norden die Schlacht zu suchen. Die Einnahme Urgas war unproblematisch und Sukke benannte die Stadt zu seinen Ehren in Ulan Bator um.
Nach der Niederlage Ungern-Sternbergs zog sich Dscham Lama mit seinen Gefolgsleuten zur Oase von Bayanbulag in der Gobi zurück. Dort gründete er die Festung Tempei Gyaltsen, die auch Nicholas Roerich auf einer Reise besuchte. gongpochuan Er musste vor den Kommunisten fliehen, die inzwischen mit Hilfe der Sowjets die ganze Mongolei unter ihren Machteinfluss brachten. Dagegen sammelte Dscham die „reinrassigen“, die so genannten Chalcha-Mongolen. Mit ihnen bildete er Kriegertrupps, die gegen alle Fremdlinge kämpften und die Errichtung eines Nationalstaates anstrebten, in dem nur Mongolen leben sollten. Hass gegen alles Fremde, raste nun, angeführt von Dscham Lama, durch die Mongolei.
Die neue nationale mongolische Regierung musste mit den Kriegsherren und konterrevolutionären Kräften aufräumen, wenn sie überleben wollte. Sie schickten eine Abordnung zu Dscham, der sich nun wieder in Kobdo festgesetzt hatte, um ihn zur Unterwerfung aufzufordern. Mit wilder Volksverhetzung hatte er sich die Provinz zurückerobert. „Dscham Lama war beim Anhören der Regierungsbotschaft in lautes Lachen ausgebrochen. Dann starrte er die Gesandten so langte wütend an, bis sie im Banne seiner Hypnose steif dastanden und sich nicht mehr bewegen konnten. Hierauf zog er ein langes Messer hervor und schnitt jedem mit einem wilden Stoss das Herz heraus. Das ist die Art, wie man in der Mongolei Schafe tötet, und so verfuhr der hohnlachende Dscham mit der Abordnung der neuen Regierung“ (Forbath, S.224). Dies wurde der Regierung durch einen geflüchteten Urton-Reiter berichtet. Vorläufig traute sich niemand mehr, dem Dscham Lama nahe zu kommen. Aber auch beunruhigende Nachrichten erreichten die neuen Machthaber: Dscham rüste zum Kriege gegen die nationale Regierung, die er nicht anerkenne.

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Ende 1922 ereilte ihn endlich sein Schicksal: „Da meldete sich eines Tages Baldan Dorsche, der Kommandeur der mongolischen Staatspolizei beim Ministerpräsidenten Sukkebator und erbot sich persönlich Dscham Lama unschädlich zu machen. Natürlich wurde sein Angebot freudig angenommen, und Baldan Dorsche brach nach Kobde auf. Er kannte Dscham Lamas gefährliche hypnotische Macht und reiste daher ganz geheim und sorgfältig verkleidet. In Kobdo angekommen, hatte Baldan Dorsche keine Schwierigkeit, festzustellen, wo Dscham wohnte. Eines Nachts brachte er es fertig, an den Eingang seines Zeltes heran zu kriechen, und sich auf den Knien emporrichtend, feuerte er seinen Revolver auf ihn ab. Er wusste genau, wenn er einen Augenblick zögerte, würde er dem hypnotischen Zauber des Ungeheuers verfallen. Aber das Glück war auf seiner Seite. Sein erster Schuss genügte, um das Leben des grossen Empörers auszulöschen. Noch in derselben Nacht jagte ein Urton-Reiter mit einem an den Sattel gebundenen Sack nach Urga. Der Sack enthielt Dscham Lamas Kopf, den Baldan Dorsche der nationalen Regierung mit Respekt übersandte.“ (Forbath,S.224f.)

Eine etwas andere Version seines grausamen, aber verdienten, Endes findet sich bei Trimondi: „Die Russen schickten einen mongolischen Fürsten vor, der sich als ein Gesandter des lebenden Buddha ausgab und deswegen das Lager unbeschadet betreten konnte. In Front des ahnungslosen Rächerlamas schoss er sechs Revolverkugeln auf diesen ab. Dann riß er dem Ermordeten das Herz aus dem Leibe und verschlang es vor allen Augen, um – wie er nachträglich sagte – dessen Anhänger in Angst und Schrecken zu versetzen. So gelang ihm die Flucht. Später kehrte er mit den Russen an den Ort zurück und holte den Kopf von Dambijantsan als Beweisstück ab. Aber das Herausreißen und Essen des Herzens war in diesem Fall nicht nur ein grausames Mittel, um Furcht zu verbreiten, sondern ein traditioneller Kult der mongolischen Kriegerkaste, der schon unter Dschinghis Khan praktiziert wurde und die Jahrhunderte überlebt hatte.“ (Trimondi, S.609) Die Kommunisten schafften die barbarischen Kulte genauso ab, wie die frühere Gesetzgebung gegenüber Dieben: Die Hand des Verurteilten wurde in einen Sack mit wilden Zwiebeln gebunden. Dann schnürte man den Sack so fest ab, dass die Hand abstarb und mit den Zwiebeln verfaulte. Dies bedeutete wochenlange Qualen, die meistens mit dem Tod endeten.

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Der mumifizierte Kopf des Rächerlamas wird als Nr. 3395 unter der Bezeichnung „Kopf des Mongolen“ im Völkerkundemuseum von St.Petersburg aufbewahrt. Mumifiziert nach alter Tradition: geräuchert und eingesalzt. Den Schädel hatte der Orientalist Vladimir Kazakievitch im Auftrag des NKWD nach der Ermordung in einem Koffer aus der Mongolei geholt. Kazakievitch, der sich intensiv mit diesem mysteriösen Mann beschäftigt hatte, hinterließ wichtige Aufzeichnungen, die heute in den wieder geschlossenen KGB-Archiven vergammeln.



DER RÄCHER LAMA by Martin Compart

Seine Legende wirkt bis heute in der Mongolei fort. Der Mann war und ist bekannt unter vielen Namen und Schreibweisen: Dja Lama, Dscham Lama, Tushegun Lama – alles Bezeichnungen für „Rächer Lama“ oder „den rächenden Lama“ (auch der „schwarze“ oder „falsche Lama“). Laut Ossendowski war er mit Baron Ungern Sternberg verbündet oder zumindest bekannt.

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„Er war hager und von unbestimmbarem Alter. Er hatte auffällig vorspringende Backenknochen und darüber schräg stehende Augen. Den Augen konnte man sich nicht entziehen. Fast meinte man, durch diese Augen direkt in die Hölle blicken zu können. Er trug ein prächtiges gelbes Gewand, das ihn als hohen Lama auswies. Darüber eine blaue Scherpe unter der er allerhand Mordwerkzeuge versteckt hielt. Dieser Mann hatte die Fähigkeit nur durch seine Erscheinung Angst zu erzeugen. Dieser Mann war nicht nur menschlich; er konnte sicherlich ein paar Dämonen zu seinen Vorfahren rechnen. Er war unberechenbar und galt sogar unter den Steppenvölkern als besonders grausam und rachsüchtig. Niemand zwischen Altai und Pazifik drängte sich danach ihn zum Feind zu haben.“

Für die Kommunisten war Dscham Lama ein reaktionärer Abenteurer, für andere galt er als Freiheitskämpfer oder Verfechter eines Panmongolismus. Der Panmongolismus wurde seit Anfang des 20.Jahrhunderts von Japan geschürt um die Mongolen gegen Russen und Chinesen aufzuhetzen, um ihre eigenen Interessen an einem großasiatischen Reich unter japanischer Dominanz voranzutreiben.

So gesehen war Dscham Lama, ebenso wie Ungern-Sternberg oder Ataman Semjonow, ein Handlanger der Japaner.

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Nach dem Volksglauben „war Dja Lama ein rotmütziger Lama, ein Priester des Herrn der Welt, der die geheimnisvollen Klöster des ewigen Lebens besucht hatte, den Wohnsitz der unsterblichen Lamas. Diese sind selbst den Gesetzen der Schwerkraft nicht unterworfen und zergehen in Luft, wenn es ihnen gefällt“ (Forbath, S.91).

Geboren wurde er als Dambin Jansang oder Dambijantsan zwischen 1860 und 1870.

1920 soll er jedenfalls über 60 Jahre alt gewesen sein. Als Sohn des kalmückischen Nomadenstammes der Durbete wuchs er im russischen Teil des Altai Gebirge an der Grenze zur Mongolei auf. Er studierte den tibetischen Lamaismus, engagierte sich schon bald gegen sowohl russische wie auch chinesische Unterdrückung der Nomadenvölker. Revolutionäre Propaganda brachte ihn ins Gefängnis und in die sibirische Verbannung. „Viele Geschichten über ihn gingen im Volke um. So erzählte man sich zum Beispiel, dass er auf seiner Flucht aus Sibirien erkannt und von einem Trupp Kosaken verfolgt wurde. Dscham wurde hierbei gegen das Ufer des Sur Nor-Sees gejagt und hatte nun die Fläche des Sees vor sich und die Verfolger hinter sich. Die Bewohner eines kleinen Nomadenlagers beobachteten dies mit angehaltenem Atem und erwarteten jeden Augenblick, daß Dscham von den Kosaken erschlagen werden würde. Zu ihrem größten Erstaunen änderten aber die Kosaken plötzlich ihre Richtung. Anstatt weiter hinter Dscham herzureiten, der ruhig ein paar Meter vor ihnen stand, galoppierten sie um den See herum. `Da ist er!‘ schrien die Kosaken. `Da ist er!‘ Aber dieses `da‘ bezeichnete für jeden einen anderen Punkt. Sie ritten nach verschiedenen Richtungen auseinander, dann trafen sie sich wieder und fielen nun mit ihren langen Lanzen übereinander her. Dscham Lama stand unterdessen am Ufer und sah zu, wie einer den anderen umbrachte; jeder von den Kosaken schien fest überzeugt, den verfolgten Dscham vor sich zu haben“ (Forbath, S.221).

Er floh südlich in die Mongolei und tauchte 1890 in Tibet auf, wo er sich mehrere Jahre intensiver mit dem lamaistischen Buddhismus beschäftigte. Er lernte die einflussreichen Lamas kennen und befreundete sich eng mit dem Dalai Lama. „Es gab in der Tat das Gerücht, dass der Gottkönig von Lhasa den militanten Kalmücken honoriert habe“ (Trimondi, S.608).

Anschließend ging er nach Indien, um sich die Kenntnisse der indischen Yogis anzueignen. Als antikolonialer Freiheitskämpfer soll er auf Ceylon aktiv gewesen sein. Er sprach Sanskrit, Russisch, Mongolisch, Chinesisch und Englisch.

Später arbeitete er am Astronomischen Institut in Peking, zu dessen Aufgaben die Präzisierung des mongolischen Kalenders gehörte. „Nach einer abenteuerlichen Flucht ging er nach Tibet und Indien, wo er sich in der tantrischen Magie ausbildete. In den Neunziger Jahren beginnt er seine politische Tätigkeit in der Mongolei. Ein irrender Ritter des Lamaismus, Steppendämon und Tantriker in der Art des Padmasambhava, erweckte er dumpfe Hoffnungen bei den einen, Furcht bei den anderen, scheute vor keinem Verbrechen zurück, ging aus jeder Gefahr wohlbehalten hervor, so daß er für unverwundbar und unangreifbar galt, kurz, er hielt die ganze Gobi in seinem Bann„, drückt es Robert Bleichsteiner in seinem noch immer bedeutenden (nie neu aufgelegtem) Buch DIE GELBE KIRCHE, 1937, aus (Bleichsteiner, S.110).

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Um 1900 erschien er als Priester in der Mongolei und machte mit einer Gruppe von Gefolgsleuten Propaganda für die Befreiung der Mongolei von den Chinesen, die er auch blutig bekämpfte. Dann musste er sich vor den chinesischen Behörden verbergen. Während dieser Jahre reiste er im Auftrag des russischen Forschers Koslow nach Tibet.

Die Mongolei war zu einer chinesischen Provinz verkommen. 1911 kam es zur Rebellion und der „lebende Buddha“ wurde zum ersten Staatschef der autonomen Mongolei ausgerufen, zum „Bogdo Khan“. Er galt als die achte Inkarnation eines Buddha. Wie Tibet war die Mongolei zu einer Buddhokratie geworden, mit der Inkarnation eines Gottes als Staatsoberhaupt. Dieser Khan und Großlama war kein gebürtiger Mongole: Jabtsundamba Khutuktu (1870-1924) war der Sohn eines hohen Beamten in Lhasa. Gegen seine Untertanen war er brutal, oft grausam, und man beschuldigte ihn zahlreicher Giftmorde. Dem Alkohol und dem weiblichen Geschlecht war er ebenso zugetan, wie infantilen Spielzeugen. Er erklärte die Unabhängigkeit von China, und der Dscham Lama rüstete zu blutigen Aufständen gegen die chinesischen Garnisonen von Uljassutai und Kobdo.

Damals arbeitete er angeblich erstmals mit Ungern-Sternberg zusammen, der die mongolische Kavallerie des Bogdo Gigen geführt haben soll.

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„Als Dscham Lamas Horden nach Uljassutai kamen, suchten die chinesischen Kaufleute vor der Wut der Mongolen bei den Russen Zuflucht, wobei sie ihren ganzen irdischen Besitz mit sich schleppten. Die Russen versteckten alles sehr gut samt den Chinesen, aber als die Mongolen ihre Häuser durchsuchten, empfingen sie sie mit lächelnden Mienen und schmeichelnden Worten, auf einmal erzbereit, den Mongolen zu dienen. `Ist eine Chinese hier?‘ war die ständige Frage der Mongolen… Die Russen verrieten sie fast alle. Die Mongolen erbrachen die Türen der Keller und Kammern, und Blutvergießen und Todesgestöhn war die Folge der russischen Freundschaft. Die Russen kümmerte es wenig, daß die Chinesen ihr Leben lassen mussten; sie kümmerten sich nur um die chinesischen Waren, die sie vor den Mongolen wohl zu verbergen wussten. Wochen und Monate dauerten diese blutigen Chinesenverfolgungen, bis schließlich das ganze Vermögen der Chinesen in russische Hände gelangt war.“ (Forbath S.128)

Diese Waren nutzten die Russen nun zum Aufbau eines neuen Kreditsystems, dass die Mongolen alsbald in unglaubliche Schuldknechte verwandelte und die Russen so „beliebt“ machte wie die Chinesen. Aus diesem Fremdenhass sog Ja Lama einen Großteil seiner Macht.


Auch Kobdo wurde genommen und drei Tage geplündert. Von den zehntausend Chinesen blieb keiner am Leben. Hundert schlachtete der Dscham Lama in zeremonieller Weise zur Feier des Sieges persönlich. „Die Kriegsführung von Dambijantsan war von kalkulierter Grausamkeit, die von ihm jedoch als religiöse Tugendtat angerechnet wurde. Am 6.August 1912 ließ er nach der Einnahme von Khobdo gefangene Chinesen und Sarten innerhalb eines tantrischen Ritus schlachten. Er stieß ihnen in vollem Ornat wie ein aztekischer Opferpriester das Messer in die Brust und riß mit der Linken die Herzen heraus. Diese legte er zusammen mit Teilen des Hirns und einigen Innereien in Schädelschalen, um es als Bali-Opfer den tibetischen Schreckensgöttern darzubringen.“ (Trimondi, S.609)

In den nächsten zwei Jahren übte er in der ganzen Westmongolei seine Schreckensherrschaft aus. Sein Einfluss im Lande wuchs, und Bogdo Gigen, der heilige Kaiser, ernannte ihn zum Fürsten. Nominell war er lediglich ein Stadthalter oder Gouverneur des Khutuku, aber er herrschte wie ein absolutistischer Despot. An den Wänden seiner Jurte hängte er die abgezogenen Häute seiner Feinde. Seine Grausamkeit und sein maßloser Stolz machten ihm auch reichlich Feinde. Und durch ihn war erstmals die Vorherrschaft des Bogdo Gigen über alle mongolischen Stämme des Westens herausgefordert worden.

http://english.cntv.cn/program/documentary/20120922/104356.shtml

1914 begann Ja-Lama gegen die angebahnten freundlichen Beziehungen zwischen Russland und der Mongolei zu hetzen.

Die russische Regierung schickte eine Kosakenabteilung über die Grenze. Mit einem Überraschungsangriff eroberten sie Kobdo. Sie fanden den Dscham Lama in seiner Jurte, sitzend auf einem Thron aus den Häuten der abgeschlachteten Chinesen.

Nach einigen Schwierigkeiten und durch Verrat gelang es den Russen ihn zu überwältigen und gefangen nach Russland zu schaffen. Hierzu taucht in der Legende eine Variante der oben erzählten Geschichte auf: Eine Abteilung soll er mit seinen hypnotischen Kräften irre gemacht haben. Die Kosaken fielen plötzlich in großer Wut über ihren Rittmeister her und schlugen ihn tot, weil sie glaubten, er sei der Dscham Lama. Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges blieb Ja Lama in Russland im Gefängnis.

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Die mongolische Unabhängigkeit hatte gerade mal zwei Jahre gedauert. Russen und Chinesen arbeiteten zusammen, um das Land unter sich aufzuteilen. Bogdo Khan erntete die Frucht seiner Ausschweifungen und wurde zu einem syphilitischen, fast erblindeten Mann. Die Mongolei war einer der unangenehmsten und gefährlichsten Orte der Welt Anfang der 1920er Jahre. Das Gefängnis von Urga – die Zellen waren wie hochkant gestellte Särge – galt als das Schlimmste der Welt.

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Nach der Revolution ließen ihn die Bolschewisten, die Ja-Lamas Fähigkeiten kannten, gegen das Versprechen frei, in der Mongolei für die bolschewistische Idee Propaganda zu machen.

Rastlos durchstreifte er die Mongolei. Die Stämme fürchteten oder feierten ihn als Wiedergeburt des legendären Freiheitshelden Amursana, der im 18.Jahrhundert gegen die Manchus focht. Angeblich hatte dieser Amursana den Schwarzen Stein des Königs der Welt nach Urga zum Bogdo Gigen gesandt. 1918 gründete er einen unabhängigen Staat „in der Gegend von Kobdo, indem er sich selbst zum König ernannte und die Anerkennung jeder anderen Autorität neben sich verweigerte. Zuweilen fiel es ihm auch ein, die Befehle des Bogdo Gigen zu übersehen. Und wenn es sich um Durchführung seiner Pläne handelte, war er in seinem Vorhaben bekanntlich nicht gerade sanft. Wer es wagte, sich ihm entgegenzustellen, wurde rücksichtslos entfernt. Die Anhänger des geheimnisvollen Kalmücken wurden blinde Werkzeuge in seinen Händen, die in abergläubischer Furcht vor ihm zitterten.

Ja Lama hatte keine Schwierigkeit, seine Macht in der Provinz Kobdo zu festigen und zu vergrößern. Er hielt sich nun für größer als den Bogdo Gigen und gehorchte ihm nur noch, wenn es ihm gefiel. Mit Beharrlichkeit bereitete er sich auf die große Abrechnung mit den Fremden vor, die sich in der Mongolei niedergelassen hatten. Er tauchte an den verschiedensten Stellen des Landes überraschend auf, und wo das geschah, fand man überall seine Spur – Russen und Chinesen mit durchschnittenen Kehlen. Es war unmöglich, schien es, ihm Widerstand zu leisten; seine hypnotische Macht schlug seinen Opfern die Verteidigungswaffe aus der Hand. Es war auch unmöglich, ihn festzunehmen oder gar zu töten, denn das Volk schützte ihn und betete ihn an“ (Forbath, S.222f.). Seinen Gegner stach er die Augen aus und bewahrte sie in einem Säckchen auf und führte die gefolterten Kreaturen, die er mit einer bestialischen Methode lebend verwesen ließ, mit sich. Wenn der Fäulnisgestank der armen Geschöpfe unerträglich geworden war, tötete er sie und ließ Überzüge aus ihrer Haut machen.

1919 schloss er sich angeblich der Soldateska von Ungern-Sternberg an, der 1920 mit seiner etwa 1000 bis 2500 Mann starken Armee aus Weißrussen, Mongolen, Burjaten, Chinesen und Tibetern in die Mongolei einfiel. Angeblich stellte er dem blutigen Baron eine Leibgarde aus besonders grausamen Tibetern zur Seite. „Später, nicht gar solange nach meinem Besuch, als die Mongolen sich gegen die blutsaugerischen Fremden erhoben, erging es den Russen nicht anders wie den Chinesen. Vergeblich erwarteten sie damals Baron Ungern-Sternberg als Erlöser, der mordend und plündernd die Mongolei durchzog.“ (Forbath, S.130)

Palmer bestreitet die Kumpanei der beiden Irren: „Falls Ungern sich je mit dem Ja Lama getroffen hat, war er wohl von ihm enttäuscht – er hatte vor seiner Ankunft in der Mongolei (1913) sein Lob gesungen, sich später aber nur noch herabsetzend über ihn geäußert – obwohl er von uhm einiges gelernt haben dürfte.“ (Palmer, S.90)

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Im Westen hatte Dscham Lama die Provinz Kobdo von der restlichen Mongolei inzwischen vollständig abgespaltet. Der nur pro forma mächtige Bogdo Khan hatte die Raserei Ungern-Sternbergs und Dscham Lamas bald satt. Wahrscheinlich fürchtete er inzwischen selbst um sein Leben.

Er verbündete sich heimlich mit Sukke Bator und der Volkspartei. Er verfasste einen Hilferuf, den Sukke Bator versteckt im Griff einer Bullenpeitsche aus der Mongolei schmuggelte. Dschamsaramo, Sukke-Bator, der wahnsinnige Koibalsan und andere Kommunisten und Unabhängigkeitskämpfer reisten nach Moskau, um die Bolschewisten gegen Ungern und Ja Lama zu Hilfe zu holen. Ein guter Grund für Trotzki, die Rote Armee in die Mongolei zu schicken und die Bindung des künftigen Regimes an Moskau zu festigen. An der Spitze der Roten Armee kam Sukke Bator zurück.

Ungern hatte inzwischen das ruinierte Urga verlassen um gegen Russland zu ziehen und im Norden die Schlacht zu suchen. Die Einnahme Urgas war unproblematisch und Sukke benannte die Stadt zu seinen Ehren in Ulan Bator um.
Nach der Niederlage Ungern-Sternbergs zog sich Ja Lama mit seinen Gefolgsleuten zur Oase von Bayanbulag in der Gobi zurück. Dort gründete er die Festung Tempei Gyaltsen, die auch Nicholas Roerich auf einer Reise besuchte. Er musste vor den Kommunisten fliehen, die inzwischen mit Hilfe der Sowjets die ganze Mongolei unter ihren Machteinfluss brachten. Dagegen sammelte Dscham die „reinrassigen“, die so genannten Chalcha-Mongolen. Mit ihnen bildete er Kriegertrupps, die gegen alle Fremdlinge kämpften und die Errichtung eines Nationalstaates anstrebten, in dem nur Mongolen leben sollten. Hass gegen alles Fremde, raste nun, angeführt von Ja Lama, durch die Mongolei.

Die neue nationale mongolische Regierung musste mit den Kriegsherren und konterrevolutionären Kräften aufräumen, wenn sie überleben wollte. Sie schickten eine Abordnung zu Dscham, der sich nun wieder in Kobdo festgesetzt hatte, um ihn zur Unterwerfung aufzufordern. Mit wilder Volksverhetzung hatte er sich die Provinz zurückerobert. „Dscham Lama war beim Anhören der Regierungsbotschaft in lautes Lachen ausgebrochen. Dann starrte er die Gesandten so langte wütend an, bis sie im Banne seiner Hypnose steif dastanden und sich nicht mehr bewegen konnten. Hierauf zog er ein langes Messer hervor und schnitt jedem mit einem wilden Stoss das Herz heraus. Das ist die Art, wie man in der Mongolei Schafe tötet, und so verfuhr der hohnlachende Dscham mit der Abordnung der neuen Regierung“ (Forbath, S.224). Dies wurde der Regierung durch einen geflüchteten Urton-Reiter berichtet. Vorläufig traute sich niemand mehr, dem Ja Lama nahe zu kommen. Aber auch beunruhigende Nachrichten erreichten die neuen Machthaber: Dscham rüste zum Kriege gegen die nationale Regierung, die er nicht anerkenne.

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Ende 1922 ereilte ihn endlich sein Schicksal: „Da meldete sich eines Tages Baldan Dorsche, der Kommandeur der mongolischen Staatspolizei beim Ministerpräsidenten Sukkebator und erbot sich persönlich Dscham Lama unschädlich zu machen. Natürlich wurde sein Angebot freudig angenommen, und Baldan Dorsche brach nach Kobde auf. Er kannte Dscham Lamas gefährliche hypnotische Macht und reiste daher ganz geheim und sorgfältig verkleidet. In Kobdo angekommen, hatte Baldan Dorsche keine Schwierigkeit, festzustellen, wo Dscham wohnte. Eines Nachts brachte er es fertig, an den Eingang seines Zeltes heran zu kriechen, und sich auf den Knien emporrichtend, feuerte er seinen Revolver auf ihn ab. Er wusste genau, wenn er einen Augenblick zögerte, würde er dem hypnotischen Zauber des Ungeheuers verfallen. Aber das Glück war auf seiner Seite. Sein erster Schuss genügte, um das Leben des grossen Empörers auszulöschen. Noch in derselben Nacht jagte ein Urton-Reiter mit einem an den Sattel gebundenen Sack nach Urga. Der Sack enthielt Dscham Lamas Kopf, den Baldan Dorsche der nationalen Regierung mit Respekt übersandte.“ (Forbath,S.224f.)

Eine etwas andere Version seines grausamen, aber verdienten, Endes findet sich bei Trimondi: „Die Russen schickten einen mongolischen Fürsten vor, der sich als ein Gesandter des lebenden Buddha ausgab und deswegen das Lager unbeschadet betreten konnte. In Front des ahnungslosen Rächerlamas schoss er sechs Revolverkugeln auf diesen ab. Dann riß er dem Ermordeten das Herz aus dem Leibe und verschlang es vor allen Augen, um – wie er nachträglich sagte – dessen Anhänger in Angst und Schrecken zu versetzen. So gelang ihm die Flucht. Später kehrte er mit den Russen an den Ort zurück und holte den Kopf von Dambijantsan als Beweisstück ab. Aber das Herausreißen und Essen des Herzens war in diesem Fall nicht nur ein grausames Mittel, um Furcht zu verbreiten, sondern ein traditioneller Kult der mongolischen Kriegerkaste, der schon unter Dschinghis Khan praktiziert wurde und die Jahrhunderte überlebt hatte.“ (Trimondi, S.609)

Die Kommunisten schafften die barbarischen Kulte genauso ab, wie die frühere Gesetzgebung gegenüber Dieben: Die Hand des Verurteilten wurde in einen Sack mit wilden Zwiebeln gebunden. Dann schnürte man den Sack so fest ab, dass die Hand abstarb und mit den Zwiebeln verfaulte. Dies bedeutete wochenlange Qualen, die meistens mit dem Tod endeten.

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Der mumifizierte Kopf des Rächerlamas wird als Nr. 3395 unter der Bezeichnung „Kopf des Mongolen“ im Völkerkundemuseum von St.Petersburg aufbewahrt. Mumifiziert nach alter Tradition: geräuchert und eingesalzt. Den Schädel hatte der Orientalist Vladimir Kazakievitch im Auftrag des NKWD nach der Ermordung in einem Koffer aus der Mongolei geholt. Kazakievitch, der sich intensiv mit diesem mysteriösen Mann beschäftigt hatte, hinterließ wichtige Aufzeichnungen, die heute in den wieder geschlossenen KGB-Archiven vergammeln.

Forbath, Ladislaus: Die neue Mongolei. Nach Joseph Geleta’s Tagebuch. Schützen Verlag, 1936.

Trimondi, Victor u. Victoria: Der Schatten des Dalai Lama. Patmos Verlag, 1999.

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ICH BEFEHLE – EIN UNGERN-STERNBERG-ROMAN by Martin Compart

Im rechts esoterisch ausgerichteten Regin Verlag wurde der 1938 erschiene Trivialschmöker ICH BEFEHLE von einem Berndt Krauthoff neu aufgelegt. Es behandelt auf sehr freie Art das Leben des blutigen Barons Ungern-Sternberg (u.a.wird ihm eine tragische Liebesgeschichte angedichtet). Da dieser Roman heute teuer in Antiquariaten gehandelt wird, ist es erstmal erfreulich ihn für Interessierte wieder zugänglich zu machen.
Ergänzt wird die Neuausgabe durch ein Theaterstück KREUZZUG 1921 von Michael Haupt) und einem Nachwort von einem russischen „Ungern-Sternberg-Experten“, der auf Teufel-komm-raus die faschistische Ideologie zu leugnen versucht.

Kusmin behauptet allen ernstes, der Roman sei weder „deckungsgleich mit den ideologischen Standpunkten des 3.Reiches noch vertrete er „unmittelbare politische Propaganda“. Das begründet er mit Ungerns monarchistischen Haltungen und dem Respekt „den Nationen Asiens gegenüber“. Im 3.Reich wurde aber geradezu ein Kult um feudalistische Fürsten in Romanen und Filmen verbreitet. Und sowohl Tibeter wie Japaner (immerhin ein Verbündeter) waren hoch angesehen und ihre verquaste Kriegeresoterik und autoritärer Lamaismus von Himmler und seiner Ahnenerbe-Gang mystifiziert. Propagandistisch werden Japans Interessen im Fernen Osten und besonders der Mongolei durch ein behauptetes Pan-Asiatentum fälschlich dargestellt (es ging den Japanern, wie den Deutschen, um ihre Idiotenideologie vom Übermenschentum, um Raub von Bodenschätzen und Landnahme). Die Japaner strebten auf dem asiatischen Festland nie etwas anderes an als eine imperiale Vormachtstellung. Der irre Baron (genau wie seine Kumpane Semjonow und Kalmykow) waren nichts anderes als nützliche Idioten für die Interessen des Kaiserreichs – auch wenn jemand wie der Baron gelegentlich aus dem Ruder zu laufen drohte. Was degenerierten russischen (oder baltischen) Adel mit Japan und Deutschland verbindet, ist der Irrglaube an die Überlegenheit der eigenen Rasse oder Klasse.

Im weiteren Verlauf seines Aufsatzes weist Kusmin auf die zahlreichen historischen Fehler in Krauthoffs Roman hin.
Der interessanteste Teil ist Kusmins kurzer Abriss des Lebens von Ungern, da er sich auf russische und mongolische Dokumente stützt, die im Westen schwer zugänglich sind. Aber alles in allem ist dieses mangelhaft edierte Werk eher eine nette Zusatzlektüre zu Palmers Biographie.

Letztlich ist diese Edition kein Ruhmesblatt für den Verlag. Wenn dieser schon den 125.Geburtstag seines „Helden“ mit einer Neuedition von Krauthoffs Machwerk abfeiert, hätten die Lektoren zumindest einen Aufsatz zu diesem unbekannten Autor und der Rezeptionsgeschichte des Buches beisteuern müssen. Denn über den Autor erfährt man weder etwas im Netz, noch in den einschlägigen Lexika. Wer war er? Wie kam es zu diesem Buch? Warum gibt es kein weiteres Buch von ihm? Die Antworten auf diese Fragen wären bestimmt spannender als Krauthoffs Primärtext (der es immerhin zu einer amerikanischen Übersetzung in kleiner Auflage gebracht hat). So wie es ist, erinnert die Ausgabe eher an eine unkritische Fan-Edition. Man findet auch keinen – längst überfälligen – Artikel zu Ungern-Sternberg in der Populärkultur: Schließlich wurde er in Comics (Corto Maltese), zahlreichen Romanen, Thrillern (Daniel Easterman), Filmen (Sie nannten ihn Sukhe Bataar) und Fernsehserien verewigt. Der französische Filmproduzent Bober versuchte in seiner Berliner Zeit in den 1990er Jahren ebenfalls einen Film über Ungern-Sternberg auf die Beine zu stellen. Regie sollte Lars van Trier führen und die Hauptrolle Willem Defoe spielen (der aber in Berlin absagte, nachdem er van Trier-Filme angesehen hatte – was man unschwer verstehen kann). Das (mir vorliegende) Drehbuch stammte von dem in Berlin lebenden Exilschriftsteller Friedrich Gorenstein (der bei uns vor allem durch die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Tarkowski bekannt ist). Durch den Autor, Journalisten und Filmkritiker Ulrich von Berg war ich persönlich damals kurzfristig an dieses Filmprojekt heran geführt worden.



OSSENDOWSKI – DER MYSTERIÖSE PROFESSOR 3/ by Martin Compart

1918 flüchtete er vor der Revolution nach Sibirien und schloss sich der Verwaltung der Koltschak-Regierung in Omsk an. Er war Mitglied des Finanz- und Ackerbauministeriums. Ein ziemlich korrupter Haufen, wie die gesamte Regierung und Verwaltung des weißen Admiral Koltschaks. Nach Zusammenbruch des konterrevolutionären Koltschak-Regimes mußte er wieder fliehen. Die Geschichte dieser Flucht ist in seinem Bestseller TIERE, MENSCHEN, GÖTTER Buch eindrucksvoll berichtet.

Lewis Stanton Pahlen erzählte, wie das Buch zustande kam:
„Ich bin im Herbst 1921 auf ein und demselben Dampfer mit Dr.Ossendowski, also bald nach der erfolgreichen Flucht des letzteren vor den Bolschewisten, von Asien nach den Vereinigten Staaten gefahren. Wir reisten dann zusammen nach New York und von dort nach Washington, wohin Dr.Ossendowski von der polnischen Regierung als Ratgeber der polnischen Gesandschaft für fernöstliche Angelegenheiten für die Dauer der Washingtoner Konferenz berufen worden war und wo ich Aushilfsdienste in mandschurischen und mongolischen Fragen im amerikanischen Statedepartment leisten sollte. Wir wohnten in Washington in dem selben Hotel und nahmen dort oft unsere Mahlzeiten gemeinsam ein. Während der ersten sechs bis sieben Wochen unserer Bekanntschaft hatte mir Dr.Ossendowski niemals etwas von seinen sibirischen und mongolischen Abenteuern erzählt. Dieser Mann prahlt eben nicht mit seinen Erlebnissen. Eines Abends aber brachte er mir einen wissenschaftlichen Artikel über die Flora und Fauna in Arianhai in der nördlichen Mongolei und bat mich, ihm zu helfen, die Arbeit aus dem Russischen ins Englische zu übertragen. Er erzählte mir, er müsse Geld verdienen, um seine Familie aus Rußland herauszubekommen, denn die Bolschewisten hätten ihm alles weggenommen. Als ich mit ihm den Artikel durchlas, gab ich ihm zu verstehen, daß wir durch eine derartige gelehrte Abhandlung kaum die Schreibgebühren verdienen könnten, geschweige denn die Hotelausgaben, die wir während unserer Arbeit machen würden. Gereizt rief der Doktor aus: `Wie oft muß ein Mensch sein Leben aufs Spiel setzen, bevor er genügend Material erlangen kann, um von dem lieben amerikanischen Publikum Geld zu verdienen?'“ Es ist interessant, wie zynisch Pahlen den Markt einschätzt. Das sollte allen zu denken geben, die meinen, früher hätte es keine so geschmacklosen PR-Veranstaltungen oder kalkulierte Bestseller gegeben. Pahlen weiter: „`Ihre Aquarelle sonderbarer Pflanzen und Ihre Beschreibungen der Tiere der Mongolei zeigen nicht gerade, daß Sie große Gefahren zu bestehen hatten‘, sagte ich darauf scherzend. Nun begann Ossendowski zum erstenmal von den Erlebnissen seiner Flucht zu sprechen. Durch immer neue Fragen reizte ich ihn, so daß er die halbe Nacht hindurch erzählte. Als der Morgen graute, erklärte ich ihm: `Sie brauchen bloß das aufzuschreiben, was Sie erlebt haben – damit werden Sie Ihre Familie retten.‘ Die Antwort, die er gab, war abermals für den Mann charakteristisch. `Nein, ich will nicht aus meinen Erlebnissen und Leiden Kapital schlagen.‘ Erst nach langem Drängen willigte er ein, sich die Sache zu überlegen. Am nächsten Tag während des Mittagessens entschloß er sich. Das war die Entstehungsstunde des Buches. Wir arbeiteten in der folgenden Zeit mit großer Eile, hauptsächlich in der Nacht. Denn tagsüber war er in seiner Gesandtschaft beschäftigt, ich hatte im Statedepartment zu tun. Die Zeit drängte, denn Dr.Ossendowski mußte schon in wenigen Wochen nach Europa zurückkehren. Ossendowski schöpfte im allgemeinen aus dem Gedächtnis. Er hatte vor sich zwei Notizbücher, in die er lediglich Eintragungen über die Pflanzen- und Tierwelt der Mongolei und das Hauptsächlichste seiner Unterredungen mit Baron Ungern von Sternberg gemacht hatte.“

Durch Ossendowski inspirierter Comic.

Pahlen verfasste diesen Bericht als Erwiderung auf die Angriffe Sven Hedins gegen Ossendowski und veröffentlichte ihn am 11.Oktober 1924 im Börsenblatt des Deutschen Buchhandels.
„Wenn dabei, etwa im Abschnitte Tibet, einige geographischen Fehler in der Fluchtbeschreibung Ossendowskis unterlaufen sind, so ist das einzig und allein der Entstehungsart des Buches zuzuschreiben. Zudem: Dr.Ossendowski hatte nicht wie Dr.Sven Hedin einen großen wissenschaftlichen Apparat zur Verfügung, er war nichts als ein von feinen Feinden, den Bolschwisten, durch die entlegenen Gebiete Innerasiens gehetztes Wild.“

Da fragt man sich natürlich wieder, warum wohl die Bolschewisten soviel Wert auf Ossendowskis Gefangenschaft oder Tod gelegt haben sollen? Andererseits könnten seine Verwicklungen in Intrigen dafür sprechen, daß die Kommunisten mehr Gründe hatten Ossendowski gefangennehmen zu wollen, als uns der Professor wissen ließ. Zahlreiche Auseinandersetzungen in Frankreich und Deutschland machten Ossendowski zwar das Leben schwer, halfen aber auch dem Absatz des Buches. Besionders Sven Hedin arbeitete minutiös falsche geographische Angabe und ethnische Wertungen heraus. Während Ossendowskis Abenteuer in der Mongolei (und sein Portrait Ungern-Sternbergs) nicht angezweifelt wurde, waren seine Tibet-Darstellungen höchst umstritten. Ossendowski reagierte wenig überzeugend auf diese Angriffe. Er verstieg sich sogar zu der Äußerung, daß Hedin und seine Helfer von Moskau bezahlt würden, da dem Roten Regime an seinen Berichten nicht gelegen sein konnte. Sven Hedin weist in dem Bändchen OSSENDOWSKI UND DIE WAHRHEIT ziemlich genau nach, daß viele geographische Schilderungen und Erlebnisse nicht stimmen. Und daß der Teil MYSTERIUM DER MYSTERIEN „von Anfang bis zu Ende gestohlen ist, nur mit dem Unterschied, daß der Schauplatz von Indien nach der Mongolei verlegt worden ist.“ Gestohle oder Abgeschrieben aus dem Buch MISSION DE L’INDE EN EUROPE EN ASIE, das Buch, das den Sambala-Mythos in Europa einführte. Der Franzose Alexandre Saint Yves d’Alveydre war der erste Europäer der in seinem Buch MISSION DE L’INDE EN EUROPE die Legende von Agartha verbreitete.

Obwohl man es besser wissen müsste, halten sich die Gerüchte von einem geheimen und mysteriösen Land im inneren Asiens, das nur Auserwählten zugänglich ist. Die moderne Tibetschwärmerei hat damit zu tun. Gerüchte über dieses unzugängliche Reich verbreiteten sich seit der Mitte des letzten Jahrhunderts in Europa (wahrscheinlich vermischt mit den Berichten über das schwer zugängliche Tibet). Forscher und Abenteurer stiessen immer wieder auf Sagen oder von ihnen falsch interpretierte Legenden. Diese Reiche haben so klangvolle Namen wie Shambbala, Kalapa oder Agartha. Sie sollen unter der Erde liegen und ihre Eingänge irgendwo versteckt im Himalya.

Nach dem gigantischen Erfolg von von TIERE, MENSCHEN, GÖTTER ließ Ossendowski weitere Reiseberichte folgen. Das vieldiskutierte und vielgekaufte Buch fand einen ganz besonders zweifelhaften Fan: Heinrich Himmler. Himmler hatte bekanntlich eine besondere Ader für alles Okkulte. Gut vorstellbar, dass Himmlers Interesse an Tibet, das mehrere SS-Expeditionen zur Folge hatte, durch die Lektüre von Ossendowskis Buch ausgelöst wurde. Auch für die Mongolen begeisterte sich der Reichsführer-SS, und er empfahl immer wieder enthusiastisch Michael Prawdins Tschingis-Chan-Bücher.
Ossendowski ging zurück nach Polen, lebte bei Warschau und war Lehrer an der Militärakademie des Generalstabs und der Handelsschule. Seine Ehefrau Zofia Iwanowska galt als Violinenvirtuosin. Immer wieder unternahm er Reisen – etwa nach Afrika – und berichtete von ihnen in Bestsellern. Aber vor allem seine Sibirienbücher und eine äußerst zweifelhafte Lenin-Biographie festigten seine Popularität.

Er starb am 3. Januar 1945 in Zolwin, in der Nähe von Warschau. Es gibt Gerüchte, die besagen, er wurde ermordet. Wenn es der KGB gewesen sein sollte – was nahe liegend ist -, hätte ihn zu guter letzt Moskaus langer Arm doch noch erreicht.



OSSENDOWSKI – DER MYSTERIÖSE PROFESSOR 2/ by Martin Compart
22. Februar 2011, 10:52 am
Filed under: Bücher, Ossendowski, Politik & Geschichte, Porträt, RUSSISCHER BÜRGERKRIEG, Ungern-Sternberg | Schlagwörter:

Ferdinand Ossendowski wurde am 27.Mai 1876 in Witebsk, Polen geboren. Sein Vater Martin war Arzt, seine Mutter Wiktoria eine geborene Bortkiewicz. Angeblich waren die Ossendowskis eine alte adlige Familie, ursprünglich aus Ossendowice. Nachdem Ferdinand das Gymnasium absolviert hatte, ging er an die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät der Universität von Petersburg. Er erwarb sich während des Studiums wertvolle Kenntnisse über die Goldgruben und Erzminen Sibiriens. 1899 reiste er erstmals nach Sibirien, als Assistent von Professor Stanislaw Zaleski, der den Regierungsauftrag hatte, die Salz- und Mineralseen der Steppen von Chulyma-Minusinsk zu erforschen. Diese Reise schilderte er u.a. in seinem Buch IN DEN DSCHUNGELN DER WÄLDER UND MENSCHEN (1924). Anschließend studierte er in Paris weiter. Von 1901 bis 1903 war er Sekretär der Wissenschaftlichen Gesellschaft zur Erforschung der Armur Region und gleichzeitig an der Universität von Tomsk Professor für Chemie und Physik. Im Russisch-Japanischen Krieg diente er unter General Kuropatkin als Marineangehöriger und Dezernent für die Brennstoffversorgung der russischen Armee. Bis 1905 gehörte er auch zum Beraterstab des Grafen Witte; er war Beirat und Assistent für industrielle Angelegenheiten. Als Professor für organische Chemie unterrichteter er am Polytechnikum von St.Petersburg, bevor er 1905 in die russische Revolution gerissen wurde. Sein Freund Lewis Palen dazu: „Ein Kapitel seiner Lebensgeschichte, das… mit seinem rasch reagierenden Temperament durchaus in Einklang steht, ist seine Präsidentschaft in der Revolutionsregierung des fernen Ostens zu Charbin in den letzten Tagen des Jahres 1905. Als der Zar sein am 17.Oktober 1905 dem Volke gegebenes Versprechen verleugnete, fühlte sich auch Ossendowski, wie so viele russische Untertanen, aufs bitterste enttäuscht. So kam es, daß er sich bereit erklärte, die Leitung jener Bewegung im Osten zu übernehmen, die die Trennung Ostsibiriens von Rußland anstrebte. Nur 60 Tage lang wirkte er an der Spitze der Organisation für die Verwirklichung jenes Planes, unterstützt von Subkomitees in Wladiwostok, Blagowestschensk und Tschita. Als die Revolution von 1905 zusammenbrach, riß sie in ihrem Fall natürlich auch diesen östlichen Vorposten mit sich. Dr.Ossendowski mit seinen Helfern wurde gefangen genommen und vor Gericht gestellt. In der Nacht vom 15. auf den 16.Januar 1906 wurden er und die Ingenieure S.Nowakowski, W.Lepeschinski, Maksimoff, Wlasenko und K.Dreyer, der Jurist A.Koslowski und noch siebenunddreißig andere verhaftet. Obwohl er gewarnt worden und für sein Entkommen Vorsorge getroffen war, zog Ossendowski es vor, das Schicksal seiner Genossen zu teilen, indem er sich dem Gerichte stellte. Dieses verurteilte ihn zum Tode, doch wurde auf Fürsprache des Grafen Witte die Todesstrafe in zweijährige Gefängnishaft umgewandelt.

Nach seiner Verhaftung und Einkerkerung am 16.Januar war Ossendowski abwechselnd in den russischen Gefängnissen zu Charbin, Chabarowsk, Nikolajewsk und Wladiwostock, schließlich in der Peter- und Paulsfestung zu Petersburg interniert. Dadurch, daß er einen Teil seiner Strafzeit in den Gefängnissen des Ostens abdiente, verkürzte er jene zwei Jahre um ungefähr fünf Monate, so daß er am 27.September 1907 aus der Festung an der Newa entlassen werden konnte.“ Sein Verleger und Freund Palen berücksichtigt natürlich nicht die Gerüchte, dass Ossendowski vielleicht ein Agent des russischen Geheimdienstes, der berüchtigten Ochrana, gewesen war, der besonders revolutionäre Elemente auszuspionieren hatte. Seine durchgehenden politischen Überzeugungen, die Umwandlung von Todesstrafe zu einer milden Haftstrafe lassen zumindest aus kultureller und historischer Distanz Verdacht aufkommen. Auch Ossendowskis spätere Aktivitäten liefern für seine Nähe zur Geheimpolizei einige Indizien. Anders ist es kaum zu erklären, dass Ossendowski sich so intensiv von den Roten verfolgt fühlte. Nach seiner Freilassung lebte er bis 1917 vor allem in St.Petersburg, wo er seiner Lehr-und Forschungstätigkeit nachging und zahlreiche Artikel und wissenschaftliche Untersuchungen veröffentlichte. Unter dem Pseudonym Mzura schrieb er 1914 für eine Petersburger Zeitung eine Reihe von Artikeln, in denen er Adolf Dattan, Direktor der Firma Kunst & Albert in Wladiwostok, als deutschen Geheimagenten diskriminierte. Dattan wurde verhaftet und später nach Tomsk abgeschoben. Seine Unschuld stellte sich schließlich heraus, und Viktor Panow, Redakteur einer Zeitung in Wladiwostok, beschuldigte Ossendowski der bewußten Verleumdung.

Bei Ausbruch des Weltkriegs war er „vortragender Rat im Marineministerium“, und während des Krieges schickte man ihn auf eine Forschungsreise in die Mongolei, bei der er die ersten Kenntnisse der Landessprache erwarb.

Zusammen mit einem Partner war Ossendowski maßgeblich an der Sisson-Affäre, an den sogenannten Sisson-Papers beteiligt. Edgar Sisson war ein Propagandaexperte der Hearst-Presse und im Sonderauftrag an der amerikanischen Botschaft tätig. Regelmäßig berichtete er in vertraulichen Papieren über die Zustände in Rußland dem amerikanischen Außenministerium. In den an Präsident Woodrow Wilson gerichteten Berichten hieß es, dass der deutsche Generalstab die russische Revolution mitgeplant habe und die Deutsche Bank deren Finanzierung betriebe. Sisson schmuggelte diese „Beweise“ im März 1918 über den Finnischen Meerbusen in den Westen. In ihrem Buch RUSSISCH ROULETTE (Das Neue Berlin, 1998) analysierten die Autoren Gerhard Schieser und Jochen Trauptmann die Affäre: „Ossendowski hieß der polnisch-russische Kujau, der zusammen mit einem russischen Partner eine in den Details höchst unzuverlässige, im Grundsatz aber richtige Nachricht aufblies und häppchenweise für viel Geld an den Diplomaten Sisson verkaufte.“ Eine Episode, die den umstrittenen Professor zumindest als begabten Fälscher auswies.
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OSSENDOWSKI – DER MYSTERIÖSE PROFESSOR 1/ by Martin Compart

Ferdinand Ossendowski war eine mysteriöse Figur.

Nicht unbedingt sympathisch, wie schon Sven Hedin kritisierte, der besonders die brutale Art monierte, mit der Ossendowski Tiere behandelte. Er hatte seine Finger in einigen schmutzigen Affären, politischen Intrigen und geheimdienstlichen Operationen. Bei näherer Beschäftigung stößt man auch immer wieder auf den Verdacht oder das Gerücht, dass er ermordet wurde. In den 20er Jahren gehörte er zu den erfolgreichsten Autoren der Zeit.

Mit dem Buch TIERE, MENSCHEN, GÖTTER (Strange Vlg.)hatte er einen Weltbestseller, und bis heute gilt es als Klassiker der Okkultismus-Literatur.

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In bestimmten Kreisen ist es zu einem Mythos geworden. Seine Fluchtreise und seine Beschreibung lamaistischer Mysterien schlagen noch heute hartgesottene Reporter und Old Asiahands in Bann.

Ein so renommierter Journalist und Reiseschriftsteller wie Terziano Terzani widmete ihm gar ein ganzes Kapitel in seinem Asienbuch FLIEGEN OHNE FLÜGEL; nämlich über seinen Besuch in Urga, bzw.Ulan Bator. Trotz aller seit den 20er Jahren zu Recht erklungenen Kritik an Ossendowski ist Terzani ihm geradezu jüngerhaft zugetan:

Als ich mit Ossendowskis Buch unterm Arm, das ich soeben wieder und wieder gelesen hatte, in Ulan Bator aus dem Zug stieg, hatte ich das Gefühl, mit einem Gespenst auf sehr vertrautem Fuß zu stehen: Das Buch war er selbst, Ossendowski. Ich blieb eine ganze Woche in Ulan Bator, und während dieser Zeit trennten wir uns nicht einen Augenblick. Er beschrieb die Orte von einst, die wir dann gemeinsamaufsuchten. Er erzählte von bestimmten Riten, und gemeinsam sahen wir uns nach jemanden um, der sie noch praktizierte.“

Richtig rührend wird es, nachdem Terzani unter einigen Mühen endlich die alte Tempel-und Klosteranlage Gandan gefunden hat:

„Einer plötzlichen Regung folgend, legte ich Ossendowski auf den Boden, setzte mich mit überkreuzten Beinen vor den Thron und wandte mich an ihn: `Ich habe mein Versprechen gehalten, wir sind da. ‚Kein Hauch war zu spüren, doch dann strich ein leichter Luftzug durch die bunten Seidenbänder, die seitlich von einem Tanka herabhingen, und sie ließen eine andere Zeit zum Leben erwachen. Ich spürte die Anwesenheit Hutuktus auf dem Thron, die Anwesenheit Ungerns neben Ossendowski und anderer hinter ihnen… Gern hätte ich, und sei es für wenige Augenblicke, in dieser anderen Zeit gelebt, der ich mich häufig weitaus enger verbunden fühlte als der meinigen. Aber ich dachte an den Wärter, der bald kommen und nachsehen würde, was ich tat… und die Vision verschwand. Nur Ossendowski blieb bei mir, der mich bis hierher begleitet hatte und nun wieder lebendig geworden war. Indem ich dieses Buch wiederentdeckt hatte, hatte ich seine Existenz verlängert… Unleugbar war, daß ich durch meine Neugier dieses Buch aus seinem Todesschlaf erweckt, daß ich es lebendig gemacht hatte, daß es nun etwas anderes geworden war als einfach nur ein Gegenstand, ein Buch unter vielen. Aber nahmen denn die malaiischen kris nicht auf dieselbe Weise eine Seele in Besitz?“

Zweiffellos gibt es nicht allzu viele Bücher, die Jahrzehnte nach ihrer Veröffentlichung eine derartige Magie ausstrahlen können. Wenige Bücher – von den Klassikern abgesehen – berühren noch die Menschen nächster Generationen. Das sollte man bei all den berechtigten Einwänden und Vorwürfen gegen Ossendowski bedenken.

FORTSETZUNG FOLGT