Martin Compart


HINTERWÄLDLER, KANNIBALEN UND MONSTER – zum BACKWOOD-GENRE, das Genre zur Umweltzerstörung by Martin Compart

„Der Gruselschauder ist masochistisch und letzten Endes weiblich, In ihm unterwirft sich die Phantasie einer überwältigenden Übermacht… Der Horrorfilm entfesselt die vom Christentum unterdrückten Mächte – das Böse und das Barbarische der Natur. Horrorfilme sind Rituale in einem heidnischen Gottesdienst.“

Camille Paglia: „Die Masken der Sexualität“
.

„Im Horror kommt zur Sprache, was seit der Aufklärung und der Weimarer Klassik aus dem Kanon des guten Geschmacks ausgegrenzt wurde: die schockierende Abweichung vom Vernünftigen, Schönen und Guten. Legitimierungsbedürftig kann eine solche Untersuchung (des Genres) nur dem erscheinen, der die im 18.Jahrhundert ausgebildeten Geschmacksnormen unbefragt bis in die Gegenwart fortgeschrieben sehen möchte.“

Hans Richard Brittnacher: „Ästhetik des Horrors“



1. GENRE

Das Backwood-Genre ist kein ausschließliches Subgenre der Weird Fiction oder des Horrors. Horror dominiert dieses Genre, aber die Topoi des Backwood-Horrors lassen sich auch mit anderen verbinden (siehe auch „Wurzeln“). Es bedient sich vieler Genres, vom „Lost-Valley-Abenteuerroman“ bis zum „Country Noir“. Am intensivsten aber wohl mit dem Horror-Genre.

Das wohl herausragendste Werk, James Dickeys DELIVERANCE, ist schwerlich dem Horror-Genre zuzuordnen. Die Romane und Filme, in denen es um die Konfrontation zwischen städtischen Eindringlingen und Rednecks geht, sind eher dem Thriller zuzuordnen als dem Horror-Genre. Auf den ersten Blick geht es bei Backwood-Thrillern um die völlige Entfremdung des städtischen Individuums von der Natur. Aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Nämlich eine Illustration zum anthropologischen Pessimismus und zeitnaher Ängste. Was die Anhänger der bildungsbürgerlichen Ästhetik als voraufklärerische Moral diskreditieren, erscheint im Subtext des Genres als Ausdruck kollektiver Furcht vor realen Auswüchsen des Feudal-Kapitalismus.

2. WURZELN

Das Backwood-Genre verdankt einiges dem „Lost Race“ oder „Lost Valley“-Motiv. Dieses wurde prominent bis in die 1950er Jahre vornehmlich von der Fantasy oder der Abenteuer-Literatur eingesetzt. Autoren, die es besonders häufig und effektiv nutzten waren Rider Haggard, Edgar Rice Burroughs und Abraham Merritt.
Burroughs verwendete das „Lost Race“-Motiv gerne und zahlreich in seinen Tarzan-Romanen. Immer wieder entdeckt der Herr des Dschungels bei seinen Streifzügen Lost Valleys, in denen bestimmte Kulturen isoliert von der Außenwelt existieren oder überlebt haben. Tarzan oder Rider Haggards Helden (Alan Quartermain) finden aber meist vergleichsweise Hochkulturen. Ob Mayas, Wikinger, Römer oder Kreuzritter, Burroughs lässt nichts aus.

Aber sie treffen verständlicher weise nie, wie in den Backwood-Thrillern, auf Redneck-Kannibalen.

Auch von den „Post-Doomsday“-Geschichten der Science Fiction übernimmt das Backwood-Genre etwas: nämlich das Konzept, dass keine bürgerlichen Normen mehr existieren oder durchgesetzt sind. Die „Post-Doomsday“-Stories beschreiben häufig eine Welt nach dem kulturellen Zusammenbruch, in der wir wieder in die Barbarei zurückfallen. Eine Barbarei, die noch über technologische Möglichkeiten der zerstörten Zivilisation verfügt (wie es etwa in den MAD MAX-Filmen gezeigt wird).

Im Backwood-Subgenre verbindet sich Weird-Fiction oder Horror mit dem Thriller zum Terror-Movie oder zur Terror-Novel.
Die Bedrohung muss dabei nicht übernatürlich sein, also nicht von Horror, SF- oder Fantasy-Elementen getragen.

In einigen der besten Backwood-Thrillern, wie DELIVERANCE von James Dickey, OPEN SEASON von David Osborn, einigen Ketchum-und Lansdale-Romanen. geht die Todesgefahr von degenerierten Mitmenschen aus, die dieselbe Mentalität wie Wirtschaftsbosse und Politiker teilen: Maßlose Gier nach Befriedigung ihrer perversen Bedürfnisse durch die Ausübung überlegener Gewalt.

Ein Aspekt der Faszination, die vom Terror-Genre ausgeht, ist das Aufzeigen der Brüchigkeit unserer Zivilisation und die Ohnmacht gegenüber brutaler Gewalt, sei sie physisch, psychisch, ökonomisch (Bentley Little) oder politisch. Es spiegelt unsere Realität wieder. Erleben wir doch gerade, wie unter dem Begriff „Globalisierung“ auf die gemeinste Weise die Gewalt privilegierter Cliquen gegenüber Menschen und Natur ausgeübt wird. Firmen wie Monsanto zeichnen sich durch unbeschwerte Genmanipulation aus, die „Patente “ für Nahrungsmittel besorgen. Eine Perversion an sich. Chemiefabriken flössen ihren Abfall in die Nahrungskette ein und zerstören wie Ölfirmen rücksichtslos die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Atomverseuchte Abfälle werden skrupellos in Afrika oder den Weltmeeren entsorgt. Besinnungsloser Raubbau an der Umwelt und hemmungslose Akkumulation von Reichtum sind die Wertsetzungen des Kapitalismus, die Genre-Fiction gerne in Frage stellt.

Die vergiftete Natur wird gerne und plausibel als Erklärung für die Degeneriertheit der Hinterwäldler angeboten.

3. INSEL

Isolation in feindlicher Umgebung war und ist ein starkes Motiv der Fiktion.

Schutz- und hilflos in einer fremden Umgebung Kräften ausgeliefert zu sein, die man nicht kontrollieren kann, ist eine der stärksten Ängste, die man mobilisieren kann. In unserer urbanen Zivilisation werden diese Ängste besonders intensiv wahrgenommen, wenn unzivilisierte Regionen, deren Codes die Protagonisten nicht entziffern können, zum Schauplatz werden.

Dies gilt besonders für Kannibalen- und Backwood-Filme. Die als Genre definierten Kannibalen-Filme spielen an entlegenen Orten, in die Figuren bewusst anreisen und deren Gefahren im vornherein weitgehend bekannt sind (zu Kannibalen siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/2014/10/30/wo-die-wilden-kerle-leben-kannibalismus-im-film/).

Dschungelregionen und ferne unbekannte Länder erscheinen wie unerforschte Inseln mitten in der „bekannten“ Welt.
Keine Überraschung, dass auch fiktive Inseln zum Kanon der Backwood-Thriller zählen.

Diese Spielart könnte als „Insel-Thriller“ bezeichnen; wieder eine Art Subgenre.

Es lässt sich vor allem auf zwei Klassiker zurück führen: Richard Connells Kurzgeschichte THE MOST DANGEROUS GAME (1924), deren erfolgreiche Verfilmung von 1932 stilbildend war. Hier geht es darum, dass Menschen auf einer isolierten Insel als Jagdwild herhalten müssen. Graf Zaroffs Menschenjagd auf seiner Insel ist zum populären Allgemeingut geworden und taucht immer wieder in allen möglichen Genres und Medien auf (sogar in dem Daily Comic Strip X9 SECRET AGENT CORRIGAN von Al Williamson und Archie Goodwin).
William Goldmans Roman LORD OF THE FLIES (1954) erzählt von gestrandeten Jugendlichen, die zwei sich bekämpfende Gruppen bilden. Goldings Subtext ist für das gesamte Genre bestimmend: Gewaltbereitschaft ist dem Menschen angeboren und ohne zivilisatorische Regeln herrscht das Gesetz des Stärkeren. Jüngere Beispiele sind Richard Laymons ISLAND (1991) oder Brian Keenes CASTAWAYS (2009).

4. ERFOLG

Der anhaltende Erfolg des modernen Backwood-Genres geht wohl auf zwei Filme zurück: John Boormans Adaption von Dickeys DELIVERANCE und Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN MASSACRE (1974). Dieses relative kostengünstig zu produzierende Filmgenre explodierte geradezu und wurde besonders von den 1970er Jahren bis heute als B-Pictures direct to Video/DVD genutzt. Eine eindrucksvolle Aufzählung von 188 Filmen findet sich unter: https://www.imdb.com/list/ls068573001/ .

Schriftsteller wie Jack Ketchum, Richard Laymon und Joe R.Lansdale popularisierten den Backwood-Thriller seit den 1980er Jahren als literarische Form, die bis heute bedient wird und sich beständiger Beliebtheit erfreut.
Vielleicht ist die These etwas gewagt, aber man könnte Robert Blochs Ed Gein-Interpretation PSYCHO ebenso als Backwood-Thriller, wie als Serienkiller-Roman auffassen.

Einige Theoretiker rechnen auch Algernon Blackwoods Natur-Horrorstories THE WILLOWS (1907) oder THE WENDIGO (1910) dem Genre zu.

5. STADT GEGEN LAND

Im Backwood-Genre kommen Gefahr und Horror für die Hauptpersonenunerwartet und nichts weist auf künftige Gefährdungen hin. Sie begeben sich im Hochgefühl zivilisatorischer Überlegenheit an diese Orte, deren Dynamik sie weder kennen noch einzuschätzen wissen. Die Backwoods liegen hinter unseren urban kultivierten Plätzen, nicht weit entfernt von der vertrauten Umgebung. Aber einmal falsch abgebogen und schon sieht man sich einem Terror ausgesetzt, dem man mit seinen zivilisatorischen Mitteln nicht begegnen kann.

Ein Topos ist der Städter, der sich dem Backwood-Terror ausgesetzt sieht und alle zivilisatorischen Hemmungen und Konditionierungen abwerfen muss, um zu überleben.

Die bekannten Verteidigungstechnologien, vom Auto bis zur Schusswaffe, werden in diesem Genre meistens außer Kraft gesetzt oder dienen als eine Art Gral, den die Protagonisten zu erreichen trachten und oft in letzter Sekunde zur finalen Lösung nutzen. Letztlich überwiegt aber das Misstrauen gegenüber technischen Lösungen (ist es nicht oft der technologische Fortschritt, der durch Umweltvergiftung aus debilen Hillbillys völlig durchgeknallte Kannibalen macht? – wie etwa in WRONG TURN 2.

Erst wenn der Städter alle zivilisatorischen Schichten abgeschält hat und zur bösartigen Kreatur wird, hat er eine Chance im ruralen Inferno zu bestehen.

„Und er konnte es tun – er konnte es wirklich tun. In dieser Nacht hatte er bereits drei oder vier dieser Leute getötet. Warum nicht zwei mehr?… Er hatte Angst. Angst vor dem Vergewaltiger und Mörder, der in seiner Haut lauerte.“ (aus Laymon: IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa 2011.)

Je mehr Industrialisierung und Umweltzerstörung fortschreiten, umso intensiver wird auch eine Urbanisierung (die Zuwanderung in die Großstädte der 3.Welt, was zu unfassbaren Slums führt), deren zivilisatorischer Anspruch längst umgekippt ist.
Für den Städter ist der Landbewohner inzwischen mental einer fremden Kultur zugehörig, sein Wertesystem kaum nachvollziehbar. Denken wir nur an die gerne im TV vorgeführten Jugendlichen, die kein Gemüse mehr identifizieren können. Der Landbewohner, so er denn nicht dem Flötenspiel der industriellen Rattenfänger folgt, hat kaum noch Bezüge zu den Stadtbewohnern. Sein Leben hat einen anderen Rhythmus, der stärker von den Unwägbarkeiten der Natur abhängig ist.

Inzwischen sind verslumte Vororte und verslumte Stadteile neben dem Land auch zu Backwoods geworden (so gesehen könnte man auch Sol Yurick und Walter Hills THE WARRIORS als einen urbanen Backwood-Thriller werten). Die Förderung landwirtschaftlicher Großbetriebe stärkt nicht humanitären Fortschritt, sondern brutalisiert ökonomische Barbarei (Stichwort Massentierhaltung).

6. ORTE

Das bedrohliche Hinterland mit sinisteren Gebäuden ist kein wirklich neues Thema der Weird Fiction. Das alles findet sich in Mythologien und etwa den Burgen und Klöstern der Gothic Novel (wenn man denn will, könnte man auch den ersten Teil von Stokers DRACULA mit Jonathan Harkers Reise in die Karpaten zu Draculas Schloss als Backwood-Thrill interpretieren).

Unheimliche Orte, die man besser nicht besucht, gab es in der Weird Fiction und der Gothic Novel immer. Man wird gewarnt, diese nicht aufzusuchen. So auch der Erzähler in Lovecrafts SHADOWS OVER INNSMOUTH. Die Bedrohlichkeit dieser Orte ist zwar nicht in all ihren Dimensionen bekannt, aber es besteht vorab so viel Wissen, dass man erahnen kann, warum man sie besser meidet. Es ist die Naivität oder das übersteigerte Selbstbewusstsein der Protagonisten, die sie aller Warnungen zum Trotz diese „unheiligen“ Orte aufsuchen lässt.

Ganz anders nähert man sich den Wäldern oder Dörfern der Backwood-Thriller.
In sie fährt oder wandert man hinein, ohne die geringste Vorsicht oder den Hauch von Wissen um ihre Existenz. In der Regel will man diese nicht als Orte des Schreckens kartographierte Regionen nur durchqueren, auf dem Weg von einem bekannten urbanen Platz zum anderen. Man bemerkt gar nicht die Grenze, die man überschreitet, wenn man die vertraute Welt verlässt, um in die rurale Barbarei zu geraten.
Und dann platzt ein Reifen, oder man biegt falsch ab, oder man will in diesem merkwürdigen Ort nur schnell etwas essen…
Schlagartig wird man mit einer archaischen Welt konfrontiert, in der alle erlernten Fähigkeiten nichts zur Überlebenssicherung beitragen. Auch die mitgebrachte Technologie funktioniert nicht („Ich kriege kein Netz.“).

in dieser Welt verknüpft sich das Unheimliche mit nicht domestizierter Natur mit genetischen Katastrophen der eigenen Spezies. In der ungezähmten Wildnis tobt der Abschaum Pans in unkontrollierter Macht.

Zivilisatorische Normen haben weder Sinn noch Durchsetzungskraft.

Die Bewohner huldigen undurchschaubaren Riten, Stammesregeln (wenn überhaupt), die nur für sie gelten. Der Fremde steht außerhalb jeder positiven Sanktion. Sie meiden Kontakte mit Menschen außerhalb ihrer inzestuösen Gruppe. Ausgenommen als Jagd-und Ritualopfer, Nahrung oder Sklaven.
Fremde sind Nutztiere oder Spielzeuge für ihre erschreckenden Vorlieben. Ob sie durch Abwesenheit von Geschichte, Umweltverschmutzung oder sonst was degeneriert sind, ist sekundär. Primär sind sie aggressiv böse, ohne zivilisatorische Kruste. Sie sind weniger das, was wir vielleicht einmal waren, als das was wir fürchten, sein zu können.

Sie verkörpern nicht die ungehinderte Natur, sondern die entartete Gattung. Sie sind das Gegenteil von Rousseaus edlem Wilden. Eher der Beweis für Freuds These, dass wir alle Mörder und Kinder Kains sind.

Sie weisen darauf hin, was passieren kann, wenn unsere zivilisatorischen Lichter ausgehen und wir im Dunkel der entsolidarisierten Gesellschaft versinken: Atomisiert in kleinen Rotten, die nur sich selbst verpflichtet sind, gibt es beim Überlebenskampf keine Gnade. Töten ist genauso selbstverständlich wie essen. Quälen so genussvoll wie Sex.

Diese Hinterwäldler werden mental gerne auf einer Stufe mit nicht sozialisierten Kindern dargestellt. Musterbeispiel sind einmal mehr die WRONG TURN-Filme mit ihren infantilen Menschenfressern. Wie Kinder Fliegen die Flügel ausreißen, reißen sie den Fremden vergnügt Arme und Beine vom Körper.

Ein Subtext des Genres ist: Ohne urbane Zivilisation ist der Mensch barbarisch und böse. Dieser anthropologische Pessimismus ist seit den 1980ern (Reagen, Thatcher, Kohl und der Raubtierkapitalismus der Neo-Cons) als Genresubtext aktuell und attraktiv. Jeder spürt ja den bevorstehenden Zusammenbruch. des kapitalistischen Lemmingsystems, der alle erreichten zivilisatorischen Errungenschaften zerbröselt und für sinnlosen Konsum die Natur opfert.

Und dann sind wir alle in den Backwoods.

Die folgenden Buchtipps sollen lediglich einen Überblick verschaffen, um dieses Genre oder Subgenre in seiner Spannbreite zu illustrieren.

DELIVERANCE (BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE, Rowohlt) von James Dickey

Der Klassiker; dazu noch ein „literarisch anerkanntes“ Buch (was immer das bedeuten mag). Bevor eine ganze Wald- und Flussregion als Stausee versinkt, wollen vier Städter noch mal den Genuss an der urwüchsigen Natur genießen und dem Wasserlauf befahren. Und dann kriegen sie Ärger mit den einheimischen Rednecks. Die Vergewaltigungsszene eines der Städter war damals nicht nur extrem schockierend, sie setzte auch die Maßstäbe für die vorherrschende sexuelle Brutalität des Genres.

RIVER GIRL (DAS MÄDCHEN VOM FLUSS, Heyne) von Charles Williams …ist ein Beispiel für den Noir-Thriller als Backwood-Story: Die Leidenschaft zu einer verheirateten Hinterwäldlerin treibt einen Cop in den Kreislauf der Noir-Tragödie. Williams Backwood-Romane haben weniger mit den Horror-Geschichten von heute zu tun. Diese Paperback Originals sind eher von den Southern-Romanen Erskine Caldwell beeinflusst.

JAGDZEIT (Pendragon) von David Osborn
Auch hier hatte der Roman das Glück einer exzellenten Verfilmung (von Peter Collinson mit Peter Fonda und dem unterschätztesten Hollywood-Star überhaupt, William Holden). Ein Update der klassischen Graf Zaroff-Geschichte von Richard Connell. Nur sind es diesmal durchgeknallte Vietnam-Veteranen, die aus der Stadt das Unheil aufs Land bringen.

RAMBO (Heyne) von David Morell.
Nicht nur der erste Rambo-Film war hervorragend (im Gegensatz zu den Sequels), auch die Romanvorlage ist ein moderner Klassiker des Thrillers. Der Vietnamveteran Rambo gerät mit Rednecks aneinander und trägt den Guerilla-Krieg dorthin, wo er hingehört.

OFF SEASON (BEUTEZEIT, Heyne) von Jack Ketchum.
Ketchum gehört wie Joe Lansdale zu den Autoren, deren schwächere Bücher immer noch weit über dem Durchschnitt liegen. Und die außerdem immer wieder für ein Meisterwerk gut sind. Nicht so furchtbar wie EVIL, ist OFF SEASON einer der stilbildenden Romane des Genres und der Klassiker des Kannibalen-Backwood-Thrillers, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Ketchums Brutalität ist erschreckender und glaubwürdiger als der pubertäre Horror, den Laymon verbreitet.

THE WOODS ARE DARK (IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa) von Richard Laymon.
Dieser frühe Roman (1982) gehört zu Laymons schwächeren Büchern. Aber in ihm ist geradezu beispielhaft angelegt, wie die Klischees des Kannibalen-Backwoods funktionieren. Als Roman eher bescheiden, ist das Buch so etwas wie eine „idealtypische“ Drehbuchvorlage für ein genrespezifisches B-Picture. Im Gegensatz zu Ketchum gelingt es Layman nicht, seinen Freaks eine eigene, überzeugende barbarische Identität vermitteln.

CREEKERS (Festa Verlag) von Edward Lee.
Man kann über diesen unbeständigen Autor denken, was man mag, aber dieser 1994 veröffentlichte Roman ist ein herausragendes Werk der Gattung. Phil Straker, einst erfolgreicher Großstadtbulle, ist zurück „im guten alten Crick City, der Welthauptstadt der Idioten“. Und hier hat er es nicht nur mit einigen verkommenen Hillybillys zu tun, sondern auch mit den Creekers, einem Clan, der sich unter primitivsten Bedingungen seit Jahrhunderten durch Inzucht degeneriert.

ISLAND (DIE INSEL) von Richard Laymon.
Natürlich erreicht Laymon auch hier nicht die Dimensionen von William Golding. Aber dies ist ein überzeugender Insel-Backwood. Mit dem eigenwilligen Ich-Erzähler gelingt es Laymon hier seinen üblichen pubertären Sex & Torture-Kram glaubwürdiger und erschreckender darzubieten.

JOE R.LANSDALE – DER BOSS IM HINTERWALD.
Ob Horror-Geschichten, Weird-Western oder Thriller – bei Joe Lansdale spielen die Backwoods von Ost-Texas fast immer eine entscheidende Rolle. Er ist der König des Backwood-Thrillers, da er das Genre am effektivsten und immer wieder originell zu nutzen weiß. Erschwerend kommt hinzu, dass er einer der besten Thriller-Autoren überhaupt ist und immer wieder frische, unverbrauchte Erzählungen aus bekannten Klischeegenres gewinnt. Es ist alleine schon beeindruckend, wie er bei seiner ungewöhnlich hohen Produktivität sein Niveau beibehält und immer wieder steigert.

Siehe auch:
https://martincompart.wordpress.com/2019/01/31/poet-des-white-trash-der-noir-autor-daniel-woodrell/
https://martincompart.wordpress.com/2016/09/07/jagdtrip-von-jack-ketchum/



„DIE MÖWE HATTE MIR IN DIE SANDALE GESCHISSEN“, WIE GEHT DAS?, und DIE IRREN VON KLAGENFURT by Martin Compart

Heute am frühen Vormittag ist mir das Rentnergedeck im Hals stecken geblieben, da ich trotz weiträumiger Warnungen 3SAT angezappt hatte. Und da war es der Schrecken, der einen begrenzten Atomkrieg rechtfertigt. Erstmals in meiner medialen Existenz griff ich zu Twitter. Denn der Schock des Gesehenen hatte mich trumpanisiert. Und ich schrieb folgende Verkündung in begrenzter Wortausstattung:

„Habe tatsächlich ein wenig beim Wettlesen von Klagenfurt zugeschaut. Jetzt frage ich mich: Wer ist kranker? Die Autoren oder die Juroren? Das geisteskranke „Bildungs“bürgertum hat sich seit den 1980ern tatsächlich fortgepflanzt. Und Fauser und ich hofften wirklich auf sein Ende“

Wenn Du falsch abbiegst und zur falschen Zeit nach Klagenfurt gerätst, wünscht Du Dir bei den Hillbillys von WRONG TURN zu sein.

Soviel hässliche Aufgeblasenheit (gespeist aus zustehenden Minderwertigkeitskomplexen) kennt man ansonsten nur aus dem Weißen Haus.

Das war früher, als der GRO?E soundso was gewonnen hat. Dieses Jahr wird eine andere dumpfe Sau durchs Dorf getrieben vom noch lächerlicheren Vieh.

Wer mir gefehlt hat, ist der dicke Junge. Aber der macht auch noch Zuviel medialen Unsinn um in die Elite berufen zu werden. Zu der gehören Jahrhundertgestalten wie Hubert Winckels (der noch dem Kaiser vorgelesen hat) und an Schwachsinnsäußerungen seit Jahrzehnten ein Messbrett ist. Daneben frische Idioten, denen an der Zerstörung relevanter Literatur viel liegt.

Wer dachte, die 1980er (Fausers Spaß in Klagenfurt) wären schlimm, wird sich umgucken. Die LINDENSTRASSE der Literaturkritik ist voll erblüht.

„Ich hab schon als Kind gerne gelesen.“

Die letzte Zeile des heutig frühmorgendlichen Idioten-Lesers(„Die Möwe hatte mir in die Sandale geschissen“), fand der glatzköpfige österreichische Juror unbefriedigend um die angeblichen acht Ebenen des summen Textes abzuschließen; andere (bis ich aus Selbsterhaltungsgründen zu NETFLIX geschaltet hatte), fanden es genial.
Welche „Ebenen“ würden diese Freigänger erst be „Perry Rhodan“ entdecken? Der schwitzende Autor sah auch so aus, als würde er beständig die Füße so verdrehen, sass es einem Vogel gelingen könnte, seine Sandale (!) zu exkrementieren. Bemerkenswert auch die kühne Untertreibung, der exkrementierende Vogel hätte die Fußbedeckung konterminiert und nicht das Hirn.

Es hat auch Poesie, dass in Zeiten des verendenden Planeten ein paar Behinderte in einer Krabbelgruppe am Wörthersee ihre ästhetische Inkompetenz austauschen dürfen (auf Kosten des Finanziers des öffentlich-rechtlichen Rundfunks). Sollten nicht besser Suhrkamp und Hanser diese misslungenen Therapieversuche auf einem gemeinsamen U-Tube-Kanal verbreiten („12 Zugriffe – ist doch nicht schlecht, oder?“).

„Ich habe nie Klagenfurt erleben dürfen – und aus mir is au nix worden. Obwohl ich mir einen falschen Pass besorgt hab.“



Neuer Text zu Melville: by Martin Compart
26. Juni 2019, 8:22 pm
Filed under: Alain Delon, Film, Jean-Pierre Melville, Noir | Schlagwörter: ,

ICH VERLIERE NIEMALS, NIEMALS WIRKLICH – Gedanken zu Jean-Pierre Melville




JIM NISBET – WELT OHNE SKRUPEL von JOCHEN KÖNIG by Martin Compart
25. Juni 2019, 5:45 pm
Filed under: JIM NISBET, Jochen König, Noir, Rezensionen | Schlagwörter: , , ,

Klinger ist ein Kleingauner, ein Loner wie er im Buche steht. Geich sein erster Auftritt zeigt wie Jim Nisbets „Welt ohne Skrupel“ funktioniert: Nach einem missglückten Überfall auf der Flucht vor der Polizei opfert Klinger seinen Komplizen ohne Umschweife den Verfolgern, damit er unbeschadet entkommen kann.

Lapidarer Gedankengang: Chainbang (kleine Anspielung auf Rex Miller?) war sowieso ein Idiot und ist damit selbst schuld an seinem Schicksal.

Klinger zieht weiter, besucht eine alte Freundin, schnorrt Geld und hängt in Bars ab, säuft, trifft Bekannte und macht einen Ausflug in die ehemaligen Bergwerksanlagen unter San Francisco. Sucht Nuggets und findet einen Schädel unter einem Friedhof. Hamlet ist ein Loser und Dänemark weit weg.

Später versucht Klinger mit einem Kumpel einen reichen Schnösel auszurauben. Dürfte nicht schwer zu erraten sein, dass diese Aktion in einem Desaster endet.

Immerhin erbeutet Klinger das Smartphone des Opfers. So ergibt sich ein Kontakt zu Marci, der Chefin und Ex-Freundin des Überfallenen. Ganz ehrlicher Finder, ist Klinger bereit das Telefon zurückzugeben. Kleiner Finderlohn sollte drinsitzen.

Marci hat andere Pläne. Auf dem Telefon ist eine neuartige Dating-App, die Philipp Wong, der Handy-Besitzer, entworfen hat. Wäre doch schön, wenn man die ohne den Entwickler vermarkten könnte. Klinger findet sich plötzlich in einer Welt wieder, die er nicht versteht und von der er keine Ahnung hat, verführt von einer Frau, der er nicht gewachsen ist. Eine App, die Femme Fatales identifiziert, besitzt Klinger leider nicht. Und wenn, könnte er vermutlich nicht damit umgehen.

Jim Nisbet ist ein Meister des Understatements.

Seine „Welt ohne Skrupel“ ist kein Sündenpfuhl, in dem Mord- und Totschlag herrschen und krawalliges Drama Katastrophen heraufbeschwört.

Nisbet erzählt Alltagsgeschichten von Losern und Aufsteigern, die ohne Bedenken Freunde und Bekanntschaften über die Klinge springen lassen. Klinger geht dabei mit unbeschwerter Dreistigkeit vor, während Marci die Frau mit einem Plan ist. In Klingers Umfeld (und bei seiner Arbeit) sterben Menschen, weil er mögliche Auswirkungen keine Sekunde überdenkt, Marci hat tödliche Konsequenzen von Beginn an im Blick.

Zwischen den beiläufig inszenierten oder ganz im Off ablaufenden Verbrechen, wird der Alltag bewältigt. Klinger ist ein Flaneur im späten Gefolge Charles Bukowskis (ohne dessen derbe Anzüglichkeiten), er findet immer jemand, dem er Geld abknöpfen kann, um es in einer ranzigen Bar mit einem Kneipenphilosophen am Tresen unter die Leute zu bringen.

Er trifft andere Gestrandete, räsoniert über sein leben und das der anderen, trinkt zu viel, ab und an fällt etwas Sex ab. Just an oldfashioned Guy, der seine Perspektivlosigkeit vermutlich als bewusstes Leben im Hier und Jetzt empfindet. So jemand braucht kein Smartphone. Anfragen gibt es eh keine, und Gespräche kann man von Angesicht zu Angesicht führen.

Eigentlich hätte es Klinger stutzig machen müssen, dass ihn eine Frau wie Marci, die offensichtlich in einer ganz anderen Liga spielt, verführt und mit auf eine gemeinsame Tour nimmt. Doch Klinger erfreut sich am Sex und lässt sich freudig aushalten. So kann er es gar nicht ausschlagen, zum Handlanger zu werden. Er hat Spaß gehabt, und der kostet eben. Klinger nimmt’s gelassen hin, irgendwie wird es schon weitergehen.

„Welt ohne Skrupel“ ist eine Mischung aus finsterem Schelmenroman und klassischem Noir in modernem Gewand. Das Aufeinanderprallen von Anachronismen und digitaler Herrschaftshoheit findet beiläufig statt, ist ein lakonischer Kommentar, der auf genauer Beobachtungsgabe basiert und kein moralinsaurer Diskurs eines alternden Autors, der sich in der Gegenwart unwohl fühlt. Nur Klinger wäre ohne Smartphone besser dran gewesen. Aber zurück geht’s nicht mehr. Nie.

„Mach mir noch einen.“ Natürlich muss der Roman so enden. Kneipenphilosophie auf dem Prüfstand.

Jim Nisbet

WELT OHNE SKRUPEL

Originaltitel: Snitch World
PULP MASTER 2019
200 Seiten

TB 14,80
ebook 9,99

Jim Nisbet – Welt ohne Skrupel



DR.HORROR ERKLÄRT DIE APOKALYPSE Teil 325 by Martin Compart

Seit Jahrzehnten wissen wir, wer der schlimmste Mann Deutschlands ist: Dr.Horror (beim BKA als Rolf Giesen geführt). Während wir freudig beim Kükenschreddern zusehen, legt sich Dr.Horror mit der heiligen Ex-Weinkönigin an. Erbärmlich!



TICKETING-GANGSTER: Berthold Seligers Analyse der Konzertindustrie by Martin Compart

Dass der Kapitalismus dazu strebt, Monopole zu bilden, ist nichts Neues und enttarnt die „Konkurrenzwirtschaft“ als bloße Ideologie. Wir haben in den Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch des antikapitalistischen Druckmittels mit ansehen müssen, wie hemmungs- und skrupellos Unternehmen auf Kosten von Umwelt und Allgemeinheit unantastbare Imperien aufgebaut haben, die auch noch für die höchste Konfliktrate auf diesem Planeten sorgen, die es je gegeben hat.

Die Musikindustrie war in all ihren Facetten schon immer ein widerwärtiges Geschäft. Berthold Seliger öffnet einem die Augen, zu welch Stadien füllende Ekelhaftigkeit und Ausbeutung die Branche inzwischen fähig ist.

Seligers Buch schwingt wie eine Abrissbirne durch die Lügen und Betrügereien der Musikindustrie. Denn die hat sich längst vom Download-Schock erholt und ist dank neuer Technologien und am Rande des Illegalen oder mitten im Illegitimen angesiedelter Marktstrategien zu neuer, ungeahnter Stärke kleptokratiert.

Die brillant geschriebenen Analysen der Strategien der Konzertbranche lesen sich manchmal wie eine Mischung aus Gangsterroman und Techno-Thriller.

Kalte Schauder jagt es einem den Rücken rauf und runter, wenn der Autor resignierend nach einem regulierten Markt verlangt: „Aus der Malaise gibt es nur einen pragmatischen Ausweg: … die Rückbesinnung auf Instrumente des Ordoliberalismus, also einer sozialen Ausrichtung und regulatorischen Beschränkung des sogenannten freien Markts, mit einem funktionsfähigen Preissystem und der Verhinderung von Monopolen, Kartellen und anderen Formen der Marktbeherrschung.“

Seliger zeigt auch auf, dass in keinem westlichen Land der Verbraucherschutz vor semi-kriminellen Prozessen weniger funktioniert als in Deutschland.
Gleich zu Beginn stellt er überzeugend Bezüge zwischen Musikindustrie und Drogenhandel her – am Beispiel der TV-Serie BREAKING BAD und wofür sie steht.

Eine der perfidesten Abzock-Strategien ist die des „Verified Fans“, die sich das Management von Taylor Swift ausgedacht hat: „Swift hat eine virtuelle Schlange am virtuellen Ticketschalter kreiert, und die Fans können durch Einkäufe von Taylor Swift-Merchandise-Produkten ihren Platz in der Schlange verbessern… Das Perfide im Fall Taylor Swift: Die meisten Stadien waren wenige Wochen vor den Auftritten nicht einmal ausverkauft, da die Künstlerin und ihr Management eben das Konzept des `High Pricing´ bevorzugen. Der `freie Markt´ wird ad absurdum geführt. Aber die Künstlerin hat dank ihrer Merchandising-Produkte trotzdem prächtig verdient.“

Hinreißend ist sein Erfahrungsbericht über sein erstes Großkonzert (Rolling Stones 1981 in München; zweites von zwei Konzerten, denn beim ersten hat es nicht geregnet), in dem er damaliges gesellschaftliches Bewusstsein der Besucher beschreibt. Die anschließende Analyse der Stones-Konzerte im neuen Jahrhundert löst nur noch Brechreize aus.

„Die Bourgeoisie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst“, zitiert der Autor Karl Marx. Und persönliche Würde ist doch etwas, dass Musik vermitteln, ausstrahlen oder bestätigen kann.

Da nur fünf Prozent der Superacts für 85 Prozent der Einnahmen sorgen bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Imperien nicht daran interessiert sind, in irgendeiner Form an kulturellem Aufbau mitzuwirken oder gar Geld zu investieren.
Die teuren Ticketpreise wiederum gehen zu Lasten von Club – oder Nachwuchs-Konzerten.

Ein weiteres kluges Buch, das zeigt, wie unregulierter Kapitalismus die Demokratie gefährdet, ja durch das Schaffen unmoralischer Profitstrategien sogar außer Kraft setzt: „Wenn nun aber jemand, der Karten für ein ausverkauftes Konzert… einen beträchtlich (von den Veranstaltern/Ticketverkäufern auf einer eigenen Plattform für Zweitverwertungen) überhöhten Eintrittspreis zu zahlen (bereit ist), wird die Gleichheit außer Kraft gesetzt… Denn die Gleichheit der Konzertfans ist mittlerweile aufgehoben. Vor der Bühne stehen nur noch die Wohlhabenden, die eben 799 Euro für ein Ticket ausgeben können.“

Man darf das nicht unterschätzen, denn hier werden im Überbau kapitalistisch-autoritäre Strukturen eingefräst, die besonders das Bewusstsein junger Menschen dauerhaft prägen können. Eine weitere Manifestation der Ungleichheit in einem legalen System.

Das Buch ist nicht nur spannend, es eröffnet (unbedarften Lesern wie mir) auch neue Horizonte, denn Seliger versteht es, die Entwicklungen branchenspezifisch im historischen Kontext einzubetten.

Unverzichtbar für jeden, der sich über Musik in den unterschiedlichsten Aspekten informieren will, ist der Blog des Autors:
https://www.bseliger.de/blog

Berthold Seliger:

DAS IMPERIEN-GESCHÄFT

EDITION TIAMAT, 2019

Critica Diabolis 265

Broschur

344 Seiten

20.- Euro

ISBN 978-3-89320-241-6



TOTE SCHLAFEN LÄNGER by Martin Compart
15. Juni 2019, 4:21 pm
Filed under: MUSIK | Schlagwörter: , ,

Als alter Springsteen-Fan der 2.Stunde kann ich nur bestätigen, dass der Mann aus seinem 30jährigen Koma nicht mehr erwachen wird. Wer diese nur durch Barry Manilow aufzupeppenden Einschlafsgesänge als „reifes Alterswerk“ bezeichnet, ist ein komatöser Geschmacksneurotiker, der sich wahrscheinlich bei BORN TO RUN oder DARKNESS ängstlich an die Mammi gekrallt hat, die gerade erregt der ZDF-Hitparade lauschte…

Dieses Album ist nichts anderes, als das komanitäre Gelalle eines alten Weggefährten, bei dem man schon vor Jahren hätte den Stecker ziehen sollen.

Aber wer braucht schon eine neue Bruce Springgsteen, wenn es alte Herman´s Hermits gibt?

Und in gewisser Hinsicht ein Meisterwerk: Niemals zuvor wurde ein Maximum an Langeweile akustisch überzeugender umgesetzt.

Und gleichzeitig spielt der Behinderte im Wessen Haus“ das Spiel von „Zwischenfall Im Golf von Tonkin“.
Ich bin die Blödheit der deutschen Journaille so satt.

Und wir brauchen auch einen weitgefächerten (NARO) Krieg gehen den Iran (die SPD wird es seit Serbien zu rechtfertigen wissen), denn sie haben ja was, was kapitalistischen Rechts westlichen Milliardären zusteht.

Ja, da fange ich als Schlafmütze lieber komatöse Wildpferde ein.

Und ich habe Dich so geliebt. 1981 in München war eines der drei besten Konzerte meines Lebens!



B.TRAVEN by Martin Compart
10. Juni 2019, 12:08 pm
Filed under: B.Traven | Schlagwörter:

Neu bei ZERBERUS:

WAS KÜMMERT UNS DER MENSCH, WICHTIG IST NUR DAS ÖL



MARKETING IM TAL DER PUPPEN – oder wie Jacqueline Susann die Grundlagen für das moderne Bestsellergewerbe schuf by Martin Compart

“A new book is like a new brand of detergent.
You have to let the public know about it.
What’s wrong with that?”

Es ist nur ein paar Jahrzehnte her, da hätte man sich zumindest gewundert, wenn ein hehrer Schriftsteller durch Talk-Shows oder andere TV-Unterhaltungen vagabundiert wäre, um sein neues Werk zu promoten.
Heute eine Selbstverständlichkeit, aber bis in die 1960er Jahre völlig unüblich. Damals hätte man das geradezu als degoutant empfunden.

Es war eine weibliche Autorin, die eine Revolution in den Vermarktungsstrategien von Büchern einführte. Ihr Name ist heute fast vergessen, obwohl sie noch immer einen unerreichten Rekord hält: Sie brachte als erster Autor drei Bücher hintereinander aus dem Stand auf den ersten Platz der New York Times-Bestsellerliste.

Ihr Name: Jacqueline Susann.
Über ihren gigantischen Erfolg rümpften die ranzigen Kritiker natürlich die Nase. Sie paart ein minimales literarische Talent mit einem gigantischen Talent für Public-Relations, wurde damals gelästert. Und das war noch der mildeste Vorwurf der Kulturnachtwächter.

Zur Neuauflage ihres Bestsellers VALLEY OF DOLLS eilte vor ein paar Jahren nun sogar die große Camille Paglia zur Ehrenrettung herbei, indem sie darauf hinwies, dass die Pop-Kultur – von den schmutzigen Romanen einer Jackie Collins bis zu TV-Soaps à la MELROSE PLACE – vieles Jacqueline Susann zu verdanken hat:

„Es waren Susann und Harold Robbins, die diese modernen, sexgeladenen Melodramen erfunden haben. Für mich ist TAL DER PUPPEN einer der großen Romane der Nachkriegszeit. Sie schrieb in demokratischer Straßenprosa, sehr filmisch, alles wurde visualisiert. Susann war Arbeiterklasse wie die junge Joan Crawford Arbeiterklasse war. Ich bewundere sie als Mensch und als Geschäftsfrau. Sie war wie Madonna.“

Vor allem war Jaqueline Susann die erste Autorin, die mit einem neuen erfolgreichen Marketingansatz alle zuvor üblichen Strategien aushebelte und die Epoche des „gemachten Bestsellers“ einführte.

Durch sie wurde das Buchgeschäft endgültig zu einem Bestandteil des Showbusiness. Jacqueline Susann wurde zu einem Markenzeichen, weil sie in Talkshows, Fernseh- und Radiosendungen auftrat und mit großem Geschick sich selbst und ihr Werk anpries, bis sie Millionen Käufer fand. Mit ihrem Mann, einem PR-Agenten, ließ sie sich immer neue Aktionen einfallen, die Ereignischarakter (deutsch: Event) hatten und darüber hinaus mediales Aufsehen erregten. Zeitgleich mit Harold Robbins wurde sie zum Markenzeichen für Bestsellerliteratur (in der Genre-Literatur gab es das bereits, aber die erklomm selten die Bestsellerlisten wie etwa zur selben Zeit Alistair MacLean oder zuvor Ian Fleming).

„Egal, was ein Interviewer fragt, ich kann ihn immer thematisch zu meinen Büchern führen.“

Die ehemalige Miss Philadelphia, Fernsehsprecherin und Werbetexterin wusste genau, was sie tat! Sie verglich das Verkaufen von Büchern gerne mit dem Verkauf von Zahnpasta. Außerdem verlangte sie vom Verlag, dass die Anzeigen für ihre Romane auf den Filmseiten der Zeitungen geschaltet wurden und nicht im Literaturteil. Sie „erfand“ auch die bis heute geltende Form der Lese- und Signierreise. Eine Angestellte der Buchhandelsgruppe B.Dalton sagte damals: „Durch Jackie bekamen wir neue, zusätzliche Kundschaft. Sie brachte Leute in die Buchhandlungen, die nie zuvor eine Buchhandlung von innen gesehen hatten.“ Außerdem recherchierte sie die Buchhandlungen, die für die Bestsellerliste der „New York Times“ befragt wurden, und konzentrierte ihre PR-Arbeit auf sie.

Noch weiter ging Susanns Mann Irving Mansfield, der eine besonders bedenkliche Taktik entwickelte: Er ließ von Mitarbeitern in den Schlüsselbuchhandlungen bestimmter Städte die gerade ausgelieferten Bücher seiner Frau aufkaufen, um sie schneller auf der Bestsellerliste nach oben zu drücken. Keine Expansion ohne Investition!

Jacqueline Susann erfand (oder zumindest perfektionierte) ein neues Subgenre: Glitzernde Melodramen über das Sexleben und die Welt der Schönen und Reichen. Die fiktiven Personen ihrer Bücher ähnelten immer prominenten Personen der Zeitgeschichte. So ließ sie sich gerne unterstellen, sie schreibe Schlüsselromane über Hollywood und Washington und verarbeite das geheime Leben, über das sie wohl informiert sei, bekannter Politiker und Stars wie Marilyn Monroe, Grace Kelly oder John F. Kennedy. Diesen Eindruck bestärkte sie geschickt, indem sie in jedem Interview die reale Person und ihre fiktive Verschlüsselung nannte – und augenzwinkernd dementierte, dass beide irgendetwas miteinander zu tun hätten.
SEX AND THE CITY zum Beispiel, wäre ohne Jacqueline Susanns „Vorarbeit“ schwer vorstellbar.

Ihr erstes Buch EVERY NIGHT, JOSEFINE (1963) war eine rührende Geschichte über Susanns Pudel Josefine und verkaufte sich 1,7 Millonen mal – was Mrs.Susann nicht genug war.

Obwohl ihr Verleger eine Fortsetzung wollte, schrieb sie etwas völlig anderes: DAS TAL DER PUPPEN, einen mit Sex gespickten Roman über drei Hollywood-Starlets, die sich nach oben kämpften. Die Sexszenen galten 1966 als skandalös, ja pornographisch. Heute wirken sie eher harmlos. Jeder in Susanns Verlag hasste das Buch, aber die Gattin des Verlegers liebte es: „Es liest sich, als würde man heimlich zwei Frauen am Telefon belauschen, die sich über die sexuellen Vorlieben ihrer Ehemänner unterhalten. Bei so einem Gespräch muss man einfach zuhören.“

Das Buch hieß TAL DER PUPPEN, erschien im Februar 1966 und blieb 28 Wochen auf Platz eins der New York Times-Bestsellerliste. Die Verfilmung von 1967 war der vierterfolgreichste Film des Jahres. Susann nannte die Verfilmung „a piece of shit„. Bis 2016 verkaufte das Buch 31 Millionen Exemplare in 30 Sprachen. Ihr Verleger verlangte von Susann vergeblich, sie möge doch den Titel ändern, sonst würde das Buch in der Kinderbuchabteilung landen!

Die paar Kritiker, die es besprachen, sahen es als Beispiel für den zivilisatorischen Verfall an, zumindest aber für den Niedergang großer Literatur. Und Susann zog nach, mit Statements wie „Nabokov und ich schreiben auf demselben Niveau. Aber ich bin besser.“ Provokationen, die auch in der Pop-Musik Verwendung fanden. Schäumende Hasstiraden aller sie bisher ignorierenden Kritiker waren ihr von nun an sicher.

Dabei hat der Roman Qualitäten, für die ich hier nur ein Zitat als Beispiel anführe:
A wife held the same social status as a screenwriter—necessary but anonymous.”

Werbung kann zwar negativ sein, muss deshalb noch lange nicht den Absatz verschlechtern. In dem Jahr gab es keine TV-Show, kein Magazin und keine Zeitung, in der Jacqueline Susann nicht mehrmals auftauchte. Ihr Name wurde zum Markenartikel für Sex, Indiskretion und Glamour.

1969 erschien ihr nächster Streich: DIE LIEBESMASCHINE blieb 26 Wochen auf Platz eins der Bestsellerlisten.

Diesmal zettelte sie einen Streit mit Truman Capote an, der durch sämtliche Medien ging. Susann hatte sich in einer Fernsehshow über die Stimme von Capote lustig gemacht. Capote schlug in einer anderen Talk-Show zurück und sagte, Susann sei „ein geborener Transvestit. Sie sieht aus wie ein Fernfahrer im Fummel“. Später entschuldigte er sich bei den Truckern für diesen Vergleich. Ihr Streit beherrschte die Medien mehrere Monate (und hielt bis zu Susanns Tod 1974 an).

Bereits 1962 hatte man bei Jackie Krebs diagnostiziert. Aber nur ihre engsten Freunde wussten davon und ihre gelegentlichen Behandlungen in Krankenhäusern.

Als 1973 ihr letzter Bestseller EINMAL IST NICHT GENUG erschien, bekam sie erneut Bestrahlungen. Geschwächt und gegen den Willen der Ärzte verließ sie das Krankenhaus, um auf eine PR-Tour durch achtzehn Städte zu gehen. In jeder Stadt suchte sie heimlich ein Hospital auf, um ihre Chemotherapie fortzusetzen.

Für das Buch lohnte sich ihr selbstmörderischer Einsatz: Wieder kam sie auf Platz eins der Bestsellerlisten. Aber sie magerte ab und starb 1974 mit 56 Jahren. Ihr Mann stellte die Urne mit ihrer Asche in das Regal mit ihren Erfolgsbüchern. In den USA, wo ihre Bücher 15 Jahre nicht lieferbar waren, wurde sie 2002 wiederentdeckt: Als „Mutter“ der modernen Literatur, die Trash und Melodram zum Bestsellerkonzept verlötete.