Martin Compart


NUMMER 6 LEBT! Das PRISONER-Special by Martin Compart

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Über keine Fernsehserie wurde soviel geschrieben wie über NUMMER 6 (THE PRISONER)) – ausgenommen vielleicht STAR TREK. Wenn der inzwischen inflationäre Begriff „kult“ berechtigt anzuwenden ist, dann auf diese Serie, die nächstes Jahr ihr 50jähriges Jubiläum feiert und erstmals bewies, dass TV-Serien eigene Kunstformen entwickeln können. Und es gibt wohl keine andere Serie, die ein ähnlich intensives Fandom hat. Und das nicht nur in England, sondern weltweit!

Verblüfft habe ich erfahren, dass in Deutschland die NUMMER 6-Page die wahrscheinlich langlebigste Internet-Seite ist, die sich einer TV-Serie widmet. Auch wenn er das nicht gerne hört, sehe ich als das Mastermind (also die Nr.1) hinter dem deutschen Fandom Arno Baumgärtel. Grund genug, ihn mal zu belästigen und auszuhorchen. Arno hat mir freundlicher Weise auch die meisten der hier verwendeten Fotos zur Verfügung gestellt.

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Wer ist Arno Baumgärtel?

That would be telling.
Er ist 1956 im Mittelhessischen geboren, hat 1976 in Freiburg im Breisgau Abitur gemacht. Ging dann zum Studieren brotloser Künste wie Germanistik, Politik und Philosophie, und das auf Magister, nach Gießen, wo er sich immer noch aufhält, wenn er nicht in Frankfurt am Main in einem Im- und Exportbetrieb als Multitalent arbeitet. Film, Filmgeschichte und Kino sind das bevorzugte Interessensgebiet. Er war eine Zeitlang Filmvorführer (35 mm!) und freier Mitarbeiter beim nicht mehr existierenden örtlichen Kommunalen Kino. Die Passion für NUMMER 6 bzw. THE PRISONER pflegt er seit dem Fernsehdebüt.

Wie bist Du auf PRISONER gestoßen und wie hat sich die Infektion ausgewirkt?

Im Sommer 1969 wurde eine neue Serie mit Patrick McGoohan angekündigt: NUMMER 6.
51n+z1H0kHL._AC_UL320_SR230,320_[1]Allein der Titel war mysteriös genug, um Aufmerksamkeit zu erwecken. Denn schon 1962 war Patrick McGoohan mit seiner Serie GEHEIMAUFTRAG FÜR JOHN DRAKE einer der Helden des Vorabendprogramms (und der Kindertage des Fernsehens überhaupt) gewesen.

NUMMER 6 lief samstags zu mitternächtlicher Stunde im ZDF, nach dem „Aktuellen Sportstudio“, das seine Sendezeit meistens überzog. Die Sendetermine waren rätselhaft, kein
erkennbarer Rhythmus. Und mit 13 Jahren war es doch dem Zufall überlassen, dass man den Termin der nächsten Episode mitbekam oder dass man überhaupt so lange aufbleiben durfte.
Sicher ist, gesehen habe ich etwas davon, aber nicht alle Episoden. 1972 wiederholte das ZDF sieben Episoden als Kontrastprogramm zur Berichterstattung über die olympischen Sommerspiele in München; eine lobenswerte Sache. Ich weiß noch, dass mich die Ankündigung elektrisiert hat. Wieder habe ich einige Folgen gesehen, wahrscheinlich nun auch doppelt, nie aber das Ende. In der Erinnerung vermischen sich die beiden Ausstrahlungen. Und natürlich war NUMMER 6 schwarz-weiß wie alles im Fernsehen dieser Zeit. Danach tat sich viele Jahre lang nichts hinsichtlich NUMMER 6. Aber Bilder daraus waren immer präsent.

NUMMER 6: Deutsche Fernsehpremiere http://www.match-cut.de/tho/tallyho40.htm
TV Magic: http://www.match-cut.de/spec/tvm.htm
Patrick McGoohan: http://www.match-cut.de/spdln/spdln29.htm

Wer ist denn nun Nummer 1? Die Nr.6-These ist mir nicht ganz geheuer.

Nr. 6 ist Nr. 1. Metaphorisch gesehen. Wie sonst? Ein weites Feld! Ich mache es mir mal einfach und verweise auf die Episodenwürdigung von „Demaskierung“ auf meiner Website:

„Demaskierung“: http://www.match-cut.de/eps/fall.htm

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Was sagst Du zu dem „Remake“?

Ein interessanter Schlag in Wasser. Die vorab verbreiteten visuellen Eindrücke vom Village, die Dreieckshäuser in einer strengen geometrischen Anordnung, haben die Fantasie beflügelt, was das wohl werden könnte. Und da war der neunminütige Trailer, der Lust auf mehr gemacht hat. Tatsächlich ist das Ergebnis unterm Strich eine Enttäuschung. Ein völlig vergeigter Plot, der sich darin gefällt, Jump-cuts zum Erzählprinzip zu machen, vielleicht um surrealistisch zu sein, der dabei ganze Erzählstränge fallen lässt und keine konsistente Erzählung abliefert. Und wir sprechen nicht über „Sinn machen“. Denn der Original-PRISONER tut das zunächst auch nicht unbedingt, ist voller Leerstellen. McGoohan operiertmit Allegorie und Symbolismus, die die logischen Löcher im Plot sozusagen ausbügeln. Im sogenannten Remake werden daraus buchstäblich die bodenlose Löcher im Ort, weil Autor Gallagher nicht weiß, wie man Handlungsbögen spannt. Und die Umwertung am Ende ist natürlich überhaupt nicht vom Geist McGoohans beseelt (Individualismus über Gesellschaft), indem Nr. 6 zum Nachfolger des Despoten Nr. 2 wird und dessen Werk vollenden soll, wenn auch vielleicht in einem mehr humanen Sinn. Manche nennen das „zeitgemäße“ Interpretation. Jim Caviezel als Nr. 6 ist ein völliger Ausfall, er hat von der Rolle, auch mit Blick auf McGoohan, keinen Plan, während Ian McKellen die Szenerie schauspielerisch beherrscht. Aber selbst seine One-liner retten das erzählerische Defizit nicht.

Auf der Habenseite steht für mich das Produktionsdesign, die Fotografie, die Stimmung aus Wüste, Wind und Sand in manchen Szenen. Der beste Schachzug dieser Produktion war jedoch, das
Village in Namibia – und nicht in Wales – zu suchen. So vermeidet man immerhin ein Stück weit den ohnehin schon mühlsteinschweren Vergleich mit dem Original von 1967. Unter PRISONER-Fans gibt es kaum jemand, der das „Remake“ mag. Ich kenne genau zwei. Aber, ich betone, es gibt Qualitäten, die nicht in der vergurkten Story liegen. Man hat sich ohne Notauf einen Vergleich mit McGoohans Original eingelassen, und das musste in die Hose gehen.

Auf meiner Website habe ich mich lang und breit darüber ausgelassen.
THE PRISONER 2009: http://www.match-cut.de/tho/tallyho47.htm
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PRISONER ist m.E. das einzige perfekte Beispiel für das Medium Fernsehserie als Kunstform, da es in keinem anderen Medium, außer vielleicht Comic Book, so erzählt
werden kann. Ohne das serielle Prinzip würde die Geschichte nie so effektiv. Schließt das nicht einen so lange schon geplanten und immer wieder verworfenen Film aus?

Schwer zu sagen, ob McGoohan in Begriffen wie Serialität dachte, wahrscheinlich nicht.
Andererseits, ihm schwebte eine Miniserie von sieben Teilen vor, also ein Format, das damals noch nicht erfunden war. Er glaubte nicht, dass die Sache genug Substanz für mehr hätte. Das heißt, er hatte schon ein Bewusstsein fürs Format, innerhalb dessen er seine Geschichte glaubte erzählen zu können. Ob er eher stattdessen einen Kinofilm gemacht hätte, wäre er selber nicht vom Fernsehen (mit seiner langjährigen Erfolgsserie DANGER MAN) gekommen…? Lew Grade, Chef von ITC und sein Finanzier, wollte die Serie in die USA verkaufen und brauchte schon deshalb mehr Episoden. Also wurde nach der ersten Produktionsphase zunächst weitergeplant, bis das Geld ausging und man dann sehr schnell zu einem Abschluss kommen musste. Daher die seltsame Anzahl von 17 Episoden. McGoohan ging – auch deshalb – nach Hollywood, um durch seine Rolle in EISSTATION ZEBRA die Fertigstellung von NUMMER 6 zu sichern. Die Produktionsgeschichte ist, sagen wir, ziemlich ungerichtet und chaotisch verlaufen. Viel Geld wurde ganz am Anfang verbraten, das späteren Episoden fehlte. Man sieht es. Das betrifft etwa das Verhältnis der grandiosen Außenaufnahmen vom Originalschauplatz in Portmeirion und solchen, die nur im Studio entstanden sind. Oder die bis heute ohne echtes Ergebnis diskutierte „wirkliche“Episodenreihenfolge. Die Episoden wurden gesendet, sobald sie fertig waren. Eine der spannendsten Fragen ist, inwieweit das Gesamtkunstwerk NUMMER 6 planvoll zu dem gemacht wurde, was man heute sieht.

McGoohan hatte die künstlerischen und ästhetischen Freiheiten, wovon die meisten nicht mal träumen können, aber natürlich war es wie bei jeder Film- und Fernsehproduktion auch Teamwork. In den USA hatte er diese Freiheiten nie wieder. Wenn er es heute noch einmal tun könnte, dürften wir uns auf etwas einstellen, ganz sicher. Vielleicht auch im Kino, sicher bin ich nicht.
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Wie viele andere Freunde des Originals habe ich aber ein Unbehagen gegenüber“ Neuschöpfungen“ oder Remakes. Warum etwas nochmal machen, was schon existiert? Im schlimmsten Fall wird die Neuauflage immerzu am Original gemessen und als untauglich verworfen, wenn und weil sie nicht wirklich auf eigenen Beinen stehen kann. Die beste „prisonereske“ Neuschöpfung in diesem Sinn, im Geist von NUMMER 6, ist Vincenzo Natalis Film CUBE. Kein Nachäffen, sondern fortentwickeln. Ich warte auf kein Remake.

CUBE: http://www.match-cut.de/spdln/spdln49.htm#a6

Martin Gresch, Heike Gresch, Michael Brüne, Marc Christiansen, Dieter Burandt, Michael Kimpel, Andreas Marx, Jana Müller, Arno Baumgärtel, Huberta Burandt, Barbara Schlosser (Österreich); fehlt: Jürgen Staeder

Martin Gresch, Heike Gresch, Michael Brüne, Marc Christiansen, Dieter Burandt, Michael Kimpel, Andreas Marx, Jana Müller, Arno Baumgärtel, Huberta Burandt, Barbara Schlosser (Österreich); fehlt: Jürgen Staeder

Erzähle mal etwas über die deutsche NUMMER 6-Gemeinde. Wann und wie hat sie sichorganisiert?

In den 90er Jahren gab es zwei Deutsche, zu denen wir auch heute Kontakt haben, die nach Portmeirion zu Conventions gefahren sind und auch eigene Events auf die Beine gestellt haben; der eine in Hamburg, der andere in Nürnberg. Der hat unter anderem einen ganz witzigen Filmessay in Portmeirion gemacht und als Video vertrieben. Wir sind zzt. 14 Personen und regional in Hessen und Nordrhein-Westfalen verankert. Inzwischen kennen sich fast alle auch persönlich. Nicht jeder ist in dem Sinn aktiv. Die einen haben Spaß an den Fahrten zum Drehschauplatz und den sogenannten Reenactments, andere – wie ich – beschäftigt seit jeher der intellektuelle Gehalt der Serie. Will sagen, kostümieren muss ich mich nicht. Aber alle sind auf diese oder jene Art von der Figur und/oder dem Darsteller McGoohan fasziniert und selbstverständlich auch vom „Village“ Portmeirion.

links nach rechts: Barbara Schlosser (Österreich), Huberta Burandt, Andreas Marx, Jürgen Staeder, Jana Müller, Michael Brüne, Dieter Burandt, Marc Christiansen, Arno Baumgärtel, Martin Gresch, Heike Gresch; fehlt: Michael Kimpel

links nach rechts:
Barbara Schlosser (Österreich), Huberta Burandt, Andreas Marx, Jürgen Staeder, Jana Müller, Michael Brüne, Dieter Burandt, Marc Christiansen, Arno Baumgärtel, Martin Gresch, Heike Gresch; fehlt: Michael Kimpel

Was wir heute als „Nr6DE“ bezeichnen, hat etwa 2004 angefangen, als ich Michael Brüne kennen gelernt habe. Er war nicht publizistisch aktiv, ist aber auch ein Fan der ersten Stunde, von der Serie gefangen genommen. Manche Menschen haben das Fernsehbild abfotografiert.

1969 hat er alle Episoden auf Tonband mitgeschnitten und die Dialoge transkribiert. Andere Möglichkeiten, etwas von der Serie zu behalten, hatte man damals ja nicht. Michael reiste alleine zu den PRISONER-Conventions nach Portmeirion und kannte schon den einen oder anderen der Organisatoren persönlich. Während sich bei mir manche Dinge einfach nur ansammeln, ist er ein ein richtiger Sammler. Er hat zeitgenössische Artikel und Zeitungsausschnitte über die Erstausstrahlungen von NUMMER 6 und viele Memorabilia in seinem Bestand. Die Bekanntschaft mit Michael hat meiner Website einen richtigen Boost verschafft. Andere Afficionados kamen dazu. Aber das alles ist nur ein lockerer Verbund von Interessierten, keine wirkliche Gruppe oder gar ein Verein.

Michael Brüne, Marc Christiansen, Jürgen Staeder, Jana Müller, Michael Kimpel, Christine Burgard (Frankreich), Huberta Burandt, Dieter Burandt, Arno Baumgärtel, Barbara Schlosser (Österreich) Christine war an dem Theaterstück mitbeteiligt. Es fehlen: Martin u. Heike Gresch, Andreas Marx.

Michael Brüne, Marc Christiansen, Jürgen Staeder, Jana Müller, Michael Kimpel, Christine Burgard (Frankreich), Huberta Burandt, Dieter Burandt, Arno Baumgärtel, Barbara Schlosser
(Österreich)
Christine war an dem Theaterstück mitbeteiligt. Es fehlen: Martin u. Heike Gresch, Andreas Marx.

2006 brachte Koch-Media die Serie erstmals als DVD heraus.dbm000069d[1] Als Fan hat man nicht ernsthaft damit gerechnet, das noch zu erleben. Ich nicht. Wir haben mit Koch-Media Kontaktaufgenommen. Und schnell war da die Idee, eine Veranstaltung zu machen, um zu testen, wie die Resonanz auf die Serie in Deutschland denn heute ist.

Ein aktiver Laientheaterschauspieler aus Wiesbaden meldete sich bei mir. Deshalb kam es dort 2007 zum ersten Treffen als „Nr6DE. Er kannte viele Leute, besorgte den Saal und das Drumherum, die Verpflegung. Er kannte auch jemand beim Wiesbadener Kurier. Die Zeitung hat unsere Veranstaltung auf der Titelseite angekündigt, sensationell! Etwas über 30 Interessierte kamen.
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2008 gab es wieder in Wiesbaden eine Neuauflage. Diesmal hatte er ein kleines Theaterstückauf der Basis von Dialogen und Handlungsbestandteilen aus der Serie geschrieben und inszenierte es mit seiner Theatergruppe. Keiner von denen hatte vorher etwas mit NUMMER 6 zu tun. Ein großer Erfolg. Zu dem Treffen kamen wieder um die 30 Leute. Wir hatten auch
Besitzer von Lotus- bzw. Caterham Super7, wie man einen im Serienvorspann sieht, eingeladen. Drei sind mit Fahrzeug erschienen.
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2009, am 40. Jahrestag der Erstausstrahlung im ZDF, gab es ein weiteres Treffen, diesmal in einem Bürgerhaus in Gießen. Ich hatte eine kleine Ausstellung auf Displaykartons aufgebaut. Das letzte Treffen dieser Art war 2010,erneut in Gießen. Die Beteiligung war sehr dürftig, der Aufwand trotzdem hoch. Und beinahe wäre aus Zeit- und Personalknappheit alles ausgefallen. Für uns war das der Anlass zu sagen, wir machen keine solchen Veranstaltungen mehr. Lieber treffen wir uns zweimal im Jahr informell und gehen zusammen essen. Wer dazukommen will, kann das gern tun. So halten wir es seither. In der Regel treffen wir uns im Spätwinter vor der alljährlichen PRISONER-Convention und danach im Spätsommer noch einmal zu einer Nachlese, schauen Bilder und Videos an und tauschen uns aus.
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Leute, die wir getroffen haben, erzählen oft sehr Ähnliches über ihre PRISONER-Sozialisation, den unregelmäßigen Sendetermin und damit verbunden das Geheimnisvolle daran. Der weiße Ballon und der Lotus Super 7 sind Gedächtnisstützen par excellence. Diese Menschen waren wie wir um die 12, 13, 15, vielleicht 17 Jahre alt, als NUMMER 6 erstmals im ZDF lief. Letztlich ist das auch ein Stück Sozialgeschichte des deutschen Fernsehens.

Jüngere Semester kommen dagegen über andere Medien, Musik oder Comics, zu NUMMER 6. Ihre Geschichten sind anders.

Nr6DE – PRISONER-Convention.

1991 war ich das erste Mal auf einer PRISONER-Convention. Man sieht schon am Jahr, das war nach einer der Pro7-Wiederholungen und nachdem wir mehr über die Serie und das Village, Portmeirion, herausgefunden hatten. Reine Neugier, kein Fandom.

Die Conventions fanden damals noch im Spätsommer statt. Portmeirion ist eine Hotelanlage. Nach der Jahrtausendwende wollte das Management die Conventions nicht mehr in der Hochsaison haben, wenn dort viele Hochzeiten veranstaltet werden, die Geld bringen; all die seltsamen Gestalten. Heute liegen die Conventions vor oder kurz nach Ostern, was wettertechnisch Vor-und Nachteile haben kann. Ganz unvermeidlich kam der Gedanke auf, dass man doch als Gruppe zur Convention fahren könnte. Bis dahin waren praktisch immer nur Einzelpersonen gefahren. Die Fahrt 2010 musste wegen dem Vulkanausbruch auf Island ausfallen. 2011 waren wir dann zu fünft. Für mich nach 20 Jahren die zweite Convention, schon besonders, alles wiederzusehen, zu vergleichen, damals im Sommer, jetzt im Frühjahr, aber bei ähnlichen Temperaturen. Alles war sehr vertraut.
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Es war auch meine erste Übernachtung im Village, die Atmosphäre ist ebenfalls sehr speziell. Inzwischen kannte ich etliche der Organisatoren per E-Mail und abends beim Bier schließlich auch persönlich. In den Jahren danach sind immer wieder welche von uns in wechselnder Besetzung zur Convention gefahren. 12 Leute aus Deutschland, eine Frau aus Österreich war bisher Rekord. 2013 haben wir ein kleines von unserem Theatermenschen selbst geschriebenes Stück ein geprobt und vor gut 150 oder mehr Personen auf Englisch aufgeführt. Ein großer Erfolg bei den Einheimischen. Schauspielerin Bettine Le Beau, die eine Nebenrolle in der Serie hatte, war der Ehrengast und meinte hinterher im Gespräch, den deutschen Akzent hätten wir ja sehr gut hinbekommen… Sie wurde dann aufgeklärt. Die Briten sprechen mit Hochachtung über unsere Begeisterung. Nicht zu vergessen, so eine Fahrt nach Wales dauert mit öffentlichen Verkehrsmitteln fast den ganzen Tag und ist letzten Endes auch eine soziale Angelegenheit.

PRISONER-Convention 1991: http://www.match-cut.de/spec/vsb7.htm
PRISONER-Convention: http://www.match-cut.de/tho/tallyho26.htm

PortmeiriCon-2011-2_Beginn-der-Schachpartie-mit-Rover

Nr6DE – ARTE-Synchronisation.
Koch-Media hatte die vier vom ZDF 1969 weggelassenen Folgen für die DVD 2006 nur untertitelt. Um 2008 erzählte einer aus unserem Kreis, im Hauptberuf Redakteur beim WDR, dass er einen Kontakt zu ARTE hätte und dass sie sich über NUMMER 6 unterhalten hätten.

Nach und nach kam heraus, dass ARTE vorhatte, die vier Episoden „Free For All“, „The Schizoid Man“, „A Change Of Mind“ und „Living In Harmony“ neu bzw. erstmalig zu synchronisieren und zu senden! (Wir lassen hier mal die Frage beiseite, ob nur Originaltöne das Wahre sein können.) 2010 wurde NUMMER 6 nach 18 Jahren das erste Mal im Rahmen des ARTE-Schwerpunkts „Summer of the 60s“ im frei empfang baren Fernsehen wiederholt. Und nicht nur das. Alle Episoden nun mit deutschen Dialogen. Das Bildmaterial, neu abgetastet, deutlich heller, die Farben besser als je zuvor, basiert auf der britischen Network-Veröffentlichung. Mit Fug und Recht kann man behaupten, dass NUMMER 6 erst jetzt seine deutsche Fernsehpremiere erlebt hat.

Im Verlauf der Diskussionen mit ARTE wurde ich als Gewährsmann vorgeschlagen, der dafür sorgen sollte, dass die Neusynchro, soweit es ging, an den Geist der 69er von Joachim Brinkmann (1928 – 2015) anknüpfte. So etwas lässt man sich nicht entgehen. Ganz wichtig war zum Beispiel der gesprochene Prolog. Da heißt es: „Wo bin ich?“ Und die
(Brinkmannsche) Antwort: „Sie sind da.“ Der musste selbstverständlich erhalten bleiben. Denn unvergessen war nämlich, was Koch-Medias Untertitelautor 2006 daraus gemacht hatte:
„Wo bin ich?“ „Im Dorf.“

Bernd Rumpf

Bernd Rumpf

Die von Dialogregisseur Frank Wesel vorbereiteten deutschen Skripte kamen bei mir an. Es gab einige Telefonate über Details, auch mit der zuständigen Person bei ARTE. Ich habe Wesel meine Vorschläge, Bemerkungen und Änderungen geschickt. Wir hatten einen guten Austausch unter anderem über die schwierige Eindeutschung mancher Begriffe aus „A Change Of Mind – Sinneswandel“, hier ganz besonders „unmutual“. Wesel hat manches, nicht alles, beherzigt. Aber unter dem Strich ist eine hervorragende Synchronfassung entstanden.

Patrick McGoohans deutsche Stimme war 1969 in 13 Episoden die von Horst Naumann gewesen. Als das Vorhaben ARTE-Neusynchro die Runde machte, kam von Tobias Becker, einem Experten in Sachen Stimmenidentifizierung (er betreibt das sog. „Synchronforum“, einen Blog), der Vorschlag, Bernd Rumpf zu nehmen. ARTE hat es getan. Rumpf konnte und wollte und wurde mit Erfolg zur neuen deutschen Stimme von Patrick McGoohan. Horst Naumann war zu Testaufnahmen eingeladen worden. Aber letztendlich entschied ARTE sich gegen ihn, weil seine Stimme (wie man nach Ansicht des Interviews von 2015 bestätigen kann) wirklich deutlich gealtert ist, seine Persönlichkeit dagegen nicht.

Nr6DE: http://www.match-cut.de/nr6de/nr6de.htm
Portmeirion: http://www.match-cut.de/spec/portm.htm
Sir Clough Williams-Ellis: http://www.match-cut.de/spdln/spdln13.htm

ARTE bringt NUMMER 6 zurück ins Fernsehen: http://www.match-cut.de/tho/tallyho49.htm
Joachim Brinkmann, Injektionen: http://www.match-cut.de/spdln/spdln139.htm

Wie kam es zu Deiner Prisoner-Page, die ja zu den langlebigsten TV-Pages in Deutschland gehört?

Ja, unglaublich, wie viel Zeit vergangen ist. Angefangen hat es 1989 mit der Wiederholung von NUMMER 6 auf Pro7. Für mich Gelegenheit, die Serie das erste Mal seit 1972 wiederzusehen. Ich wusste nicht, dass NUMMER 6 schon um 1984 auf Sat1 bzw. dessen Vorläufersender gelaufen war, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit nur für Menschen
mit Kabelanschluss. Aber damals ist NUMMER 6 auch aus anderen Gründen an mir vorbeigegangen. Mein Plan war, einen Artikel zu schreiben und zu versuchen, ihn an ein Magazin oder eine Zeitung zu verkaufen. Die Serie war in meiner Erinnerung immer etwas Besonderes gewesen und hätte eine bessere publizistische Würdigung verdient gehabt.
McGoohan[1]

Jedenfalls hatte man jetzt die Möglichkeit, die Serie aufzuzeichnen. Die vier nur englischen Episoden waren auch bald beschafft, in dritter oder vierter Kopie einer Kopie. Verwaschene Bilder und Farbausfälle gehörten dazu. Irgendwann fand sich auch Sekundärliteratur. In Gary Geranis und Paul Schulmans „Fantastic Television“ habe ich das erste Mal den Namen Portmeirion, der Drehschauplatz in Wales, gelesen. Ein Ah-Erlebnis erster Güte. Ich habe mir die Episoden mehrfach angesehen, mir Notizen gemacht, alles, was mir daran auffiel. Und das anfangs ohne Hilfsmittel, bis irgendwann auch Literatur da war. So entstand ein Artikel von vielleicht 12 A4-Seiten, dazu kurze Episodenbeschreibungen. Verkauft habe ihn nicht, sicher fehlten mir auch Kontakte. Und es gab ständig neue Erkenntnisse, die dazu geführt haben, dass ich den Text immer wieder umgeschrieben und ergänzt habe. Irgendwann war die ursprüngliche Absicht, ihn zu veröffentlichen, in den Hintergrund geraten. „Wir sehen uns! oder: Lannée dernière au Village“, der Artikel, wurde zu einer intellektuellen Beschäftigung für mich selbst, wie eine Modelleisenbahn, die nur die wenigsten Leute öffentlich zur Schau stellen.

Mitte der 90er Jahre hatte ich null Ahnung von PCs, aber doch Zugang zu einem, wo ich die ersten auf einer mechanischen Schreibmaschine getippten Seiten erfassen und bearbeiten konnte. 1998 war ich bei einer vom Arbeitsamt bezahlten Weiterbildung im Bereich Multimedia. Die so gewonnenen Computerkenntnisse in HTML und Bildbearbeitung waren wiederum der Anstoß für die erste Version meiner Website. Das war 1999. Der äußerst spartanisch aufgemachte Artikel wurde auf dem Webspace meines Mitbewohners gehostet. Auffindbar im noch neuen Internet war er faktisch nicht. Auch Google gab es noch nicht oder war noch unbekannt. 2001 habe ich meine Domäne „match-cut.de“ registriert. Eigentlich mit der Absicht, außer über NUMMER 6 auch über andere Filme zu schreiben oder Artikel von Bekannten zu veröffentlichen. Deshalb hat der Name mit NUMMER 6 nichts zu tun. Seit ein paar Jahren existiert nun auch der sprechende Name „nummer6-theprisoner.de“. Einfach, um die Internetpräsenz zu betonen und weil ich mir eine TLD sichern wollte, bevor es keine passende mehr gab. Es existiert außerdem der Domänname „nummersechs.de“, von einem
PRISONER-Begeisterten registriert, von dem wir leider schon Jahre nichts mehr gehört haben.

PortmeiriCon-2011-5_Election-campaign

„nummer6-theprisoner.de“ richtet sich in erster Linie an Deutsche, weite Teile sind aber parallel auf Englisch, alles von mir selbst verfasst. Lange Zeit ist nicht sehr viel auf der Website passiert. Hin und wieder eine Texterweiterung, Websitepflege. Der letzte wirklich große Umbau war 2005. Das Frameset entfiel, und die Website wurde für den Grimme-Preis angemeldet. Ich war nicht unter den Gewinnern… Ab 2003, 2004 stand ich mit Larry Hall, einem der Mitbegründer von „Six Of One“ in Großbritannien in Kontakt. Der hatte seine eigene sehr umfangreiche und vor allem thematische Website, die heute nicht mehr online ist. Er wiederum hatte mit Michael Brüne (weiter oben im Text) zu tun, den ich daraufhin angeschrieben habe. Eins kommt zum anderen.
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Seit dieser Zeit ist „nummer6-theprisoner.de“ ständig gewachsen. Rund um den alten Basistext sind nach und nach die verschiedensten Artikel erschienen, über dieEntstehungsgeschichte der Serie, das frühere MGM Studiogelände, wo Teile von NUMMER 6 gefilmt wurden. Über den Ort Portmeirion und Clough Williams-Ellis, den Erbauer; die Häuser, über Wales selbst, über Kleinigkeiten am Rande. Auch Theorie und Episodenwürdigungen (ich sage bewusst nicht: Analysen) kommen nicht zu kurz. Nicht alles ist von mir selbst geschrieben.

Quellen sind unter anderem Beiträge aus älteren „Six Of One“-
Mitgliedermagazinen, meistens in meiner Übersetzung, hier und da auch zweisprachig, die sonst nie den Weg aus der Szene an die Öffentlichkeit gefunden hätten. Der wesentlicheUnterschied meiner Webpräsenz zu der etwa von „Six Of One“ ist der historisch-kritische Ansatz, um die leicht angestaubte Vokabel zu bemühen. Überspitzt gesagt, erfährt man dort eigentlich nur, wie prima die Serie ist und was an Fanaktivitäten passiert (ist). Entweder ich schreibe selbst, oder ich stelle zusammen, was meiner Meinung nach zum Diskurs NUMMER 6 gehört. Denn das ist es: ein Diskurs, der sich durch unterschiedliche Medien zieht. „nummer6-theprisoner.de“ ist das Umfangreichste über NUMMER 6 in deutscher Sprache im Internet. Kann man, glaube ich, behaupten.

NUMMER 6 als Diskurs: http://www.match-cut.de/spdln/spdln105.htm
„RESOLUTION“: http://www.match-cut.de/spdln/spdln108.htm
Der akademische PRISONER: http://www.match-cut.de/tho/tallyho21.htm
Wir sehen uns! Oder: L’année dernière au Village
http://www.nummer6-theprisoner.de
Six Of One – The PRISONER Appreciation Society
http://www.sixofone.co/
Arno Baumgärtel, April 2016 – WIR SEHEN UNS!

Appendix I:
Meine Fernsehserienzeit endet um 1973 oder kurz danach. Das Meiste ist Erinnerung, und zwar nicht an Handlungen und ausgefuchste Episoden, sondern an die Vor- und Abspänne, die Titelmusiken und die Figuren. FAMILIE FEUERSTEIN, BEZAUBERNDE JEANNIE, JOHN DRAKE, JOHN KLINGS ABENTEUER, RAUMPATROUILLE, KOBRA – ÜBERNEHMEN SIE! – und eben NUMMER 6. In den 1980er Jahren war die LINDENSTRASSE die einzige Serie, die ich regelmäßig verfolgt habe, bis es irgendwann auch mit Videoaufzeichnungen nicht mehr ging. In der Neuzeit gibt es nur drei Serien, die ich verfolgt habe bzw. verfolge: PROFILER, 24 und HOMELAND. Für mehr reicht die
Lebenszeit einfach nicht.

Appendix II:
„Wir sehen uns! Oder L’année dernière au Village“ ist von Beginn an der eigentliche Titel meiner Website. Ob und was der eventuell mit einem gewissen Kinofilm von 1961 zu tun hat:
http://www.match-cut.de/spdln/spdln40.htm

Appendix III:
Außer Harald Keller, Autor der drei Bände „Kultserien und ihre Stars“, mit einem Kapitelüber NUMMER 6, schätze ich den US-Amerikaner Alan Shapiro als bekennenden PRISONER-Fan, Gelehrten und Freund.

Harald Keller: https://untergeschoss.wordpress.com/
Alan Shapiro: http://www.alan-shapiro.com/?s=prisoner&x=0&y=0E

WIR SEHEN UNS!

https://www.youtube.com/watch?v=8kHE4B5o8XM

 



MIC‘s Tagebuch. Knapp vor den Iden des März… by Martin Compart

 

A GAME OF PAWNS

Die sogenannten Qualitätsserien, die seit der Online-Offensive Investorcapital gepushter Streaming-Anbieter wie Netflix oder Amzon (die mittlerweile auch Emmy-Sieger produzieren) Flatscreens jedweder Größe heimsuchen, sind in der Regel nichts anderes als in Hochglanz verpackte Ideologie. Sie perpetuieren die Ideologie einer Kultur, die jedem Einzelnen totale Individualisierung und Freiheit vorgaukelt und dabei verschweigt, dass diese nur demjenigen zustehen, der sich die individuelle Konsumentenfreiheit auch leisten kann. („Nichts ist umsonst. Wer nicht mit Geld bezahlt, der bezahlt eben mit seinen Daten“, sagt Facebook-Milliardär Mark Zuckerberg.)

In ihrer schonungslosen Offenheit, jedes nur erdenkliche Thema dramatisch aufzubereiten und abzuarbeiten, ob Ranküne in der Politik, transsexuelle Verwandlung in Suburbia oder schizophrene Hacker im Überwachungsstaat (um nur jüngste Erfolgsformate zu nennen), beackern die Fernsehserien – oder sollte man nicht besser „serielle Erzählformate“ sagen? – die unleugbaren Widersprüche unserer Gesellschaft. Eingebettet in die uralten Regeln des Dramas und moderne visuelle Erzählmuster, findet der Zuschauer Verhaltensbeispiele für den eigenen Umgang mit diesen Konflikten. Wenn diese ihn nicht betreffen oder er den eigenen Umgang scheut, so hat der Zuschauer zumindest eine empathische Teilnahme erfahren. (Es soll ja noch Verfechter der aristotelischen Katharsis-Theorie geben, die behaupten, das allein genüge.)

Was der Seelenhygiene dienlich erscheint, wirkt auf den zweiten Blick ernüchternd. Diese „thematische Auseinandersetzung“ ist nichts anderes, als die krampfhafte Suche nach einer neuen Oberfläche, auf der immer gleichlautende Botschaften verkündet werden: „So ist das Leben, nimm es an, amüsier dich und fühl dich besser, schwimm brav weiter mit, geh shoppen, usw.“ Die Werte dieser Serienwelten scheinen die Werte friedlich koexistierender Menschen zu sein, vielmehr von Menschen mit der Absicht friedlich zu koexistieren, was naturgemäß nicht einfach ist und deshalb tagtäglich mittels unmittelbarem Zwang oder Dronenbeschuss oder Vorratsdatenspeicherung realisiert, respektive verteidigt werden muss.

Jeder ist seines Glückes Schmied.

Jeder ist seines Glückes Schmied.

Um welche Werte handelt es sich dabei? Salopp formuliert um folgende: Du allein bist für dein Leben und dein Glück verantwortlich; Du musst kämpfen, damit dir etwas gehört; Du musst schützen, was dir gehört; Du musst deine Familie schützen und die Schwächeren in deiner Welt; Die Guten sind klar auszumachen und die Bösen auch (es sind immer die anderen); Der Zweck heiligt die Mittel; Der Kampf gegen das System ist dumm, denn das System ist gut und muss darum gegen alle verteidigt werden, die es bedrohen. (Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)

Wer genau hinsieht, der erkennt sofort, es handelt sich um Besitzstanddefinitionen, um Varianten der Unterscheidung von mein und dein, von Freund und Feind, von Habenden und Habenichtse – Letztere sind zudem noch neidisch – um die klare Trennung zwischen Subjekt und Objekt.

Denn diese unsere Wirtschaftsordnung, die nicht nur unser ganzes Leben bis in seine kleinste Kleinigkeit dominiert, die unsere Spezies dazu bringt, wieder besseren Wissens ihre eigenen Lebensgrundlagen völlig zu zerstören, die es schafft, jede Gesellschaftsordnung zu transzendieren, und die es vermag sämtliche systemischen Widersprüche scheinbar aufzuheben, beruht einzig auf dem Prinzip dieser Trennung. Sie bedient sich dabei geschickt des biologischen Grundtriebs des Homo sapiens, seinem Arterhaltungstrieb, der sich in Selbsterhaltung der Person und in der Fortpflanzung manifestiert: in Eigennutz und Sex. (Alle weiteren Verhaltensweisen sind nichts anderes als bewährte, opportune Muster, die das Ziel der Arterhaltung erleichtern.) Egoismus und Sex sind die Triebfedern jedes Werbespots (sogar ein Bestattungsunternehmen wirbt mit geilen letzten Chillplätzen). Womit wir wieder beim Bewegtbild und seinen Inhalten angelangt wären.

Meine These zusammengefasst lautet: Alle modernen TV-Serien untermauern die Ideologie des Status quo, ihre Gesellschaftskritik ist nur ein Ventil für die unleugbaren Widersprüche der Lebensrealität der Zuschauer – ob diese sie bewusst empfinden oder nicht, ist dabei ohne belang – und zementieren somit die vorherrschende, kapitalistische Ideologie. Und solange sie das 1. Gebot der Unterhaltung befolgen, „thou shalt not be boring”, ist der Erfolg dazu auf ihrer Seite.

(Kleiner Nachtreter: Ein Gebot, gegen das deutsche Formate in der Regel verstoßen, weshalb diese auch hauptsächlich von Leuten ohne Internet oder grenzdebiler Klientel geschaut werden.)

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Mir fallen nur zwei echte Ausnahmen in der großen, weiten Serienwelt ein. Die erste ist „The Prisoner”, als deren Mastermind Patrick McGoohan zeichnete, die zweite ist „Deadwood” von David Milch. Keine andere Fernsehserie reicht in ihrer scharfsinnigen, gesellschaftlichen Analyse und der damit verbundenen, schonungslosen Kritik an diese beiden Formate heran. Keine.

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Jetzt werden die ausgefuchsten unter den Lesern ausrufen, „mitnichten, viele Serien differenzieren viel stärker, ihre Kritik ist eben subtil”, andere werden Worthülsen wie „Nihilismus und Zynismus” unterbringen. Das ist bestimmt euer gutes Recht, ändert aber an den Tatsachen nichts.

In der Realität des Jahres 2016 sind wir „McGoohans Prisoner“, Geiseln der schönen neuen Streaming-Serienwelt: We all are held hostage by America TV. We all are in a Game of Pawns.

Post Scriptum: Schaue im Selbstversuch abwechselnd „The Prisoner“ und „House of Cards“. Läuft die amerikanische Version des grandiosen BBC-Originals geschmeidig wie Ben & Jerry‘s Eiskrem durch (binge watching), so wirkt die bald 50 Jahre alte Prisoner-Serie derart intensiv auf Sinne und Verstand, dass es eines zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Folgen bedarf, zum emotionalen Nachschwingen und zur Reflexion. Sie ist heute aktueller denn je. Unglaublich.

Post Post Scriptum: Die beste Entlarvung des Kapitalismus im Kino ist nach wie vor John Carpenter’s „They Live“ von 1988. Dieser Film müsste für Grundschüler Pflicht sein.



SPYTHRILLER/TV: GEHEIMAUFTRAG FÜR JOHN DRAKE by Martin Compart

Zwar gab es bereits in den 1950er Jahren ein paar US-Serien, die Geheimagenten und die Welt der Spionage (etwa FORREIGN AFFAIRS) thematisierten, aber erst in den 1960ern, im Windschatten von 007, wurde der Geheimagent auch zur TV-Ikone.

Und wie es sich für Spythriller gehört, machten die Briten den Anfang.

Ausgedacht hatte sich die Serie DANGER MAN der Australier Ralph Smart. Als Regisseur und Drehbuchautor hatte er in den 50er Jahren für die Produktionsgesellschaft von Lew Grade (der später auch für Hits wie THE SAINT, MAN IN A SUITCASE, PRISONER oder FRIENDLY PERSUADERS verantwortlich zeichnete) bei Serien wie ADVENTURES OF WILLIAM TELL, ROBIN HOOD oder THE INVISIBLE MAN mitgearbeitet.

Ende der 1950er Jahre entwickelten sich Agentenromane zu einem der erfolgreichsten literarischen Genres. Ian Flemings beginnender Welterfolg sorgte für ein starkes Interesse am Spythriller. Die Geheimagenten lösten die harten Privatdetektive in der Gunst der Krimileser ab.

Smart und andere Produzenten erkannten dies. A

ber noch bevor etwa MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE das Fernsehen eroberte oder JAMES BOND weltweit über die Leinwände raste, entwickelte Smart das Konzept für die erste Agentenserie modernen Stils für das Fernsehen. Ganz klar war er von Ian Flemings Bond-Romanen beeinflusst, als er Drake konzipierte.

Auch Drake reiste zu den exotischsten Orten, um im Auftrag des Westens für Ordnung zu sorgen. Lew Grade war sofort von der Serie angetan, mit der er den Sprung in den amerikanischen Prime Time-Markt schaffen wollte.

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McGoohan sollte für den Erfolg von DANGER MAN ähnlich wichtig werden wie Sean Connery für Bond (die deutsche Stimme ist die von Heinz Drache).

Als Smart die Serie vorbereitete, hatte er keinen bestimmten Schauspieler im Auge. Erst als er McGoohan, der 1959 als bester Fernsehschauspieler und bester Bühnenschauspieler ausgezeichnet worden war, in dem TV-Film THE BIG KNIFE gesehen hatte, wusste er, wen er als John Drake haben wollte.

McGoohan akzeptiert Grades und Smarts Angebot nur mit Vorbehalt: Die Drehbücher, die Drake im Stile Bonds als schießfreudigen Frauenhelden zeigten, mussten geändert werden. Er wollte keine unnötige Gewalt und vor allem keine „unmoralischen“ Frauengeschichten für Drake. „Ich versuchte Drake so geheimnisvoll wie möglich zu machen. In der Hoffnung, daß kein Zuschauer sicher war, was Drake in der nächsten Sequenz anstellen würde. Seine gefährlichste Waffe sollte keine Pistole sondern seine Intelligenz sein“, erinnerte sich der Schauspieler. Aber natürlich konnte keine Action-Serie ohne physische Aktion auskommen. Aber statt unentwegt in Schießereien, ließ man Drake so oft wie möglich in Prügeleien geraten. Heraus kamen dabei einige der wildesten Schlägereien der damaligen Fernsehgeschichte. Nicht selten flog der Gegner meterweit durch den Raum, wenn er Drakes Dampfhammer auf die Nase geknallt bekam. Trotz aller Unwahrscheinlichkeiten achtete man darauf, dass Drake nicht zum Superhelden wurde.

Auch die Geschichten waren relativ nahe an den politischen Gegebenheiten der Zeit: Drake infiltrierte ein IRA-Kommando, sicherte Öl-Interessen am Golf, beschützte Überläufer, ging gegen indische Giftgasfabriken vor oder destabilisierte Diktaturen, die dem Westen unfreundlich gesonnen waren. Seine Aufträge führten ihn um die ganze Welt: Ferner Osten, Paris, Afrika, Kashmir – nur exotisch mußte es sein. Gedreht wurde aber, abgesehen von Außenaufnahmen in Schottland oder englischen Grafschaften, in den Elstree-Studios. Vier Tage dauerte es, um eine Folge abzudrehen. Ein Second Unit-Team unter Regisseur John Schlesinger sorgte für die Außenaufnahmen und für Stock Shots von den exotischen Handlungsorten. Für die zweite Folge, VIEW FROM THE VILLA, wurden die Außenaufnahmen in Portmeirion gedreht, das hier als italienischer Handlungsort diente und als Village in NUMMER.6 (PRISONER) unsterblich wurde!

Am 11.September 1960 strahlte der kommerzielle Sender ITV die erste Folge aus.

DANGER MAN wurde schnell ein Riesenerfolg im britischen Fernsehen, und Lew Grade konnte die Serie an das US-Network CBS verkaufen. Im Sommer 1961 ersetzte DANGER MAN auf CBS Steve McQueens Westernserie WANTED: DEAD OR ALIVE. Aber dieser Sommerersatz wurde von den amerikanischen Zuschauern kaum wahr genommen. Gerade war in England die 2.Season produziert worden, und Lew Grade, enttäuscht über die schlechte Resonanz in den USA, ließ DANGER MAN stoppen. Inzwischen waren aber die Auslandsverkäufe in Europa so gut angelaufen, daß man über eine Fortsetzung der Serie nochmals nachdachte.

Bevor die Dreharbeiten aber wieder aufgenommen wurden, sollte einiges verändert werden: Künftig sollten die einzelnen Folgen doppelte Länge haben. Außerdem arbeitete Drake nicht mehr für die NATO, sondern für MI9, eine fiktive Abteilung des britischen Geheimdienstes.

Die längeren Folgen erlaubten komplexere Geschichten und tiefere Charakterisierungen. Zwei Seasons wurden in dem neuen Format produziert, und noch heute geraten die Fans ins Schwärmen, wenn sie an diese Episoden denken. Leider hat man sie bei uns nie komplett ausgestrahlt.

Die neue Serie begann am 13.Oktober 1964 und brachte es auf 45 Folgen. Es folgte noch der legendäre Zweiteiler KOROSHI, der in Farbe gedreht wurde und verschiedentlich als 90-Minüter gezeigt wurde. Aber McGoohan hatte, trotz des relativen Erfolges der neuen Serie in den USA, genug von DRAKE und besuchte Lew Grade mit dem Konzept zur späteren Kultserie PRISONER, die auf der Grundidee des Spionaromanautors und Drake-Storyeditors George Markstein basierte.

Der von der Serie inspirierte Song SECRET AGENT MAN von Phil Sloan und Steve Bass, gesungen von Johnny Rivers, schaffte es hoch in die Hit-Paraden zu kommen.

Consul-0802 Leslie Danger Man Hell for Tomorrow[1]Unter dem Namen Ralph Smart veröffentlichte der deutsche Signum Verlag einen John Drake-Roman, in dem Drake dem weiblichen Geschlecht sehr zugetan ist und nichts mit der Serie zu tun hat: Ralph Smart: Mord auf Bestellung, Signum Krimi 105, 1962.

Weitere Romane:

W.Howard Baker: Departure Deferred, Consul Books 1965. Storm Over Rockall, Consul Books 1965.
Peter Leslie: Hell for Tomorrow, Consul Books 1965.
W.A.Ballinger: Exterminator, Consul Books 1966.
Wilfred McNeilly: No Way Out, Consul Books 1966.

Heftromane:
GEHEIMAUFTRAG FÜR JOHN DRAKE: Marken Verlag, Köln. Nr.1, 1963 – Nr.390, 1976.

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Comics:
JOHN DRAKE: Bildschirm Vlg. Nr.1-2,1967.
DANGER MAN: Four Color Comic 1231, 1961.
SECRET AGENT: Gold Key, Nr.1-2, 1966, 1968.

Literatur:
Alain Carrazé & Héléne Oswald: The Prisoner, W.H.Allen 1990.
Dave Rogers: The Prisoner & Danger Man, Boxtree 1989.
Matthew White & Jaffer Ali: The Official Prisoner Companion, Warner Books 1988.

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