Martin Compart


NACHLESE 2015 by Martin Compart
25. Dezember 2015, 1:12 pm
Filed under: Listen, Nachlese 2015, Rezensionen | Schlagwörter:

rolf-2[1]DR.HORROR

1.Fiction/Crime Fiction

Ein spannendes Jahr, das kein deutscher Autor eingefangen hat. Konflikte ohne Ende: Mord und Totschlag, Krieg, Euro-Angst, Rechtsextremismus. Crime ohne Ende. Die Inhalte von Orwells „1984“ waren für uns damals abschreckend. Heute sind die Kleinbürger auf Überwachung konditioniert. Unbedingt mehr Überwachungskameras, denn die Terroristen gehen um. Ein großer Stoff, der auf der Straße liegt. Dafür muss man noch nicht mal die Welt vermessen.

 

2.Non-Fiction

PUTIN: INNENANSICHTEN DER MACHT

Ohne Putin wäre die Welt um einen unterhaltsamen Menschen ärmer. Hätte man zu wählen zwischen Peter Altmaier oder Putin, fiele die Wahl leicht.

Eine Art selbst inszenierter James-Bond-Typ im Kreml. Der könnte glatt einspringen, wenn Daniel Craig nicht mehr will.

 

  1. TV-Serie und/oder Film

GOMORRHA 

TV-Serie: exzellente Darsteller, sehr körperlich, extrem, kontrovers, raubtierhaft.

Dagegen ist der deutsche „Tatort“ Biedermeier.

Film: Viel gesehen, viel vergessen.

VICTORIA war einer der wenigen herausragenden deutschen Filme, nicht weil angeblich alles in einem Durchgang gefilmt wurde (vermutlich mit digital geflickten Übergängen), sondern auch der Akteure wegen. Sonst ist es eher eine Qual, deutsche Darsteller vor der Kamera chargieren zu sehen.

 

Ach ja, ANOMALISA: ein kleiner Film, eine simple Liebesgeschichte in einem Hotel, aber alles Stop Motion.

 

Die Riesensachen: zum Schluss STAR WARS: Ein Kollege schrieb: The Force Repeats Itself. Von Disney/Lucasfilm-Buchhaltern geschrieben, nicht von Autoren.

 

 

ALEX FLÜCKIGER

42478[1]Fiction:

Maylis de Kerangal: Die Lebenden reparieren.

Geschichte einer Organtransplantation, erlebt aus allen erdenklichen Perspektiven.

 

Crime Fiction:

Richard Price: Die Unantastbaren.

Komplexer, hochrealistischer Polizeiroman aus dem nachtschwarzen New York mit unvergesslichen Charakteren und meisterhaften Dialogen.

Passend dazu:

Der Fotoband von Wilfried Kaute: Wenn es Nacht wird. Verbrechen in New York 1910-1920.

Schwarz-Weiss-Aufnahmen aus dem New Yorker Polizeiarchiv.

 

TV/Film: Nichts, das haften blieb.

 

 

Nachgekarrt – Lese 2015 die 2te

von MiC

2015 ist noch nicht völlig am Ende, zumindest kalendarisch noch nicht, da mosert so manch ein Blogbeiträger, „wie der MiC find‘ nix gut an dem Jahrgang, kein Buch, keinen Film? Der hat doch keine Ahnung”. Recht haben die anonymen Beiträger. Er hat keine Ahnung, dafür eine Meinung.

Zu meinem Buch des Jahres erkläre ich somit die 2015er Ausgabe des rollierende Fünfjahresplan der chinesischen KP, in dem die Kapitel „frische Luft für den Fortschritt” und „weniger wachsen ist auch kein Ausweg”, der Zensur zum Opfer fielen. Belegexemplare sind über die Botschaft der VR auf Anfrage und gegen Nachnahmegebühr zu beziehen. Wer sich beeilt, der kann sich den auf Mandarin verfassten Schinken noch rechtzeitig zur Bescherung auf den Gabentisch knallen, inklusive leuchtend rotem Geschenkpapier mit goldenem Zierband und schicker Fertigschleife.

Mein Film des Jahres wird ausgemacht zwischen Sicaro (bei dem das Ende übel schwächelt) und Beast of No Nation, beide Werke echte Ernte 2015. Ich muss aber noch sehen, wie es ausgeht.

Überhaupt ist es eine absolute Unsitte, künstlerische Werke in dieser Form zu bewerten. Geschmack ist keine Qualitätskategorie, sondern ein Konsumsortierkriterium, und als solches natürlich abzulehnen. Daher weiter mit Widerspruch…

Enttäuschung des Jahres: House of Cards, Season 3; True Detective, Season 2 – diesen Müll habe ich mir tatsächlich angeschaut.

Ungesehene Enttäuschung: The Gunman – diesen Müll habe ich wohlweislich vermieden anzusehen.

 

Frau des Jahres:          Laverne Cox

Mann des Jahre:         Ian Harvie

Satz des Jahres:          Die SPD wählt Merkel zur Kanzlerkandidatin

Runner up: Die PKW-Maut kommt.

Wort des Jahres: Konsequenthärtereschengenraumaußengrenzenkontrollendamitdiewirschaftsasisdraußenbleiben

 

Heldentat des Jahres: Bundeswehr klärt Syrien auf.

Unternehmen des Jahres: Krauss-Maffei, knapp vor Rheinmetall und Heckler & Koch

Gericht des Jahres:     Ein Teller Würselen mit Bockwurst und Brot

Abgang des Jahres:    Der Sinn ist wirklich weg.

Attentat des Jahres:    Die Troika und Rolli-Schäuble plätten Syriza.

 

Zum Schluss meine CD des Jahres:   Supreme Galore, From Deep Blue Sea to Nothingness – grandioses Debüt!

In der nach unten offenen Bodenlosigkeitsskala war 2015 schon klar hinter 2014. 2016 wird garantiert noch niveauloser – laut Kaffeesatzbefragung. Außerdem sind in Peru alle Silvesterknaller bei einer Testzündung auf einmal hochgegangen. Jetzt soll es ein stilles neues Jahr werden. Wohlan.



MANN DES JAHRES by Martin Compart
21. Dezember 2015, 9:51 am
Filed under: Afrika, Eeben Barlow, Politik & Geschichte

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2010 beim St.Petersburger Wirtschaftsforum.

Dieser Mann hat innerhalb von vier Monaten Boko Haram aus Nigeria rausgeworfen. Dann hat man Eeben Barlow und seine Firma STTEP – wahrscheinlich auf Druck der Amerikaner und Briten – aus Nigeria rausgeworfen. Seitdem ist Boko Haram wieder aktiv und erfolgreich. Für mich ein Indiz, dass man den IS und seine Verbündeten gerne bekämpft, aber nicht besiegen will. Aber ich bin bekanntlich paranoid.

http://www.sttepi.com/default.aspx



NEWS: zum 100.Geburtstag des Agenten-Thrillers by Martin Compart
17. Dezember 2015, 4:09 pm
Filed under: John Buchan, NEWS | Schlagwörter: ,

Auf dem FLASHMAN-Blog würdige ich den 100 Geburtstag von John Buchans THE 39 STEP und die Ignoranz des deutschen Feuilletons diesem populärkulturellem Großereignis gegenüber.

https://compartsflashman.wordpress.com/

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EINE ART JAHRESRÜCKBLICK 1 by Martin Compart
16. Dezember 2015, 10:13 am
Filed under: Bücher, NEWS, Rezensionen, TV-Serien | Schlagwörter: , , , ,

 

Auch mein Blog schreckt vor einer Art Jahresrückblick nicht zurück. Deshalb habe ich ein paar prominente Experten befragt, was sie 2015 besonders beeindruckt hat. Hier die ersten Ergebnisse für die Kategorien:

1.Fiction/Crime Fiction

2.Non-Fiction

3.TV-Serie und/oder Film

4.Enttäuschung des Jahres.

 

01b-1121x12801[1]PETER HIESS:

Fiction:

James Carlos Blake – Pistolero (Liebeskind)

  1. Die schönste Outlaw-Geschichte seit langem. Und ein Auftrag, wieder mehr gute Western zu lesen.
  2. Non-Fiction:
  3. Jeff Archer – Uncle Sam’s erster Kolonialkrieg in der Alten Welt (Ahriman). Weil es gut ist, eine Alternative zu den geschichtsverfälschenden Kriegshetzer-Stories der Lügenpresse zu lesen. Ja, es war ein Überfall – ja, die Gründe waren billige Vorwände – ja, es war ein Angriffskrieg der Monopol-Imperialmacht der Gegenwart.

Serie:

Penny Dreadful, Season 2

Frankenstein, Dracula, Werwölfe, Dorian Gray, Hexen, viktorianisches London … und in Staffel 3 sollen auch Dr. Jekyll und sein Alter ego eine wichtige Rolle spielen. Man muß kein Goth sein, um diese Serie zu lieben.

ENTTÄUSCHUNG DES JAHRES:

„True Detective 2“: War schon die (von den postmodernen Ironiedeppen) zu Tode gehypete erste Staffel im Endeffekt eine Enttäuschung – Was war denn jetzt mit dem „King in Yellow“? Warum mußten wieder irgendwelche inzüchtlerischen Rednecks die Mörder sein? Und können zwei Schauspieler noch selbstverliebter agieren? -, so brachte Season 2 selbst Fans spätestens bei der dritten Episode zum Abschalten. Eine schlecht konstruierte Story, durchwegs unsympathische und noch dazu von unsympatischen Schauspielern dargestellte Figuren und eine tödlich langweilige Inszenierung … thanks, but no thanks. Da schauen wir uns lieber „Justified“ oder „The Shield“ noch einmal an.

 

MiC:

1.Fiction/Crime Fiction nichts, was 2015 erschienen ist.

2.Non-Fiction nichts, was 2015 erschienen ist.

A tie:  Xenophon, The Persian Expedition, Penguin Vintage – großes Abenteuer und große Selbstdarstellung, das vielleicht längste Bewerbungsschreiben der Welt, und, The Peregrine, J.A. Baker, NYRB-classics – perfekte Naturbeobachtung, ein Mann wird eins mit einem vom Aussterben bedrohten Falken Essential for a writer: Shakespeare, Peter Ackroyd – was für ein Buch, Shakespeare und seine Zeit, aus Sicht seiner Zeit, riesig – Collected Letters of John Steinbeck, Penguin – Steinbecks unbeabsichtigte Autobiografie, Briefe von den 1920er Jahren bis 1968.

3. TV-Serie und/oder Film 2015 Reality-Series:

Hunted 2015, Channel 4 – der Überwachungsstaat führt sich und uns alle vor…   Docu-Serie: Jinx, HBO – ein Mörder entlarvt sich selbst oder auch nicht, True Crime at ist best Drama-Serie: Mr. Robot, USA-Channel – die mit Abstand originellste Serie in diesem Jahr… Storylines, Charaktere, visuelle Umsetzung, Maßstäbe setzend Dieses Jahr erst gesehen… A tie, Drama-Serie: Happy Valley, BBC; Silk, BBC; Boss, Starz – großartige Charaktere, grandiose Schauspieler, phantastische Scripte Beste Folge einer Drama-Serie seit Deadwood: Boss, Season 1, Episode 7 – elliptisch, gigantisch, Mayor Tom Kane’s Charakter völlig entlarvt. Docu-Film: Seduced & Abandoned, James Toback – beste Innensicht auf Kino, Liebe, Leidenschaft und die leidige Sache mit dem Geld.

 

frank_nowatzki[1]FRANK NOWATZKI:

Fiction:

Sven Heuchert, Asche. Stories. Bernstein Verlag.

Der Sound der Suburbs mal auf deutsch: Hier erzählt einer über Loser, Malocher, Kriminelle und Säufer in der Provinz und er hat seinen eigenen Sound bereits gefunden. Die Vorbilder Bukowski und Algren schimmern durch, so gar ein wenig Carver. Das kommt nicht oft so unprätentios aus deutscher Feder. Den Kerl sollte man auf dem Radar behalten.

Non-Fiction:

Fabian Scheidler, Das Ende der Megamaschine – Geschichte einer scheiternden Zivilisation, Promedia Verlag, Wien.

Wieso unser System trotz Makel so makellos funktioniert wie es funktioniert und warum es letztendlich scheitern muss, das hat Fabian Scheidler – angesichts des komplexen Themas – gut strukturiert und leicht verständlich zusammengetragen. Eine Bereicherung. Ein Muss. Eine Offenbarung.

Serie:

Ray Donovan (3.Staffel)

Während Ray (Liev Schreiber) für megareiche L.A. Celebrities bei ihren Entgleisungen die Kohlen aus dem Feuer holt und ihnen Presse und Polizei vom Leib hält, wühlt Vater Mickey (Jon Voight), ein Krimineller alter Schule, weiter im Bodensatz nach schnellen Dollars. Grandios gespielt, perfekt inszeniert, abwechselnd komisch, brutal, sexy, nie oberflächlich. Hier gehen vor und hinter der Kamera Vollprofis zur Sache.

 

Ambros WAMBROS WAIBEL:

 

Fiction:

Und mir fällt leider wirklich keine Belletristik ein, die spuren hinterlassen hätte.

 

Non Fiction Robert Kisch: Möbelhaus http://www.droemer-knaur.de/buch/7985703/moebelhaus

Das ist kein wirklich gutes buch. aber mehr realität gibt es halt nicht in deutschland. wenn der autor nicht diese story des einst berühmten journalisten hätte, wäre es wahrscheinlich auch nicht durch die großverlagszensur gegangen.

 

Serie/Film: Sense8

sense8 ist ein spektakel. und versucht zumindest unsere tatsächliche zeit abzubilden. macht spass.



Der Weltendenker baut uns ein Traumschloss – Zum Gedenken an Jack Vance by Martin Compart
9. Dezember 2015, 10:04 pm
Filed under: JACK VANCE, Porträt, Science Fiction, WERNER FUCHS | Schlagwörter: , , , ,

Werner Fuchs gedenkt eines Science Fiction- und Fantasy-Autors, dessen Imagination in den Genres unvergleichbar ist. Nach dieser Lektüre gibt es keine Entschuldigung, Vance nicht zu lesen oder neu zu entdecken.

 

Einleitung

Name the five Demon Princes!“

“Attel Malagate, Kokor Hekkus, hmm… Viole Falushe, Lens Larque and… and… just a second, yeah, got it… Howard Alan Treesong, the best of them all, how could I almost forget the Dreamer?”.

 

Oktober 2000. Wir sind auf Sightseeing-Tour durch die Republik. George R. R. Martin und ich. Die ersten „Eis-und-Feuer“-Bände sind schon erschienen, aber noch ist George ein paar Jährchen vom Weltruhm entfernt. Berlin – Nürnberg – Rothenburg ob der Tauber – Nördlingen – Aalen – Friedrichshafen – Lindau – Neuschwanstein – München – Stuttgart/Bad Canstatt – Heidelberg – Düsseldorf. Museen, mittelalterliche Städtchen und immer wieder Burgen und Ruinen, von denen George nicht genug bekommen kann. Dazwischen lange Fahrten auf der Autobahn, eine Woche lang lange Fahrten. Wenn wir keinen Bock mehr auf Musik haben, kommt es zum Vokabelabfragen: Jack-Vance-Quiz ist angesagt!

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Schnell hatten wir herausgefunden, dass wir beide extreme Jack- Vance-Fans sind, schon seit Teenagerzeiten (wir sind altersmäßig nur 11 Monate auseinander) der Magie seiner Welten und seiner Sprache verfallen. Beide kennen wir das Werk unseres Lieblingsautors ziemlich gut. Einer nennt den Namen eines Protagonisten, der andere antwortet mit der dazugehörigen Geschichte, oder man führt einen Roman an und muss mit einer Figur daraus kontern. Claude Glystra – „Big Planet“, „The Dragon Masters“ – Joaz Banbeck, Edwer Thissell – „The Moon Moth“. Szenen zuordnen ist meist noch relativ einfach – George ist fasziniert von „Hussade“ eine Art 3-D Football über Wassertanks aus „Trullion Alastor 2262“, bei dem es keine Homeruns gibt, dafür aber eine junge Dame, die möglicherweise ihre Kleidung verliert – alter Voyeur! Bei Zitaten, aus der Erinnerung dahergesagt, wird es dann herb.

„Kill this man, here and now“, he cried. “No longer shall he breathe the air of my planet.“ Wer war das noch mal? Wo war das noch mal? Wir sind im sechsstelligen Bereich von „Wer wird Millionär“ angelangt. Vielleicht doch lieber wieder Grateful Dead.

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Werner und Corinna Fuchs mit George R.R.Martin

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Ein Quiz wie dieses funktioniert nur mit Jack Vance – für uns jedenfalls. Klar, bei den wichtigen Werken anderer SF-Größen könnten wir auch den einen oder anderen Hauptdarsteller nennen –

Hari Seldon, Gilbert Gosseyn, Michael Valentine Smith -, wir sind schließlich mit der SF sozialisiert worden, aber was die zweite Liga bei Asimov, van Vogt oder Heinlein angeht – Fehlanzeige.

Und bei vielen anderen Autoren, die ich durchaus mit Begeisterung gelesen habe, fallen mir überhaupt keine Charaktere mehr ein.

Bei Vance ist das anders. Seine Namen sind komponiert, sind Musik. Purer Swing: Ghyl Tarvoke, Hildemar Dasce, Sam Salazar, Hein Huss, Sklar Hast, Ayudor Bustamonte, Finisterle, der Erzveult Xexamedes, Liane the Wayfarer, Apollon Zamp, Rudel Neirmann, Gastel Etzwane, Lodermulch…  Und sie haben etwas Universelles, egal, ob man sie englisch oder deutsch ausspricht, sie klingen immer unheimlich gut. Mit seinen Planetennamen, Ortsbezeichnungen, ja, seinem Instrumentarium insgesamt verhält es sich ebenso. Vances Beschreibungen graben sich in das Gedächtnis des Lesers ein und lassen seine Phantasie abheben. Bei Vance ist die Sprache Landschaft und Architektur, bei ihm ist die Sprache der eigentliche Held. Ihr ist das „Jack Vance Lexicon – From Anulph to Zipagothe“ (1992) gewidmet, ein Band der über 1700 Wortneuschöpfungen auflistet, die Vances Werk entnommen sind. Manche seiner Kollegen – ich will keine Namen nennen – kommen in ihrem Gesamtwerk mit einem geringeren Wortschatz aus…

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Leben

John Holbrook Vance wurde am 28.08.1916 als mittleres von fünf Kindern in San Francisco geboren. Er wuchs auf der Ranch seiner Großeltern im San Joaquin Valley auf, da der Vater die Familie früh verließ. Vance galt in der Schule als Bücherwurm und las am liebsten das Magazin Weird Tales, mit Autoren wie H.P. Lovecraft, Clark Ashton Smith und Robert E. Howard. Am liebsten aber war ihm C. L. Moore. Ansonsten wurde er vor allem von Lord Dunsany und P. G. Woodhouse beeinflusst. Ab 1937 studierte er an der University of California in Berkeley Bergbau und Physik, später Englisch, Geschichte und Journalismus und fuhr während des Zweiten Weltkriegs als Matrose im Dienste der amerikanischen Handelsmarine kreuz und quer über den Pazifik.

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Kurz nach dem Krieg heiratete er die 11 Jahre jüngere Norma Ingold, die ihm – Jack hatte schon damals schlechte Augen und sich mit einer auswendig gelernten „Eye Chart“ in die Handelsmarine gepfuscht – beim Schreiben zur Hand ging. Auf ihren ausgedehnten Reisen war Jack immer mit Klemmbrett und Füller im Einsatz, während Norma später alles auf der Reiseschreibmaschine abtippte und korrigierte. Die beiden bereisten bis in die neunziger Jahre fast die ganze Welt, und ein großer Teil von Vances Romanen und Stories entstand unterwegs in fremden Ländern und unter anderen Kulturen. Das hat sicherlich die Exotik seiner Werke befeuert, in denen die sonderbaren Sitten und Gebräuche planetarer Gesellschaften oft eine wichtige Rolle spielen.

Andere wichtige Einflüsse waren seine Liebe zum traditionellen Jazz – schon vor dem Krieg hatte Vance als Jazz-Kolumnist für The Daily Californian gearbeitet – und sein Beruf als Zimmermann, den er bis Mitte der sechziger Jahre ausübte.

Vance war Handwerker mit einer gesunden Verachtung für den Kunstbetrieb. Er baute sein Haus in Oakland und seine Segelboote selbst und konstruierte mit den Freunden und SF-Kollegen Frank Herbert und Poul Anderson ein Hausboot, mit dem die drei an den Ufern der San Francisco Bay entlang schipperten, bis es auf Grund lief.

1961 wurde John Holbrook II geboren, das einzige Kind von Jack und Norma. In dieser Zeit begann sich langsam der Erfolg einzustellen. Vance gewann den Edgar Allan Poe Award, kurz darauf Hugo und Nebula Award, was ihn veranlasste, freier Schriftsteller zu werden.

War sein Werk bis dahin von Kurzgeschichten und Einzelromanen geprägt gewesen, standen ab jetzt Romanzyklen im Mittelpunkt. Allerdings war er bei seiner Produktion stark gehandicapt. Seine Sehkraft nahm immer mehr ab, und nach einer missglückten Augenoperation war Jack Vance praktisch blind. Ab den achtziger Jahren musste er am Computer mit Großbildschirm schreiben – und einer Textverarbeitung mit Riesenlettern.

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Werk

Vance debutierte 1945 in Thrilling Wonder Stories mit der Geschichte „The World Thinker“. Die nächste hieß „I’ll built your Dream Castle“. Beide Titel wurden zum Programm. Der Weltenschöpfer baute seinen Lesern ein literarisches Traumschloss. Sein erstes Buch war 1950 „The Dying Earth“, eine Sammlung erstaunlicher (20 Jahre später hätte man sie als „far out“ bezeichnet) Fantasygeschichten, die er 1944 auf See geschrieben hatte. Sie markierten den Beginn einer Serie, deren Gestaltung die Leser verzauberte und begeisterte. Schauplatz ist die Erde in allerfernster Zukunft. Diese Welt, kurz vor ihrem Untergang, wenn die aufgeblähte, rote Sonne instabil flackert und bald für immer verlöschen wird, ist besiedelt mit einer mondänen Gesellschaft, die sich in Intrigen, Magie und hedonistischen Vergnüglichkeiten ergötzt. Später fanden sie ihre Fortsetzung in den Collections „The Eyes of the Overworld“ (1966), „Cugel’s Saga” (1983) und „Rhialto, the Marvellous” (1984)

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Wie bei vielen Genre-Autoren seiner Zeit waren es zunächst Kurzgeschichten und kürzere Romane in Magazinen, die sein Schaffen ausmachten. Thrilling Wonder Stories und Startling Stories waren zunächst seine Hauptmärkte, später kamen die Spitzenpublikationen des Genres hinzu: Astounding, Galaxy, The Magazine of Fantasy and Science Fiction. Anfang der fünfziger Jahre schrieb er sechs Drehbücher für die Fernsehserie „Captain Video“.

„The Potters of Firsk“ (ASF 5/50) und „Gift of Gab“ (ASF 9/55)sind reine SF-Stories mit exotischem Background, während „The Miracle Workers“ (ASF 7/58) auf typisch vancesche Weise Fantasy mit SF verbindet. In eine Zukunftswelt, in der Magie ganz alltäglich und die Naturwissenschaften vergessen sind, hält plötzlich die Chemie als „magische“ Komponente in Form von Sprengstoff Einzug.

In „The Men Return“ (Infinity 7/57) zeigt sich Vance avantgardistisch, indem er das Kausalitätsprinzip aufhebt.5125533784_0772eea4ff[1]

Seine wohl berühmtesten Kurztexte sind „The Moon Moth“ (Gal 8/61) – Edwer Thissell ist frisch auf Sirene eingetroffen, um den Serienmörder Haxo Angmark aufzuspüren, aber im Land der Masken, wo alle Menschen eine Gesichtsbedeckung tragen und man nur über Instrumente kommuniziert, ist das gar nicht so einfach -, „The Dragon Masters“ (Gal 8/62) und „The Last Castle“ (Gal 4/66). Beide wurden mit dem Hugo-Award, letztere auch noch mit dem Nebula-Award ausgezeichnet. Hier schreibt Vance SF wie Fantasy und Fantasy wie SF – für Geschichten wie diese wurde der Begriff Science Fantasy erfunden.

In seinen frühen Romanen geht es um abenteuerliche Reisen auf einem Extremplanet („Big Planet“, 1952), Unsterblichkeit („To Live Forever“, 1956) und die Macht der Sprache („The Languages of Pao“, 1958). In „The Blue World“ (1966) und „Emphyrio“ (1969) rebelliert der jugendliche Held und überwindet die starren Konventionen seiner Gesellschaft letztendlich zu ihrem Wohl.

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In den sechziger bis achtziger Jahren produzierte JV vornehmlich SF-Zyklen die zum Teil ein Gaeanisches Reich der fernen Zukunft als gemeinsamen Hintergrund aufweisen und ähnlich farbenprächtig ausgestaltet sind wie seine Fantasy. Der fünfbändige „Dämonenprinzen“-Zyklus (1964-1981) ist ein interstellarer Rachefeldzug Kirth Gersens, der die Killer seiner Familie jagt, die „Planet of Adventure“-Tetralogie (1968-1970), schildert die Odyssee eines notgelandeten Terraners auf der exotischen Welt Tschai mit ihren mannigfaltigen Kulturen, die „Durdane“-Trilogie (1973-74) und die „Alastor“–Trilogie (1973-1975) umfassen farbige Planetenromane, bei denen die Beschreibung fremdartige Kulturen gleichrangig neben der Romanhandlung steht, bei den „Cadwall-Chroniken“(1987-1992) schließlich handelt es sich um eine umfangreiche Trilogie, bei der Held Glawen Clattuc einen geheimnisvollen Mord aufklären, einen Aufstand niederschlagen, sich diverser Intrigen erwehren und der Cadwall Charta auf die Spur kommen muss, die den Planet in ihrem Würgegriff hält.

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Parallel dazu baute JV aber auch seine Fantasywelten aus. 1966 erschien mit „The Eyes of the Overworld“ eine lose Fortsetzung zu „The Dying Earth“. In diesem Subzyklus lässt er den schlitzohrigen Cugel, einen pikaresken Springinsfeld, verrückte Abenteuer erleben. Cugel ist der coolste aller Fantasyhelden, der Archetyp für alle Diebe und Streuner des Fantasy-Rollenspiels. Langbeinig, mit langer Nase und albernem Hut, stakst er durch die Landschaft und versucht alle und jeden übers Ohr zu hauen, zieht aber meist selbst den kürzeren. Dabei schlagen sich er und seine Gegenspieler die unglaublichsten Dialoge um die Ohren. Cugel, einer der wenigen Antihelden der Fantasy, ist so cool, dass andere Autoren seine Abenteuer fortsetzten (Michael Shea) oder sich extrem von ihm beeinflusst zeigten (etwa David Alexander).

Später folgten weitere Bände: „Cugel’s Saga“ (1983) und „Rhialto the Marvellous“(1984) setzten in punkto bizarrer Vorkommnisse noch einen drauf.6950865010_305b386df1[1]

JVs zweiter großer Beitrag zur Fantasy ist die „Lyonesse“-Trilogie. Sie spielt in arthurischer Zeit auf einer mythischen Inselgruppe im Golf von Biskaya, um deren Herrschaft ein erbitterter Kampf ausgetragen wird. Beginnend mit „Suldrun’s Garden“ (1983) bieten die voluminösen Bände viel Platz für Subplots mit Kämpfen, Diplomatie und Magie. Alles ist in Vances maniriert ironischem Stil gehalten, mit gestelzten Dialogen, altertümlichen Redewendungen und einer ornamental barocken Handlung, die den Leser in eine exotische Traumwelt versetzen. Diese Trilogie hebt sich wohltuend von der Massenware typischer Mehrbänder ab und kann mit Recht als Highlight moderner Fantasy bezeichnet werden.

Ab 1957 erschienen von JV eine Reihe von Kriminalromanen, die durchaus erfolgreich waren. Diese wurden unter seinem richtigen Namen John Holbrook Vance wie auch unter den Pseudonymen Ellery Queen, Peter Held oder Alan Wade veröffentlicht.10857[1] 1960 gewann „The Man in the Cage“ den Edgar-Award und wurde verfilmt. Ebenfalls verfilmt wurde „Bad Ronald“ (1973). Neben diesen Titeln ragen die beiden Romane um Sheriff Joe Bain, „The Fox Valley Murders“ (1966) und “The Pleasant Grove Murders (1967) aus seinen 11 Krimis heraus.

Dass JV den Mysteries zugetan war, beweisen auch die vielen Kriminalfälle innerhalb seiner SF-Zyklen. Mit Magnus Ridolph und Miro Hetzel hat er auch zwei Detektive am Start, die in zwei Storybänden interstellare Finstermänner jagen.

Ab den neunziger Jahren wandte sich JV wieder verstärkt der SF zu. Seine letzten Romane „Night Lamp“ (1995), „Ports of Call“ (1997) und „Lurulu“ (2004) handeln wieder von jugendlichen Protagonisten auf Identitätssuche in einem Kosmos voller Fremdartigkeiten.

 

Stil

Stilistisch ist JV einmalig. Schon nach ein paar Sätzen kann ihn der geübte Leser erkennen. Sein Wortreichtum ist unübertroffen, die Lektüre seiner Texte ein sinnliches Erlebnis. Er brennt ein Feuerwerk an detaillierten Beschreibungen ab, die alle Sinne des Lesers in Alarmbereitschaft versetzen.

Die typischen SF-Szenarien – Zukunftsmodelle, Zeitreisen, Raumschlachten, Roboter, Invasion der Erde o. ä. interessierten ihn nicht. Raumschiffe dienen nur zum Transport von A nach B, und wenn, dann bevorzugt im Raumsegler – oder planetar – auf dem Luftfloß.

JV war ein „Bio-Autor“, mindestens drei oder vier seiner Protagonisten stehen mit den Füßen in der Erde im Wald und imitieren Bäume. Seine Stärke ist die Schilderung fremder Kulturen, derer bizarren Sitten und Gebräuche, ein galakto-ethnischer Kosmos voll ungezügeltem Wildwuchs. Chromblitzende Technik hat hier nichts verloren.

Die Faszination seiner Texte liegt in seinem Weltenbau, der Architektur seiner Landschaften, der internen Struktur von Fauna und Flora begründet. Häufig bedient er sich der Fußnote als Stilmittel – so erscheint ein Text natürlich viel glaubhafter (wissenschaftlicher) als durch zehn Seiten Erklärungen.

Bei diesen Techniken schimmert immer wieder der Handwerker durch und bei seinen Namen und Dialogen der Musiker. Vance, der mehrere Instrumente spielte, darunter Kornett, Ukulele und Kazoo, war Mitglied einer Jazzband und der festen Überzeugung, Prosa müsse swingen.

41hWNragepL._SX301_BO1,204,203,200_[1]Sein überaus sarkastischer, mitunter bösartiger Humor hallte jedenfalls nach. Kostprobe:

„Dort sitzt der Missetäter. Ich sah, wie er wölfisch grinsend mir den Bart abschnitt!“

Empört rief Cugel: „Er redet irr! Achtet nicht auf ihn. Ich saß hier unbeweglich wie ein Fels, während sein Bart gestutzt wurde. Das Bier hat wohl seine Sinne benebelt!“

„Unverschämtheit! Ich habe Euch mit beiden Augen gesehen!“

Im Tonfall des schuldlos Verdächtigten sagte Cugel: „Weshalb sollte ich Euch den Bart nehmen? Hat er überhaupt einen Wert?“

– „Cugel,der Schlaue“

oder:

„Bodwyn Wook? Pah! Bodwyn Wook ist ein Schanker an den Weichteilen des Fortschritts!“

– „Station Araminta“ –

oder Tanith Lees Lieblingssatz:

„I would offer congratulations were it not for this tentacle gripping my leg.”

– „Cugel’s Saga“ –

 

Rezeption

In Frankreich, Belgien und den Niederlanden ist JV ein Superstar. Schwer zu sagen, warum nicht in den USA und bei uns. Das Werk mit dem er am ehesten identifiziert wird besteht aus Kurzgeschichten – das ist abträglich. Er arbeitete seine Plots vielleicht nicht konsequent genug aus und schien bei Zyklen nach und nach die Lust zu verlieren – das kommt dem Massengeschmack gar nicht entgegen. Er verlor sich in psychedelisch gekräuselter Oberfläche anstatt ein Hauptwerk mit echtem Tiefgang zu schreiben, das die Kritiker aufmerksam gemacht hätte – da bleibt man leider Genre-Autor. Aber ist das so schlimm? „Die Popkultur hat eh gewonnen“, wie Denis Scheck einmal völlig richtig anmerkte.

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Als Kultautor hat JV einen festen Kreis von Bewunderern, die sich um sein Werk verdient gemacht haben. Er ist der unangefochtene Lieblingsautor seiner Kollegen. Bibliophile Liebhaberausgaben seiner Bücher erschienen oder erscheinen in Kleinverlagen wie Underwood/Miller (USA) und Edition Irle (Deutschland), und wohl einmalig dürfte das Projekt „Vance Integral“ sein, bei dem mehrere hundert „Fans“  als Internetgemeinschaft eine Neuausgabe seines Gesamtwerks (44 Hardcoverbände) betreuten. Unterstützt wurde das Projekt vom Milliardär und Microsoft-Mitgründer Paul Allen, der in Seattle das „Experience Hendrix“ Museeum gründete. Für Allen sind Jimi Hendrix und Jack Vance Amerikas größte Künstler der Populärkultur. Gary Gygax, der Erfinder der Rollenspiels „Dungeons & Dragons“, war ein glühender Verehrer und strickte das Magiesystem in D&D nach den vanceschen Zaubersprüchen. Sein Weltenbau diente ihm darüber hinaus als Vorbild.

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Michael Chabon, Dan Simmons, Neil Gaiman, Tad Williams, Robert Silverberg und 17 andere Autorinnen/Autoren wurden als Jugendliche von Vance verzaubert. Alle sind mit Beiträgen in der von George R. R. Martin und Gardner Dozois herausgegebenen Anthologie „Songs of the Dying Earth“(2009) vertreten. Das erste „Tribute Album“ der Pop-Literatur! Jeder von ihnen schrieb eine „Dying Earth“-Geschichte und versuchte, dem Meister so nahe wie möglich zu kommen. Und jeder erzählt dazu die Geschichte, wie er/sie zum ersten Mal mit einem Text von Jack Vance in Berührung kam. Alle können sich noch daran erinnern.

Und für alle ist Jack Vance sträflich unterbewertet. Chabon meint, hätte Italo Calvino über den „Dragon Masters“ gestanden, wäre der Text über die Grenzen des Genres bekannt geworden, während Simmons noch weiter geht: Wäre Vance in Südamerika geboren worden, hätte er als Vertreter des Magischen Realismus’ den Nobelpreis erhalten…

Wie dem auch sei, Jack Vance hat jedenfalls als einziger Autor alle Hauptpreise der Science Fiction, Fantasy und Kriminalliteratur gewonnen: Hugo Award, Nebula Award, World Fantasy Award und den Edgar Allan Poe Award.

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Jack Vance starb am 26. Mai 2013 im Alter von 96 Jahren.

Er lässt Sohn und Enkel zurück, nachdem seine Frau Norma bereits 2008 verstarb.

Jetzt ist die Welt weniger bunt.

 

Für weitere Informationen:

http://www.editionandreasirle.de

über Vance, Dick und Ballard ab ca. 1:15:00



NOIR-FRAGEN AN OLIVER NÖDING by Martin Compart
4. Dezember 2015, 11:56 am
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Ich hatte immer gedacht, die beiden Deutschen, die sich in den abseitigsten Regionen der 7.Kunst auskennen, seien Ulrich von Berg und Rolf Giesen, alias Dr.Horror. Dann stieß ich vor einigen Jahren auf den Blog REMEMBER IT FOR LATER https://funkhundd.wordpress.com/- und war völlig baff! Betreiber und Autor Oliver Nöding kannte nicht nur Subgenres, die mir völlig entgangen waren, sondern zeigte – quatsch: zeigt bis heute – ein Fachwissen, das seinesgleichen sucht. Nenne die obskurste Videofirma aus den 80er Jahren, die auf cross-over zwischen italienischen Gialli und Zombies spezialisiert war, Oliver kann dir nicht nur die entscheidenden Leute runterbeten, er beschreibt auch die Unternehmensgeschichte. Egal welches Vehikel er bespricht, er berichtet so spannend und unterhaltsam, dass ich häufig vergesse, dass mich der Film einen Dreck interessiert. Neben Artikeln über Genre-Filme schreibt er auch über Klassiker, denen er oft neue Aspekte und eine originelle Perspektive abgewinnt.

„Ich habe immer schon gern geschrieben, allerdings fehlte mir immer der konkrete Anlass, um am Ball zu bleiben. Ich bin nicht unbedingt ein Geschichtenerfinder und wenn ich mich hinsetzte, um etwas zu schreiben, verlor ich schnell das Interesse und den Glauben, dass das, was ich da zu Papier bringen wollte, wirklich gut war. 2004 stieß ich dann auf das mittlerweile inaktive Forum namens „filmforen.de“, das seinen Usern erlaubte, ein Filmtagebuch zu führen. Jeder User hatte seinen eigenen Forenthread, in dem er Filmtexte nach eigenem Gusto, ohne jegliche stilistische Vorgabe, schreiben konnte. Da habe ich dann, mit Ausnahme einer kurzen Pause Anfang 2005, bis zur Eröffnung meines Blogs 2008 also mein Filmtagebuch geführt. Der damalige Foren-Administrator Stefan Höltgen war gleichzeitig für die (mittlerweile ebenfalls nicht mehr aktive) Filmseite „F.LM – Texte zum Film“ verantwortlich und wurde über meine Forentätigkeit auf mich aufmerksam. Ich schrieb dann für F.LM also „richtige“ Filmrezensionen, besuchte Pressevorführungen, reviewte DVDs und dergleichen. Über Stefan entstand auch der Kontakt zur Splatting Image, einer unter deutschen Cineasten und Freunden des abseitigen Films sehr renommierte Zeitschrift (die vor zwei Jahren leider auch den Dienst einstellte) und über die Mitarbeit an der Splatting Image zu weiteren deutschen „Filmschreibern“. “

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 Das Foto zeigt Oliver anlässlich einer Themenparty verkleidet als City Cobra.

 

Unter Freunden des ungewöhnlichen Films hat sich Oliver mit seinen Texten in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Für mich gehört er zu der Garde jüngerer Kritiker, die das Genre Filmkritik im Windschatten von SPLATTING IMAGE und STEADYCAM in den letzten zehnJahren entstaubt haben und wieder spannend machen. Manchmal sehe ich durchaus Orientierung an Hunter S.Thompsons Gonzo-Journalismus. Aber „Gonzo-Filmkritik“ ginge etwas zu weit.

„Mittlerweile bewege ich mich in einem Kreis von ca. 50 bis 100 Leuten, die als freie Journalisten über Filme schreiben, Kinoreihen betreiben, Bücher, DVDs und Blu-rays herausgeben oder selbst Filme drehen und sich so gewissermaßen gegenseitig „befruchten“. Das ist sehr anregend und macht natürlich viel Spaß. Viele dieser Menschen zähle ich heute zu meinen Freunden. Ich darf Booklets verfassen, Essays für Fachbücher schreiben, Audiokommentare einsprechen oder Kurzvorträge vor Kinovorführungen halten. Bald erscheint die Buchausgabe der Blogtexte, die ich damals auf „Sauft Benzin, ihr Himmelhunde“ zusammen mit Marcos Ewert veröffentlicht habe. Das ist alles sehr toll, auch wenn ich damit keinen Pfennig Geld verdiene. Vielleicht irgendwann mal. Mein Blog habe ich 2008 eröffnet und zunächst parallel zu meinem Filmtagebuch auf Filmforen geführt. Meine privaten Texte wurden also am Anfang für eine Übergangsphase auf zwei Plattformen veröffentlicht. Die Abspaltung von Filmforen war für mich damals ein logischer Schnitt. Zum einen, weil sich das Forum verändert hatte, zum anderen, weil ich wusste, dass ich mittlerweile für mich selbst stehen konnte. Ich kann, was Zugriffszahlen angeht, mit den wirklich großen deutschen Blogs natürlich nicht annähernd mithalten, komme aber mittlerweile pro Tag auf rund 400-500 Zugriffe, was nicht so schlecht ist, dafür dass ich keinen Empfehlungsjournalismus mache oder News veröffentliche.“

 

Und was mich immer wieder umhaut, ist sein irrsinniger Ausstoß. „Die Gesamtzahl meiner Filmtexte: Blog: 2.543 Beiträge Filmforum: 1.486 Beiträge Macht also rund 4.000 Filmtexte seit 17.11.2004.“

Das wäre ein Buch, das ich mir von TASCHEN wünschen würde.

Man fragt sich, wann der Familienvater lebt, isst, trinkt, sozialen Kontakten nachgeht, Themenpartys besucht – und vor allem: Wann sieht er das ganze Zeugs? Dabei erscheint er geistig und körperlich so gesund, dass es kaum für einen Gastauftritt in THE BIG BANG THEORY reicht.

 Hier also der Bünnagelsche Noir-Fragebogen mit Oliver Nöding (dazu ein Soundtrack):

 

Name?

Oliver Nöding

Berufungen neben dem Kritikerdasein?

Familienvater sein und möglichst viele Filme schauen.

Film in deinem Geburtsjahr?

Rocky, Taxi Driver, Carrie, Die Unbestechlichen, Assault – Anschlag bei Nacht, Der Scharfschütze, Keoma, Eiskalte Typen auf heißen Öfen, San Babila ore 20: un delitto inutile, Der Strohmann, Schwarzer Engel und wahrscheinlich noch einige mehr.

Was steht im Bücherschrank?

Der Anteil an Sachbüchern über Film oder (Auto-)Biografien zum Thema wächst gegenüber den Romanen stetig an. Trotzdem: U. a. die Brenner-Reihe von Wolf Haas und außerdem zwei verschiedene Nietzsche-Gesamtausgaben.

Was war deine Noir-Initiation?

An den ersten gesehenen Noir erinnere ich mich nicht mehr. Aber der erste, der mich wirklich beeindruckt hat, war Mark Robsons The Seventh Victim.

Welches Noir-Klischee ist dir das liebste?

Die nicht enden wollende Nacht.

Ein paar Film noir-Favoriten?

Ich kenne ehrlich gesagt noch viel zu wenige klassische Noirs. Eine Bildungslücke, die ich im kommenden Jahr zu schließen gedenke. Folgende mag ich sehr: Um Haaresbreite, The Seventh Victim, Gefahr in Frisco, Das Rattennest, Im Zeichen des Bösen, Wenn es Nacht wird in Paris, Drei Uhr nachts, Der Chef.

Und abgesehen von Noirs?

Habe ich natürlich eine große Vorliebe für sogenanntes Männerkino, also Western, Kriegsfilme, Polizeifilme und die Actionfilme der Achtzigerjahre. Außerdem Horror, Horror, Horror. Aber auch sonst viel zu viel.

Welche Roman- und Filmfigur würdest du mit eigenen Händen umbringen?

Den Mengele-haften Molloch aus Der Liquidator. Sonst immer gern rassistische Cops.

Internet?

http://funkhundd.wordpress.com

 

Noir-Fragen: Dein Leben als Film Noir

 

Im fiktiven Film noir Deines Lebens – welche Rolle wäre es für Dich?

Der Mann, der einem Phantom nachjagt, das sich als er selbst herausstellt.

Und der Spitzname dazu?

Chase

Welcher lebende (oder bereits abgetretene) Schriftsteller sollte das Drehbuch dazu schreiben?

Elmore Leonard

Berühmtestes Zitat aus dem Streifen? (Beispiel: Scarface = The World Is Yours, White Heat = Made It Ma, Top Of The World)

„Es gibt Tage, da verliert man, und Tage, da gewinnen die anderen.“

Schwarzweiß- oder Farbfilm?

Für jemanden, der in den Achtzigerjahren aufgewachsen ist, muss es wohl Farbe sei.

Wer liefert den Soundtrack zum Film?

Jay Chattaway.

Welche Femme fatale dürfte Dich in den Untergang führen? (Alternativ: Welcher hartgesottene Noir-Held?)

Klassisch: Barbara Stanwyck. Modern: Kathleen Turner ca. 1983.

In welchem Fluchtwagen wärst Du unterwegs?

Ford Mustang

Und mit welcher Bewaffnung?

Smith & Wesson Modell 29 – die Schusswaffe von Dirty Harry.

Buch für den Knast?

Was dickes. Die Enden der Parabel von Thomas Pynchon?

Und am Ende: Welche Inschrift würde auf dem Grabstein stehen?

„He desperately tried to not give a fuck and failed miserably.“ (Auf Deutsch klingt’s einfach nicht so gut.)

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TV NEWS MORDKOMMISSION BERLIN 1 by Martin Compart
2. Dezember 2015, 9:27 am
Filed under: NEWS, Rezensionen, TV | Schlagwörter: ,

Gut, es hatte nicht die Tiefe von RIPPER STREET und DEADWOOD, nicht die politischen Implikationen von PEAKY BLINDERS, aber MORDKOMMISSION BERLIN 1 war locker auf internationalem Niveau. Die Ausstattung war beeindruckend und nicht nur Fassade, da sie ganz natürlich und fast als Handlungsträger integriert wurde. Die Story war vielleicht ein wenig konventionell und hätte ein paar Plot-Twists mehr verdient, aber spannend und – was heute selten ist – von Regisseur Marvin Kren effektiv in Szene gesetzt.

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Kurzum; Der TV-Film hielt, was DEUTSCHLAND 83 versprach: Deutsches TV, dass sich hinter angelsächsischen Produktionen nicht verstecken muss. Ich rede nicht von der Weltspitze wie SILK, HAPPY VALLEY oder SPOOKS (dazu reichte es nicht in der Originalität der Charakterisierungen und Handlungsführung – aber diese Serien sind auch in England keine Durchschnittsproduktionen), aber im Vergleich mit HAT SQUAD oder COPPERS konnte der Film leicht mithalten, hatte sogar bessere Momente. Wunderbar und überhaupt nicht aufgesetzt waren die Zitate und Einstellgen aus alten deutschen Filmen, die Kren unaufdringlich einsetzte um die Atmosphäre zu intensivieren.  Der junge Regisseur verfügt über ein erstaunliches Filmwissen und bemerkenswerte handwerkliche Fähigkeiten. Die Schauspieler (Kann Moretti einen schlechten Film machen? Gelegentlich.) waren ebenfalls überraschend gut, da sie nicht exaltiert in Szene gesetzt wurden. Nur das gelegentliche Berliner Genuschel hätte man tontechnisch vielleicht etwas deutlicher ziehen können (oder mit Untertiteln !!! auslegen). Ohne die Beteiligung des ehemaligen SAT 1-Redakteurs Thomas Teubner, der schon früher vielversprechende Produktionen in den Sand gesetzt oder verhindert hat, wäre das Niveau wahrscheinlich noch einige Punkte höher. Aber um so erstaunlicher das Ergebnis: Die beste deutsche TV-Krimi-Produktion seit Jahren (jenseits von Lars Becker), deren internationale Vermarktung aus zwei Gründen problemlos sein dürfte:

1) Qualität,

2) ein Thema, dass in der deutschen „Mythologie“ (Weimar, Berlin Alexanderplatz, goldene 20er usw.) so verwurzelt ist, dass man es nicht beliebig transponieren kann.

P.S.: Die schlechte Quote kann den Machern egal sein, da sie diesen (ersten?) Film noch in Jahrzehnten weltweit vermarkten können. Da wegen der Quoten SAT 1 dieses Projekt wahrscheinlich nicht fortsetzen wird, sollten die Macher sich an AMAZON wenden; die haben immerhin auch RIPPER STREET „gerettet“.