Filed under: Dutroux, NEWS, ORGANISIERTE KRIMINALITÄT, Politik & Geschichte, Sodom Kontrakt | Schlagwörter: Dutroux
Na, da haben wir es mal wieder: Auf allen Kanälen wurde gestern im Fernsehen sensationsgeil über die vorzeitige Entlassung der Dutroux-Gattin und ihre Übersiedlung in ein Kloster berichtet. Kein Wort über die Dimensionen der „Affäre“, kein Wort über Nihoul als Mittelsmann zu höchsten politischen und wirtschaftlichen Kreisen. Kein Wort über die (mindestens) 27 ermordeten Zeugen. Statt dessen wurde Dutroux auf sechs Opfer runter reduziert, die er wohl als „verwirrter Einzeltäter“ nur mit der Gattin für seine perversen Neigungen mißbrauchte. Und von denen wurden ja auch noch zwei gerettet! Da versteht der deutsche Volksempfänger doch kaum, warum -O-Ton: – „die Wunde in der belgischen Bevölkerung so tief sitzt und noch nicht verheilt ist“. Ach ja, es gab damals Ermittlungspannen. Und eine geradezu revolutionäre Justizreform: Nicht mehr der Innenminister entscheidet über vorzeitige Entlassungen von verurteilten Häftlingen, sondern Richter. Dann ist wohl alles geklärt. Dutroux soll es ganz gut gehen; er wird immer fetter im Knast. Aber wer die gute belgische Küche und das wunderbare belgische Bier kennt, wird das verstehen. Vielleicht sollte man eine Petition initiieren, damit der arme Kerl etwas mehr Bewegung bekommt, bevor er einen tödlichen Unfall erleidet (wenn er nächstes Jahr seinen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung stellt).
Aber wir wollen ja nicht noch zu Verschwörungshysterikern werden! Ein paar Kinderschänder gibt es nun mal in jeder freien Gesellschaft. Wer dahinter mehr vermutet, glaubt wahrscheinlich auch, dass der Irak-Krieg bewusst auf einer Lüge aufgebaut war.
www.amazon.de/DER-SODOM-KONTRAKT-ebook/dp/B006UJXY76/ref=ntt_at_ep_dpt_9
Immer wieder sehenswert:
http://www.youtube.com/watch?v=yKc6-TqBfk4&feature=relmfu
http://www.youtube.com/watch?v=FWsK3YpT-Ss
http://www.youtube.com/watch?v=NHoGrV5xrEg
http://www.youtube.com/watch?v=aaX8Hi1nKV0&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=cS_5xlunEEI&feature=related
„Meine Arme sind so lang wie die Donau“.
Im Prozess wurde er lediglich für die Mitgliedschaft in einer Bande bestraft. Die Geschworenen befanden Nihoul mit einer Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen für schuldig. Da dies nach belgischem Recht nicht ausreicht, wurde die Justiz beigezogen und Nihoul für unschuldig erklärt. (berichtet das deutsche Wikipedia im spärlichen Artikel über den verdienten Bestsellerautor, der in seinem Buch alle Missverständnisse zu seiner Person gerade rückt).
Filed under: Hans Gruhl, Hörbücher, Krimis, Rezensionen | Schlagwörter: deutscher Krimi. Hörspiel, Drehbuchautoren, Hans Gruhl
Es wurde genussvoll geraucht und gesoffen, dass man es heute kaum noch nachvollziehen kann. Es wurden chauvinistische Sprüche abgelassen und keine politische Unkorrektheit ausgelassen. Frauen wussten, wo sie hingehören und Männer tranken jeden Tag bei jeder Gelegenheit Kognac – wenn sie nicht gerade mordeten oder Mörder überführten.
Und nichts davon wurde wirklich so ernst genommen.
Zitate gefällig?
“ Ich war so besoffen, ich hätte den Wagen nicht mal mehr auf allen Vieren erreicht. An Autofahren war also nicht mehr zu denken.“
„Sie war zu alt für diese Zeit.“
„Es ist das Ende des Abendlandes, wenn der Mann abwäscht.“
So war die Welt von Hans Gruhl in vier Hörspielserien, die zum besten gehört, was je als Hörspielkrimi in Deutschland produziert wurde. Gruhl stand in der Tradition von Francis Durbridge und dessen Helden Paul Temple. Aber er konnte besser schreiben und seine Plots waren durchdachter. Alle basierten auf Romanen, die zu den wenigen Klassikern der deutschen Kriminalliteratur der 1950er- und 1960er Jahre gehören. Alle wurden von Hans Georg Berthold vorbildlich für den Funk aufgearbeitet und immer sprach der großartige Martin Hirthe (1921-1981) den Protagonisten und Ich-Erzähler. Durchgehend ist auch der großartige Arnold Marquis als Kommissar Nogees dabei! Die Hörspielserien wurden vom SFB mit dem WDR von 1964 bis 1969 produziert und sind über die Unterhaltung hinaus ein leicht verspätetes Sittengemälde der Wirtschaftswunderjahre.
Bis auf die erste, NIMM PLATZ UND STIRB, spielen alle weitgehend im Mediziner-Milieu. In NIMM PLATZ UND STIRB spricht – nein: spielt! – Hirthe einen Drehbuchautor. Der Dreiteiler ist im Filmmilieu angesiedelt und macht sich bestens über dieses lustig („Es gibt nur zwei Arten von Filmen. Ich mache Filme für München, nicht für Bielefeld!“).
Das hoerspieltipps.net schrieb über ihn: „Hörspiele nach den Romanen von Hans Gruhl sind Klassiker des deutschen Kriminalhörspiels. Obwohl es hier für einen Krimi – aus heutiger Sicht – sehr gediegen zugeht, unterhält dieses insgesamt mehr als dreistündige Hörspiel wirklich sehr, sehr gut. Gerade die entschleunigte Erzählweise macht einen ganz besonderen Reiz der Geschichten aus. Die Atmosphäre des Filmmilieus wird von diesem Hörspiel sehr glaubwürdig eingefangen; Ein gutes Dialogspiel, passende Zwischenmusiken, eine dezente Geräuschkulisse und die im Timing perfekte Geschichte machen diese Produktion sehr empfehlenswert.“
Hans Gruhl, der eigentlich Hans Gruhl-Braams hieß, wurde am 25. Dezember 1921 in Bad Altheide, Schlesien, geboren. Über sein Leben ist wenig bekannt, was eine Schande ist. Er promovierte zum Dr. med. und Dr. phil und arbeitete als Röntgenfacharzt. Nebenher begann er zu schreiben.
1957 erschien sein erster Kriminalroman: DAS VIERTE SKALPELL. Im Jahr darauf kam der große Erfolg mit seinem ersten Buch um den Dackel Blasius. Dieses, LIEBE AUF KRUMMEN BEINEN, wurde 1959 nach einem Drehbuch von Herbert Reinecker mit Walter Giller, Liesl Karlstadt, Sonja Ziemann verfilmt. Bis heute werden „Liebe auf krummen Beinen“ und „Ehe auf krummen Beinen“ von Rowohlt immer wieder neu aufgelegt (seit 2012 gibt es auch ein Hörbuch). Damit war Gruhl einer der bestverkauften Autoren Deutschlands und sofort streckte die Filmindustrie ihre Gichtfinger nach ihm aus. So schrieb er dann für die Filme „Ich schwöre und gelobe“ (1959) und „Heute kündigt mir mein Mann“ (1964) die Drehbücher. Seine Erfahrungen mit der Filmindustrie verarbeitete er 1964 in seiner ersten Hörspielserie NIMM PLATZ…(die Romanversion erschien erst 1967 bei Heyne).
Aber spätestens mit dem Erfolg des Sozio-Krimis kam Gruhl aus der Mode und wurde zum Geheim-Tipp (besonders unter Hörspiel-Fans).
Hans Gruhl starb 11. Oktober 1966 in München durch, so die offizielle Verlautbarung, „wahrscheinlich unabsichtliche Selbsttötung“. „…an der Schreibmaschine, bei der Arbeit an einem neuen Kriminalroman. Wohl um sich in eine entscheidende Szene seiner Geschichte zu versetzen – so wurde später Freunden berichtet – hielt er sich seine Pistole an die Schläfe. Das Magazin hatte er vorher entleert, man fand die Patronen im Wollflausch seines Teppichs. Aber er hatte offenbar nicht bedacht, daß sich eine Patrone noch im Lauf befand. Er wurde zu spät gefunden. Tot. Kaum 50jährig.“ (Autorennotiz von Radio 88.8)
Ich weiß nicht, ob Gruhl im Krieg war oder sonst wie Erfahrungen mit Waffen hatte. Als Mediziner wird er jedenfalls ihre Auswirkungen gekannt haben. Bei der Nummer mit der „vergessenen Patrone“ wird wahrscheinlich jeder Krimileser argwöhnisch. Ich weiß auch so gut wie nichts über sein Leben.. War er depressiv? Könnte es Selbstmord gewesen sein, der aus versicherungstechnischen Gründen wie ein Unfall aussehen sollte? Oder war es gar ein erfolgreicher Mord? Der Stoff aus dem die Mythen sind. In jedem anderen Land wäre er schon alleine deswegen in der Krimiszene ein allgemein bekannter Autor.
Leider hat er den nachhaltigen Erfolg der Rundfunkadaptionen seiner Bücher, die Radiogeschichte geschrieben haben, nur zu Beginn erlebt. Vielleicht hilft die Neuausgabe seiner Hörserien bei Pidax ihn wiederzuentdecken.
Nach seinem Tod erschienen seine Krimis bis in die 1980er hinein. Darunter auch Erstausgaben: Die lange Spur (1975), Nichts sprach für Mord (1975),Die Boten des Todes (1975).
Der Bastei Verlag versuchte seine Neuausgaben mit dem schwachsinnigen Etikett „Psychokrimis“ unters Volk zu bringen. Genauso gut könnte man sie „Boulevard-Thriller“ nennen. .Sein Klassiker, DAS VIERTE SKALPEL wurde 1973 sogar in den Niederlanden als Hörspiel produziert, wie ein Jahr später auch „Ga zitten en sterf“. Es dürfte nicht viele deutsche Kriminalliteraten geben – wenn überhaupt – die es ins holländische Radio geschafft haben.
BIBLIOGRAPHIE (nach WIKIPEDIA):
Kriminalromane:
Das vierte Skalpell (1957)
Fünf tote alte Damen (1960)
Tödlicher Cocktail (1965)
Nimm Platz und stirb (1967)
Der Feigling (1969)
Ganz in Weiß mit einem Totenstrauß (Romanheft, gekürzte Fassung von Das vierte Skalpell) (1969)
Mit Mördern spielt man nicht (1969)
Die letzte Visite (1973)
Die lange Spur (1975)
Nichts sprach für Mord (1975)
Die Boten des Todes (1975)
Tödlicher Cocktail – Vier Meisterpsychos (Sammelband mit: Tödlicher Cocktail, Nichts sprach für Mord, Die lange Spur, Mit Mördern spielt man nicht) (1985)
Andere Bücher:
Liebe auf krummen Beinen (1958)
Ehe auf krummen Beinen (1959)
Hörspieladaptionen:
Nimm Platz und stirb (1964) SFB, 187 Minuten, Bearbeitung: Hans Georg Berthold. Regie: Curt Goetz-Pflug.
Fünf tote alte Damen (1965) SWF/WDR, 234 Minuten, Bearbeitung: Hans Georg Berthold. Regie: Curt Goetz-Pflug.
Das vierte Skalpell (1968) SFB/WDR, 190 Minuten, Bearbeitung: Hans Georg Berthold. Regie: Curt Goetz-Pflug
Die letzte Visite (1969) SFB/WDR, 190 Minuten, Bearbeitung: Hans Georg Berthold. Regie: Friedhelm von Petersson.
Ga zitten en sterf (1974) VARA (Niederlande), 5 Teile, 190 Minuten, Regie: Klaus Mehrländer, nach dem Roman Nimm Platz und stirb von Hans Gruhl
Verfilmungen und Drehbücher:
Liebe auf krummen Beinen (1959) Regie: Thomas Engel, Drehbuch: Herbert Reinecker und Utz Utermann nach dem gleichnamigen Roman von Hans Gruhl
Ich schwöre und gelobe (1959) Regie: Geza von Radvanyi Drehbuch: Stefan Olivier, Peter Goldbaum, Hans Gruhl nach einem Roman von Ernst Ludwig Ravius; mit Wolfgang Lukschy.
Heute kündigt mir mein Mann (1962) Regie: Rudolf Nussgruber, Drehbuch: Peter Goldbaum, Hans Gruhl; mit Gert Fröbe, Hilde Krahl (nach Somerset Maugham).
Zu FÜNF TOTE ALTE DAMEN:
„Hans Gruhls Krimis sind in ihrer Radioumsetzung schon seit langem mehr als Geheimtipps. Die Geschichten, die meist im Milieu des Arztwesens zu Hause sind, warten nicht nur mit einer exzellenten Krimigeschichte, sondern auch mit viel Humor, exzellenten Dialogen und sehr, sehr guten Sprechern auf. Gruhl bietet in Fünf tote alte Damen ein Zehn kleine Negerlein-Spiel, was einen sehr eingeschränkten Verdächtigenkreis bedingt. Aber Hans Gruhl schafft es, dass man bis zum Schluss im Dunkeln tappt und von diesem wendungsreichen Krimi immer wieder überrascht wird. Kennern erzähle ich hier nichts Neues, allen anderen lege ich diesen Krimi nochmal deutlich ans Herz. Wieder mal ein richtig guter Klassiker!“ – hoerspieltipps.net
Mitwirkende:
Martin Hirthe, Erika von Thellmann, Annamarie Boehme, Edith Wöber, Wolfgang Kühne, Edith Wöber, Manfred Grote, Paul Wagner, Otto Braml, Arnold Marquis, Dorothea Thiess
Autor: Hans Gruhl
Bearbeitung: Hans-Georg Berthold
Komponist: Hans-Martin Majewski
Regie: Curt Goetz-Pflug
1 CD im Jewelcase (bei Pidax)
Laufzeit: ca. 240 Minuten
Tonformat: MP3 Dolby 2.0 Mono
Sprache: Deutsch
Produktion: Koproduktion von SFB (heute:rbb) und WDR, Deutschland 1965
Filed under: Crime Fiction, Deutsches Feuilleton, Heftroman, Noir-Theorie, Pulp | Schlagwörter: Jim Thompson, pulp
Der geschätzte Kollege Thomas Klingenmaier hat in seiner äußerst lesenswerten Rezension zu Jim Thompsons „In die finstere Nacht“ (Heyne 272 Seiten, 9,99 Euro. Auch als eBook.)www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.jim-thompson:-in-die-finstere-nacht-der-killer-mit-dem-kindergesicht.949bc723-a01d-410c-abaa-75a883022af6.html zu meiner Kritik über die ungenaue, bzw. falschen Verwendung des Begriffs „pulp“ wie folgt geäußert:
„Martin Compart hat gegen diese mediengeschichtlich keineswegs akkurate Verwendung des Begriffs Pulp unlängst heftig Protest eingelegt. Sein Einwand ist allerdings ein wenig weltfremd. Begriffe, erst recht Fremdwörter, werden in einer lebendigen Sprache beständig umgedeutet.
Mit dem Lehnwort Pulp hat das Deutsche eine griffige Bezeichnung für jene Art des unfeinen Krimis, die es hierzulande am schwersten hat. Man darf sogar hoffen, sie hat jetzt einen Kampfbegriff. Pulp ist der Gegenentwurf zur Literaturleiter-Emporarbeitungsbemühung mancher Krimiautoren, die neben ein paar prächtigen Texten auch regalmeterweise Schreckvitrinen-Nippes hervorbringt.“
Dem „beständigen Umdeuten“ von Fachbegriffen muss ich widersprechen. Denn damit wäre eine wissenschaftliche oder kritische Auseinandersetzung mit einem Sujet ohne Verbindlichkeit. Weder in den Natur- noch in den Humanwissenschaften (denen auch Literaturkritik zuarbeitet) ist eine permanente Bedeutungsverschiebung von Begriffen vorstellbar, Kein Mensch, der sich mit Literatur beschäftigt, käme wohl auf den Gedanken. etablierte Termini, die allgemein verabredet sind, neu zu deuten. Zum Beispiel: Genre, Hard-boiled novel, Hardcover, Taschenbuch, Heftroman, Existenzialismus, Seifenoper, Klappentext, Sekundärliteratur usw. Ohne die zuverlässige Benutzung dieser Begriffe, wären die sie verwendenden Texte gar nicht oder nur schwer in Zusammenhängen erkennbar und über den eigenen Erkenntnishorizont hinaus wenig nützlich.
Ich verstehe natürlich sehr wohl, worauf Thomas Klingenmaier abzielt, wenn er sich „pulp“ als Kampfbegriff für eine subversive Kriminalliteratur abseits kleinbürgerlicher Konventionen wünscht. Aber aus den von mir aufgeführten Gründen (martincompart.wordpress.com/2012/07/15/denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun-uber-die-holzhaltigkeit-einiger-kritiker/ ) erscheint mir der Negriff „pulp“ ebenso falsch wie unnütz. Da sollte man lieber versuchen, einen neuen Begriff zu finden und zu etablieren. Und wenn es schon englisch sein soll, dann bietet sich doch die provokante Nutzung bürgerlicher Abwertungen für subversive Literatur an: Von „trash“ bis „gutter fiction“ ist vieles vorstellbar.
Filed under: Comics, Film, Noir, ORGANISIERTE KRIMINALITÄT, SCARFACE | Schlagwörter: Armitage Trail, comics, Drehbuchautoren, Film Noir, Gangster, Scarface
Anlässlich der deutschen Veröffentlichung des SCARFACE-Comics bei Schreiber & Leser, möchte ich nochmals an den Mythos erinnern, der in seiner populärkulturellen Bedeutung nicht überschätzt werden kann.
Auch der große Jack Kirby bearbeitete zweimal SCARFACE: 1947 und 1971.
FILM:
Howard Hawks Verfilmung von SCARFACE (1932) war der dritte große Gangsterfilm nach LITTLE CAESAR und PUBLIC ENEMY, der das Genre für die nächsten Jahrzehnte prägte und Stereotypen und Rituale festlegte. Dieser von Howard Hughes produzierte United Artists-Film erregte die Gemüter der Zensoren noch mehr als die beiden Gangsterfilme von Warner Brothers. Drei Schluss-Sequenzen wurden für den Film gedreht. Dabei wurde das übliche Klischee, wie der einstige furchtlose Gang-Boss um Gnade bittet, zur Freude der Zensoren bei den meisten Vorführungen in den USA verwendet. Das schönste Ende ist aber sicherlich die Version, in der Paul Muni von Maschinengewehrkugeln niedergemäht wird, vor dem Cook Tours-Zeichen mit der Aufschrift THE WORLD IS YOURS. Wie kompliziert die Adaption für den Film in Zeiten heftiger Zensur gewesen sein muss, sieht man an der langen Namensliste der Drehbuchautoren. Beteiligt am Drehbuch waren: Ben Hecht, Seton I.Miller, John Lee Mahin, William R.Burnett (der Romanvorlagen für LITTLE CAESAR, HIGH SIERRA, ASPHALTJUNGLE und mehr lieferte) und Fred Palsey.
Burnett: „Ein Agent von Howard Hughes rief mich an und bot mir 2000 Dollar pro Woche für die Arbeit am Drehbuch zu SCARFACE. Grundlage war dieses Buch von einem Heini namens Armitage Trail. Ein schlimmes Stück Mist – Pulp-Magazin-Zeugs eben. Ich arbeitete nicht für Howard Hawks, sondern für Hughes, der mir auch ein Büro gab. Plötzlich hatte ich zwölf verschiedene Drehbuchfassungen von SCARFACE auf dem Tisch. Egal. Ich schrieb ein komplettes Buch. Als ich fertig war, setzte Hughes den Drehbeginn an. Aber Hawks mochte nicht, was ich geschrieben hatte und holte zehn Tage vor Drehbeginn Ben Hecht dazu. Ben sagte: Ich schreib‘ euch ein drehbares Skript in zehn Tagen und kriege täglich 1000 Dollar ausbezahlt. Hecht war brillant, brauchte aber immer Geld. Ich denke, Ben Hecht war letztlich dafür verantwortlich, dass der Film gedreht wurde.“
Laut anderen Quellen schrieb Hecht in zwei Wochen sechzig Seiten des Drehbuches. Dann wollte er zurück nach New York und übergab die Arbeit an John Lee Mahin mit den Worten: „Voller Löcher, das Ding. Kaum Dialog. Das ist eher ein gutes Treatment. Du wirst Probleme haben, aber das ist dein Job.“ Hawks behauptete, er wäre zu Ben Hecht gegangen und hätte ihm die Anweisung gegeben, „Al Capones Geschichte wie die der Borgias zu erzählen“. Mahin: „Falsch. Ben sagte das zu Hawks. Ich habe selbst gehört, wie er es ihm sagte. Die Borgias faszinierten Ben schon immer. Ich bin mir nicht mal sicher, ob Howard die Borgias überhaupt kannte. Vielleicht. Wahrscheinlich hat er aber im Lexikon nachgeschaut, nachdem Ben ihm das gesagt hatte. Howard ist ein großer Lügner. Er behauptete auch, die Idee, wie George Raft mit der Münze spielt, sei von ihm. War es nicht. Das stand alles schon im Drehbuch. Ben hatte auch das erfunden.“ Raft musste das Flippen der Münze tagelang üben, bevor er es so gut konnte, dass er dabei einen anderen Schauspieler ansehen konnte.
Gleichzeitig arbeitete auch Seton Miller, ein alter Weggefährte von Howard Hawks, an dem Buch. Mahin konzentrierte sich auf die Dialoge, und schließlich erstellten die beiden Autoren zusammen mit Hawks die letzte Fassung. Angeblich verlangte Al Capone, der von dem Filmprojekt erfahren hatte, Einblick ins Drehbuch, das frei seine Lebensgeschichte erzählen sollte, zu nehmen. Der Capone-Biograph John Kobler schreibt: Eines nachts, so erzählte Hecht später, klopfte es plötzlich an der Tür seines Hotelzimmers in Los Angeles. Als er öffnete, standen zwei finster blickende Unbekannte vor ihm. Auf irgendeine Weise waren sie an eine Kopie seines Drehbuchs gekommen.
„Sind Sie der Mensch, der das geschrieben hat?“ fragte der Mann mit dem Skript in der Hand.
Hecht bejahte.
„Wir haben es gelesen.“
„Und wie fanden Sie es?“
„Ist dieses Zeug über Al Capone?“
„Gott bewahre! Ich kenne Al noch nicht mal.“ Er nannte die Namen einiger Gangster, die er in Chicago als Reporter kennen gelernt hatte – Colosimo, O’Bannion, Hymie Weiß…
„Okay. Wir sagen Al, dass dieses Zeug über andere Brüder ist.“ Als sie gerade gehen wollten, fiel ihnen noch etwas ein:
„Wenn das Zeug nicht über Capone ist, warum haben Sie es dann SCARFACE genannt? Jeder denkt, dass er es ist.“
„Genau deshalb. Al ist einer der berühmtesten und faszinierendsten Männer, die es gibt. Wenn man den Film SCARFACE nennt, will jeder ihn sehen, weil er glaubt, er ist über Al. Das gehört zu den Tricks im Showgeschäft.“
„Werd‘ ich Al sagen. Und was ist dieser Howard Hughes für ein Kerl?“
„Der hat damit gar nichts zu tun. Das ist der Dummkopf mit dem Geld.“
„Okay. Hol ihn der Teufel.“ Befriedigt zogen sie ab.
Den Titelzusatz Shame of a Nation hatte ein Zensor des Hays Code durchgesetzt. Anscheinend war Capone von den Berichten seiner Drehbuch-Controler nicht völlig überzeugt. Jedenfalls besuchten einige von Capones Leuten die Dreharbeiten und wollten eine Preview des Films sehen. Hawks sagte ihnen, Al könne sich eine Eintrittskarte kaufen, wenn der Film in den Kinos sei. Capones Leuten gefiel diese Antwort überhaupt nicht, und sie machten ein bisschen Druck. In Windeseile stellte Hawks für sie eine Rohfassung zusammen. Den Gangstern gefiel der Film, und sie berichteten das Capone. Daraufhin wurde Hawks nach Chicago zu einer Audienz bei Capone eingeladen. „Capone und ich tranken zwei, drei Stunden Tee miteinander. Er hatte einen Morgenrock an.“ Zur Premiere des Films in Chicago schenkte Capone Hawks eine Miniaturmaschinenpistole und verlangte, daß George Raft zu ihm kommen sollte. Raft erzählte seinem Biographen Lewis Yablonsky von dem Gespräch: Capone rieb sich die berühmte Narbe und sagte: „Sag‘ den Typen in Hollywood, sie kennen Al Capone nicht. Sie haben mich am Ende des Films umgelegt. Niemand legt den König von Chicago um. Sag‘ ihnen das.“ Als ich verschwinden wollte, sagte er: „Georgie, du spielst in dem Film meinen Leibwächter und machst dauernd mit dieser Münze rum.“
„Nur theatralisches Zeug.“
„War das ein viertel Dollar?“
„Nein. Ein Nickel.“
„Das ist schlimm. Sag‘ ihnen, wenn einer meiner Leute mit einer Münze spielen würde, dann mit einer goldenen Zwanzigdollar Münze.“ Ich wusste nicht, ob er nur Spaß machte oder es ernst meinte. Jedenfalls mochte er den Film und die Aufmerksamkeit, die er durch ihn bekam.
REMAKE?
1980 sah der amerikanische Produzent Martin Bregman im Nachtprogramm eines TV-Senders Howard Hawks Klassiker SCARFACE. Sofort dachte er daran, eine zeitgenössische Version des Films zu realisieren. Und er sah eine Chance für Al Pacino, mit dem er zuvor schon bei DOG DAY AFTERNOON (HUNDSTAGE) und SERPICO zusammengearbeitet hatte, „einen Charakter auf die Leinwand zu bringen, den Pacino nie zuvor gespielt hatte und der seit James Cagney in WHITE HEAT nicht mehr zu sehen war“.
Bregman wollte aber kein simples Remake: „Die Unterwelt hat sich, wie alles andere auch, geändert seit den Tagen von Capone. Inzwischen ist Kokain das große Geschäft geworden. Jemand, der skrupellos, clever und hungrig genug ist, kann unglaubliches Geld machen, indem er Drogen von Südamerika in die USA bringt.“ Das Drogengeschäft, dass immer auch mit Unterstützung von so edlen Organisationen wie CIA oder DEA gemacht wird, ist für die Entwicklung der Organisierten Kriminalität genauso wichtig, wie es einmal das Alkoholverbot war. Riesige illegale Vermögen werden und wurden verdient und in den legalen Weltfinanzkreislauf eingespeist. „Mit dem Geld aus dem Drogenhandel könnte man locker ganz Schwarzafrika und mehr aufkaufen“, sagte einmal der zu ehrliche DEA-Fahnder Levine, der am eigenen Leib feststellen durfte, dass politische und wirtschaftliche Verantwortungsträger nicht das geringste Interesse daran haben, dieses schmutzige Geschäft zu zerstören. Oder wie es ein Wall Street-Banker in der bahnbrechenden Noir-TV-Serie MIAMI VICE ausdrückte: „Unsere Freunde in Südamerika können uns ihre Schulden nicht mit Indianerschnitzereien zurückzahlen.“ Ein genialer Einfall von Stone und Bergman, die zeitgenössische Interpretation von SCARFACE in diesem Geschäft anzusiedeln!
Im Mai 1980 ließ Fidel Castro 125 000 Kubaner vom kubanischen Hafen Mariel aus in die USA deportieren. Castro nutzte die Chance, um Kubas Kriminelle in die USA zu exportieren. Versteckt unter den Neuankömmlingen befanden sich das schlimmste Gesindel und Psychopathen. Fast der gesamte Abschaum der Insel. Fidel muss sich krankgelacht haben, als er die Knäste leerte und diese Horrorgestalten bei den Erzfeinden abkippen durfte.
Ausgehend von diesen Ideen, holte Bregman Oliver Stone als Drehbuchautor zu dem Projekt. Zwei Monate recherchierte Stone in der lateinamerikanischen Unterwelt von Südflorida. Er sprach mit Mulis, FBI-Agenten und Straßendealern, dann flog er zur Karibikinsel Bimini und weiter nach Kolumbien, Ecuador und Peru. „Damals fühlte ich mich ziemlich bedroht. Die meiste Zeit verbrachte ich zwischen Mitternacht und Tagesanbruch in dubiosen Gegenden. Es ist nicht gerade die sicherste Zeit, erst recht nicht, wenn man dauernd Leute trifft, die sich vielleicht hinterher überlegen könnten, dass sie dir zuviel erzählt haben“, erinnerte sich Stone. Das fertige Drehbuch schickte Bregman an Brian de Palma, der gewöhnlich seine Filme selbst schreibt (vielleicht sein größter Fehler als Filmemacher), aber Stones Skript akzeptierte. Pacino begann auf die für ihn typische Art mit den Vorbereitungen: Er zog nach Miami und trieb sich unter Exilkubanern herum um die Bräuche und Spracheigenheiten der Marielitos kennen zu lernen, die so genannt werden, weil sie ursprünglich vom kubanischen Hafen Mariel aus nach Florida kamen. Während der Dreharbeiten sprach er ausschließlich in diesem Slang.
In Brian de Palmas Version spielt die Handlung während der 80er Jahre im MIAMI VICE-Territorium. Tony Montanas (Pacino) flieht von Kuba nach Miami, um dort seinen eigenen amerikanischen Traum zu verwirklichen. Durch Drogenhandel im großen Stil wird er einer der mächtigsten Kingpins und muss feststellen, dass man genauso brutal die Macht verteidigen muss, wie man sie erobert hat. Nichts ist ihm dabei zu schmutzig. Am Ende ist er isoliert und der Schlachten mit seiner Frau (Michelle Pfeiffer), die zur Fixerin wurde, müde.
Der arme Maurice Coons, alias Armitage Trail, hat bestimmt nicht im Traum daran gedacht, dass sein Roman so einflussreich werden würde. Dieser Roman und Burnetts LITTLE CAESAR waren die Grundlage für die Mythologisierung des Gangsters zu einer Pop-Ikone des 20.Jahrhunderts.
NACHTRAG ZUM COMIC:
Ein naiver Kritiker, der den SCARFACE-Mythos nicht richtig einordnen konnte, sah diesen im Comic gar entzaubert: „De Metter entzaubert in einer schönen Miniatur einen der berühmten Topoi über das Gangstertum in Chicago und dessen soziale Funktion (Armenspeisung etc.) als reinen Kitsch: Camonte ist nett zu Kids aus der Unterschicht, derweil seine Jungs (offscreen) einen Feind foltern…“ Einem Geschäftsmann wie Capone Altruismus (Armenspeisung etc.) zu unterstellen, ist ziemlich naiv. In seiner sozialdemokratischen Romantik sah er wohl Gegensätze bei zwei Seiten derselben Medaille. Wahrscheinlich begreift er nicht die systemimmanenten Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft: Das zum Beispiel die Kinder der Armen in Kriegen für die Wirtschaftsinteressen der Reichen verheizt werden, gleichzeitig aber ein Präsidenten-Darsteller eine Gesundheitsreform durchsetzen darf, die durchaus die Lebensbedingungen der Armen verbessern könnte (und der Pharmaindustrie neue Märkte erschließt). Capones Armenspeisungen hatte die knallharte Funktion, sich ein nützliches Sympathisanten-Netzwerk zu schaffen.