Martin Compart


AUS DEM A.D.G.-NACHWORT: Die „SÉRIE NOIRE“ by Martin Compart

Série Noire

Die «Série Noire», die Kriminalliteratur-Reihe des Verlags Gallimard, war und ist von größter Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der französischen Kriminalliteratur seit dem Zweiten Weltkrieg. Im Laufe der Jahrzehnte hat sie einen ikonischen Status in der Welt des Krimis errungen. Als wahrscheinlich wichtigste Krimi-Reihe weltweit ist sie längst ein eigener Mythos des Genres. Viele ihrer Autoren stehen im Ruf, in ihren Büchern – manchmal subtil, manchmal unerbittlich – sehr engagiert Politik zu betreiben beziehungsweise Gesellschaftskritik zu üben.
Der einstige Einfluss der «Série Noire» hält an, und die Sammlung bringt weiterhin Werke hervor, die inspirieren und anregen. Spätestens seit dem Erfolg des Neo-Polar sind aber seit den 1980er Jahren neue ambitionierte Reihen entstanden, die der «Série Noire» erfolgreich Konkurrenz machen.

Gegründet wurde die Reihe bereits im September 1945 von dem Autor, Übersetzer und Filmschauspieler Marcel Duhamel (1900–1977). Die Bezeichnung «Série Noire» geht auf Jacques Prévert zurück, der sie ursprünglich für die Filme aus Hollywoods Schwarzer Serie geprägt hatte und die sich schnell als Fachbegriff in der Filmkritik etablierte.

«Marcel Duhamel, ein großer Kenner der amerikanischen Literatur … hatte Gaston Gallimard überreden können, in seinem angesehenen Haus eine Reihe von Roman noirs zu veröffentlichen. Trotz des Abratens seiner Umgebung war der Verleger das Wagnis eingegangen. Duhamel war nach London, auch die Hauptstadt des Verlagswesens, gereist, um die Lizenzen von James Hadley Chase und die von Peter Cheyney zu kaufen … Marcel Duhamel hatte im Verlagssitz in der Rue Sébastien-Bottin ein kleines Büro erhalten, dazu die Hilfe einer Mitarbeiterin … Chases Roman No Orchids for Miss Blandish hatte 1946 nach einigen Monaten reißenden Absatz gefunden, und in Saint-Germain hatte die Welt der Série Noire besonders viele Anhänger…»2

Duhamel gehörte zeitweise zu der Avantgardegruppierung «le grand jeu» und der surrealistischen Gruppe um Jacques Prévert und André Breton. Von 1939 bis 1941 spielte er in mindestens fünfzehn Filmen mit. (1953 tauchte er als Drehbuchautor nochmals in dem Eddie-Constantine-Film Cet homme est dangereux auf; es war der zweite Lemmy-Caution-Film, beruhend auf dem ersten Lemmy-Roman von Peter Cheyney. Mit dem Cheyney-Roman Poison Ivy hatte Duhamel die «Série Noire» eröffnet.)

Er übersetzte Steinbeck und Hemingway ins Französische und auch einige Autoren für seine Reihe.

Marcel Duhamel verfasste 1948 sogar ein «Manifest der Série Noire», in dem er warnt: «Leser aufgepasst: Die Romane der Série Noire können gefährlich sein, wenn sie in die falschen Hände geraten. Amateurdetektive wie Sherlock Holmes haben hier nichts zu suchen. Ebensowenig unerschütterliche Optimisten. Die Unmoral dieser Bücher stößt die herkömmliche Moral ab. Auch gute Absichten haben hier keinen Platz. Kurz gesagt, dies ist eine Welt der Amoralität. Der Geist dieser Bücher ist selten konformistisch. Sie werden Polizisten sehen, die korrupter sind als die Verbrecher, die sie jagen. Ein sympathischer Detektiv wird nicht immer das Rätsel lösen. Manchmal gibt es sogar kein Rätsel, und manchmal nicht einmal einen Detektiv. Und dann ? Was bleibt, ist Action, Angst, Schläge, Massaker – Gewalt in jeder bösen Form. Wie in guten Filmen offenbaren sich die Charaktere durch ihr Handeln, und Leser, die introspektive Literatur mögen, werden sich zurücklehnen. Es gibt auch Liebe, vorzugsweise brutale, unbestimmte Leidenschaft und gnadenlosen Hass. Kurz gesagt, unser Ziel ist einfach: Wir wollen Ihnen schlaflose Nächte bereiten.»3

In ihrer Brutalität und ihrem Zynismus sollten die Bücher die Erfahrungen der Leser unter der erbarmungslosen deutschen Okkupation widerspiegeln. Gleichzeitig bedienten sie das geradezu hysterisch zunehmende Interesse an der gesamten amerikanischen Pop-Kultur – von Jazz über Film bis Comics.

Die Auswahl der ersten Romane war von großer Bedeutung. Cheyney (bald folgte James Hadley Chase, ein weiterer britischer «Hard-boiled»-Autor) eröffnete die Reihe, und als Engländer, der den amerikanische «Hard-boiled-Stil» kopierte, bot er Texte an, die fast schon Karikaturen der Vereinigten Staaten enthielten und sich für ein revisionistisches Bild der amerikanischen Überlegenheit für eine französische Leserschaft eigneten. Die US-Klassiker folgten schnell, und Hammett, Chandler, Cain und fast der gesamte Kanon fanden durch die «Série Noire» ebenfalls erfolgreich ihr französisches Publikum.

Der schnelle und große Erfolg der Reihe überraschte die gesamte Buchbranche. Er korrespondierte mit dem großen Interesse und Nachholbedarf der Franzosen in Sachen amerikanische Kultur.

Der US-Einfluss auf Musik, Film und Literatur zeigte sich beispielsweise bei dem Jazz-Musiker und Schriftsteller Boris Vian: Der Erfolg amerikanischer Autoren veranlasste ihn, unter dem Pseudonym «Vernon Sullivan» zu schreiben und selbst vier Hard-boiled-Romane zu verfassen, darunter der berühmte Ich werde auf eure Gräber spucken (1946). Dieser Roman war zeitweise das meistverkaufte Buch in Frankreich, bevor es vorübergehend verboten wurde. Vian übersetzte auch Werke für die «Série Noire», darunter Raymond Chandlers The Big Sleep und Kenneth Fearings The Big Clock (1948).

1948 erhielt die «Série Noire» ihre charakteristischen schwarzgelben Cover, die von Germaine Gibard, der späteren Madame Duhamel, entworfen wurden. Diese rein typografischen Cover stellten eine ästhetische Revolution dar, denn die Kriminalromane der Vorkriegszeit trugen in der Regel Illustrationen auf dem Umschlag. Ab Juli 1948 wurde die Reihe von zwei veröffentlichten Titeln pro Jahr auf zwei Titel pro Monat umgestellt.

Die Vorstellung vom Kriminalroman als primär amerikanischem Genre wurde so mächtig, dass einheimische Autoren in Schwierigkeiten gerieten: Einige, wie Serge Arcouët und Jean Meckert, veröffentlichten unter angelsächsischen Pseudonymen, wie Terry Stewart bzw. John Amila, um ihre Verkaufschancen zu erhöhen. Ab Mitte der 1950er wurden aber auch in der «Série Noire» dann mehr oder weniger regelmäßig namentlich französische Autoren aufgelegt (etwa Antoine Dominique mit seiner Gorilla-Serie, José Giovanni, Albert Simonin oder Pierre Lesous von Melville verfilmter Klassiker Le doulos, 1957). Die Franzosen lieb(t)en die angelsächsische Noir-Literatur nicht zuletzt deshalb so leidenschaftlich, weil darin ihre eigene existenzialistische Weltsicht bestätigt wurde und wird.

1955 hatte die Reihe eine Gesamtauflage von 10 Millionen verkauften Exemplaren erreicht ! Der meistveröffentlichte Autor aber war der Australier Carter Brown. Zwischen 1959 und 1974 wurden unter seinem Namen 121 Titel aufgelegt; an zweiter Stelle folgte James Hadley Chase mit 57 Veröffentlichungen. Außerdem verschaffte die «Serie Noire» amerikanischen Autoren wie Jim Thompson, David Goodis, Charles Williams usw., die in ihrer Heimat längst vergessen waren, weltweite Reputation. Die Wiederentdeckung vieler «Hard-boiled»-Klassiker in den USA erlebte ihren Anstoß durch die «Série Noire».

In den 1960er Jahren erschienen in der Reihe 96 Titel pro Jahr mit Auflagen von jeweils 50 000 bis 100 000 Exemplaren. Damals geriet die Reihe jedoch auch in eine Stagnation. Dies lag zweifellos an der zunehmenden Fülle von Titeln auf dem Krimi-Markt. Bedingt durch den Erfolg der «Série Noire», entstanden immer mehr Konkurrenzreihen, die jedoch selten die Verkaufszahlen und nie das Ansehen der Gallimard-Reihe erreichten. Doch der Krimi-Markt war nun endgültig zum Verdrängungsmarkt geworden.

Nach dem Tod von Marcel Duhamel im Jahr 1977 setzte eine kurze Phase des Niedergangs ein. Die Reihe wurde nacheinander von Robert Soulat (1977 bis 1991), Patrick Raynal (1991 bis 2004), Aurélien Masson (2005 bis 2017) und seit 2017 von Stéphanie Delestré als Herausgebern weitergeführt.

Russell Williams bemerkte 2015 in einem Essay:
«Georges Bataille zufolge gibt es eine tiefe Verbindung zwischen Literatur und dem Bösen. Wenn Schreiben und Lesen transgressive Handlungen oder Verbrechen sind, die tiefe philosophische Wahrheiten über uns und unsere Welt aufdecken, was enthüllt dann die Kriminalliteratur – ein Genre, das sich auf diese Transgressionen konzentriert ? Wissenschaftler von Dennis Porter bis Ernest Mandel argumentieren, dass das Genre des Krimis auch eindeutig sozial, ja sogar politisch ist und etwas über die Ideologie des Mainstreams, über Macht und Kontrolle aussagt. Diese Beschreibungen mögen bei Büchern, die in erster Linie auf Lesbarkeit ausgerichtet zu sein scheinen, kontraintuitiv erscheinen, aber die allerbesten Beispiele für Krimis vereinen die Zufriedenheit des Lesers mit tieferen Einsichten. Einer der wichtigsten und einflussreichsten Anbieter europäischer Krimis, der auch vor philosophischen und politischen Themen nicht zurückschreckt, ist die Série Noire des
französischen Verlagshauses Gallimard.»
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Was uns (im nächsten Kapitel) zum Neo-Polar und A.D.G. und Manchette führt.



HÖLLE IN DER PIPELINE – Jim Thompsons Roman SÜDLICH VOM HIMMEL by Martin Compart
11. Juni 2015, 3:32 pm
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a1b2daa61b33c767a37ffabe1f0f44f1[1]Seit einigen Jahren veröffentlicht HEYNE HARDCORE die Romane Jim Thompsons, die zuvor nie ins Deutsche übersetzt wurden. Darunter sind Werke, deren kommerzieller Erfolg am deutschen Markt zweifelhaft sind. Es sind Werke, wie etwa Thompsons Debüt NOW AND ON EARTH, die in der Tradition der Proletarian Novel stehen und weniger der Noir-Literatur verpflichtet sind (die Zusammenhänge zwischen Proletarian Novel und Noir-Roman wurden m.W. erstmals 1968 in David Maddens inzwischen klassischer Essay-Sammlung TOUGH GUY WRITERS OF THE THIRTIES untersucht). In seinem Spätwerk, SÜDLICH VOM HIMMEL, kehrt Thompson wieder mal zu diesen Wurzeln zurück.

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„Für die einen ist das die Hölle, für andere die harten Ölbohrarbeiten unter der Sonne von Texas. So eine Geschichte erzählt der junge Tommy Burwell, der bei einer Ölgesellschaft anheuert. Für Tommy beginnt eine harsche Zeit, denn sein alter Kumpel Four Trey Whitey setzt ihn für Sprengarbeiten ein. In diesem von hemmungsloser Gewalt geprägten Milieu muss Tommy sich seinen Platz erkämpfen. Er lebt ein Leben in Blut, Schweiß und Tränen. Als die Brüder seiner Freundin Carol planen, die Lohnkasse zu rauben, wird es eng für Tommy …“

090cover[1]Es ist eines der autobiographischen Büchern von Thompson, gleichermaßen noir wie proletarisch. In Tony Burwell, der unter der glühenden texanischen Sonne unter Lebensgefahr seine Arbeitskraft verkauft, kann man unschwer den Jungen Jim Thompso erkennen, der einst denselben Job hatte und ähnliche Träume und Hoffnungen.
„Was Upton Sinclair für die Fleischindustrie tat, machte Thompson hier für die Ölarbeiter, die Pipelines legen“, schrieb Thompsons langjähriger Freund und Lektor Arnold Hano im Vorwort der amerikanischen Luxusausgabe von Arion Press. Thompsons Klassenbewusstsein und Menschenbild kamen von dort, wo wild gewordene Irre als Ölbarone den Mythos vom amerikanischen Traum einmal mehr zertrümmerten.

Der bekannte Wahnsinn der Thompson-Hölle ist auch hier allgegenwärtig: die psychopathische Männergesellschaft, die brutale Ausbeutung durch das kapitalistische System, das nicht nur psychisch über Leichen geht, die Gestrauchelten und Zerstörten und die gefährliche Liebe. Trotz allem erscheint Thompson hier etwas optimistischer. Wie schon im direkt zuvor geschriebenen Roman TEXAS BY THE TAIL, gehört SOUTH OF HEAVEN zu den wenigen Werken, in denen er seinen Protagonisten ein Happyend gönnt. Wenn man Thompson als optimistischer bezeichnet, ist das natürlich so, als kämen bei einer Geiselnahme anstatt allen nur die Hälfte der Geiseln um Leben. Seine Verachtung für die USA zeigte sich in allem, was er schrieb.

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Der wahre Höhepunkt dieses Bandes ist allerdings das Nachwort von Friederich Ani; es ist so erhellend, dass man zum Lesen eine Sonnenbrille aufsetzen muss.

Ani teilt uns im Nachwort Wesentliches mit, das man zuvor so kaum wahrgenommen hat: „Tommy Burwell – so heißt die Hauptfigur.“ etwa.
Cornell Woolrich benennt er als „Erfinder der Schwarzen Serie“. Darüber hätte man gerne mehr erfahren. Wie der alte Cornell in seinem Labor mit verschiedenen Ingredienzien experimentierte, bevor er 1934 Dashiell Hammett, Caroll John Daly, Erle Stanley Gardner, Raoul Whitfield, Horace McCoy, Frederick Nebel, Paul Cain und Phil Cody gemailt hat: „Heureka! Es ist vollbracht! Die Schwarze Serie ist erfunden!“ Aber selbst Ani kann auf fünf Seiten nicht alles leisten.

Mit knappen Pinselstrichen malt er Erkenntnisse über Thompsons Leben, die man bisher kaum kannte: Dass er Alkohol mochte, nicht wohlhabend starb und glücklos als Lohnschreiber in Hollywood knechtete.

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Er erspart uns dankenswerter Weise die hoch interessante Geschichte einer projektierten Verfilmung des Buches: Darunter, dass Tony Bill (assoziiert mit Robert Redford) 1970 für 10 Dollar die Filmrechte kaufte; ein Projekt seiner Firma Bi-Plane Cinematograph für Columbia. Dass Robert Redford als Co-Produzent und Hauptdarsteller einstieg, dass Thompson für drei Drehbuchfassungen (die sich mehr und mehr vom Roman entfernten) 10.000 Dollar bekam. Ani erspart uns triviale Details wie etwa, dass Gold Medal für das Buch 2000 Dollar Vorschuss rüberreichte, dass Thompson selber 1927 für die Texas Company beim Pipelinebau als Power Monkey arbeitete, dass dies der erste Roman seit seinem Debüt von 1942 ist, in dem ein Ich-Erzähler kein Krimineller ist, und natürlich kein Wort über Thompsons Verhaftung im Proletarischen Roman. Stattdessen verkündet er so anstrahlendes, dass die Sonnenbrille beschlägt: „Habe ich schon erwähnt, dass es sich hier mit einiger Sicherheit um einen Kriminalroman handelt?“ Erstaunlich, was man heutzutage alles so wissen könnte!

Ganz wunderbar beklagt Ani am Anfang seines epochalen Nachworts die Situation auf dem deutschen Krimi-Markt, dessen geistlose Stapeltitel die Qualität zu erdrücken drohen. Angeekelt hat er sich als Buchautor wohl aus diesem Segment zurück gezogen, zu dem er vor einigen Jahren noch selber zählte mit seinen erschreckenden Büchern. Auch den Warencharakter der Kriminalliteratur durchschaut er kritisch: „Schneller, Leute!, schallt es aus den zuständigen Verlagskonzernen, in drei Wochen kommt ein neuer Krimi auf den Markt, wir haben keine Zeit für poetisches Gedöns! Wir handeln hier nicht mit Literatur, wir sind Buchstabenverwalter…“ Undsoweiter. Vorbei die Zeiten, wo man einen Ani-Roman verlegte, um die Welt schöner und sicherer zu machen und Verlage es strikt ablehnten, sich an Büchern zu bereichern und jeder Profit umgehend in die 3.Welt überwiesen wurde.



KRIMIS, DIE MAN GELESEN HABEN SOLLTE: JIM THOMPSON by Martin Compart
2. März 2014, 4:24 pm
Filed under: Crime Fiction, Jim Thompson, Krimis,die man gelesen haben sollte, Noir | Schlagwörter: , ,

Auch wenn er keinen aktuellen deutschen Verlag hat (Ausnahme: zwei Bücher bei Heyne Hardcore), ist das keine Entschuldigung dafür, Jim Thompson nicht zu lesen.
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Als James Myers Thompson am 7. April 1977 in Los Angeles starb, war er ein vergessener Schriftsteller, und kein Buch von ihm war noch lieferbar. Wenige Jahre zuvor hatte er in Second- Hand-Läden alte Ausgaben seiner Romane aufgekauft und versucht, die Filmrechte an seinem G e s a m t w e r k für 500 Dollar an Hollywood zu verkaufen. Zum Glück seiner Erben griff keiner dieser instinktlosen Glamourpiraten zu, und heute müssen die Produzenten tief in die Tasche greifen, wenn sie ein Thompson-Recht erwerben wollen. An seiner Beerdigung in Westwood nahmen nur wenige Menschen teil; lediglich vier Trauergäste gehörten nicht der Familie an, darunter Thompsons langjähriger Lektor und Freund Arnold Hano: „Ich fühlte mich schlecht, es waren nur wenige Leute da. Es kam mir vor, als wäre ich in einer Jim Thompson-Geschichte.“

Jim Thompson wurde am 27.September 1906 im Gefängnis des Caddo County in Anadarko im Oklahoma Territory (das erst ein Jahr später als Bundesstaat anerkannt wurde) geboren. Thompsons Vater war dort Sheriff, nachdem er zuvor als Ölmann eine Million Dollar gemacht und verloren hatte. Jim war ein echter Junge vom Land und lernte als Kind die Ölfelder von Oklahoma und Texas und die Prärien von Nebraska kennen. Landschaften, die in seinen späteren Romanen immer wieder eindrucksvoll verarbeitet wurden. Sein Verhältnis zu seinem Vater, der ein glückloser Rumtreiber war, blieb zeit seines Lebens problematisch. Nie schien er dessen Anerkennung erringen zu können, und bis zu seinem eigenen Tod fühlte er sich als Versager. Jim begann mit vierzehn Jahren zu schreiben und veröffentlichte seine erste Story mit fünfzehn. Daneben beendete er die Schule und hatte verschiedene Jobs als Hotelboy (davon erzählt er in dem grandiosen autobiographischen Roman BAD BOY, 1953) und Golfcaddy. An der Universität von Nebraska, wo er Journalismus studierte, lernte er 1931 Alberta Hesse kennen, die er 1932 heiratete. Zu diesem Zeitpunkt war Alberta mit dem ersten Kind schwanger, zwei weitere sollten folgen. Die Ehe hielt bis zu seinem Tod, 46 Jahre. Nach der Geburt seiner Tochter Patricia gab Jim das Studium auf, um Geld für seine Familie zu verdienen. Das war in den Jahren der Depression nicht so leicht, und Jim hatte zahlreiche, obskure Jobs und brachte die Familie kärglich als kleiner Geschäftemacher oder Ölfeldarbeiter durch. Geldsorgen sollten ihn bis an sein Lebensende begleiten. Mitte der 30er Jahre war er für drei Jahre Direktor des „Writer’s Project“ in Oklahoma City, ein Projekt des New Deals von Roosevelt für arbeitslose Schriftsteller und einer von Jims besseren Jobs. In dieser Zeit fasste er wohl den endgültigen Entschluss, sich künftig als Autor durchs Leben zu schlagen.

351_67610_105254_xl[1]1942 erschien sein erster Roman, NOW AND ON EARTH. Bis 1949 folgten zwei weitere, wobei der letzte, NOTHING MORE THAN MURDER, 1949, bereits Thompsons Markenzeichen einführt: den psychopathischen Ich-Erzähler. Der große Erfolg als Autor blieb jedoch aus und Jim wurde in den vierziger Jahre zunehmend zum Alkoholiker. Anfang der 50er Jahre hatte er mehrere Jobs bei Zeitungen und schrieb regelmäßig über wahre Kriminalfälle für die „True Crime“-Magazine. Kurze Zeit hielt er sich sogar als Managing Editor für eines dieser billigen Magazine, bevor ihm sein Alkoholismus einen weiteren Rausschmiss bescherte. 1952 schien Jim am Ende zu sein, ein hoffnungsloser Säufer, der keinen Job mehr vernünftig auf die Reihe brachte. Das muss ihm in einem seiner seltenen klaren Momente bewusst geworden sein. Jedenfalls stoppte er das Trinken, nüchterte aus und beriet sich mit seiner Agentin Ingrid Hallen. Die schleppte den noch zittrigen Thompson kurz entschlossen in die Büros von Jim Bryans und Arnold Hano, den Lektoren des neuen Taschenbuchverlags Lion Boocks. Anfang der 50er Jahre schossen die Taschenbuchverlage nur so aus dem Boden. Mit billigen Nachdrucken von Bestsellern und immer mehr spannenden Originalromanen, meist Western, Liebesromane oder Thriller, verdrängten sie die Magazine (Pulps) in der Gunst des Publikums und bedienten einen schier unersättlichen Markt. Hano mochte den schüchternen Mann sofort. Er legte ihm ein paar äußerst grobe und klischeehafte Konzepte für Romane vor, die er für den Verlag geschrieben haben wollte. Jim wählte zwei davon aus. Aus dem zweiten wurde CROPPER’S CABIN, Thompsons optimistischster und Erskine Caldwel ähnlicher Roman (das für Thompson überhaupt nicht typische Schlusskapitel beruhte auf einer Anordnung des Verlages, der das ursprüngliche, pessimistische Ende nicht akzeptierte). Das andere Konzept trug den Titel SLEEP WITH THE DEVIL und handelte von einem Großstadtpolizisten, der sich in eine Prostituierte verliebt und sie dann umbringt. Daraus sollte Jims erstes Buch für Lion werden, der unsterbliche schwarze Klassiker THE KILLER INSIDE ME, für viele Jims bestes Buch. Mit Hanos Konzept hat der Roman nicht mehr viel zu tun. Thompson schrieb THE KILLER INSIDE ME in zwei Wochen und bekam 2000 Dollar für den Roman. Hano war so sehr von dem Buch beeindruckt, dass er es als Kandidaten für den National Book Award einreichte. Und niemand, der die Geschichte von Sheriff Lou Ford gelesen hat, wird diesen düsteren Roman je vergessen können.

Ohne jeden Zweifel gehört es zu den zehn wichtigsten und einflussreichsten Werken der nordamerikanischen Kriminalliteratur. Erstmals wurden in diesem Buch Elemente der Hard-boiled-novel konsequent und geradezu diabolisch mit der Psychoanalyse verbunden. Das die Erzählung vom psychopathischen Täter selbst vorgetragen wird, ist heute natürlich nichts ungewöhnliches mehr, war aber 1952 ein innovatives Wagnis. Bedenkt man, dass der Killer ein Polizist ist und das Buch zur Zeit der Terrorherrschaft des Senator McCarthy erschien, muss man es auch als ein mutiges Buch anerkennen. Genreimanent stellte es zusätzlich den gerade seinen Siegeszug in der Publikumsgunst beginnenden Polizeiroman auf den Kopf. Marcel Duhamel, Herausgeber von Gallimards Serie Noire, die als erste für Thompsons Anerkennung als brillanter Schriftsteller sorgte, erinnerte Thompson an Henry Miller, Erskine Caldwell und Céline. Er sagte über ihn: „Thompsons Werk unterscheidet sich grundlegend von mittelmäßiger Kriminalliteratur; er besitzt einen völlig eigenen Stil und eine höchst individuelle Weltsicht.“ Und Thompson selbst: „Alle Schriftsteller, angefangen bei Cervantes, haben nur ein Thema: Die Dinge sind nicht so, wie zu sein scheinen.“ Das trifft seine Romanwelt ziemlich genau: Lou Ford scheint ein netter, menschenfreundlicher Deputy Sheriff zu sein und ist doch in Wirklichkeit ein psychopathischer Killer. Auch staatliche Institutionen und demokratische Kontrollinstanzen zeigen sich hinter den Kulissen nicht als das, was sie nach außen vorgeben zu sein. Thompson zeigt in jedem seiner Romane ein rabenschwarzes Bild der nordamerikanischen Gesellschaft. Er zeigt, wie sehr Gewalttätigkeit, Machtstreben und Korruption mit der kapitalistischen Gesellschaft verbunden sind. Sein Markenzeichen, der paranoide Schizophrene, ist nichts anderes als die perverse Konsequenz aus dem Verfassungsgrundsatz, dass jeder „Amerikaner das Recht hat, nach seinem Glück zu Streben“.

Für Thompson, der kurze Zeit in der Kommunistischen Partei war, Marx gelesen hatte und von Naturalisten wie Zola, William Cunningham und Frank Norris beeinflusst war, gab es nie einen Zweifel daran, dass das System naturbedingt Millionäre genauso hervorbrachte, wie es psychisch kranke Killer zeugte. In Thompsons Welt können die Dämonen des Schicksals nicht bezwungen werden. Die Kreatur – und seine Menschen sind allesamt armselige Kreaturen – ist ohnmächtig diesem Walten und den gesellschaftlichen Machtverhältnissen ausgeliefert. Bestenfalls können sie sich durch äußerste Brutalität für einige Zeit einen Freiraum erkämpfen.

Jims Tage als Hardcoverautor waren gezählt. Für den Rest seines Lebens schrieb er direkt für die grellen, reißerischen Taschenbuchreihen. Sicherlich auch ein Grund, weshalb die amerikanische Literaturkritik seinen Stellenwert erst lange nach den Europäern entdeckte. Ein Schicksal, das er allerdings mit vielen anderen Autoren teilte, nicht zuletzt mit David Goodis, John D.MacDonald, Charles Williams oder Cornell Woolrich.

Bis 1954 entstanden elf weitere Bücher für Lion-Books, dann verließ Hano den Verlag, nachdem man beschlossen hatte, künftig keine Originalromane mehr zu veröffentlichen. Jim war so geschockt, dass er wieder zu trinken begann. Er schlug sich mit Zeitungsjobs durch und veröffentlichte nebenher weiter Romane bei billigen Taschenbuchverlagen.
Jim Thompson - The Alcoholics[1]
Sein Lektor Arnold Hanno erinnerte sich, wie es zu dem Roman THE ALCOHOLICS kam: „Jim sagte, er wolle ein Buch über Alkoholismus schreiben. Er argumentierte: es gibt 4o Millionen Alkoholiker und ich werde 40 Millionen Bücher verkaufen.“ Thompson übersah wohl, dass die meisten dieses Ordens ihre Zeit nicht mit Lesen verplempern.45698[1]

Ein Hoffnungsschimmer erschien am Horizont, als der junge Regisseur und Thompson-Fan Stanley Kubrick sich an ihn heranmachte. Durch ihn erhielt er ein paar Drehbuchaufträge und war für kurze Zeit im Hollywood-Geschäft. Aber die beiden Männer waren zu verschieden, sie verstanden einander nicht wirklich und schließlich endete die Freundschaft mit einem Prozess. Thompsons weiteres Leben bestand aus Enttäuschungen, kurzen euphorischen Phasen, furchtbaren Alkoholexzessen und schließlich tiefster Niedergeschlagenheit. 1975 tauchte er in einer kleinen Nebenrolle, als Richter Grayle, in Dick Richards Chandler-Verfilmung FAREWELL MY LOVELY auf. Dabei sah er Robert Mitchum wieder, den er 1948 während eines Jobs als Reporter interviewt hatte als dieser wegen des Rauchens von Marihuana eine kurze Gefängnisstrafe verbüßen musste. Auch sein gigantischer Erfolg in Frankreich, wo man ihn neben Hammett und Chandler als einen der wichtigsten Autoren des 20.Jahrhunderts verehrte, gab dem Gebrochenen keine Kraft mehr.

Als Jim starb, war er am Ende seines Weges angelangt und blickte auf ein Leben zurück, das kaum weniger schrecklich war, als das seiner Romanhelden. Sein Leben war eine gruselige Soap Opera ohne Quoten und seine Bücher die letzten Haltestellen auf dem Weg in die Hölle. Thompson war von ihrer literarischen Qualität immer überzeugt. Heute ist es auch die restliche Welt und jeder, der kein kompletter Ignorant ist, weiß bei der Lektüre von THE KILLER INSIDE ME, das er einen der großen Romane des 20. Jahrhunderts liest. Er selbst hatte seiner Frau gesagt, in zwanzig Jahren, also nach seinem voraussehbaren Tod, würden sie Bedeutung haben. Speziell in wirtschaftlicher Hinsicht – wie die vielen Verfilmungen und Neuauflagen belegen.



KENT HARRINGTON 3/ Ein Interview by Martin Compart

Obwohl Kent schwer im Stress war um die Veröffentlichung von THE RAT MACHINE rechtzeitig zum Noir-Con hinzukriegen, war er so freundlich mir einige Fragen ausführlich zu beantworte. Alles zwischen Lesungen in San Francisco und den letzten Korrekturen. Der Mann ist eben ein 100%iger Profi. Genießt das Interview. Hier der erste Teil:

THE WRITERS LIFE:

MC: How do you write?

KENT: I write in the morning, first thing. Coffee, breakfast, work until noon or so. I don’t look at the work again until the next morning.

When I’m ready to finish the book, I’ll work in the afternoon to put in things that come to me: areas I think needed more work and have put off. You collect a list in your head that you want to go back to at the very end and rework.

During the first draft, I don’t stop for small issues. The thing is to get the battle of the First Draft won. You have to take that flag!

MC: What is it that starts a new novel? A character, a situation, a plot?

KENT: Well, it can be a lot of things. In the case of Dark Ride, I saw a girl on the street and she had this most incredible tattoo going up the outside of her thigh. It was summer and she was wearing short shorts! She was very beautiful, dark hair. I don’t know why she was the muse, it almost sounds corny, but the novel came out of her sexuality and my own desire to explain something about myself and my country. And yet, I don’t consider Dark Ride an erotic novel, oddly it’s more than that — I hope!

In the case of this new work, The Rat Machine, I was reading a footnote in William Shirer’s The Rise And Fall of the Third Reich. It was an appalling bit of history discussed in the footnote: several SS officers, on trial at Dachau for war crimes(for murdering 80 American GIs at the Battle of the Bulge in cold blood rather than take them prisoners as the Rules of War mandated)had been released because AN AMERICAN, Senator Joe McCarthy, had asked for leniency for these particular SS officers. Why, I wondered? This is why: ex-Nazi intelligence officers, like Reinhard Gehlen, were employed by the West immediately after the War.

These ex-Nazi officers were involved in the illegal drug trade, first the penicillin Black Market in Berlin immediately after the war and, later, with the help of Western intelligence, the heroin business. So reading one footnote created a very long novel!

MC: And how do you develop?

KENT: I don’t develop in the normal way. I don’t outline; I don’t make lists. I’ve said this before: I watch the characters do what they are going to do. In other words: I get up in the morning, I turn on the computer and watch the screen like you would a movie. The story belongs to the characters who have come to me to tell it. I practice the No-Method of writing novels. And that is the truth.

MC: How is the process? A fast first version? Or do you polish from the beginning?

KENT: I never, ever, polish in the beginning! It’s a trap. And, again, getting back to how I work: I don’t want to interrupt the characters and their story. I don’t care if I’ve misspelled something, or the sentence isn’t perfect. Who cares about that! What is important is the HEAT OF THE SCENE. The HEAT OF THE MOMENT. That is all I care about in the first draft. If correct punctuation and spelling were all that it took to be a novelist, every English teacher would be Ernest Hemingway. Also, you have to be a little crazy to do this work. I mean it. I’m not trying to romanticize the life of an artist; I wish in fact it were not so. It’s just a fact. You can not be well balanced and be a great artist. There is something about the act of creating that is, in fact, not only extremely egotistical on the face of it, but also delusional; it’s a kind of emotional purging. You, the artist must give of yourself. If you aren’t willing to give of yourself, there is no art; look at Van Gogh! It’s not pretty, the creative process—not really. It’s about like dumping out your kitchen garbage on a clean floor and using the pieces of what’s there [your personal psyche] to make a something worth while!

MC: Are you ritualizing for writing? (Same hours, cop of coffee, at least a page a day?)

KENT: Yes. I want the same routine everyday. A lot of people starting out think that they can party and get high and live a boho life style. It’s just the opposite. Ironically, being a novelist is a bourgeois pursuit in the sense that you have to get up every morning and work; and be sober; and not be high, or have too much drama around you. Better yet, no drama. What you need in this order are food, good sex, paper, exercise, a working computer, and a quiet location that has a good vibe. I think that’s what Hemingway meant by “a clean well lighted place” in fact. I think he meant it had to vibe right. It does for me anyway.

MC: Did your writing habits change over the years? And how?

KENT: No. I’ve done this for the last 20 plus years always the same way. I may have been in a different country, as I was when I wrote Red Jungle, but I still woke up in the morning and drank coffee and hit it until noon. (I will say that in Guatemala I did work late at night in my office. I had a guard who would stand outside my office door. (There is a lot of violence and you need guards there. The guard and I got to be good friends.) I would look up and see him, shotgun slung over his shoulder, and think to myself: wow, yeah, this is the real deal someone could come in here and rob and kill me while I’m writing a fucking novel. How strange would that be. But I enjoyed working late into the night there—don’t know why. That office had had a hand grenade tossed in the door a few years before!!

MC: Is it a personal impression by me that your protagonists are not easy to like? I don’t think they are crooks. But a person like Russell ore Reeves seems at least ambivalent. But I think, they are all restless people. Something you share?

KENT: Yes. I am ambivalent because of my childhood. It was very hard and I had no close family. I did all my growing up away at military school without all that warm and fuzzy family stuff. So I’m a little different. There is part of me that is like Russell in Red Jungle, or as I had a character say in Dia De Los Muertos: “I’m not running for mayor so I don’t have to please anyone.” But I’ve learned to love and that humanized me: I love some people very much, and I love to write novels. I am restless, artists are restless in the face of life/chaos, which is our human experience. So, yes, I’m intellectually restless, that’s very true about me, and I suppose my characters. They want to find that one thing to make it all make sense. Something that can allow them to rest. But we only rest, I guess, when we’re dead.

MC: What kind of music are you listening too? Sometimes your writing seems to swing like a soundtrack (by the words, of course)?

KENT: When I started out as a novelist, I want to be a great wordsmith. And I suppose I still do. I believe in the music of the novel. I truly do. If I were going to teach the novel, I would stand up when all the students had sat down and say, “OK, this is what you need to know about writing novels: then I would turn on a great piece of music, say, Down So Low, by Tracy Nelson. I just met her, so she’s on my mind; but her song is a masterpiece. What I mean by this is that the novel is an emotional experience, not an intellectual one. Music is that way too, or at least good music is.

Kent mit der großartigen Tracy Nelson

UND NATÜRLICH NOCH EIN BUCH-TIP: THE GOOD PHYSICIAN

Collin Reeves is an expatriate American living in Mexico City. He dabbles in painting, drinks more than he should, and appears to be wasting a brilliant career in epidemiology as a doctor to international tourists and poor Mexicans.

The reality is more complicated. Reeves is an operative with the CIA, recruited in the heady days after September 11 to help fight terrorism abroad. What he hoped would be a useful life of clandestine adventure, however, turned out to be humiliating drudgery; his tour in the Middle East consisted of inspecting a friendly sheik’s concubines for venereal disease. Now in Mexico, which almost no one considers a terrorism hotspot, he longs for the courage to give up the spy business and commit himself to painting.

Veteran CIA operative Alex Law suspects that Mexico City may indeed be a staging area for terrorists. He and his longtime colleague, Butch Nickels, question an Indonesian who tells them that an al-Qaeda operative may be active in Mexico City. Meanwhile, Alex’s wife, Helen, has just discovered that she may have an advanced case of breast cancer. The doctor sent to consult with her is none other than Collin Reeves.

A beautiful young woman, Dolores, falls ill at a cheap tourist hotel across the street from Collin Reeves’ apartment. Madani, the hotel’s manager, begs Collin for help. Collin treats the young woman, who claims to be an American citizen, and to have lost her travel documents. He can’t help but be smitten, and does not challenge the obvious holes in her story.

Dolores, of course, is not who she claims to be. Only months earlier, she had been a young wife and mother named Fatima, married to a doctor in Baghdad. An American rocket killed her son and wrecked her life forever. Now, distraught with grief, she’s put herself in the hands of people who want to use her as vengeance against the United States.

Alex, Collin and Dolores are on paths bound to collide, with terrible consequences. The Good Physician is the story of that collision. A political thriller and a love story, it examines the nature of loyalty and patriotism, in the tradition of Graham Greene and Charles McCarry.



NOIR-FRAGEN AN KENT HARRINGTON by Martin Compart

Myron Bünnagels beliebter Fragebogen wird diesmal von Kent Harrington ausgefüllt.

Name

Kent Harrington

What are you doing besides writing?

Nothing right now as I’m trying to finish a novel.

Film released in the year of your birth?

High Noon — 1952

What was your initiation in the noir-subject (film or book)?

I think the B Noir movies that played on television when I was a kid. The one that really made an impression on me was Asphalt Jungle and Angels With Dirty Faces.

What books can we find in your bookshelf?

Right now I’m reading the Seven Pillars of Wisdom by TE Lawrence. It’s a great book. And still relevant somehow.

Which noir cliché do you like the most?

The femme fetal; it’s politically incorrect now but I know that sex can get you into a lot of trouble.

Some of your favorite film noirs?

Dirty Pretty Things

Under The Volcano

Asphalt Jungle

Three Ten To Yuma (Original Version 1957)

Treasure of Sierra Madre

The Grifters

Mona Lisa

High Sierra because of Bogart’s line: “If that battery is dead … it’ll have company, see.”

And films beside noir?

Howards End

Bridge on the River Kwai

Stealing Beauty

Which fictional character (book or film) would you favor to kill face-to-face?

Lou Ford The Killer Inside me.

Internet?

Questions noir – Your life a film noir
1. Which would be your part in the movie?

The mad-dog gangster who is shot dead running and firing at the cops waiting outside the bank for him. I/he would run clutching the bag of money and be shot down in a hail of gunfire. The money would then fall from the bag and be scattered by the wind, bills hitting my dead face, my pistol held out in front of me. We’d pull back and see me from high above: just another dead gangster in the Big City.

(It’s a cliché scene but I love it.)

2. Your nickname in the movie?

“ The Kid”

3. Which author (living or dead) should write the script?

Jim Thompson

4. Famous quote in your movie? (Exmaple: Scarface = The World Is Yours, White Heat = Made It Ma, Top Of The World)

“I used to be prettier.”

5. Shot in black and white or in color?

Color, very rich colors reds, golds. I would wear a beautiful blue suit. Impeccable.

6. Soundtrack by …

Miles Davis

7. Which femme fatale would lead you to your doom?

I like brunettes, so it would have to be Angelina Jolie. She IS the femme fetal of her generation, isn’t she?

8. Your getaway car?

A tractor trailer. There would be a great action scene of me smashing through road blocks with it.

9. Your weapons?

A Thompson sub-machinegun, and a simple lead pipe.

10. Book for your prison sentence?

War And Peace!

11. Finally: Epigraph on your tombstone?

“He Died Reloading”



GET LEWIS – Ted Lewis und Brit Noir 8/ by Martin Compart

ARCHÄOLOGIE I:
Wenn man an britische Kriminalliteratur denkt, meint man meistens die klassischen Detektivgeschichten. Übermächtig überschatten Sherlock Holmes, Agatha Christie oder Dorothy L.Sayers dieses Genre und verstellen den Blick auf unabhängige Strömungen, die als Subgenre mit diesen Klassikern nichts oder nicht viel zu tun haben. Trotz verschiedener „Revolutionen“im Genre , von Francis Iles Transformation der inverted story bis hin zum Psychothriller der angry young men Anfang der 50er Jahre, wird die britische Kriminalliteratur entweder mit klassischen Detektivromanen oder bestenfalls noch Spionageromanen gleichgesetzt. Diese Betrachtungsweise war immer schon verkürzt und ist heute besonders unzutreffend: Um 1990 begannen neue britische Autoren die kriminalliterarische Landschaft ihrer Heimat zu verändern. Der Schock, den Derek Raymond in den 80er Jahren der britischen Kriminalliteratur verpasst hatte, zeigte Wirkung und rüttelte das Genre aus der Lethargie – eine zweifellos kommerziell erfolgreiche Lethargie, wie die Auflagen von P.D.James, Martha Grimes, Ruth Rendell, Minette Walters, Len Deighton oder John LeCarré zeigten. Aber die neuen Autoren wollten jenseits von klassischen Detektivromanen, Psychothrillern oder Polit-Thrillern die Mean Streets Britanniens wiederentdecken.
Derek Raymond hatte mit seiner Factory-Serie an eine Tradition erinnert, die trotz gelegentlicher Einzelleistungen keine Bedeutung zu haben schien: an die höchst eigenwillige britische Noir-Tradition, die zwar einige Meisterwerke hervorgebracht hatte, aber nie so stilprägende Autoren wie die amerikanischen Vettern mit Dashiell Hammett, James M.Cain, Raymond Chandler, Mickey Spillane, Jim Thompson, David Goodis oder Ross Macdonald. Der britische Noir-Roman, wenn nicht einfach nur kommerzieller Epigone der Amerikaner, war ein im Schatten blühendes Pflänzchen, das von wenigen Autoren gepflegt wurde und von wenigen Lesern, die sich damit als wahre Afficionados erwiesen, in eine Tradition eingeordnet wurde. Selbst der große Kriminalliteraturtheoretiker Julian Symons hat in seinem verdienstvollen Standardwerk BLOODY MURDER diesen Teil der britischen Kriminalliteratur unterschlagen oder einzelne Autoren nur isoliert betrachtet. Folgerichtig waren es weniger die eigenen Traditionen, die die Fresh-Blood-Autoren Ende der 80er Jahre inspirierten. Es waren die zeitgenössischen Amerikaner wie Elmore Leonard, Carl Hiaasen, Charles Willeford, James Crumley oder James Ellroy, die den Wunsch auslösten, eine ähnliche Literatur zu produzieren.



NOIR-FRAGEN AN GUIDO ROHM by Martin Compart
12. April 2010, 11:20 am
Filed under: Bücher, Crime Fiction, Fragebogen, Jim Thompson, Krimis, Noir, Porträt | Schlagwörter: , , ,

Guido Rohm wurde 1970 in Fulda geboren, wo er heute auch lebt und arbeitet.
Er schreibt u.a. Buchrezensionen für verschiedene Onlinemagazine. Dabei
entdeckte er auch den amerikanischen Kultautor Tom Torn für den
deutschsprachigen Raum. Nach der Kurzgeschichtensammlung »Keine Spuren« legt
er mit »Blut ist ein Fluss« seinen ersten Roman vor.

Berufungen neben dem Schreiben?
Eine Frau namens Annette
Meine Kinder
Auf dem Sofa mit geschlossenen Augen liegen und „innere“ Filme ablaufen lassen
Fluchen
Hände waschen (Sind inzwischen völlig ausgetrocknet)

Film in Deinem Geburtsjahr?
FIVE EASY PEACES (Ein Mann sucht sich selbst) von Bob Rafelson

Was steht im Bücherschrank?
Tom Torn, Jim Thompson, Ed Harlan, Ken Bruen, Daniel Woodrell, Cormack McCarthy, George P. Pelecanos …
Und dann noch viele andere Bücher, die mich meistens langweilen. Nur die Noir-Romane, die bleiben im Kopf und im Herz stecken. Das haben gut gezielte Geschosse so an sich.

Was war Deine Noir-Initiation (welcher Film, welches Buch)?
Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers“
Jim Thompsons „After Dark, My Sweet“

Welches Noir-Klischee ist Dir das liebste?
Der trunksüchtige Held.

Ein paar Film noir-Favoriten?
Get Carter, Point Blank, Night of the hunter, No country for old man, There will be blood (Ein echter Western noir)

Und abgesehen von Noirs?
Filme von Gaspar Noe, Haneke, Peckinpah, Lars von Trier („Antichrist“ ist großartig), Luis Bunuel, Orson Welles.

Welche Film- oder Romanfigur würdest Du mit eigenen Händen umbringen?
Den echten und den fiktiven Adolf Hitler.

Noir-Fragen – Dein Leben als Film noir
1. Im fiktiven Film noir Deines Lebens – welche Rolle wäre es für Dich?
Ein saufender Autor namens James Tippie, der seit Jahren kein Manuskript mehr untergebracht hat.

2. Und der Spitzname dazu?
Tippie

3. Welcher lebende (oder bereits abgetretene) Schriftsteller sollte das Drehbuch dazu schreiben?
Ken Bruen und ich

4. Berühmtestes Zitat aus dem Streifen?
„Ich habe mir echtes Blut immer ganz anders vorgestellt.“
James Tippie zu seiner Nachbarin Laura, die er gerade erst mit seiner Schreibmaschine erschlagen hat

5. Schwarzweiß- oder Farbfilm?
Natürlich Schwarzweiß!

6. Wer liefert den Soundtrack zum Film?
Tom Waits

7. Welche Femme fatale dürfte Dich in den Untergang führen?
Ihren Namen darf ich nicht schreiben. Aber ich liege jeden Abend neben ihr im Bett.

8. In welchem Fluchtwagen wärst Du unterwegs?
In einem Mustang aus dem Jahr 1971

9. Und mit welcher Bewaffnung?
Eine Glock

10. Buch für den Knast?
Ken Bruens „Jack Taylor fliegt raus“

11. Und am Ende: Welche Inschrift würde auf dem Grabstein stehen?
Komme gleich wieder!



KRIMIS, DIE MAN GELESEN HABEN SOLLTE by Martin Compart

In Zeiten von Corana hat man Zeit genug, um mal wieder einige Genre-Klassiker zu lesen (oder sie gar zu entdecken). Deshalb hier nochmals meine kleine Auswahl von Büchern,  die in der Kriminalliteratur tiefe Spuren hinterlassen haben und außerdem höchst unterhaltsam sind.

Klassiker, die jeder Krimi-Fan in seiner Basis-Bibliothek haben sollte. Zwar sind einige Titel nicht mehr lieferbar (Schande über die Verlage), aber im Internet oder Antiquariaten sind sie leicht auffindbar, da sie meist in verschiedenen Ausgaben und hohen Auflagen veröffentlicht wurden. Es geht quer durch alle Subgenres der Kriminalliteratur.

 

 

DIE MASKE DES DIMITRIOS von Eric Ambler

Dimitrios hat es endlich erwischt!

Keiner weint dem Gangster und Terroristen eine Träne nach, als man seine Leiche aus dem Bosporos zieht. Lang genug grub sich seine blutige Spur quer durch den Balkan. Der englische Krimiautor Latimer ist von Dimitrios‘ Lebensgeschichte so fasziniert, dass er sie rekonstruieren will und damit eine Reise durch die politische Hölle Osteuropas in den 1920er- und 30er Jahre beginnt.

Ambler verschachtelt komplexe Handlungen, zeitgeschichtliche Dokumente und Rückblenden zu einer atemberaubenden Menschenjagd. Seine Prosa ist ungemein modern in ihrer Effektivität. Aber dem Leser bleibt keine Zeit, die Qualität des Stils zu bemerken, denn die Story jagt mit hohem Tempo auf ihr dramatisches Finale zu.

„Ich hatte Schwierigkeiten mit Dimitrios. Ich wußte, dass es etwas ganz Neues sein würde und dass ich nur das Beste abliefern dürfte“, schrieb der 1998 verstorbene Autor in seinen Memoiren.

Großkaliber wie John LeCarré, Gavin Lyall, Len Deighton oder Ross Thomas wären ohne die Innovationen von Ambler nicht vorstellbar. Er verband den Spionageroman mit politischer Aufklärung und machte zeitgleich mit Graham Greene ein eigenes Genre daraus. Und da sein politisches Bewusstsein immer auf Weitwinkel eingestellt war, erklärte er in seinen 19 Romanen dem Leser die Welt hinter den Schlagzeilen. Immer nach der Devise: Es kommt nicht darauf an, wer die Pistole abfeuert, sondern darauf an, wer die Schützen bezahlt.
Amblers Romane sind auch Handbücher für Putsche, Revolutionen oder Kriege. Die perfekte Synthese aus Roman und Sachbuch. Darüber hinaus wüssten wir ohne seine Osteuropa-Thriller noch weniger über den Balkan – was ihn gerade heute wieder aktuell macht. Mehr als einmal stockt man bei der Lektüre des 1939 erschienen Romans und erkennt Parallelen zur Gegenwart.

Eric Ambler: Die Maske des Dimitrios. Erstmals ungekürzte Neuübersetzung. Diogenes Verlag.

DIE HOTTENTOTTEN-VENUS von H.C.Bailey

Wenn man bei uns an die großen Detektive des Golden Age denkt, fällt den wenigsten der Name Reggie Fortune ein. Obwohl einer der wahren Giganten des Genres, wurde er bei uns lediglich durch eine inzwischen viel gesuchte Publikation in der frühen
Rowohlt-Thrillerreihe veröffentlicht

Bailey (1878-1961) war einer der Großmeister der klassischen Detektivgeschichte um den Great Detective und sein Held Reggie Fortune steht ganz in der Tradition der exzentrischen Amateurdetektive. Er ist dick, gemüt-humorvoll und faul.
Er liebt große Autos, gutes Essen, gute Getränke und Varieteegirls. Er kann ungeheuer sentimental sein, aber auch wütend und bösartig.
Baily hetzte das Dickerchen durch 85 Kurzgeschichten und neun Romane. Dabei erschrieb er der Form eine menschliche, ethische und moralische Dimension, die einigen Kritikern sogar als Chesterton überlegen gilt.
Daneben verdient Bailey auch für einige der ausgeklügelsten und spannendsten Geschichten gepriesen zu werden, die zusammen mit der Dreidimensionalität der Charaktere und dem feinen Gespür für Atmosphäre zum Allerbesten der Gattung zählen.
Anders als seine zeitgenössischen Kollegen, verachtet Fortune, bzw. Bailey, den Snobismus der Oberschicht, die Klassenstrukturen der britischen Gesellschaft zwischen den Weltkriegen. Durch seine starke Empathie wird er oft emotional in die Fälle verwickelt – für die großen Detektive des Golden Age meist etwas unvorstellbares. Und der kleine Fettsack Reggie hat natürlich auch seine eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit, die sich nicht unbedingt mit dem Strafgesetzbuch decken müssen.
Um all seinen literarischen Ansprüchen zu genügen, schrieb Bailey relativ lange Kurzgeschichten, da er weder auf sorgfältige Charakterisierung, noch auf Atmosphäre verzichten wollte.Ym4wMDcx[1]

Es war dem Diogenes Verlag mal wieder zu danken, dass er diesen Klassiker ausgegraben hat. Aber leider hat das auch Wermutstropfen: dies ist der einzige Band mit Fortune-Geschichten und Bailey ist noch weit von seiner Bestform entfernt (allerdings zwingt sich beim Lesen auch manchmal der Verdacht auf, dass man die Stories etwas flüssiger hätte übersetzen können).

Dieser Klassiker macht deutlich, was wir heute beim Lesen zeitgenössischer Kriminalliteratur zu oft vergessen: welch ungeheures Vergnügen die wirklichen Meister des Golden Age bereiten können! Leider blieb es bei dem einen Band im Diogenes Verlag. H.C.Bailey wartet nach wie vor auf eine gepflegte deutsche Veröffentlichung. Die besseren Geschichten findet man im Rowohlt-Band, der Bailey auf der Höhe seines Könnens zeigt.
H.C.Bailey: Die Hottentotte-Venus (CallMr.Fortune,1920).Diogenes Verlag.
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MEIN VERBRECHEN von Nicholas Blake

„Ich will einen Menschen töten. Ich weiß nicht, wie er heißt, ich weiß nicht, wo er wohnt, ich habe keine Ahnung, wie er aussieht. Aber ich werde ihn finden und ihn töten…“

So beginnt der 1938 erschienen Kriminalroman THE BEAST MUST DIE von Nicholas Blake, der neue Akzente setzte, von Claude Chabrol verfilmt wurde und noch heute gierig verschlungen werden kann.

Blake wich mit diesem Buch von seinen sonstigen Detektivromanen über Nigel Strangeways, die voller literarischer Anspielungen sind, ab. Indem er die Perspektive eines rächenden Vaters, der den Mörder seines Sohnes sucht um ihn zu töten, wählte, schrieb er einen psychologischen Thriller und keinen klassischen Detektivroman.
Auf die Idee kam er, als sein kleiner Sohn fast überfahren wurde.
Der erste Teil wird von Felix Lane erzählt, einen Krimiautor, dessen Sohn tödlich überfahren wurde. Brillant ist die Detektivarbeit von Lane, mit der er die Identität des Fahrerflüchtigen ermittelt.

Cecil Day Lewis(1904-72), der Vater des Schauspielers Daniel Day Lewis, war Kommunist und ein bewunderter Lyriker, als er 1935 unter dem Pseudonym Nicholas Blake Kriminalromane zu schreiben begann.

Der Grund?

Er brauchte Geld um sein Dach reparieren zu lassen. Es folgten 15 höchst originelle Kriminalromane, die oft die Formel des klassischen Detektivromans durchbrachen und originelle Milieus und Charaktere in den Mittelpunkt stellten.

Nicholas Blake: Mein Verbrechen. Diogenes Verlag, 1995.
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KEINE ORCHIDEEN FÜR MISS BLANDISH von James Hadley Chase

Das Geburtsjahr des britischen Noir-Romans war 1939. In diesem Jahr debütierte Rene Raymond, alias James Hadley Chase (1906-85), mit seinem ultrabrutalen, in einem mythischen Amerika angesiedelten, Noir-Thriller NO ORCHIDS FOR MISS BLANDISH.
Die Entführung einer Millionenerbin durch eine perverse Gangsterbande, die an Ma Barkers Gang erinnert, wurde für damalige Verhältnisse geradezu schockierend brutal erzählt.

Angeblich war der Roman von William Faulkners SANCTUARY (1931) inspiriert. Die Realität ist eine andere: Chase arbeitete Mitte der 30er Jahre als Buchhandelsvertreter und erlebte den sensationellen Erfolg von James Malahan Cains Roman WENN DER POSTMANN ZWEIMAL KLINGELT hautnah mit. Er besorgte sich ein amerikanisches Slanglexikon, eine Schreibmaschine und legte los. Innerhalb von sechs Wochenenden schrieb er das Buch. Innerhalb von fünf Jahren wurden eine Million Exemplare verkauft.

Obwohl Chase später auch brutale Geschichten aus der Londoner Unterwelt erzählte, kehrte er immer wieder in sein mythisches Amerika zurück. Wie andere große Autoren schuf er sich einen eigenen Kosmos. Chase, der die USA nur von einem einzigen Kurztrip kannte, ließ seine besten Romane in diesem „Chase Country“ spielen, in dem er den gesellschaftlichen Sozialdarwinismus ungeschminkt vorführte.

Der Graham Greene- Freund (man scheint inzwischen zu wissen, dass Greene ihm bei Krankheitsfällen als Ghostwriter aushalf) Chase erzählte schmutzige, schnelle Geschichten über wenig sympathische Menschen, die für Sex, Macht und Geld alle gesellschaftlichen Normen brechen. Er zeichnete ein düsteres Bild der westlichen Zivilisation, in der jeder der Wolf des Anderen sein muss, wenn er nicht untergehen will.
Chase war in Vevey Nachbar von Graham Greene (und sie hatten denselben Steuerberater, was sie auch noch zu Komplizen machte; aber das wäre ein eigener Chase-Roman).

James Hadley Chase: Keine Orchideen für Miss Blandish; Amsel Verlag 1955. Zuletzt bei Ullstein. Vergriffen.
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ALIBI von Agatha Christie

Es ist leider modisch geworden, über Agatha Christie die Nase zu rümpfen. Sie sei altmodisch, verkörpere die Ideologie einer fast untergegangenen Gesellschaftsschicht und schreibe nur Pappcharaktere, sind nur einige Vorwürfe. Dabei übersieht man, dass ihr spröder Charme und die Eleganz ihrer Handlungsführung immer wieder neue Lesergenerationen in den Bann ziehen.
Und man vergisst, dass Dame Agatha mehr innovative Rätsel erfand als jeder andere Autor des klassischen Detektivromans.
Einen guten Eindruck von ihrem schier unendlichen Einfallsreichtum bietet der Miss Marple-Band DER DIENSTAGABEND-KLUB (Scherz) mit ausgefuchsten Kurzgeschichten. Ihre bis 1945 geschriebenen Bücher sind von höherer Qualität als die späteren. Mrs. Christies Welt der idyllischen Morde – falls es so etwas gibt – versank in den Stahlgewittern des 2.Weltkrieges, und das beeinträchtigte ihren Einfallsreichtum ein wenig (für gelegentliche Geniestreiche, wie etwa DAS FAHLE PFERD, war sie aber noch immer gut).

ALIBI (THE MURDER OF ROGER ACKROYD) war Christies 7.Roman und erschien 1926.
Mit einem Schlag gehörte sie zu den besten Autoren des Genres. Es ist der Roman, den die Krimitheoretiker nach wie vor für ihr cleverstes Buch halten. Am Anfang steht der für sie so charakteristische Mord in einem anheimelnden Dörfchen auf dem Lande. So erfand sie für diesen Hercule Poirot-Roman eine Lösung, die den unvorbereiteten Leser noch heute verblüfft.
Kopiert wurde diese Struktur selten (zum Beispiel in A.D.G.s großartigem Roman DIE NACHT DER KRANKEN HUNDE). Denn um mit diesem Trick durchzukommen, verlangt es all die schriftstellerischen Fähigkeiten, die verschiedene Kritiker ihr so gerne absprechen.

Agatha Christie: Alibi; Scherz Verlag
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IpcressFile[1]IPCRESS – STRENG GEHEIM von Len Deighton

Als 1962 THE IPCRESS FILE herauskam, war er auf Anhieb die Sensation des boomenden Spionagegenres. Einigen Kritikern galt Deighton „besser als Ian Fleming“, dessen das Publikum enttäuschender, aber experimenteller Bond-Roman THE SPY WHO LOVED ME im selben Jahr erschienen war.

IPCRESS zeichnete sich durch einen faktischen Realismus aus, den man zuvor im Genre nicht gekannt hatte. Len Deighton war immer auf der Höhe der technischen Entwicklungen und setzte sie realistisch in seinen kompliziert geplotteten Spionage-Epen ein. Wenn man so will, war er der Vorläufer der heute so erfolgreichen Techno-Thriller. Tatsächlich gilt einigen Theoretikern sein 1966 erschienener Roman DAS MILLIARDEN-DOLLAR-GEHIRN (zuletzt bei Knaur, 1988) um einen Supercomputer, der für einen faschistischen texanischen Ölbaron einen Angriff auf Lettland lenkt, als erstes Exemplar des Subgenres High-Tech-Thriller.

Harte Schnitte, extreme Szenenüberblendungen und abrupte Perspektivenwechsel machen es dem Leser nicht leicht, sich ein Bild von der komplizierten Handlung in IPCRESS zu machen. Aber sie erzeugen ein Gefühl der Authentizität, die den Realismusanspruch des Autors unterstreicht.
Deightons Ich-Erzähler ist ein Antiheld, der nur in den drei ausgezeichneten Filmen mit Michael Caine den Namen Harry Palmer trägt. Ein echter Typ der 6oer Jahre: Sein Kampf gegen die Hierarchien und die Intrigen des eigenen Dienstes waren oft anstrengender als der Krieg gegen den kommunistischen Gegner.
Außerdem stammte er aus der Arbeiterklasse und war dem Establishment gegenüber mehr als misstrauisch: „Ich hatte keine Chance zwischen dem Kommunismus auf der einen Seite und unserem Establishment auf der anderen.“
Als gesellschaftlicher Außenseiter, der seinen Job illusionslos und ohne ideologische Befangenheit verrichtet, ist er dem namenlosen Continental-Detektiv von Dashiell Hammett näher als James Bond. Im Laufe der Zeit wurde Deightons Erzähltechnik immer konventioneller und gefälliger. Auch der freche Dialogwitz der frühen Romane ist inzwischen fast ganz verschwunden.

Politisch entwickelte er sich gegen die Zeit: Während er in den frühen Büchern ideologiefrei seinen Antihelden Bündnisse mit sympathischen Russen eingehen ließ, wurde er mit jedem weiteren Bestseller mehr zum kalten Krieger.

Len Deighton: Ipcress streng geheim; Knaur, 1994.
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IM GEHEIMDIENST IHRER MAJESTÄT von Ian Fleming

John LeCarré bringt es auf den Punkt: „Ich habe Bond nie wirklich als Spion gesehen. Ich halte ihn eher für ein Wirtschaftswunderkind mit der Lizenz, sich im Interesse des Kapitals extrem schlecht zu benehmen.“

Bond ist natürlich mehr: Eine unsterbliche Pop-Ikone mit immensem Einfluss auf Moden und Wunschvorstellungen, Symbolfigur des Kalten Krieges und des modernen Hedonismus.majesty[1]
1953 erschien CASINO ROYAL, Ian Flemings erster Bond-Roman, der sofort bewies, dass hier ein absoluter Meister des Thrillers schrieb. Zu seinen Fans gehörte sogar Raymond Chandler. Über Nacht waren die Geheimagenten alter Schule, John Buchans Richard Hannay oder die Clubland-Heroes von Dornford Yates, Schnee von gestern. Es folgten elf Romane und acht Kurzgeschichten. Der Ruhm der Figur überstrahlte den des geistigen Vaters.

IM GEHEIMDIENST IHRER MAJESTÄT ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Fleming die wahnwitzigsten Handlungen völlig glaubwürdig schilderte. Wie in GOLDFINGER wird die Fleming-Formel perfekt umgesetzt: Ein Profi kämpft mit Hilfe technischer Tricks, physischer Kraft und Intelligenz gegen einen furchtbaren Feind, der England vernichten will. Dabei hat er noch Zeit für amouröse Abenteuer und gutes Essen.
Bonds Feinde waren Kommunisten und frühe Globalisierer wie das multinationale Gangstersyndikat SPECTRE oder Hugo Drax‘ Wirtschaftskonzern.
Fleming war vor Uwe Johnson der erste Literat, der Markenartikel als Realismusinseln einführte.
Aber sein Bond war auch ein Rassist und Chauvinist. Ihm galten alle Völker als den Briten unterlegen. Bonds rassistische Äußerungen wurden aus den Übersetzungen teilweise getilgt. Fleming legt ein Tempo vor, dass dem Leser keine Pausen gönnt. Gemessen an ihm sind die modernen Bestsellerautoren lahme Enten. Flemings Qualität beweist die Lektüre seiner weniger talentierten Nachfolger John Gardner oder Raymond Benson, die neue Bond-Romane vorlegten.

Nachdem sich Präsident Kennedy 1961 im LIFE-Magazin als Bond-Fan outete, jagten die Umsätze von Flemings Büchern in ungeahnte Höhen und machten ihn zu einem der meistverkauften Schriftsteller aller Zeiten.
Und dann kam auch noch das Kino…

Ian Fleming: Im Dienst Ihrer Majestät. Zuletzt bei Heyne. Die „ungekürzten Neuübersetzungen“ kenne ich nicht.
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DIE FREUNDE VON EDDIE COYLE von George V.Higgins

Eddie Coyle ist eine echte Ratte, ein kleiner Gangster, der ständig zwischen den Fronten hin- und her wieselt, um seine schmutzigen Geschäfte durchzuziehen. Mal dient er als Polizeispitzel, mal dreht er mit den Freunden ein Ding. Ganz spezielle Freunde sind das: Bankräuber, Waffenhändler und kleine Ganoven wie Eddie selbst. Bei seinem Doppelspiel muss er schwer aufpassen.
Und dann spitzt sich die Situation so zu, dass man von ihm verlangt, seine Freunde ans Messer zu liefern.

Niemand schrieb Dialoge wie der Bostoner Jurist George V.Higgins, der 1999 nur 59jährig starb. Er konnte eine ganze Geschichte fast völlig in Dialogen erzählen, die die Story vorantrieben und gleichzeitig die Personen charakterisierten.
Mit seinem Debut verpasste er 1972 dem Crime-Genre eine neue Dosis literarischen Realismus. Selbst Norman Mailer war fassungslos über die Qualität dieses Erstlings, der 1985 von einer Buchhändlervereinigung zu einem der 25 wichtigsten Romane des 20.Jahrhunderts gewählt wurde. Die gelungene Verfilmung von Peter Yates mit Robert Mitchum, ein seltener Glücksfall für einen Autor, wurde ebenfalls zum Klassiker.

Der moderne Gangsterroman verdankt ihm mehr als jedem anderen Autor. Elmore Leonard bezeichnete ihn als den Meister, von dem er alles lernte (einer der Hauptcharaktere in Higgins Roman heißt übrigens Jackie Brown – ein Name, den Leonard später aufgriff, um seine Reverenz zu erweisen).

Bevor er Anwalt wurde, arbeitete Higgins als Kriminalreporter und lernte die Unterwelt der Ostküste kennen. Später wurde er Staatsanwalt, dann Anwalt, der so illustre Charaktere wie den Watergate-Einbrecher G.Gordon Liddy und den Black Panther-Führer Eldridge Cleaver verteidigte. Als Schriftsteller von der Kritik verehrt, konnte er den Erfolg seines Erstlings mit den späteren Büchern nicht wiederholen.

George V.Higgins: DIE FREUNDE VON EDDIE COYLE.Hoffmann & zuletzt im Antje Kunstmann Verlag.
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EINZELGÄNGER – MÄNNLICH von Geoffrey Household

1939 veröffentlichte Geoffrey Household einen Schocker, der heute noch unter die Haut geht: ROGUE MALE. Ein Klassiker und eine der drei besten Jagd- und Fluchtgeschichten überhaupt.

Im Roman berichtet ein namenloser Erzähler, der bei einem scheinbaren Attentat auf einen mitteleuropäischen Diktator erwischt und von der Geheimpolizei schlimm gefoltert wird. Scheinbar tot kann er seinen Peinigern in einer nervenzerfetzenden Flucht nach England entkommen. Durch unglückliche Umstände wird er von der Polizei und den Agenten des Diktators durch die grandiose Landschaft von Dorset gehetzt.

Auch wenn keine Namen fallen und Deutschland nicht erwähnt wird, bleibt keine Sekunde unklar, dass es sich bei dem mitteleuropäischen Diktator um Hitler handelt. 51TJ1cASKtL._SS500_[1]

Der literarische Thriller reicht über die Jagdgeschichten John Buchans hinaus. Wie Buchan ist Household am besten, wenn er physische Aktion beschreibt, besonders Fluchtszenen in der Natur.
Obwohl Household seinen Figuren ein anspruchsvolleres Innenleben gibt und seine Romane insgesamt mehr intellektuelle Substanz haben, ist er nie dem Einfluss Buchans entwachsen. Household geht in seiner Zivilisationskritik aber weit über ihn hinaus. Die bürokratische Konsumgesellschaft ist ihm ein Graus. Er verachtet Politik und Politiker und sieht das Heil in einer Art „Anarchismus des Adels“, ein Leben auf dem Land, in der Natur, ohne die Akzeptanz staatlicher Autorität.
Seine Helden sind oft Angehörige der upper class, Landlords, die vom Leben in der Wildnis geprägt sind. Die Rückkehr zur Natur war bereits 1939 für Household die einzige Hoffnung für die Menschheit.

Wieder einmal sollte ein Roman auch Auswirkungen auf die Realität haben: General Sir Noel Mason Macfarlane studierte das Buch genau, als er ein Attentat auf Hitler ausarbeitete. Es kam zwar nie zur Durchführung des Anschlags, aber Macfarlane unterließ es nie darauf hinzuweisen, dass Households Roman die Inspiration für eine derartige Option war.

Household nahm aktiv am 2.Weltkrieg teil. Er diente als Einsatzleiter im Militärischen Geheimdienst und wurde hochdekoriert entlassen. Als Militärattaché in Rumänien jagte er Ölfelder in die Luft, um sie nicht den Nazis und ihren Verbündeten in die Hände fallen zu lassen.

Geoffrey Household: Einzelgänger, männlich. Haffmanns Verlag, 2000. Kein & Aber; 2009.

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KALT WIE GOLD von Marcel Montecino

Das kriminalliterarische Subgenre des Polizeiromans hat inzwischen eine lange Tradition – und erfreut sich größter Beliebtheit. Der Polizeiroman, oder police procedural, begann in den 50er Jahren durch Autoren wie Lawrence Treat, Hillary Waugh oder Ed McBain und seinen Geschichten über das 87. Polizeirevier. Vorher dominierte die Figur des großen Einzelgängers das Genre, etwa der intellektuelle Detektiv à la Sherlock Holmes oder der harte Privatdetektiv.
Es ist kein Wunder, dass der Polizeiroman nach dem 2.Weltkrieg immer populärer wurde: Für die moderne Industriegesellschaft wurde das Individuum unwichtig und musste sich aus ökonomischen Gründen ins Team eingliedern. Das Polizeiteam und die Faszination an der neuen Technik lösten die Heroisierung des Einzelgängers ab. Durchbrochen wurde dieses Muster in den 70er Jahren von Joseph Wambaugh, der die Polizisten nicht mehr als gut geölte Maschinen zeigte, sondern als Psychopathen, die in einer immer brutaleren Gesellschaft ihren Job mehr schlecht als recht erledigen. Autoren wie James Ellroy griffen die Lektion auf und führten sie weiter. Seitdem jagen unangenehme Polizisten noch unangenehmere Serienkiller durch bluttriefende Buchseiten voller Gewaltpornografie.

Ganz anders der vielleicht beste Polizeiroman der 1980er: Marcel Montecinos erstaunlicher Erstling THE CROSSKILLER erzählt die Geschichte des abgeklärten jüdischen Polizisten Jack Gold, der im Inferno von Los Angeles seine Sisyphusarbeit erledigt. Von korrupten Vorgesetzten strafversetzt, wird er zum Gegenspieler eines rassistischen Psychopathen, der als „arischer“ Kreuzkiller eine blutige Spur durch die Stadt zieht.

Im Gegensatz zu Ellroy und Konsorten dämonisiert Montecino nicht antiaufklärerisch diesen Serienmörder. Er zeigt genau auf, wie ein ungebildeter Weißer durch persönliche und ökonomische Frustrationen zum Ungeheuer wird. Wie er all sein persönliches Versagen auf Sündenböcke – hier Juden und Schwarze – abwälzt.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Montecino erklärt uns diese traurige Figur, entschuldigt nichts und lässt keine Sympathie aufkommen. Daneben beschreibt er unsentimental die Zustände in der jüdischen Gemeinde der „Stadt der Engel“ und die furchtbare Situation einer schwarzen Familie. Ihm ist ein fast 600 Seiten langer Krimi gelungen, bei dem keine Zeile zuviel ist.

Marcel Montecino: Kalt wie Gold, Goldmann; zuletzt SZ-Krimibibliotheck
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DIE LIGA DER FURCHTSAMEN MÄNNER von Rex Stout

Mit seinen Nero Wolfe und Archie Goodwin-Geschichten schuf Rex Stout die perfekte Synthese aus klasschischer Detektivgeschichte und hard-boiled-school: Nero Wolfe ist die typische Denkmaschine in der Tradition von Sherlock Holmes. Er verlässt so gut wie nie sein Haus und löst die kompliziertesten Rätsel zwischen gutem Essen und Orchideenzucht im Lehnstuhl. Der fette und faule Meisterdetektiv hatte sein Vorbild in Sherlock Holmes‘ Bruder Mycroft.
Um an die nötigen Informationen zu gelangen, schickt er seinen Helfer Archie Goodwin hinaus in die böse Welt. Archie ist ein Charakter wie aus einem typischen Privatdetektivroman: Er prügelt sich, steigt den Frauen hinterher und hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Der große Unterhaltungswert und die stilistische Brillanz von Stouts Geschichten kommt durch die Erzählperspektive: Als Ich-Erzähler berichtet der schnoddrige Archie über die Fälle, die Nero Wolfe am Ende jeder Geschichte in seinem Haus in Manhattans 35.Strasse durch scharsinnige Gedankenarbeit klärt. Dazu werden dann in klassischer Manier alle Tatverdächtigen zusammen gerufen.

Stout war bereits 48 Jahre alt, als er sein Duo erfand. Er schrieb bis zu seinem Tod 1975 insgesamt 73 Novellen und Romane über Wolfe. Alle sind unterhaltsam, aber DIE LIGA DER FURCHTSAMEN MÄNNER von 1935 ist sein absolutes Meisterstück: Ehemalige Harvardstudenten bitten Wolfe um Schutz vor einem einstigen Kommilitonen, an dessen Verkrüppelung sie schuld waren. Der Plot ist genial (was man über die wenigsten Wolfe-Geschichten sagen kann) und die Charaktere ausdrucksstark.
Die Stout-Fans, die sich in der Organisation Wolf Pack zusammengeschlossen haben, halten PER ADRESSE MÖRDER X (THE DOORBALL RANG) für Nero Wolfes besten Fall.

Rex Stout: Die Liga der furchtsamen Männer. Heyne.
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DER MÖRDER IN MIR von Jim Thompson
KillerInsideMe[1]
Lou Ford scheint ein netter, menschenfreundlicher Deputy Sheriff zu sein und ist doch in Wirklichkeit ein psychopathischer Killer. Außerdem ist er der Ich-Erzähler in Jim Thompsons Klassiker THE KILLER INSIDE ME.

Niemand, der die Geschichte von Sheriff Lou Ford gelesen hat, wird diesen düsteren Roman je vergessen können. Thompson schrieb den Roman in zwei Wochen und bekam 2000 Dollar dafür. Erstmals wurden in diesem Buch Elemente der hard-boiled-novel mit der Psychoanalyse verbunden. Dass die Erzählung vom psychopathischen Täter selbst vorgetragen wird, ist heute natürlich nichts Ungewöhnliches mehr, war aber 1952 ein innovatives Wagnis.

Marcel Duhamel, Herausgeber von Gallimards Serie Noire, erinnerte Thompson an Henry Miller, Erskine Caldwell und Céline: „Thompsons Werk unterscheidet sich grundlegend von mittelmäßiger Kriminalliteratur; er besitzt einen völlig eigenen Stil und eine höchst individuelle Weltsicht.“

Thompson Gesellschaftsbild ist rabenschwarz. Gewalttätigkeit, Machtstreben und Korruption wächst aus ihr geradezu zwanghaft. Sein Markenzeichen, der paranoide Schizophrene, ist nichts anderes als die perverse Konsequenz aus dem Verfassungsgrundsatz, dass jeder „Amerikaner das Recht hat, nach seinem Glück zu Streben“. Für Thompson, der kurze Zeit in der Kommunistischen Partei war, Marx gelesen hatte und von Naturalisten wie Zola, William Cunningham und Frank Norris beeinflusst war, gab es nie einen Zweifel daran, dass das System naturbedingt Millionäre genauso hervorbringt, wie es psychisch kranke Killer zeugt.
In Thompsons Welt können die Dämonen des Schicksals nicht bezwungen werden. Seine Menschen sind allesamt armselige Kreaturen, die ohnmächtig diesem Fatum und den gesellschaftlichen Machtverhältnissen ausgeliefert sind.

Als James Myers Thompson am 7. April 1977 in Los Angeles starb, war er ein vergessener Schriftsteller, und kein Buch von ihm war noch lieferbar. An seiner Beerdigung in Westwood nahmen nur wenige Menschen teil; lediglich vier Trauergäste gehörten nicht der Familie an. In Frankreich war fast Staatstrauer angesagt.

Jim Thompson: Der Mörder in mir. zuletzt bei Diogenes. Audio: Audioverlag; Potsdam, 2000.
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DRECKSAU von Irvine Welsh

„Warum ich zur Polizei gegangen bin? Oh, ich würde sagen, das hat mit polizeilichen Übergriffen zu tun. Ich bin in meiner Gemeinde Zeuge von Polizeigewalt geworden und hab beschlossen, dass ich bei so was auch mitmachen will“, erklärt der gemeine Ich-Erzähler Bruce Robertson, Polizist bei der Mordkommission von Edinburgh und der bösartigste Bulle der gesamten Kriminalliteratur.filth_big[1]

Bruce ist nur auf seinen Vorteil bedacht, er linkt jeden (auch seinen besten Freund), pumpt sich mit Drogen voll und erpresst Frauen zu Sex. Vielleicht Irvine Welshs (TRAINSPOTTING) bestes Buch. Bestimmt sein dreckigstes. Wer gemeine Ich-Erzähler liebt, kommt hier auf seine Kosten. Gegen Bruce Robertson sind Ellroys Bullen die reinsten Pfadfinder: „Ich meine, wir wissen, dass es Scheißgesetze gibt, also hat es nicht viel Sinn, dass wir sie selbst befolgen, auch wenn es unser Job ist, sie anderen gegenüber durchzusetzen.“ Eine nette Referenz an Moravias ICH UND ER sind die Monologe des Bandwurms, der Bruce zu schaffen macht.
Nichts für Leser, die in der Kriminalliteratur Realitätsflucht suchen.
Die Verfilmung ist mehr als enttäuschend.

Irvine Welsh: Drecksau (Filth,1998). Kiepenheuer & Witsch.
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DIE GEFANGENEN VON GREEN RIVER von Tim Willocks

Wenn kein Gesellschaftsvertrag existiert, der das Zusammenleben regelt, gibt es nur noch den Krieg aller gegen alle, verkündete der Philosoph Thomas Hobbes. Der Mensch ist des Menschen Wolf.

Wie das aussieht, leuchtet Willocks in seinem Gefängnisroman DIE GEFANGENEN VON GREEN RIVER aus. Er beschreibt 24 Stunden im schlimmsten Knast der Welt. Eine unerträgliche Atmosphäre aus Gewalt und Perversion beherrscht Green River. Und der durchgeknallte Direktor, der nicht von ungefähr Hobbes heißt, tut alles, um die Bedingungen zu verschlechtern, damit die letzten zivilisatorischen Regeln zum Klo runtergespült werden. Er zieht die Repressionsschraube immer weiter an, bis die kritische Masse explodiert und es zur ultimativen Schlacht zwischen Bestie und Geist kommt.

Das Finale ist erschreckender als ein Auftritt von SILBERMOND.

Nach der Lektüre beherzigt man gerne Alfred Hitchcocks Ratschlag für Filmemacher: „Bleibt aus den Gefängnissen raus.“
Alan Pakula hatte die Filmrechte an diesem wahrscheinlich bisher besten Knastroman erworben.

Willocks‘ Psychopathen wollen die menschliche Gesellschaft überwinden, indem sie Tabus zerschmettern und in sinnlosen Blutbädern und Orgien waten, um den vor-gesellschaftlichen Naturzustand wieder herzustellen. Bis sie dann endgültig in eine der unteren Höllen auf Grund laufen. Die komplexe Handlung wird zu einem apokalyptischen Finale geführt, das Willocks‘ Markenzeichen ist. Zurück bleiben zutiefst leidende Charaktere und Leser, die noch lange grauenhafte Hieronymus Bosch-Bilder im Kopf behalten.

Die Gefangenen von Green River, Heyne 1998.