Filed under: Dracula, TV, TV-Serien | Schlagwörter: Dravula, Gothic Novel, Mark Gatiss&steven Moffat, TV
„Um so etwas wie leben zu können, müssen wir anderen Menschen die Zukunft rauben, ihnen die Jahre stehlen… Aber ich habe kein eigenes Leben, nur den Hunger und die Gier danach.“
Aus: Jack Sharkeys Kurzgeschichte DIE DÄMONIN (TRADE-IN, 1964)
DRACULA (1897) von Bram Stoker gilt vielen Theoretikern als letzte Gothic Novel, in der sich noch einmal der Triumph des Bürgertums über den Feudalismus manifestiert.
Seitdem wurde Stokers Roman für alle Medien adaptiert und interpretiert, häufig dem jeweiligen Zeitgeist angepasst und unterschiedliche Akzente gesetzt. Inzwischen ist Dracula eine weltweite Ikone der Pop-Kultur.
Es war kein geringerer als Lord Byron, der den Vampir aus dem Volksglauben nahm und ihn als melancholischen Gothic-Schurken in die Literatur einführte.
Von der reinen Feudalismustheorie entfernt sich dieser Dreiteiler ebenso, wie von der Wissenschaftseuphorie des Romans.
Eine interessante Variante der „Blutgier“ liefert der Dreiteiler mit: Blutsaufen wird nicht nur als bestialisch erklärt: Im Blut liege Wissen gespeichert, dass der Vampir in sich aufnimmt.
Ähnlich wie bei der Renovierung von SHERLOCK HOLMES verblüffen Mark Gatiss und Steven Moffat (für BBC und Netflix) durch überraschende Wendungen, die Bezüge zur ursprünglichen literarischen Vorlage haben. Auch das ursprüngliche Personal wird verdreht genutzt: Professor Van Helsing etwa, ist hier eine Nonne mit scharfer Zunge und geringem Glauben. Die Macher gehen aber in ihrer Kultur- und Religionskritik weit über frühere Interpretationen hinaus. Das wird einige Hardcore-Fans irritieren.
„Was ängstigt sie so vor dem Kreuz, Dracula?“
„All die Qualen und Dummheiten, die das Kreuz über die Menschen gebracht hat, manifestiert sich im Blut. Ich musste Jahrhunderte ihr Blut saufen. Der Ekel hat sich übertragen, deshalb fürchte ich das Kreuz.“
Der Dreiteiler spielt mit Variablen des Vampirmythos, thematisiert auch dessen Widersprüche und Ungereimtheiten. Optisch nutzt er heute mögliche Horroreffekte.
„Wir werden von den Mächten des Bösen angegriffen werden.“
„Wieso sollten sie ein Kloster angreifen?“ !
„Vielleicht vertragen sie keine Kritik.“
Dieser Dialog zeigt einen schönen Ansatz, mit dem die Macher von DRACULA schon SHERLOCK HOLMES aktualisiert hatten: Ironie und britisch-schwarzer Humor.
Aber immer mit Respekt und genauer Kenntnis der Vorlage. Besonders witzig ist die Transformation des Dracula-Sklaven Renfield zu einem Anwalt.
Am Anfang jedes Teils wird durch nicht-lineares Erzählen so viele Fragen eröffnet, dass man auch bei gelegentlichen Längen dabei bleibt. Dafür sorgen auch die großartigen Darsteller (Claes Bang gelingt eine überzeugende Vorstellung eines Draculas für das 21.Jahrhundert; er tat für DRACULA ähnliches, was Daniel Craig für JAMES BOND getan hat – zumindest in CASINO ROYAL) und die rasante Regie und die hohe Produktionsqualität.
Diese Interpretation von DRACULA ist eine Allegorie für die Feigheit (nicht Angst) vor dem Tod.
In der Nachbetrachtung ein verstörendes – nicht immer völlig überzeugendes -Kunstwerk als Plädoyer für Liebe und Endlichkeit.