Filed under: Backwood, Jack Ketchum, Joe R.Lansdale, Sekundärliteratur | Schlagwörter: Backwoods, DELIVERANCE, Edgar Rice Burroughs, Jack Ketcum, Kannibalen, Lost Valley, Off Season, Richard Laymon, Rider Haggard, Tarzan, Umweltzerstörung
„Der Gruselschauder ist masochistisch und letzten Endes weiblich, In ihm unterwirft sich die Phantasie einer überwältigenden Übermacht… Der Horrorfilm entfesselt die vom Christentum unterdrückten Mächte – das Böse und das Barbarische der Natur. Horrorfilme sind Rituale in einem heidnischen Gottesdienst.“
Camille Paglia: „Die Masken der Sexualität“
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„Im Horror kommt zur Sprache, was seit der Aufklärung und der Weimarer Klassik aus dem Kanon des guten Geschmacks ausgegrenzt wurde: die schockierende Abweichung vom Vernünftigen, Schönen und Guten. Legitimierungsbedürftig kann eine solche Untersuchung (des Genres) nur dem erscheinen, der die im 18.Jahrhundert ausgebildeten Geschmacksnormen unbefragt bis in die Gegenwart fortgeschrieben sehen möchte.“
Hans Richard Brittnacher: „Ästhetik des Horrors“
Das Backwood-Genre ist kein ausschließliches Subgenre der Weird Fiction oder des Horrors. Horror dominiert dieses Genre, aber die Topoi des Backwood-Horrors lassen sich auch mit anderen verbinden (siehe auch „Wurzeln“). Es bedient sich vieler Genres, vom „Lost-Valley-Abenteuerroman“ bis zum „Country Noir“. Am intensivsten aber wohl mit dem Horror-Genre.
Das wohl herausragendste Werk, James Dickeys DELIVERANCE, ist schwerlich dem Horror-Genre zuzuordnen. Die Romane und Filme, in denen es um die Konfrontation zwischen städtischen Eindringlingen und Rednecks geht, sind eher dem Thriller zuzuordnen als dem Horror-Genre. Auf den ersten Blick geht es bei Backwood-Thrillern um die völlige Entfremdung des städtischen Individuums von der Natur. Aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Nämlich eine Illustration zum anthropologischen Pessimismus und zeitnaher Ängste. Was die Anhänger der bildungsbürgerlichen Ästhetik als voraufklärerische Moral diskreditieren, erscheint im Subtext des Genres als Ausdruck kollektiver Furcht vor realen Auswüchsen des Feudal-Kapitalismus.
2. WURZELN
Das Backwood-Genre verdankt einiges dem „Lost Race“ oder „Lost Valley“-Motiv. Dieses wurde prominent bis in die 1950er Jahre vornehmlich von der Fantasy oder der Abenteuer-Literatur eingesetzt. Autoren, die es besonders häufig und effektiv nutzten waren Rider Haggard, Edgar Rice Burroughs und Abraham Merritt.
Burroughs verwendete das „Lost Race“-Motiv gerne und zahlreich in seinen Tarzan-Romanen. Immer wieder entdeckt der Herr des Dschungels bei seinen Streifzügen Lost Valleys, in denen bestimmte Kulturen isoliert von der Außenwelt existieren oder überlebt haben. Tarzan oder Rider Haggards Helden (Alan Quartermain) finden aber meist vergleichsweise Hochkulturen. Ob Mayas, Wikinger, Römer oder Kreuzritter, Burroughs lässt nichts aus.
Aber sie treffen verständlicher weise nie, wie in den Backwood-Thrillern, auf Redneck-Kannibalen.
Auch von den „Post-Doomsday“-Geschichten der Science Fiction übernimmt das Backwood-Genre etwas: nämlich das Konzept, dass keine bürgerlichen Normen mehr existieren oder durchgesetzt sind. Die „Post-Doomsday“-Stories beschreiben häufig eine Welt nach dem kulturellen Zusammenbruch, in der wir wieder in die Barbarei zurückfallen. Eine Barbarei, die noch über technologische Möglichkeiten der zerstörten Zivilisation verfügt (wie es etwa in den MAD MAX-Filmen gezeigt wird).
Im Backwood-Subgenre verbindet sich Weird-Fiction oder Horror mit dem Thriller zum Terror-Movie oder zur Terror-Novel.
Die Bedrohung muss dabei nicht übernatürlich sein, also nicht von Horror, SF- oder Fantasy-Elementen getragen.
In einigen der besten Backwood-Thrillern, wie DELIVERANCE von James Dickey, OPEN SEASON von David Osborn, einigen Ketchum-und Lansdale-Romanen. geht die Todesgefahr von degenerierten Mitmenschen aus, die dieselbe Mentalität wie Wirtschaftsbosse und Politiker teilen: Maßlose Gier nach Befriedigung ihrer perversen Bedürfnisse durch die Ausübung überlegener Gewalt.
Ein Aspekt der Faszination, die vom Terror-Genre ausgeht, ist das Aufzeigen der Brüchigkeit unserer Zivilisation und die Ohnmacht gegenüber brutaler Gewalt, sei sie physisch, psychisch, ökonomisch (Bentley Little) oder politisch. Es spiegelt unsere Realität wieder. Erleben wir doch gerade, wie unter dem Begriff „Globalisierung“ auf die gemeinste Weise die Gewalt privilegierter Cliquen gegenüber Menschen und Natur ausgeübt wird. Firmen wie Monsanto zeichnen sich durch unbeschwerte Genmanipulation aus, die „Patente “ für Nahrungsmittel besorgen. Eine Perversion an sich. Chemiefabriken flössen ihren Abfall in die Nahrungskette ein und zerstören wie Ölfirmen rücksichtslos die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Atomverseuchte Abfälle werden skrupellos in Afrika oder den Weltmeeren entsorgt. Besinnungsloser Raubbau an der Umwelt und hemmungslose Akkumulation von Reichtum sind die Wertsetzungen des Kapitalismus, die Genre-Fiction gerne in Frage stellt.
Die vergiftete Natur wird gerne und plausibel als Erklärung für die Degeneriertheit der Hinterwäldler angeboten.
3. INSEL
Isolation in feindlicher Umgebung war und ist ein starkes Motiv der Fiktion.
Schutz- und hilflos in einer fremden Umgebung Kräften ausgeliefert zu sein, die man nicht kontrollieren kann, ist eine der stärksten Ängste, die man mobilisieren kann. In unserer urbanen Zivilisation werden diese Ängste besonders intensiv wahrgenommen, wenn unzivilisierte Regionen, deren Codes die Protagonisten nicht entziffern können, zum Schauplatz werden.
Dies gilt besonders für Kannibalen- und Backwood-Filme. Die als Genre definierten Kannibalen-Filme spielen an entlegenen Orten, in die Figuren bewusst anreisen und deren Gefahren im vornherein weitgehend bekannt sind (zu Kannibalen siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/2014/10/30/wo-die-wilden-kerle-leben-kannibalismus-im-film/).
Dschungelregionen und ferne unbekannte Länder erscheinen wie unerforschte Inseln mitten in der „bekannten“ Welt.
Keine Überraschung, dass auch fiktive Inseln zum Kanon der Backwood-Thriller zählen.
Diese Spielart könnte als „Insel-Thriller“ bezeichnen; wieder eine Art Subgenre.
Es lässt sich vor allem auf zwei Klassiker zurück führen: Richard Connells Kurzgeschichte THE MOST DANGEROUS GAME (1924), deren erfolgreiche Verfilmung von 1932 stilbildend war. Hier geht es darum, dass Menschen auf einer isolierten Insel als Jagdwild herhalten müssen. Graf Zaroffs Menschenjagd auf seiner Insel ist zum populären Allgemeingut geworden und taucht immer wieder in allen möglichen Genres und Medien auf (sogar in dem Daily Comic Strip X9 SECRET AGENT CORRIGAN von Al Williamson und Archie Goodwin).
William Goldmans Roman LORD OF THE FLIES (1954) erzählt von gestrandeten Jugendlichen, die zwei sich bekämpfende Gruppen bilden. Goldings Subtext ist für das gesamte Genre bestimmend: Gewaltbereitschaft ist dem Menschen angeboren und ohne zivilisatorische Regeln herrscht das Gesetz des Stärkeren. Jüngere Beispiele sind Richard Laymons ISLAND (1991) oder Brian Keenes CASTAWAYS (2009).
4. ERFOLG
Der anhaltende Erfolg des modernen Backwood-Genres geht wohl auf zwei Filme zurück: John Boormans Adaption von Dickeys DELIVERANCE und Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN MASSACRE (1974). Dieses relative kostengünstig zu produzierende Filmgenre explodierte geradezu und wurde besonders von den 1970er Jahren bis heute als B-Pictures direct to Video/DVD genutzt. Eine eindrucksvolle Aufzählung von 188 Filmen findet sich unter: https://www.imdb.com/list/ls068573001/ .
Schriftsteller wie Jack Ketchum, Richard Laymon und Joe R.Lansdale popularisierten den Backwood-Thriller seit den 1980er Jahren als literarische Form, die bis heute bedient wird und sich beständiger Beliebtheit erfreut.
Vielleicht ist die These etwas gewagt, aber man könnte Robert Blochs Ed Gein-Interpretation PSYCHO ebenso als Backwood-Thriller, wie als Serienkiller-Roman auffassen.
Einige Theoretiker rechnen auch Algernon Blackwoods Natur-Horrorstories THE WILLOWS (1907) oder THE WENDIGO (1910) dem Genre zu.
5. STADT GEGEN LAND
Im Backwood-Genre kommen Gefahr und Horror für die Hauptpersonenunerwartet und nichts weist auf künftige Gefährdungen hin. Sie begeben sich im Hochgefühl zivilisatorischer Überlegenheit an diese Orte, deren Dynamik sie weder kennen noch einzuschätzen wissen. Die Backwoods liegen hinter unseren urban kultivierten Plätzen, nicht weit entfernt von der vertrauten Umgebung. Aber einmal falsch abgebogen und schon sieht man sich einem Terror ausgesetzt, dem man mit seinen zivilisatorischen Mitteln nicht begegnen kann.
Ein Topos ist der Städter, der sich dem Backwood-Terror ausgesetzt sieht und alle zivilisatorischen Hemmungen und Konditionierungen abwerfen muss, um zu überleben.
Die bekannten Verteidigungstechnologien, vom Auto bis zur Schusswaffe, werden in diesem Genre meistens außer Kraft gesetzt oder dienen als eine Art Gral, den die Protagonisten zu erreichen trachten und oft in letzter Sekunde zur finalen Lösung nutzen. Letztlich überwiegt aber das Misstrauen gegenüber technischen Lösungen (ist es nicht oft der technologische Fortschritt, der durch Umweltvergiftung aus debilen Hillbillys völlig durchgeknallte Kannibalen macht? – wie etwa in WRONG TURN 2.
Erst wenn der Städter alle zivilisatorischen Schichten abgeschält hat und zur bösartigen Kreatur wird, hat er eine Chance im ruralen Inferno zu bestehen.
„Und er konnte es tun – er konnte es wirklich tun. In dieser Nacht hatte er bereits drei oder vier dieser Leute getötet. Warum nicht zwei mehr?… Er hatte Angst. Angst vor dem Vergewaltiger und Mörder, der in seiner Haut lauerte.“ (aus Laymon: IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa 2011.)
Je mehr Industrialisierung und Umweltzerstörung fortschreiten, umso intensiver wird auch eine Urbanisierung (die Zuwanderung in die Großstädte der 3.Welt, was zu unfassbaren Slums führt), deren zivilisatorischer Anspruch längst umgekippt ist.
Für den Städter ist der Landbewohner inzwischen mental einer fremden Kultur zugehörig, sein Wertesystem kaum nachvollziehbar. Denken wir nur an die gerne im TV vorgeführten Jugendlichen, die kein Gemüse mehr identifizieren können. Der Landbewohner, so er denn nicht dem Flötenspiel der industriellen Rattenfänger folgt, hat kaum noch Bezüge zu den Stadtbewohnern. Sein Leben hat einen anderen Rhythmus, der stärker von den Unwägbarkeiten der Natur abhängig ist.
Inzwischen sind verslumte Vororte und verslumte Stadteile neben dem Land auch zu Backwoods geworden (so gesehen könnte man auch Sol Yurick und Walter Hills THE WARRIORS als einen urbanen Backwood-Thriller werten). Die Förderung landwirtschaftlicher Großbetriebe stärkt nicht humanitären Fortschritt, sondern brutalisiert ökonomische Barbarei (Stichwort Massentierhaltung).
6. ORTE
Das bedrohliche Hinterland mit sinisteren Gebäuden ist kein wirklich neues Thema der Weird Fiction. Das alles findet sich in Mythologien und etwa den Burgen und Klöstern der Gothic Novel (wenn man denn will, könnte man auch den ersten Teil von Stokers DRACULA mit Jonathan Harkers Reise in die Karpaten zu Draculas Schloss als Backwood-Thrill interpretieren).
Unheimliche Orte, die man besser nicht besucht, gab es in der Weird Fiction und der Gothic Novel immer. Man wird gewarnt, diese nicht aufzusuchen. So auch der Erzähler in Lovecrafts SHADOWS OVER INNSMOUTH. Die Bedrohlichkeit dieser Orte ist zwar nicht in all ihren Dimensionen bekannt, aber es besteht vorab so viel Wissen, dass man erahnen kann, warum man sie besser meidet. Es ist die Naivität oder das übersteigerte Selbstbewusstsein der Protagonisten, die sie aller Warnungen zum Trotz diese „unheiligen“ Orte aufsuchen lässt.
Ganz anders nähert man sich den Wäldern oder Dörfern der Backwood-Thriller.
In sie fährt oder wandert man hinein, ohne die geringste Vorsicht oder den Hauch von Wissen um ihre Existenz. In der Regel will man diese nicht als Orte des Schreckens kartographierte Regionen nur durchqueren, auf dem Weg von einem bekannten urbanen Platz zum anderen. Man bemerkt gar nicht die Grenze, die man überschreitet, wenn man die vertraute Welt verlässt, um in die rurale Barbarei zu geraten.
Und dann platzt ein Reifen, oder man biegt falsch ab, oder man will in diesem merkwürdigen Ort nur schnell etwas essen…
Schlagartig wird man mit einer archaischen Welt konfrontiert, in der alle erlernten Fähigkeiten nichts zur Überlebenssicherung beitragen. Auch die mitgebrachte Technologie funktioniert nicht („Ich kriege kein Netz.“).
in dieser Welt verknüpft sich das Unheimliche mit nicht domestizierter Natur mit genetischen Katastrophen der eigenen Spezies. In der ungezähmten Wildnis tobt der Abschaum Pans in unkontrollierter Macht.
Zivilisatorische Normen haben weder Sinn noch Durchsetzungskraft.
Die Bewohner huldigen undurchschaubaren Riten, Stammesregeln (wenn überhaupt), die nur für sie gelten. Der Fremde steht außerhalb jeder positiven Sanktion. Sie meiden Kontakte mit Menschen außerhalb ihrer inzestuösen Gruppe. Ausgenommen als Jagd-und Ritualopfer, Nahrung oder Sklaven.
Fremde sind Nutztiere oder Spielzeuge für ihre erschreckenden Vorlieben. Ob sie durch Abwesenheit von Geschichte, Umweltverschmutzung oder sonst was degeneriert sind, ist sekundär. Primär sind sie aggressiv böse, ohne zivilisatorische Kruste. Sie sind weniger das, was wir vielleicht einmal waren, als das was wir fürchten, sein zu können.
Sie verkörpern nicht die ungehinderte Natur, sondern die entartete Gattung. Sie sind das Gegenteil von Rousseaus edlem Wilden. Eher der Beweis für Freuds These, dass wir alle Mörder und Kinder Kains sind.
Sie weisen darauf hin, was passieren kann, wenn unsere zivilisatorischen Lichter ausgehen und wir im Dunkel der entsolidarisierten Gesellschaft versinken: Atomisiert in kleinen Rotten, die nur sich selbst verpflichtet sind, gibt es beim Überlebenskampf keine Gnade. Töten ist genauso selbstverständlich wie essen. Quälen so genussvoll wie Sex.
Diese Hinterwäldler werden mental gerne auf einer Stufe mit nicht sozialisierten Kindern dargestellt. Musterbeispiel sind einmal mehr die WRONG TURN-Filme mit ihren infantilen Menschenfressern. Wie Kinder Fliegen die Flügel ausreißen, reißen sie den Fremden vergnügt Arme und Beine vom Körper.
Ein Subtext des Genres ist: Ohne urbane Zivilisation ist der Mensch barbarisch und böse. Dieser anthropologische Pessimismus ist seit den 1980ern (Reagen, Thatcher, Kohl und der Raubtierkapitalismus der Neo-Cons) als Genresubtext aktuell und attraktiv. Jeder spürt ja den bevorstehenden Zusammenbruch. des kapitalistischen Lemmingsystems, der alle erreichten zivilisatorischen Errungenschaften zerbröselt und für sinnlosen Konsum die Natur opfert.
Und dann sind wir alle in den Backwoods.
Die folgenden Buchtipps sollen lediglich einen Überblick verschaffen, um dieses Genre oder Subgenre in seiner Spannbreite zu illustrieren.
DELIVERANCE (BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE, Rowohlt) von James Dickey
Der Klassiker; dazu noch ein „literarisch anerkanntes“ Buch (was immer das bedeuten mag). Bevor eine ganze Wald- und Flussregion als Stausee versinkt, wollen vier Städter noch mal den Genuss an der urwüchsigen Natur genießen und dem Wasserlauf befahren. Und dann kriegen sie Ärger mit den einheimischen Rednecks. Die Vergewaltigungsszene eines der Städter war damals nicht nur extrem schockierend, sie setzte auch die Maßstäbe für die vorherrschende sexuelle Brutalität des Genres.
RIVER GIRL (DAS MÄDCHEN VOM FLUSS, Heyne) von Charles Williams …ist ein Beispiel für den Noir-Thriller als Backwood-Story: Die Leidenschaft zu einer verheirateten Hinterwäldlerin treibt einen Cop in den Kreislauf der Noir-Tragödie. Williams Backwood-Romane haben weniger mit den Horror-Geschichten von heute zu tun. Diese Paperback Originals sind eher von den Southern-Romanen Erskine Caldwell beeinflusst.
JAGDZEIT (Pendragon) von David Osborn
Auch hier hatte der Roman das Glück einer exzellenten Verfilmung (von Peter Collinson mit Peter Fonda und dem unterschätztesten Hollywood-Star überhaupt, William Holden). Ein Update der klassischen Graf Zaroff-Geschichte von Richard Connell. Nur sind es diesmal durchgeknallte Vietnam-Veteranen, die aus der Stadt das Unheil aufs Land bringen.
RAMBO (Heyne) von David Morell.
Nicht nur der erste Rambo-Film war hervorragend (im Gegensatz zu den Sequels), auch die Romanvorlage ist ein moderner Klassiker des Thrillers. Der Vietnamveteran Rambo gerät mit Rednecks aneinander und trägt den Guerilla-Krieg dorthin, wo er hingehört.
OFF SEASON (BEUTEZEIT, Heyne) von Jack Ketchum.
Ketchum gehört wie Joe Lansdale zu den Autoren, deren schwächere Bücher immer noch weit über dem Durchschnitt liegen. Und die außerdem immer wieder für ein Meisterwerk gut sind. Nicht so furchtbar wie EVIL, ist OFF SEASON einer der stilbildenden Romane des Genres und der Klassiker des Kannibalen-Backwood-Thrillers, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Ketchums Brutalität ist erschreckender und glaubwürdiger als der pubertäre Horror, den Laymon verbreitet.
THE WOODS ARE DARK (IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa) von Richard Laymon.
Dieser frühe Roman (1982) gehört zu Laymons schwächeren Büchern. Aber in ihm ist geradezu beispielhaft angelegt, wie die Klischees des Kannibalen-Backwoods funktionieren. Als Roman eher bescheiden, ist das Buch so etwas wie eine „idealtypische“ Drehbuchvorlage für ein genrespezifisches B-Picture. Im Gegensatz zu Ketchum gelingt es Layman nicht, seinen Freaks eine eigene, überzeugende barbarische Identität vermitteln.
CREEKERS (Festa Verlag) von Edward Lee.
Man kann über diesen unbeständigen Autor denken, was man mag, aber dieser 1994 veröffentlichte Roman ist ein herausragendes Werk der Gattung. Phil Straker, einst erfolgreicher Großstadtbulle, ist zurück „im guten alten Crick City, der Welthauptstadt der Idioten“. Und hier hat er es nicht nur mit einigen verkommenen Hillybillys zu tun, sondern auch mit den Creekers, einem Clan, der sich unter primitivsten Bedingungen seit Jahrhunderten durch Inzucht degeneriert.
ISLAND (DIE INSEL) von Richard Laymon.
Natürlich erreicht Laymon auch hier nicht die Dimensionen von William Golding. Aber dies ist ein überzeugender Insel-Backwood. Mit dem eigenwilligen Ich-Erzähler gelingt es Laymon hier seinen üblichen pubertären Sex & Torture-Kram glaubwürdiger und erschreckender darzubieten.
JOE R.LANSDALE – DER BOSS IM HINTERWALD.
Ob Horror-Geschichten, Weird-Western oder Thriller – bei Joe Lansdale spielen die Backwoods von Ost-Texas fast immer eine entscheidende Rolle. Er ist der König des Backwood-Thrillers, da er das Genre am effektivsten und immer wieder originell zu nutzen weiß. Erschwerend kommt hinzu, dass er einer der besten Thriller-Autoren überhaupt ist und immer wieder frische, unverbrauchte Erzählungen aus bekannten Klischeegenres gewinnt. Es ist alleine schon beeindruckend, wie er bei seiner ungewöhnlich hohen Produktivität sein Niveau beibehält und immer wieder steigert.
Siehe auch:
https://martincompart.wordpress.com/2019/01/31/poet-des-white-trash-der-noir-autor-daniel-woodrell/
https://martincompart.wordpress.com/2016/09/07/jagdtrip-von-jack-ketchum/
Filed under: Backwood, Bücher, Jack Ketchum, thriller | Schlagwörter: Backwood, Jack Ketchum, Thriller, Vietnam
Jack Ketchum gehört zu den sensibelsten Autoren, die ich kenne. Wenige schaffen es wie er, unter die Haut ihrer Personen zu schlüpfen, um sie dem Leser in ihrer (amerikanischen) Komplexität erfahrbar zu machen. Dabei geht er ebenso behutsam wie sparsam mit wohl gesetzten Worten um, die ihn auch stilistisch zu einem herausragenden Schriftsteller machen. Fast nie ein falsches Wort, fast nie ein Satz zuviel (weshalb seine relativ kurzen Romane sich aus der Masse des voluminösen und überflüssig umfangreichen Gestammels der Bestseller herausragen wie Leuchttürme am Meer des schlechten Geschmacks).
Ketchum erweckt nicht mit billigen Mitteln Sympathie oder Antipathie. Er kriecht unmerkbar in seine Charaktere und zeigt dem Leser ohne Wertungen, wie sie ticken, was sie antreibt. Nein, er zeigt es nicht nur: er macht es erfahrbar, Indem er sich jeder Bewertung enthält, muss der Leser für sich entscheiden, ob ihm der Charakter und dessen Wertesystem gefällt. Reine Sympathieträger, wie der alte Mann in RED, sind relativ selten in Ketchums Werk, Das reine Böse hingegen existiert und bleibt unzureichend erklärbar. Auch für Ketchum, der sich wie kein anderer Autor in die Struktur des Bösen hinein tasten kann; sowohl in seine Banalität, wie auch in seinen Horror.
Er gilt bekanntlich als hervorstehender Vertreter sogenannter Horror-Literatur, als ultrabrutaler Slasher. Oberflächlich kann man JAGDTRIP auf dieser Ebene lesen, als einen furchtbaren Backwood-Thriller. Tatsächlich hat er mit Clive Barker und anderen Slasher-Kings nur wenig gemeinsam. Seine Brutalität wurzelt in der Realität und nicht in der Pornographie. Sie hat weder kathartische Wirkung, noch lerntheoretische. Er gehört zu den wenigen Autoren der Weltliteratur, die dem Leser die Schrecken menschlicher Grausamkeiten so direkt erfahrbar machen wie einem Soldaten das erste Gemetzel. Er braucht kein übernatürlich Böses. Das Grauen sind die Menschen selbst.
Mit der Wucht seiner Worte durchdringt er den fiktionalen Panzer und trifft direkt in die Weichteile ungeschützter Empfindungen. Man kann sich daran nicht ergötzen oder wohlig schaudern. Man liest mit Schrecken und möchte es hinter sich bringen, kann dem aber nicht entgehen, weil es sich wie erlebte Realität anfühlt. Selbst der wohlbehütetste Leser weiß um diese Wahrhaftigkeit des Schreckens, der im selben Moment der Lektüre hundert- oder tausendfach „da draußen“ passiert.
Er hat einiges von Hemmingway.
Es gibt bessere und weniger gelungene Bücher von ihm. Aber jedes von ihnen ist lesenswert. Er reflektiert die Schrecken unserer Zeit so überzeugend und kunstvoll, dass sie uns tief berühren. Er ist einer der überragenden Schriftsteller der Gegenwart, der beweist, das Einteilungen in Genres nur noch Marketingstrategie ist.
JAGDTRIP (COVER) ist von 1987 und erzählt die Geschichte eines völlig kaputten Vietnamveteranen, der nicht mehr in die Gesellschaft zurück findet, für die er in Südostasien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Unfähig die Liebe seiner Frau und seines Sohnes zu ertragen, hat er sich tief in die kalifornischen Wälder zurückgezogen und lebt vom Marihuana-Anbau. Er fristet ein bescheidenes Leben in der Natur, während ihm die Stimmen des Krieges verfolgen und noch immer seine Wahrnehmung beherrschen.
Und dann kommt ein Trupp Wochenend-Camper in den Wald.
Mittelschichtsbürger mit ihren kleinen Bedürfnissen und Vorlieben, die sie nur ausleben können, weil Männer wie der Veteran überall auf der Welt ihre Seele verdorren lassen, indem sie für diese armseligen Privilegien bei Bedarf Männer, Frauen und Kinder töten.
Als sie sich vom einzigen geschäftsfähigen Rohstoff (Marihuanapflanzung) des Veteranen bedienen, bringt er ihnen den Krieg ins Heimatland. Normalerweise schreibt ein Rezensent hetzt: „Und dann beginnt eine Orgie der Gewalt.“ Aber Gewaltorgien sind zumindest für Psychopathen etwas freudiges. Ketchums Gewalt ist freudlos und – so wahnsinnig es klingt (siehe oben) – aufklärerisch, da er sie entzaubert.
Das ist ein alter Thriller-Topos aus den 1970 ern (Robert Stone, David Osborn etc.; fast ein Subgenre des Backwood-Thrillers), dessen bekannteste Umsetzung RAMBO von David Morrell (der erste Roman und dessen Verfilmung, nicht der Folgeschrott) ist.
Ketchum gelang mit JAGDTRIP ein weiterer großer Roman, der schockierend verdeutlicht, dass unsere extrem egoistische Zivilisation nicht alleine in die Verdammung führt, sonder auch zur physischen Selbstvernichtung. Und nach der Lektüre fragt man sich, ob man in dieser soziopathischen Zivilisation überhaupt (über)leben will.
Im schönen Vorwort erklärt Ketchum, wie es zu dem Buch kam, wie er einige Vietnamveteranen aushorchen durfte, warum er es schreiben musste und wie er sich schuldig fühlte. Genauso ehrlich und schonungslos, wie er seine Romane schreibt. Auch wenn er nicht in Südostasien war, Vietnam war auch Ketchums Krieg – der Krieg seiner Generation, der die intelligenteren und sensibleren bis heute prägt. Mit der Niederlage der Amerikaner wurde das reaktionäre Roll back eingeläutet.
JAGDTRIP ist einer der besten Kriegsveteranen-Romane. Auch ein bösartiger Thriller, der RAMBO wie ein Buch über den Heimkehrer von einem Darts-Tounier aussehen lässt. Es ist ein Roman über Traumata und eines der besten Bücher über das, was Kriege aus Menschen machen können. Und was ist die Grundlage von Kriegen? Das gierige alte Männer und Frauen dumme oder idealistische Männer und Frauen für ihre Wirtschaftsinteressen verheizen.
Heyne Verlag, 2016. 368 Seiten. 9,99 €
siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/2013/01/02/thriller-die-man-gelesen-haben-sollte-evil-von-jack-ketchum/
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Filed under: Backwood, Charles Williams, Jack Ketchum, PAINT IT BLACK - über Noir-Fiction, Rezensionen, thriller | Schlagwörter: Backwood, Horror, Jack Ketchum, James Dickey, Joe R.Lansdale, Richard Laymon, Thriller, William Golding
„Der Gruselschauder ist masochistisch und letzten Endes weiblich, In ihm unterwirft sich die Phantasie einer überwältigenden Übermacht… Der Horrorfilm entfesselt die vom Christentum unterdrückten Mächte – das Böse und das Barbarische der Natur. Horrorfilme sind Rituale in einem heidnischen Gottesdienst.“ Camille Paglia: Die Masken der Sexualität 1. GENRE
Das Backwood-Genre ist nicht ausschließlich ein Subgenre der Weird Fiction oder des Horrors. Horror dominiert dieses Genre, aber die Topoi des Backwood-Horrors lassen sich auch mit anderen verbinden (siehe auch „Wurzeln“). Das wohl herausragendste Werk, James Dickeys DELIVERANCE, ist schwerlich dem Horror-Genrer zuzuordnen. Die Romane und Filme, in denen es um die Konfrontation zwischen städtischen Eindringlingen und Rednecks geht, sind eher dem Thriller zuzuordnen als dem Horror-Genre. Auf den ersten Blick geht es bei Backwood-Thrillern um die völlige Entfremdung des städtischen Individuums von der Natur. Aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Nämlich eine Illustration zum anthropologischen Pessimismus.
Das Backwood-Genre verdankt einiges dem „Lost Race“ oder „Lost Valley“-Motiv. Dieses wurde prominent bis in die 1950er Jahre vornehmlich von der Fantasy oder der Abenteuer-Literatur eingesetzt. Autoren, die es besonders häufig und effektiv nutzten waren Rider Haggard, Edgar Rice Burroughs und Abraham Merritt. Burroughs verwendete das „Lost Race“-Motiv gerne und zahlreich in seinen Tarzan-Romanen. Immer wieder entdeckt der Herr des Dschungels bei seinen Streifzügen Lost Valleys, in denen bestimmte Kulturen isoliert von der Außenwelt existieren oder überlebt haben. Tarzan oder Rider Haggards Helden (Alan Quartermain) finden aber meist vergleichsweise Hochkulturen. Ob Mayas, Wikinger, Römer oder Kreuzritter, Burroughs lässt nichts aus. Aber sie treffen nie, wie in den Backwood-Thrillern, auf Redneck-Kannibalen. Auch von den „Post-Doomsday“-Geschichten der Science Fiction übernimmt das Backwood-Genre etwas: nämlich das Konzept, dass keine bürgerlichen Normen mehr existieren oder durchgesetzt sind. Die „Post-Doomsday“-Stories beschreiben häufig eine Welt nach dem Zusammenbruch, in der wir wieder in die Barbarei zurückgefallen sind. Eine Barbarei, die noch über die technologischen Möglichkeiten der zerstörten Zivilisation verfügt (wie es etwa in den MAD MAX-Filmen gezeigt wird). Im Backwood-Subgenre verbindet sich Weird-Fiction oder Horror mit dem Thriller zum Terror-Movie oder zur Terror-Novel. Die Bedrohung muss dabei nicht übernatürlich sein, also von Horror, SF- oder Fantasy-Elementen getragen. In einigen der besten Backwood-Thrillern, wie DELIVERANCE von James Dickey, OPEN SEASON von David Osborn, einigen Ketchum-und Lansdale-Romanen. geht die Todesgefahr von degenerierten Mitmenschen aus, die dieselbe Mentalität wie Wirtschaftsbosse und Politiker teilen: Maßlose Gier nach Befriedigung ihrer perversen Bedürfnisse durch die Ausübung überlegener Gewalt. Ein Aspekt der Faszination, die vom Terror-Genre ausgeht, ist das Aufzeigen der Brüchigkeit unserer Zivilisation und die Ohnmacht gegenüber brutale Gewalt, sei sie physisch, psychisch, ökonomisch (Bentley Little) oder politisch. Es spiegelt unsere Realität wieder. Erleben wir doch gerade, wie unter dem Begriff „Globalisierung“ auf die gemeinste Weise die Gewalt privilegierter Cliquen gegenüber Mensch und Natur ausgeübt wird. Firmen wie Monsanto zeichnen sich durch unbeschwerte Genmanipulation aus, die „Patente “ für Nahrungsmittel besorgen. Eine Perversion an sich. Chemiefabriken flössen ihren Abfall in die Nahrungskette ein und zerstören wie Ölfirmen rücksichtslos die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Atomverseuchte Abfälle werden skrupellos in Afrika oder den Weltmeeren entsorgt. Die vergiftete Natur wird gerne und plausibel als Erklärung für die Degeneriertheit der Hinterwäldler angeboten.
Schutz- und hilflos in einer fremden Umgebung Kräften ausgeliefert zu sein, die man nicht kontrollieren kann, ist eine der stärksten Ängste, die man mobilisieren kann. In unserer urbanen Zivilisation werden diese Ängste besonders intensiv wahrgenommen, wenn unzivilisierte Regionen zum Schauplatz werden. Dies gilt besonders für Kannibalen- und Backwood-Filme. Die als Genre definierten Kannibalen-Filme spielen an entlegenen Orten, in die Figuren bewusst anreisen und deren Gefahren im vornherein bekannt sind – zumindest zum Teil. Daraus hat sich eine Spielart heraus gebildet, die man vielleicht als „Insel-Thriller“ bezeichnen könnte. Ihre Topoi lassen sich zum Großteil auf zwei Klassiker zurück führen: Richard Connells Kurzgeschichte THE MOST DANGEROUS GAME (1924), deren erfolgreiche Verfilmung von 1932 stilbildend war. Hier geht es darum, dass Menschen auf einer isolierten Insel als Jagdwild herhalten müssen. William Goldmans Roman LORD OF THE FLIES (1954) erzählt von gestrandeten Jugendlichen, die zwei sich bekämpfende Gruppen bilden. Goldings Subtext ist für das gesamte Genre bestimmend: Gewaltbereitschaft ist dem Menschen angeboren und ohne zivilisatorische Regeln herrscht das Gesetz des Stärkeren. Moderne Varianten sind Richard Laymons ISLAND (1991) oder Brian Keenes CASTAWAYS (2009).
4. ERFOLG
Der anhaltende Erfolg des Backwood-Genres geht wohl auf zwei Filme zurück: John Boormans Adaption von Dickeys DELIVERANCE und Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN MASSACRE (1974). Dieses relative kostengünstig zu produzierende Filmgenre explodierte geradezu und wurde besonders seit den 1970er Jahren bis in die 1990er Jahre als B-Pictures genutzt. Schriftsteller wie Jack Ketchum, Richard Laymon und Joe R.Lansdale popularisierten den Backwood-Thriller seit den 1980er Jahren als literarische Form, die bis heute bedient wird und sich beständiger Beliebtheit erfreut. Vielleicht ist die These etwas gewagt, aber man könnte Robert Blochs Ed Gein-Interpretation PSYCHO ebenso als Backwood-Thriller wie als Serienkiller-Roman auffassen. Einige Theoretiker rechnen auch Algernon Blackwoods Natur-Horrorstories THE WILLOWS (1907) oder THE WENDIGO (1910) dem Genre zu.
5. STADT GEGEN LAND
Im Backwood-Genre kommen Gefahr und Horror unerwartet und nichts weist auf künftige Gefährdungen hin. Die Opfer/Protagonisten begeben sich im Hochgefühl zivilisatorischer Überlegenheit an diese Orte, deren Dynamik sie weder kennen noch einzuschätzen wissen. Die Backwoods liegen hinter unseren urban kultivierten Plätzen, nicht weit entfernt von der vertrauten Umgebung. Aber einmal falsch abgebogen und schon sieht man sich einem Terror ausgesetzt, dem man mit seinen zivilisatorischen Mitteln nicht begegnen kann. Ein Topos ist der Städter, der sich dem Backwood-Terror ausgesetzt sieht und alle zivilisatorischen Hemmungen und Konditionierungen abwerfen muss um zu überleben. Die bekannten Verteidigungstechnologien, vom Auto bis zur Schusswaffe, werden in diesem Genre meistens außer Kraft gesetzt oder dienen als eine Art Gral, den die Protagonisten zu erreichen trachten und oft in letzter Sekunde zur finalen Lösung nutzen. Letztlich überwiegt aber das Misstrauen gegenüber technischen Lösungen (ist es nicht oft der technologische Fortschritt, der durch Umweltvergiftung aus debilen Hillybillys völlig durchgeknallte Kannibalen macht? – wie etwa in WRONG TURN 2). Erst wenn der Städter alle zivilisatorischen Schichten abgeschält hat und zur bösartigen Kreatur wird, hat er eine Chance im ruralen Inferno zu bestehen. „Und er konnte es tun – er konnte es wirklich tun. In dieser Nacht hatte er bereits drei oder vier dieser Leute getötet. Warum nicht zwei mehr?… Er hatte Angst. Angst vor dem Vergewaltiger und Mörder, der in seiner Haut lauerte.“ (aus Laymon: IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa 2011.) Je mehr die Industrialisierung fortschreitet, umso intensiver wird auch eine Urbanisierung (die Zuwanderung in die Großstädte der 3.Welt, was zu unfassbaren Slums führt), deren zivilisatorischer Anspruch längst umgekippt ist. Für den Städter ist der Landbewohner inzwischen mental einer fremden Kultur zugehörig, sein Wertesystem kaum nachvollziehbar. Denken wir nur an die gerne im TV vorgeführten Jugendlichen, die kein Gemüse mehr identifizieren können. Der Landbewohner, so er denn nicht dem Flötenspiel der industriellen Rattenfänger folgt, hat kaum noch Bezüge zu den Stadtbewohnern. Sein Leben hat einen anderen Rhythmus, der stärker von den Unwägbarkeiten der Natur abhängig ist. Inzwischen sind verslumte Vororte und verslumte Stadteile neben dem Land auch zu Backwoods geworden (so gesehen könnte man auch Walter Hills THE WARRIORS als einen urbanen Backwood-Thriller werten). Die Förderung landwirtschaftlicher Großbetriebe stärkt nicht humanitären Fortschritt, sondern brutalisiert ökonomische Barbarei (Stichwort Massentierhaltung).
6. ORTE
Das bedrohliche Hinterland mit sinistren Gebäuden ist kein wirklich neues Thema der Weird Fiction. Wenn man denn will, könnte man auch den ersten Teil von Stokers DRACULA mit Jonathan Harkers Reise in die Karpaten zu Draculas Schloss als Backwood-Thrill interpretieren. Unheimliche Orte, die man besser nicht besucht, gab es in der Weird Fiction und in der Gothic Novel immer. Man wird gewarnt, diese nicht aufzusuchen. So auch der Erzähler in Lovecrafts SHADOWS OVER INNSMOUTH. Die Bedrohlichkeit dieser Orte ist zwar nicht in all ihren Dimensionen bekannt, aber es besteht vorab soviel Wissen, dass man erahnen kann, warum man sie besser meidet. Es ist die Naivität oder das übersteigerte Selbstbewusstsein der Protagonisten dieser Weird Fiction, die sie aller Warnungen zum trotz diese „unheiligen“ Orte taufsuchen lässt. Ganz anders nähert man sich den Wäldern oder Dörfern der Backwood-Thriller. In sie fährt oder wandert man hinein, ohne die geringste Vorsicht oder den Hauch von Wissen um ihre Existenz. In der Regel will man diese nicht als Orte des Schreckens kartographierte Regionen nur durchqueren, auf dem Weg von einem bekannten urbanen Platz zum anderen. Man bemerkt gar nicht die Grenze, die man überschreitet, wenn man die vertraute Welt verlässt um in die rurale Barbarei zu geraten. Und dann platzt ein Reifen, oder man biegt falsch ab, oder man will in diesem merkwürdigen Ort nur schnell etwas essen… Schlagartig wird man mit einer archaischen Welt konfrontiert, in der alle erlernten Fähigkeiten nichts zur Überlebenssicherung beitragen. Auch die mitgebrachte Technologie funktioniert nicht („Ich kriege kein Netz.“). in dieser Welt verknüpft sich das Unheimliche nicht domestizierter Natur mit genetischen Katastrophen der eigenen Spezies. In der ungezähmten Wildnis tobt der Abschaum Pans in unkontrollierter Macht. Zivilisatorische Normen haben weder Sinn noch Durchsetzungskraft.
Die Bewohner huldigen undurchschaubaren Riten, Stammesregeln (wenn überhaupt), die nur für sie gelten. Der Fremde steht außerhalb jeder positiven Sanktion. Sie meiden Kontakte mit Menschen außerhalb ihrer inzestuösen Gruppe. Ausgenommen als Jagd-und Ritualopfer, Nahrung oder Sklaven. Fremde sind Nutztiere oder Spielzeuge für ihre erschreckenden Vorlieben. Ob sie durch Abwesenheit von Geschichte, Umweltverschmutzung oder sonst was degeneriert sind, ist sekundär. Primär sind sie aggressiv böse, ohne zivilisatorische Kruste. Sie sind weniger das, was wir vielleicht einmal waren, als das was wir fürchten, sein zu können. Sie verkörpern nicht die ungehinderte Natur, sondern die entartete Gattung.
Sie sind das Gegenteil von Rousseaus edlem Wilden. Eher der Beweis für Freuds These, dass wir alle Mörder und Kinder Kains sind. Sie weisen darauf hin, was passieren kann, wenn unsere zivilisatorischen Lichter ausgehen und wir im Dunkel der entsolidarisierten Gesellschaft versinken: Atomisiert in kleinen Rotten, die nur sich selbst verpflichtet sind, gibt es beim Überlebenskampf keine Gnade. Töten ist genau so selbstverständlich wie essen. Quälen so genussvoll wie Sex. Diese Hinterwäldler werden mental gerne auf einer Stufe mit nicht sozialisierten Kindern dargestellt. Musterbeispiel sind einmal mehr die WRONG TURN-Filme mit ihren infantilen Menschenfressern.Wie diese den Fliegen die Flügel ausreißen, reißen sie den Fremden vergnügt Arme und Beine aus dem Körper. Ein Subtext des Genres ist: Ohne urbane Zivilisation ist der Mensch barbarisch und böse. Dieser anthropologische Pessimismus ist seit den 1980ern (Reagen, Thatcher, Kohl und der Raubtierkapitalismus der Neo-Cons) als Genresubtext aktuell und attraktiv. Jeder spürt ja den bevorstehenden Zusammenbruch des kapitalistischen Lemmingsystems, der alle erreichten zivilisatorischen Errungenschaften zerbröselt. Und dann sind wir alle in den Backwoods. ()
Die folgenden Buchtipps sollen lediglich einen Überblick verschaffen um dieses Genre oder Subgenre in seiner Spannbreite zu illustrieren.
RIVER GIRL (DAS MÄDCHEN VOM FLUSS, Heyne) von Charles Williams …ist ein Beispiel für den Noir-Thriller als Backwood-Story: Die Leidenschaft zu einer verheirateten Hinterwäldlerin treibt einen Cop in den Kreislauf der Noir-Tragödie. Williams Backwood-Romane haben weniger mit den Horror-Geschichten von heute zu tun. Diese Paperback Originals sind eher von den Southern-Romanen Erskine Caldwell beeinflusst.
JAGDZEIT (Pendragon) von David Osborn
Auch hier hatte der Roman das Glück einer exzellenten Verfilmung (von Peter Collinson mit Peter Fonda und dem unterschätztesten Hollywood-Star überhaupt, William Holden). Ein Update der klassischen Graf Zaroff-Geschichte von Richard Connell. Nur sind es diesmal durchgeknallte Vietnam-Veteranen, die aus der Stadt das Unheil aufs Land bringen. RAMBO (Heyne) von David Morell Nicht nur der erste Rambo-Film war hervorragend (im Gegensatz zu den Sequals), auch die Romanvorlage ist ein moderner Klassiker des Thrillers. Der Vietnamveteran Rambo gerät mit Rednecks aneinander und trägt den Guerilla-Krieg dorthin, wo er hingehört.
OFF SEASON (BEUTEZEIT, Heyne) von Jack Ketchum.
Ketchum gehört wie Joe Lansdale zu den Autoren, deren schwächere Bücher immer noch weit über dem Durchschnitt liegen. Und die außerdem immer wieder für ein Meisterwerk gut sind. Nicht so furchtbar wie EVIL, ist OFF SEASON einer der stilbildendsten Romane des Genres und der Klassiker des Kannibalen-Backwood-Thrillers, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Ketchums Brutalität ist erschreckender und glaubwürdiger als der pubertäre Horror, den Laymon verbreitet. THE WOODS ARE DARK (IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa) von Richard Laymon Dieser frühe Roman (1982) gehört zu Laymons schwächeren Büchern. Aber in ihm ist geradezu beispielhaft angelegt, wie die Klischees des Kannibalen-Backwoods funktionieren. Als Roman eher bescheiden, ist das Buch so etwas wie eine „idealtypische“ Drehbuchvorlage für ein genrespezifisches B-Picture.
CREEKERS (Festa Verlag) von Edward Lee.
Man kann über diesen unbeständigen Autor denken, was man mag, aber dieser 1994 veröffentlichte Roman ist ein herausragendes Werk der Gattung. Phil Straker, einst erfolgreicher Großstadtbulle, ist zurück „im guten alten Crick City, der Welthauptstadt der Idioten“. Und hier hat er es nicht nur mit einigen verkommenen Hillybillys zu tun, sondern auch mit den Creekers, einem Clan, der sich unter primitivsten Bedingungen seit Jahrhunderten durch Inzucht degeneriert.
ISLAND (DIE INSEL) von Richard Laymon.
Natürlich erreicht Laymon auch hier nicht die Dimensionen von William Golding. Aber dies ist ein überzeugender Insel-Backwood. Mit dem eigenwilligen Ich-Erzähler gelingt es Laymon hier seinen üblichen pubertären Sex & Torture-Kram glaubwürdiger und erschreckender darzubieten.
JOE R.LANSDALE – DER BOSS IM HINTERWALD.
Ob Horror-Geschichten, Weird-Western oder Thriller – bei Joe Lansdale spielen die Backwoods von Ost-Texas fast immer eine entscheidende Rolle. Er ist der König des Backwood-Thrillers, da er das Genre am effektivsten und immer wieder originell zu nutzen weiß. Erschwerend kommt hinzu, dass er einer der besten Thriller-Autoren überhaupt ist und immer wieder frische, unverbrauchte Erzählungen aus bekannten Klischeegenres gewinnt. Es ist alleine schon beeindruckend, wie er bei seiner ungewöhnlich hohen Produktivität sein Niveau beibehält und immer wieder steigert.
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EVIL, oder wie der Originaltitel lautet: THE GIRL NEXT DOOR, ist einer der furchtbarsten und erschreckendsten Thriller, die je geschrieben wurden. Dabei entwickelt Jack Ketchum einen erzählerischen Sog, den man nur als Malstrom bezeichnen kann.
Der Ich-Erzähler David, inzwischen vierzig Jahre alt und erfolgreich, erzählt rückblickend eine entsetzliche Geschichte aus seiner Kindheit, die sich 1958 abgespielt hat.
Alles beginnt in einer scheinbar idyllischen Kleinstadt, wie sie Stephen King so vortrefflich zu entzaubern weiß. David ist der Nachbar der geschiedenen und allein erziehenden Ruth und deren drei Söhne. Ruth ist unter den Heranwachsenden äußerst beliebt, da man bei ihr rauchen und Bier trinken darf. Ihre Scheidung hat sie verbittert und sie hasst Männer, da diese nur auf Sex aus seien und Frauen ausnutzen. Nach dem tödlichen Autounfall der Eltern, muss Ruth auch noch ihre Nichten Meg und deren jüngere Schwester Susan aufnehmen. Susan, die schwer verletzt wurde, muss Beinschienen tragen und wird von der älteren Schwester, die sich für sie verantwortlich fühlt, behütet und geliebt.
David verliebt sich in Meg und beobachtet, wie sich die Situation in der Nachbarsfamilie zuspitzt. Zuerst demütigt Tante Ruth nur die ältere Nichte, die sie als Schlampe betrachtet, die hinter den Männern her sei.
Als Druckmittel gegen Meg setzt sie Susan ein, die an ihrer statt bestraft wird wenn sie Ruth sadistische Rituale nicht befolgt. Eine Spirale aus Vergewaltigung, Folter und Vernichtung wird in Gang gesetzt, die der Leser kaum aushält.
Ruth sozialisiert kleine- zu großen Barbaren. Und alle sehen weg – bis hin zur Polizei, die nur mal kurz an Ruth Fassade kratzt. Meg ist inzwischen im Atombomben sicheren Keller, den Megs Mann anlegen ließ, den Quälereien der Kinder ausgesetzt, die dem voller Freude nachgehen. Der Schutzraum wird zum Folterkeller.
Könnte das nicht auch bei uns jederzeit im Nachbarhaus passieren?
Kaum ein Monat vergeht, ohne dass ein Fall von Kindesmißbrauch oder Mord durch die Medien gejagt wird. Und nie haben die Nachbarn etwas bemerkt. Unsere Gesellschaft hat die Kunst des Wegsehens perfektioniert. Jeder ist seines Glückes Schmied – da bleibt keine Zeit für Anteilnahme.
Ketchum enttarnt Passivität als Illusion, die in den Abgrund führt – auch die Wegseher.
Am erschreckendsten für den Leser ist vielleicht die Figur des Ich-Erzählers.
Man wünscht sich, dass sie endlich handelt und dem Grauen ein Ende setzt. Aber David bleibt lange untätig, hin und her gerissen zwischen seiner Sympathie für Meg und der Faszination an den Quälereien. Damit vermittelt der dem Leser ein höchst ungutes Gefühl, macht ihn mit seiner Passivität fast zum Komplizen. Bei der grausamsten Szene blendet David aus, weil er sich selbst nicht mehr erinnern will. Der Leser dankt es ihm, dürfte sich aber inzwischen selbst im Schock-Zustand befinden.
Ketchum erzählt zwar distanziert, aber Schmerzen und Qualen der gepeinigten Meg vermitteln sich dadurch so intensiv, als würde man daneben stehen.
Ein großer Autor kann mit einem Roman einen Leser tatsächlich immer noch stärker aufwühlen als in jedem anderen Medium. Das macht das Buch auch so außergewöhnlich.
David zögert zu lange, um etwas gegen Megs Martyrium zu unternehmen. Dann macht er das falsche und es ist sowieso schon zu spät. Ketchum zeigt die ebenso triviale wie wahre Grundwahrheit, dass nicht rechtzeitiges Handeln in den Untergang führen kann, dass Entsolidarisierung am Ende jeden zum Opfer macht. Der Kritiker Thomas Harbach nannte den Roman „ein Plädoyer für Zivilcourage“.
Der Roman basiert auf dem wahren Fall der sechzehnjährigen Sylvia Likens, deren abgezehrte Leiche 1965 in Indianapolis in einem Zimmer der Gertrude Baniszewski aufgefunden wurde.
Gertrude, drei ihrer Kinder und zwei Jungen aus der Nachbarschaft wurden anschließend abgeurteilt.
1979 hatte Kate Millet ein Sachbuch darüber geschrieben: IM BASEMENT – MEDITATIONEN ÜBER EIN MENSCHENOPFER. Millett enttarnt die puritanische Ideologie als eine Ursache hinter Ruth/Gertrudes Zerstörung der Weiblichkeit ihrer Opfer. Es ist dieselbe Ideologie, die hinter der Tea-Party-Bewegung steckt.
Dieses Sachbuch mit seiner intellektuellen Betrachtung des Themas ist vielleicht das einzige wirksame Gegenmittel für das Nervengift, das Ketchum dem Leser in den Körper pumpte.
Der eventuelle Leser sei gewarnt: Dies ist eines der Bücher, die sich gnadenlos ins Gedächtnis einbrennen und die man nie wieder los wird. Jeder sollte sich genau überlegen, ob er sich dieser Erfahrung aussetzen will.
Die Originalausgabe erschienen 1989 unter dem Titel The Girl Next Door, die deutsche Ausgabe erstmals 2006 bei Heyne Hardcore; inzwischen in der 5.Auflage, 334 Seiten. Es gibt sowohl ein eBook, wie auch ein Hörbuch der deutschen Ausgabe.
Das Buch wurde 2007 unter der Regie von Gregory M. Wilson unter dem Titel Jack Ketchum’s Evil verfilmt. Bei allen Kompromissen ist die Adaption gut gelungen (im Gegensatz zu BEUTEGIER). Zuvor wurde das Sujet schon mal verfilmt als AMERICAN CRIME.