Martin Compart


WEISE WORTE by Martin Compart
30. Mai 2021, 3:34 pm
Filed under: Weise Worte | Schlagwörter: ,

„Es gibt keine ehrliche Art, eine Million zu machen.“

Raymond Chandler



ZU UNRECHT VERGESSENE SONGS by Martin Compart
22. Mai 2021, 10:15 pm
Filed under: Allgemein | Schlagwörter:



Neue Wahrheiten by Martin Compart
14. Mai 2021, 11:28 pm
Filed under: Stammtischgegröle, Sternstunden der Verblödung

Damalige Idiotie rächt sich:

Heute gehören Frauen am Lektorat.



HANNIBAL – DIE ARROGANTESTE TV-SERIE by Martin Compart

„Ich möchte, das Sie an das Beste in mir glauben.“
Dr.Lecter

Mit Hannibal Lecter gelang dem US-Autor Thomas Harris eine nder überragenden Mythen der Kriminalliteratur zu schaffen, nicht ganz – aber fast! – auf dem Level von Sherlock Holmes oder James Bond.

Mit Sicherheit ist Harris´ Schöpfung die einflussreichste Figur des Genres und der Pop-Kultur seit den 1980er Jahren. Der Erfolg der Lecter-Romane machte den Serienkiller zum erfolgreichsten kriminalliterarischen Subgenre der letzten 40 Jahre (zum Leidwesen vieler) und zur Pop-Ikone.

Natürlich nicht von ungefähr: Keine andere Figur verkörpert diese Epoche genauer als der Serienkiller. Niemand symbolisiert den herrschenden Raubtierkapitalismus, der soziopathisch für kurze oder mittlere Bedürfnisbefriedigung über Leichen geht, effektiver als der Serienmörder.

Die Qualität von Thomas Harris Romanen steht – im Gegensatz zu den meisten seiner Epigonen – nicht in Frage. Die Verfilmungen sind akzeptabel (die erste, RED DRAGON von Michael Mann, ist sogar herausragend).

Die überragende Umsetzung des Lecter-Mythos ist m.E. die TV-Serie HANNIBAL, die sogar die literarische Vorlage übertrifft.

HANNIBAL ist wohl die arroganteste TV-Serie, die bisher gedreht wurde. Ohne Rücksicht auf bildungsferne Schichten dekliniert sie fin de siècle als Crime-TV. Trotz der Brutalität, die anfangs dem US-Sender NBC immerhin 4,36 Mio Zuschauer einbrachte, stürzte sie ab und konnte in ihrer vorläufig letzten Staffel (der dritten) nur noch 1,5 Mio Zuschauer erreichen.
In Deutschland war die Erfolglosigkeit noch dramatischer.

Sympathischer Weise interessierte das die Produzenten (darunter Martha De Laurentis, die die Film- und Fernsehrechte der literarischen Vorlagen hält) nicht im Geringsten. Mit internationaler Verwertung und DVD-Verkäufen ist der Profit gesichert. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sie weiteres planen.

„Es gibt keinen Gott.“
„Mit dieser Einstellung, sicher nicht.“

Es gibt viele Bezüge zu den Romanen, aber auch entscheidende Abweichungen und Unterschiede: In der TV-Serie wird der Profiler Will Graham durch Dr.Lecter geformt und manipuliert. Am Ende der 1.Season hat Lecter alle Beweise seiner Verbrechen so manipuliert, dass Graham für sie verantwortlich gemacht wird.

Das kompromisslose Ende der Serie zeigt Lecter und Graham nach dem Niederringen des Roten Drachen als Liebespaar, dass sich quasi die Reichenbachfälle herunterstürzt.
2015 verkündeten Bryan Fuller und Martha de Laurentis, dass man eine 4.Season vorbereitet (die zwei Jahre nach der letzten Folge spielen soll; Holmes hat den Sturz in die Reichenbachfälle auch überlebt).

Mit der Nutzung der Digitaltechnik schaffen die Macher faszinierende Traumbilder, die assoziativ Erkenntnisse über Handlung oder Charaktere im Zuschauer freisetzen (können).

„Sein Tod ist nichts persönliches. Er ist nur die Tinte, mit der ich meine Verse schreibe.“

Die hier geschilderten Serienkiller sind derartig abstrus in ihren Motiven und Neigungen, dass die TV-Serie die Schwarze Romantik (nach Mario Praz) aktualisiert.

Überhaupt scheint neben Thomas Harris und der Film „7“ der Schriftsteller Joris-Karl Huysmans ein wichtiger Einfluss gewesen zu sein. In seinem Roman Á REBOURS lebt seine Hauptfigur den Ästhetizismus, in dem alles Künstliche dem Natürlichen vorzuziehen ist, bis zum exzessiven Niedergang aus.
Noch wichtiger könnte Huysmans Roman LÁ-BAS für die Serie gewesen sein: In ihm sucht ein dekadenter Literat, der an einer Biographie des „Vater aller Serienkiller“, Gilles de Rais, arbeitet Erfüllung im Satanismus.

In HANNIBAL wird die Natur auch optisch diskreditiert: Pflanzen wachsen zerstörerisch aus oder durch Körper (die Kamera zeigt es brutal im Zeitraffer) und Mörder, Serienkiller oder Perverse sind nichts anderes als Egozentriker in einem Danteschen Inferno.

Ton, Musik, Bild und Dialog bilden ein eigenes Universum, das nur innerhalb der Serie existiert.

In Harris´ Romanen hat sich das l´art pour l´art lediglich auf die Figur Dr.Lecter beschränkt; die anderen Personen, Handlungsorte und Plotlines sind in der sozialen Realität verankert.
In der TV-Serie ist Dekadenz der Kosmos, in dem Krieg zwischen Moral und Ästhetizismus herrscht. Losgelöst von soziologischen Impulsen spielt HANNIBAL in einer Parallelwelt, wodurch man die Serie als Noir-Fantasy oder Noir-Horror kategorisieren könnte. Auch hier führt Dekadenz in den Wahnsinn („Sie haben sehr spektakulär ihren Verstand verloren.“).
Die Serie bewegt sich in Räumen des Irrsinns, in denen sich vor den Augen des staunenden Zuschauers eine eigene Logik manifestiert. „Ich lasse mich von etwas so formbaren wie der Wahrheit nicht eingrenzen.“

Eine Parallelwelt, die fast ausschließlich aus Empathie freien Menschen besteht und in der Empathie immer weiter zurückgedrängt wird, den Fahndern nur als Aufklärungsinstrument dient (darin besteht vielleicht ein dystopischer Bezug zur sozialen Realität der Zuschauer).

Die immer wiederkehrenden Großaufnahmen von lukullischen Köstlichkeiten und ihres Verzehrs in verschwenderischen Farben, kippen den Zuschauer innerhalb weniger Sekunden von Gourmetfaszination in Ekel. Ein höchst informatives Gespräch über die Bildsprache in HANNIBAL findet sich unter: https://tv.avclub.com/hannibal-s-powerful-visuals-make-it-one-of-the-best-sho-1798242349

Für den DER SPIEGEL ist die Serie fast zu viel: „Das permanente Dräuen des Wahnsinns, die fehlende Entspannung und die kaum vorhandenen Glücks- oder Humormomente machen die Serie zu einer fast körperlichen Belastung: Sie staffelweise wegzugucken, ist ein nahezu unmögliches Unterfangen.“(Online 9.10.2013)

„Wovor ziehen Sie sich zurück?“
„Soziale Bindungen.“

Mads Mikkelsen ist natürlich der Star in diesem Ensemble blendender Schauspieler (wie in Hollywood inzwischen üblich, bedient man sich bei Ausländern für Starrollen, besonders bei den Briten wie hier mit Hugh Dancy als Graham).
Mikkelsen chargiert nicht wie Anthony Hopkins, sondern verkörpert Lecter als bedrohlichen Stoiker, der anscheinend lediglich aus sich ein wenig heraus geht, wenn er mit guten Speisen und Getränken konfrontiert wird.

Von Anfang an plante Fuller die ersten drei Seasons als eine perverse Liebesgeschichte, die sich zwischen Graham und Lecter entwickelt. Mikkelsen spielt Darcy gegenüber seinen homosexuellen Charme so dominant aus, dass dieser manchmal wie ein Kaninchen vor der Schlage wirkt, bevor er sich in einen beißfreudigen Mungo verwandelt.

In der dritten Season treiben sie – inhaltlich orientiert am dritten und ersten Harris-Roman – den Wahnsinn auf die Spitze; die surrealistische Bildsprache erreicht ihren Höhepunkt und driftet häufig ins psychedelische.

Diese TV-Serie ist wahrlich mit keiner anderen vergleichbar und baut einen so eigenen und in sich geschlossenen Kosmos, wie es auf völlig anderer Ebene nur THE PRISONER gelang.

P.S.: Dies ist wohl das letzte mal, dass ich mit einem funktionstüchtigen Classic Editor in meinem wordpress-Blog arbeiten konnte. Deshalb nenne ich hier meinen neuen Blog, in dem ich künftig schreiben werde: https://martincompart.blogspot.com/

HANNIBAL

US-TV-Serie. 39 Episoden in drei Staffeln, 2013-15.

Dr. Hannibal Lecter Mads Mikkelsen Matthias Klie
Will Graham Hugh Dancy Marcel Collé
Dr. Alana Bloom Caroline Dhavernas Susanne Geier
Beverly Katz Hettienne Park Victoria Sturm
Special Agent Jack Crawford Laurence Fishburne Leon Boden
Jimmy Price Scott Thompson Gerald Schaale
Brian Zeller Aaron Abrams Matthias Deutelmoser
Dr. Bedelia Du MaurierF Gillian Anderson