Filed under: Alain Delon, Film, MANCHETTE | Schlagwörter: Delon, Film Noir, Manchette
„Egal was die Kritik sagt: Ich halte die Verfilmungen von Chabrol oder Bral nicht für besser als die durch Delon und Deray. Von mir wird man kein schlechtes Wort über Delon hören; er hat mir mein Appartement bezahlt.“
Manchette in einem Gespräch mit MC.
P.S.: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Monsanto vernichtet werden muss.
Hier der Download-Link der KRIMI-APP vom iTunes-Store:
https://itunes.apple.com/de/app/id936815615
Filed under: Bücher, Comics, Dashiell Hammett, Noir, Rezensionen | Schlagwörter: comics, Dashiel Hammett, Graphic Novel, Hans Hillmann, Noir
Man mag es heute kaum glauben, aber es gab eine Zeit, da existierte der Begriff Graphic Novel noch nicht. Bei der Erstveröffentlichung von Hans Hillmanns „Fliegenpapier“, schauten die meisten dumm aus der Wäsche. Es war kein „richtiger“ Comic – aber irgendwie doch noch einer.
Wie Hal Foster bei „Prinz Eisenherz“ oder Burne Hogarth bei „Tarzan“, verzichtete Hillmann auf Sprechblasen, aber anders als bei Prinz Eisenherz zog sich jedes Panel über die ganze Seite, häufig über zwei Seiten. So etwas hatte man in dieser Konsequenz zuvor noch nicht gesehen. Wer die Arbeiten des amerikanischen Großmeisters Jim Steranko (Chandler) kannte, war nicht ganz so verwirrt. Heute fällt es leicht zu beurteilen, was Hillmann damals gemacht hat: er schuf eine völlig eigenwillige Form der Graphic Novel, mehr am Film orientiert als am Comic.
Das Werk hat längst Klassiker-Status.
Faszinierend ist das Timing der Erzählung: Hillmann wechselt von statischen Bildern zu explosiven Sequenzen und verleiht der Geschichte eine Dynamik, die man in Dashiell Hammetts Vorlage so expressiv nicht findet. Anders als die üblichen Graffic Novels wird man diesen Band immer wieder in die Hand nehmen und in den Panels stöbern wie in einem Bildband.
Detaillierte Hintergründe zum epochalen Werk und seinem Autor findet man in dem wunderbaren Aufsatz „In der Lücke“ von CHRISTOPH HOCHHÄUSLER unter:
http://parallelfilm.blogspot.de/2014/05/in-der-lucke.html
Hier nur ein kurzes Zitat:
“ Wahrheit diesseits der in Nach über 120 Plakaten, darunter für Filme von Buñuel, Kurosawa, Hawks, Welles, Lubitsch, Godard – entstand der Wunsch, einen Film auf Papier* zu machen. Eine Vorlage war bald gefunden: „Flypaper” von Dashiell Hammett, eine Kurzgeschichte, hard boiled. Erklärtes Ziel war es, den Text zu verzehren, bis auf einige Dialoge sollte alles Zeichnung werden. Hammett deshalb, weil er, mit seinem realen detektivischen Hintergrund, von der Beobachtung her kommt. Zwei Reisen in die USA, eine während eines dafür genommenen Forschungssemesters 1976, nutzt Hillmann zur Recherche; mit Bleistift und Kamera notiert er visuelle Details in New York und vor allem San Francisco; Feuertreppen, Hotelfensterblicke, Straßenecken, Möbel, Treppenhäuser…“
http://www.amazon.de/Fliegenpapier-Hans-Hillmann/dp/3945034043/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1427295968&sr=8-1&keywords=fliegenpapier+avant+verlag
Die Erstausgabe erschien 1982 bei 2001;2005 gab es eine schöne Paperback-Ausgabe bei dtv. Jetzt veröffentlichte der Avant Verlag eine großformatige 260seitige Hardcover Ausgabe, hervorragend gedruckt auf gutem Papier. Für 29,95 € erhält man eines dieser besonderen Bücher, die für immer einen besonderen Platz im Buchregal einnehmen.
Filed under: Film, MANCHETTE, Noir | Schlagwörter: Film, Manchette, Noir, Sean Penn
Würdigung zum Kinostart
von MiC
Die Poster sind online, ein neuer Trailer auch schon da und jetzt kommt der Film in die Kinos. Die Rede ist von THE GUNMAN, Pierre Morels loser Adaption von „La Position Tireur Couché“, dem letzten noch zu Lebzeiten erschienen Roman von Jean-Patrick Manchette. Allerdings machen Trailer und Pressetexte deutlich, mit der Vorlage hat der Film wenig gemein. (Auch wenn pünktlich zum Start die amerikanische Übersetzung von 2002, damals mit dem Titel THE PRONE GUNMAN veröffentlicht, nunmehr als Tie-in novel unter dem Filmtitel neuaufgelegt wird.)
Die Vorlage: LA POSITION TIREUR COUCHÉ
In einem Brief an Pierre Siniac sprach Manchette 1977 von einem Projekt über einen professionellen Killer. „Ich arbeite an einer Figur, die an und für sich völlig uninteressant ist, weshalb es sich im Wesentlichen um eine Stilübung handelt.“ Und was dies für Manchette bedeutete, hatte er in den Chroniken dargelegt, „einen Roman noir heute zu schreiben heißt, ich mache es wie die Amerikaner, nämlich völlig anders, einer veralteten Form treu zu bleiben, heißt sie genau zu befolgen, ja sie zu achten bedeutetet sie ins Äußerste zu verdrehen. Genau das versuche ich in meinem neuen Projekt.”
Um Manchettes Ansatz zu verstehen, muss man sich seine Haltung zum Schreiben, zur Kunst, zur sozialen Wirklichkeit seiner Zeit, vor Augen führen. In Schlagworten: „Schreiben bedeutet für mich Broterwerb; der Roman noir ist die moralische Literatur unserer Zeit; er ist ein Produkt für den Markt, ein Nahrungsmittel, er entstand in den 1920-ziger Jahren, als Reaktion auf die Hochphase der Konterrevolution, die mit dem Zweiten Weltkrieg die Revolution endgültig besiegte.” Für Manchette hat der Roman noir seine wesentliche Formsprache in nur zehn Jahren, zwischen dem Erscheinen von RED HARVEST, Dashiell Hammett 1929, und THE BIG SLEEP, Raymond Chandler 1939, gefunden. Vierzig Jahre nach Hammett, Anfang der Siebziger des 20. Jahrhunderts zu schreiben, bedeutete für ihn, der sich politisch als ein marxistischer Anarcho bezeichnete, der neuen sozialen Wirklichkeit nach 1968 gerecht zu werden. Dazu gehörte für ihn auch die Hoffnung auf eine tiefgreifende, gesellschaftliche Veränderung, die letztlich enttäuscht wurde. Seine zweiten und dritten in der Serie noir bei Gallimard veröffentlichten Polars, L‘AFFAIRE N’GUSTRO (1971) und NADA (1972), waren hochpolitisch, mit Erscheinen von LE PETIT BLEU DE COTE OUEST (1976), seinem siebten Polar, begann Manchette bereits nicht mehr an die gesellschaftliche Veränderung, an einen Sieg der revolutionären Kräfte über den Kapitalismus zu glauben. Hoffnungslosigkeit machte sich breit.
(Das Scheitern verzweifelter Aktionen Einzelner prägte seine letzten drei Polars. In „Le Petit Bleu“ irrt ein von den Produktionsverhältnissen entfremdeter George Gerfaut nach überstandenem Abenteuer und der Tötung von zwei Menschen und einem Hund, weiterhin im Kreis durch sein Leben. Die gefährlichen Erlebnisse haben keine charakterliche Wandlung bewirkt, höchstens eine geschmackliche Veränderung: er trinkt lieber Bourbon statt Whiskey. (Auch wenn die Werbung dem Konsumenten glauben machen will, es verhielte sich umgekehrt, die Wahl des Alkohols sei nichts weniger als eben das, eine Charakterfrage.) Im Jahr darauf erschien „Fatale „(1977) , hier metzelt die freiberufliche Killerin Aimee, nachdem sie den größten Coup ihrer Karriere an Land gezogen hat, die korrupten Bürger Blévilles, ihre Auftraggeber, dahin, um am Ende von einer Kugel wahrscheinlich tödlich getroffen ohne ihr Salär mit dem Fluchtauto zu verunglücken. N.B. Ein plötzlicher Ekel vor den Machenschaften der Bourgeoisie löste Aimees mörderischen Sinneswandel aus.)
Die neue soziale Wirklichkeit gebot Manchette, „ich bin ein unverbesserlicher Intellektueller und schäme mich dessen nicht”, eine neue Herangehensweise an den Polar. Seine literarische Inspiration fand er bei Hammett und Flaubert, sowie bei Guy Debord und der Situationistischen Internationale. „Situationistisch” an einen Roman noir heranzugehen, bedeutete für Manchette referenziell zu arbeiten. Das hieß einerseits, Genrekonventionen- und Stereotypen genau zu befolgen – wie der Basisplot in Tireur Couché „ein Killer will aussteigen, was seine Bosse verhindern wollen” oder die gewählte behavioristische Erzählweise, getreu dem Vorbild Hammetts in „Maltese Falcon“ und „Glass Key“ – andererseits entlehnte er seine stilistischen Ausflüge bei Flaubert und ließ in der völligen Verdrehung die Detournement-Idee von Debord erkennen.
Die Vorlage von „The Gunman“ ist daher nur scheinbar ein klassischer Roman noir, der Begriff Stilübung, der letztlich die Wiederholung, die Kopie bezeichnet, ist eine Untertreibung des Verfassers. Dieser Roman gehört ebenso in die Genreliteratur wie in die modernistische, experimentelle Literatur von Robbe-Grillet oder Perac. (Was für Manchette übrigens überhaupt kein Qualitätssiegel war. So schrieb er in einem Brief an Siniac, „literarische Ambitionen sind mir zuwider.”)
Im Gewand einer ausgelutschten Auftragskiller-Story, erzählt Manchette die kleinbürgerliche Sehnsucht von Martin Terrier, eines Außenseiters, der es allen die ihn einst schassten zeigen wird, wenn er nach zehn Jahren in den Heimatort zurückkehrt, um als gemachter Mann seine Liebste – die ihm auch noch für zehn Jahre die Treue verspricht – zu heiraten. Ein schöner Wunschtraum. Natürlich ist die Liebste inzwischen verheiratet und lebt desillusioniert neben ihrem Ehemann daher. Sie trinkt zu viel, langweilt sich und vögelt herum. Mit dem Ausstieg aus seinem Killer-Job (den Terrier für eine mit dem französischen Geheimdienst assoziierte Gruppe ausübt, in deren Auftrag er Kommunisten, Anarchisten, sowie ehemalige Militärs aus dem damals noch existierenden Ostblock tötet), verliert er schrittweise die Kontrolle über sein Leben. Anhand der Figur des Martin Terrier, zieht Manchette nun den klassischen Noir-Plot auf links und übersteigert ihn bis ins Absurde. Dabei legt er nicht nur die Naivität und Borniertheit seines Protagonisten offen, sondern entlarvt zugleich unser kapitalistisches System. Kleinste Details summieren sich zu einer komplexen Geschichte, einer Situationsbeschreibung unserer Gesellschaft, die ein genaues Hinsehen erfordert. Der Autor macht es dem Leser nicht leicht. Auf das Innenleben der Figuren und ihre Motivation muss man anhand ihres Verhaltens und ihrer Aussagen schon selber schließen. Niederlage und Ausweglosigkeit bestimmen den Roman. Am Schluss steht ein großartiges und sehr böses Ende für den vollends gescheiterten Martin Terrier.
Der Film: THE GUNMAN
Aus Martin wird nun Jim, aus einem Ich-fixierten Aufsteiger mit einem klaren Ziel, wird ein Auftragskiller, der glaubt dem Guten zu dienen, der sozusagen aus Idealismus tötet, um das Böse zu bekämpfen – und der alle seine Einsätze filmt, damit er sich absichert – denn man weiß ja nie. Jim Terrier ist Mann mit Idealen und Gewissen, einer der tut, was getan werden muss, im Rahmen seiner Möglichkeiten. Einer der mit sich hadert – ist Töten gut oder nicht doch böse? – und der doch nur ein bisschen Glück mit seiner Liebsten (er)leben will. Natürlich sind da seine Vorgesetzten vor. Die Schlimmen. Jetzt schlägt der Jim zurück und Regisseur Morel kann es krachen lassen. Hochkarätige Gesichtsverleiher garantieren bestes Entertainment: Javier Bardem, Idris Elba, Ray Winstone, und in der Hauptrolle der politisch sehr engagierte Hollywood-Linke Sean Penn, der als Star und Finanzierungsmagnet seine Weltsicht gleich schnell mit ins Drehbuch schrieb. – Danke, Sean, wir wissen es jetzt, setzen.
Der Film braucht die Vorlage nicht, die Vorlage braucht den Film nicht.
Nach LE CHOC (1982) ist THE GUNMAN die zweite „Verfilmung der Vorlage“. Autorensohn Tristan-Jean, der unter dem Pseudonym Doug Headline selbst den Kreativen gibt, haut derzeit scheinbar die Verfilmungsrechte des väterlichen Oeuvres heraus: „Le Petit Bleu“ ist in Development, Christopher McQuarrie soll Regie führen, Colin Firth möglicherweise George Gerfaut spielen; dazu wird LAISSEZ LES CORPS BRONZES (1971), der Serie noir Erstling von Manchette, in Zusammenarbeit mit Jean-Pierre Bastid entstanden, von einem belgischen Filmemacherpaar in diesem Jahr in die Kinos gebracht. Nach dem frühen Tod Manchettes, hat sich der Sohn um das Erbe des Vaters sehr verdient gemacht, in dem er die Chroniken, die gesammelten Filmkritiken, und sogar die Tagebücher der Jahre 1966-74 veröffentlichte, dazu Sonderausgaben und Monografien über Jean-Patrick Manchette anschob, und zusammen mit Max Cabanes auch gleich zwei Comicadaptionen produzierte. (N.B. Offenbar in alter Verbundenheit aus Griffu-Tagen, hat Jacques Tardi mittlerweile drei Manchette-Romane als Comic adaptiert.) Irgendwie kann ich mich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass die finanzielle Auswertung des Erbes vollends ins Zentrum von Juniors Streben gerückt ist. Auch wenn ein Film immer eine Interpretation der Vorlage ist und sicherlich von ihr abweicht, wenn nicht zwangsläufig abweichen muss, so stellt sich die Frage, warum diesen Film überhaupt so machen? Ein Killer der aussteigen will und mit seinem bisherigen Auftraggeber in Konflikt gerät, ist mittlerweile ein eigenes Genre. Dazu braucht man die Romanrechte nicht. Zudem ist die Anzahl der Manchette-Fans weltweit überschaubar, der Vorverkauffaktor eher gering, selbst wenn durch Neuveröffentlichungen im letzten Jahrzehnt in Deutschland, den USA und in England, ein größeres Publikum, und damit eine neue Lesergeneration, gewonnen werden konnte.
Wäre gerade für Manchette-Fans nicht eine gewisse Werktreue reizvoll? Ist die Kritik an unserer kapitalistischen Gesellschaft heute nicht wichtiger denn je? (Die große Aktualität von Manchettes Polars überrascht den kritischen Leser nicht. Sie beziehen sich zwar auf Frankreich vor vierzig Jahren, nur hat sich wenig bis gar nichts geändert. Die herrschende gesellschaftliche Ordnung sorgt dafür. Halt! Etwas hat sich doch geändert: der Kapitalismus hat inzwischen die gesamte Welt vollends im Chokehold, eine gesellschaftliche Alternative ist völlig unvorstellbar. Die negativen Auswirkungen, wie Umweltverschmutzung, globale Erwärmung, drastische soziale Ungleichheit, Kriege um Ressourcen, Nahrungsmittel- und Wasserknappheit, nehmen rasant zu. Proteste werden von Robo-Cops niedergeknüppelt. Schöne neue Welt. Danke Markt.)
Manchette-Junior pflegt das Erbe seines Vaters, indem er die Rechteverwertung managt und schön die Hand aufhält. Das sei ihm gegönnt. Vielleicht tue ich ihm aber auch Unrecht, und die französischen Produzenten von „Le Choc“ hielten die noch Rechte an dem Buch, oder der Verlag hatte seine Finger im Spiel, und sie haben diese meistbietend verkauft. Irgendeiner im Kollektiv der Niederträchtigen wird’s schon gewesen sein. Natürlich könnte man auch sagen, dass gerade diese Form der Verfilmung die totale situationistische Verdrehung ist – die völlige Antithese und zugleich auch Synthese, weil der Stärkere am Ende immer siegt – unabhängig seiner ideologischen Gesinnung.
(Bei dieser Kritik folge ich dem Beispiel Hegels und Manchettes selbst – natürlich habe ich den Film nicht gesehen. Warum? Ich weiß auch so, wo von ich rede.)
What’s left when the dust has settled? – Manchette liebte Parenthesen.
MiC, 19.03.2015
P.S. Hier kriegt der Film nochmal richtig was auf die Nase: http://www.theatlantic.com/entertainment/archive/2015/03/the-gunman/388218/
Filed under: Graham Greene, Politik & Geschichte, Rezensionen | Schlagwörter: Graham Greene, Liberia, Sierra Leone, Tim Butcher
Graham Greene gehört zweifellos zu den wichtigsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Er war ein Autor mit einer ungeheuren Spannbreite. Neben seinen Romanen, von denen nicht wenige als Polit-Thrillers zu bezeichnen sind, stechen besonders seine Reisebeschreibungen und journalistischen Arbeiten (etwa über die Mau-Mau) hervor. Zeit seines Lebens zog er durch die Welt, die er mit einem kritischen analytischen Blick beobachtete und sezierte. Diese Reisen verwertete er nicht nur journalistisch oder für Reisebücher, sie waren auch immer Auslöser oder Grundlage für Romane.
Ulrich Greiwe nannte ihn in seiner Studie, den „globalsten Autor, der je gelebt hat“ und „ein Genie des Mitgefühls“.
Oder wie es Greene in diesem Buch ausdrückt: „Von allen Menschen unterm Himmelszelt sind die am hoffnungslosesten, die einst am meisten gehofft, und die am elendsten, die am meisten geglaubt.“
Er war ein politischer Autor, der sich auch gerne direkt einmischte: einmal brachte er den Rebellen auf Kuba um Castro und Che Guevara einen Koffer mit Winterkleidung; bei Papa Doc Duvalier brachte er es auf die Todesliste der Tonton Macoutes. Die spanischsprachigen Tantiemen von MONSIEUR QUIJOTE spendete Greene der Guerilla von Salvador.
Nun ist endlich das Buch über seinen legendären 560-Kilometer-Fußmarsch durch Liberia erschienen. 1935 machte sich Greene zusammen mit seiner Cousine Barbara auf, um die weißen Stellen auf den Landkarten zu erkunden. Es war seine erste Reise außerhalb Europas – und Westafrika sollte ihn nie wieder loslassen (im Zweiten Weltkrieg war er in Sierra Leone chief of station für den britischen Auslandsgeheimdienst . Sein damaliger Vorgesetzter in London war Kim Philby): „…Wir tranken warmes, abgekochtes Wasser mit Whisky, und endlich begannen die Zeitlosigkeit, die Verantwortungslosigkeit und die Freiheit Afrikas auf uns überzugreifen.“
Auch seine Cousine Barbara schrieb ein Buch über diese Expedition, das in vielerlei Hinsicht Greenes nicht nachsteht (Im Hinterland – Barbara und Graham Greene in Liberia; Kirchheim, 2008).
Greene ist in früher Hochform: witzig, zynisch und mit seinem berühmten Blick für Fremdes, das doch nicht so fremd ist.
„Unsere heutige ist Welt offenbar ganz besonders empfänglich für Brutalität. Es liegt ein Hauch Nostalgie in dem Vergnügen, das uns Gangsterromane und Gestalten bereiten, die alle ihre Gefühle aufs angenehmste vereinfacht haben und sich nun wieder auf einem Niveau unterhalb der Benutzung des Großhirns befinden.“
oder:
„… die gleiche Art von Heldentum bei den ersten Siedlern, nämlich die typisch protestantische Eigentümlichkeit, Märtyrertum mit Absurdität zu kombinieren.“
Seine Reiseliteratur ist genauso eindrucksvoll, spannend und unterhaltsam wie seine Romane – voller witziger Beobachtungen, nie larmoyant, trotz vieler Strapazen, denen sich der Autor immer wieder aussetzte. Durch Liberia reiste er trotz aller Mühen doch relativ komfortabel als weißer Bwana, dessen Träger Whisky-Vorräte und eine Badewanne mitschleppen mussten.
Greene arbeitete zeitweilig als Filmkritiker und gehörte zu den literarischen Pionieren, die die Filmsprache für die Literatur nutzbar machten. So filmisch wie seine Romane – jedenfalls auf einer bestimmten Ebene – sind auch seine Reportagen und Reiseberichte. Er öffnet ein großes eindrucksvolles Panorama von Westafrika in den 1930ern. Er zeigt eine wilde Schönheit, die mehr und mehr schwindet, eine Naivität, die längst dem Zynismus weichen musste. Die physischen Anstrengungen erlebt man wie im Kino. Wenn man sich vorstellt, dass Johnny Weissmüller zur selben Zeit durch die TARZAN-Filme tobte, wird einem klar, wie wichtig Greenes Korrektur des Afrika-Bildes für breite Schichten gewesen sein muss. Denn 1936 war er bereits ein schlecht verfilmter Erfolgsautor.
Greene betrat Afrika in Sierra Leone, heuerte Träger an, fuhr nahe an die Grenze und machte sich auf seinen Marsch durch Leone und Liberia, durch einen Landstrich, dessen Boden in den 1990er Jahren Zentimeter für Zentimeter mit Blut durchtränkt werden sollte. Greene wechselte 1935 von Sierra Leone nach Liberia an derselben Stelle, an der 1991 die RUF in umgekehrter Richtung die Grenze zu überschritt, um Leone zu terrorisieren.
Aber REISE OHNE LANDKARTEN (Liebeskind Verlag) ist ein Klassiker der Reiseliteratur. Mit Gedanken an diesen unfassbar brutalen Bürgerkrieg (denn die Kriege in Liberia und Sierra Leone waren im Grunde ein einziger Bürgerkrieg), hinterlässt die Lektüre einen melancholischen, aber auch schalen Geschmack. Aus der brutalen Wildnis Schwarzafrikas, die Greene noch erlebte, ist inzwischen eine brutale Jauchegrube geworden.
Wie viel von der Tragik Afrikas, die wir heute nicht mehr übersehen können, wurde schon im Kolonialismus angelegt. Szenen wie diese hätten auch aus dem Bürgerkrieg stammen können:
„Die Soldaten schlichen sich durch die Bananenpflanzungen an, die alle Eingeborenen Dörfer umgeben, und feuerten Salven auf die Hütten. Eine Frau, die am selben Tag von Zwillingen entbunden worden war, wurde in ihrem Bett erschossen, und die Neugeborenen kamen in den Flammen um, als das Dorf von den Truppen beschossen wurde… Ein Mann, der politischer Gefangener gewesen war, sagte aus, er habe Soldaten damit prahlen hören, sie hätten Kinder mit Macheten getötet und die Leichen dann in die brennenden Hütten geworfen…“
Immer wieder gelingen Greene Momentaufnahmen, die vielleicht nicht von historischer Bedeutung sind, aber wenig bekanntes oder gar unbekanntes aus dem Nebel der Zeitgeschichte zerren: „Dr.D.s kläglicher und würdiger Tod, in den er offensichtlich bewusst gegangen war, brachte die Welt Hitlers, Dachaus, der Konzentrationslager und der Selbstgerechtigkeit der Nazis in diese entlegene Ecke Afrikas… Es gibt keine Beweise für die Absichten von Dr.D., aber es scheint offensichtlich, dass er nicht wünschte, nach Europa zurückzukehren, und lieber in Afrika sterben wollte…“
Die arrogante britische Kolonialmacht bekommt, wie bei Greene üblich, auch ihr Fett weg:
„Waren Sie schon einmal in Liberia?“ fragte ich.
„Nein, nein“, sagte der korpulente Mann, „wir lassen die hierher kommen.“
http://www.amazon.de/Auf-F%C3%A4hrte-Teufels-Sierra-Liberia/dp/3492405150/ref=asap_bc?ie=UTF8
Tim Butchers AUF DER FÄHRTE DES TEUFELS (Malik Verlag, 2014) ist die perfekte Ergänzung zu den beiden genannten Büchern. Butcher war Kriegskorrespondent in Sierra Leone und Liberia während des Bürgerkriegs gewesen. Seitdem lässt ihn die dunkle Seite Schwarzafrikas nicht mehr los. In seinem Buch folgte er 2008 den Spuren von Graham Greene. Die Schrecken, die die beiden Länder in den letzten Jahrzehnten durchlebt haben, sind in seinem Buch noch gegenwärtig. Durch ein ausführliches Archivstudium hatte er vor Antritt seiner Expedition herausbekommen, dass Greene damals auch im Auftrag der Anti-Sklaverei-Gesellschaft seine Reise durch das noch weit gehend unerforschte Hinterland Liberias unternommen hatte. Auch das Außenministerium war informiert, Hintergründe, die Greene in seinem Buch nie erwähnt. Ein interessantes Detail: „Land im Dunkeln (so der Titel der Erstausgabe) enthält viele hilfreiche Einzelheiten der Reise, besonders in der Erstausgabe, ein Buch, das heute schwer aufzutreiben ist, da es kurz nach der Veröffentlichung 1936 aufgrund einer Verleumdungsklage eingestampft wurde. Die meisten Ausgaben heute enthalten Änderungen, die Graham Greene zehn Jahre später vornahm…“ Diese spätere Ausgabe ist identisch mit der vorliegenden von REISE OHNE LANDKARTEN. In Vergleich zu Butchers Horror-Trip war Greenes Reise, bei allen Widrigkeiten, ein spätviktorianisches boy-adventure, ein bisschen auch auf den Spuren Rider Haggards, der ein Lieblingsautor des jugendlichen Greene war.
Dieses Buch machte mir eines nochmals deutlich: Greene ist als Autor immer noch aktuell. Als literarischer Gigant steht sein Oeuvre wie ein Monolith in der Literaturgeschichte.
Dieser meistgereiste Schriftsteller aller Zeiten hat der Welt immer noch eine Menge mitzuteilen. Die Mechanismen der Ausbeutung haben sich geändert, eher verschärft, aber ihre Gründe sind dieselben geblieben und ihre Drahtzieher sind nach wie vor die üblichen Verdächtigen.
P.S.: Vielleicht ist das der Unterschied zwischen dem großen Stilisten Greene und dem größten Stilisten Fitzgerald: Bei Greene gibt es Lösungsmöglichkeiten, bei Fitzgerald nicht.
P.P.S.: Ich bitte zu würdigen, dass in diesem Sujet nicht einmal der Begriff „Herz der Finsternis“ verwendet wurde.
Ich hatte das Vergnügen, mit Hans-Jürgen Breuer (einigen auch als Autor Leon Specht bekannt), Armin Süss und ihrem Team schon sehr früh bei der Entwicklung der Krimi-App mitzuarbeiten. Nun ist sie verfügbar! Jeden Tag füllt sich ihr Umfang, immer mehr Funktionen werden im Laufe der nächsten Monate dazukommen. Bei einem so gigantischen Unternehmen wie das Erfassen von Kriminalliteratur in unterschiedlichen Medien, kann sich wohl jeder vorstellen, was das für eine Aufgabe darstellt!
Man kann herunterladen im App-Store und findet näheres unter:
http://www.die-krimi-app.de/index.php
P.S.: Und hier geht´s zu Leon Specht:
Filed under: LEMMINGE IM PALAST DER GIER | Schlagwörter: Lemminge im Palast der Gier, Noir
…jetzt in EVOLVER unter:
http://www.evolver.at/stories/Martin_Compart_Lemminge_20150227/
Filed under: CIA, Paranoid, Politik & Geschichte, Stammtischgegröle | Schlagwörter: CIA, NcCain, Nemzow, Putin
Wem nützt die Ermordung des russischen Oppositionellen Boris Nemzow?
…und wem schadet es?
Trotz gewaltiger Anstrengungen der Springer-und Spiegel-Presse, und anderer Mainstream-Medien, Stimmung gegen Putin im Zusammenhag mit der Ukraine zu machen, ist dieses Unterfangen bei der Mehrheit der deutschen und europäischen Bevölkerung kläglich gescheitert.
Der feige Mord an Nemzow gibt den Medien nun die Chance, diesen implizit Putin in die Schuhe zu schieben.
Will man mir wirklich erzählen, der abgewichste EX-KGBler wäre so blöde, sich in dieser Situation eine derartige Blöße zu geben?
Wahrscheinlich stecken die russische Faschisten oder/und Nationalisten (wer kann dieses Pack schon auseinanderhalten? Nur qualifizierte CIA-Analytiker…) als nützliche Idioten dahinter. Und wer instrumentalisiert diese intellektuellen Tiefflieger seit über 20 Jahren?
Die Stiftung des Bananenbiegers John McCain (zumindest in der Ukraine nachweislich) die letztlich nichts anderes ist als ein Franchise-Unternehmen der CIA.
Von Pinochet bis Saddam oder Paul Kagame arbeiten die Amerikaner immer gerne mit Faschisten zusammen.
Fazit; Der feige Mord schadet vor allem Putin und dem strapazierten Ansehen Russlands.