Filed under: Edition Tiamat, MUSIK, Rezensionen | Schlagwörter: Edition Tiamat, Musikindustrie
Lang, lang ist´s her, da kaufte man sich Film-Bücher oder Pop-Musik-Bücher nur deshalb, weil es Bücher über Filme oder Pop-Musik waren. Die großen Verlage hatten damals maximal zwei. drei Titel im Programm. Das hat sich seit den 1980er Jahren (in denen eine Reihe wie Ullsteins „Populäre Kultur“ wie eine Kulturrevolution erscheinen konnte) wahrlich verändert. Inzwischen gibt es eigene Verlage, die sich diesen Genres widmen. Und die Flut der Veröffentlichungen, natürlich extrem im angelsächsischen Raum, ist dermaßen stark, dass hauptberufliche Experten kaum noch die Übersicht behalten.
Während ich früher jedes Pop-Buch (als es kaum welche gab) las, picke ich mir heute nur noch die heraus, deren Sujets mich interessieren (von Stones, Doors, Dylan über Highschool bis australische Garage) oder die neue Aspekte bearbeiten, die zum kargen Allgemeinwissen beitragen.
Meistens finde ich die bei der von mir immer wieder euphorisch abgefeierten Edition Tiamat, der ich inzwischen blind vertraue. Selbst wenn ich vorher nicht weiß, dass mich ein Thema interessiert, gehe ich davon aus, dass es mich interessieren könnte, weil Klaus Bittermann ein Buch dazu macht.
COWBOYS & INDIES von Gareth Murphy ist mal wieder ein Musikbuch, dessen Thema mich interessiert und das auch noch erstklassig arrangiert und geschrieben ist. Es erzählt die Geschichte der Popmusik vom 19.Jahrhundert bis ins 21. aus der Perspektive der Musikindustrie – die Betonung liegt auf Industrie. Perspektivisch werden die Macher, Produzenten und Gier-Tycoons dabei mit netten Anekdoten über unser aller geliebten und gehassten Stars und Musiker untermalt. Nur liegt eben nicht der hoch interessante Standpunkt bei Bandentwicklungen oder genialen Alben, sondern bei der Industrie. Und dabei löst Murphy für mich so manches bisheriges Rätsel auf. Etwa, warum THEIR SATANIC MAJESTIES REQUEST ein so enttäuschendes Album wurde (weil Jagger die Studiokosten bewusst in die Höhe trieb um Andrew Loog Oldham loszuwerden).
Die Idioten, Psychos und Genies in den Management-Etagen der Industrie erscheinen ebenso farbig wie die Rampensäue. Im Mittelpunkt steht natürlich die englische und amerikanische Musikindustrie, die ja auch aus einer verschnarchten Nische ein Milliardenunternehmen schuf. Die Strategien, mit denen sie Bands oder Trends durchsetzte, lesen sich so spannend wie Polit-Thriller (und sie könnten manchem Alt-Hippie den Summer of Love verregnen).
Murphys Schreibe ist so geschmeidig, elegant und schnell wie bei einem Pageturner für Erwachsene. Und wie er sein gigantisches Material zusammenfasst und komponiert, ist äußerst beeindruckend. Er verliert, so weit ich das beurteilen kann, nie das Wesentliche seines Themas aus dem Auge.
Die Geschichte der Musik-Industrie als Thriller!
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Filed under: Edward Boyd, NEWS, Noir, Rezensionen | Schlagwörter: Edward Boyd, News
Auf
http://www.buechertreff.de/thread/88023-edward-boyd-roger-parkes-der-dunkle-engel-the-dark-number/
hat Jean van der Vlugt eine bemerkenswerte Rezension über Boyds einzigen Roman (der auf einem Hörspiel basiert) veröffentlicht.
Filed under: Bücher, CHARLIE HEBDO, Comics, Politik & Geschichte, Rezensionen | Schlagwörter: Andreas C.Knigge, Charb, Charlie Hebdo, comics, Luz
Vor knapp neun Monaten erschien das »Heft der Überlebenden« und fast möchte man glauben, Charlie Hebdo habe sich wieder gefangen. Doch sind nun die Medien dabei, zu Ende zu bringen, was den Attentätern nicht gelang. Warum das so ist, erklärt eine Stimme aus dem Jenseits.
Die Rue Béranger liegt einen Steinwurf entfernt von der Place de la République, auf der am Sockel der Marianne noch immer »Je suis Charlie« prangt. Auf dem Platz sollte am 11. Januar die Marche Républicaine ihren Anfang nehmen und kam dann kaum voran, weil allein in Paris anderthalb Millionen Menschen auf der Straße waren, mit dabei Dutzende Staats- und Regierungschefs, die größte Demonstration in der Geschichte Frankreichs.
Trotz der Gendarmen an der Ecke zum Boulevard du Temple fällt die schmale Einbahnstraße fast nicht auf, denn bewaffnete Militärs in Tarnanzügen sind im Pariser Stadtbild derzeit überall präsent, in Métro-Stationen wie vor Schulen und Museen. Doch als wir in die Béranger einbiegen, stutzt selbst der Taxifahrer. Alle zwanzig Meter ein Posten mit Maschinengewehr, der Eingang zur Tageszeitung Libération weiträumig abgesperrt, Security-Leute mit kugelsicheren Westen. Ich bezahle das Taxi und als ich mich umdrehe, blicke ich in zwei Mündungen.
Ich treffe mich hier, wo Charlie Hebdo sein Notquartier hat, mit Gérard Biard, dem neuen Chefredakteur, der vielleicht nur deshalb noch am Leben ist, weil er am 7. Januar gerade in London war. Inzwischen ist ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, wie auf beinahe jeden bei Charlie. Niemand, das hatte er mir schon vorab gemailt, kommt in das Gebäude, der nicht persönlich abgeholt wird. Da wir zum Essen verabredet sind, warte ich unten. Kein Mensch betritt oder verlässt während dieser Zeit die Redaktion, später erfahre ich, dass die Mitarbeiter derzeit nur den Hintereingang durch eine Parkgarage benutzen.
Nach zehn Minuten kommt Gérard aus der Tür. Mit seinen beiden Bodyguards im Schlepptau machen wir uns auf den Weg zu einem nahegelegenen Restaurant, vor dem ebenfalls schon ein Gendarm mit MG steht. Die Leibwächter bleiben am Eingang, wir nehmen ganz hinten in einer von außen nicht einsehbaren Ecke Platz. Gérard zieht die aktuelle Ausgabe hervor und legt sie auf den Tisch. »Sauvez l’Europe«, lautet der Titel, rettet Europa. Die Zeichnung dazu von Laurent »Riss« Sourisseau, der das Attentat mit einem Schuss in die Schulter überlebte, zeigt Christian Noyer, Gouverneur der französischen Nationalbank, der den Kopf eines Mannes in einen Wasserbottich drückt: »Noyer un Grec« – ertränke
»Was ist los?«, will ich wissen. »Geht es etwa tatsächlich ums Geld?« Auch deutsche Zeitungen berichten mittlerweile von Zerwürfnissen, gar Fehden bei Charlie. Die wichtigsten Stimmen des Blattes seien »verstummt, und die Überlebenden kommen mit ihrer neuen Rolle kaum zurecht«, formuliert der Spiegel und spricht von einer »komplizierten Analyse«. »Charlie Hebdo steht vor dem Aus«, meint die Süddeutsche Zeitung. »Keiner will mehr Charlie sein« titelte die Zeit (gänzlich unpassend zu einem dann brillanten Dossier) am Donnerstag vor unserem Treffen. Und immer wieder ist von den dreißig Millionen die Rede, die das Heft der Überlebenden, das sich sensationelle acht Millionen Mal verkauft hat, über zweihunderttausend Solidaritäts-Abonnements und Spenden von mehr als vier Millionen Euro eingebracht haben, Charlie ist so reich wie noch nie.
»Ach was«, sagt Gérard. »Das Problem ist vielmehr, dass wir seit Monaten belagert werden. Die Presse folgt uns auf Schritt und Tritt. Wer hält das aus nach einem derart traumatisierenden Vorfall? Die Nerven liegen blank, wir alle sind in therapeutischer Behandlung, da kommt es schneller zu Reibereien, ein zahmer Haufen waren wir ja nie. Das sind die Nachwirkungen eines solchen Anschlags, mit dem man vielleicht sein Leben lang nicht fertig wird.« Seit dem Attentat lauern Zeitungen, Radio- und TV-Sender auf eine neue Story, stellen Verwandten und Freunden der Opfer nach, verfolgen Zeichner und tun so das Ihre, um Zwist zu befeuern. Die laufende Berichterstattung im französischen Fernsehen trägt längst die Züge einer Daily Soap.
Zu deren erstem Höhepunkt wird ein Konflikt zwischen der Redaktion und der Religionssoziologin und Kolumnistin Zineb El Rhazoui, Autorin auch der beiden von Charb gezeichneten Alben La vie de Mahomet, seit deren Erscheinen vor zwei Jahren sie nach ständigen Morddrohungen unter Personenschutz steht. Sie bleibt im Januar verschont, weil sie einen verlängerten Weihnachtsurlaub in Casablanca bei ihrer Familie verbringt. Es geht, als sie zurück ist in Paris, darum, ob man jetzt innehalten soll, um zu trauern und sich selbst wiederzufinden, oder ob man weitermacht »um jeden Preis«. Für Zineb ist das Heft der Überlebenden ein Fehler, aber ihre Kollegen stürzen sich in die Arbeit. Auch, um zu verdrängen. Zineb hält es nicht aus in der Redaktion, ohne die Freunde, sie lässt sich kaum noch sehen, schließlich wird sie abgemahnt, nicht zuletzt, weil die Kollegen sie jetzt dringend brauchen. Und da ist sie dann, die »Story«.
Als im Mai Luz alias Renald Luzier, Zeichner der Titelseite auch des Heftes der Überlebenden, erklärt, aussteigen zu wollen und künftig keine Karikaturen von Mohammed mehr zu zeichnen, üben sich die Medien in wilden Spekulationen, vom Eklat darüber, was mit den Millionen geschehen solle, bis zum Streit über die künftige Ausrichtung des Blattes. Doch Luz, seit über zwanzig Jahren bei Charlie, ist ganz einfach am Ende. Jede Ausgabe sei eine Tortur, sagt er, »weil die anderen fehlen: Ich verbringe schlaflose Nächte damit, mich zu fragen, was die toten Freunde, Charb, Cabu, Honoré, Tignous, Wolinski, wohl gemacht hätten.« Luz ist noch am Leben, weil er die Nacht zuvor in seinen Geburtstag gefeiert und dabei »ein bisschen gepichelt« hatte, somit zur Redaktionskonferenz zu spät kommt. Er hört Schüsse, sieht noch den schwarzen Citroën davonjagen, dann steht er inmitten des Blutbads.
Die Zeit seit diesem furchtbaren Ereignis hat Luz nun in einem Buch festgehalten, das dieser Tage auch auf Deutsch erscheint. Katharsis, betont er vorab, sei »kein Zeugenbericht, geschweige denn ein Comic«. Das erste Mal ins Bild tritt er drei Seiten später jedoch als Tatzeuge, am Abend des 7. Januar, als auf dem Kommissariat am Quai des Orfèvres seine Aussage protokolliert wird. Luz bittet um einen Stift und beginnt zu zeichnen. Mit zittriger Hand, zwei dicke Kreise, wie Tunnel, die zu einem Augenpaar verschmelzen, reglos der Blick, schockstarr. Wieder und immer wieder krakelt Luz diese weit aufgerissenen Augen, darunter ein nur winziger Körper. Er ist nicht Zeuge, sondern gleichfalls Opfer des Massakers. Sein Buch einen »Comic« zu nennen, hält er deshalb für unangebracht; weil er mit komischen Zeichnungen eine gar nicht komische Geschichte erzählt.
Wobei es sich, genauer, um Kurzgeschichten handelt, dreißig an der Zahl, die in Länge, Stil, Technik, Ton und Zugang überaus eigen sind, ganz unterschiedlich, sich am Ende aber zu einer dichten Collage von höchster künstlerischer Präzision zusammenfügen – dem vielschichtigen, ungefilterten Blick auf eine traumatisierte Psyche. Gleich in der nächsten Story, zwei Seiten nur, ist Luz im Januar bei der Redaktionskonferenz dabei. Verspätet, er hat ja gepichelt letzte Nacht. Er schlägt Themen vor, vielleicht wieder Houellebecq, ha ha ha, und dabei merkt er gar nicht, wie ihm der halbe Kopf weggeschossen wird. »Grrr, der Scheißstift läuft aus«, wundert er sich erst auf der nächsten Seite über all das Blut. Und dann darüber, dass plötzlich der Geburtstagskuchen weg ist, von dem er doch mitgebracht hatte, um mit den Kollegen später noch weiter zu feiern. Ein böser Traum, nicht der einzige, von dem uns Luz berichtet.
Die schwarz vermummten Kouachi-Brüder geistern durch einige der Geschichten, doch nur diese eine hat das Attentat selbst im Blick. Mal erzählt Luz, der »Überlebende auf Lebenszeit«, von dem Versuch, sich mit seinem neuen ständigen Begleiter zu arrangieren, jenem Kloß im Bauch, der klarstellt: »Wenn ich in deine Fingerspitzen krieche und dich am Zeichnen hindere, bin ich zugleich deine Angst vor der Zukunft wie vor dem leeren Blatt Papier.« Mal von – das ist eine der längsten Geschichten – dem vergeblichen Versuch, seinen Leibwächtern zu entwischen, um einen Moment für sich allein zu haben. Vom Zwiegespräch mit Charb an dessen Grab, das sich bald als Soliloquium erweist: »Du musst dich dran gewöhnen, Charb ist nicht mehr da, du redest jetzt mit dir selbst.« Von der Qual, mit der Trauer derer umgehen zu müssen, die alle Charlie sind und sich jetzt bei ihm ausweinen, nein ist das schrecklich! Vom Zusammenbruch.
Luz‘ Geschichten gehen unter die Haut, eine jede auf ihre ganz eigene Art. Über manche lässt sich sogar lachen, über die mit dem Vogel etwa, der von den Schüssen aufgeschreckt auffliegt und so ein paar Straßen weiter, platsch, Hollande auf den Kopf kackt – eine bizarre Allegorie darauf, welche Rolle Zufälle spielen, wer an jenem 7. Januar zufällig wo ist. Witzig auch die, in der ein Islamist in einem Tintenklecks den Propheten erkennt, obwohl Luz beteuert, dass es bloß ein Klecks sei: »Ich verbiete dir, Mohammed mit einem Klecks zu vergleichen, Ungläubiger!« Wo ist hier Mohammed? »Ich darf nicht hingucken, ich darf nicht hingucken!« Luz schlägt den Rorschach-Test vor, aber: »Ist das nicht jüdisch, der Name …?« Die fatale Mechanik des Irrsinns.
In einer Story entdeckt Luz das Album Schwarze Gedanken wieder, das »so komisch« sei, obwohl Franquin unter schweren Depressionen litt, als er es zeichnete. Etwas, das Hoffnung gibt: »Der Beweis, dass man immer noch Schönes und Komisches zeichnen kann.« Luz‘ Einblicke in seine Seele brennen sich ein, lassen spüren, wie er den Albtraum zeichnend zu bewältigen sucht. Und dabei mit einer Intimität erzählt, die ein erhellender Kontrast ist zu all dem Mediengesummse; die uns einen neuen Zugang erlaubt – ein wahrhaft seltenes Meisterstück!
Auch die Presse wird kurz abgehakt, und dass die bei Luz nicht gut wegkommt, hat durchaus auch mit früheren Erfahrungen zu tun. Lange vor dem Überfall bereits ist Charlie regelmäßig in die Kritik geraten, »Rassismus« lautet der ständige Vorwurf und »Schüren von Islamophobie«. Als etwa der Autorenverband PEN dem Satiremagazin im Mai den Preis für Meinungsfreiheit verleiht, protestieren hundertfünfzig zumeist US-amerikanische Schriftsteller (inzwischen liegen über tausend Unterschriften vor). Sie bezichtigen Charlie der »kulturellen Intoleranz« und beharrlichen Verspottung einer Minderheit. In New York zählt neben Art Spiegelman und Alison Bechdel zu den Laudatoren auch Neil Gaiman, der betreten anmerkt, dass wohl »einige gutmeinende Schriftsteller nicht verstanden haben, dass man nicht teilen muss, was gesagt wird, wenn man das Recht verteidigen will, es sagen zu können«.
Nur zwei Tage vor seiner Ermordung hatte Charb das Manuskript für einen Essay abgeschlossen, der als Brief an die Heuchler und wie sie den Rassisten in die Hände spielen inzwischen auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Nach dem Brandanschlag Ende 2011 auf die Redaktion von Charlie war Charbs Statement, er habe weder Frau noch Kinder, um die er sich sorgen müsse, und wolle »lieber aufrecht sterben, als auf Knien zu leben«, zum Leitsatz geworden. Das war kein flotter Spruch, sondern gelebte Haltung – die sich tragisch erfüllt hat. Charb, Stéphane Charbonnier, war die zentrale Persönlichkeit bei Charlie, jedem, der von ihm spricht, treten heute noch die Tränen in die Augen. Der Brief an die Heuchler ist sein Vermächtnis, in dem er präzise analysiert, warum Charlie mit dem Rassismus-Vorwurf immer wieder auch aus dem eigenen Lager angegriffen wird, und aufzeigt, wie der (schon etymologisch fragwürdige) Begriff »Islamophobie« von den unterschiedlichsten Interessengruppen instrumentalisiert wird – gleichermaßen um den Islam zu kräftigen, wie um ihm zu schaden.
Charbs Streitschrift ist Pflichtlektüre für jeden, der meint, Charlie zu sein. Bedauerlich deshalb die spröde, teils missverständliche Übersetzung. Der Begriff des »Kommunitarismus« etwa, auf den Charb mehrfach rekurriert, hat in der politischen Debatte Frankreichs eine ganz andere Färbung als hierzulande, worauf jedoch nicht einmal verwiesen wird (eine kurze Fußnote führt im Gegenteil sogar noch mehr in die Irre); das macht die Lektüre des schmalen Bändchens leider streckenweise beschwerlich.
Charb stellt klar, dass Kritik an der extremistischen Auslegung einer Religion nichts zu tun habe mit der Menschenverachtung, die das Wesen des Rassismus ist. Dass der Spott von Charlie Terroristen gelte, die sich auf den Islam berufen, und keineswegs »den« Muslimen. Doch »wagt man es, auf dem Titelblatt den Propheten oder eine ihm ähnlich sehende Person zu zeigen, geht es wieder los! Die Zeichnung wird dann als ›neuerliche Provokation von Charlie Hebdo‹ dargestellt. Und wenn das Fernsehen verkündet, dass etwas eine Provokation ist, gibt es immer ein paar Idioten, die sich provoziert fühlen.«
Charb spricht sogar von einer »Komplizenschaft der Medien«, mit ganz profanem Motiv: »Jeder Skandal, der mit dem Wort ›Islam‹ überschrieben ist, ist verkaufsfördernd. Seit dem Attentat vom 11. September 2001 setzten die Medien eine ebenso faszinierende wie erschreckende Gestalt in Szene: den islamistischen Terroristen. Ein Terrorist macht große Angst, aber wenn man islamistisch hinzufügt, macht sich wirklich jeder in die Hose. Angst verkauft sich gut.«
Die Krise ist also längst noch nicht überwunden, wie geht es nun weiter mit Charlie? »Ich hoffe, dass wir im September endlich unsere neuen Büros beziehen können«, sagt Gérard auf dem Weg zurück in die Rue Béranger. Der Ausbau zieht sich hin, weil die schweren Sicherheitsschleusen eine Verstärkung der Gebäudestatik erfordern. Zeichnen im Hochsicherheitstrakt. Nach dem Umzug soll dann ein frischer Auftritt mit neuem Konzept erfolgen. Die Medien werden berichten.
Luz: Katharsis, S. Fischer | HC | 128 Seiten | 16,99 €
Charb: Brief an die Heuchler und wie sie den Rassisten in die Hände spielen, Tropen | TB | 96 Seiten | 12,00 €
Filed under: Film, HARALD LEIPNITZ, Noir, Porträt | Schlagwörter: deutsche Noir-Schauspieler, Film Noir, Harald Leipnitz, TV
Ich saß im Sichtungsraum, als Ich das letzte Mal mit Leipnitz telefoniert habe. Eine Woche später war er tot. Das hat mich ziemlich gerissen. Habe mich dann mit Königstein vollaufen lassen. Zumindest hat er noch mitbekommen, wie wichtig sein Interview für mich und die ganze Reihe war. Aber leider hat er meinen Kotau nicht mehr sehen können. Wir trauern eben immer um uns selbst.
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Filed under: Film, HORST FRANK, Noir, Porträt, TV | Schlagwörter: deutsche Noir-Schauspieler, Film Noir, Horst Frank, Noir
Filed under: Zu Unrecht vergessene Songs | Schlagwörter: Francine, Musik
Filed under: Bücher, Crime Fiction, Frederick Forsyth, Politik & Geschichte, Porträt, Rezensionen, Spythriller, thriller | Schlagwörter: Autobiographie, Frederick Forsyth, Thriller
Frederick Forsyth führte ein Leben, das Stoff für viele Romane hergeben würde: Jüngster RAF-Pilot, als Journalist in Krisenregionen und gelegentlicher Freelancer für den MI6. In seiner Autobiographie erzählt er einiges, verschweigt aber auch reichlich. Zum Beispiel sagt er nicht, mit welchen Argumenten er General und Staatsoberhaupt Ojukwu dazu gebracht hat, den Söldner Rolf Steiner aus Biafra rauszuschmeißen.
Überhaupt Biafra!
Wahrscheinlich war dieser Krieg eine der prägendsten Erfahrungen für Forsyth. Da er die Lügen des britischen Establishment (und des damaligen Sprachrohrs BBC) nicht länger ertragen konnte, verlor er seinen guten Job bei der alten Tante. Stattdessen arbeitete er als Freiberufler hinter und an der Front um jeden die Wahrheit zu sagen, der sie hören wollte. Das war dann ausgerechnet der Auslandsgeheimdienst, der Forsyth fälschlich überzeugte, dass er die Regierung Großbritanniens mit den richtigen Informationen von ihrem falschen, menschenverachtenden Kurs abbringen könne. Vor Biafra war Forsyth Korrespondent für Reuters in Paris und Ost-Berlin gewesen. Aus dieser Zeit berichtet er unterhaltsame und zum Teil schreiend komische Anekdoten. Etwa die über einen Ex-Nazi, der nun für die Betreuung westlicher Journalisten zuständig war und seine Arschlochkarriere nahtlos fortsetzte. Freddie schickte ihm zu seinem Geburtstag und zu Weihnachten aus Westberlin regelmäßig anonyme Grußkarten mit seiner NSDAP-Mitgliedsnummer und den „besten Wünschen der alten Kameraden“.
Er beschreibt einigermaßen ausführlich den Beginn seiner Karriere als Bestseller-Autor. Besonders der Verkauf seines Erstlings DAY OF THE JACKAL ist eine hinreißende Darstellung einer untergegangenen Verlagswelt. Der Roman schlug ein wie eine Bombe und erweiterte das Genre. Seitdem führt Forsyth Millionen von Lesern erhellend durch die dunklen Seitenstraßen der Zeitgeschichte. Immer wieder ragen seine Romane aus der Thriller-Masse heraus, da er sie mit Informationen bestückt, die den meisten Journalisten nicht zugänglich sind. Wäre er nicht Schriftsteller geworden, dann wäre er mit Sicherheit einer der größten Journalisten seiner Zeit. Leider sagt er in OUTSIDER wenig bis gar nichts über den Prozess des Schreibens, was ich zutiefst bedaure. Denn Forsyth war und ist zumeist ein ungewöhnlicher Autor, der stilistisch von der Literaturkritik schmählich unterschätzt wird. Das hat natürlich auch mit Forsyths ewigem und nervenden Understatement zu tun. Dabei war spätestens mit seiner Novelle DER LOTSE und seinem ersten Kurzgeschichtenband IN IRLAND GIBT ES KEINE SCHLANGEN erkennbar, dass er mehr ist als ein begnadeter Plotter, der in einem kühlen behavioristischen Stil den Leser mit seinen Pageturnern nicht mehr aus den Krallen lässt, sobald er die erste Seite eingesogen hat. Seinen literarischen Höhepunkt erreichte er m.E. mit DER AFGHANE, der vor Szenen und Beschreibungen strotzt, wie man sie so zuvor nie gelesen hat (etwa wie die Amerikaner mit Bomben einen ganzen Berg abtragen, Menschen vernichten und mit einer langfristigen Strategie ihre Terroristen erzeugen). Im Vergleich erscheinen mir seine letzten Romane politisch naiv und nicht mehr so überzeugend. Aber was heißt das? Lieber ein schlechter oder mittelmäßiger Forsyth als gar keiner oder ein Roman seiner weniger begnadeten Epigonen. Verdammt! Selbst ein Forsyth, der mich ärgert und dessen politische Naivität mich aufregt, ist immer noch ein Forsyth!
Forsyth ist schon lange ein moderner Klassiker des Thrillers. Das wurde er schon mit seinen ersten drei Romanen, die neuen Realismus ins Genre pumpten. Mit seiner journalistischen Detailverliebtheit (niemand kann mechanische Vorgänge spannender darstellen) ging er weit über Ian Fleming hinaus. Der Mann, der nur auf seiner Reiseschreibmaschine schreibt, vermittelt die modernsten Technologien so eindringlich, dass sie der Leser selbst betreiben könnte. Niemand hat zuvor kriminalistische oder politische Vorgänge so transparent in eine Thrillerhandlung eingebettet wie er. Eine nette Begleiterscheinung der AKTE ODESSA ist eine Anekdote, die er in seiner Autobiographie ebenfalls zum besten gibt: Durch eine Vorführung der Verfilmung wurde ein lange flüchtiger Nazi-Verbrecher (Roschmann) enttarnt, der dann in einer wirklich aberwitzigen Flucht sein dreckiges Leben aushauchte.
Wie gesagt: Forsyth vermittelt in seiner Biographie eine wahrhaftige Darstellung seiner Jugend und Sozialisation, erzählt spannende, ironische und anrührende Anekdoten – und verschweigt doch viel. Kein Wort etwa über seine Beziehung zu Tim Spicer und seine Beteiligung an AEGIS. So gut wie nichts über sein Familienleben und – für mich am bedauerlichsten – nichts über das Schreiben. Kaum etwas über die Verfilmungen (und seiner Partnerschaft mit Michael Caine). Es ist nicht wirklich das, was man von einer Autobiographie erwartet. Aber das war auch nicht Forsyths Absicht, wie er dem GUARDIAN sagte: “I’d fended off various suggestions for 10 years and I finally decided I didn’t want to do an autobiography because that would involve scholarship and research. So my wife suggested I make it a series of anecdotes—60 of them.”
Aber ich finde in seinen „autobiographischen Vignetten“ etwas wieder, was ich in seinen letzten Romanen vermisst habe: Den rebellischen Geist, der sich dem Establishment oft verweigert hat und dessen Lügen nicht mitträgt. Irgendwie versteht er sich immer noch als Journalist mit dem Credo: „Unsere Aufgabe besteht darin, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen, nicht, uns mit ihnen zu solidarisieren.“
Der coole Freddie zeigt hier auch Empathie, die nur selten durch sein Image als abgewichster Bestsellerautor durchscheinen durfte. Dies herausragend in den Biafra-Beschreibungen (sein einziges Sachbuch ist BIAFRA STORY):
“Ich tippe auf meiner Schreibmaschine, das Fenster weit geöffnet. Das war im Spätsommer 1969, und die Luft war mild. Dann hörte ich etwas, trat ans Fenster.
Sie stand draußen auf dem Gras, ein schmächtiges Mädchen von sieben oder acht Jahren, spindeldürr, einem fadenscheinigen, verdreckten Baumwollhemdchen. An der linken Hand hielt sie ihren kleinen Bruder, vollkommen nackt, teilnahmslose Augen, aufgeblähten Bauch. Die starrte zu mir herauf und ich auf sie hinunter.
Sie hob die rechte Hand an den Mund machte das universelle Zeichen, das bedeutete: ich habe Hunger, bitte gib mir was zu essen. Dann hob sie die Hand zum Fenster, ihre Lippen bewegten sich geräuschlos. Ich schaute auf die winzige rosa Handfläche, aber ich hatte nichts zu essen. Meine Mahlzeiten kamen zweimal täglich von der Kochstelle hinter der Ansammlung von Hütten, in denen die wenigen durchreisenden Weissen untergebracht wurden. An diesem Abend würde ich speisen, gutes, nahrhaftes Essen, importiert aus der Schweiz. Doch erst in 3 Stunden. Die Küche war geschlossen und verriegelt, und keines der beiden Kinder hätte feste Nahrung zu sich nehmen können. Bis zum Abendessen würde ich mit Zigaretten durchhalten. Aber Zigaretten kann man nicht essen. Törichterweise versuchte ich zu erklären. Ich konnte kein Ibo, sie kein Englisch , doch das spielte keine Rolle. Sie verstand. Langsam sank ihre ausgestreckte Hand herab. Sie beschimpfte mich nicht, sie brüllte nicht. Sie nickte nur in stillem Verständnis. Der weiße Mann am Fenster würde nichts für sie und ihren Bruder tun.
In meinem langen Leben habe ich nie solche Resignation gesehen, solche überragende Würde wie in dieser abgemagerten Gestalt, als sie sich abwandte, die letzte Hoffnung dahin. Zusammen gingen die beiden kleinen Gestalten über das Gras auf die Bäume zu. Im Wald würden sie einen schattenspendenden Baum finden, sich an dessen Fuß setzen und auf den Tod warten. Und sie würde ihren kleinen Bruder halten, wie eine gute Schwester, die ganze Zeit.
Ich sah ihnen nach, bis sie unter den Bäumen verschwanden, setzte mich an den Tisch, legte den Kopf in die Hände und weinte, bis der Bericht durchnässt war.
Das war das letzte Mal, dass ich über die Kinder von Biafra weinte…
(Das Handeln Großbritanniens im Biafra-Krieg) ist der Grund, weshalb ich glaube, dass diese Clique eitler ranghoher Bürokraten und feiger Politiker die Ehre meines Landes für immer beschmutzt hat. Etwas, das ich ihnen nie verzeihen werde.”
Was bleibt also von der Lektüre übrig? Nicht weniger als eines der aufregendsten Leseerlebnisse des Jahres.
Allerdings ganz schlimm getrübt durch Freddies Aussage, dass er künftig nichts mehr schreiben werde. Hoffentlich wird Forsyth, wie viele Autoren zuvor, seine Ankündigung als Lüge strafen. Falls nicht, bleiben 13 Romane und mehrere Kurzgeschichten, die für immer zum Kanon gehören.
P.S.:FORSYTH BEI MARKUS LANZ
Am 22,9. war Freddie beim Tiroler Cappuccino-Kellner vom Lerchenberg. Lanz war natürlich wieder peinlich und unbelesen (immerhin hat sein Recherche-Team in meiner Rezension die Biafra-Vignette ausfindig gemacht) und hing wie Quasimodo über seine Kärtchen („Wie ich nachgelesen habe“, „Ich sage hier nichts, was wir nicht vorher gelesen haben.“).. Ein würdiger Nachfolger von Kerner, devot und ölig. Forsyth ist ab 42:50 zu sehen.
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Filed under: Frederick Forsyth, Weise Worte | Schlagwörter: Frederick Forsyth, Nazis
„Je mehr ich in die trüben Wasser der NS-Ideologie vor 1945 und deren Bewunderer nach 1945 eintauchte, desto mehr gelangte ich zu der Ansicht, dass es in der gesamten Menschheitsgeschichte nie eine so widerwärtige Gesinnung gegeben hatte. Sie hatte kein einziges versöhnliches Element und sprach nur die hässlichsten Seiten der menschlichen Seele an.“
Frederick Forsyth in
Demnächst mehr zur Autobiographie des Jahres! Aber wartet das gar nicht erst ab: Sofort kaufen, Elektronik aushängen und einen Tag Lesevergnügen pur genießen. Aber leider ist es nicht nur Vergnügen.
TRAURIGE UND ZORNIGE WORTE:
„Ich tippe auf meiner Schreibmaschine, das Fenster weit geöffnet. Das war im Spätsommer 1969, und die Luft war mild. Dann hörte ich etwas trat ans Fenster.
Sie stand draußen auf dem Gras, ein schmächtiges Mädchen von sieben oder acht Jahren, spindeldürr, einem fadenscheinigen, verdreckten Baumwollhemdchen. An der linken Hand hielt sie ihren kleinen Bruder, vollkommen nackt, teilnahmslose Augen, aufgeblähten Bauch. Die starrte zu mir herauf und ich auf sie hinunter.
Sie hob die rechte Hand an den Mund machte das universelle Zeichen, das bedeutete: ich habe Hunger, bitte gib mir was zu essen. Dann hob sie die Hand zum Fenster, ihre Lippen bewegten sich geräuschlos. Ich schaute auf die winzige rosa Handfläche, aber ich hatte nichts zu essen. Meine Mahlzeiten kamen zweimal täglich von der Kochstelle hinter der Ansammlung von Hütten, in denen die wenigen durchreisenden Weissen untergebracht wurden. An diesem Abend würde ich speisen, gutes, nahrhaftes Essen, importiert aus der Schweiz. Doch erst in 3 Stunden. Die Küche war geschlossen und verriegelt, und keines der beiden Kinder hätte feste Nahrung zu sich nehmen können. Bis zum Abendessen würde ich mit Zigaretten durchhalten. Aber Zigaretten kann man nicht essen. Törichterweise versuchte ich zu erklären. Ich konnte kein Ibo, sie kein Englisch , doch das spielte keine Rolle. Sie verstand. Langsam sank ihre ausgestreckte Hand herab. Sie beschimpfte mich nicht, sie brüllte nicht. Sie nickte nur in stillem Verständnis. Der weiße Mann am Fenster würde nichts für sie und ihren Bruder tun.
In meinem langen Leben habe ich nie solche Resignation gesehen, solche überragende Würde wie in dieser abgemagerten Gestalt, als sie sich abwandte, die letzte Hoffnung dahin. Zusammen gingen die beiden kleinen Gestalten über das Gras auf die Bäume zu. Im Wald würden sie einen schattenspendenden Baum finden, sich an dessen Fuß setzen und auf den Tod warten. Und sie würde ihren kleinen Bruder halten, wie eine gute Schwester, die ganze Zeit.
Ich sah ihnen nach, bis sie unter den Bäumen verschwanden, setzte mich an den Tisch, legte den Kopf in die Hände und weinte, bis der Bericht durchnässt war.
Das war das letzte Mal, dass ich über die Kinder von Biafra weinte…
(Das Handeln Großbritanniens im Biafra-Krieg) ist der Grund, weshalb ich glaube, dass diese Clique eitler ranghoher Bürokraten und feiger Politiker die Ehre meines Landes für immer beschmutzt hat. Etwas, das ich ihnen nie verzeihen werde.“
Filed under: GÜNTHER NEUTZE, Porträt, TV | Schlagwörter: Günther Neutze, Horst Königstein, Noir, TV
Aus meiner Reihe über deutsche Noir-Schauspieler für den NDR. Redakteur war Horst Königstein – aber darüber vielleicht demnächst mehr.
Auf Facebook: https://www.facebook.com/martin.compart?fref=nf
(Dort werden wahrscheinlich weitere Portraits veröffentlicht)
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