Martin Compart


BELMONDO BY BELMONDO by Martin Compart

Belmondo ist der außergewöhnlichste Schauspieler seiner Generation. Er kann einfach alles.

Alain Delon

Jean-Paul Belmondo
Meine tausend Leben
Die Autobiografie
Originaltitel: Mille Vies Valent Mieux Qu’une
Originalverlag: Fayard
Aus dem Französischen von Pauline Kurbasik, Bettina Seifried
Deutsche Erstausgabe
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 320 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
mit 16 Seiten Bildteil
ISBN: 978-3-453-20195-8
€ 22,00 [D] | € 22,70 [A] | CHF 30,90* (
Verlag: Heyne

Zuerst die schlechte Nachricht: Wer eine Filmstarautobiograpie mit Tiefgang oder Skandalwert erwartet, wie etwa die von David Niven, Michael Caine, Errol Flynn oder Klaus Kinski, wird ein wenig enttäuscht sein.

Aber das Positive überwiegt natürlich. Schließlich handelt es sich um Belmondo.

Wie kein anderer Filmstar verkörperte er die 1960er, sowohl in ihren anarchischen- wie auch hedonistischen Aspekten.
Sein ungebremster Bewegungsdrang spiegelt den inneren und äußeren Wunsch nach antiautoritären Gesellschafts- und Gedankenwelten. Sein Rebellentum hatte immer etwas „jungenhaftes“ – wie die Jugendrevolte der 60s. Es wundert also nicht, dass er zu ihrer filmischen Ikone wurde. Mitte der 70er erstarrte er zunehmend zu seinem eigenen Klischee (das aber für eine ganze Reihe höchst unterhaltsamer Filme taugte).

Beliebt war und ist der heute 85jährige in allen Schichten.

In der öffentlichen Wahrnehmung und Beliebtheit wurde er zum Jean Gabin seiner Generation (über die Dreharbeiten von DER AFFE IM WINTER mit Gabin berichtet er etwas ausführlicher).

Irgendjemand (Melville?) nannte ihn „den komplettesten Schauspieler“. Das zeigt sich auch in seinem unglaublichen Timing, das sich nicht nur in Action-Szenen ausdrückt.

Ein schönes Beispiel ist ein sehr langer schwachsinniger Monolog im ersten Drittel von FRÖHLICHE OSTERN (die wahrscheinlich unterschätzteste Komödie der Filmgeschichte: ein Film der übrigens nur Frauen amüsiert, die über Ehebruch lachen können), in der Belmondo als betrügerischer Ehemann (er spielt den ganzen Film über ein verblödetes kapitalistisches Arschloch, ohne dass wir es im übel nehmen) sein neuestes Jagdopfer seiner Frau als Tochter verkaufen will.

Eine lange, wortlastige Szene, gedreht ohne einen Schnitt, in der Belmondo eine Tour-de-Force hinlegt, die ihres gleichen sucht (und nicht findet).

Belmondos autobiographischer Bericht ist eher eine lockere Plauderei, bevorzugt über Bubenstreiche eines ewigen Kindes, das sich sympathisch seine Kindlichkeit bewahren kann – über sehr lange Zeit. Belmondo ist ähnlich wie in seinen komödiantischen Filmrollen in die Rolle eines Plauderers geschlüpft, der nicht allzu tiefgründig seinem Publikum einiges erzählt, ohne zu viel von sich preiszugeben. Leider springt er auch häufig zwischen Themen und Filmen hin und her, worunter die ohnehin mangelhafte Chronologie leidet.

Manche Anekdoten sind schon ziemlich komisch und auch witzig formuliert (wie etwa die Formulierung, dass er beim ersten Vorsprechen „die Schallmauer der Inkompetenz“ durchbrach).

Aber es gibt auch berührende Momente wie den Schmerz über den Tod seiner Tochter. „Man kann sein Kind nicht verlieren. Das darf man nicht zulassen, es ist wider die Natur… Der Schmerz ist absolut, es gibt keinen Trost. Der Kummer vergeht nie, er begleitet einen für immer.“

Der Schwerpunkt des Buches liegt auf seiner Kindheit und seiner Ausbildung (eher zum Rebellen als zum Schauspieler). Regisseure wie Godard, Melville oder deBroca nehmen noch einen gewissen Raum ein (auch Verneuil), aber insgesamt erfährt man über seine Filme (ein Oeuvre von fast hundert Filmen) zu wenig. Inhaltliche Überlegungen – außer bei Godard – zu den Werken findet man so gut wie nicht, stattdessen dauernd Streiche über Hoteldemontierungen wie bei einer 70er Jahre Rockband, die sich elend wiederholen.

Kein anderer Schauspieler bewegte sich souveräner zwischen Kunstfilmen, anspruchsvoller Unterhaltung und Klamauk. Scharfsinnig belegt er, wie Kritiker ihm dies prinzipiell übelnahmen und ihn dies gelegentlich spüren ließen:

Beispielsweise, indem sie die Präsentation des von ihm selbst produzierten Meisterwerks STAVISKY in Cannes zur Hölle machten. Später warf man ihm allen Ernstes vor, dass sein Machwerk AS DER ASSE dafür gesorgt hätte, dem zeitgleich gestarteten Film EIN ZIMMER IN DER STADT von Jacques Demy Zuschauer abspenstig gemacht zu haben. Der noch immer verletzte Belmondo konterte das kühl:
Als ich 1974 STAVISKY in die Kinos brachte, fing ich auch kein Gezeter an, James Bond habe mir Zuschauer geklaut, weil mein Film nur 375 ooo Zuschauer in die Kinos lockte.“

Solche Geschichten gehören zu den Höhepunkten von Belmondos Autobiographie.

Oder wenn er von seiner ehemaligen Lebensgefährtin Laura Antonelli spricht: „Ein Blick oder Lächeln von ihr genügten, um Kriege zu beenden.“

Davon hätte man gerne mehr. So spricht der Nimmersatt. Tatsächlich beherrschen er und sein Co-Autor das wisecracking wie amerikanische PI-Autoren.

Und sicherlich wünschte ich mir einen intimeren Blick in die Tiefe seiner Gedankenwelt. Aber Belmondo spielt in seiner Autobiographie eben nur eine weitere Rolle, irgendwo zwischen Henri Verneuil und Philip de Broca, manchmal inszeniert von Jean-Luc Godard. Das Skript ist stilistisch lässig und ansprechend wie einer seiner mittelguten Filme; meinetwegen auch seiner besseren Filme, aber nicht so gut wie seine besten.

Für die eitlen und erfolgreichen Machwerke der späten 1970er und frühen 1980er hat Belmondo eine schlicht entwaffnende Erklärung: „…der Film war bloß ein Vorwand, um es drei Monate lang in Venedig ordentlich krachen zu lassen.“

Besonders interessant ist für mich, was Bébel über die Arbeit mit Jean-Pierre Melville zu berichten hat; mit ihm hat er immerhin drei Filme gemacht, bevor es zum endgültigen Bruch kam, der fast bis zu Melvilles Lebensende andauerte. Was Belmondo über den Meister berichtet, wirft kein gutes Licht auf dessen Persönlichkeit. Aber: „Er war einer der ganz Großen in der Branche, und seine Filme beweisen das.“
Und man erfährt, dass Melvilles Sonnenbrille eine Ray-Ban, Modell US Air Force, war! Für uns Jünger, Die Zeugen Melvilles, ist somit eines der zwanzig Mysterien des Meisters endlich erklärt. Alleine dieses Kapitels wegen ist das Buch für Melvilleaner unverzichtbar.

Alain Delon nennt er seinen Freund. Und das wars. Dabei hätte man gerne mehr erfahren, was diese beiden höchst unterschiedlichen Männer und zeitweilige Rivalen um die Publikumsgunst verbindet. Aber auch hier bleibt der Autobiograph diskret bis zur Bedeutungslosigkeit. Allerdings liefert er einige hochinteressante Details zu den Dreharbeiten von BORSALINO, die einmal mehr Delons Kontakte zur Marseiller Unterwelt belegen.

Am Ende ist man überwiegend froh, diese Lektüre genossen zu haben – bei allen Abstrichen. Etwas Belmondo ist immer besser als kein Belmondo. Im Gegensatz zu den meisten von uns, hat er sich nicht von seinen Hoffnungen tyrannisieren lassen – er hat sie einfach erfüllt. So der Subtext.

Und ich bin auch ungerecht: statt mich darüber zu freuen, was er offenherzig berichtet, bedaure ich jammernd all das, was er ausgelassen hat und nicht berichtet.



NEW KIDS AT THE BLOG: DER LUZIFER VERLAG by Martin Compart

Voller Scham gestehe ich, dass ich den Luzifer-Verlag erst vor wenigen Monaten entdeckt habe. Das lag vielleicht daran, dass sich der Verlag zuvor vor allem in phantastischen Genres profilierte.

Ich entdeckte Luzifer erst durch die deutsche Ausgabe von Douglas Winters RUN, an die ich schon lange nicht mehr geglaubt hatte. Jedenfalls war der Verlag damit explosionsartig auf meiner Karte als junger Wilder. Tatsächlich scheinen Verlage wie zuvor Festa und jetzt Luzifer, andere Wege zu gehen als die etablierten Kleinverlage und Genres orientierte Großverlage.

Das wird schon an der für deutsche Verhältnisse revolutionären Cover-Art deutlich, die viel direkter und knalliger ist; eine Modernisierung der Paperback Original-Cover-Art der 1950er und -60er mit Einflüssen aus der Game-Kultur. Und natürlich erinnert es in den Motiven an die Ästhetik der amerikanischen Men-Adventure-Paperback-Serien der 1970er (deren „postmoderner“ – Höhepunkt vielleicht die INQUISTOR-Serie über den Killer des Vatikans von Martin Cruz Smith war). Diese brutal-direkten Cover haben den angenehmen Effekt, Leserinnen dröger Provinzkrimis schon im Ansatz zu vergraulen und Leser anzulocken, die zuvor gar nicht wussten, dass Literatur genauso spannend wie Games sein kann.

Luzifer ist für mich ein richtungsweisendes Modell, wie man künftig mit Genre-Literatur umgehen kann. Ich glaube, da wird von diesem Verlag nicht nur ästhetisch noch einiges zu erwarten sein.

Inhaltlich mag manches nicht gefallen (bei welchem Verlag ist das anders?); mir missfallen in der Regel ideologisch fragwürdige Texte, die autoritäre und neo-liberale Strukturen popularisieren. Aber vielleicht ist gerade das subversiv… Hier finden die Pop-Genres zurück zu ihren extremistischen Wurzeln – zwischen E.E.Smith, W.H.Hodgson und Dashiell Hammett. Pop-Literatur, die keine bourgeoise credibility fürs Feuilleton sucht.

Aber das Konzept von Luzifer ist avantgardistisch, weil es Genres oder Subgenres für ein jüngeres Lesepublikum erschließt. Da ist nichts von der betulichen Haltung mittelschichtiger Damenstifts-Krimis oder diese komatösen Noir-Präsentationen, die wie überholte religiöse Mythologien auftreten.

Genug der Spekulationen. Verleger Steffen Janssen gibt hier erstmal Einblick in seinen Verlag:

https://luzifer.press/

Wer ist Steffen Janssen? Wo kommt er her? Was hat er bisher gemacht?

Nun, bis vor wenigen Jahren war mein einziger Berührungspunkt mit dem Medium Buch, der des Lesers. Nach Abitur und Lehre als Hotelkaufmann (ich war des Lernens müde und verzichtete auf ein Studium), arbeitete ich einige Jahre als sog. Leitende Führungskraft im Einzelhandel (Aldi, Großbäckerei). Aus heutiger Sicht bezeichne ich diese armen Angestellten, die zwischen allen Stühlen stehen, lieber als lei(d)ende 24h-Sklaven.

Welche Bücher haben Sie geprägt?

Ich erinnere mich noch heute gern, bereits als 8-jähriger mit einem dicken Marmeladenbrot in der Hand die Indianer-Bücher (Die Söhne der großen Bärin) von Liselotte Welskopf-Henrich verschlungen zu haben. Später versuchte ich mich an Karl May, zu dessen Erzählweise ich aber keinen wirklichen Zugang fand. Die frühen Werke Stephen Kings (Bachmann) haben mich als Jugendlichen schwer begeistert und beeindruckt, sowie Barker, Koontz – und noch etwas genre-breiter Gordon, le Carré oder Bromfield.

Wie kam es zum Aufbau des Luzifer Verlages?

In 2011 wurde aus einer Laune heraus (auf die ich nicht näher eingehen möchte, sie lag im höheren Promillebereich), der Luzifer Verlag gegründet, mit der ursprünglichen Absicht, Horror-Anthologien zu veröffentlichen. Fandom-mäßig sozusagen. Sehr schnell wurde mir bewusst, dass die Devise nur heißen konnte: Ganz oder gar nicht.
Wofür ich mich entschieden habe ist heutzutage ja offensichtlich …

Der Verlag hat in den ersten Jahren ausschließlich Formen der Phantastik veröffentlicht. Wie kam es dazu, auch Thriller ins Programm aufzunehmen?

Persönliches Interesse und – ganz klar – wirtschaftliche Hoffnungen. Das Horror-Genre ist ja im deutschen Buchmarkt nicht als herausstechender Absatzgarant bekannt. Somit tastete ich mich ab 2013 ins Thriller-Genre hinein. Eine letztendlich sehr gute Entscheidung.

Unter den Autoren befinden sich inzwischen auch Angelsachsen. Lizenz und Vorschuss sind bekanntlich die geringsten Probleme. Aber die Übersetzung ist ein Posten, der häufig eine Kalkulation verhindert. Gerade bei einem kleineren Verlag wundert es mich, dass er das stemmen kann. Haben Sie da ein besonderes Rezept?

Vielleicht hatten wir einfach nur Glück, von Anfang an mit sehr engagierten und zuverlässigen Personen arbeiten zu dürfen. Ein Rezept habe ich nicht. Manchmal muss man einfach auch unmöglich erscheinendes wagen.

Mit S.Craig Zahlers zweiten Roman, Schatten über Totem Land, haben Sie auch einen neueren Noir-Thriller im Programm. Zuvor war Zahlers vierter Roman bei Suhrkamp veröffentlicht worden. Wie kam es dazu? Wusste Suhrkamp nicht, dass Zahler zuvor bereits drei Romane veröffentlicht hatte? Und erwägen Sie, auch die beiden früheren Werke ins Programm aufzunehmen?

Zahlers Roman war/ist ein doppeltes Wagnis für uns. Das Werk ist recht anspruchsvoll in der Übersetzung und in einem sehr schwierigen Genre beheimatet (Western-Setting). Die Lizenz „schnappten“ wir uns erst, als geklärt war, dass Madeleine Seither die Übersetzung übernehmen würde, die bereits unsere sehr erfolgreichen Sarah-Weston-Romane von Daphne Niko ins Deutsche übertragen hatte. An dieser Stelle nochmals ein ganz großes Dankeschön an Madeleine!
Zu weiteren Übersetzungen von Zahler kann ich derzeit noch nichts sagen. Wir müssen erst einmal schauen, wie dieses Werk funktionieren wird.

Sind weitere Noir-Romane geplant?

Es sind 2-3 Titel respektive Autoren auf unserer Wunschliste.

Wie haben Sie Winters RUN entdeckt?

RUN war eine interne Empfehlung unseres Grafikers Michael Schubert, der mich einige Zeit mit diesem Vorschlag „nervte“, bis ich schließlich einknickte, den Einkauf absegnete und meiner Frau erklärte, dass es in jenem Jahr keine Weihnachtsgeschenke geben würde …

Seit Chris Ryan und Andy McNab gibt es international einen kleinen Trend zum Commando-Thriller. Sie haben (u.a, Ryan) da auch einiges im Programm. Wird das vom deutschen Markt angenommen?

Erstaunlicherweise ernten diese Titel bisher mehr Schmach als Ruhm, verkaufen sich dennoch hervorragend. Das Ganze erinnert mich ein wenig an die Porno-Schmuddelhefte der Achtzigerjahre, die man an den Toilettenanlagen und Duschen der Autobahnraststätten unter der Theke hervor erstehen konnte.

Können oder wollen Sie einen Ausblick geben, was Sie im Thriller-Bereich planen und vorhaben?

Wir werden in der nächsten Zeit vorrangig unsere begonnenen Serien fortführen und hier und da für uns neue Richtungen antesten (FBI-Thriller, Umwelt-Thriller). Das Genre Thriller im Allgemeinen wird definitiv den „harten Kern“ zukünftiger Luzifer-Publikationen bilden.

Deutschsprachige Rezensionen zu RUN:

https://www.derbund.ch/kultur/buecher/ein-actionthriller-wird-zum-lehrstueck-ueber-gewalt/story/22808654

https://martincompart.wordpress.com/category/douglas-e-winter/



KLASSIKER DES NOIR-ROMANS: DER SEEMANN, DER DIE SEE VERRIET von YUKIO MISHIMA by Martin Compart


„Zu meinen unabänderlichen Überzeugungen gehört der Glaube, daß das Alter unendlich häßlich und die Jugend unendlich schön ist. Die Weisheit der Alten ist unendlich trübe, die Taten der Jungen unendlich durchsichtig.“

Yukio Mishima im Nachwort zur Aufstand-Trilogie (Ni Ni Roku)

Diese barbarische Haltung verdeutlicht Mishima u.a. in dem höchst verstörenden Noir-Roman DER SEEMANN, DER DIE SEE VERRIET (GOGO NO EIKO, 1963).

Die schöne junge Witwe Fusako aus Yokohama verliebt sich in den Seemann Ryuyi. Ihr dreizehnjähriger Sohn Noburu, der unter dem intensiven Einfluss des Bösen-Buben-Bosses der sechsköpfigen Kinderbande und dessen pubertären Nihilismus steht, bewundert Ryuyi zunächst als Helden des Meeres. Nachdem dieser jedoch der „See abschwört“ und zum neuen Vater zu werden, droht, beschließt die Bande ihn zu töten.


https://www.amazon.de/Seemann-die-See-verriet-Roman/dp/349915823X/ref=sr_1_6?ie=UTF8&qid=1523360115&sr=8-6&keywords=yukio+mishima

Es war einer der Lieblingsromane von David Bowie und Hans Werner Henze vertonte ihn2003 zu seiner Oper DAS VERRATENE MEER. Lewis John Carlino (Autor von THE MECHANIC) verfilmte ihn 1976 mit Sarah Miles und Kris Kristofferson.

In den USA würde man den Roman vielleicht sogar dem Genre der juvenile deliquents- novel zuordnen (das sich in den 1950er Jahren entwickelte und auch noch 1963, als Mishimas Roman erschien, einer gewissen Beliebtheit erfreute.

Andererseits wurde dem Buch unterstellt, es erzähle eine Geschichte, die sich aus kulturellen Traditionen speise, die dem westlichen Leser unzugänglich seien:

„Diese ‚Fallgeschichte‘ Aus Japan thematisiert die Mechanismen der Anpassung, die Triebregungen und Wünsche, das Realitätsprinzip einer mittelständischen Kleinfamilie. Ich begann darüber nachzudenken, ob ihr Drama, die Tat des kleinen Jungen, der seinem Vater den Verrat an den traditionellen, männlich-heroischen Idealen nicht verzeihen kann, auch in unserer Gesellschaft vor stellbar wäre. Ich bin der Überzeugung, daß Mishimas Geschichte sich nach eigenen Gesetzen vollzieht, die außerhalb der für uns geltenden Normen liegen. Sie wurzeln in einer rauschhaften Heldenkultur, wie wir sie so in Europa nicht kennen. Die Geschichte vom ‚Seemann, der die See verriet‘ bleibt gebunden an eine Dimension des Unfaßbaren und bereit eine Skala uns unbekannter, von uns nicht gelebter Gefühlsmuster aus“ (Gisela von Wysocki).

Demgegenüber lässt sich einwenden, dass die widerwärtigen Kinder (die in der furchtbarsten Szene des Buches eine kleine Katze töten und sezieren um ihr eigenes Mitleid auszurotten) generell (und nicht nur in japanischer Tradition) kulturelle Entwicklungen symbolisieren, die Empathie und Solidarität bewusst auslöschen (auch darin ist dieser Roman wieder hochaktuell).

Oder wie es DER SPIEGEL bei dem Erscheinen der deutschen Erstausgabe formulierte: „Der Japaner Mishima, 44, wiederholt als ein Anwärter auf den Nobelpreis genannt, hat schon manches Sujet der europäischen Literatur in japanische Hintergründe verarbeitet. In seinem für Deutschland neuen Roman, einem ästhetizistisch arrangierten Thriller von Liebe und Tod, behandelt er ein Thema, von dem traditionsbewußte Japaner sagen, es sei ebenfalls aus dem Westen importiert: den Generationskonflikt.“

Ein Thema ist auch die Aufgabe pubertärer Allmachtphantasien in Form von Heldenträumen um ein kleinbürgerliches Leben zu führen. Dies ist die See, die der Seemann verrät. Deshalb verurteilen die Kinder ihn zum Tode, denn er hat die Ideale der Kindheit verraten, deren Nihilismus erschreckende Ähnlichkeiten mit der Ideologie des fanatisierten Jungvolks im 3.Reich aufweist.

Durch den Text schwingt auch Mishimas Zorn auf die Väter-Generation, die den Krieg verloren hatte und sich statt „ehrenvoll“ zu opfern, sich einer ehrlosen Kapitulation hingab, die das japanische Reich für den barbarischen Coca Cola-Kapitalismus unterwarf.

„…Einen gerechten Vater kann es gar nicht geben, weil schon die Rolle des Vaters eine Form des Bösen ist. Strenge Väter, nachsichtige Väter, nette, gemäßigte Väter – einer ist so schlecht wie der andere. Sie stehen uns im Weg und versuchen, uns mit ihren Komplexen zu belasten, mit ihren unerfüllten Wünschen, ihrem Groll, ihren Idealen, ihren Minderwertigkeitskomplexen, die sie nie jemanden anvertrauen konnten, mit ihren Sünden, ihren kitschigen Träumen, ihren Geboten, an die sie sich niemals gehalten haben, weil ihnen der Mut dazu fehlte…. Die Väter sind die Schmeißfliegen dieser Welt. Sie liegen auf der Lauer, bis sie an uns etwas Faules entdecken, auf das sie sich stürzen können. Dreckige Fliegen sind sie, die überall ausposaunen, dass sie mit unseren Müttern geschlafen haben. Wenn es darum geht, unsere absolute Freiheit und unser Können zunichte zu machen, schrecken die Kerle vor nichts zurück. Sie denken nur daran, die schmutzige Stadt zu beschützen, die sie sich erbaut haben.“

Mishima veröffentlichte den Roman zu einer Zeit, als er von westlichen Lesern zögernd entdeckt wurde (die ihn aber schnell zum Kandidaten für den Literaturnobelpreis erkoren), in Japan aber sehr viele Leser verlor. Damals wurde er nicht als das atemberaubende Meisterwerk bewertet, als das es heute gilt:

„Mishima’s greatest novel, and one of the greatest of the past century“ (The Times)

„Explores the viciousness that lies beneath what we imagine to be innocence“ (Independent)

„Told with Mishima’s fierce attention to naturalistic detail, the grisly tale becomes painfully convincing and yields a richness of psychological and mythic truth“ (Sunday Times)

„Coolly exact with his characters and their honourable motives. His aim is to make the destruction of the sailor by his love seem as inevitable as the ocean“ (Guardian)

„Mishima’s imagery is as artful as a Japanese flower arrangement“ (New York Times)

Erstaunlich und verblüffend, dass weder Marguerite Yourcenar noch Hans Eppendorfer oder Henry Scott Stokes in ihren Büchern über Mishima auf diesen Roman eingehen, der in seinem komplexen Gesamtwerk eine besondere Stelle einnimmt. In seiner dystopischen Seelenbeschreibung geht er weit über Noir-Autoren wie Jim Thompson oder Tim Willocks hinaus. Gesehen als Noir-Roman, ist er verstörender und erschreckender als jeder andere Noir-Roman, den ich kenne. Literarisch kann ihm sowieso kaum einer das Wasser reichen.

Es gibt Passagen und Momente, da könnte man glauben, sie seien von Patricia Highsmith im Sake-Rausch geschrieben.

Yukio Mishima (1925-70), der wie kein anderer für die Traditionen des Kaiserreichs und der Samurai-Kultur steht, galt auch als der westlichste unter den japanischen Schriftstellern. Sicherlich, weil er durch die leicht wahnsinnige Großmutter isoliert von Gleichaltrigen aufwuchs und seine Zeit vor allem mit der Lektüre westlicher Autoren verbrachte (Rilke. D´Annunzio, Radiguet, Gide, Oscar Wilde und Thomas Mann). Aus dem weichlichen Knaben formte Mishima bewusst einen homosexuellen Samurai mit dem Körper und den Fähigkeiten eines Kriegers. 1970 beging er öffentlich Seppuku, nachdem er mit Getreuen seiner Schildgemeinschaft vor Soldaten eine Rede zur Rettung der japanischen Seele gehalten und zum Putsch gegen die Verfassung, die eine offizielle Armee verbot, aufgerufen hatte.

Nach Arnold Toynbee hatte Asien im 19. Jahrhundert nur zwei Möglichkeiten: durch Verwestlichung zu überleben oder im Widerstand dagegen unterzugehen. In der Meiji-Ära (1868 bis 1912) wählte Japan den ersten Weg, industrialisierte das Land, wechselte vom Feudalsystem zu einer zentralistisch organisierten Regierung und schuf eine nationale Armee. Leidtragende dieser Entwicklung waren die Samurai. Etwa 40 000 von ihnen rebellierten 1877 gegen die Regierung. Erst nach achtmonatigem Kampf wurden sie von der Armee besiegt.

Eine Hundertschaft nationalistischer Samurai griff während dieser Rebellion eine Militärkaserne nur mit Schwertern und Speeren bewaffnet an. Die Soldaten schossen sie mit vom Westen importierten Gewehren nieder, die Überlebenden begingen Harakiri. Diese Tragödie spielte in Mishimas geschichtspolitischem Verständnis eine zentrale Rolle. Der rasend schnelle Umbruch vom Mittelalter ins Industriealter war wohl auch mitverantwortlich für die hohe Selbstmordquote unter japanischen Schriftstellern des 20.Jahrhunderts.

P.S.: Mishima war ein großer Katzen-Fan, der seinen Katzen auf Reisen Postkarten schickte und im Postskriptum seinen Vater eindringlich ermahnte, freundlich zu ihnen zu sein. Der Vater berichtete später: „Manchmal arbeitete er stundenlang mit einer Katze auf den Knien. Mich hätte das verrückt gemacht.“ Mishima: „Du musst einen Hundeverstand haben, Vater. Du hast eben keine Ahnung von der zarten Psyche einer Katze.“





THRILLER, DIE MAN GELESEN HABEN SOLLTE: SCHATTENLICHTER von THEODORE ROSZAK by Martin Compart

Ein junger Filmstudent auf den Spuren eines vergessenen Kultregisseurs. Rätselhafte Symbole in alten Stummfilmen. Eine mächtige Bruderschaft, die ihre Novizen in der Kunst des Filmhandwerks unterweist. Ein Geheimnis, das die Grundfesten unserer Welt erschüttert…

SCHATTENLICHTERs Ich-Erzähler ist der junge Filmstudenten Jonathan Gates, der in den fünfziger Jahren in einem Kellerkino in Los Angeles seinen ersten Film des vermeintlichen B-Movie-Regisseurs Max Castle sieht, dessen Ästhetik ihn im Folgenden nicht mehr loslässt. Was Gates in den Filmen von Castle sah, verweist nach jahrelangen Recherchen auf einen Orden hin, der seit den Anfängen religiöser Erfahrung existiert, älter als das Christentum ist und immer dann aktiv wird, wenn bewegte Bilder eine Rolle spielen.
Aber welche Rolle spielte der überaus intelligente Castle dabei? Und was wollen die „Sturmweisen“ wirklich?
Gates macht sich auf die Suche nach einer Antwort — und findet Unglaubliches heraus…

Film als Verschwörung!

Angesichts der heutigen Mediendiskussion für und gegen die Manipulation der Massen (jüngstes Beispiel ist die Verarschung durch die Mächtigen in der „Skripal-Affäre“ um Stimmung gegen Russland zu erzeugen – denn sowohl Amerikaner wie Briten haben medial nicht intensiv  nachgefragten Zugang zu Nowitschok –  um Rüstungsausgaben anzuheizen; da ist das Establishment wieder ähnlich beweistüchtig wie bei Saddams „Vernichtungswaffen“ und Gaddafis „Massenmord“ ) ein noch immer aktueller Hintergrund für einen schon klassischen Noir-Conspiracy-Thriller.
Für einen Roman wie diesen, gibt es keinen mir bekannten Vergleich. Dazu weiter unten.

Neben der spannenden Handlung erzählt der Roman auch noch Filmgeschichte vom Stummfilm bis zur Nouvelle Vague in so wunderbarer Form, dass Film-Aficionados alleine schon deshalb das Buch lieben. „Theodore Roszak schafft es jedenfalls, alle Strömungen, die die Wahrnehmung des Kinos im letzten Jahrhundert bestimmt haben, auf pfiffige Weise aufzugreifen, und was sein Held dabei an Kulturpessimismus entwickelt, wird ihm am Ende geradezu zum Verhängnis.“ (FAZ, 20.10.2005)  Pfiffig wie die FAZ. Aber wie oft bei Ausnahme-Thrillern, ist auch hier der Weg das Ziel. Ein Weg, der rund um den Globus und zu behexenden Charakteren führt.

SCHATTENLICHTER ist auch eine Art parzifalesker „Bildungsroman“ des Ich-Erzählers und die Sozialisationsgeschichte eines Cineasten. Dafür nimmt sich Roszak jede Menge Zeit, ohne auch nur eine Seite zu langweilen (ausgenommen natürlich für Leser, die sich nicht für kulturgeschichtliche Hintergründe interessieren, aber die greifen sowieso eher zu deutschen- oder skandinavischen Provinz-Krimis).
Denn Roszak erweist sich als großartiger Romancier, der filmisches Detailwissen, witzige Beobachtungen und unvergessliche Charaktere mit einem treibenden Plot verbinden kann. Neben verschlüsselten Personen lässt der Autor auch unverschlüsselte Heroen der 7.Kunst auftreten, wie Orson Welles oder Edgar Ulmer.

Aber es ist auch ein Roman, der sein Publikum spaltet: Entweder man liebt ihn, oder man kann nichts mit ihm anfangen und ist gelangweilt. Wer nicht nach den ersten zwanzig Seiten Blut geleckt hat, sollte auf die restlichen 850 verzichten.

An seinen Formulierungen habe ich große Freude:

„Er (der Mythos) war in unser Bewusstsein eingesickert, als hätten wir Schmutz verschluckt.“

„Kunst durfte nur über den urteilsfähigen Verstand in unser Leben treten, sonst sei sie nicht mehr als eine Droge.“

„…die Studios brauchten jemanden, dessen natürlicher Lebensraum die kinematografische Müllkippe war.“

„Ohne Ästhetik keine Ethik“

„Ich beneidete Claire um die unbekümmerte Art ihrer Verachtung.“

„Überzeugt von der geistigen Brillanz meiner Lehrerin – und angesichts meiner eigenen, eher mittelmäßigen Begabung – war ich bereit, als perfektes Trägermedium zu fungieren.“

Da viele Rezensenten gerne Autorenvergleiche (immer gerne genommen: Dan Brown) zu dem Buch bilden, möchte ich auch einen abliefern: Als hätten Mark Fisher und Umberto Eco bei diesem Roman kooperiert. Tatsächlich ist Umberto Eco der einzige Autor, der mir zu Roszak einfällt: Ein ähnlicher professoraler Hintergrund und eine ähnliche Herangehensweise an die eigene fiktionale Tätigkeit, die im hohen Maße kulturgeschichtliche Betrachtung und Analyse miteinschließt.

Der Autor war ein ungewöhnlicher Mann, der die Verschwörungen in den USA stets durchschaute: Geschichtsprofessor Theodore Roszak(1933-2011) von der Berkeley University nennt in seiner sozio-politischen Betrachtung ALARMSTUFE ROT-AMERIKAS WILDWEST-KAPITALISMUS BEDROHT DIE WELT (Riemann Verlag) Gruppierungen: Die Corporados, Wirtschaftsmagnaten, deren Gier keine Grenzen kennt, Killer-Ceos, die sich jenseits aller Gesetze wähnen und dem Sozialdarwinismus huldigen, die Triumphalisten, die ihr Heil in der militärischen Aufrüstung suchen und nicht zuletzt die religiösen Fundamentalisten, die eine christliche Weltordnung herbeibomben wollen – wenn es denn sein muss.

Roszak war der Erste, der sich wissenschaftlich der Jugendrevolte der 1960er Jahre genähert hatte. 1968 versuchte er mit The Making of a Counter Culture den Intellektuellen der älteren Generation die Jugendbewegung zu erklären. Weitere Sachbücher folgten, in denen er die Ökopsychologie entwickelte, „die er als eine Synthese von Ökologie und Psychologie in einem neuen wissenschaftlichen Paradigma begründete. Dabei betrachtete er auch den Zusammenhang von zunehmender Zerstörung des Planeten Erde und den psychischen Befindlichkeitsstörungen vieler Menschen“(Wikipedia).

Seit der amerikanischen Wiederveröffentlichung steht eine geplante Verfilmung in den Branchenblättern. Dabei sollte Darren Aronofsky Regie führen und Jim Uhls (FIGHT CLUB nach Chuck Palahniuk) das Drehbuch schreiben. Nach der Lektüre des ersten Entwurfs von 2004 schrieb ein Insider über Uhls Werk: „Auf der ersten Seite war bereits Roszaks Name falsch geschrieben – von da an ging´s bergab.“

SCHATTENLICHTER
Originaltitel: Flicker, 1991.
Aus dem amerikanischen Englisch von Friedrich Mader
878 Seiten, Heyne-Verlag, 2005.

P.S.:
In seinem Essay über das Buch, SECRET MOVIES, sieht Dennis Cozzalio den Roman dem Horror-Genre zugehörig:

Three years ago I was commissioned to write about Flicker for writer Bill Ryan’s annual October consideration of horror at his great blog The Kind of Face You Hate. I had to admit, I never really thought of Flicker as a horror novel in the strictest sense while I was immersed in it– the first half reads more like an indulgent orgy of movie lore woven expertly into a pleasingly reluctant, expertly teased detective story. But the book certainly qualifies as horror in that it shares the obsessive nature of its protagonist, film historian Jonathan Gates, who follows the decaying nitrate trail of long-forgotten genre filmmaker Max Castle (apparently at least partially inspired by Ulmer and his travails, from set designer for a series of great German films– Nosferatu and Metropolis included– to a career as a subversive director of Poverty Row B-movies) all the way down the rabbit hole, beneath the deceptively tacky first layer of the director’s strangely seductive imagery and into a nightmare world of secret movies. Here, bathed in the sinister interplay of shadows and light, where something always seems to be just hidden from view, the hooks of the past are set, dragging the academic, and us, into a present where Castle’s subliminal text is developing, with the help of a mysterious religious sect and a newly emerging cult phenomenon by the name of Simon Dunkle, into malignant foreground. Flicker‘s vampires and creatures of the night may remain locked in tattered celluloid, the remains of Max Castle’s oeuvre, but like Castle’s mysterious technique, known as the flicker, Roszak’s book gets under your skin, makes you shiver, and makes you think about how elastic the horror genre really can be.