Martin Compart


SIR MICHAELS LEBENSWEISHEITEN by Martin Compart

Wer noch nach Weihnachtsgeschenken (auch für sich selbst) sucht, hier kommt einer meiner Favoriten-Tipps:

„Schauspielern ist der größte Spaß, den man haben kann,
ohne ein Gesetz zu brechen.“


Originaltitel: Blowing the Bloody Doors Off
Alexander Verlag Berlin, 11/2019
Gebunden
ISBN-13: 9783895815034
309 Seiten; 24,00 €

Wieso sind britische Filmstars so gute und unterhaltsame Autobiographen?

Angefangen bei Errol Flynn (den ich mal dem Empire zuschlage, obwohl gebürtiger Tasmanier) über David Niven bis hin zu Terrence Stamp. Alle haben wunderbar bösartige Bücher über das Business vorgelegt, die bestens formuliert sind. Ein Grund ist sicherlich der britische Humor, der immer durchschimmert.

Michael Caine hat sich in die Garde längst eingereiht (u.a. auch mit einem Buch über das Schauspielern). Nun erschien auf Deutsch mit DIE VERDAMMTEN TÜREN SPRENGEN sein jüngstes autobiographisches Werk. Daneben ist das Buch aber auch so eine Art Ratgeber: Caines Lebensweisheiten für Erfolg.

Michael Caine als Filmstar loben ist ebenso müßig, wie die Klassiker aufzählen, die er mitgeprägt hat. Es gibt und gab keinen britischen Schauspieler, der in so vielen großartigen Filmen gespielt hat; es gab aber wohl auch keinen, der so besessen dreht (e).

Als Kind der Arbeiterklasse war er Teil der Angry Young Men der 1950er, zu denen neben Dramatikern (wie John Osborne), Regisseuren oder Schriftstellern (wie Kingsley Amis) auch eine Reihe Schauspieler gehörten, die zu Weltstars wurden: Peter
O´Toole, Richard Harris, Terrence Stamp, Oliver Reed. Caine, der einige Zeit mit Stamp eine Bleibe teilte, bejammerte immer, dass er aus dieser Clique als letzter den Durchbruch schaffte. Mit Sicherheit hat(te) er aber die eindrucksvollste Filmographie.

Seine armselige Kindheit beschreibt er ohne Selbstmitleid, aber voller Selbstironie. „Drei Jahre nach mir kam ein weiterer Sohn, Stanley, und noch einmal drei Jahre nach Stanley kam der Zweite Weltkrieg… Wie alle anderen war ich gezwungen, mich fünf Jahre von Bio-Lebensmitteln zu ernähren: Es gab keine Chemikalien, die man aufs Land oder ins Essen hätte streuen können, denn sie wurden alle für Sprengstoffe gebraucht. Es gab ganz wenig Zucker, keine Süßigkeiten, aber kostenfreien Orangensaft, Lebertran und Vitamine… Die Symptome meiner Rachitis verbesserten sich, ich war geheilt.“
Das wäre heute auch was für die McDonald-Bratzen.

Während der Dreharbeiten zu HARRY BROWN (bei dem der alte Crack einem Nachwuchsregisseur die Chance zu dessen ersten Kino-Film gab) kehrte Caine 2009 wieder in den Stadtteil seiner Jugend zurück und reflektiert berührend, wie Elephant & Castle und England insgesamt heruntergekommen ist, wie menschenfeindlich sich der Kapitalismus seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, wie chancenlos die Jugend dahinvegetiert. „Wenn wir Jungs Gangs bilden, geht es nicht darum, andere anzugreifen. Für die meisten von uns geht es darum, nicht angegriffen zu werden.“

Caine war und ist kein Kommunist oder Linksaußen. Er ist ein Linksliberaler mit anarchisch-konservativen Tendenzen, der den Brexit befürwortet.
„Ich befürworte den Brexit. Ich bin lieber ein armer Meister als ein reicher Diener eines anderen. Es ging nicht um Rassismus, um die Einwanderer oder sowas, es ging um Freiheit. Wir werden von einem Mann namens Juncker regiert. Nun regiert er mein Land. Er scheint uns nicht zu mögen.”

Sein Klassenbewusstsein hat er nie verloren: „Damals sagte ein Akzent nicht nur, woher man kam, sondern auch wohin man gehen würde, und das war nirgendwohin, wenn man wie ich einen Cockney-Akzent hatte.“Ein konservativer Proletarier.

Natürlich erfüllt das Buch auch die Erwartungen, die man an ein solches Werk hat: Er erzählt bisher unbekannte Anekdoten zu Filmen und Dreharbeiten. Trotz aller Diskretion kann der Cineast häufig herausfinden, wen Sir Michael wohl gemeint hat. Bei Freunden wie Roger Moore oder Sean Connery muss er nicht diskret sein, denn die teilen seinen Humor.

Eines der Highlights sei hier zitiert:

Eines Nachmittags saß ich in diesem Café für Arme mit zwei anderen mittellosen Schauspielerfreunden. Einer von ihnen, John, war besonders niedergeschlagen. Er war gerade von einem sehr anspruchslosen Tourneetheater gefeuert worden, fühlte sich gedemütigt und unglücklich. Er verkündete, er werde alles aufgeben und habe schon ein Stück geschrieben.
„Wie heißt es?“, fragte ich.
„Look Back in Anger“, antwortete er.
„Ich schreibe auch gerade ein Stück“, sagte der andere, ein Schauspieler namens David Baron. „Und du könntest da mitspielen, Michael. Bloß schreib ich es nicht unter meinem Bühnennamen, sondern meinem richtigen.“
„Wie lautet der denn, David?“
„Harold Pinter.“

Das Buch hat leider einen unverzeihlichen Fehler: Es ist zu kurz.

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P.S.: Eine wunderbare Ergänzung zu dem Buch ist die DVD MY GENERATION, in der Caine seinen Weg durch die kulturelle Revolution der 1960er Jahre beschreibt (schon das seltene Dokumentarmaterial macht sie zum Klassiker). Da wird einem wieder klar, wie großartig und wichtig diese Dekade war – und was die Scheiß-Neo-Cons und Finanzfaschisten uns geraubt haben.
Die DVD von 2017 ist fast überall für kleines Geld zu bekommen.

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P.P.S.: Und wen Skandale, Suffgeschichten und Schlägereien von vier großartigen Schauspielern interessieren, der greife zu HELLRAISERS von Robert Sellers.

Preface Publishing, 2009 (es gibt auch weitere Editionen)
3o4 Seiten, ab 6 €

Hier werden die unglaublichsten „Abenteuer“ von Richard Burton, Richard Harris, Peter O´Toole und Oliver Reed erzählt, die man in keiner Star-Biographie findet. Zum Beispiel O´Tooles Freude am Fassadenklettern, aus dem er eine zweifelhafte Karriere machte… Oder dass Burton bei den Dreharbeiten zu VILLAIN (einem der besten Gangsterfilme aller Zeiten) täglich drei Flaschen Wodka verzehrte und trotzdem meistens funktionierte (wenn nicht gerade Liz Taylor mit Harrods-Getränken am Set vorbei kam)… Dass Oliver Reed gerne einen Handstand auf dem Barhocker machte, bevor er zu Wirtshausraufereien überging… Oder wie Ollie sich selbst ritzte, weil er Blutsbrüderschaft mit Leslie Charteris (dem von ihm hoch verehrten Schöpfer des „The Saint“) schließen wollte…

Und für ein stimmungsvolles Weihnachtsprogramm auf dem Bildschirm kann ich auch ein paar Filme von Sir Michael empfehlen:

Original Cinema Quad Poster – Movie Film Posters