Martin Compart


Bürgerkrieg in Russland als Quality-TV by Martin Compart

Es ist immer wieder verblüffend, auf welch hohem Niveau mal in Deutschland Fernsehunterhaltung gemacht wurde! Es war wohl Helmut Kohl, der mit der Einführung der kommerziellen Sender das Fernsehen für die Idioten erobert hat. Aber schon zuvor gab es bei den öffentlich-rechtlichen geistige Aufweichbewegungen zu verzeichnen.
Heute unterscheidet sich die öffentlich-rechtliche Unterhaltung (insbesondere „Krimi-Spiele“ und Sonntagsgärten, die einem das Leiden einer Heroin-Entgiftung vermitteln) nicht im geringsten mehr von der Pathologie der privaten. Von den Verantwortlichen wird Dummheit gepriesen und Qualität gemieden.

Dass dies mal anders war, zeigt einmal mehr der nicht genug zu lobende PIDAX-Verlag, der u.a. Höhepunkte der deutschen TV-Kultur rettet, restauriert und wieder zugänglich macht.
„Qualität, Flexibilität, Herzblut…nur auf diese Weise sind wir in der Lage, uns stark zu machen, wofür wir stehen: Die Veröffentlichung wahrer Schätze und Bestseller aus dem Film-, TV- und Hörspiel-Bereich! Wo hier ein Großteil der Konkurrenz passen muss, passen wir uns flexibel auch mit kleineren Auflagen den Erfordernissen dieses besonderen Marktsegments an.
Unser Augenmerk legen wir vor allem auf Qualität und hochwertige Inhalte. Durch Sorgfalt und modernste Restaurationstechnik versuchen wir vor allem bei älteren Produktionen eine neue Qualitätsstufe zu erreichen, um unseren Kunden ein ungetrübtes Seh- und Hörerlebnis zu ermöglichen“
, ist die Firmenphilosophie.

https://www.pidax-film.de

Dass sich darunter Produkte befinden, die nicht jedem gefallen und/oder aus heutiger Sicht unfreiwillig komisch erscheinen, gehört zum umfangreichen wie mutigen und bewunderungswürdigen Unterfangen.

Aber der bisher veröffentlichte Kanon ist auch ein audio-visueller Vorwurf an die Einfallslosigkeit, intellektuelle Begrenztheit und Feigheit der heutigen Unterhaltungsmacher.

Nun hat PIDAX in seiner Reihe „Historien Klassiker“ ein absolutes Meisterwerk des (nicht nur deutschen) Doku-Dramas aufgelegt. BÜRGERKRIEG IN RUSSLAND zeigt in beeindruckenden Spielszenen mit hervorragend integriertem Zeitmaterial eine brutale Zeitenwende, die blutig und hoffnungsvoll und vor allem chaotisch war. Die brillante Regie spielt sogar mit der Ästhetik des sowjetischen Revolutionsfilms und ist auch nach internationalen Maßstäben bis heute eine herausragende Produktion. Detailierter wurde die Revolution und der Bürgerkrieg m.W. nicht aufbereitet. Ähnlich anspruchsvolles dürfte man aktuell höchstens bei ARTEE erwarten.

Kein zeitgeschichtlich Interessierter kommt um diese DVD herum. Einziger Wermutstropfen: Ich vermisse ein Booklet, das die Hintergründe dieses Meilensteins deutscher Fernsehunterhaltung erzählt.
Kaum zu glauben, dass ein Großteil der Außenaufnahmen in und um Oldenburg gedreht wurden! Unfreiwillig komisch erscheint manchmal der sowjetische Lenin-Darsteller, der wie im Stummfilm chargiert aber insgesamt ein überzeugendes Lenin-Bild abliefert. Alle Schauspieler sind grandios. Besonders beeindruckend ist Friederich G. Beckhaus als Trotzki. Regie und Buch beherrschen ein heute selten umgesetztes dramaturgisches Prinzip: jede Szene muss aus such heraus und in sich ihre eigene Spannung entwickeln!

Für mich eines der intensivsten Bildschirmerlebnisse seit langem.



Die komplette 5-teilige Historienepos über die Russische Revolution

Im Kriegsjahr 1917 steuert das zaristische Russland auf die Revolution zu. Die Truppen und die aufständischen Arbeiter verbünden sich, Sozialrevolutionär Kerenski wird Minister einer provisorischen Regierung, der Zar dankt ab. Lenin kommt aus dem Schweizer Exil zurück, hat mit seiner Forderung, den Krieg zu beenden, jedoch kein Glück. Der Sturm auf das Winterpalais in St. Petersburg besiegelt den Sieg der Bolschewisten …

Hintergrundinformationen:

Zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution versuchte diese fünfteilige, hochwertige Historienreihe die wichtigsten Vorgänge wahrheitsgemäß nachzuvollziehen. Wochenschauaufnahmen, Amateurfotos, Korrespondenzen und Dokumente wurden dazu herangezogen, die Hauptakteure nach größtmöglicher Ähnlichkeit ausgesucht. 186 Schauspieler kamen zum Einsatz und über 1000 Komparsen. Bild und Funk (47/ 1967) schrieb: „Mit ungeheurem Aufwand in Szene gesetzt. Da agieren ganze Heere von Komparsen. Eine imponierende Fülle von Details wird dem Zuschauer vorgesetzt.“ Hörzu (47/ 1967) sprach von „aufwendig inszenierten Massenszenen, souveräner Kameraführung, schwelgerischen Dekorationen, blendenden Masken, hervorragender Besetzung und einem durchaus überzeugenden Buch.“

Episodenliste:
1. Revolutionsjahr 1917
2. Der Kampf um die Macht
3. Die Konterrevolution
4. Das Ende in Sibirien
5. Die verratene Revolution

Trailer:

HANS SCHAFFNER PRÄSENTIERT „Bürgerkrieg in Russland“ MIT Nikolaj Rytjkov, Friedrich Georg Beckhaus, Kurd Pieritz, Friedrich Schütter, Hubert Suschka, Otto Stern, Rolf Schimpf, Helmut Förnbacher, Wolf von Gersum, Reinhard Kolldehoff, Günther Jerschke, Tilo von Berlepsch, Paul Glawion

Buch: Hellmut Andics
Kamera: Albert Benitz, Heinz Bohn
Schnitt: Peter Harlos
Kostüme: Nicola Hoeltz
Szenenbild: Ellen Schmidt, Ermanno Giannotti
Produktionsleitung: Fritz Hoppe
Redaktion: Werner Murawski
Regie: Wolfgang Schleif

3 DVDs in einem Amaray-Case mit Wende-Inlay (inwendig ohne FSK-Logo)
Laufzeit: ca. 460 Min.
Bildformat: PAL 4:3 s/w
Sprache: Deutsch
Tonformat: Dolby Digital 2.0
Ländercode: 2 (Europa)
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Produktion: Deutschland 1967-1968

https://www.pidax-film.de/Historien-Klassiker/Buergerkrieg-in-Russland::2159.html



BILD TV LIVE – EIN SCHRECKLICHES BEISPIEL FÜR MISSLUNGENE INKLUSION oder Das Großartige an der Springer-Presse ist, das sie sich durch die finanziert, die sie verachtet und verarscht. by Martin Compart

Mit seinem Heloten Julian Reichel beweist/bewies Springer, das man spielend jedes noch so niedrige Niveau unterbieten kann. Gut, das hat der Konzern auch vorher hinreichend bewiesen. Eine seiner letzten schlechten Taten war die Entwicklung eines Tv-Formats für Deutschlands führende Postille für Volksverblödung. Wer BILD-Schergen für Journalisten hält, vermutet wohl auch bei Tönnies Tierschützer.

Wenn ich in sowas reinzappe, möchte ich mehr GEZ-Gebühren zahlen. Denn bei geistig einigermaßen Gesunden vermag BILD nicht mal ungewollte Heiterkeit zu verbreiten.

Wie schon immer in der unappetitlichen Print-Ausgabe des ranzigen Schmachtfetzens geht es auch dem TV-Ableger (immerhin 0,1% Marktanteil) nicht um Information, sondern um Meinungsmache. Trump hätte seine Freude daran. Schließlich war BILD ein Pionier der Pyromanen-Prosa und Fake-News. Aber wie schon Mark Fisher feststellte, ist die „kontrafaktische Erzählung eine Domäne der reaktionären Rechten„.

Extrem erschreckend sind auch die Jung-Senilen, die bei BILD TV LIVE dem Lehrberuf „Promi-Expertin“ nachgehen, ohne ihre Medikation einstellen zu lassen („Bubbles ist der Picasso unter den Primaten.“). Überhaupt sieht man unter den Moderatoren schrecklichere Fratzen als an mittelalterlichen Kathedralen.

Wer eine Kotz-Diät betreiben möchte, ist hier in besten Händen: Beim Zusehen bleibt keine feste Nahrung im Körper. Nach RTL- und SAT1-Gruppen ein neuer Höhepunkt der Volksverdummungsstrategie in Folge der „geistig-moralischen Wende“. Aus nationalistischen Gerümpel wird ein trübes Feuerwerk der Schmutzerei abgebrannt. Es wäre aber auch zwecklos, von der Redaktion vorgeben zu wollen. dass ihre selektiv plump-dümmliche Weltanschauung von irgendeinem zivilisierten Menschen bejaht oder entschuldigt werden könnte.


Bild-Chef Reichelt war zuletzt wegen eines Compliance-Verfahrens befristet freigestellt. Mehrere Frauen hatten Vorwürfe gegen ihn erhoben, eine Anwaltskanzlei untersuchte Machtmissbrauch im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz. Das Ergebnis: Reichelt habe „Fehler in der Amts- und Personalführung“ gemacht, wie der Konzern Ende März mitteilte, allerdings nicht von strafrechtlichem Ausmaß. Reichelt kehrte zurück an die Spitze des Boulevardblatts. Seitdem teilt er sich die Chefredaktion mit Würzbach, die zuvor Chefredakteurin der Bild am Sonntag war. Springer-Vorstand Mathias Döpfner hatte der Unternehmenskultur bei Bild „Änderungsbedarf“ attestiert.

(SZ vom26.4.2021: https://www.sueddeutsche.de/medien/reichelt-bild-geschaeftsfuehrung-springer-1.5276965 )

(DER SPIEGEL über Julians Verirrungen: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/bild-chefredakteur-julian-reichelt-und-die-internen-ermittlungen-voegeln-foerdern-feuern-a-456152ee-eff8-4d8f-9b47-1284b4c36c09


Aber auch für uns Kulturpessimisten gibt es Hoffnung, denn nur der Teufel lebt ohne Hoffnung: einer der Chefredakteure ist der strunzenblöde Claus Strunz; und der hat in den letzten 20 oder 30 Jahren noch jedes „Format“ mit sich versenkt. („Der Obateng ist ein Sportler. Er ist ein Sportler, der zwischen Unrecht und Gerechtigkeit aufgewachsen ist. Und wenn der sich vor Gericht ungerecht behandelt fühlt, rennt er natürlich zum Schiedsrichter. Er ist eben ein echter Sportler.“).

Intellektuell und stilistisch kann er sich das wohl auch noch leisten.
Seine Inklusionsbestrebungen galten – trotz aller skeptischen Gutachten – als hoffnungsvoll!

Wer bisher gedacht hat, die debilen „Promiexperten“ und Fachfrauen für TOYALEN Inzest von ARD, ZDF, RTL oder SAT seien extrem nervtötend, der soll mal einen Blick auf die BILD-TV-Fachfrau Janina Kirsch werfen (oder schlimmer noch: ihre Stimme hören). Sie scheut keine Mühe, einem halbwegs intelligenten Gedankengang aus dem Weg zu gehen.

Mit dem TV-Format stellt sich BILD auf den von ihr mitgetragenen Bildungsniedergang dieses, unseren Landes ein: nämlich die zunehmenden Analphabeten als Zielgruppe.


Momentan trommelt die BILD-Familie kriegstreibend für eine Unterstützung der korrupten Ukraine (in der sich seit Jahrzehnten die CIA mehr oder weniger erfolgreich tummelt) gegen das korrupte Russland.

Das Großartige an der Springer-Presse ist, das sie sich durch die finanziert, die sie verachtet und verarscht.



GUILT – BRIT NOIR MIT SCHWÄRZESTEN HUMOR by Martin Compart
1. September 2021, 5:56 pm
Filed under: Brit Noir, GUILT, TV, TV-Serien | Schlagwörter: , , ,

Wer ein Faible für Tartan Noir hat (gemischt mit bösartigsten schwarzen Humor), der sollte morgen (Donnerstag) keinesfalls versäumen, sich auf ARTE den britischen Vierteiler GUILT anzusehen (auch verfügbar über die ARTE-Mediathek). 2.9. ab 22.00 Uhr.

Guilt – Keiner ist schuld

Walter sei friedlich eingeschlafen, heißt es in der Todesanzeige. Zumindest tun Jake und sein älterer Bruder Max, alles dafür, dass es so aussieht. Denn nur wenige Tage zuvor haben sie den Rentner Walter aus Versehen tödlich angefahren … – Für Robert McKillops gelungene Miniserie gab es 2020 bei den BAFTA Scotland Awards den Preis für die beste Regie/Fiktion.

Wenn du schuldig bist, musst du dich auch schuldig fühlen?
Die Antwort auf diese Frage könnten der Mittdreißiger Jake und sein älterer Bruder Max nicht unterschiedlicher beantworten. So verschieden, wie ihre Persönlichkeiten sind, gehen sie auch mit der Tatsache um, dass sie aus Versehen auf dem Rückweg von einer Hochzeit den Rentner Walter vor seiner eigenen Haustür in Edinburgh tödlich angefahren haben. Der Fahrer Jake wird schnell von den Anwaltsreflexen seines Bruders Max überzeugt, nicht zur Polizei zu gehen.

Panisch setzen die beiden Brüder den Leichnam von Walter in seinen Fernsehsessel, als ob der unheilbar an Krebs erkrankte alte Mann dort seinen letzten Atemzug getan hätte. Doch ihr Plan gerät ins Wanken, als der bereits mit Gewissensbissen geplagte Jake wenige Tage später in seinem Plattenladen auch noch einen Anruf vom Anwalt des Verstorbenen bekommt, dass seine Brieftasche im Haus von Walter gefunden wurde. Für die Brüder heißt es nun, sich ein Lügengerüst aufzubauen und damit ausgestattet zur Trauerfeier zu gehen.

Max drängt Jake, Walters einziges Familienmitglied, seine Nichte Angie, die extra aus Chicago eingeflogen ist, zu überzeugen, dass ihr Onkel friedlich eingeschlafen ist. Jake gibt dabei vollen Körpereinsatz, doch selbst das bringt Angie nicht davon ab, ihrem Bauchgefühl nachzugehen und einen Privatermittler engagieren zu wollen. Wie gut, dass Max genau den richtigen Ermittler kennt: Kenny, der praktischerweise massive Alkoholprobleme hat und deshalb einen Klumpen Erde nicht mehr von einem Knopf unterscheiden könnte. Doch manchmal ändern sich Menschen von jetzt auf gleich! So auch Kenny – und Max und Jake müssen erkennen, dass die wenigsten Dinge im Leben kontrollierbar sind, wie sehr sie es auch versuchen …

Regie : Robert McKillop
Drehbuch : Neil Forsyth
Produktion : Expectation,Happy Tramp North
Produzent : Jules Hussey
Kamera : Nanu Segal
Schnitt : Nikki McChristie
Musik : Arthur Sharpe

Mit :
Mark Bonnar (Max McCall)
Jamie Sives (Jake McCall)
Ruth Bradley (Angie Curtis)
Siân Brooke (Claire McCall)
Emun Elliott (Kenny Burns)
Ellie Haddington (Sheila Gemmell)
Joe Donnelly (Walter)

Großbritannien 2019



DIE ERBÄRMLICHKEIT ALLER STREAMINGDIENSTE… by Martin Compart
17. April 2021, 6:21 pm
Filed under: Weise Worte | Schlagwörter: , , ,

… beruht auf ihrer an Dämlichkeit in der menschlichen Kulturgeschichte unübertroffenen Präsentation ihres Produkts. Die immer gleichen Floskeln, gepaart mit Nicht-Informationen, verhindern eine interessierte Ansteuerung. Über kurz oder lang wird sich neben digital-strukturellen Komfort (muss ich bei jeder Folge in folge einen Alterscode eingeben und kann „was bisher geschah“ nicht wegdrücken) daran mitentscheiden, welcher Streamingdienst erfolgreich im Markt sein/bleiben wird.

Momentan sind  alle auf demselben Idiotenniveau.

Wahrscheinlich werden die deutschen Texte dieser zweizeiligen  inhaltslosen Präsentationen nebenbei von Springer- oder Burda-Idioten, oder wie sie alle heißen, gemacht, immer auf der Suche nach einem Zubrot für ihre überflüssige Existenzsicherung.

 

Um einen Claim der webungsfinanzierten Verblödungssender zu zitieren: SO SIEHTS AUS:

„In dieser dauernd preisgekrönten Serie muss die Heldin alles geben um ihre Lieben/Menschheit/Kosmos/Haustier/Beziehung zu retten.“

„In dieser preiswürdigen Krimi-Serie wird die alleinerziehende/unter Schwachsinn leidende/gelähmte/hyperaktive Kommissarin in ihr Heimatdorf in der Nähe des Golf-Stroms versetzt, wo ihr Vater wohnt, und kommt einer unglaublichen Verschwörung auf die Spur.“

„Ausgezeichnet mit internationalen Preisen und voll mit großen Stars. Es steht schon fest: Es wird eine 2. Staffel geben.“

„Sie war eine erfolglose Influencerin, dann wurde sie von einem radioaktiven Buddhisten vom Mars gebissen, bekam Superkräfte und zeigte es allen.“

„In dieser unglaublich guten deutschen Serie, die es mit internationalen Standards aufnehmen kann und keinen Vergleich mit LINDENSTRASSE, BONANZA oder DER PATE 3 scheuen muss, wird ein fränkischer Transvestit Ministerpräsident und verirrt sich im Wald.“

„Eine Frau sucht sich selbst und findet die Autobahnausfahrt. Ab Freitag: die 5.Staffel.“



DAS GESPENST EINER WELT, DIE FREI SEIN KÖNNTE – Mark Fishers „K-PUNK“ by Martin Compart

Das Jahr ist noch jung – doch schon liefert die Edition Tiamat ein Buch, dass bereits jetzt zu den wichtigsten (deutschen) Erstausgaben des Jahres zu zählen ist: eine leicht gekürzte Ausgabe von Mark Fishers Blog-Beiträgen, die einmal mehr bestätigen: „Der beste kulturwissenschaftliche Autor seiner Generation“ (Los Angeles Review of Books).

Er nahm im Januar 2017 ds Recht auf seinen Freitod.
(https://martincompart.wordpress.com/2017/01/15/mark-fisher-ist-tot/)

Die Kernthese von Fishers Kulturkritik ist unsere Unfähigkeit eine Zukunft zu konzipieren, die radikal mit der Vergangenheit bricht (denn das weiß der Feudal-Kapitalismus zu verhindern).

Das vorliegende Buch ist eine Auswahl der Blog-Essays, die 2018 in England als K-PUNK. THE COLLECTED AND UNPUBLISHED WRITINGS OF MARK FISHER (2004-2016) erschienen sind. So etwas wie ein Nachlass, der die mitreißende Energie von Fishers Schreiben lebendig hält und süchtig machen kann. Das liest sich in der schwierigen Übersetzung ganz wunderbar.

Fisher, Mark
k-punk
Ausgewählte Schriften (2004-2016)
Edition Tiamat
Critica Diabolis 273
Aus dem Englischen von Robert Zwarg, mit einem Vorwort von Simon Reynolds
624 Seiten
32.- Euro
ISBN 978-3-89320-247-8
Erscheinungsdatum Februar 2020

Mit eurozentrischem Blick verdeutlicht Fisher in diesen Essays, dass der Klassenkampf längst einem Kulturkampf gewichen sei. Neben vielen Einflüssen demonstrieren besonders die frühen Blog-Beiträge den starken Eindruck des amerikanischen Neo-Marxisten Fredric Jameson und dessen „Theorie der Postmoderne“.

Da Fisher mit Institutionen gebrochen hatte und seine Veröffentlichungsmöglichkeiten gering waren, startete er 2003 seinen Blog K-PUNK (nach dem griechischen Wort kyber).

Wie könnte man einem Autor widerstehen, der Nenas 99 LUFTBALLONS als „apokalyptisches Karnevallied“ enttarnt?

Der Anschlag auf das World Trade Center war ein mutiger Versuch, Amerika vom 20.Jahrhundert zu befreien.“ (J.G. Ballard)

Mark Fisher ist der Alptraum akademischer Bluffer oder bluffender Akademiker: „So wie ich Theorie verstanden habe – nämlich vor allem vor dem Hintergrund der Popkultur – wurde sie in der Universität eigentlich verabscheut.

Sein – vom Punk inspiriertes – Ziel war es eine Art Pulp-Theorie zu schaffen, „die das Bedürfnis nach einer zentralisierten Kontrolle“ zerstört. Damit setzte Fischer mit den neuen Technologien fort, was die Situationisten mit ihren Methoden der Kommunikationsguerilla angestoßen hatten. Durch diese neuen Technologien waren deren Forderungen nach Abschaffung von Technokratie und Hierarchien in theoretischen Auseinandersetzungen weitgehend erfüllt.

Seine Methodik ist von Greil Marcus´ LIPSTICK TRACES bestimmt. Folgerichtig schreibt er darüber: „LIPSTICK TRACES war sich sicher, dass Pop nur dann Bedeutung haben kann, wenn er aufhört >nur< Musik zu sein, wenn Politik in ihm nachhallt, die nichts mit kapitalistischem Parlamentarismus zu tun hat und mit Philosophie jenseits der Universität.

Auch seine Texte zur Literatur sind sowohl erfrischend wie auch komisch erhellend: „Oder die Komik der Anfangsszenen in Kafkas DAS SCHLOSS, ein Roman, der weniger den Totalitarismus als die Wirklichkeit des Call Centers vorwegnimmt.“ So aktualisiert punk (oder Pulp Theorie) literarische Rezeption!

Auf geradezu wahnwitzige Weise analysiert er im Verbund Patricia Highsmith´ Mr.Ripley mit Glam-Rock – und überzeugt! Denn Tom Ripley ist als gesellschaftliches Nichts seine beste Fälschung gelungen:
Ein „Thomas Ripley, der unabhängig und reich ist… Ripleys Entwicklung gleicht auf unheimliche Weise der von Brian Ferry. ROXY MUSIC und FOR YOUR PLEASURE, diese Übungen im Er- und Verlernen von Akzenten und Umgangsformen sind die Pop-Äquivalente von DER TALENTIERTE MR. RIPLEY. Kleidung, Auftreten und Stimme sind vorgetäuscht… STRANDED und die darauffolgenden Alben sind hingegen das Pendant zu den späteren Romanen; hier ist der Erfolg bereits vorausgesetzt…

Einer seiner (und meiner) Lieblingsautoren ist J.G.Ballard.

An seinem Werk sieht er in den Veränderungen auch eine Bestätigung eigener theoretischer Positionen: „Die Umweltkatastrophen in Ballards frühen Romanen werden von den Figuren meist als Chancen begriffen, um sich der drögen Routinen und Protokolle der sesshaften Gesellschaft zu entledigen… Katastrophen sind nun (in späteren Romanen) die Katastrophen der Medienlandschaft – jener Raum, in dem sich die Menschen inzwischen primär aufhalten.

Über David Peaces neo-proletarische Romane schreibt er nach bestechender Beweisführung: „Peace schreibt eine geheimnisvolle Geschichte der Gegenwart, indem er die jüngste Vergangenheit simuliert.

Politisch einleuchtend erklärt er das Jahr der großen Bergarbeiterstreiks (bei denen auch MI5 auf Seiten der Reaktion mitmischte), 1985, als das „Jahr einer katastrophalen Niederlage, deren Ausmaße erst nach einem Jahrzehnt sichtbar wurden. (Vielleicht erst mit der Wahl von New Labour zementiert)“.

Dieses „schlechteste Jahr des Pop“ (der Text ist aus 2005) hat es ihm auch so angetan, weil es das Jahr von Live Aid war, dem „Beginn eines falschen Konsens´ , der kulturelle Ausdruck des globalen Kapitals. Wenn Live Aid ein Nicht-Ereignis ist, das stattgefunden hat, war der Bergarbeiterstreik ein Ereignis, das stattgefunden hat“.

Das Buch endet mit einer Art Manifest des ACID KOMMUNISMUS, in dem er als Beginn der bewussten Zerstörung bestehender oder sich entwickelnder Solidargemeinschaften (der Gespenster einer Welt, die frei sein könnte) den US-Putsch in Chile nennt:

In Chile wurde nicht nur eine neue Form des Sozialismus ausgelöscht, das Land wurde auch zum Labor, in dem die Maßnahmen (Deregulierung des Finanzsektors, die Öffnung der Wirtschaft für ausländisches Kapital, Privatisierungen) erprobt wurden, die später an anderen Zentren des Neoliberalismus vom Band gerollt wurden.

Und:

Die Überwindung des Kapitals muss auf der sehr einfachen Einsicht basieren, dass das Kapital eben nicht darauf angelegt ist `Wohlstand zu schaffen´, sondern die Produktion eines gemeinsamen Wohlstands blockiert.

Der Freitod des an Depressionen leidenden Antikapitalisten Fisher könnte symbolisch den Umwelt-Suizid der vom Kapital gesteuerten Menschheit antizipiert haben?
Über dem Buch liegt auch der widersprüchliche Schatten einer „unterhaltsamen Depression“, des „hoffnungsvoll dystopischen“. Das System hat uns umgebracht, nur gestorben sind wir nicht.

Diese Sammlung mit ihrem großen Themenspektrum beweist einmal mehr, dass es nichts Uninteressantes gibt, wenn man sich nur intensiv genug mit etwas beschäftigt.

P.S.: Was ich an dieser Edition vermisse, ist ein Register. Aber das hätte die ohnehin schon waghalsige Kalkulation wohl gesprengt.



STERNSTUNDEN DES ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN FERNSEHENS by Martin Compart

Es gibt sie tatsächlich: Sternstunden des deutschen Fernsehens! Zumeist auf ARTE ausgestrahlt, Am 18.Februar 2020 überflügelte der Sender mit einem langen Themenabend über die Mord- und Folterstaaten der Monarchien am Persischen Golf fast sich selbst! Die Beiträge sind noch in der ARTE-Mediathek abrufbar.

Los ging es mit der zweiteiligen FRONTLINE-Dokumentation MORD IM KONSULAT von Martin Smith und Linda Hirsch. Anhand der Spurensuche im Fall der Ermordung des Journalisten Kashoggi analysiert der Beitrag auch die Entwicklung des saudischen Despoten Mohammed bin Salman zum Schreckensherrscher. Auch die sowohl dämliche wie undurchsichtige Rolle, die Trump bei oder gar zur Ermordung Kashoggis gespielt hat und haben könnte, wird erwähnt. Die Komplizenschaft der USA mit Folterregimen ist ja längst Folklore.
Eine Doku wie ein guter Thriller.

Fisk in 2001 after being beaten by Afghan refugees. He absolved his attackers of all blame claiming ‚their brutality was just a product of others‘

Anschließend folgte das beeindruckende Portrait des gnadenlosen Wahrheitssuchers Robert Fisk („Mut kann irrelevant sein.“), der seit den 1970ern den Nahen Osten journalistisch durchforscht und analysiert. Im Portrait beweist Fisk, wie mit Unterstützung der NATO bosnische Waffen nach Saudi-Arabien geliefert wurden, die dann beim IS landeten. Ein weiterer Beweis dafür, dass Saudi-Arabien den islamistischen Terror unterstützt.

Zum Abschluss gab es die Wiederholung der französischen Dokumentation WÜSTE PRINZENSPIELE – DER NEUE GOLFKRIEG über die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten mit Qatar– angelegt von drei psychopathischen Milliardenerben.

Nach diesem Themenabend weiß man mehr über die Kriege und Krisen des Nahen Osten. Und dass die wahren Verursacher Europäer und Amerikaner waren und ihre Heloten den durch Rohstoffinteressen bestimmten Einflüssen langsam aber sicher entwachsen (auch wenn MbS Bündnisse mit Israel schließt, damit die USA weiterhin dulden, dass er seine Bevölkerung tyrannisiert und Terror-Organisationen unterstützt).

Für so einen Themenabend verzeiht man ARTE wieder jeden subjektiv empfundenen Unsinn, der häufig das Programm bestimmt. Da akzeptiert man dann auch den Gebührenzwang, denn niemals werden kommerzielle Sender diese Form der Aufklärung betreiben.
Das wäre ja gegen ihre Religion.

P.S.: Als welche Gefahr das öffentlich-rechtliche Fernsehen wahr genommen wird, sieht man aktuell in Großbritannien, wo Boris Johnson mit einer neuen Strategie die BBC sabotiert. Auch bei uns hassen und fürchten falsche Propheten wie Orban, Trump oder Johnson die unabhängige Pressefreiheit.



DRACULA 2.1. – bissiger denn je by Martin Compart
6. Januar 2020, 5:28 pm
Filed under: Dracula, TV, TV-Serien | Schlagwörter: , , ,

„Um so etwas wie leben zu können, müssen wir anderen Menschen die Zukunft rauben, ihnen die Jahre stehlen… Aber ich habe kein eigenes Leben, nur den Hunger und die Gier danach.“

Aus: Jack Sharkeys Kurzgeschichte DIE DÄMONIN (TRADE-IN, 1964)

DRACULA (1897) von Bram Stoker gilt vielen Theoretikern als letzte Gothic Novel, in der sich noch einmal der Triumph des Bürgertums über den Feudalismus manifestiert.

Seitdem wurde Stokers Roman für alle Medien adaptiert und interpretiert, häufig dem jeweiligen Zeitgeist angepasst und unterschiedliche Akzente gesetzt. Inzwischen ist Dracula eine weltweite Ikone der Pop-Kultur.

Es war kein geringerer als Lord Byron, der den Vampir aus dem Volksglauben nahm und ihn als melancholischen Gothic-Schurken in die Literatur einführte.

Von der reinen Feudalismustheorie entfernt sich dieser Dreiteiler ebenso, wie von der Wissenschaftseuphorie des Romans.
Eine interessante Variante der „Blutgier“ liefert der Dreiteiler mit: Blutsaufen wird nicht nur als bestialisch erklärt: Im Blut liege Wissen gespeichert, dass der Vampir in sich aufnimmt.

Jonathan Harkers Schicksal in der Mini-Serie ist schlimmer als der Tod.

Ähnlich wie bei der Renovierung von SHERLOCK HOLMES verblüffen Mark Gatiss und Steven Moffat (für BBC und Netflix) durch überraschende Wendungen, die Bezüge zur ursprünglichen literarischen Vorlage haben. Auch das ursprüngliche Personal wird verdreht genutzt: Professor Van Helsing etwa, ist hier eine Nonne mit scharfer Zunge und geringem Glauben. Die Macher gehen aber in ihrer Kultur- und Religionskritik weit über frühere Interpretationen hinaus. Das wird einige Hardcore-Fans irritieren.

„Was ängstigt sie so vor dem Kreuz, Dracula?“
„All die Qualen und Dummheiten, die das Kreuz über die Menschen gebracht hat, manifestiert sich im Blut. Ich musste Jahrhunderte ihr Blut saufen. Der Ekel hat sich übertragen, deshalb fürchte ich das Kreuz.“

Der Dreiteiler spielt mit Variablen des Vampirmythos, thematisiert auch dessen Widersprüche und Ungereimtheiten. Optisch nutzt er heute mögliche Horroreffekte.

Wir werden von den Mächten des Bösen angegriffen werden.“
„Wieso sollten sie ein Kloster angreifen?“ !
„Vielleicht vertragen sie keine Kritik.“

Dieser Dialog zeigt einen schönen Ansatz, mit dem die Macher von DRACULA schon SHERLOCK HOLMES aktualisiert hatten: Ironie und britisch-schwarzer Humor.
Aber immer mit Respekt und genauer Kenntnis der Vorlage. Besonders witzig ist die Transformation des Dracula-Sklaven Renfield zu einem Anwalt.

Am Anfang jedes Teils wird durch nicht-lineares Erzählen so viele Fragen eröffnet, dass man auch bei gelegentlichen Längen dabei bleibt. Dafür sorgen auch die großartigen Darsteller (Claes Bang gelingt eine überzeugende Vorstellung eines Draculas für das 21.Jahrhundert; er tat für DRACULA ähnliches, was Daniel Craig für JAMES BOND getan hat – zumindest in CASINO ROYAL) und die rasante Regie und die hohe Produktionsqualität.

Diese Interpretation von DRACULA ist eine Allegorie für die Feigheit (nicht Angst) vor dem Tod.
In der Nachbetrachtung ein verstörendes – nicht immer völlig überzeugendes -Kunstwerk als Plädoyer für Liebe und Endlichkeit.

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„SERIÖS“ – SERIENEXPERTEN, WIE SIE NUR DAS DEUTSCHE FERNSEHEN HERVORBRINGT by Martin Compart

Auch Serien-Spezialist Jochen König (https://www.krimi-couch.de/magazin/film-kino/) hat sich SERIÖS angetan:

Unglaublich. Es gibt eine Diskussionsreihe über Serien. Die der personifizierte Möchtegernstatus ist. Die kleine Gartenzwerghölle, diesmal nicht im Vorgarten, sondern in einem ach so heimelig eingerichteten Fernsehstudio.

Für alle, die direkt damit konfrontiert werden möchten, warum Deutsches Fernsehen der Horror ist. Man nehme drei mittlere Ausfälle (Kurt Krömer, Ralf Husmann, Annie „wer auch immer diese ‚Allesguckerin‘ ist“ Hoffmann) und einen Totalausfall (Annette „ich bin die ganz tolle Schreiberin von „Weißensee“, die sich supi auskennt mit allem und jedem und auch in Stereo biographieren kann“ Hess) und setze sie nach Vorbild des literarischen Quartetts zusammen (nur viel lockerer, mit nackte Füße auffe Couch und so), und lasse sie über Serien reden. Äh falsch, quatschen, quasseln, abgehen auf billigste Pointenjagd.

Pestlippen, die Lauch sind, aber so lit wie sonst was sein möchten.

Kontexte: Existieren nicht, ernsthafte Auseinandersetzung: Watt willsndu Alda, spinnsde? Perspektivisch und inhaltlich tiefgreifendere Themen zu eröffnen spielt keine Rolle.
Da hält Hess eine Lobrede auf den mäßig komischen und hochnotpeinlich chargierenden Ricky Gervais (ist sonst besser) als „Derek“, und moniert,dass Ekel im Serien-TV kaum eine Rolle spielt. „Derek“ hingegen…
Haben wir die (nicht mal ansatzweise erreichten) Vorlagen für „Derek“ nicht präsent? Monty Python und Little Britain waren weit wagemutiger, besser gespielt und längst da, wo „Derek“ möglicherweise hin möchte.
Die „League Of Gentleman“, „South Park“, die „Simpsons“, „Futurama“, selbst harmlose Serien wie „Inspector Barnaby“ (Leiche im Bierfass, aus dem munter getrunken – und anschließend gekotzt wird) und „Brokenwood“ (ist es Wein oder Natursekt?)widmen dem Thema „Ekel“ ungeteilte Aufmerksamkeit. Nur ein paar Beispiele unter vielen.

Bei „Seriös“ reichen sich Ignoranz, Ahnungslosigkeit, bemühte Witzischkeit und haarsträubende Vergleiche/Pointe die Hände („’Game Of Thrones‘ ist wie die ‚Lindenstraße‘. Viele Charaktere“).
Wer wie ich aus einer pietistisch angehauchten Gegend stammt, in der man nicht in den Keller geht, um zu lachen, sondern um sich zu geißeln, wird die Reihe zu schätzen wissen.

Auf die falscheste Art. Für den Rest ist es eine Übung in Fremdscham (und ein kleiner Blick auf den maroden Zustand des german televison, das nichts proudly zu präsentieren hat).

Ralf Husmann zieht sich noch am besten aus der Affäre. Er kennt sich mit dem Schämen für andere halt aus und erweckt zumindest manchmal den Eindruck, dass ihm die Sendung peinlich ist.

Merke: Wer nix mehr merkt merkt nix. Wenn man mal wissen will, was man garantiert nicht über Serien wissen will, ist man bei „One“ und in der Mediathek richtig:



DIE USA ALS KANNIBALEN-NATION ENTTARNT! by Martin Compart
20. Oktober 2018, 3:18 pm
Filed under: Horror, TV, TV-Serien | Schlagwörter: , , , , , , ,

Für gute Weird Fiction bin ich immer zu haben!

Sei es literarisch, als Hörbuch oder audiovisuell.

„So war es George Washington möglich, eine Nation von Kannibalen zu schaffen“,

heißt es in Peter Medaks spannender Verfilmung von Bentley Littles Story THE WASHINGTONIANS, Bestandteil der ziemlich ungleichmäßigen TV-Horror-Anthologie MASTERS OF HORROR von 2007.

Diese einstündige Folge war bestes Grusel-Vergnügen, in dem Little eine der heiligsten Kühe des amerikanischen Mythos schlachtet, den verehrten Gründervater Washington. Wie gerne bei Little zeigt er auch hier, dass hinter allen Formen des Establishments das Böse lauert. Das sich hinter den verbreiteten Bildern und Wahrheiten ganz anderes verbirgt:

Die meisten Historiker sind nichts anderes als PR-Manager der Vergangenheit.“
THE WASHINGTONIANS ist in eine Story aus Littles THE COLLECTION.

Bentley Littles Bücher sind eine Weile auch bei uns bei Bastei-Lübbe veröffentlicht worden.

Die wenigen, die ich gelesen habe, gefielen mir ausgesprochen gut. Ich werde auf den Autor zurück kommen. Man muss sich allerdings häufig auf lange Intros einstellen, in denen der Autor seine Sets geradezu plastisch werden lässt, damit die anschließenden Schockwellen wie ein Tsunami über den Leser hinein brechen.

Mein Tipp ist FURCHT (THE ASSOCIATION). Das sollte man lesen, bevor man sich dazu entschließt, in eine abgeschottete Enklave der Wohlhabenden zu ziehen, obwohl die einem ein schwer zu widerstehendes Angebot gemacht haben. Lange (aber faszinierende) Anfahrt, und dann eine Explosion, die lange nachhallt. Eine Suburbia-Allegorie auf den Überwachungsstaat und seiner üblen Interessen vor dem Hintergrund scheinbar garantierter Sicherheit.

https://www.amazon.de/Furcht-Spannungs-Roman-Bentley-Little/dp/3404157982

In diesen Horror-Romanen schwingt als Subtext mit, dass man heutzutage kaum noch dazu in der Lage ist, sich und die Familie gegen die maßlose Gier des Establishments zu verteidigen. Wer nicht mitmacht und selbst zum Kannibalen wird, der wird von ihnen gnadenlos erledigt. Es gibt keinen Platz mehr für Rebellen und Outsider im neuen Jahrtausend.

Am Ende von THE WASHINGTONIANS steht die Botschaft: Die einzige Möglichkeit, mit diesen Ghoulen und ihrer unstillbaren Gier fertig zu werden, ist, sie niederzumetzeln.

Das ist allerdings Peter Medaks Botschaft (obwohl Little dem in anderen Werken zustimmt).

In der literarischen Vorlage erzählt der Autor einen anderen Gag.

Die zusätzliche Punchline von Medak im Epilog ist ebenso gruselig wie spaßig.



CHARLIE MUFFIN by Martin Compart

Charlie Muffin ist für viele (mich eingeschlossen) die größte Kult-Figur des Polit-Thrillers. Sein erster Auftritt in Brian Freemantles Roman CHARLIE M schlug 1977 ein wie eine Bombe; vergleichbar vielleicht mit Len Deightons THE IPCRESS FILE fünfzehn Jahre zuvor oder LeCarrés SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM. Charlie war noch mehr anti-establishment als Deightons namenloser Ich-Erzähler.

Inzwischen ist die Serie auf 19 Titel angewachsen. In Deutschland erscheint sie schon lange nicht mehr.

Muffin ist der wahre proletarische Held unter den fiktionalen Agenten. Und er ist vielleicht der abgewichsteste und cleverste, der die Schwächen der degenerierten britischen Oberschicht genau kennt und ausnutzt, ihre Heimtücken durchschaut.

Leider gibt es bisher nur eine audiovisuelle Umsetzung: 1979 drehte der große Jack Gold die Adaption des ersten Muffin-Romans für das britische Fernsehen. David Hemmings wurde für Charlie Muffin das, was Sean Connery für James Bond ist. Das sah Freemantle ganz ähnlich:

Here’s a secret. It’s not as easy for me now to write Charlie as it was in the beginning and the problem was the film of that first Charlie Muffin book. David Hemmings brilliantly played the part. I met him for the first time on set, when a gambling club scene was being shot. Between takes he came over to me, clad in scruffy suit and down-at-heel Hush Puppies ( it’s the feet problem) and said: ‚Here I am. I’m Charlie Muffin.’Which he was. Up until that moment I knew how Charlie Muffin thought and how he’d react and what he physically looked like. But I didn’t have his facial features. But from then on I did and it’s always David Hemmings‘ face I see when I’m writing, not my blank-canvassed Charlie.

Nicht nur Hemmings ist eine Weltmacht! Der Film ist in jeder Rolle perfekt besetzt und Jack Gold inszeniert diesen „Agentenpoker“, der eher ein Schachspiel ist, genau und mit dem richtigen Gefühl fürs Timing. Gold (1930-2015)ist m.E. wegen seiner häufigen TV-Arbeiten ein schmählich unterschätzter Regisseur, der für Klassiker wie THE RECKONING oder MAN FRIDAY verantwortlich war.

Für Charle gefährlicher als die Russen: seine Vorgesetzten und Mitarbeiter.

Geradezu nostalgisch wird man bei den Szenen, die in Ost- wie West-Berlin spielen. Gold fängt das Zeitgefühl des Kalten Krieges und die Atmosphäre der geteilten Stadt ein.

Dies ist kein Action-Film!

Die Handlung fordert vom Zuschauer Mitdenken (ist also nichts für heutige Kino-Gänger oder Krawall-Serien-Freunde). Jack Gold lässt sich Zeit um jede Nuance und jeden Dialog effektiv zu inszenieren.

Etwa, wenn Ian Richardson (einmal mehr: großartig!) als arroganter und unfähiger Geheimdienstchef über Charlies Klassenzugehörigkeit sinniert:

Die Arbeiterklasse ist in ihrer Freizeit immer brünstig.

Ausgegraben hat dieses Kleinod der Spy-Fiction wieder mal PIDAX-Film. Die Crew um Edgar Maurer gräbt bekanntlich tief, wenn es um vergessene TV-Schätze oder zu wenig bekannte Filme geht (dasselbe gilt für den Hörspielbereich, in dem sie den Klassiker Hans Gruhl wieder zugänglich machen). Ich stöbere gerne in ihrem Katalog.

Die Qualität dieser DVD-Ausgabe ist ausgezeichnet. Schade nur, dass es kein Zusatzmaterial gibt.

Was soll´s! Endlich kann ich meine vergammelte Video-Kopie entsorgen und diese bisher einzige Verfilmung eines Freemantle-Stoffes (was lagert da für ein Film- und TV-Potential!) in meine Bibliothek einordnen.

Kein Freund guter Spionagefilme kommt ohne CHARLIE MUFFIN aus, dessen Schlusspointe neue Maßstäbe im Genre setzte. Freemantle gab der Spynovel mit diesem „Happyend“ eine neue politische Dimension.

https://www.pidax-film.de/