Filed under: Manny Herrmann, MUSIK, Porträt, WENSKE | Schlagwörter: Helmut Wenske, Manny Herrmann, Musik, The Tumbling Dice
Wenn eine lebende Legende über eine tote Legende ein Buch macht, dann sollte man sich ein wenig die gemeinsamen Wurzeln ansehen. Wenn es sich dazu noch um zwei Bohemiens aus der Unterstadt handelt, die bis ins hohe Alter nicht aufhören Radau zu machen, dann liegen die entscheidenden Wurzeln bestimmt in der Unterstadt.
Die Unterstadt von Manny Herrmann und Helmut Wenske heißt Hanau.
Hanau gehört nicht zu den Städten, in denen die Milliardäre die Millionäre vertrieben haben.
Hanau ist eher so eine kaputte Stadt, die nicht wahr haben will, dass der Hedonismus des Rock´n Roll vom Sumpf des Kapitalismus verschluckt wurde. Nein, Hanauer Freaks wollen einfach nicht akzeptieren, dass die Rebellion des Rock von Casting-Shows plattgetreten wurde. Das Loch ist wie eine alte boshafte Hure, die Zähne sind ihr ausgefallen, aber noch voller Gift im Maul. Die Vergangenheit hat die Gegenwart nicht bestimmt, sondern verflucht. Die Typen, die ich hier kenne, stehen für eine schwer definierbare Integrität und Moralität. Oder, wie es Dylan ausdrücken würde: „If you live outside the law, you must be honest.“
Hanau ist vielleicht die letzte Garnisonsstadt. Dafür braucht sie nicht mal GIs. Hier ist jeder Tag gleich lang, aber nicht gleich breit. In der Luft hängt noch immer etwas von der verwesten Revolte. Aber die vom Rock´n Roll versprochene Zukunft ist hier nicht nur nicht eingetreten, Zukunft scheint überhaupt nicht länger möglich. Kein Hippie-Archiv des friedfertigen psychedelischen Naturalismus, eher das letzte Fort der Jugendrevolte, wo die Veteranen das Konzept des in-Würde-altern ablehnen. Damit ist Hanau vielleicht ehrlicher als andere deutsche Städte, die der Neoliberalismus kaputt gemacht hat – angefangen mit Berlin. Mit ein bisschen Geld kann man hier weiterhin ein paar verkommene Tage runterschrubben, die einen sensiblen Menschen für eine ganze Weile aus der Bahn werfen. Hier laufen zu viele Typen rum, die das Kleingedruckte im Gesellschaftsvertrag ignorieren.
Für Rabauken wie Manny Herrmann und Helmut Wenske war die Stadt ein Themenpark des Testosterons. Ihr Verstand und ihre Gefühle kommen von dort. Wie ihr Temperament, das sich nur dort wohl fühlt, wo es Radau gibt. In Kombination waren beide so charmant wie ein Rudel Wildschweine, immer dazu bereit, zu neuen Tiefpunkten abstoßender Kommunikation aufzubrechen. Ihre Picknicks waren als derbe Form der Unterhaltung berüchtigt.
Manny starb 2011 mit 57 Jahren. Wenske lebt und hat einen Blues über ihn geschrieben.
Und Wenske wäre nicht Wenske, wenn er nicht absolut schonungslos in diesem Buch mit Manny umgehen würde. Er würdigt das genialische, zeigt aber genauso das Arschloch. Eben der Jagger von Hanau. Kein Fraternisieren mit der Feuilleton-Ästhetik des Spießertums. Das Buch erzählt auch die Geschichte einer rauen Männerfreundschaft. Und von Mannys Tragik als Musiker und romantischer Rocker, für den der alte Satz gilt: „Wie jeder echter Romantiker zerstört er das, was er am meisten liebt, um es anschließend um so mehr zu bedauern.“ Er war ein begnadeter Musiker, der sich selbst im Wege stand. Mann! Manche Klischees sterben nie. Ich habe ihn nur ein paar Mal auf der Bühne gesehen. Das war vielleicht der Ort, wo er seine Widersprüche am besten zusammen bekam und sie sogar in Kreativität verwandelte. Dann war sein Charisma voll da. Aber dann ahnte man auch, dass er eine große Karriere selber verspielte. Offenbar funktionierte Mannys musikalische Größe nur im Tausch gegen jede Menge Kollateralschäden. Die Musik war die Schwelle, die ihn vom Unglück trennte. Leider nutzte er sie zu wenig; ihm genügte zu oft das Wissen, dass er sie nutzen konnte.
Das Buch ist eine gnadenlose Erinnerung an den toten Gockel von Hanau, gespickt mit schönen und schonungslosen Fotos. Dazwischen auch Zeitungsabdrucke, die Mannys hypertrophierte Arroganz ausdrücken. Wenskes Text ist anrührend, aber nie sentimental. Er ist eben einer unserer besten Underground-Poeten, dessen Sätze wie Handgranaten explodieren und kleinbürgerliche Empfindungsschablonen wegsprengen.
Ich habe gelegentlich in seinen letzten Jahren mit Manny telefoniert. Bei aller Kumpelhaftigkeit konnte er natürlich seine Provokationen nicht weglassen. Er hatte zuviel Spaß daran, Leute die Palme hochzujagen. Ich blaffte ihn an, wieso er BIGGER BANG noch nicht gehört hatte – immerhin war die neue Stones bereits sechs Stunden im Verkauf. Er meinte, die letzten Stones-Platten seien Mist. Ich sagte ihm, dass ein mäßig begabter Provinzmusiker das nicht beurteilen könne. Unsere charmante Plauderei endete damit, dass ich ihn wütend wegdrückte. Er hatte seine Arschlochqualität wieder perfekt inszeniert. Das war auch ´ne Art Stage-Show. Ein paar Tage später rief er mich an: „Ich habe mir diese beschissene Scheibe von den Rolling Stones besorgt. Ich will das Geld dafür von Dir zurück haben.“ Er hatte es echt gut drauf, auch mich auf 180 zu bringen.
Es gibt eine Live-Version von WILD HORSES (von 2003), die sogar Werner Fuchs im Suff Tränen in die Augen treibt; „Und Du weißt, wie ich zu den Stones stehe.“
Ob Manny das Buch gefällt?
Im Leben und im Tod nicht. Ich sehe ihn in der Rockn´ Roll-Hölle, wie er Morrison und Brian Jones lärmend erklärt, was für ein Arschloch der Wenske ist und überhaupt diese ganze bepisste Musik-Szene…
PS::Was sagt Wenske abschließend ? „Die Kohle geht an die Ute. Ich will an Manny nichts verdienen.“
Adieu l´ami.
Wenske/Hyde;
RED ROOSTER – Leben und Tod des Hanauer Rockmusikers Manny Herrmann und die Story von The Tumbling Dice.
Quadratformat, 120 Seiten.
Verlag Robert Richter, € 19,80
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Filed under: CHARLES BRONSON, Film, Porträt | Schlagwörter: CHARLES BRONSON, Film, Film Noir, Michael Winner, Oliver Nöding
Oliver Nödings beeindruckender Filmblog https://funkhundd.wordpress.com/ ist hier schon mehrfach gewürdigt worden. Mir fiel auf, dass er jede Menge Charles Bronson-Filme besprochen hat (nachzuschlagen unter; https://funkhundd.wordpress.com/tag/charles-bronson/ . Anlass genug, um mit ihm ein kleines CHARLES BRONSON-SPECIAL zu machen.
MC: Für mich war Bronson ein Held meiner Jugend, für den ich ins Kino gegangen bin. Deine Generation dürfte ihn völlig anders wahrgenommen haben. Wie bist Du auf Bronson gestoßen?
ON: Stimmt, im Kino habe ich Bronson leider nicht mehr bzw. noch nicht erleben dürfen. Ich glaube, meine Erstbegegnung mit ihm hat via einer VHS-Fernsehaufnahme meiner Eltern von DAS GESETZ BIN ICH stattgefunden, noch immer einer meiner Lieblingsfilme von ihm, vielleicht sogar mein allerliebster. Ich war wahrscheinlich noch im Grundschulalter, aber dieser Typ hat mir sofort imponiert, mit seinem wettergegerbten Gesicht, den zugekniffenen, kaum wahrnehmbaren Augen, dem fransigen Schnurrbart, dem Jeanslook und der Schiebermütze. Dass er sich nichts gefallen ließ, aber auch kein großes Aufheben um seine Überlegenheit machte. Sehr geliebt habe ich als Kind auch Terence Youngs RIVALEN UNTER ROTER SONNE, wobei das nicht allein an Bronson, sondern vor allem an der Verbindung zunächst anscheinend unvereinbarer Elemente lag, die man als Kind einfach lieben musste: Cowboys und Samurai. Später waren dann vor allem seine Cannon-Filme wichtig für mich, die seinerzeit immer auf RTL liefen, etwa DER RÄCHER VON BROOKLYN, DEATH WISH 4 – DAS WEISSE IM AUGE und MURPHY’S GESETZ.
Wie siehst Du die Kinofigur Bronson? Was verkörpert sie für Dich? Für uns war er damals so eine Art entwurzelter working-class-hero mit einem Hang zum anarchischen (KALTER HAUCH) oder Spießertum (KALTER SCHWEISS).
Bronson verkörpert für mich eine fast steinzeithafte Urwüchsigkeit. In seinen besten Filmen wirkt er so, als wäre er immer schon dagewesen, hätte sich irgendwann einfach aus dem Urschlamm erhoben oder aus einem Felsen herausgeschält. Er existiert außerhalb der schnöden menschlichen Gesellschaft und man weiß nicht genau, wie alt er eigentlich ist. Am besten sieht man das wahrscheinlich in Leones SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD, in dem er ja fast eine Art Geist ist, noch nicht einmal einen echten Namen trägt, aber auch in den späten DEATH WISH-Sequels, in denen er so unverwundbar wie ein Terminator oder ein Zombie durch die Kulissen walzt, eine Urgewalt. Deswegen weiß ich nicht, ob Working-Class-Hero für mich so passend ist, auch wenn Bronson von ganz unten kam und vom Typ her ein Arbeiter ist. Aber selbst wenn er arbeitet, als Melonenbauer oder als Polizist, kann man sich nur schwer vorstellen, dass er mit Kollegen übers Wetter redet oder Toilettenpapier im Supermarkt kauft. Als Repräsentant funktioniert er auch nur bedingt, dazu ist er zu sehr Einzelgänger. Und Anarchie impliziert für mich auch immer so etwas wie eine gezielte Gegnerschaft, die Entscheidung, das bestehende System aktiv abzulehnen. Mir scheint Bronsons Persona aber immer viel zu desinteressiert an so etwas. Er will eigentlich am liebsten seine Ruhe haben, möglichst wenig mit anderen interagieren. Er steht über schnöder Politik. Es gibt natürlich Ausnahmen in seiner Filmografie, vor allem in den Sechzigern, als er noch Nebendarsteller war und immer so etwas wie den einfach gestrickten, aber freundlichen Klotz spielte, DIE GLORREICHEN SIEBEN oder GESPRENGTE KETTEN wären da die Idealbeispiele. Später hat er dann ja auch ein paar Versuche unternommen, den klassischen Leading Man zu geben, meist an der Seite von Jill Ireland. Naja, und seine wahrscheinlich berühmteste Figur, Paul Kersey, ist ein typischer Konservativer aus dem gehobenen Mittelstand, der fällt auch eher raus.
Mit anarchisch ist „herrschaftslos“ gemeint, nicht die politische Strategie um Herrschaftslosigkeit (Anarchie) zu erreichen. Charlie erweckt für mich immer den Eindruck, dass er keine Autorität akzeptiert, dass er herrschaftslos und autark ist.
Kannst Du filmhistorisch irgendwelche Vorläufer ausmachen? Mir fällt spontan nur John Garfield ein. Und siehst Du Nachfolger, was die Art der Figuren angeht und die Art, wie er sie angelegt hat?
Ich fürchte, um Vorgänger zu benennen, kenne ich mich gerade im Noir noch nicht gut genug aus. Wahrscheinlich könnte man als Vorläufer auch Leute wie Cagney, Edward G. Robinson, Ralph Meeker, Paul Muni oder Robert Mitchum heranziehen, Schauspieler, die auch nicht im klassischen Sinne attraktiv waren und meist hemdsärmelige Typen spielten, die sich nicht gerne hereinreden ließen. Aber Bronson war noch von ganz anderem Kaliber, eigentlich noch weniger Schauspieler als die genannten (was nicht abwertend gemeint ist). Was seine schiere Präsenz angeht, würde ich vielleicht tatsächlich John Wayne als Vergleich nennen wollen. Der wirkte zwar anders, spielte auch andere Rollen, aber er hatte wie Bronson die Gabe, allein durch seine Anwesenheit sofort im Zentrum des Geschehens zu stehen und dabei eine ungeheure Autorität auszustrahlen. Und wahrscheinlich ist auch Steve McQueen ein „Verwandter“, auch wenn der zu seiner Hochphase zu Rollen tendierte, die stärker sophisticated waren. Dieser Stoizismus von Bronson ist heute ja eine der klischierten Eigenschaften des Actionhelden, aber die wenigsten erlauben es sich, so dermaßen auf ihre Außenwirkung zu scheißen, wie Bronson das getan hat. Es geht dann ja doch immer darum, bei aller Coolness auch noch gut auszusehen. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass der heutige Hollywoodstar eine ganze Ecke jünger ist, als es Bronson war, und einen ganz anderen Hintergrund hat. Diese welterfahrenen Charakterfressen von einst, die Bronsons, Marvins, Ryans, Holdens oder Coburns, sucht man unter den Leading Men von heute ja ganz und gar vergebens. Aber vielleicht ist jemand wie Kurt Russell heute so eine Art Äquivalent. Ein Typ, der nichts mehr zu verlieren hat, zu alt für die attraktiven Helden ist, aber den weitgereisten Veteran verkörpert, den nichts mehr erschrecken kann, weil er alles schon gesehen hat.
Wie würdest Du mit einem Satz die Quintessenz von Bronson beschreiben?
Er ist das totale Ruhen in sich selbst, uneingeschränktes, reueloses Selbstvertrauen, das niemals zurückschaut.
Was sind seine Stärken und was sind seine Schwächen?
Seine Stärken sind, wie oben schon erwähnt, seine körperliche Präsenz, die Gabe mit wenig enorm viel zu erreichen. Dieses unglaubliche Lächeln. Dass es ihm meist gelungen ist, auch dem härtesten Hund noch Menschlichkeit zu verleihen. Ich liebe auch seine Stimme, die eine gewisse Verwundbarkeit offenbart, selbst wenn sein Körper noch so stählern erscheint. Seine größte Schwäche war gewiss sein Desinteresse daran, so eine Art Karriereplan zu erstellen, stärker auf die Bedürfnisse seines Publikums einzugehen, sein Profil aktiv zu schärfen und zu konturieren. Was er aus dem Erfolg gemacht hat, dem er so lange hinterhergejagt ist, ist schon ein bisschen enttäuschend. Seine Filmauswahl nach EIN MANN SIEHT ROT ist unter künstlerisch-ökonomischen Gesichtspunkten gelinde gesagt eine Katastrophe: DER MANN OHNE NERVEN, NEVADA PASS, TAG DER ABRECHNUNG, ZWISCHEN ZWÖLF UND DREI, DER WEISSE BÜFFEL, EIN MANN RÄUMT AUF und DER SCHATZ VON CABOBLANCO sind für sich genommen schon in Ordnung (mal mehr, mal weniger), aber in diese Anhäufung eben nicht für einen der größten Stars Hollywoods. Gott sei Dank fallen in diese Zeit auch Walter Hills Regiedebüt EIN STAHLHARTER MANN und Don Siegels TELEFON, sonst sähe sie noch deutlich trostloser aus. Ich vermute, die Schauspielerei war für ihn nur ein Mittel zum Zweck, nichts woran er allzu viele Gedanken verschwendete, und ich glaube, er hielt sich auch nicht unbedingt für einen Künstler. Vielleicht ermöglichte ihm diese Haltung aber überhaupt erst, so überaus souverän und entspannt zu agieren.
Mit einigen Regisseuren hat er häufiger zusammen gearbeitet (Winner, Thompson). Welchen Stellenwert haben diese Kollaborationen in Bronsons Karriere?
Winners frühe Bronson-Filme – CHATOS LAND, EIN MANN SIEHT ROT, KALTER HAUCH – sind unantastbar und immens wichtig für die Ausprägung von Bronsons Image als Actionstar. Sein Output in den Achtzigern, für den vor allem die beiden genannten Regisseure zuständig waren, knüpft ohne Zweifel an diese Filme an. Wahrscheinlich ging es Bronson zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere nur noch darum, Geld zu verdienen. Soweit ich weiß, hat er die für die Cannon produzierten Actionfilme gehasst. Was nicht heißt, dass sie schlecht sind, aber es handelt sich meist um Genreproduktionen, in denen Bronson auf Autopilot agieren konnte, weil seine Kersey-Persona als konservativer Rächer mittlerweile in Stein gemeißelt war. Leider ist es wohl so, dass diese Filme das Bronson-Bild gerade meiner Generation entscheidend geprägt haben. Bronson, das ist für viele eben der grimmige Rächer günstiger Actionfilme, der mit eingefrorenen Gesichtszügen durch die Straßen läuft und humorlos Punks und Gesindel niedermäht. Nicht falsch verstehen, ich liebe DER RÄCHER VON BROOKLYN, halte ihn für einen bis heute eigentlich unerreichten Bastard und für einen großen Wurf Winners, und mag auch andere Filme aus Bronsons Cannon-Phase, aber vermutlich sind es diese Filme aus dem Herbst seiner Laufbahn, die verhindert haben, dass Bronson heute mit den ganz Großen seiner Zunft in einem Atemzug genannt, stattdessen eher belächelt wird. Da sind wir dann wieder bei den Schwächen: Es hat ihn nicht besonders interessiert, sein Erbe zu verwalten.
10 Lieblings-Bronsons:
Zehn Lieblinge zu benennen ist schwierig und würde ich morgen gefragt, würde ich vielleicht andere Titel nennen: EIN MANN GEHT ÜBER LEICHEN, RIVALEN UNTER ROTER SONNE, DER MANN OHNE NERVEN, TELEFON, YUKON, KINJITE oder sein Spätwerk INDIAN RUNNER sind eigentlich auch Listenkandidaten. SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD müsste eigentlich auch rein, aber das ist für mich nicht in erster Linie ein Bronson-Film. Eine Rangliste habe ich mir gespart, dafür habe ich die Titel chronologisch sortiert.
1) DAS RAUBTIER (Roger Corman, 1958): Charles Bronson in seiner ersten echten Hauptrollen als Gangster Machine Gun Kelly, lange bevor er den Durchbruch schaffte. Der Film ist auch deshalb so interessant, weil er eines der seriöseren Werke in Roger Cormans umfangreicher Filmografie ist, in der er sich meist dem Science-Fiction- oder Horrorfilm widmete. Und wie so oft waren es die Franzosen, die das als erste zu schätzen wussten.
2) DIE GLORREICHEN SIEBEN (John Sturges, 1960)/GESPRENGTE KETTEN (John Sturges, 1963)/DAS DRECKIGE DUTZEND (Robert Aldrich, 1967): Wie SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD würde ich auch diese drei Klassiker nicht unbedingt als „Bronson-Filme“ bezeichnen, auch wenn er einen wichtigen Beitrag zu ihrem Gelingen leistet. Aber ich liebe sie abgöttisch und sie gehören für mich irgendwie zusammen. Wahrscheinlich die bestbesetzten Filme aller Zeiten.
3) DER AUS DEM REGEN KAM (René Clement, 1970): Ein gleichzeitig ebenso unterkühlter wie aufgeheizter Thriller, den nur ein Franzose in dieser Brillanz inszenieren konnte. Vielleicht Bronsons vielseitigster Auftritt.
4) CHATOS LAND (Michael Winner, 1972): Bronson als Indianer, der einen rassistischen Lynchmob in sein Jagdrevier lockt und einen nach dem anderen ausschaltet. Eine Vietnamparabel mit einem unvergesslichen Schlussbild. Und Bronson als Rothaut zu besetzen, ist ein brillanter Schachzug.
5) KALTER HAUCH (Michael Winner, 1972): Ein Film, den ich nicht wirklich mag, weil man ihn eigentlich nicht mögen kann. Ein eiskalter, nihilistischer Thriller, der keinerlei Gefühle zulässt, einen als Zuschauer auf unüberbrückbarer Distanz hält. Einer der abgefucktesten und misanthropischsten Filme überhaupt, ein typischer Winner.
6) DAS GESETZ BIN ICH (Richard Fleischer, 1974): Hier stimmt einfach alles. Die Besetzung, der Look, die Musik, das Drehbuch von Elmore Leonard, das Outfit von Bronson. Wenn die Melonen, für die sich Majestyk den Buckel krumm geschuftet hat, unter dem Dauerfeuer der Maschinenpistolen in Zeitlupe zerplatzen, ist das ein Moment von nahezu unerträglicher Tragik.
7) EIN MANN SIEHT ROT (Michael Winner, 1974): Noch heute ein grotesk missverstandener und unterschätzter Film, der in über 40 Jahren nichts von seiner Brisanz eingebüßt hat. Der Schlüssel zum Verständnis des Films liegt in der Szene, in der Kersey von seinem ersten Rachegang und seinem ersten Mord nach Hause kommt, vollgepumpt mit Adrenalin, und sich erst einmal übergibt. Wer glaubt, EIN MANN SIEHT ROT sei pro Selbstjustiz, weil er nicht explizit dagegen argumentiert, macht es sich zu einfach.
8) EIN STAHLHARTER MANN (Walter Hill, 1975): Walter Hill drehte eines der besten und reifsten Spielfilmdebüts aller Zeiten. Bronson war dabei. Das reicht.
9) LIQUIDATOR (J. Lee Thompson, 1984): Ultabrutaler Selbstjustizschocker mit Bronson als Ex-Killer, der beauftragt wird, einen Folterarzt namens „Molloch“ zu beseitigen, der sich von den Diktaturen der Welt für deren schmutzige Dienste einspannen lässt. Die Anfangsviertelstunde gehört zum intensivsten und härtesten, was die Achtzigerjahre zu bieten hatten, deutliche Anklänge an die Terroregimes Südamerikas sorgen für einen dicken Kloß im Hals.
10) DEATH WISH 3 – DER RÄCHER VON NEW YORK (Michael Winner, 1985): Winner treibt die Ideen aus EIN MANN SIEHT ROT in einem geradezu absurden Szenario auf die Spitze, das den Irrsinn der Reaganomics wunderbar einfängt. Das Viertel in Brooklyn (tatsächlich wurde der Film in London gedreht), wo Gangmitglieder brave Bürger terrorisieren, ausrauben, vergewaltigen und ermorden, erinnert an eine Westernstadt, Kersey ist der ins Extrem gedachte Shane.
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Filed under: Conspiracy, GEHEIMAUFTRAG FÜR JOHN DRAKE, MiCs Tagebuch, Politik & Geschichte, TV-Serien | Schlagwörter: Deadwood, Film, Prisoner, They Live, TV-Serie
A GAME OF PAWNS
Die sogenannten Qualitätsserien, die seit der Online-Offensive Investorcapital gepushter Streaming-Anbieter wie Netflix oder Amzon (die mittlerweile auch Emmy-Sieger produzieren) Flatscreens jedweder Größe heimsuchen, sind in der Regel nichts anderes als in Hochglanz verpackte Ideologie. Sie perpetuieren die Ideologie einer Kultur, die jedem Einzelnen totale Individualisierung und Freiheit vorgaukelt und dabei verschweigt, dass diese nur demjenigen zustehen, der sich die individuelle Konsumentenfreiheit auch leisten kann. („Nichts ist umsonst. Wer nicht mit Geld bezahlt, der bezahlt eben mit seinen Daten“, sagt Facebook-Milliardär Mark Zuckerberg.)
In ihrer schonungslosen Offenheit, jedes nur erdenkliche Thema dramatisch aufzubereiten und abzuarbeiten, ob Ranküne in der Politik, transsexuelle Verwandlung in Suburbia oder schizophrene Hacker im Überwachungsstaat (um nur jüngste Erfolgsformate zu nennen), beackern die Fernsehserien – oder sollte man nicht besser „serielle Erzählformate“ sagen? – die unleugbaren Widersprüche unserer Gesellschaft. Eingebettet in die uralten Regeln des Dramas und moderne visuelle Erzählmuster, findet der Zuschauer Verhaltensbeispiele für den eigenen Umgang mit diesen Konflikten. Wenn diese ihn nicht betreffen oder er den eigenen Umgang scheut, so hat der Zuschauer zumindest eine empathische Teilnahme erfahren. (Es soll ja noch Verfechter der aristotelischen Katharsis-Theorie geben, die behaupten, das allein genüge.)
Was der Seelenhygiene dienlich erscheint, wirkt auf den zweiten Blick ernüchternd. Diese „thematische Auseinandersetzung“ ist nichts anderes, als die krampfhafte Suche nach einer neuen Oberfläche, auf der immer gleichlautende Botschaften verkündet werden: „So ist das Leben, nimm es an, amüsier dich und fühl dich besser, schwimm brav weiter mit, geh shoppen, usw.“ Die Werte dieser Serienwelten scheinen die Werte friedlich koexistierender Menschen zu sein, vielmehr von Menschen mit der Absicht friedlich zu koexistieren, was naturgemäß nicht einfach ist und deshalb tagtäglich mittels unmittelbarem Zwang oder Dronenbeschuss oder Vorratsdatenspeicherung realisiert, respektive verteidigt werden muss.
Um welche Werte handelt es sich dabei? Salopp formuliert um folgende: Du allein bist für dein Leben und dein Glück verantwortlich; Du musst kämpfen, damit dir etwas gehört; Du musst schützen, was dir gehört; Du musst deine Familie schützen und die Schwächeren in deiner Welt; Die Guten sind klar auszumachen und die Bösen auch (es sind immer die anderen); Der Zweck heiligt die Mittel; Der Kampf gegen das System ist dumm, denn das System ist gut und muss darum gegen alle verteidigt werden, die es bedrohen. (Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.)
Wer genau hinsieht, der erkennt sofort, es handelt sich um Besitzstanddefinitionen, um Varianten der Unterscheidung von mein und dein, von Freund und Feind, von Habenden und Habenichtse – Letztere sind zudem noch neidisch – um die klare Trennung zwischen Subjekt und Objekt.
Denn diese unsere Wirtschaftsordnung, die nicht nur unser ganzes Leben bis in seine kleinste Kleinigkeit dominiert, die unsere Spezies dazu bringt, wieder besseren Wissens ihre eigenen Lebensgrundlagen völlig zu zerstören, die es schafft, jede Gesellschaftsordnung zu transzendieren, und die es vermag sämtliche systemischen Widersprüche scheinbar aufzuheben, beruht einzig auf dem Prinzip dieser Trennung. Sie bedient sich dabei geschickt des biologischen Grundtriebs des Homo sapiens, seinem Arterhaltungstrieb, der sich in Selbsterhaltung der Person und in der Fortpflanzung manifestiert: in Eigennutz und Sex. (Alle weiteren Verhaltensweisen sind nichts anderes als bewährte, opportune Muster, die das Ziel der Arterhaltung erleichtern.) Egoismus und Sex sind die Triebfedern jedes Werbespots (sogar ein Bestattungsunternehmen wirbt mit geilen letzten Chillplätzen). Womit wir wieder beim Bewegtbild und seinen Inhalten angelangt wären.
Meine These zusammengefasst lautet: Alle modernen TV-Serien untermauern die Ideologie des Status quo, ihre Gesellschaftskritik ist nur ein Ventil für die unleugbaren Widersprüche der Lebensrealität der Zuschauer – ob diese sie bewusst empfinden oder nicht, ist dabei ohne belang – und zementieren somit die vorherrschende, kapitalistische Ideologie. Und solange sie das 1. Gebot der Unterhaltung befolgen, „thou shalt not be boring”, ist der Erfolg dazu auf ihrer Seite.
(Kleiner Nachtreter: Ein Gebot, gegen das deutsche Formate in der Regel verstoßen, weshalb diese auch hauptsächlich von Leuten ohne Internet oder grenzdebiler Klientel geschaut werden.)
Mir fallen nur zwei echte Ausnahmen in der großen, weiten Serienwelt ein. Die erste ist „The Prisoner”, als deren Mastermind Patrick McGoohan zeichnete, die zweite ist „Deadwood” von David Milch. Keine andere Fernsehserie reicht in ihrer scharfsinnigen, gesellschaftlichen Analyse und der damit verbundenen, schonungslosen Kritik an diese beiden Formate heran. Keine.
Jetzt werden die ausgefuchsten unter den Lesern ausrufen, „mitnichten, viele Serien differenzieren viel stärker, ihre Kritik ist eben subtil”, andere werden Worthülsen wie „Nihilismus und Zynismus” unterbringen. Das ist bestimmt euer gutes Recht, ändert aber an den Tatsachen nichts.
In der Realität des Jahres 2016 sind wir „McGoohans Prisoner“, Geiseln der schönen neuen Streaming-Serienwelt: We all are held hostage by America TV. We all are in a Game of Pawns.
Post Scriptum: Schaue im Selbstversuch abwechselnd „The Prisoner“ und „House of Cards“. Läuft die amerikanische Version des grandiosen BBC-Originals geschmeidig wie Ben & Jerry‘s Eiskrem durch (binge watching), so wirkt die bald 50 Jahre alte Prisoner-Serie derart intensiv auf Sinne und Verstand, dass es eines zeitlichen Abstands zwischen den einzelnen Folgen bedarf, zum emotionalen Nachschwingen und zur Reflexion. Sie ist heute aktueller denn je. Unglaublich.
Post Post Scriptum: Die beste Entlarvung des Kapitalismus im Kino ist nach wie vor John Carpenter’s „They Live“ von 1988. Dieser Film müsste für Grundschüler Pflicht sein.
Filed under: MUSIK, NEWS | Schlagwörter: Helmut Wenske, Manny Herrmann, News, Rolling Stones, Tumbling Dice
Lesung am Freitag, den 18. März 2016, 20 Uhr
Remisengalerie
Buchpräsentation über Leben und Tod des Hanauer Rockmusikers Manny Herrmann
Einlass: 19 Uhr
Eintritt: 10 €, Vorverkauf 8 €
Vorverkauf: Bücher bei Dausien, Salzstraße und Buchladen am Freiheitsplatz
Anlässlich des 5. Todestages des Hanauer Rockmusikers Manny Herrmann präsentiert der Hanauer Kulturverein die Neuerscheinung des Buches von Helmut Wenske Red Rooster, Leben und Tod des Hanauer Rockmusikers und die Story von The Tumbling Dice aus dem Hanauer Robert-Richter-Verlag.
Der charismatische Hanauer Ausnahmemusiker Manny Herrmann hat mit seiner Gruppe The Tumbling Dice Musikgeschichte geschrieben. In einem Ranking der wichtigsten deutschen Bands der 70er Jahre des Musikmagazins Good Times belegten sie unter den Top 10 den 5. Platz vor Orange Peel und Jeronimo. Für den Hanauer Maler und Autor des Scenesellers Rock’n Roll Tripper, der Autobiographie Scheiss Drauf!, des Bildbandes Rock’n Roll Junkie – Psychedelic Maler – Undergroundautor und des Story-Readers Sackratten Blues Helmut Wenske war Manny Herrmann einfach der beste Rock-Musiker, den diese Stadt hervorgebracht hat
Für die musikalische Unterhaltung sorgen die Sänger Thorsten Büsser von Capitano, Fibs von der Stones-Coverband Glitter Twins und Tim Cammerzell von Cliffsight sowie Nina Vabic & Nicole Epiphani, die bereits zu Mannys Zeiten als Background- und Solosängerinnen bei The Tumbling Dice aufgetreten sind. Begleitet werden sie von den Musikern der letzten Band von Manny Herrmann, Werner Fromm, Dieter Stanzel und Helmut Stichel sowie von Thomas Gomille und Martin Kurz.
Nach dem Musikprogramm werden Promotion- und Dokumentarfilme über Manny’s Musikprojekte gezeigt.
Filed under: CARTER BROWN, Crime Fiction, Krimis, Porträt, Pulp | Schlagwörter: CARTER BROWN, Paperback Originals, pulp, Trash
Angesichts der gerade eingehenden Vorschauen der Großverlage, vollgestopft mit vornehmlich weiblichen (darunter auch Männer) Autoren, ebenso untalentiert wie politisch korrekt, kommt Wehmut in mir auf, vergleiche ich das mit gutgeschriebenem Schrott…
Von allen Schundautoren – von denen es in der Kriminalliteratur wie in jeder literarischen Form reichlich gibt – ist Carter Brown r wohl der schundigste: Der König des Trash! Aber wie man von der Filmkunst weiß, gibt es schlechte schlechte Filme und gute schlechte Filme. Dasselbe gilt für die Literatur. Und unter den guten schlechten Autoren ist Carter Brown einer der besten.
Als pubertierender Jüngling habe ich ihn geliebt und mit Erregung (er war einer der besten „Stellenautoren“ der vorpornographischen 1960er Jahre; aber damals brauchte es auch nicht viel) verschlungen. In Zeiten von Internet-Porn ist es kaum noch vorstellbar, dass diese Cover und harmlosen „Stellen“ bei pubertierenden Jungs die Akne wie Erektionen aus den heißen Schädeln sprießen ließen.
Außerdem mochte ich seine völlig bescheuerten Plots und seinen Machostil, der eine Mischung aus Großmäuligkeit und Alfred E.Neumann ist. Carter Brown lieferte die Parodie auf sich immer gleich mit. Er war so ernst zu nehmen, wie das Rauchverbot für die große Pause. Später, mit zunehmenden politischen Bewusstsein, bekämpfte ich natürlich als aufgeklärter Progressiver sein sexistisches Frauenbild. Es war leicht gegen die Machoposen ideologisch anzugehen und ihn humorlos als das zu enttarnen, was auf den Klappentexten der Ullstein-Krimis und Mitternachtsbücher gedruckt war.
Doch später hatte ich dann wieder ein freundlicheres Verhältnis zu dem Großmaul, denn letztlich war er der Krimi-Autor für die erste MAD-Generation. Der Don Martin der Paperback-Originals. Vieles von seiner Faszination ist von der Zeit ausgelaugt und zur Nostalgie geworden. Einige der skurrilsten Szenen und größten Dialoge funkeln noch immer wie Waldmeisterlimonade an einem sonnigen Tag im Freibad.
Der Mann hat 262 Romane (mit den australischen Novelettes sind es gar 282) geschrieben. 223 Krimis als Carter Brown, 38 Gothics als Caroline Farr (ab 1966), einen Roman unter seinem Namen, The Cold Dark Hours (1958), und eine Autobiographie unter seinem richtigen Namen Alan Yates: Ready when you are, C.B.! : the autobiography of Alan Yates alias Carter Brown (Macmillan, 1983). Als Paul Valdez schrieb er sogar Science Fiction. Als sein ambitioniertester SF-Roman gilt Coriolanus, the Chariot! (1978).
In Deutschland sind 174 Romane erschienen (wahrscheinlich wurden Neuauflagen mitgezählt).
In 28 Jahren veröffentlichte er durchschnittlich 9,3 Romane im Jahr. Dieser Durchschnittswert vermittelt nur einen unzureichenden Eindruck seiner Produktivität: In den 1960er Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, schrieb er oft zwanzig oder mehr seiner kurzen, schnellen Bücher unter Speed.. Darunter seine besten. Die Romane sind dünn und man kann sie in ein bis zwei Stunden auf einem Sitz locker runterreißen (und ebenso schnell vergessen). Über die Gesamtauflage seiner Bücher gibt es unterschiedliche Aussagen, die zwischen 70- und 120 Millionen weltweit verkaufter Exemplare liegen.
Zu den Carter Brown-Fans zählte auch Marlene Dietrich. Als man nach ihrem Tod ihr Pariser Apartment ausräumte, fand man eine ganze Sammlung seiner Bücher.
Seinen bekanntesten Serienhelden sind Lieutnant Al Wheeler und Sergeant Polnick, der dümmste Polizist der Kriminalliteratur, aus Pine City; Danny Boyd, der immer geile Privatdetektiv mit dem klassischen Profil („Weihnachten verkleide ich mich gerne als Nikolaus um in Fahrstühlen den Damen mit einer Nadel Laufmaschen in die Nylons zu pieken.“), der Hollywoodschnüffler Rick Holman, die dumme aber aufregende Privatdetektivin Mavis Seidlitz (der erste Roman mit ihr erschien bereits 1955), der „randy“ Anwalt Randy Roberts, der Millionär Donovan (eine späte Figur, in pornographisch plakativeren Romanen, ohne den Charme der frühen Jahrzehnte), der Abenteurer Andy Kane und meine absoluten Favoriten: der Drehbuchautor Larry Baker mit seinem Partner Boris Slivka. Ich-Erzähler Baker ist ein feiger Weiberheld, und der Produzent Slivka ein elender Säufer: „Sein gehetzter Blick ließ mich unwillkürlich an einen Bernhardiner denken, der sich zwölf Meilen weit durch den Schneesturm gekämpft und gerade entdeckt hat, dass sein Rumfäßchen ausgelaufen ist.“
Literaturhistorisch ist Brown ein direkter Nachfolger der Spicy Pulps, bei denen der Held seine Ermittlungen vorzugsweise in den Schlaf- und Ankleidezimmern durchführt und den Frauen dauernd der Rock hochrutscht „so dass man über dem Strumpfrand eine Handbreit nacktes Fleisch sehen konnte“. Autoren wie Robert Leslie Bellem mit seinen Geschichten um den Hollywood-Detektiv Dan Turner hatten in den 1940er Jahren ungeheuren Erfolg.
Carter Brown war das wichtigste Pseudonym von Alan Geoffrey Yates (er veröffentlichte ebenfalls als Peter Carter Brown und Dennis Sinclair). Er wurde am 1.August 1923 in England geboren. Nach der Schulzeit in Essex trat er in die Royal Navy ein und nahm am Pazifikkrieg teil. Er beendete seinen Dienst 1947 im Range eines Unterleutnants. Wie so viele, die Asien oder die Südsee in ihren Bann zogen, blieb auch Brown nach dem Krieg dort hängen. Zuerst in Hongkong, dann ging er nach Australien. Dort heiratete er Denise Sinclair Mackellar, mit der er eine Tochter und drei Söhne hatte. Er hatte sie 1945 während eines Urlaubs in Sidney kennen gelernt. Für kurze Zeit lebten sie in England, wo er bei der BAF arbeitete. Die Arbeit befriedigte ihn nicht und er schrieb nebenher Artikel und Radioskripte, die abgelehnt wurden. 1948 ging das Paar nach Australien und Brown arbeitete von Sidney aus als Handlungsreisender eines Weinhandels; von 1949 bis 1951 war er Mitglied der Public Relations-Abteilung der australischen Fluggesellschaft Quantas. Abends notierte er Western für Invincible Press für ein Pfund pro 1000 Worte! Dann ermöglichte ihm der Pulp-Verlag Horwitz die Mitarbeit. Unter den Pseudonymen Paul Valdez und Tod Conway schrieb er in so ziemlich jedem Genre: Von SF über Krimis bis Horror.
1951 erschien seine erste Novelle unter dem Pseudonym „Peter Carter Brown“: The Lady is Murder. 1953 veröffentlichte er seinen ersten Roman: Murder is my Mistress, angeregt – wie er in einem amerikanischen Fernsehinterview sagte – durch den Erfolg von Mickey Spillane. Seine ersten fünfzig Bücher erschienen ausschließlich in Australien – zuerst bei Transport, dann ab 1954 bei Horwitz Publications in Sidney. Horwitz zahlte ihm wöchentlich dreißig Pfund als Vorschuss auf die Tantiemen. Brown unterzeichnete einen Vertrag, der ihn verpflichtete, dreißig (!) Jahre lang monatlich zwei Novellen und einen Roman abzuliefern.
Er schrieb locker 40 000 Worte am Tag und wenn er mal 48 Stunden durcharbeitete, schluckte er Dexedrin. Trotzdem bekam er Ende der 1950er Jahre Probleme, die Termine zu halten. Horwitz halbierte daraufhin die monatlichen Forderungen 1961. Es wird gemunkelt, dass in dieser Zeit einer seiner Signet-Lektoren, C.J.McKenzie, ein halbes Dutzend Carter Brown-Romane schrieb. Robert Silverberg soll ebenfalls zwei „Carter Brown-Romane“ geschrieben haben, die aber von Signet nicht akzeptiert wurden.
Das erste Land, in dem seine Bücher übersetzt wurden, war Finnland.
Nachdem Horwitz 1958 ein Paperbackdeal mit New American Library (Signet Books) gelungen war, erschienen seine Bücher auch in den USA, wo sie sofort Erfolg hatten, obwohl Brown die Staaten nur aus Romanen und Filmen kannte.
Einer seiner Lektoren bei Signet war E.L. Doctorow.
Laut Bill Pronzini teilen sich Carter Brown und Erle Stanley Gardner den zweiten Platz hinter Mickey Spillane als die in den USA meistverkauften Krimiautoren (zumindest bis in die 1980er Jahre). Nicht geringen Anteil daran hatten die vielen großartigen Cover von Robert McGinnis und Barye Phillips. Die Romane wurden in 29 Sprachen übersetzt und in den 1990ern sogar ins Russische. 2007 registrierte man über 3000 Ausgaben in 29 Sprachen. Ausgangspunkt für den weltweiten Erfolg war der Deal mit Signet, der für Aufmerksamkeit sorgte. Bereits wenige Jahre später wurden seine Bücher in 14 Sprachen übersetzt – darunter deutsch, französisch und japanisch (dort wurde er in der edelsten Crime Edition in aufwendig gestalteten Büchern veröffentlicht).
Yates war ein Familienmensch – das Gegenteil seiner Helden. Zehn Jahre lebte er in England, dann in Hongkong und schließlich in St.Ives, Sidney.
Yates starb am 8.Mai 1985; sein letzter Roman war 1981 erschiene. Aber da war seine große Zeit längst vorbei. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges in den 1960ern, brachte Signet seine Bücher sogar als eigene Reihe heraus.
Die Kritik hat ihn nie gemocht. Zu trashig, zu pulpy. Besonders in den 1970er Jahren wurde er wegen seines Frauenbilds zur Zielscheibe. Sein Problem war es, dass er ernst genommen wurde. Wie Henry Kane begann er seine späteren Romane pornographisch aufzurüsten um gegen den schwindenden Erfolg anzuschreiben. Dabei blieb sein bescheuerter Pin-Up-Charme auf der Strecke. Spätestens ab 1975, als Signet auch die gemalten Cover durch Foto-Cover ersetzte, verlor Brown endgültig seinen Reiz: sein naiver Playboy-Sexismus wurde immer häufiger zu langweiliger Pornographie mit sadistischen Tönen, der Humor wirkte platter und aufgesetzt. Seine Zeit war vorbei und alle Versuche, sich den freizügigeren 70ern anzupassen, nur peinlich.
Seine deutschen Veröffentlichungen wurden zu Beginn der 1980er Jahre gestoppt, als die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften den Heyne-Band Donovan und das süsse Leben indizierte. Neben dem Desch-Verlag und Ullstein war es der Heyne Verlag, der als dritter und letzter Verlag Carter Brown in Deutschland veröffentlichte.
Zwischen 1956 und 1958 hatte er sogar eine eigene Radio-Serie The Carter Brown Mystery Theatre.
1982 führte die Sydney Theatre Company eine Musicalversion seines Romans The Stripper von 1961 auf! Adaptiert und inszeniert wurde es von Richard O´Brien, dem Schöpfer der Rocky Horror Picture Show.
Die einzige mir bekannte Verfilmung ist eine französische Komödie: Blague dans le coin (1063) von Maurice Labro mit Fernandel nach Curtains for a Chorine (1955). 1958 wurde auch von Horwitz ein Carter Brown-Comic-Magazin veröffentlicht. Insgesamt gab es wohl drei oder vier Comic Books mit den Romanhelden.
Die Romane nehmen sich genauso wenig ernst, wie ihre Helden oder die Plots. Jeder besteht aus einer immer wieder geschüttelten Mischung aus Sex, Action und Humor. Immer dasselbe – aber anders.
Browns Protagonisten sind vor allem geile Lustmolche. Und sie kommen voll auf ihre Kosten: Mindestens drei (Blondine, Brünette, Rothaarige) Frauen kreuzen pro Roman ihren Weg. Fast immer ist auch eine bösartige Sadistin (lesbisch oder frigide) darunter, die dem Helden arg zusetzt. Zum Glück für ihn lauern aber auch immer eine geile, tumbe Blondine oder eine temperamentvolle Rothaarige auf den Seiten.
Vorgestellt werden sie natürlich immer mit ihren Maßen: „Sie hat die Art Figur, die die Modezeitschriften fast an den Rand des Ruins brachte, als sie versuchten, sie als unmodern hinzustellen.“
Brown war ein echtes Produkt der Playboy-Kultur der 50er Jahre. Aber im Grunde besteht der gesamte Brownsche Kosmos aus Mistkerlen, Idioten und gemeinen oder tumben Frauen.. Auch die Helden, die fast immer Ich-Erzähler sind, wecken beim Leser keine ungebremste Sympathie. Wenn sie sabbernd hinter einem kreischenden, fast nackten (nur noch mit „pulverblauen Höschen“ bekleidet) Mädchen herjagen, bleibt beim Leser, angesichts der Brownschen Trottel, ein klares Überlegenheitsgefühl zurück. Sex ist nichts anderes, als ein Handelswert.
Das Motiv der Bösewichter ist meistens Geldgier. Geld und Sex sind die Götter in Browns kapitalistischer Welt. Die Gier nach beiden sind die stärksten Antriebskräfte. Eine oberflächliche Kapitalismuskritik, die dem ganzen Hard-boiled-Genre innewohnt, liefert auch Brown ab. In seinen Romanen ist jeder korrumpierbar. Seine Helden haben sich damit abgefunden, dass das System nicht besiegt werden kann – soweit sie zu diesen intellektuellen „Erkenntnissen“ überhaupt in der Lage sind. Sie haben sich eingerichtet und machen ihren Job um dabei soviel Spaß wie möglich zu haben. Kapitalistischer Hedonismus, der selbstverständlich als Ware seinen Preis hat. Browns kurze Romane sind als Wegwerfprodukte konzipiert. Man liest sie wie man Zigaretten raucht: Ist die Packung beendet, zerknüllt man sie und kauft eine neue derselben Marke, ohne Erinnerung an die vorherige.
Sein kapitalistisches Amerika ist nicht in regionalen oder kulturellen Besonderheiten verankert; es ist ein allgemeinverständliches Disneyland des Kapitalismus. Darauf beruht zum Teil sein gigantischer Erfolg in fast allen westlich orientierten Ländern während des Kalten Krieges und anschließend im Mafia-Russland des Tanzbären Jelzin. Indische oder japanische Konsumenten begreifen jedes Wort genauso wie finnische oder französische.
Browns Erfolgskurve ist ganz ähnlich wie die der Playboy-Kultur.
Alle Kritik ändert nichts an der Tatsache, dass Brown ungeheuer komisch sein konnte. Ein paar Kostproben gefällig?
„Der Kellner tanzte um mich herum, wie ein kurzsichtiger Vampir auf der Suche nach der Halsschlagader.“
„Das Haus sah aus, als würde es dem jährlichen Termitenkongress als Tagungsort dienen.“
„Dieser Hammond! Erzähl ihm, die Welt ist eine Scheibe, und er wird nie wieder nach Mexiko runterfahren, aus Angst, er könne über den Rand fallen.“
„Ihre Oberweite vibrierte nervös unter dem durchsichtigen Stoff, und ich vermute, das folgende, leichte Zischgeräusch rührte daher, dass meinen Augen die Sicherungen durchbrannten.“
„Do you go to the movies often, Lieutenant?“ she asked politely. „Once,“ I said, „to get in out of the rain. A thing called Birth of a Nation. I figured it was about sex, but I got gypped.“
Große Klasse waren auch die deutschen Titel (mit Lektorin Jutta Wannenmacher war damals sowieso bei Ullstein eine Magierin der Klappentexte und Titel am Werk). Sie waren meist besser als die Originaltitel. Ein paar Beispiele gefällig?
Ackerbau und Unzucht,
Amok der Amazonen,
Falltür: Bitte klopfen,
Grober Unfug mit Blondinen,
Ein gutes Jahr für Zwerge,
Haschen mit Hexen,
Hölle mit Vollpension,
Hulamädchen auf Abwegen,
Täglich frische Leichen,
Strandparty für Mörder,
Schwere Last mit leichten Mädchen,
Sexpertin in Mord,
Mord ist kein Metier für Mädchen,
Immer eine Frau auf Eis,
Drei Unzen Agonie.
Browns gesamte Komik erschließt sich aber erst völlig im Zusammenhang mit den aberwitzigen Plots. Und den häufig irrwitzigen Schauplätzen (etwa die mittelalterliche Burg auf einer Pazifikinsel in Falltür-Bitte klopfen), Diese unglaublich dämlichen Handlungsentwürfe runden seinen Stil angemessen ab. Carter Brown ist der hässliche Chauvinist, der alle Chauvi-Klischees drauf hat. Das macht ihn fast zu einen subversiven Autor! Denn die ewigen, übersteigerten Wiederholungen führen diese Denkmuster ad absurdum. Außerdem entgleiten die Szenen häufig zu literarischen Slapstick. Dann haben seine Helden mit den Keystone-Cops mehr gemein als mit Mike Hammer. Wobei man bei Brown nie derartige Härte und Brutalität findet wie bei Spillane.
Wie gesagt: Meine persönliche Lieblingsserie ist die leider kurzlebige um Baker & Slivka. in ihnen treibt Brown alles auf die Spitze und entwickelt fast soetwas wie eine surrealistische Qualität. Wer sich über einen Roman ärgert, der auf einer altenglischen Burg auf einer Südseeinsel spielt, ist selber schuld.
In Deutschland ist Carter Brown schon lange nicht mehr lieferbar. In einem modernen Krimi-Programm hätte er auch keinen Platz mehr (obwohl der heutzutage veröffentlichte charmelose Schwachsinn schon recht erstaunlich ist). Aber antiquarisch ist er mehr denn je erreichbar, dank dem Internet. Und das wahre Feeling stellt sich sowieso nur bei den alten Ullstein-, Mitternachts- und Signet-Ausgaben ein.
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