Martin Compart


GOD IS A BULLET als Sammleredition by Martin Compart
1. Dezember 2023, 2:14 pm
Filed under: Boston Teran, Film, NOIR-KLASSIKER | Schlagwörter: , , , ,

Die sorgfältigen capelighr picture-Editionen der Alive AG genießen unter Film-Fans größte Anerkennung; ein ökonomischer Lichtblick in Zeiten kultureller Rationierung. Und ihre Präsentation von GOD IS A BULLET bestätigt das. Neben dem Director´s Cut in bester Qualität gibt es hochinteressantes Zusatzmaterial (siehe unten). Abgerundet wird alles durch einen schön bebilderten und lesenswerten Artikel des Filmkritikers Nando Rohner: EINE REISE IN DIE FINSTERNIS. Rohner beschreibt den über zwanzig Jahre währenden Prozess vom Verkauf der Filmrechte (der Roman war 1999 erschienen) bis zur vorliegenden Interpretation durch Nick Cassavetes, der ihn in seiner Zeit als Literaturprofessor entdeckt haben soll.

Der Film ist äußerst brutal – was ihm häufig vorgeworfen wird. Aber er plakatiert keine falsche Grausamkeit im Gegensatz zu so manchen jugendfreien Medien.

Nicht nur ein Muss für Fim noir-Fans, auch ein Muss für Boston Teran-Afficionados. Man kann sich über Cassavetes Umsetzung des Romans sicherlich vortrefflich streiten. Tatsache ist: GOD IS A BULLET ist der düsterste, eigenwilligste und eindrucksvollste amerikanische Film noir seit ewigen Zeiten. Eine gelungene Alternative zu Hollywoods Blockbuster, die nichts über die Qualität der 7.Kunst aussagen, aber eine Menge über den Geisteszustand der Massen.

Dieser Film gehört bereits heute zum Kanon der Kult-Filme. Somit auch eine Würdigung der Literatur von Boston Teran.

P.S.: Alleine der Soundtrack ist ein eigenes Album wert.


https://shop.alive-ag.de/gesamtkatalog/35437/god-is-a-bullet-2-disc-limited-collector-s-edition-im-mediabook-uhd-blu-ray-blu-ray?sPartner=albrdsc2020

God Is a Bullet – 2-Disc Limited Collector’s Edition im Mediabook (UHD-Blu-ray + Blu-ray)
32,95 €
Filminfos:
Originaltitel: God Is a Bullet
Produktionsland: USA, Mexiko 2023
Regie: Nick Cassavetes
Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Maika Monroe, Jamie Foxx, Karl Glusman

FSK: Keine Jugendfreigabe

Technische Spezifikationen:
Sprache / Ton: Deutsch DTS-HD MA 5.1, Englisch DTS-HD MA 5.1
Bildformat: 2,35:1 (4K, HDR10+, HDR10), 2,35 – 1 (1080p)
Untertitel: Deutsch, Englisch
Laufzeit: 155 Minuten

Bonusmaterial:
US-Kinotrailer, Deutscher Trailer, Making-of
Anzahl Discs: 2
Genre: Thriller
Barcode: 4042564235364



BOSTON TERAN-VERFILMUNG by Martin Compart
25. August 2023, 9:51 am
Filed under: Boston Teran, Elsinor Verlag, Film, NOIR-KLASSIKER | Schlagwörter: , , ,

Ursprünglich wollten wir bei Elsinor die Boston Teran-Edition mit dem Erstling GOD IS A BULLET starten. Aber wir haben uns dann für GARDEN OF GRIEF entschieden. Dieses Jahr ist nun endlich die Verfilmung von GOD IS A BULLET in die US-Linos gekommen; es hat Jahrzehnte gedauert, das er realisiert wurde.

https://ok.ru/video/5889304300190



unfreundliches über den „Meister“. Unverschämt! by Martin Compart

Mit Dank an Jochen König, der dieses zweifelhaft und despektierliche „Dokument“ in mein tränenreiches Bewusstsein getrieben hat.



TONY ARZENTAs TÖDLICHER HASS by Martin Compart
16. Dezember 2022, 1:37 pm
Filed under: Alain Delon, Film, Noir | Schlagwörter: , , , , ,

Der Sizilianer Tony Arzenta (Alain Delon) lebt in Mailand und ist Auftragsmörder der Mafia.
Noch am Geburtstag seines einzigen Sohnes erledigt Tony einen letzten Job, denn er will ein anderes Leben und bittet die Bosse, seine Entscheidung zu akzeptieren. Doch so einfach ist das dann doch nicht, denn er weiß zu viel, weswegen seine Chefs – der Pariser Carrè (Roger Hanin), der gebürtige Deutsche Grünwald (Anton Diffring), der Mailänder Rocco Cutitta (Lino Troisi) und der Italo-Amerikaner Nick Gusto (Richard Conte) – versuchen, ihn mit Hilfe einer Autobombe loszuwerden.
Bei dem Anschlag sterben Arzentas Kind und seine Frau direkt vor seinen Augen in seinem Auto. Arzenta sinnt auf Rache. Mit Hilfe von Freunden gelingt es ihm unterzutauchen. Er beginnt einen Rachefeldzug und zieht eine Vernichtungsschneise durch Europa.

TÖDLICHER HASS oder TONY ARZENTA (auch BIG GUNS oder NO WAY OUT) ist ein absolut sehenswerter Film, aber keinesfalls das Meisterwerk, als das man ihn mit der längst überfälligen ungekürztem Neuveröffentlichung verkaufen möchte.

Denn im letzten Drittel wird der anfängliche Stoizismus (auch im ansonsten beeindruckenden Spiel von Delon) nicht mehr konsequent durchgehalten. Aber es ist natürlich schön, dass dieser lange in Deutschland unzugängliche Film endlich verfügbar ist.

Der Film von Regisseur Duccio Tessari aus dem Jahr 1973 mit Alain Delon in der Hauptrolle wurde on location in Mailand, Paris und Kopenhagen und in den Dear Studios, Rom, gedreht.

TÖDLICHER HASS ist ein echtes Starvehikel für Delon.

Der Film wurde wohl auch durch zwei Faktoren inspiriert: Der Co-Produzent Delon hatte direkt zuvor mit seinen selbst produzierten Filmen MADLY, DOUCEMENT LES BASSES und OKTOBER IN RIMINI wirtschaftliche Misserfolge eingefahren. Sicherlich auch wegen der ungewöhnlichen Rollen, die er darin spielte und die den Großteil seines „Stammpublikums“ nicht ansprachen. Da kam dem Inhaber von Adel Produktion die vom PATEN ausgelöste Mafia-Welle gerade recht, um seinen wertvollsten Schauspieler imageentsprechend als Gangster in Szene zu setzen.

Delon dominiert den Film mit seiner stahläugigen Präsenz, unter deren stoischer Oberfläche eine lebenslange Sehnsucht und Schmerz existieren. Tatsächlich wurde Arzenta durch jahrelanges kaltblütiges Töten abgehärtet, aber Delon macht deutlich, dass das eisige Herz des Charakters dank der Liebe seiner Familie zu tauen begonnen hatte.

Noch wichtiger ist jedoch, dass der Film immer wieder die Idee verstärkt, dass Arzentas‘ Liebe zu seiner Frau und seinem Sohn keine Schwäche darstellt, sondern eine neu gefundene Stärke, die ihm die Fähigkeit verleiht, sich in andere einzufühlen und den Wert des menschlichen Lebens zu verstehen. Als Arzenta Zeuge der Explosion wird, die seiner Frau und seinem Kind das Leben kostet, bleibt sein Gesichtsausdruck ruhig und distanziert, aber seine Augen zeigen all das Entsetzen und die Angst, die er in diesem Moment empfindet. Delon vermittelt all dies subtil und schafft durch seine Performance einen Charakter, der an Jef Costello (und eine Vielzahl anderer filmischer Mafia-Killer) erinnert, während er immer noch völlig unverwechselbar und ikonisch erscheint.“ (Chris’s Cult Catalogue: No Way Out)

Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung war TÖDLICHER HASS dank Delons Star-Appeals ein großer Erfolg an den Kinokassen, wobei die Kritiker nicht sonderlich angetan waren, den Film eher oberflächlich beurteilten und hauptsächlich die angeblich abgenutzten Klischees und damals ungewohnte Brutalität zur Kenntnis nahmen.

In Deutschland schlug umgehend die Staatsanwaltschaft zu, und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften besorgte dem Film eine jahrzehntelange Indizierung.

„Der Film ist nichts als eine schier endlose, stumpfsinnige Aneinanderreihung unappetitlichster Gewalttaten zwischen schick arrangierten italienischen Industrie Designs.“
( Die Zeit vom 1. Februar 1974)

„Ein zynischer Actionfilm mit Glorifizierung brutaler Gewalt, distanzloser Verherrlichung eines Massenmörders und billigster ‘Zehn-kleine-Negerlein-Dramaturgie’. Delon auf dem Tiefpunkt seiner Karriere. Ein Actionfilm unter jeder Kritik.“ vermerkte noch im Oktober 1987 das Lexikon des internationalen Films (herausgegeben vom Katholischen Institut für Medieninformation e. V).

Das bürgerliche Feuilleton verband in der Genrekritik damals (?) meisterlich Arroganz mit Ignoranz.

Inzwischen beurteilt eine neue Generation Kritiker den Film anders:

Dieser ausgezeichnete Film verbindet auf wundersame Weise das kühl berechnende französische mit dem emotionsgeladenen italienischen Gangsterkino. (…) Der Film ist wirklich gut gemacht: Eine bekannte und in wenigen Worten zu umreißende Geschichte wird mit geradliniger Brutalität und guten schauspielerischen Leistungen präsentiert. Das Aufgebot an Schauspielern ist als fast sensationell zu bezeichnen.“
(Karsten Thurau: in Der Terror führt Regie – Der italienische Gangster- und Polizeifilm“ von Michael Cholewa und Karsten Thurau, S. 194, 2. Auflage 2008)

Duccio Tessaris Gangsterfilm ist vielleicht das erfolgreichste Beispiel für die Vermischung von italienischem Giallo- Stil und französischem film noir. Ihm mangelt es an der Kälte und Melancholie des französischen Stils, und der italienische Sadismus und nervöse Aktionismus beherrscht den Film.

Zusammen gehalten wird er durch Delon, der aber nicht verhindert, dass das konzeptionell gute Ende entgleist.

„Tessari (und Delon) gelingt es, einen der beeindruckendsten Antihelden italienischer Kriminalfilme zu kreieren. Tony Arzenta stellt einen einsamen, melancholischen Charakter dar, der seinem Schicksal ohne Chance auf Erlösung bis zum bitteren Ende folgen muss und sich dabei vollends bewusst ist, dass er letztendlich an übermächtigen Kräften scheitern wird. Doch hier gibt es noch viel mehr zu entdecken. Tödlicher Hass legt nämlich eine stilistische Opulenz an den Tag, die im italienischen film noir noch nie zuvor gesehen worden ist. Die besondere Beachtung des Dekors wird durch Silvano Ippolitis wunderschöne Kinematographie unterstrichen, die eine chromatische Palette aus flammenden Rottönen und blendendem Weiß in den Innenszenen präsentiert und es bestens versteht die eisige sowie neblige Mailänder Umgebung einprägsam einzufangen. Die Actionszenen (in denen Delon bei Autoverfolgungsjagden teilweise seine eigenen Stunts macht) sind durchweg als hervorragend zu bezeichnen, während sich die Gewalt so unvorhersehbar wie plakativ präsentiert.“ (Von BLUNTWOLF , am 23. Januar 2022)

Feministinnen werden ihre helle Freude am Frauenbild haben.

In einer so gewalttätigen und düsteren Welt stellen Frauen nur entbehrliche Schachfiguren dar. Sie werden ermordet, geschlagen, gedemütigt und missbraucht, so wie Carrès (Hanin) lang leidende Geliebte Sandra, die in einer extrem gewalttätigen Szene von Cuttitas Männern zu Klängen klassischer Musik brutal zusammengeschlagen wird. „Du kannst hier bleiben, wenn Du willst“, sagt Delon zu Sandra, die Zuflucht in seiner Wohnung sucht, nachdem sie ihm geholfen hat, den sadistischen Carrè zu finden sowie zu töten, „aber lass mich Deine Anwesenheit nicht zu sehr spüren.“

Tessari hüllte Europa von Mailand bis Stockholm im wahrsten Sinne des Wortes in einen Nebelschleier (die Drehzeit fand vom 30.1. bis Ende März 1973 statt). Er nutzte die klimatischen Verhältnisse, um den Zuschauern zu suggerieren, dass ganz Europa bereits unter dem Nebel der Mafia liegt. Und ganz nebenbei zeigt er, das Deutschland 1973 nicht nur Rückzugsgebiet der Mafia war, wie von der deutschen Politik bis 1990 behauptet). ). Von den italienischen Anti-Madia-Filmen übernahm Tessari die Sichtweise, dass sie Mafia nicht in einer internationalen Gefahrenregion angesiedelt ist, sondern sich in der europäischen Normalität eingerichtet hat. Seine Mafiosi verhalten sich nicht nur böse, sie sind es.

Tessari spielt auch effektiv mit ungewöhnlichen (aber genau kalkulierten) Kameraeinstellungen. Sehr schön, und zum Teil nie gesehen, bei den Autojagden. Der „nervöse“ Inszenierungsstil vieler Szenen wird häufig konterkariert durch elegische Beratungsszenen (dümmlich gekürzt in der deutschen Kino-Fassung) der Mafia-Geschäftsleute.

Das sorgt für einen weiteren Subtext: Delon war ein funktionierendes Rädchen im Getriebe des profitorientierten Wirtschaftssystems, bis er durch emotionale Erfahrungen ein anderes Wertesystem aufrief. Dies konnte von den Profiteuren nicht hingenommen werden, da es ihre Grundlagen bedroht. Beim Versuch den Aussteiger final auszuschalten, töteten sie versehentlich sein neugewonnenes Wertesystem mit der Folge, dass er das alte System nun gegen es selbst anwendet.

Anders als bei den meisten Gialli, die entweder auf der Popularität von bekannten Schauspielern setzen oder bewährte Genremuster verfremden und „ ausbeuten“ (oder beides), gelingt Tessari ein völlig eigenständiger Film, unterfüttert von Subtexten.
Am Ende etwa stirbt Tony, weil er sich immer noch an die Regeln hält, die alle anderen mit Füßen treten.

Nihilismus, der Melville als Romantiker bestätigt.

ZUR EDITION:

Extras:
Audiokommentar mit Leonhard Elias Lemke
Original Kinotrailer
40seitiges Booklet mit einigen Bildern und Texten von Steffen Wulf (nicht bei der dvd)
Bildergalerie

Zwei Blu-rays oder dvds mit zwei unterschiedlichen Schnittfassungen (Internationale Fassung + dt. Kinofassung). Englische, italienisch, deutsch; Delon spricht die englische Synchronisation selbst. Der Ton der alten deutschen Synchronisation ist so erbärmlich, dass man lieber eine anderssprachige wählen sollte.



INTERVIEW MIT DR. HORROR by Martin Compart
11. Oktober 2022, 12:25 pm
Filed under: Dr. Horror, Film, Rolf Giesen, Sekundärliteratur | Schlagwörter: , ,

https://buchmarkt.de/menschen/was-wirklich-fehlt-ist-eine-kriminalgeschichte-des-films-besonders-der-wirtschaftskriminalitaet/



IM HERBST 2022:KENNETH FEARING BEI ELSINOR by Martin Compart




Jürgen Rolands bester Film by Martin Compart
24. Februar 2022, 2:03 pm
Filed under: Film, GÜNTHER UNGEHEUER | Schlagwörter: , , ,



KINO, WIE ES KEINER MAG by Martin Compart
29. Dezember 2021, 10:44 am
Filed under: Film | Schlagwörter: ,

Er wirkt wie ein liberaler Evangelist, aber er sagt treffende und kluge Analysen.



TOM CLANCY GNADENLOS GEGEN DEN STRICH GEBÜRSTET by Martin Compart

Als russische Soldaten seine Familie als Vergeltung für seine Beteiligung an einer streng geheimen Operation der Navy SEALs töten, verfolgt Sr. Chief John Kelly die Mörder. Er tut sich mit seiner Kollegin Karen Greer und dem CIA-Agenten Robert Ritter zusammen. Hierbei kommt er unbeabsichtigt hinter das Geheimnis einer Verschwörung, die versucht, die USA und Russland in einen Krieg zu verwickeln. Kelly ist zwischen dem Pflichtgefühl, seine Familie zu rächen, und der Loyalität gegenüber seinem Land hin und her gerissen.

Der Film GNADENLOS (WITHOUT REMORSE) basiert auf Clancys Roman von 1993 WITHOUT REMORSE, der den Vietnamkrieg als Hintergrund hat und John Clark als spin-off in das Jack Ryan-Universum einführt. Das zehn Jahre alte Drehbuch war von Shawn Ryan (THE SHIELD) geschrieben worden und wurde von Taylor Sheridan (WIND RIVER, YELLOWSTONE) überarbeitet.

Tom Clancy hätte wahrscheinlich einen Infarkt bekommen, hätte er diese düstere Interpretation seines Werkes noch erlebt! Denn vom Superpatriotismus seiner Bücher – Trump wäre sicherlich Clancy-Fan, wären die Romane nicht zu anspruchsvoll für ihn – bleibt in diesem düsteren Film nicht viel übrig.

Ich lasse mich sogar zu der kühnen Bemerkung hinreißen: Clancy goes noir!

Der Film kommentiert die zunehmende Spannungserhitzung der USA/des Westens und Russlands. Um die innerlich gespaltenen US-Staaten wieder zu einen, bedarf es wieder eines großen, mächtigen Feindes, denn „nicht die Militärs haben den 2. Weltkrieg oder den kalten Krieg gewonnen, sondern die Ökonomen. Der beste Feind, den wir je hatten, war die Sowjetunion. Mehr Panzer, mehr Waffen – das hat die Ökonomie stark gemacht und uns wohlhabend“, so Guy Pearce als Secretary Clay.

Dafür müssen dann auch eigene Delta Force-Soldaten, CIA-Agenten und ihre Angehörigen über die Klinge springen. Denn im Film provozieren die Mächtigen der USA nicht mit der Einkreisungspolitik der NATO die Russen, sondern durch getürkte Kommando-Unternehmen, die in beiden Ländern breite Blutspuren hinterlassen.

Atemberaubend glaubwürdig gefilmt durch Regisseur Stefano Sollima (GOMORRAH) sind besonders die unrealistischen Action-Szenen (die den Großteil des Films einnehmen). Seine bösartige Adaption zeigt beeindruckend den aktuellen zivilisatorischen Zustand der kapitalistischen Machteliten.

Gut, das es noch Filme, Romane oder TV-Serien gibt, die nicht behaupten, was Amerika sein könnte, sondern was es ist.



FILMKRITIK BLACKOUT – Sternstunden des Schwachsinngelabers by Martin Compart
25. November 2021, 7:14 pm
Filed under: Film, Rezensionen, Sternstunden der Verblödung | Schlagwörter: , ,

In Hollywood Blackout widmet sich Filmautor Christian Keßler der ebenso hartgesottenen wie vielfältigen Tradition des klassischen Noir-Kinos der USA, die von etwa 1940 bis 1960 währte. An der Seite von Legenden wie Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Burt Lancaster, Ava Gardner und vielen anderen durchstreift er die dunklen Bezirke von Hollywood, wo Gesetze nichts wert sind und Menschenleben noch viel weniger. Über 27.000 Minuten aufregenden Kinos werden besungen. Viele dieser Minuten können Leben verändern. Manche können sie auch beenden. Ein tiefschwarzer Reigen der Gangster, der Gestrauchelten und der Geläuterten, zeitlos und wunderschön.

Christian Keßler
Hollywood Blackout
Sternstunden des amerikanischen
Noir-Kinos 1941–1961
376 S., geb. Hardcover, farb. Abb.
ISBN 978-3-927795-90-7
Euro 35,00

Ich wollte dieses Buch mögen!

Denn beim ersten in-die-Hand-nehmen beeindruckt es sofort durch optische und herstellerische Qualität.

Aber dafür ist es leider zu textlastig und die unfreiwillige Komik des Autors trägt natürlich nicht über lange 370 Seiten.

Bestes zuerst: Das Buch ist gespickt mit Farbillustrationen (farbige Filmplakate zu jedem Artikel) und Schwarzweiß-Abbildungen in bester Druckqualität. Außerdem behandelt es zahlreiche Filme der Epoche, die man nie oder selten zu sehen bekommt. Leider gibt es zu keinem Film eine auch nur rudimentäre Credit-Leiste (aber die Credits könnte man sich im Netz oder aus Standardnachschlagewerken parallel zur eventuellen Lektüre zusammensuchen; doch selbst die ausführlichsten Stabangaben hätten das Buch nicht retten können).

Die Gestaltung von Jürgen Frohnmaier ist atemberaubend schön. Optisch ist das Buch ein Prachtband, der in jede Bibliothek mit Sekundärliteratur zum Noir-Film gehören sollte, wären da nicht diese Texte, die kein Lektor hätte retten können, bedauerlich in ihrer pubertären Ich-Bezogenheit voller ungeschickter bis mehr als peinlicher Formulierungen.

Die subjektivistische Herangehensweise ist – um es im Jargon des Autors zu sagen – meine Sache nicht. Dadurch strotzen die Texte von unfreiwilliger Komik und es wimmeln nur so von nicht belegten subjektiven Behauptungen. Des Weiteren erinnert der ungeschickt flapsige Stil an Schülerzeitungs- oder Fanzine-Besprechungen aus längst vergangen Zeiten:

Das Drehbuch von Sydney Boehn und Melvin Wald (beide Könner!“ (The Undercover Man))

„…niemand hält es für nötig, ihm Geld abzugeben, denn alle gehen davon aus, daß er schwer Dresche bezieht.“ (The Set-Up)

„Eine gewohnt saubere Fox-Verfilmung von Chandlers THE HIGH WINDOW, die sicherlich nicht die umwerfende Qualität der beiden Laird-Cregar-Lattenkracher von Brahm erreicht… Montgomery war ursprünglich ein Boxer gewesen. Sein Gesicht wurde ihm aber scheinbar niemals zerdellt, denn er stellte es eine ganze Zeit lang für die Fox zur Schau, später für Columbia wobei er meistens auf Western und Kriegsfilme spezialisiert war.“ (The Brasher Douboon)

Keine Ahnung, wie man ausgerechnet zur Hohezeit der Kommunistenhatz in Hollywood auf den Gedanken kommt, diesen Film zu drehen, aber er ist wirklich ganz hervorragend.“

Die meisten Schauspieler sagen mir nichts.“ (Cry Venegeance)

„Obwohl die Landschaft frei ist von Hindernissen, die den Blick verstellen könnten, handelt es sich um ein Kammerspiel;“ (Bad Day at Black Rock)

„(=ein atemberaubend aufspielender Richard Conte, der seine Dialogzeilen sanft, aber ungeheuer bedrohlich formuliert, wie Garben aus einem schallgedämpften Maschinengewehr)“
(The Big Combo)

„THE BIG COMBO ist ein beinharter Thriller, der nicht nur eine ungewöhnliche Folterszene per Hörgerät enthält, sondern einige Tabubrüche launig zelebriert.“

„Berühmt wurde eine Szene, in der Conte erst der Wallace mit Gewalt einen Kuß aufzwingt, dann aber – wenn er merkt, daß sie `reagiert´ – vor ihr langsam auf die Knie geht. Warum er das macht, werden wir wohl niemals erfahren, aber auch im Jahr 1955 wird es bereits Oralsex gegeben haben.“ (The Big Combo)

„Der mit Abstand beste Republic-Film, den ich jemals gesehen habe… Mit Sicherheit nicht für jedermann, aber Jedermann kann mir im Mondschein begegnen.“ (Moonrise)

Im Verbund mit dem niedergeschlagenen Grundton der Story wirkt sie merkwürdig traurig, und es sollte auch der letzte Film der Schauspielerin sein… doch der Tiefpunkt ihres Lebens blieb noch zu ergründen. Die Suche wurde begleitet von massivem Alkoholabusus, unzähligen falschen Männern… Mit 39 Jahren fand ihr Martyrium ein Ende am Boden eines Badezimmers.“ (Murder Is My Beat)

„Für sich gesehen ist KISS ME DEADLY ein ziemlicher Kracher und wohl mein Lieblings-Hammer.“ (Kiss Me Deadly)

„In vielen seiner Drehbücher baute Fuller irgendwo eine Figur namens Griff ein, als Held oder Edelstatist. Warum er das tat, entzieht sich meiner Kenntnis.“ (House of Bamboo) 1)

„…doch am Schluß ist auch hier das Heim eine uneinnehmbare Festung, umschmeichelt von David Manafields lieblicher Musik.“ (The Desperate Hours)

„Der in Australien geborene John Farrow muß wohl so eine Art `Renaissance Man´ gewesen sein, der kaum etwas in seinem Leben ausließ. So begleitete er auch schon mal wissenschaftliche Expeditionen in unwirtliches Gebiet. An seiner Seite hatte er die wunderschöne Maureen O´Sullivan, die ihm sieben Kinder gebar. Darunter befand sich Mia (die an Woody Allen geraten sollte), aber auch Tina (die an italienische Zombies geraten sollte).“ (The Big Clock)

So läuft das ununterbrochen über 370 Druckseiten. Man kann das Buch aufschlagen, wo immer man möchte, und findet umgehend solche Stilblüten (um es freundlich zu formulieren). Die Beispiele wurden systemlos herausgegriffen (und vieles noch blöderes wahrscheinlich übersehen). Der Autor kriegt kaum einen geraden Satz hin. Das hat bei allem Amüsement auch etwas erschreckend Hilfloses, in diesem grundlos zelebrierten Selbstvertrauen.
Das er häufig bei den literarischen Vorlagen blufft (anscheinend weiß er nicht, dass der englische Begriff „Novel“ einen Roman und keine Novelle bezeichnet) – geschenkt.

Exzessive Subjektivität liest sich besser ohne inflationären Gebrauch von Personalpronomen. Die durchaus erkennbare Leidenschaft des Autors für sein Sujet überschreitet seine stilistischen Mittel.

Extrem peinlich ist im „Vorspann“ der Teil, in dem sich der Autor selbst (und in der misslungenen Diktion) als einen typischen hard-boiled-Priivate eye beschreibt, der zum Verfassen dieses Buches genötigt wird („Die düsteren Wolken schoben sich ineinander, als würden sie dafür bezahlt“). Sowas klingt zu vorgerückter Stunde bei Konzeptgesprächen in der Paris-Bar oder im Zwiebelfisch erstmal ganz witzig, sollte dann aber keinen Einzug ins Endprodukt halten.

Anschließend stolpert der Autor in einer Art Vorwort durch seine wirren Vorstellungen vom Film noir und was dieses Buch eigentlich soll: „Das Ziel von Hollywood Blackout ist es, ein Gefühl für diese Welt des Noir-Kinos zu vermitteln, in der eine gänzlich neue Sicht auf die Menschen und das Leben verhandelt wurde.“ So die Behauptung dieses Buches.

Der Autor sollte sein erstaunliches Vielwissen lieber auf Tresengespräche konzentrieren. Aber vielleicht hat er sich ja mit diesem Werk als Dozent für die Filmakademie Ludwigsburg qualifiziert.

Nach dieser anstrengenden Lektüre sehnt man sich nach Filmbesprechungen von Hans Gerhold um wieder ins geistige Gleichgewicht zurückzufinden.
Und eine Frage stellt sich: Hat ein Verlag nicht auch die Verpflichtung, einen Autor vor sich selbst zu schützen?

P.S.: Um den einstigen Ullstein-Vertriebschef Meier zu zitieren: „Es gibt keine negativen Kritiken, solange Autor, Titel und Verlag richtig geschrieben sind.“

1) Jochen König kommentierte zu FILMKRITIK BLACKOUT:

Griff“ war ein Soldat, mit dem Samuel Fuller im zweiten Weltkrieg zusammen diente und der darin umkam. Die Namensnennung in Fullers Filmen ist eine Reminiszenz an den Mann. Das zumindest hätte man ganz leicht eruieren können. Sehr schade. Ich mag Kesslers Bücher eigentlich. Aber das klingt, als hätte er sich gewaltig überhoben.