Martin Compart


KRIMIAUTOREN VON ABEL BIS ZELTSERMAN: Meine Top 15 des Jahres by Martin Compart

https://krimiautorena-z.blog/2022/12/31/meine-top-15-des-jahres/



IM HERBST 2022:KENNETH FEARING BEI ELSINOR by Martin Compart




EIN ARGENTINIER IN OXFORD: GUILLERMO MARTINEZ UND DER KLASSISCHE DETEKTIVROMAN by Martin Compart

Den angelsächsischen Kult um Lewis Carroll und sein Buch ALICE IN WONDERLAND fand ich nie sonderlich interessiert.
Das änderte sich umgehend, als Guillermo Martinez ihn zum Thema eines klassischen Detektivromans machte!

Sechzehn Jahre nach seinem ersten Detektivroman um den Oxforder Mathematik-Professor ARTHUR SELDOM und seinem „Watson“, dem namenlosen argentinischen Studenten, erschien 2019 die lang ersehnte Fortsetzung, die umgehend mit dem NADAL-Preis ausgezeichnet wurde. Der erste Seldom-Roman war 2003 mit dem PLANETA-Preis ausgezeichnet worden.

Zusammen mit dem Erstling DIE OXFORD MORDE veröffentlichte der Eichborn-Verlag nun auch das Sequel, DER FALL ALICE IM WUNDERLAND.

Wie der Vorgänger spielt auch ALICE im akademischen Milieu von Oxford; ein klassischer Detektivroman im „Don-Stil“. Dieser „Don-Stil“ (auch „academic mysteries“, „Oxbridge Mysteries“ oder „dons´ delights“ genannt) bezeichnet klassische Detektivromane, in denen Autoren die Form dazu benutzen, neben der Rätselhandlung kultiviert über Literatur, Theater, Malerei oder Kunst und Gesellschaft zu plaudern.

Die Auflösung des Rätsels reflektiert den Bildungsstand. Das für derartige Highbrow-Themen bevorzugte Universitätsmilieu zwingt sich geradezu auf. Als Beginn dieses universitären Subgenre gelten Dorothy L.Sayers‘ GAUDY NIGHT (1935) und Michael Innes‘ DEATH AT THE PRESIDENT´S LODGING (1936).

Für die snobistischen Fans, die selbstverständlich den nicht bildungsfernen Schichten angehören, sind diese Don-Novels die höchste Ausformung des klassischen Detektivromans. Man hat ihn gerne auf sein logisches Existenzminimum reduziert und warf und wirft ihm nicht vorhandenen Realismus vor.

Dem könnte man mit Robert Graves und Alan Hodge entgegnen:
Im Übrigen war es ebensowenig beabsichtigt, Detektivromane nach realistischen Maßstäben zu beurteilen wie die Schäfer und Schäferinnen auf den Gemälden Watteaus an zeitgenössischen Methoden der Schafzucht zu messen “(THE LONG WEEKEND, 1940).

DER AUTOR
Guillermo Martinez wurde 1962 in Bahia Blanca an der Atlantikküste Argentiniens geboren. Als Jugendlicher träumte er davon Tennis-Profi zu werden, aber Neigung und Begabung führten ihn zu Mathematik und Philosophie.

Nach seiner Promotion als Mathematiker arbeitete er als Postdoktorand am Mathematischen Institut der Universität von Oxford, das ihn sehr beeindruckte und zu seinen Detektivromanen anregte. „In Oxford ändert sich praktisch nie etwas. Menschen sterben, Menschen kommen und gehen, aber in Oxford bleibt alles beim Alten. Es ist Teil seines Charmes.
Die düsteren Geheimnisse, verborgen in antiquierten Ritualen und verkrusteten universitären Strukturen, gaben den hier angesiedelten Detektivromanen häufig einen leichten Hauch von Gothic Novel. Denn man lebt hier mehr nach innen statt nach aussen.

Anschließend zog er nach Buenos Aires. 1982 veröffentlichte er sein erstes fiktionales Werk, den Erzählungsband LA JUNGLA SIN BESTIAS.
1989 erhielt er für den Kurzgeschichtenband INFIERNO GRANDE den „Premio Nacional Roberto Arlt“.
Es gibt wohl wenige lateinamerikanische Autoren, die nicht von Jorge Luis Borges beeinflusst sind. Auch für Martinez ist er von zentraler Bedeutung, wie er immer wieder verdeutlicht. Daneben nennt er als starke Einflüsse „Henry James, Thomas Mann, Jorge Luis Borges, Julio Cortázar, Witold Gombrowicz, Jean Paul Sartre, E. L. Doctorow, Patricia Highsmith, Dino Buzatti und natürlich den historischen Materialismus; die marxistische Betrachtung der Geschichte und Analyse der sozialen Kräfte.“
Und letztere macht ihn sogar sehr ärgerlich: „Im weitesten Sinn macht mich die Beständigkeit des Kapitalismus wirklich wütend, diese widerwärtige Maschine, die immer neue Armut erzeugt. Ansonsten rege ich mich nur über Bürokratie, argentinische Autofahrer und einige Literaturkritiker auf.“

Und wie hat die Mathematik sein Schreiben beeinflusst?
„Vielleicht bei der Präzision eines Plots, in der Auswahl der richtigen Worte, in der permanenten Korrektur des Textes, in der Suche nach einer bestimmten Transparenz der Prosa und in der Zielsuche nach Eleganz.“

DIE OXFORD MORDE

In den OXFORD MORDEN gelang es Martinez ein Axiom von Werner Heisenbergs Unschärferelation als Plotstruktur umzusetzen. Heisenberg behauptete, dass es unmöglich ist, ein Phänomen wirklich zu verstehen, da man bei der Analyse die Position die Quanteneffekte stört und damit auch die Funktion der Elektronen verändert. Genau das passiert im Roman durch die Anwesenheit von Professor Seldom und dem Ich-Erzähler.

Guillermo Martínez
DIE OXFORD-MORDE
Kriminalroman
Übersetzt von Angelica Ammar
An einem lauen Sommerabend in Oxford findet ein argentinischer Mathematik-Doktorand die Leiche seiner Vermieterin. Kurz darauf geschehen weitere Morde, und kein Geringerer als Arthur Seldom, der berühmte Professor für Logik, erhält jedes Mal eine Nachricht mit einem rätselhaften Symbol. Schnell ist klar: Wenn sie den nächsten Mord verhindern wollen, müssen Seldom und der junge Doktorand die logische Reihung der Symbole entschlüsseln …
Eichborn Verlag; Paperback 14,00€;eBook 9,99.

Martinez hat den klassischen Detektivroman zugleich bestätigt und innoviert.
„Meine Absicht war es, ein Genre zu retten, das als veraltet galt. Das ist für einen Autor eine große Herausforderung. Ich glaube nicht besonders an die Theorien, die über den Noir-Roman und über die geringe Kunstfertigkeit des Rätselromans kursieren. Ich denke, dass es in jeder Literaturform Kunstfertigkeit geben kann, und ich denke, dass der Rätselroman ein Genre ist, das so edel ist wie jedes andere. Vorausgesetzt, man leistet, was Borges verlangt hat: Über die Regeln hinauszugehen. Das habe ich versucht. Der klassische Detektivroman eignet sich sehr gut, um über Erkenntnistheorie und Philosophie zu reflektieren.“

Schon im Golden Age hatte man Parallelen zwischen dem Detektivroman und mathematischen Gleichungen gezogen. Martinez gehört zu den Mathematikern, die darüber hinaus auch Vergleiche zur Poesie ziehen. „Mathematik ist eine kreative Tätigkeit, die der Poesie nahesteht, der Schönheit in den Symmetrien nahekommt und wunderbare Wurzeln in der Philosophie hat. Nur wenige Dinge sind so humanistisch wie die Mathematik.“


Dem Roman vorausgegangen war ein fehlgeschlagenes Experiment. Man hatte Martinez gebeten, für eine Internetseite einen Roman in Episoden oder Fortsetzungen zu schreiben. „Ich musste sofort an Sherlock Holmes denken, der ja ganz ähnlich erstveröffentlicht wurde in Magazinen. Ich versuchte eine neue Version eines logisch denkenden Detektivs, der mathematisch dachte. Nach dem ersten Kapitel, bzw. der ersten Folge, wurde das Projekt aus finanziellen Gründen abgebrochen. Da saß ich nun mit dem Anfang eines neuen Romans und entwickelte ihn weiter.“
Daraus wurde dann DIE OXFORD MORDE.

Man hat dem Buch einige Fehler vorgeworfen. Etwa, dass englische Polizisten keine Schusswaffen dauerhaft mit sich führen dürfen, schon gar nicht, wenn sie nicht im Dienst sind; dass das Gesundheitswesen falsch dargestellt ist und dass die meisten Engländer nachts die Vorhänge zu ziehen.
Wen interessiert das im Zusammenhang mit einem klassischen Detektivroman, der keinerlei Anspruch auf naturalistisches Erzählen erhebt?

DIE OXFORD MORDE wurde ein Welterfolg und ist bisher in 26 Sprachen übersetzt. Ebenfalls erfolgreich war die Verfilmung durch Alex de la Iglesia mit John Hurt und Elijah Wood.
I liked most of the movie. The actors were superb, John Hurt did a great job, and I also liked Elijah Wood very much. I think that the movie followed the main lines of the novel, with some variations, many of them ruled by film constrains and simplifications. But in general, I do think that it is quite faithful to the spirit of the novel.”

Der Regisseur sagt über diesen wunderbaren Film und die gelungene Adaption:

„It’s strange because at the beginning, I read a bad review in a Spanish newspaper, so I remembered thinking, ‘Maybe it’s a good novel.’ And I read it and my first idea was it’s impossible to make a movie with this novel because it’s only mental, there’s no action. Everything happens in the brain. Maybe one year later, Gerardo [Herrero], my producer, called me and told me, I read the novel, I loved the novel, I bought the novel. It’s the Guillermo Martinez novel. What do you think? And suddenly I felt that this was a challenge for me. How can I tell the story visually? It was a real exciting exercise for me and an English movie with English actors — it was like an exam. Can I do it in a real way? Can I make a British movie? I enjoyed doing it and I think the results are really positive… Well, in the script, we changed mathematics for philosophy, so [the characters] are talking about philosophers. In the novel, Guillermo talks about Wittgenstein, but we wanted to make the part bigger because for me, he’s the great thinker. I remember studying philosophy and not understanding anything about [Wittgenstein’s sole book] TRACTATUS. I read it when I was 18 years old. And Wittgenstein worked on TRACTATUS when he was in the first World War, not in the middle of battle, but in the trenches.”

In beiden Romanen wird die Geschichte von einem namenlosen Ich-Erzähler berichtet, von einem argentinischen Studenten (erst Doktorand, im zweiten dann Postdoktorand) Anfang zwanzig. Das Alter-Ego des Autors? „Sicher. Wenn der Erzähler zum Beispiel zu sich selbst sagt: `Die einzige Entschuldigung für Gott ist, dass er nicht existiert´.“

Arthur Seldom ist den Denkmaschinen des Golden Age nachempfunden, eine Oxforder Mathematik-Koryphäe und Autor eines Buches über Logik und Serienmörder, mehr interessiert an intellektuellen Puzzles als daran, Menschenleben zu retten. Aus mathematischer Perspektive betrachtet er die Röhren, Stollen und Querverbindungen, die unterhalb der Oberfläche verlaufen.

Eine bemerkenswerte Reinkarnation des „Great Detective“.

Mit dem Ich-Erzähler als Watson, der Seldom bewundernd assistiert, stützte sich Martinez bewusst auf die Struktur von Conan Doyles Holmes-Geschichten (wie es zuvor auch Umberto Eco in IM NAMEN DER ROSE getan hatte, mit dem die OXFORD MORDE mehrfach verglichen wurde).

Die Charakterisierungen des Personals hält sich in Grenzen, könnte flach wirken, wenn Martinez dies nicht mit seiner stilistischen Eleganz ausgleichen würde. Beides sind kurze Romane und wären durch intensivere Charakterauslotungen eher überfrachtet. Das hätte auch dem hohen Tempo geschadet. Denn es sind Page-Turner, die man in einem Rutsch lesen kann (Inzwischen leider sehr selten in allen Genres, und deswegen umso kostbarer). Die knappen Charakterisierungen passen bestens in dieses Konzept. Eine stärkere Gewichtung würde es untergraben und das kurzweilige Vergnügen lahmen lassen. Es sind Romane ohne Pathos, Psychologie und ohne überflüssiges Fett. Ein grandioser Mix aus Philosophie, Mathematik und Detektivroman, der den Leser bei aller Abstraktion auch emotional gefangen nimmt.

Die Plots sind herausragend, aber entscheidend ist, wie sie erzählt sind.

Übrigens erzählte Martinez in seinem Roman ACERCA DE RODERER (RODERERS ERÖFFNUNG), 1992, in gewisser Hinsicht die Vorgeschichte zu den Oxford-Romanen: Der Erzähler-Detektiv ist hier, kurz vor seiner Abreise nach Oxford, in einer Rückschau seines bisherigen Lebens. Er ist selbst hochbegabt, aber von jener „assimilierenden Intelligenz“, berichtet von seiner Begegnung mit dem Genie Roderer, der seinen Genius als Außenseiter lebt.

DER FALL ALICE IM WUNDERLAND

Lewis Carroll (1832-1898) war ein interessanter Mann, und sein Werk, das besonders Wirkung auf die Surrealisten ausübte, ist nach wie vor populär; in der angelsächsischen Welt gilt Carroll als Klassiker, der nicht nur James Joyce, Evelyn Waugh, Julian Barnes oder Stephen King inspirierte.

Guillermo Martínez
Der Fall Alice im Wunderland
Die ehrwürdige Oxforder Lewis-Carroll-Bruderschaft ist einer Sensation auf der Spur: Aus dem Tagebuch des weltberühmten Schöpfers von Alice im Wunderland ist eine bis dato verschollene Seite aufgetaucht, die Brisantes offenbart. Doch bevor die Bruderschaft den Fund veröffentlichen kann, geschehen mehrere Morde, die durch das literarische Universum von Lewis Carroll inspiriert zu sein scheinen. Auch in ihrem zweiten Fall müssen Logik-Professor Arthur Seldom und sein junger argentinischer Mathematik-Doktorand…
Eichborn Verlag, Paperback, 16,00 €; eBook,11,99 €

Neben seiner Schriftstellerei arbeitete er als Mathematiker, Diakon und Fotograf. Von den 3000 Fotografien, die er gemacht haben soll, überlebten nur etwa 1000. Von denen stellen 50% junge und – nach heutigen Maßstäben – sehr junge Mädchen dar. Er soll acht Sitzungen mit nackten Kindern inszeniert haben. Dieser „Carroll Myth“ ist der dunkelste Teil seines Schaffens. Es wird gemunkelt, dass er arme Frauen dafür bezahlt hat, ihre kleinen Mädchen für diese Fotoshootings zur Verfügung zu stellen.

Das Verhältnis zu Minderjährigen war historisch ein anderes als heute, wo man Carroll sicherlich als pädophil eingeordnet hätte. In dieser Epoche konnte man 12jährige Mädchen (ver)heiraten. „Es gibt einen Brief, den ich im Roman erwähne, den Carroll an einen Cousin schickte, der von einem 11-jährigen Mädchen besessen war. Darin rät er ihm, in eine andere Stadt zu ziehen und darauf zu warten, dass das Mädchen 12 wird.“

Auslöser der Handlung sind 1994 aufgefundene Aufzeichnungen zu den herausgerissenen Tagebuchaufzeichnungen von Carroll. Diese sollen Aufklärung über das Zerwürfnis zwischen Carroll und den Eltern von Alicia Liddle (seiner „Alice im Wunderland“) geben.

„Es war die Entdeckung dieser Papiere im Jahr 94, die mein Interesse auslöste. Genau ein Jahr nach der Handlung des vorherigen Buches. Und dass Carroll ein prominenter Repräsentant des Oxford-Universums ist. Für mich passte alles zusammen.
Als ich in Oxford lebte, besuchte ich einmal die Christ Church und dort sah ich das Porträt von Lewis Carroll. Ich wusste, dass er dort gelebt hatte, und es gibt auch einen Alice-Geschenkeladen, den ich besuchte. Während ich einige Notizen und Klappentexte über sein Leben las, fand ich ein Detail, das mich faszinierte: Seine Nichten und Enkelinnen befanden sich nach seinem Tod im Besitz von Carrolls privaten Tagebüchern und rissen verschiedene Seiten heraus. Insbesondere über das Zerwürfnis mit den Eltern von Alicia Liddle. Ein ständiges Thema unter Carrolls Biographen und Anhängern, die sich nicht darauf einigen konnten, was an diesem Tag passiert war. Das Merkwürdigste, was mich dazu inspirierte, diesen Roman zu schreiben, war die Tatsache, dass diese Frauen, die sehr religiös waren, für jede rausgerissene Seite eine Zeile auf ein Stück Papier geschrieben hatten, die 1994 gefunden wurden.“

An Material für die Recherche zu Carroll und ALICE war kein Mangel.

„Also habe ich recherchiert, wie ich es für keinen anderen Roman getan hatte. Gleichzeitig hatte ich so viel Material, dass die Gefahr drohte, den Roman in eine Akte mit Notizen zu verwandeln. Bei der Arbeit ist mir etwas passiert, das mir vorher noch nicht passiert war: Ich hatte mit einem falschen Schritt begonnen und sechs Kapitel geschrieben, die ich nach sechs Monaten komplett neu schreiben musste, weil sie nicht im richtigen Tempo der Geschichte waren. Ich musste den Protagonisten in den Mittelpunkt des Geschehens stellen und hatte dies zunächst nicht getan. Und ich war unsicher bezüglich der Besetzung der Verdächtigen. Ich wollte nicht, dass sie bloße Staffage waren, sondern dass jeder seine Persönlichkeit, seine Macken, sein öffentliches Leben, sein geheimes Leben hatte.“

Fazit:
Auch wer kein Freund klassischer Detektivromane ist, sollte die beiden Meisterwerke von Guillermo Martinez probieren. Sie zeigen, wieviel Substanz in ihm stecken kann.
Der klassische Whodunnit – in den 1980er- und 1990er Jahren zur modrigen Literaturleiche erklärt – hat in den letzten Jahrzehnten ein erstaunliches Revival erlebt.

Vielleicht doch nicht so erstaunlich:

Die Strukturen des Genres mit Amateurdetektiven als Protagonisten ähneln erstaunlich der neoliberalen Ideologie. Intellektuell sind diese tatkräftigen Ermittler den staatlichen Ordnungskräften überlegen. Ihr Erfolg verlangt ein möglichst autonomes Agieren, frei von staatlichen Beschränkungen (und lediglich in Notfällen verlangen sie dessen uneingeschränkte Unterstützung).
Das globale Plündern der Neo-Liberalen fällt zeitgleich mit dem Widererstarken des Genres zusammen. Das Unterbewusstsein macht keine Fehler (auch wenn manche glaubwürdig versichern, sie hätten keines).



NEUES FÜR SHERLOCKIANER: CONAN DOYLE UND DIE NERDS by Martin Compart

Arthur Conan Doyle tritt in die Fußstapfen seiner berühmtesten Figur Sherlock Holmes: Weil Scotland Yard keinen Anlass sieht, den Mord an einem augenscheinlich leichten Mädchen aufzuklären, macht er sich selbst auf die Suche nach dem Mörder. Er schleicht durch die dunklen Straßen des viktorianischen London und landet an Orten, die kein Gentleman betreten sollte.
Etwa hundert Jahre später ist ein junger Sherlock-Fan in einen Mordfall verstrickt, bei dem Doyles verschwundenes Tagebuch und einige Fälle seines berühmten Detektivs eine wichtige Rolle spielen. Zwei Morde, zwei Amateurdetektive, zwei Welten –


Eichborn Verlag; 480 Seitten; 22,00 €

Sherlock Holmes-Pastiches, Kopien, Parodien oder Plagiate gab es bereits zu Conan Doyles Lebenszeiten. Explodiert ist der Holmes-Kult nochmals Anfang der 1970er Jahre durch Nicholas Mayers KEIN KOKS FÜR SHERLOCK HOLMES. Danach erschienen viele Pastiches, die dem Original nicht nachstanden, teilweise sogar überlegen sind. Das Interesse an diesem stärksten Mythos der Kriminalliteratur steigerte sich in den folgenden Jahrzehnten und erreichte im 21.Jahrhundert mit den Kinoversionen mit Robert Downey jr. und der TV-Serie SHERLOCK einen neuen Höhepunkt.

Holmes geistiger Vater, der höchst ehrenwerte Sir Arthur Conan Doyle, hat es inzwischen selbst zum literarischen Helden gebracht. Der Schriftsteller, der sich auch als Detektiv betätigte, wurde in den letzten Jahren zur Hauptperson von drei Fernsehserien und einem Kino-Film: MURDER ROOMS: THE DARK BEGINNINGS OF SHERLOCK HOLMES, 2000, ARTHUR & GEORGE, 2015, ein britischer Dreiteiler nach dem Roman von Julian Barnes, HOUDINI & DOYLE, eine zehnteilige Serie von 2016 und der Kino-Film HOLMES & WATSON von Ethan Cohen von 2018.

Der m.E. überzeugendste Einsatz von Conan Doyle als fiktionalen Protagonisten gelang dem Drehbuchautor, Produzenten und Romancier Mark Frost(„Twin Peaks“) mit den beiden düsteren Romanen „The List of Seven“, 1993 (Deutsch: „Sieben“) und „The Six Messiahs“, 1996, (Deutsch: „Im Zeichen der Sechs“).

„Der Mann, der Sherlock Holmes tötete“ spielt geschickt auf zwei Zeitebenen: Einmal 1900 mit Conan Doyle, der sich mit seinem Freund Bram Stoker auf die Suche nach einem Serienkiller begibt. Und zum anderen im Jahre 2010 in der Szene der Baker Street Irregulars, einer Gruppe von Holmes-Jüngern, die seit 1934 den Kanon von Conan Doyle erforscht. Ein Mitglied der Sherlock Holmes-Gesellschaft wurde ermordet, weil er den „heiligen Gral“ der Holmes-Nerds gefunden hatte. Der junge Sherlockianer Harold macht sich auf die Suche nach diesem verlorenen Tagebuch von Conan Doyle, in dem die Vorgänge in der Parallelhandlung erzählt werden. Mit diesem Fetisch des „lost Diary“ trifft Moore den Nerv der Holmes-Kultisten. Außerdem nutzt er für die Figur Harold den anhaltenden Trend, lebensunfähige Nerds zu Heroen zu stilisieren. Weiterhin zeigt er in seinem Detektivroman dieses „nerdische“ Konkurrenzverhalten beim Begehren von gesellschaftlich irrelevanten Objekten, deren Wert nur im subkulturellen Kosmos existiert


Eine Inspirationsquelle für den Roman war der seltsame Tod des führenden Conan Doyle-Sammlers und Sekundärliteraten Richard Lancelyn Green im Jahr 2004 (https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/1478814/Case-of-the-Sherlock-Holmes-fanatic-who-killed-himself-but-made-it-look-like-murder.html ). Umstritten ist, ob er wegen seines Interesses an Conan Doyle ermordet wurde, oder ob er Selbstmord durch Garottieren beging und es wie Mord aussehen ließ. Green war einer der bedeutendsten Köpfe der internationalen Conan Doyle-Forschung.

Graham Moore wurde 1981 geboren. Mit 16 Jahren unternahm er einen Selbstmordversuch. Seine Mutter Susan Sher war Michelle Obamas “chief of staff”.
THE SHERLOCKIANS erschien 2010 in den USA und war sein erstes Buch, mit dem er es sofort auf die Bestsellerliste der New York Times schaffte. Sein Drehbuch für THE IMITATION GAME erhielt 2015 den Oscar Award. Anerkennung fand auch Moores zweiter Roman, „Die letzten Tage der Nacht“, über Thomas Edisons Patentkriege.

Die gekürzte Hörbuchversion ist ganz nett, unterschlägt aber Details, Hintergründe und Beobachtungen, die Moores Roman interessant machen. Gerade das Ausloten der Beziehung zwischen Conan Doyle und Bram Stoker (dessen „Dracula“ Doyle sehr schätzte) geht im Hörbuch ziemlich unter.
Ob die Beziehung zwischen den beiden Schriftstellern tatsächlich so eng war, wage ich nicht zu beurteilen. In einigen Conan Doyle-Biographien (etwa denen von Ronald Pearsall oder Owen Dudley Edwards) wird Stoker nicht mal erwähnt. Aber das ist letztlich auch unwichtiger als der Spaß, die beiden Autoren durch ein fiktionales Abenteuer zu begleiten.

Für Sherlockianer ist der Roman ein Lesevergnügen!

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Wie funktioniert die KRIMI-COUCH? – Interview mit Jochen König by Martin Compart
12. März 2018, 9:13 am
Filed under: Crime Fiction, Dieter Paul Rudolph, Interview, Jochen König, Krimis | Schlagwörter: ,

Ergänzung 2022: Inzwischen arbeitet Jochen – wie auch einige andere herausragende Rezensenten – nicht mehr für die „Krimi-Couch“.

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MC: Die KRIMI-COUCH dürfte mit monatlich mehreren Millionen Klicks (korrigiere mich) die erfolgreichste und größte Plattform für Kriminalliteratur in Deutschland sein.

JK: Im Januar hat sich die Zahl der Besuche auf der Krimi-Couch – nicht der Klicks – laut similarweb.com auf über 600 000 gesteigert. Damit dürfte die Couch tatsächlich eine der bestbesuchten Seiten im Themenbereich sein. Ob es tatsächlich „die erfolgreichste und größte Plattform für Kriminalliteratur in Deutschland“ ist, vermag ich nicht zu sagen. Es läuft auf jeden Fall gut.

MC: Wie kam es zu der Idee und zu ersten Umsetzungen?

JK: Die Geschichte der Krimi-Couch begann 2002, als ihr Gründer Lars Schafft beschloss, eine Webseite aufzubauen, deren erstes Anliegen es war, die unorthodoxe Chronologie der deutschsprachigen Veröffentlichungen Henning Mankells zu korrigieren und die tatsächliche Reihenfolge seiner Romane darzustellen. Dass dies nicht nur archivarisch geschah, sondern gleichzeitig von kritischen Rezensionen begleitet wurde, entwickelte sich zu einem der Markenzeichen der Krimi-Couch.

Nicht nur Kritiken zu veröffentlichen, sondern auch eine Datenbank zu erstellen und diese möglichst umfassend, korrekt und aktuell zu gestalten. Bei dem Wust an hierzulande erscheinenden Kriminalromanen geradezu eine Sisyphos-Arbeit. Heute noch mehr als vor 16 Jahren. Weshalb eine Prioritätenvergabe unausweichlich ist. Neu aufgenommen werden derzeit in erster Linie Autor*innen, zu deren Büchern eine redaktionelle Rezension vorliegt.

Zusätzlich dazu bot und bietet die KC ein Forum, in dem man sich austauschen kann, die Möglichkeit hat, ein Profil anzulegen, um u.a. ein virtuelles Bücherregal zu erstellen und mit anderen Mitgliedern der KC-Community privat zu kommunizieren. Ebenso kann jeder Leser Kommentare hinterlassen, egal ob ein Buch bereits redaktionell besprochen wurde oder nicht. Das war in den Nullerjahren noch nicht Standard und war ganz früh schon so eine Art kriminalistisches soziales Netzwerk. Einfacher Small-Talk ist im Forum natürlich ebenfalls möglich. Wenn man Lust darauf hat.

Nette Gimmicks waren auch der Dr.Watson-Generator, der nach Eingabe von Stichworten passende Buchvorschläge ausspuckte (so soll es zumindest sein. Doch der Doktor ist mitunter etwas eigenwillig und wortkarg) sowie die Möglichkeit, anhand von Landkarten herauszufinden, welcher Roman wo spielte. Diese vielfältige Gemengelage machte die Krimi-Couch schnell ziemlich einzigartig.

Bald fanden sich weitere Kritiker ein, sodass der Rezensionsteil ausgebaut werden konnte. Ich selbst stieg Ende 2007 ein (mit der Rezension zu Walter Mosleys „Little Scarlet“) und wurde schnell zum stellvertretenden Chefredakteur.
Doch bereits einige Zeit davor hatte Lars Schafft mit André Schmechta die „Literatur-Couch GmbH“ gegründet. Die Krimi-Couch blieb nicht alleine. Es gesellten sich die Histo-, Phantastik-, Kinder-, Jugendbuch-, Kochbuch- und Belletristik-Couch hinzu. Das jüngste Kind ist die 2017 gestartete Comic-Couch.

MC: Ich bin vor einigen Jahren damit konfrontiert worden (in einem Krimi- Chat, in den ich naiv reinrutschte), dass man ziemlich ärgerlich über die KC formulierte. Nach meinen Nachfragen erfuhr ich, dass nach Meinung der Beteiligten ein Qualitätsverlust eingesetzt hatte. Hast Du ähnliche Erfahrungen gemacht?

JK: Nun hat ja jede langlebige „Institution“ ihre ups and downs. Aber woran könnte dieser von einem Teil der Krimiszene wahrgenommene Qualitätsverlust gelegen haben?
Hmm, das zu beantworten ist schwierig, weil es vermutlich jene Zeit betrifft, in der ich nicht für die Krimi-Couch tätig war. Da kann ich nur als Außenstehender antworten: Eigentlich sollten die Ausgaben der Krimi-Couch, wie bei Printmedien, monatlich erscheinen. Elf Mal pro Jahr, mit einer Pause im Januar. Irgendwann reduzierte sich die Anzahl runter bis teilweise auf sieben oder acht Ausgaben. Dazu gesellten sich technische Probleme, die vor allem die Nutzerkonten (Stichwort: Bücherregal) betrafen. Diese Unregelmäßigkeiten gefielen begreiflicherweise zahlreichen Lesern und Usern nicht.

Auch hatten einige kompetente Redakteure die Krimi-Couch verlassen (Matthias Kühn, Martin Krist, und Stefan Heidsiek beispielsweise). Der im letzten Jahr leider viel zu früh verstorbene DPR (Dieter Paul Rudolph) hatte sein Krimilabor, ein Kolumnen-Highlight der Krimi-Couch, bereits zu meiner aktiven Zeit geschlossen, um mehr Muße für seine Autorentätigkeit zu haben. Bevor er dem Krimigenre weitgehend den Rücken kehrte, um seine ganz besondere Art des creative writing zu betreiben. Er veröffentlichte die „Schundhefte“, eine Art ironische Pulp-Hommage und widmete sich als Mentor und kritischer Begleiter einer Gruppe junger Autorinnen, den „Fantasy Girls“. Damit einher ging eine intensive Beschäftigung mit E-Book-Veröffentlichungen.
Teilweise sah es auch so aus, als würden die Rezensionen – das betraf vor allem neue und periphere Schreiber – nicht mehr so sorgfältig wie früher redigiert.
Ein riesiges Loch hinterließ auch der Abschied Susanne Kremmers, die die bibliographische Datenbank der Krimi-Couch äußerst akribisch, kompetent und findig pflegte und erweiterte. Diese Datenbank ist ein enorm wichtiges Feature der Krimi-Couch, das fast für so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal sorgt.
Das hat sich mittlerweile glücklicherweise wieder geändert. Die monatlichen Ausgaben sind seit 2017 eh Geschichte, die Krimi-Couch veröffentlicht, um das serielle Fernsehen mal mit einzubeziehen, quasi horizontal, nicht mehr in abgeschlossener Episodenform und kann so flexibler agieren. Und Susanne Kremmer arbeitet wieder an den Hintergrundinfos.

MC: Wie kam es zu der KC-Reihe bei Fischer und weshalb existiert sie nicht mehr?

JK: Wie genau es zustande kam, müsstest du Lars Schafft und André Schmechta fragen. Der Kontakt zum Fischer Verlag war damals sehr gut, und ich denke, dadurch wurde die Idee geboren, eine kleine Klassiker-Reihe unter Betreuung der Krimi-Couch ins Programm zu nehmen. Das Ende ist banal: Es rentierte sich anscheinend nicht. Die Fans von klassischen Kriminalromanen sind zwar solvente und interessierte Leser*innen, doch ist die Anzahl begrenzt. Und eine Begeisterungswelle schwappte leider nicht über. So blieb es bei elf Titeln, eine dritte Staffel wurde zwar vorbereitet, blieb aber im Schubladenmodus.

MC: Du hast die KC einige Jahre verlassen und dort nicht mehr mitgearbeitet. Warum?

JK: Das hatte mehrere Gründe. Ich hatte das Gefühl, dass Stillstand herrschte, zu viel Arbeit geleistet wurde, ohne dass Erkennbares dabei herauskam. Manches versandete einfach, anderes blieb liegen oder verzögerte sich scheinbar grundlos. Gleichzeitig eröffnete sich für mich mit Booknerds.de die Möglichkeit, nicht nur im Bereich der Kriminalliteratur tätig zu sein, sondern auch meinem ursprünglichen Interesse nachgehen zu können, nämlich Filme und TV-Serien zu besprechen.

Ich habe ja immer neben der Krimi-Couch auch für Musik-Webzines (erst Nocturnalhall.de, dann Musikreviews.de) geschrieben. Ex-Musikreviews-Kollege Chris Popp hat Booknerds.de gegründet, und es geschafft mit einem offenen Konzept – besprochen werden Bücher, Hörbücher, Audiovisuelles und gelegentlich sogar Computerspiele – viele hervorragende Kulturschaffende auf der Seite zu versammeln (der bekannteste dürfte derzeit Oliver Uschmann sein). Ich habe mich dem gerne angeschlossen.

MC: Wie sieht heute Deine Beteiligung an KC aus? Und was hat Dich zur Rückkehr bewogen?

JK: Mein Herz hing auch während meiner Abwesenheit an der Couch. Ich hatte immerhin mehr als ein halbes Jahrzehnt eine spannende Zeit dort erlebt, viele tolle Menschen kennengelernt und mit ihnen zusammengearbeitet. Bereits mein völlig verkorkstes Interview mit James Ellroy, sorgte für viel Nachhall und eine Geschichte, die ich immer wieder gerne erzähle. Obwohl ich gar nicht gut dabei wegkomme. Ich killte das Gespräch damals gleich mit meiner ersten Frage nach dem „Patriot Act“.

Das, was Lars und Andrés Agentur, die Zeitspringer in Münster, aus der Krimi-Couch (und ihren Verwandten) gemacht hatten, fand ich immer beeindruckend. Nicht nur einen Krimi-Blog – die es mittlerweile ja wie Sand am Meer gibt – zu schaffen, der gefühlsduselige Befindlichkeitsrezensionen verbreitet (gerne gipfelnd in einem unverbindlichen „Geschmäcker sind halt verschieden“), sondern eine multifunktionale Seite zu erstellen, die Lesern Austausch und Einbringung erlaubt, kompetente redaktionelle Kritiken veröffentlicht, als Nachschlagewerk funktioniert und noch ein paar knuffige Features mehr bietet (Krimi-Landkarte, Dr. Watson etc.) – das war (und ist) schon eine tolle Sache, die zu Recht mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde.

Dass es bedauerlicherweise zu Unwegsamkeiten kam, liegt auch an dem hochexplosiven Gebräu, das sich Leben nennt. Und das hält neben Erwartbarem gerne Überraschendes parat.
2017 hat Lars Schafft die Literatur-Couch-AG verlassen, André Schmechta und seine Frau Stefanie sind jetzt Hauptverantwortliche. Mit André hatte ich eigentlich dauerhaft Kontakt, er produziert mit X-MARKS THE PEDWALK seit einigen Jahren wieder selbst Musik, hat ein hochinteressantes Soloprojekt (SN-A) am Start und produziert mittlerweile auch andere Künstler. Ein Fall für Musikreviews. Und mich.
Als André mich dann letztes Jahr fragte, ob ich nicht wieder Lust hätte, für die Krimi-Couch zu arbeiten, brauchte ich nicht allzu lange überlegen. Das Konzept war gut, mein Aufgabenbereich ist spannend und erlaubt mir einige Freiheiten. Zudem ist es interessant, zu sehen, ob man, angesichts eines einbrechenden Buchmarktes, nicht doch Interesse an Literatur, speziell der Kriminalliteratur wecken und erhalten kann. Auch und gerade außerhalb des x-ten Serienkiller-Aufgusses und bis zur peinlichen Absurdität überreizten Psycho-Thriller-Standards vom Wühltisch. Die steigenden Zugriffszahlen des letzten Jahres sprechen dafür.

MC: Wie wird oder sollte sich die KC weiterentwickeln? Gibt es da konzeptionelle Möglichkeiten, die Du siehst?

Zur geplanten Ausrichtung und Entwicklung müsstest du Stefanie Eckmann-Schmechta fragen, die Geschäftsführerin der Couchen. Was bereits passiert ist eine multimediale Ausrichtung und Themenerweiterung. So gibt es seit Ende letzten Jahres auf Youtube den „Krimi im Kreuzfeuer“. Dort diskutieren Andreas Kurth, Birgit Borloni und ich – durchaus kontrovers – über aktuelle Kriminalromane. Weitere Events – mit Kamerabeteiligung – sind in der Planung.

Abseits von literarischen Rezensionen passiert auch einiges. So habe ich mich länger der dritten Staffel von „Twin Peaks“ gewidmet, ein herausragendes Fernsehereignis, das jede Aufmerksamkeit verdient hat. Außerdem habe ich mich im Zuge der Veröffentlichung von „Endeavour“ („Der junge Inspektor Morse“) dem vor einem Jahr verstorbenen Autoren Colin Dexter und seinem Inspektor-Morse-Universum beschäftigt. Eine lohnende Angelegenheit, nicht nur für Oxford-, Wagner- und Kreuzworträtselfans.

Selbst Filmbesprechungen halten gelegentlich Einzug auf der Couch. Der erste Anlass war „Wind River“ , der Abschluss von Taylor Sheridans „American Border“-Trilogie („Sicario“, „Hell Or High Water“ und „Wind River“). Ein höchst atmosphärischer Country Noir, der im winterlichen Wyoming spielt. Mit exzellenter Besetzung und einer Thematik, die sich mit der Vernachlässigung der indigenen Bevölkerung Amerikas befasst.
Weitere Specials werden folgen, als nächstes werde ich mich mit dem Thema „Krimi und Musik“ beschäftigen. Ein großes Gebiet, das ich zwar nicht abdecken werde, aber ein paar literarische und musikalische sollten drinsitzen. Wie der Verweis auf Nick Cave, der auch die Filmmusik von „Wind River“ (gemeinsam mit Warren Ellis“) geschrieben hat, und der mit seinen „Murder Songs“ explizit das Thema Verbrechen musikalisch aufgegriffen und hervorragend umgesetzt hat.
Insgesamt hoffe ich, dass wir weiterhin breitgefächert und kritisch über Krimi, seinen Status Quo, Entwicklungen, Trends und Möglichkeiten informieren werden. Damit erkennbar bleibt, wie wichtig und erhellend das Genre in seiner Vielfalt für die Literatur und im besten Fall auch unser Leben ist.

https://www.youtube.com/channel/UCc5u1olN474if0PCy_JuTyQ

http://www.krimi-couch.de/



JOCHEN KÖNIGS KRIMINALROMAN DES JAHRES 2017 by Martin Compart

Das Jahr ist noch jung, deshalb kann man noch einen Rückblick auf 2017 wagen. Und ein guter Tipp ist sowieso immer willkommen. Jetzt also Jochens Wahl:

Mein Kriminalroman des Jahres 2017 ist, knapp vor Lawrence Osborns hervorragendem Marokko-Roman „Denen man vergibt“ (Wagenbach Verlag), „Eileen“ von Ottessa Moshfegh (erschienen bei Liebeskind). Beide Romane verweisen interessanterweise partiell und völlig zu Recht auf die hochgeschätzte Patricia Highsmith.

„Eileen“ ist ein unkonventioneller Coming-Of-Age Roman. Denn die Hauptfigur ist zur Zeit der Handlung bereits fünfundzwanzig Jahre alt, ein scheinbares Mauerblümchen, das sein spätes Erblühen fünfzig Jahre später nacherzählt. Eine Woche voller dunkler Wunder und einschneidender Veränderungen.

Eileen geht mit sich und ihrer Umgebung schonungslos ins Gericht. Eindrücklich beschreibt sie ihr trostloses Leben in einem noch trostloseren Umfeld, in das Liebe, Gewalt und Tod mit Macht Einzug halten. Ottessa Moshfegh beherrscht ihr Handwerk meisterlich, weshalb der Stoff nie zu einer Etüde selbstgefälligen Jammerns verkommt.

Eileen Dunlop ist keine sympathische Figur, aber eine der ambivalentesten und faszinierendsten der letzten Jahre. Ein kraftvolles Buch, schmutzig, spröde, voller scharfem Witz und starken Szenen. Sprachlich ein Genuss, fein übersetzt.
Oder wie John Banville als Laudator schreibt: „„Hätte Jim Thompson sich mit Patricia Highsmith zusammengetan, wäre dabei „Eileen“ herausgekommen. Nachtschwarz, eiskalt und großartig erzählt.“ Es gibt unzutreffendere Klappentexte.



DER NEUE VARENNE by Martin Compart
2. August 2017, 9:10 am
Filed under: ANTONIN VARENNE, Krimis, Krimis,die man gelesen haben sollte, Noir, Rezensionen | Schlagwörter: ,

Zwei rivalisierende Familien kämpfen seit Generationen um die Herrschaft über ein gottverlassenes Nest im Massif Central. Die Courbiers und die Messenets führen ihre Provinzimperien mit harter Hand und unter rücksichtsloser Ausbeutung von Mensch und Natur. Rémi Parrot, der seit seiner Jugend entstellte Revierjäger, kämpft als einsamer Cowboy gegen die verkrusteten Clanstrukturen und um die Liebe der schönen Michèle Messenet. Als er einem Umweltskandal auf der Spur ist, beginnt eine mörderische Treibjagd durch düstere Wälder und unterirdische Tunnelsysteme. Fein gesponnener, archaischer Thriller um Schuld und Sühne vor der grandiosen Kulisse einer einstmals erhabenen Landschaft.

Ein Roman von Antonin Varenne ist immer ein unberechenbares Ereignis. Er vermeidet Wiederholungen und geht mit jedem Buch andere Wege. Nur der düstere Kern ist seinen bewunderungswürdigen Werken gemein und weist ihn als einen der eindrucksvollsten Noir-Autoren der Gegenwart aus. Bei uns liegen drei von sechs Romanen vor. Der Autor hat sich spätestens seit FAKIRE als einer der der wichtigsten französischen Noir-Autoren etabliert. Stilistisch können ihm nur wenige das Wasser reichen. Man lese nur ab Seite 2 des Romans die Beschreibung der „Provinzkapitale“ R („Der Krebs dieser Stadt ist die Erinnerung.“). Auf ein paar Seiten schildert er den Verfall einer früher zumindest ökonomisch funktionierenden Stadt in der Beschleunigung des Spätkapitalismus. Man müsste nur wenige Sätze streichen und könnte diesen Niedergangstango sogar auf Städte des Ruhrgebietes übertragen. Die perspektivische Ausrichtung der Nachkriegsgenerationen unterscheidet sich offenbar nur gering zwischen der französischen Provinz und dem Pott.

Die Treibjagd von Antonin Varenne


https://www.amazon.de/Die-Treibjagd-Roman-Antonin-Varenne/dp/332810156

Nach den SIEBEN LEBEN DES ARTHUR BOWMAN (https://martincompart.wordpress.com/category/antonin-varenne/), einem historischen Noir-Roman, der in den düsteren Gegenden des Britischen Empires und den USA spielte, legte er 2015 den jetzt bei uns erschienenen „Regional“-Kriminalroman DIE TREIBJAGD (BATTUES) vor. Wie immer gelingen Varenne starke Charaktere und scharf gezeichnete Nebenfiguren. In die geschändete Natur treibt er seine beiden Protagonisten in ein Beziehungsgeflecht als hätte Dante Romeo und Julia als Noir-Geschichte konzipiert. Oder wie es Hanspeter Eggenberger in seiner Rezension in DER BUND ausdrückt: „Dass die Beziehung zwischen Rémi und Michèle auch noch eine herzergreifende Liebesgeschichte liefert, schadet dem Roman in keiner Weise. Die Protagonisten sind vielschichtig, bedienen keine simplen Klischees.“

Bereits auf den ersten

Varenne springt mit den Kapiteln durch unterschiedliche nahe Zeitebenen, was anfangs leicht verwirrt aber dann der Intensität der Lektüre eine zusätzliche Dimension eröffnet.

Der französische Noir-Roman liebt es, sich mit Provinzlern niedriger Gesinnung zu befassen.
Denn der französische Regional-Krimi ist ein Provinz-Krimi und selten provinziell. Im Gegensatz zum deutschen Äquivalent ist er meist tiefschwarz und böse, nicht harmlos anheimelnd („Man sollte immer dabei schmunzeln können“, so ein deutscher Lektor). Er beschreibt seit Jahrzehnten gnadenlos, wo die zahlreichen französischen Faschisten ihren Nährboden haben. Die oft archaisch anmutenden Clan-Kriege, die auch vom französischen Film gerne thematisiert werden (etwa DIE AFFÄRE DOMINICI), dienen gerne als Belege für den Verfall und Niedergang gallischer Kultur. Während der deutsche Regio-Krimi das Schöne am provinziellen Dasein feiert („gute Küche, guter Wein, schöne Landschaft etc.“) und mit oberflächlicher Kritik an der Hülle kratzt, zeigt der französische Noir-Roman die strukturelle Verrottung der durch die zentralstaatlich bedingten korrupten Eliten abgehängten Landbevölkerung, die sich nur durch extreme Agitation Gehör verschaffen kann.



DEUTSCHE KRIMIS FÜR DEN URLAUB by Martin Compart

Da immer mehr Deutsche ihren Urlaub in deutschen Landen verbringen, hier ein paar Tipps deutscher Kriminalromane für deutsche Liegestühle:

Ulrich von Berg hat einen der härtesten Jobs der Republik: Er betreut die Bücher-Seite im Fußball-Magazin 11 FREUNDE. Zu den härtesten Aufgaben zählt dabei die Lektüre so genannter Fußball-Krimis, eine besonders perfide Unterabteilung des deutschen Regionalkrimis, meist bedient von extrem talentfreien Autor…, nein, Schreibern.
Der deutsche Regionalkrimi atmet bekanntlich jenes provinzielle Bewusstsein, das Leser hoffen lässt, dass alles bleibt wie es ist, wenn man nur an seiner Spießerideologie festhält. Deshalb sind die richtig geschriebenen Straßennamen auch so wichtig: Sie bestätigen dem Leser seine eigene kleine Lemuren-Realität. Seiner selbst nicht mehr sicher, vermitteln Straßennamen, Geschäftsaufzählungen und Restaurantschilder (denn darauf reduziert sich zumeist die literarische Umsetzung dieser Autoren) eine wohlige Einbettung in eine beklagenswerte Gemeinschaft. Im deutschen Krimi sind selbst Serienkiller (sie Veith Etzold) von biederer Diabolität.

Der Unterschied zwischen deutschen- und englischen Provinz-Krimis lässt sich sehr schön in e4inem Fernsehbeispiel erkennen: Man vergleiche etwa MORD MIT AUSSICHT oder ähnliches mit INSPECTOR BARNABY: Beide haben hirnrissige Plots, aber BARNABY hat Charme (und verfügt über handwerkliche Fähigkeiten – von Schauspielführung bis Timing und Schnitt -, von denen man hier nur träumen kann) und einen größeren Wortschatz.


Dass der kommerzielle Fußball reich an kriminellen Handlungen (auch außerhalb gähnend langweiliger Spiele) ist und somit Stoff für Krimis sein kann, verwundert nicht. Umso ärgerlicher, dass ein hochkarätiger Autor wie Philip Kerr mit seiner Fußballserie enttäuschendes abliefert. Einen akzeptablen oder gar guten deutschen Fußball-Krimi zu finden, ist so selten wie eine gute deutsche Pop-Band mit einer Front-Frau, die nicht durchnummeriert sein sollte. Und diesen sucht der arme Uli Monat für Monat fast vergeblich. Wenn er mal der Meinung ist, ein so seltenes Pflänzchen entdeckt zu haben und es mir zukommen lässt, hat das Gewicht. Denn bei Kriminalliteratur ist Herr von Berg ähnlich streng wie ich.

Jens Kirscheneck ist es tatsächlich gelungen, einen deutschen Fußball-Krimi vorzulegen, der dem Autor nicht peinlich sein muss. SCHWEINE BEFREIEN liest sich schnell und macht Spaß wegen skurriler Charaktere und gut gezeichneter Handlungsorte (tatsächlich führt das Buch aus der deutschen Provinz hinaus bis Kroatien). Fußball-Afficionados werden schnell erkennen, dass der fiktive FC Teutonia nichts anderes ist, als die Verschlüsselung des Skandalvereins Arminia Bielefeld. Dass der Roman sein Tempo hält, liegt auch an der Erzählweise in der 3.Person Gegenwart. Eine riskante Technik, die leicht in die Hose geht und peinlich wirken kann. Aber Kirscheneck hält den Ball flach und schnell im Spiel und es gelingen ihm ein paar überraschende Pässe.

Ein besseres Lektorat hätte ein paar unnötige Schwalben verhindern können. Da das Buch aber auch satirisch funktioniert (die Blödheit der Medien beschränkt sich bekanntlich nicht nur auf Fußballkommentatoren), hat man auch auf dieser Ebene seinen Spaß.

In Großbritannien ist der Spanische Bürgerkrieg ein Trauma. Viele Briten fanden den Weg zu den internationalen Brigaden (George Orwell) oder zum NKWD (Cambridge Spies). Noch heute wird der Krieg in Romanen, Filmen und besonders Thrillern thematisiert. Ein deutscher Kriminalroman, der dies getan hätte, ist mir nicht bekannt.

Bis jetzt.

„Nina ist ein Rollergirl, hart im Nehmen aber auch nicht zimperlich dabei sich zu wehren. Durch ihre Reizbarkeit verliert sie fast ihren Job bei einer Berliner Security-Firma. Zu ihrem Glück ist sie jedoch als Halbspanierin die ideale Besetzung um die Kunsthistorikerin Uta nach Barcelona zu begleiten. Uta will dort das Schicksal eines deutschen Künstlers aufklären, der als Interbrigadist im Bürgerkrieg verschollen ist. Nina kennt nicht nur Barcelona bestens, auch die Geschichte ihrer eigenen Familie ist aufs engste mit der des Bürgerkrieges verflochten. Aber während sie mit den Nachforschungen beginnt und sich dabei zunehmend von Uta angezogen fühlt, entgeht ihr völlig, dass sie längst in einem viel komplexeren Spiel als Bauernopfer eingeplant ist.“

Wenn Frank Westenfelder einen Thriller vorlegt, sind die Erwartungshaltungen natürlich hoch. Der studierte Historiker betreibt die beste Seite über das Söldnerwesen (http://www.kriegsreisende.de/ ) und schrieb mit KRIEGSREISENDE (ebenfalls bei twentysix, 2016) das deutsche Standardwerk zur Kulturgeschichte des Söldnertums.

Sein Roman steht klar in der hard-boiled-Tradition. Mit seiner lesbischen Protagonistin, die ihr hohes Aggressionspotential gerne auslebt, bringt er einen schärferen Wind in die deutsche Kriminalliteratur, die ja hauptsächlich aus ebenso langweiligen wie vorgeblich sensiblen Ermittlern besteht und entsprechende Literatur und Fernsehen zu Orten des Grauens macht. Die zunehmende Brutalisierung weiblicher Protagonisten ist nur vordergründig Ausdruck von Emanzipation; tatsächlich bestätigt sie die zunehmende Einbindung der Frauen in das männliche Wertesystem. Aber darum geht es dem Autor nicht: Er will für seine Geschichte eine treibende Action-Heldin in der Tradition von Modesty Blaise. Und das schafft er.

Westenfelder lebt seit langem in Barcelona und kennt sich aus. Ihm gelingt es vortrefflich, dem Leser ein Gefühl für die Stadt zu vermitteln, das die üblichen Klischees konterkariert. Insofern ist BLUE LADY IN ROT wahrlich ein Städtekrimi. Denn neben Nina und der Geschichte aus dem Bürgerkrieg ist Barcelona die dritte Hauptperson des Thrillers. Insgesamt ein rasanter Action-Thriller, der neben bizarren Charakteren auch Atmosphäre bietet und verdeutlicht, dass Vergangenheit eben nie zu Ende ist. Ein deutscher Thriller für Leser, die sich eher an internationalem Niveau orientieren als am Biedermeier.


Volker Kutscher gelang das fast unmögliche: Er vermittelte deutschen TV-Serienredakteuren einen Hauch von zeitgeschichtlicher Bildung. Dank ihm und seines Publikumserfolges verkünden sie nun begeistert die schemenhafte Erkenntnis, das es zwischen Mittelalter und „dem bösen Hitler“ noch etwas gab: nämlich Weimar. Ausschlaggebend für den Film-und TV-Produktionen erschütternden Bildungsschub ist der immense Erfolg von Kutschers Serie über den Kölner Kriminalisten Gereon, der nach Berlin geht und im dortigen Spektrum der Weimarer Republik agiert.
Einiges ist „historisch“ sowohl im Roman wie im Comic einer falschen Dramaturgie angepasst: Derartige Großproduktionen, wie im NASSEN FISCH dargestellt, hat es im damaligen Pornofilm nicht gegeben. Und schon gar nicht hätte man dieses illegale Geschäft lautstark in einem Mietshaus des Bürgertums produziert. Die durchs Treppenhaus trampelnde Razzia sorgt auch in der graphischen Umsetzung für unfreiwillige Komik.

Der erste deutsche Krimi-Autor, der sich – stilistisch ungleich eindrucksvoller – in dieser Zeit bewegte, war m.W. Robert Hültner. Der Erfolg von Kutscher sorgt nun jedenfalls für eine TV-Serie, die Tom Tykwer für die Degeto und Sky mit realisiert. 16 Folgen mit einem Budget von ca.40 Mio Euro sind geplant und sollen endlich mal Erfolg im internationalen Markt bringen. Da die Redakteure bis vor kurzem nicht wussten, dass es Geschichte außerhalb von Guido Knopp gibt, konnten sie auch keine diesbezüglichen Konzepte für TV-Serien beurteilen (das war unter Fernsehspiel-Redakteuren bis zu den 1980er Jahren mal anders). Und wenn es etwas gibt, mit dem die Deutschen medial international trumpfen könn(t)en, dann mit ihrer Geschichte des 20.Jahrhunderts. Aber das hat man bisher im Thriller vor allem den Angelsachsen überlassen.

Bei dem Multimedia-Hype um Kommissar Gereon Rath will auch das Altherren-Medium Comics nicht abseitsstehen.

Carlsen ließ von Arne Jysch den Roman DER NASSE FISCH als Graphic Novel umsetzen. Weitere Kutscher-Adaptionen sollen folgen. Das erinnert natürlich an das französische Konzept der Leo-Malet-Adaptionen. Nichts ehrenrühriges. Alles ganz nett, aber graphisch auch nicht originell. Beim ersten Reinschauen könnte man den Eindruck gewinnen, es handle sich um die Umsetzung einer Elliott Ness-Geschichte. Die Action ist im Vergleich mit Tardi eher statisch, die ganze Umsetzung wirkt antiquiert (Angst und typisch deutscher Respekt vor dem zeithistorischen Sujet?). Der Comic liest sich natürlich schneller als Kutschers redundante Wälzer, stört nicht und tut niemanden weh.



30 JAHRE SCHWARZE SERIE (Bastei-Lübbe) 3/ by Martin Compart
14. November 2016, 9:23 am
Filed under: Bücher, Heftroman, Krimis, Porträt, Schwarze Serie | Schlagwörter: , , ,

PROLOG: IM SCHATTEN DER EULE 3

 

Aber Bastei-Lübbe hatte ein Riesenproblem: Sie kamen nur schwer in die Regale der Sortimentsbuchhandlungen. Zwar hatte man mit einem engagierten Hardcover-Programm erste Erfolge, aber das Image als „Heftchenverlag“ befeuerte nach wie vor die Arroganz der Kulturnachtwächter, die die heiligen Hallen ihrer Buchverkaufsstellen rein von Schmutz und Schund hielten. Noch in den 1970er Jahren gab es Städte, in denen man Bücher des Heyne-Verlages nur in Bahnhofsbuchhandlungen in Drehständern präsentiert bekam. Und Heyne machte nicht mal „Groschenhefte“.

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Lübbe war schon damals ein „Mischkonzern“ in der Printbranche: Neben Büchern verdiente man vor allem Geld mit Produkten, die der traditionelle Buchhandel verachtete: Zeitschriften wie „Das goldene Blatt“, Comics wie „Gespenstergeschichten“ oder Romanhefte wie „Jerry Cotton“, „John Sinclair“ und „Der Bergdoktor“, von denen es auch monatliche Taschenbuchausgaben gab. Zwar hatte man in den letzten Jahren an Boden gewonnen, aber das Image-Problem war eine verdammt harte Nuss. Grosse Teile der Branche hatten Berührungsprobleme mit Bastei. Daran arbeiteten Michael Görden und sein Chef Rolf Schmitz nun intensiv. Wirtschaftlich ging es dem Verlag bestens! Man leistete sich sogar ein eigenes, gigantisches Druckhaus und eine noch gigantischere Auslieferung.

Görden, Giesen und ich trafen uns. Görden hatte seine Hausaufgaben gemacht: Er schwärmte von Bergisch Gladbach und Umgebung als eine Region – da konnte San Francisco nach Hause gehen! Und dann erst der Verlag! Welche Möglichkeiten es doch da für einen engagierten Mitarbeiter gab! Man konnte den Eindruck gewinnen, als wäre Bastei das Shangri-La in einem unentdeckten Tal im Bergischen Land.

Die Vorstellung, Ullstein zu verlassen, machte mir mächtig zu schaffen. So etwas würde man nie wiederfinden. Der Laden hatte Magie, alles war möglich, die Weltherrschaft planbar – nur der Vertrieb die Grenze. Aber die Fusion würde meiner Begeisterung den Stecker ziehen. Alleine die Vorfreude war kaum auszuhalten.

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Görden lud mich nach Bergisch-Gladbach ein um mir den Laden anzusehen und vor allem, um Rolf Schmitz zu treffen. Mit Berlin war ich nie warm geworden (dafür hatte mich München zu sehr geprägt). Ein geographischer Wechsel hätte keinen Schrecken. Ich besuchte also das Lost Valley zwei- oder dreimal. Mit Rolf Schmitz würde ich zurecht kommen. Wir waren bei den strategischen Überlegungen nah beieinander. Aber Ullstein war das hier nicht. Nur: Nach jeder Fahrt ins Bergische, erlebte ich die Stimmung bei Ullstein düsterer. Niemann tat alles, um die Laune zu heben, aber genauso gut hätte er uns erzählen können, dass die Sahelzone künftiges Wachstumsgebiet für Schlemmerlokal wäre.

(Fortsetzung folgt)

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30 JAHRE SCHWARZE SERIE (Bastei-Lübbe) 2/ by Martin Compart

PROLOG: IM SCHATTEN DER EULE 2

Gerüchte hatte es bereits vorher gegeben. Aber jetzt wurden sie von der Geschäftsleitung bestätigt. Das Grauen ging um. Fleißner galt als Rechter und – was vielleicht noch schlimmer war – als kaltherziger Verleger, der mit Büchern lediglich Geld machte um dieses in Immobilien zu stecken. Inhalte interessierten ihn einen Dreck, solange sie Geld brachten oder Geschichten von der Ostfront erzählten. Mit seiner Prokuristin war ich schon mal aneinander geraten:

Ronald Hahn hatte den ersten Jack London-Reader für die ABENTEUER-Reihe gemacht. Irgendein Fleißner-Verlag hatte Jack London im Programm und saß auf den entsprechenden Übersetzungsrechten, die m9ich einen Dreck interessierten, den Ronald verwendete für den Reader nur bisher nicht übersetztes Material oder übersetzte neu.9783548102832-de1

Nun rief mich jene Prokuristin erbost an um mir zu verkünden, dass die Fleißner-Gruppe über alle deutschen Rechte an Jack London verfüge. Ich bekam einen Lachanfall und fragte sie, ob die Fleißner-Gruppe auch die deutschen Rechte an Tacitus oder Charles Dickens hielte. Denn Jack London war 1916 verstorben und somit seit 1966 public domain. Einige Pulp-Geschichten sogar noch früher. Das versprechen, von ihrem Verlagsanwalt zu hören, falls wir das Buch, wie vorangekündigt, heraus brächten, blieb unerfüllt.

Auf keinen Fall passte Fleißner zu Ullstein. Da konnten Gesandte des „Haupthauses“ (Springer) so viele Veranstaltungen machen und Beschwichtigungsreden („Es ändert sich für Sie nichts. Es ist nur eine Fusion um die Marktmacht zu vergrößern.“) halten, wie sie wollten.

Jedem der seine Sinne beisammen hatte, war klar, dass sich Niemann nur bis zu einem Punkt mit diesen Vorreitern des postmodernen Branchenverständnis aus München arrangieren konnte. Wie der STERN später über Niemanns Abgang schrieb: Mit dieser Fusion hatte man ihm „auf der Zielgerade in die Kniekehlen geschossen“.

Es war mir ziemlich egal, ob sie mich und meine Reihen in Ruhe ließen (was sicherlich auch nicht dauerhaft gewesen wäre). Die Struktur dieser Gemeinschaft würde zerstört werden. Die mühsam von Niemann entwickelte Feinmechanik, in der jedes Rädchen geschmeidig ins andere griff, würde die neue Biertischphilosophie nicht überleben, die da lautete: „Die schnelle Markt am Hauptbahnhof“. So empfand ich das jedenfalls. Und ich kann mich nicht erinnern, das es jemand anders sah.

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Fauser plante den Absprung. Wenn Niemann gehen würde (was dieser tapfer bestritt), würde er auch gehen. Trotz Hanna Siehr, die die beste Lektorin war, die er je hatte (wenn beide die endgültige Fassung eines Romans im Konferenzraum bearbeiteten, qualmte das ganze Stockwerk und Jörg tauchte gelegentlich in meinem Büro auf und schäumte vor Wut über Hanna. „Tja, Jörg, so ist das nun mal, wenn man mit der BESTEN arbeitet. Das halten nur die BESTEN aus“, spendete ich gerne Trost.).

Dann tauchte Michael Görden von Bastei-Lübbe auf meinem Radar auf.goerden_22_11_2013_bearb_web1

Ich weiß nicht mehr, warum. Es könnte um eine Übersetzung gegangen sein, oder Rolf Giesen sollte ein Projekt für Görden entwickeln,,, Keinen Schimmer mehr. Görden war mir jedenfalls nicht unbekannt. Jeder in der Branche hatte mitbekommen, dass sich bei Bastei-Lübbe etwas tat. Sie hatten für das Hardcover den ehemaligen Piper-Lektor Fritsche geholt. Der Mann, der Forsyth und Ulf Miehe (neben anderen Autoren, die mich weniger interessierten). Und Görden dreht zusammen mit dem zuständigen Verlagsleiter Rolf Schmitz den sogenannten „Heftromanbereich“ auf links, indem sie parallel zum Lübbe-Taschenbuchbereich ein eigenes Taschenbuchsegment aufbauten. Darunter befanden sich Thriller von Arthur Lyons und der erste Nate Heller-Roman von Max Allan Collins (den sie mir vor der Nase weg geschnappt hatten).science-fiction-times-nr-133-aus-1974-magazin1 Görden hatte sich mit Michael Kubiak und Freddy Köpsel (wie Rolf Giesen, Ronald Hahn und ich, ehemaliger Mitarbeiter der SCIENCE FICTION TIMES; aus dieser Kaderschmiede sind auch Koryphäen wie Hans-Joachim Alpers, Uwe Anton,Werner Fuchs – FANPRO und heute Agent von George R.R.Martin – und Bernd W.Holzrichter hervor gegangen). die richtigen Leute geholt, um Bastei in der Science Fiction und Phantastik richtig groß zu machen; zur Nummer Zwei hinter Heyne, dem damals unanfechtbaren Marktführer.

Außerdem hatten sie gerade die erste Paperback-Reihe in Deutschland gestartet.

Unter den ersten Autoren befand sich ein Autor namens Stephen King.

 

Keine Frage: Bastei-Lübbe war heiß. Warum sollte man also nicht mal mit Görden einen trinken gehen, wenn er in Berlin war?

 

 

 

FORTSETZUNG FOLGT

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