Martin Compart


THRILLER, DIE MAN LESEN SOLLTE: ROBERT FERRIGNO by Martin Compart


Obwohl seine Romane in 18 Sprachen übersetzt wurden, hat es Robert Ferrigno nie in die erste Liga der internationalen Bestsellerautoren geschafft, Dabei hat man ihn bei seinem Debüt 1990 mit THE HORSE LATITUDES (ROSSTIEFEN) immer mal wieder als „the next big thing“ vermutet. Seitdem schrieb er wohl 12 Romane, die nicht den prognostizierten Bestsellererfolg hatten. Seit ein paar Jahren ist er diesem Ziel näher gekommen, indem er sich vom Noir-Thriller abgewendet hat und eine Serie schreibt, die in der nahen Zukunft angesiedelt ist, in der die USA ein islamisches Land geworden sind. Vergleichbar eher mit Robert Harris´ VATERLAND oder Len Deightons SSGB, als mit Parallelwelten der Science Fiction. Der erste Roman ist auch auf deutsch erschienen; von seinen Thrillern leider nur die ersten sechs (bei Knaur und Goldmann).

Ferrigno hat ein merkwürdiges Problem mit Nachhaltigkeit: Bei der Lektüre seiner Noir-Thriller amüsiert man sich glänzend, empfindet ihn häufig in derselben Klasse wie Elmore Leonard oder Carl Hiaasen. Aber kaum hat man das Buch weggelegt, platzt die Erinnerung daran wie eine Seifenblase und selbst sein beeindruckendes Personal an bösen Buben entschwindet. Unverständlich, da er tolle Dialoge schreibt, wahnwitzige Figuren erfindet und originelle Plots entwickelt. Wiederholt entgleitet ihm die Struktur und dann geraten die Bücher aus dem Tritt, können das Tempo nicht mehr halten. Die Choreographie stimmt nicht mehr. Das klingt  ziemlich hart. Aber ich würde mir wohl nicht die Mühe machen, Ferrigno hier zu behandeln, wenn das Vergnügen an seinen Romanen nicht die Mängel übertreffen würde. Lassen Sie sich also bei aller hier geäußerten Kritik nicht von der Lektüre abhalten.

Seine schwächeren Romanen erinnern an Filme von Quentin Tarantino: Intelligentes Spiel mit Genres-Topoi, blendende Dialoge und Charaktere, aber ohne berührende Tiefe.

Ferrigno hat auch seinen eigenen Kosmos entwickelt: Mehrere Personen gehören zum Team des SLAP-Magazins, die Polizistin Jane Holt usw. Dem regelmäßigen Leser bereitet es Vergnügen, wenn er diese Selbstreferenz erkennt.

Seine Helden sind keine crime fighter. Sie stehen immer etwas außerhalb der Gesellschaft – auch als Journalisten – und folgen ihren eigenen Regeln, sind somit typische Noir-Protagonisten. Als „Talentierte Outsider“, beschreibt sie Ferrigno. Seine „Story-Maschine“ wird meist dadurch angeworfen, dass sie eine moralische Entscheidung treffen müssen, die dann zu ungeahnten Situationen führt, die alles schlimmer machen.

Sein Stil ist sehr filmisch. Die einzelnen Szenen könnten problemlos zum Drehbuch aufgelöst werden (fast alle Romane wurden – einige mehrfach – von Hollywood optioniert, aber bisher keiner verfilmt). “ I think and write very visually. Thinking cinematically, thinking in terms of dialogue and movement, is an advantage. It allows me to lie in bed with my eyes closed and „play“ different chapters in my head as scenes, reshooting them from different angles and points of view until I get it right. Then I can get up and go to the keyboard with certain problems solved. It’s mental storyboarding and keeps things fast and true. If it doesn’t look right, it’s not going to read right. An extra advantage is that I can reassure my wife that I am still working, even when horizontal.“

Er arbeitet etwa ein Jahr an einem Buch, dabei die letzten Monate täglich bis zu 14 Stunden. Es ist eben mühevoll, etwas leicht aussehen zu lassen, Der Umfang seiner eher schmalen Thriller unterscheidet sich wohltuend von den Volumen redundanter Langweiler wie Don Winslow, Adrian McKinty oder Dennis Lehane (den Ferrigno als einen seiner Lieblingsautoren nennt) mit ihrer kleinbürgerlich-feuilletonistischen Entrüstung und „seht-her:- mehr-als-ein-Krimi-Attitüde“. Bei der Arbeit hört er Musik – von Puccini über Brian Eno bis Tammy Wynette. Ein breitgefächerter Musik-Geschmack für den ehemaligen Begründer eines Punk-Rock-Magazins, “ I use more of a story-board – as in film making… . I usually follow a promising lead or plot development even if it’s not in the outline… Most of the bad guys in my books start out as stock characters and then take on a life of their own… . I trust my unconscious more than my conscious any day.“

Robert Ferrigno wurde 1947 in eine italienisch stämmige Familie in Fort Lauderdale geboren. „We were a highly dramatic family who discussed politics and current events at every meal. Intellectual courage was highly praised and individuality encouraged, the greatest gifts any parent can give a child.“ Die Erfahrungen der Sixties prägten sein politisches Bewusstsein. „Ich hasse alle Politiker. Aber am meisten diem die ihre Freundinnen oder Dates ertrinken lassen.“ Eine Anspielung auf Ted Kennedys „Zwischenfall“ von Chappaquidick, bei dem der junge Senator zusammen mit Mary Jo Koppechne im Auto in den Fluss stürzte. Während der wohl schlagartig nüchterne Politiker sich aus dem Wagen befreien konnte und an die Wasseroberfläche schwamm, ließ er seine Begleiterin ersaufen. Wie man sich nach Ferrigno in einer solchen Situation zu verhalten hat, beschreibt er im 2.Kapitel von DEAD SILENT.

Er studierte u.a. Philosophie und Film und unterrichtete dann eineinhalb Jahre am College. Gelangweilt gab er seine akademische Karriere auf und wurde für fünf Jahre professioneller Poker-Spieler. Dann gründete er das Punk-Rock-Magazin THE ROCKET und landete schließlich als Feature-Schreiber bei einer kalifornischen Zeitung, „Hier interviewte ich oder schrieb ich über Leute, die später meine Romane bevölkerten.“ Er interviewte auch Elmore Leonard, mit dem er verbunden blieb, und der ihm für sein erstes Buch eine großartige Empfehlung (blurb) schrieb.

Ferrigno begann seinen ersten Roman zu schreiben, als seine Frau während ihrer Schwangerschaft ernsthaft erkrankte. „Sie war todkrank und ich lenkte mich zeitweilig mit dem Schreiben ab. Ich schrieb das Buch, das ich seit 15 Jahren im Kopf hatte.“ Zwei Monate nachdem er bei der Zeitung gekündigt hatte, fand er einen Agenten, der das halbfertige Manuskript neun Verlagen präsentierte; alle machten ein Angebot. William Morrow erhielt den Zuschlag, denn Ferrigno brauchte dringend den höchst möglichen Vorschuss: „.My family was very passionate, very angry – my dad at sixty years old finally snapped and shot a man in the face with a .357 magnum. I used part of my advance for The Horse Latitudes to hire a good attorney and he beat the rap.“

Das wäre kein schlechter Anfang für einen Ferrigno-Thriller.