Filed under: Crime Fiction, James Lee Burke, Noir, Pendragon Verlag, Rezensionen | Schlagwörter: Cpuntry Noir, Dave Robicheaux, Fenimore Cooper, Herman Melville, James Lee Burke, Noir
Nach dem erschütternden Hurrikan Katrina braucht Detective Dave Robicheaux eine Auszeit. Gemeinsam mit seiner Frau Molly und seinem besten Freund Clete will er sich auf einer Ranch in Montana beim Fischen erholen.
Doch die vermeintliche Idylle wird schnell durchbrochen, als zwei Studenten brutal ermordet und bei der Ranch aufgefunden werden. Robicheaux wird unmittelbar in den Fall hineingezogen, in die Machtspiele derer, die in Montana den Ton angeben. Clete hat währenddessen allerhand eigene Probleme und wird schon bald von seiner kriminellen Vergangenheit heimgesucht.
Übersetzt von Bernd Gockel
Pendragon Verlag
Deutsche Erstausgabe
Band 17 der Robicheaux Edition
576 S., Klappenbroschur, PB,
ISBN: 978-3-86532-747-5
Juli 2021
Originaltitel : Swan Peak, 2008
€ 24,00
Einige Jahre hatte ich James Lee Burke nicht mehr gelesen. Ich war übersättigt, hatte wohl genug von Louisiana, Texas oder Montana. Dabei hat sein beeindruckender Ausstoß so gut wie nie die Qualität seiner Romane beeinträchtigt. Wie auch immer. Jedenfalls bin ich nun schon eine Weile reumütig zu ihm (und besonders Robicheaux) zurückgekehrt und las in diesem Jahr bereits einen zweiten Roman.
Und natürlich war er wundervoll.
Burkes kraftvoller und poetischer Stil kann einen Banausen wie mich dazu verführen, fast auf jeder Seite wohlformulierte Sätze anzustreichen. So auch in KEINE RUHE IN MONTANA:
„Meine Begeisterung ging allerdings nie so weit. Diesem geborenen Don Quichotte auf seinen Feldzügen gegen alle Windmühlen dieser Welt zu folgen. Seine rostige Rüstung war immer griffbereit, auch wenn es in seinem Leben von zerbrochenen Lanzen nur so wimmelte.“
„Sie spürte, wie sich der Whiskey langsam in ihr Nervensystem vortastete.“
„Geh mit keiner Frau ins Bett, die mehr Probleme hat als du selbst.“
Dies ist einer von Burkes umfangreichsten Robicheaux-Romanen, und das hat einen Grund: in keinem mir bekannten anderen Roman steigt er tiefer in die Psychologie der Figuren ein, um zu ergründen, warum sie tun, was sie tun. „I was a social worker once, working at times in association with California Parole and Probation. I worked with a lot of convicts and career criminals. And I was a newspaper reporter. Then, I worked for nine years for a Miami junior college that served as a kind of adjunct for the Miami PD. In truth, most of my work has to do with the larger society. I’m not really that knowledgeable about police work. The real story is in the psychology of the characters.” (Burke)
Unter den komplexen Romanen der Serie ist dieser vielleicht der komplexeste mit den vielen Handlungssträngen, Charakteren, Robicheauxs Reflektionen und der kaum noch zu steigernden Qualität von Burkes stilistischer Qualität.
Burke hat dem ICH-Erzähler neue lyrische wie sozio-historische Dimensionen gegeben. Bekanntlich ist der Ich-Erzähler seit Mark Twains HUCKLEBERRY FINN, Herman Melvilles MOBY DICK oder Scott Fitzgeralds THE GREAT GATSBY einer, wenn nicht der, „Helden“ der amerikanischen Literatur. „Using a first-person narrator is simply a matter of hearing the voice inside yourself. The character is already in the author, I think. The challenge is not to allow the ego of the character to dominate the story.”
Burke ist durch und durch ein amerikanischer Autor, dessen Einflüsse und Bezüge bis auf Thoreau und James Fenimore Cooper zurück reichen. Seinen ausführlichen und liebevollen Naturbeschreibungen, voller poetischer Verbundenheit, stehen oft depressive oder höhnische Darstellungen des urbanen Lebens gegenüber.
Wie so viele Hard-boiled-Helden ist auch Robicheaux ein moderner Nat Bumppo, ein Spurenleser in der Industriegesellschaft, der die Wildnis nicht vergessen hat. „Die trotzige Melancholie seiner Bücher erinnert an das Spanish moss, das man in seinen Landschaftsbeschreibungen buchstäblich riechen kann: irgendwie traurig, aber ein Zeichen von Leben“, schrieb Tobias Gohlis.
Der „Independent“ vergleicht ihn mit Zola:
„There are not many crime writers about whom one might invoke the name of Zola for comparison, but Burke is very much in that territory. His stamping ground is the Gulf coast, and one of the great strengths of his work has always been the atmospheric background of New Orleans and the bayous. His big, baggy novels are always about much more than the mechanics of the detective plot; his real subject, like the French master, is the human condition, seen in every situation of society.”
KEINE RUHE IN MONTANA schließt brillant an den anders brillanten Vorgänger STURM ÜBER NEW ORLEANS (THE TIN ROOF BLOWDOWN, 2007) an: Robicheaux, seine Frau und Purcell suchen Erholung von den Schrecken Katrinas in Montana.
Die Schatten der Vergangenheit sind lang für Dave Robicheaux und seinen alten Freund Clete Purcell. Und die Geister der Vergangenheit ruhen nicht. Einer dieser Geister ist der Mobster Sally Dio, den Robicheaux, bzw. Clete, im dritten Band der Serie (BLACK CHERRY BLUES, SCHMIERIGE GESCHÄFTE) erledigt hatte. Nun taucht nicht nur ein alter Gefolgsmann des Gangsters auf um Ärger zu machen, auch Clete hat Schwierigkeiten. Denn das FBI hat Sallys Akte nach zwanzig Jahren wieder geöffnet und untersucht unter der Leitung der vietnamesisch-amerikanischen Agentin Alicia Rosecrans seinen Tod bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz in Montana.
Und Clete gerät bei seinem destruktiven Trip down suicide road (Mit Cletes Dämonen würde es kein Exorzist aufnehmen) wieder unter Verdacht, etwas damit zu tun gehabt zu haben.
Und da sehe ich eine Schwäche in der Story. VORSICHT! SPOILER ALARM! Ist es glaubhaft, dass eine junge bekennende Lesbe sich mit einem sechzigjährigen Drogenfreak einlässt und mit ihm den Rest seines Lebens verbringen will? I mean really, Mr. Burke… Auch mit der Wandlung von Troyce Nix habe ich Glaubwürdigkeitsprobleme.
Nie hat Burke so viele unterschiedliche Handlungsstränge so ausführlich in ihrer Entwicklung behandelt. Jeder könnte einen eigenen Roman hergeben. Sie werden verknüpft, wie nur Burke es kann, verwoben durch Burkes harter sozialkritischer Weltsicht, die ein Amerika zeigt, „dass nicht mehr das Amerika meiner Jugend ist“. Eben die USA seit dem roll back, beginnend mit Ronald Reagan.
Er schließt sich einer These an, die sich unter Zynikern und pseudo-marxistischen Theoretikern in den letzten Jahrzehnten zunehmend verbreitet hat: „When people talk about class war, they’re dead wrong. The war was never between the classes. It was between the have-nots and the have-nots. The people in the house on the hill watched it from afar when they watched it at all.” Wirklich entziehen kann man sich dieser Argumentation schwerlich.
In der erschreckenden Gefängnissequenz führt Burke das perverse privatisierte Verwahrungssystem der USA vor. So lässt er den ehemaligen Abu Ghraib-Schergen Troyce Nix sagen: „Ich bin Gründungsmitglied und Aktionär der Firma, die das Gefängnis betreibt. Was bedeutet, dass eine Wohnpauschale Teil meines Vergütungspakets ist. Anders gesagt: Die Beschäftigung von Häftlingen hier (auf meinem Grundstück) unterscheidet sich in keiner Weise von der Beschäftigung innerhalb der Gefängnismauern. Und wenn du nun mit dem Gedanken spielst, dir einen diese lachhaften Bürgerrechts-Advokaten…“
Wie immer bei Burke gibt es auch in MONTANA wunderbare Naturbeschreibungen und pointierte Beobachtungen: „Der Blitz schien vor dem Einschlag für eine Sekunde unentschlossen zu zögern, als wolle er sich ein spezielles Lebewesen herauspicken, das er nun an der Erdoberfläche aufspießte.“
“With its trademark mix of brutality and poetry, Swan Peak is a brilliant piece of work from an American master”, stellte der “Observer” treffend fest.
Der Roman, der auf ein furioses Finale hinausläuft, ist – wie gesagt – mit 571 Seiten höchst umfangreich. Da man ihn kaum aus der Hand legen kann, sollte man sich vor der Lektüre entsprechend Zeit einräumen.
Filed under: Conspiracy, Elsinor Verlag, Geschichte des Polit-Thrillers, Graham Greene, James Bond, John Mair, Klassiker des Polit-Thrillers, Politik & Geschichte, Sekundärliteratur, Spythriller, thriller | Schlagwörter: ES GIBT KEINE WIEDERKEHR, Geoffrey Household, George Orwell, Graham Greene, James Bond, John Buchan, John Mair, Julian Symons, Klassiker des Polit-Thrillers, Polit-Thriller, Sapper, Somerset Maugham
Aus dem Nachwort:
Thriller
Als John Mairs Roman Never Come Back erschien, stand der britische Spionageroman schon in erster Blüte. Ausgehend von den Invasion-Romanen eines William Le Queux, Rudyard Kiplings «Great Game»-Roman Kim und Erskine Childers Riddle of the Sands entwickelte sich im und nach dem Ersten Weltkrieg ein Genre mit breitem Spektrum.
Den prägendsten Einfluss übte der Schotte John Buchan aus, der mit dem Klassiker The 39 Steps (seit 1915 in Britannien ununterbrochen lieferbar) eine Art Blaupause für viele Thriller lieferte (die auch in Never Come Back nachschwingt: Ein Zivilist wird in eine Verschwörung verwickelt, muss vor Sicherheitskräften und Konspirateuren fliehen und während dieser atemberaubenden Jagd die Konspiration aufklären und verhindern).
In den 1920er Jahren entstanden neben diesen politisch konservativen Thrillern auch faschistoide, wenn nicht faschistische Thriller. Zum Synonym für diese brutale Spielart des Politthrillers wurde «Sapper» mit seiner Bulldog Drummond-Serie, die vor Antisemitismus und Rassismus nur so strotzt. In diesen Spionagethrillern tobte die Paranoia des britischen Empires. Es fühlte sich von allen Seiten bedroht, von anderen Mächten und politischen Systemen. In Britannien verschärfte sich der Klassenkampf und in den Kolonien kam es zu Aufständen. Dahinter – so suggerierten nicht nur Sapper & Co. – standen Kommunisten, unterstützt von der Sowjetunion, Anarchisten, eifersüchtige Imperialmächte wie Frankreich oder die USA oder das Finanzjudentum.
Bulldog Drummond und Richard Hannay hatten alle Hände voll zu tun, feindliche Sabotage- und Spionageringe aufzuspüren und unschädlich zu machen. Die Populärkultur feierte nach wie vor Britanniens imperiale Allüren.
Beginnend mit Somerset Maughams Kurzgeschichtenzyklus Ashenden (1928) begann eine Tendenz zu bis dahin nicht gekanntem Realismus im britischen Spionageroman. Autoren wie Eric Ambler oder Graham Greene verfestigten diese literarische Strategie. Danach unterscheidet man zwei Schulen des Spy Thrillers: die romantische und die realistische (mit vielen Überschneidungen im Laufe der Jahrzehnte).
1939, in dem Jahr, als Mair seinen Roman angeblich begann, erschienen drei Meilensteine des Genres, die er wahrscheinlich gelesen hatte: The Mask of Dimitrios von Eric Ambler, The Confidential Agent von Graham Greene und Rogue Male von Geoffrey Household. Mit Eric Ambler verbindet Mair auch die linksliberale politische Orientierung.1
Aber vielleicht hatte Mair auch später Graham Greene beeinflusst: Man weiß nicht, ob Graham Greene Mairs Roman gelesen hat. Aber in Ministry of Fear (1943) weist einiges darauf hin, besonders die atmosphärischen Beschreibungen Englands während des Krieges (und Greene schrieb den Roman bekanntlich während seiner Zeit in Sierra Leone als Mitarbeiter des Geheimdienstes). In beiden Romanen finden die Aktionen in «Echtzeit» statt, genau in diesem Moment, nach dem sogenannten «Phoney War» oder «Sitzkrieg», in dem die Deutschen soeben die Kapitulation Frankreichs erzwungen und begonnen hatten, die Inseln zu bombardieren. Allerdings spürten die britischen Bürger die Auswirkungen des Konflikts noch nicht so intensiv wie ab September 1940 (The Blitz), als die deutsche Luftwaffe auch die Städte angriff. Man schien sich durch die Insellage noch sicher zu fühlen und war eher optimistisch. Was würde als Nächstes passieren? Niemand wusste es so recht und die meisten waren nicht allzu beunruhigt.
Mair kannte das Genre und hatte sich bewusst für die Form des Thrillers als Romandebüt entschieden. Julian Symons berichtet, dass Mair häufig Thriller rezensiert hatte, darunter eine Symons beeindruckende Besprechung von James Hadley Chases Roman No Orchids for Miss Blandish, der ebenfalls 1939 erschienen war. In dieser Rezension, die Symons in Bloody Murder zitiert, führte Mair akribisch alle Straftaten auf, die in Chases Roman begangen werden. 2
Ich vermute, dass auch G. K. Chestertons «philosophischer Thriller» The Man Who Was Thursday einen gewissen Einfluss auf Mairs Roman hatte: Das dort beschriebene Anarchisten-Zentralkomitee ist ebenso surreal wie Mairs Oppositions-Internationale.
Der Antiheld
Mit seinem Antihelden bricht der Roman durch eine literarische Straßensperre nach der anderen. Nie zuvor wurde mit den etablierten Klischees des Spionageromans konsequenter gebrochen. In Never Come Back gibt es weder einen Clubland-Hero noch eine patriotische Mission – und nicht mal eine «damsel in distress».
Symons stellt fest, dass Desmond Thane ganz bewusst als Gegenentwurf zu den angstfreien
Helden von John Buchan oder Sapper konzipiert worden war (und dass Mair einige Merkmale seiner eigenen egozentrischen Persönlichkeit hat einfließen lassen).
Der Protagonist Desmond Thane ist eine überraschend dreidimensionale Figur, wie es sie damals im Thriller kaum gab. Er gehört wahrlich nicht zu den «Clubland Heroes» à la Richard Hannay, Jonah Mansel oder Bulldog Drummond, die mit ihrem Patriotismus den britischen Spy Thriller dominierten. 3
Thane ist – wie Julian Symons bemerkt – der erste Antiheld des Genres.
Er ist ein pathologischer Lügner, beherrscht von eigenem Vorteilsstreben. Er ist eitel, sexbesessen, feige und egozentrisch. Nichts interessiert ihn weniger als kosmische Harmonie, denn er behauptet sich in der scheinbaren Sicherheit von Spekulationen.
Es zeigt John Mairs Fähigkeiten als Schriftsteller, dass er für ihn trotzdem Empathie beim Leser erzeugt. Denn Thane ist auch clever und schlagfertig wie ein amerikanischer Private Eye, der jedes Dilemma, in das er gerät, annimmt und sich herauszuwinden versteht. Ob wir wollen oder nicht: Seine derbe, überschäumende Vitalität und Cleverness nötigen uns Respekt ab.
In gewisser Hinsicht greift er mit seinem sexuellen Appetit auf spätere Thriller-Helden wie James Bond voraus. Mit Bond verbindet ihn auch seine Neigung zum Hedonismus. Dabei unterscheidet er sich aber doch sehr von Bond durch seinen Egoismus, dem patriotische Motive fremd sind. Als echter Antiheld interessiert ihn keinesfalls das Wohl des Vaterlandes. Ihm geht es nur um den eigenen Vorteil: Nachdem er herausgefunden hat, was seine Gegenspieler wollen, denkt er daran, es ihnen teuer zu verkaufen und mit dem Erlös ein Leben in Wohlstand zu führen. Dafür allein hätte Bond ihn erschossen.
Und seine physischen Fähigkeiten scheuen ebenfalls jeden Vergleich mit 007.
Anders als die Amateure in den frühen Ambler-Romanen, die zufällig in eine Konspiration geraten, treibt Thane sich selbst durch sein sexuelles Verlangen in die düstere Welt von Anna Raven. Für ihn sind Verbrechen nicht Ursachen für, sondern Konsequenzen von Entwicklungen.
Thane sieht sich als erfolgreicher Frauenheld, beladen mit einem antiquierten Frauenbild. Das wird ihm zum Verhängnis, als er Raven trifft und Besitzansprüche stellt.
Sie aber ist eine selbstbewusste moderne Frau, ebenfalls ziemlich ungewöhnlich für die Thriller der damaligen Zeit. Sie bestimmt über ihre Sexualität – sehr zu Thanes Missfallen.
Verärgert muss er feststellen, dass sie ihn dominiert und so behandelt, wie Männer Frauen «gewöhnlich» behandeln. Für sie ist der Sex mit ihm ein rein episodisches Vergnügen ohne emotionale Einlassung. Sie unterwirft sich nicht seiner göttlichen Männlichkeit. Thane kann damit nicht umgehen, wird immer verunsicherter (eine Situation, die auch heute noch bei Männern zu Komplikationen oder Gewaltausbrüchen führt).
Ungewöhnlich für das Genre sind auch Thanes Neigungen zum Philosophieren:
«Selig der Mensch, so dachte er, ohne geistige oder körperliche Leidenschaften, der mit gleichem Abscheu an Buchhandlungen, Bordellen und Reisebüros vorbeizugehen vermochte. Eigentlich schade, dass man sich heutzutage nicht mehr dem Teufel verschreiben konnte; der allgemeine Niedergang des Glaubens hatte diesen Markt ruiniert und den Verderbten lediglich die Rolle des verachteten Proletariats zugewiesen; zu verkaufen blieb denen nichts als ihre
ohnehin verlorenen Seelen. Faust hatte Juristerei, Medizin, Logik und Philosophie immerhin noch gegen vierundzwanzig Jahre voller Macht und Herrlichkeit eingetauscht; inzwischen steckten alle Hauptstädte randvoll mit Gelehrten, die diese vier Disziplinen und allerlei weiteres Wissen liebend gern für ein paar Schillinge und gelegentliche Vortragsreisen hingegeben hätten. Laster unterlagen einer Überproduktion, wie anderes auch.»
Mairs Prosa ist stets raffiniert. Und wann haben wir je von einem Bösewicht gelesen, der die Konsequenzen seiner Missetaten im Lichte philosophischer Lehren analysiert?
Man muss Julian Symons wohl zustimmen, dass Mair in Thane auch ein Selbstporträt anlegte, eine Innenschau des damals achtundzwanzigjährigen Autors. Kein besonders schmeichelhaftes Selbstbild, aber vielleicht treffend angesichts der ihm nachgesagten Egozentrik. Jedenfalls ist Thane ein runder Charakter, wie er in der damaligen Thriller-Literatur selten oder eher gar nicht präsent war. Ein Typ, an dem Patricia Highsmith sicherlich Vergnügen gefunden hätte.
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1 In den sechs Romanen, die Eric Ambler vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben hatte, sympathisiert der Autor mit dem Kommunismus und auch der Sowjetunion.
2 Julian Symons: Bloody Murder. From the Detective Story to the Crime Novel: A History. London: Faber & Faber, 1972. Deutsche Auagaben: Am Anfang war der Mord. Eine Geschichte des Kriminalromans. München: Goldmann, 1982 (Nachdruck der Ausgabe München 1972).
3 Der Begriff «Clubland Heroes» wurde geprägt von Richard Usborne in seinem gleichnamigen Buch (London: Constable, 1953), in dem er die Charaktere in den Werken von Dornford Yates, John Buchan und Sapper untersucht. «I call this book Clubland Heroes because the heroes of the books I am examining were essentially West End clubmen, and their clubland status was a factor in their behaviour as individuals and groups … In Buchan, Sapper and Yates men of action were recruited from the leisured class.»
Filed under: Manny Herrmann, MUSIK, Rezensionen, WENSKE | Schlagwörter: Hanau, Jörn Rauser, MUSIK, Twens
Jörn Rauser
ROCK´N ROLL TRASH: „The Twens“ Backstage
readmybook; 2000. Edition (1. April 2020)
Broschiert ; 120 Seiten
ISBN-10 3000652957
ISBN-13 978-3000652950
Mit 13 stieg er das erste Mal auf eine richtige Bühne – im Bierzelt auf dem Hanauer Lamboyfest. Er sang prophetisch zur Big Band-Begleitung „Grüß mir die Damen aus der Bar von Johnny Miller“. Bars und Damen sollten ihn die nächsten Jahre intensiv begleiten. Er stieg zu einem der führenden Frauenhelden Hanaus auf.
1957 enterte er an einem Sonntagnachmittag in der City Bar erneut die Bühne und intonierte mit den Rock Cats „Hello Josephine“. Auch Krawallmusik würde künftig sein Begleiter sein.
Spätestens jetzt war Jörn Rauser vorerst für eine bürgerliche Karriere verloren. Zwischen „Rock Around the Clock“ und dem Welterfolg der British Invasion hatte er nur noch Rock´n Roll (und was dazu gehört) in der Birne.
Im Juni 1958 trat er dann erstmals mit einigen Kumpels auf.
Sie nannten sich The Twens und wurden zu einer Rock´n Roll-Legende der Garnisonsstadt und hielten bis 1965 durch. Danach gab es immer mal wieder kurzfristige Reunions und Gastauftritte bei Hanauer Feierstunden und Gedenktagen.
Garnisonsstädte wie Hanau sorgten dafür, dass sich der Rock´n Roll in Deutschland einnistete und festsetzte wie eine unheilbare Krankheit, die Hütchenträger und Nylonkittelträgerinnen das Leben zur Hölle machte. Ein wenig Trost fanden die Alten damals nur, wenn sie in der Zeitung unter „Vermischtes“ lesen konnten, dass sich ein paar Halbstarke gegenseitig abgestochen hatten. Auch bei Jörn sorgte die Teufelsmusik dafür, dass er seine vielversprechende Ausbildung zum Zolldeklaranten abbrach. Wenn man nicht zu weit ging, ging man nicht weit genug.
2020 hat Rauser ein Buch geschrieben, in dem er launisch über seine wilde Zeit plaudert – von den Anfängen als Bass-Poser, über den Einsatz von Cuprex (eine Art Agent Orange für den Genitalbereich) gegen Filzläuse bis zum Ende der Karriere als Profimusiker.
Halb- und Unterwelt gehörten zum Milieu des Rock´n Roll. Genauso wie Girls, wüste Saufereien, Schlägereien, möglichst schnelle Autos, Ladendiebstähle, Groupies, Polizeikontrollen, Nachtklubs und Machogehabe.
Rauser erzählt darüber so manche nette Schote, etwa über Nuttenrivalitäten oder wegbegleitende Kumpels. Garniert hat er es mit vielen Fotos, die von den Girls brav gepixelt.
Das Buch bringt einem zwei bis drei Stunden Spaß aus einer Zeit, in der James Dean-Jacken und Blue Jeans (Nietenhosen) als Umweltverschmutzung eingeordnet wurden.