Filed under: Backwood, Film | Schlagwörter: Backcountry, Backwood-Genre, Film
Es müssen nicht immer Kannibalen, Serienkiller oder durchgeknallte Faschisten sein, die für gute Laune im Backwood-Genre sorgen.
Seitdem wir durch permanente und kompetente Umweltzerstörung immer mehr Naturkatastrophen bewirken, dürften Filme wie BACKCOUTRY uns mit Freude oder Trost darüber erfüllen. Wer den Film gesehen hat, wird nicht mal mehr in den Stadtpark gehen wollen. Der Film thematisiert die tiefe Entfremdung von der Natur, begleitet von einer gleichzeitigen Arroganz urbaner Trottel.
Arrogant trampelt ein junges Paar durch einen wilden kanadischen Naturschutzpark (wahrscheinlich inzwischen abgebrannt). Alle Ratschläge des Rangers, bestimmte Pfade keinesfalls zu verlassen, schlägt das Männchen in den Wind um das Weibchen vermeintlich zu beeindrucken. Zuvor hat es in seiner Hybris auch heimlich dafür gesorgt, dass weder Karte noch Handy im Reisegepäck blieben. Alles läuft erstmal einigermaßen, obwohl sich das Männchen bald den Fuß verletzt.
Aber dann müssen sie auf einmal feststellen, dass sie sich hoffnungslos verirrt haben und auch Vorräte und Wasser knapp werden.
Als dann auch noch ein schlecht gelaunter Bär auf sie aufmerksam wird, geht die Party richtig los.
Backcountry – Gnadenlose Wildnis ist ein kanadischer Backwoodfilm von 2014. Geschrieben und gedreht wurde der Film von Adam MacDonald, der sich auf seine unglaubliche Hauptdarstellerin Missy Peregrym (REAPER, ROOKIE BLUE, FBI etc) und die Wildnis von Ontario verlassen konnte.
Robert Abele schrieb in der Los Angeles Times vom 26.März 2015:
„…eine atmosphärische Wildnis-Horrorgeschichte…. Was kann schon schief gehen, wenn sich zwei Menschen in einem Wald aufhalten? Horrorfilme, die in diese Überheblichkeit verliebt sind, haben verrückte Mörder, böswillige Außerirdische, sogar mythische Tiere vorgeschlagen. Drehbuchautor und Regisseur Adam MacDonalds moderat nervenaufreibender Wildnis-Thriller Backcountry erinnert jedoch mit grimmiger, grausiger Entschlossenheit daran, dass menschliches Versagen und pelzige, wilde, kaltblütige Natur alles ist, was man braucht, um … das Publikum ordentlich in Wallung zu bringen… Christian Bielz’ kunstvolle Kameraarbeit ist ein Plus, und MacDonald weiß, wie man ein Spannungsfeuer anfacht. Backcountry bringt unweigerlich einen Blutrausch mit sich, aber der Film findet atmosphärische Wege, um zu zeigen, wie sich die idyllische Ruhe bei einem Ausflug in die Natur in einen Überlebensalptraum für die Unvorbereiteten verwandeln kann.“
Zu sehen ist der Film, der bei uns nie in die Kinos kam, bei Amazon Prime.
Filed under: Backwood, James Lee Burke, Noir, NOIR-KLASSIKER, Rezensionen | Schlagwörter: Dave Robicheaux, Günther Butkus, James Lee Burke, Leslie Fiedler, Noir, Pendragon, Southern Gothic
To my mind, every good novel is a mystery.
To me the crime novel is actually the noir
novel of the 1930s and ‘40s. Those books—and
those films—are about the maturing of
America, class war, growth of the unions,
coming of the mob. It is all the story of America.
However, I would say that the setting of all my
stories is Golgotha. Not in a way that is morbid.
Instead, the story of Jesus is about the struggle
of the oppressed, the poor…
Everything I’ve written includes the story of
Golgotha, and also the search for the Grail.
James Lee Burke
Als eine Frau namens Trish Klein in aufgewühltem Zustand in New Iberia auftaucht, stellt Dave Robicheaux fest, dass es sich dabei um die Tochter von Dallas Klein handelt – seinem Freund aus dem Vietnamkrieg, für dessen Tod er sich bis heute schuldig fühlt. Kaum angekommen, schließt Trish zweifelhafte Deals in Casinos ab. Der Verdacht kommt auf, dass sie in Wahrheit einen viel größeren Coup plant. Kann es sein, dass Trish den Mord an ihrem Vater rächen will? Und was hat sie mit dem angeblichen Selbstmord einer jungen Studentin zu tun? Um den Fall aufzuklären, muss Robicheaux sich endlich seinen Schuldgefühlen stellen.
Dunkle Tage im Iberia Parish
Original: Pegasus Descending
Übersetzt von NORBERT JAKOBER
DEUTSCHE ERSTAUSGABE
480 Seiten, Klappenbroschur, PB, Euro 24,00
ISBN: 978-3-86532-745-1
Auch als eBook erhältlich.
Es muss einem Respekt abverlangen, wie sich Günther Butkus mit dem Pendragon-Verlag bei James Lee Burke reinhängt.
Seit dem Start bei Ullstein hat der Autor mehrmals seine deutschen Verlage gewechselt und bei uns nie den Erfolg gehabt, den man sich erhoffte.
Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass Burke verhältnismäßig dicke Bücher schreibt und somit die Kalkulation erschwert. Hinzu kommt, dass er nicht einfach zu übersetzen ist mit seiner Besessenheit von Fauna- und Landschaftsbeschreibungen. Da muss man schon gute Übersetzer verpflichten.
Das größte Manko für Burke und andere Hochkaliber des Genres ist das deutsche Krimi-Publikum. Seit Anfang des Jahrtausends (manche Kenner der Szene datieren den Dammbruch bereits auf die 1990er Jahre) ist der Niedergang des Publikumsgeschmacks unübersichtlich und scheint sich alle paar Jahre zu potenzieren. Wer Charlotte Link oder Sebastian Fitzeck in die Bestsellerliste kauft, bevorzugt leblosen Schwachsinn im restringierten Code und würde von Autoren wie Burke über die Belastungsgrenze ihres Verstandes herausgeführt.
Ich hatte mich vor einigen Jahren ein wenig satt gelesen an Burke. Hätte Chandler über zwanzig Marlowe-Romane geschrieben, wäre sicherlich derselbe Effekt eingetreten. Aber nun bekam ich doch wieder große Lust darauf, den alten Freund Robicheaux zu besuchen – und ich bereue es nicht! Viel zu oft habe ich mich in den letzten Jahren auf schlechte bis mittelmäßige Neuerscheinungen eingelassen, die dann nach 50 Seiten in die Tonne gekloppt wurden.
Burke schreibt labyrinthische Plots, vollgepackt mit ungewöhnlichen Charakteren, angesiedelt (meistens) in Louisiana. Manchmal erschreckend, wie seine Geschichten unter die Oberfläche dringen (vorwiegend duch die Charaktere) und tief sitzende Ängste aufwühlen. Wie schon bei Ross Macdonald sorgen die Geister der Vergangenheit für Gefahren der Gegenwart.
Dieser 15.Roman der Serie spielt unmittelbar vor Hurricane Katrina, den er voller Wut über das Versagen von Politik und Administration im Folgeband (STURM ÜBER NEW ORLEANS) thematisiert. In DUNKLE TAGE IM IBERIA PARISH brauen sich die Stürme über dem Atlantik zusammen und iIm Epilog bezieht sich Burke bereits auf die verheerenden Auswirkungen dieser Katastrophe, in der ein Hurrikan die Stadt New Orleans schredderte.
Der Roman beginnt mit einem hinreißenden Rückblick auf die frühen 1980er Jahre, als Robicheaux durch ein Austauschprogramm befristet für die Mordkommission des Miami Police Department arbeitet. Seine Sauferei ist mitschuld daran, dass er nicht die Tötung seines Vietnamkameraden Dallas Klein verhindert.
Ein weiterer Eintrag in Daves üppigem Schuldkonto. Robicheaux war immer ein Gefangener seiner Vergangenheit, aber wohl nie so intensiv wie in diesem Roman.
Wehmütig denkt er auch über seine Stadt, dem Big Easy, nach:
„Nicht wie es heute war, sondern von der Stadt, in der Clete und ich als junge Polizisten im Streifenwage unterwegs waren oder, mit einem Schlagstock bewaffnet, zu Fuß unsere Runde drehten. Es war eine Zeit, in der die Stadt in ihrer provinziellen Unschuld vor allem die Black Panthers fürchtete, oder langhaarige Kerle in Sandalen.
Das war bevor in den Achtzigerjahren Crack in der Stadt einschlug wie eine Wasserstoffbombe und die Regierung in Washington den Bundeszuschuss um die Hälfte kürzte.
Erstaunlicherweise herrschte bis in die 1970er eine genusselige Ruhe, die auf einem Pakt zwischen dem Teufel und der Justiz beruhte… Das French Quarter war der Goldesel der Stadt. Wer sich an einem Touristen oder einem älteren Menschen vergriff, wurde aus dem Verkehr gezogen… wer ein Kind belästigte, wurde halbtot geprügelt und an der Bezirksgrenze bei hoher Geschwindigkeit aus einem Polizeiwagen geworfen – und das auch nur, wenn er Glück hatte…
Das traditionelle New Orleans war wie ein Stück Südamerika, das vom Kontinent abgetrennt, von Passwinden über die Karibik herübergeweht worden war und am Südrand der Vereinigten Staaten angedockt hatte.“
Es ist ein Kriminalroman, der auch eine Eloge an Burkes geliebtes New Orleans und die Bayous ist; voller Melancholie und Zynismus.
Für seine „Southern Gothics“ gilt, was Leslie Fiedler über den Roman des Südens schrieb: „… dass der Roman des Südens ganz anders als der aus dem Norden das Melodramatische niemals zu umgehen versucht, sondern geradezu auf bluttriefende Handlungen versessen ist… und die sich mit Vorliebe im schwülen Klima eines `langen, heißen Sommers´ abspielen, vor der Kulisse von Fiebersümpfen…“ (Leslie Fiedler: THE RETURN OF THE VANISHING AMERICAN, 1968)
Aktuell hat Burke innerhalb der Robicheaux-Serie eine „Trilogie des Bösen“, wie er sie nennt, geschrieben:
„The last three books, including A Private Cathedral, comprise a trilogy. They tell a story that, I believe, has been in the making in the United States for a number of years.
That is the coming of a truly dark figure waiting in the wings. For many years we’ve been messing around fascism. We came close to it with Nixon, and later on we had the Bush administration, which I believe will go down as one of the worst. And then Trump…
But this is the first time that I’ve tried to write with an element of fantasy or science fiction, in terms of the time traveler.”
“I believe this is the century that will determine if we survive as a species.
That begins with global warming. Then, there is the recreation of colonialism, or what we could call, “neo-colonialism.” We are seeing the resurgence of a menace we thought we had left behind. Nationalism is growing stronger every day. There are white nationalists within the Trump administration, exerting an influence on national policy. The urgency of the threat has permeated into the writing.”
James Lee Burke ist einer der besten Gegenwartsliteraten und eine der angenehmsten und wichtigsten Stimmen der US-Literatur. Kriminalliterarisch hat er längst Klassikerstatus.
Und ich werde nicht mehr viel Zeit verstreichen lassen, um den nächsten Burke-Roman zu lesen.
Vielleicht noch eine Woche…
Ein Song, der zu Robicheaux passt:
Filed under: Backwood, Jack Ketchum, Joe R.Lansdale, Sekundärliteratur | Schlagwörter: Backwoods, DELIVERANCE, Edgar Rice Burroughs, Jack Ketcum, Kannibalen, Lost Valley, Off Season, Richard Laymon, Rider Haggard, Tarzan, Umweltzerstörung
„Der Gruselschauder ist masochistisch und letzten Endes weiblich, In ihm unterwirft sich die Phantasie einer überwältigenden Übermacht… Der Horrorfilm entfesselt die vom Christentum unterdrückten Mächte – das Böse und das Barbarische der Natur. Horrorfilme sind Rituale in einem heidnischen Gottesdienst.“
Camille Paglia: „Die Masken der Sexualität“
.
„Im Horror kommt zur Sprache, was seit der Aufklärung und der Weimarer Klassik aus dem Kanon des guten Geschmacks ausgegrenzt wurde: die schockierende Abweichung vom Vernünftigen, Schönen und Guten. Legitimierungsbedürftig kann eine solche Untersuchung (des Genres) nur dem erscheinen, der die im 18.Jahrhundert ausgebildeten Geschmacksnormen unbefragt bis in die Gegenwart fortgeschrieben sehen möchte.“
Hans Richard Brittnacher: „Ästhetik des Horrors“
Das Backwood-Genre ist kein ausschließliches Subgenre der Weird Fiction oder des Horrors. Horror dominiert dieses Genre, aber die Topoi des Backwood-Horrors lassen sich auch mit anderen verbinden (siehe auch „Wurzeln“). Es bedient sich vieler Genres, vom „Lost-Valley-Abenteuerroman“ bis zum „Country Noir“. Am intensivsten aber wohl mit dem Horror-Genre.
Das wohl herausragendste Werk, James Dickeys DELIVERANCE, ist schwerlich dem Horror-Genre zuzuordnen. Die Romane und Filme, in denen es um die Konfrontation zwischen städtischen Eindringlingen und Rednecks geht, sind eher dem Thriller zuzuordnen als dem Horror-Genre. Auf den ersten Blick geht es bei Backwood-Thrillern um die völlige Entfremdung des städtischen Individuums von der Natur. Aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Nämlich eine Illustration zum anthropologischen Pessimismus und zeitnaher Ängste. Was die Anhänger der bildungsbürgerlichen Ästhetik als voraufklärerische Moral diskreditieren, erscheint im Subtext des Genres als Ausdruck kollektiver Furcht vor realen Auswüchsen des Feudal-Kapitalismus.
2. WURZELN
Das Backwood-Genre verdankt einiges dem „Lost Race“ oder „Lost Valley“-Motiv. Dieses wurde prominent bis in die 1950er Jahre vornehmlich von der Fantasy oder der Abenteuer-Literatur eingesetzt. Autoren, die es besonders häufig und effektiv nutzten waren Rider Haggard, Edgar Rice Burroughs und Abraham Merritt.
Burroughs verwendete das „Lost Race“-Motiv gerne und zahlreich in seinen Tarzan-Romanen. Immer wieder entdeckt der Herr des Dschungels bei seinen Streifzügen Lost Valleys, in denen bestimmte Kulturen isoliert von der Außenwelt existieren oder überlebt haben. Tarzan oder Rider Haggards Helden (Alan Quartermain) finden aber meist vergleichsweise Hochkulturen. Ob Mayas, Wikinger, Römer oder Kreuzritter, Burroughs lässt nichts aus.
Aber sie treffen verständlicher weise nie, wie in den Backwood-Thrillern, auf Redneck-Kannibalen.
Auch von den „Post-Doomsday“-Geschichten der Science Fiction übernimmt das Backwood-Genre etwas: nämlich das Konzept, dass keine bürgerlichen Normen mehr existieren oder durchgesetzt sind. Die „Post-Doomsday“-Stories beschreiben häufig eine Welt nach dem kulturellen Zusammenbruch, in der wir wieder in die Barbarei zurückfallen. Eine Barbarei, die noch über technologische Möglichkeiten der zerstörten Zivilisation verfügt (wie es etwa in den MAD MAX-Filmen gezeigt wird).
Im Backwood-Subgenre verbindet sich Weird-Fiction oder Horror mit dem Thriller zum Terror-Movie oder zur Terror-Novel.
Die Bedrohung muss dabei nicht übernatürlich sein, also nicht von Horror, SF- oder Fantasy-Elementen getragen.
In einigen der besten Backwood-Thrillern, wie DELIVERANCE von James Dickey, OPEN SEASON von David Osborn, einigen Ketchum-und Lansdale-Romanen. geht die Todesgefahr von degenerierten Mitmenschen aus, die dieselbe Mentalität wie Wirtschaftsbosse und Politiker teilen: Maßlose Gier nach Befriedigung ihrer perversen Bedürfnisse durch die Ausübung überlegener Gewalt.
Ein Aspekt der Faszination, die vom Terror-Genre ausgeht, ist das Aufzeigen der Brüchigkeit unserer Zivilisation und die Ohnmacht gegenüber brutaler Gewalt, sei sie physisch, psychisch, ökonomisch (Bentley Little) oder politisch. Es spiegelt unsere Realität wieder. Erleben wir doch gerade, wie unter dem Begriff „Globalisierung“ auf die gemeinste Weise die Gewalt privilegierter Cliquen gegenüber Menschen und Natur ausgeübt wird. Firmen wie Monsanto zeichnen sich durch unbeschwerte Genmanipulation aus, die „Patente “ für Nahrungsmittel besorgen. Eine Perversion an sich. Chemiefabriken flössen ihren Abfall in die Nahrungskette ein und zerstören wie Ölfirmen rücksichtslos die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Atomverseuchte Abfälle werden skrupellos in Afrika oder den Weltmeeren entsorgt. Besinnungsloser Raubbau an der Umwelt und hemmungslose Akkumulation von Reichtum sind die Wertsetzungen des Kapitalismus, die Genre-Fiction gerne in Frage stellt.
Die vergiftete Natur wird gerne und plausibel als Erklärung für die Degeneriertheit der Hinterwäldler angeboten.
3. INSEL
Isolation in feindlicher Umgebung war und ist ein starkes Motiv der Fiktion.
Schutz- und hilflos in einer fremden Umgebung Kräften ausgeliefert zu sein, die man nicht kontrollieren kann, ist eine der stärksten Ängste, die man mobilisieren kann. In unserer urbanen Zivilisation werden diese Ängste besonders intensiv wahrgenommen, wenn unzivilisierte Regionen, deren Codes die Protagonisten nicht entziffern können, zum Schauplatz werden.
Dies gilt besonders für Kannibalen- und Backwood-Filme. Die als Genre definierten Kannibalen-Filme spielen an entlegenen Orten, in die Figuren bewusst anreisen und deren Gefahren im vornherein weitgehend bekannt sind (zu Kannibalen siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/2014/10/30/wo-die-wilden-kerle-leben-kannibalismus-im-film/).
Dschungelregionen und ferne unbekannte Länder erscheinen wie unerforschte Inseln mitten in der „bekannten“ Welt.
Keine Überraschung, dass auch fiktive Inseln zum Kanon der Backwood-Thriller zählen.
Diese Spielart könnte als „Insel-Thriller“ bezeichnen; wieder eine Art Subgenre.
Es lässt sich vor allem auf zwei Klassiker zurück führen: Richard Connells Kurzgeschichte THE MOST DANGEROUS GAME (1924), deren erfolgreiche Verfilmung von 1932 stilbildend war. Hier geht es darum, dass Menschen auf einer isolierten Insel als Jagdwild herhalten müssen. Graf Zaroffs Menschenjagd auf seiner Insel ist zum populären Allgemeingut geworden und taucht immer wieder in allen möglichen Genres und Medien auf (sogar in dem Daily Comic Strip X9 SECRET AGENT CORRIGAN von Al Williamson und Archie Goodwin).
William Goldmans Roman LORD OF THE FLIES (1954) erzählt von gestrandeten Jugendlichen, die zwei sich bekämpfende Gruppen bilden. Goldings Subtext ist für das gesamte Genre bestimmend: Gewaltbereitschaft ist dem Menschen angeboren und ohne zivilisatorische Regeln herrscht das Gesetz des Stärkeren. Jüngere Beispiele sind Richard Laymons ISLAND (1991) oder Brian Keenes CASTAWAYS (2009).
4. ERFOLG
Der anhaltende Erfolg des modernen Backwood-Genres geht wohl auf zwei Filme zurück: John Boormans Adaption von Dickeys DELIVERANCE und Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN MASSACRE (1974). Dieses relative kostengünstig zu produzierende Filmgenre explodierte geradezu und wurde besonders von den 1970er Jahren bis heute als B-Pictures direct to Video/DVD genutzt. Eine eindrucksvolle Aufzählung von 188 Filmen findet sich unter: https://www.imdb.com/list/ls068573001/ .
Schriftsteller wie Jack Ketchum, Richard Laymon und Joe R.Lansdale popularisierten den Backwood-Thriller seit den 1980er Jahren als literarische Form, die bis heute bedient wird und sich beständiger Beliebtheit erfreut.
Vielleicht ist die These etwas gewagt, aber man könnte Robert Blochs Ed Gein-Interpretation PSYCHO ebenso als Backwood-Thriller, wie als Serienkiller-Roman auffassen.
Einige Theoretiker rechnen auch Algernon Blackwoods Natur-Horrorstories THE WILLOWS (1907) oder THE WENDIGO (1910) dem Genre zu.
5. STADT GEGEN LAND
Im Backwood-Genre kommen Gefahr und Horror für die Hauptpersonenunerwartet und nichts weist auf künftige Gefährdungen hin. Sie begeben sich im Hochgefühl zivilisatorischer Überlegenheit an diese Orte, deren Dynamik sie weder kennen noch einzuschätzen wissen. Die Backwoods liegen hinter unseren urban kultivierten Plätzen, nicht weit entfernt von der vertrauten Umgebung. Aber einmal falsch abgebogen und schon sieht man sich einem Terror ausgesetzt, dem man mit seinen zivilisatorischen Mitteln nicht begegnen kann.
Ein Topos ist der Städter, der sich dem Backwood-Terror ausgesetzt sieht und alle zivilisatorischen Hemmungen und Konditionierungen abwerfen muss, um zu überleben.
Die bekannten Verteidigungstechnologien, vom Auto bis zur Schusswaffe, werden in diesem Genre meistens außer Kraft gesetzt oder dienen als eine Art Gral, den die Protagonisten zu erreichen trachten und oft in letzter Sekunde zur finalen Lösung nutzen. Letztlich überwiegt aber das Misstrauen gegenüber technischen Lösungen (ist es nicht oft der technologische Fortschritt, der durch Umweltvergiftung aus debilen Hillbillys völlig durchgeknallte Kannibalen macht? – wie etwa in WRONG TURN 2.
Erst wenn der Städter alle zivilisatorischen Schichten abgeschält hat und zur bösartigen Kreatur wird, hat er eine Chance im ruralen Inferno zu bestehen.
„Und er konnte es tun – er konnte es wirklich tun. In dieser Nacht hatte er bereits drei oder vier dieser Leute getötet. Warum nicht zwei mehr?… Er hatte Angst. Angst vor dem Vergewaltiger und Mörder, der in seiner Haut lauerte.“ (aus Laymon: IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa 2011.)
Je mehr Industrialisierung und Umweltzerstörung fortschreiten, umso intensiver wird auch eine Urbanisierung (die Zuwanderung in die Großstädte der 3.Welt, was zu unfassbaren Slums führt), deren zivilisatorischer Anspruch längst umgekippt ist.
Für den Städter ist der Landbewohner inzwischen mental einer fremden Kultur zugehörig, sein Wertesystem kaum nachvollziehbar. Denken wir nur an die gerne im TV vorgeführten Jugendlichen, die kein Gemüse mehr identifizieren können. Der Landbewohner, so er denn nicht dem Flötenspiel der industriellen Rattenfänger folgt, hat kaum noch Bezüge zu den Stadtbewohnern. Sein Leben hat einen anderen Rhythmus, der stärker von den Unwägbarkeiten der Natur abhängig ist.
Inzwischen sind verslumte Vororte und verslumte Stadteile neben dem Land auch zu Backwoods geworden (so gesehen könnte man auch Sol Yurick und Walter Hills THE WARRIORS als einen urbanen Backwood-Thriller werten). Die Förderung landwirtschaftlicher Großbetriebe stärkt nicht humanitären Fortschritt, sondern brutalisiert ökonomische Barbarei (Stichwort Massentierhaltung).
6. ORTE
Das bedrohliche Hinterland mit sinisteren Gebäuden ist kein wirklich neues Thema der Weird Fiction. Das alles findet sich in Mythologien und etwa den Burgen und Klöstern der Gothic Novel (wenn man denn will, könnte man auch den ersten Teil von Stokers DRACULA mit Jonathan Harkers Reise in die Karpaten zu Draculas Schloss als Backwood-Thrill interpretieren).
Unheimliche Orte, die man besser nicht besucht, gab es in der Weird Fiction und der Gothic Novel immer. Man wird gewarnt, diese nicht aufzusuchen. So auch der Erzähler in Lovecrafts SHADOWS OVER INNSMOUTH. Die Bedrohlichkeit dieser Orte ist zwar nicht in all ihren Dimensionen bekannt, aber es besteht vorab so viel Wissen, dass man erahnen kann, warum man sie besser meidet. Es ist die Naivität oder das übersteigerte Selbstbewusstsein der Protagonisten, die sie aller Warnungen zum Trotz diese „unheiligen“ Orte aufsuchen lässt.
Ganz anders nähert man sich den Wäldern oder Dörfern der Backwood-Thriller.
In sie fährt oder wandert man hinein, ohne die geringste Vorsicht oder den Hauch von Wissen um ihre Existenz. In der Regel will man diese nicht als Orte des Schreckens kartographierte Regionen nur durchqueren, auf dem Weg von einem bekannten urbanen Platz zum anderen. Man bemerkt gar nicht die Grenze, die man überschreitet, wenn man die vertraute Welt verlässt, um in die rurale Barbarei zu geraten.
Und dann platzt ein Reifen, oder man biegt falsch ab, oder man will in diesem merkwürdigen Ort nur schnell etwas essen…
Schlagartig wird man mit einer archaischen Welt konfrontiert, in der alle erlernten Fähigkeiten nichts zur Überlebenssicherung beitragen. Auch die mitgebrachte Technologie funktioniert nicht („Ich kriege kein Netz.“).
in dieser Welt verknüpft sich das Unheimliche mit nicht domestizierter Natur mit genetischen Katastrophen der eigenen Spezies. In der ungezähmten Wildnis tobt der Abschaum Pans in unkontrollierter Macht.
Zivilisatorische Normen haben weder Sinn noch Durchsetzungskraft.
Die Bewohner huldigen undurchschaubaren Riten, Stammesregeln (wenn überhaupt), die nur für sie gelten. Der Fremde steht außerhalb jeder positiven Sanktion. Sie meiden Kontakte mit Menschen außerhalb ihrer inzestuösen Gruppe. Ausgenommen als Jagd-und Ritualopfer, Nahrung oder Sklaven.
Fremde sind Nutztiere oder Spielzeuge für ihre erschreckenden Vorlieben. Ob sie durch Abwesenheit von Geschichte, Umweltverschmutzung oder sonst was degeneriert sind, ist sekundär. Primär sind sie aggressiv böse, ohne zivilisatorische Kruste. Sie sind weniger das, was wir vielleicht einmal waren, als das was wir fürchten, sein zu können.
Sie verkörpern nicht die ungehinderte Natur, sondern die entartete Gattung. Sie sind das Gegenteil von Rousseaus edlem Wilden. Eher der Beweis für Freuds These, dass wir alle Mörder und Kinder Kains sind.
Sie weisen darauf hin, was passieren kann, wenn unsere zivilisatorischen Lichter ausgehen und wir im Dunkel der entsolidarisierten Gesellschaft versinken: Atomisiert in kleinen Rotten, die nur sich selbst verpflichtet sind, gibt es beim Überlebenskampf keine Gnade. Töten ist genauso selbstverständlich wie essen. Quälen so genussvoll wie Sex.
Diese Hinterwäldler werden mental gerne auf einer Stufe mit nicht sozialisierten Kindern dargestellt. Musterbeispiel sind einmal mehr die WRONG TURN-Filme mit ihren infantilen Menschenfressern. Wie Kinder Fliegen die Flügel ausreißen, reißen sie den Fremden vergnügt Arme und Beine vom Körper.
Ein Subtext des Genres ist: Ohne urbane Zivilisation ist der Mensch barbarisch und böse. Dieser anthropologische Pessimismus ist seit den 1980ern (Reagen, Thatcher, Kohl und der Raubtierkapitalismus der Neo-Cons) als Genresubtext aktuell und attraktiv. Jeder spürt ja den bevorstehenden Zusammenbruch. des kapitalistischen Lemmingsystems, der alle erreichten zivilisatorischen Errungenschaften zerbröselt und für sinnlosen Konsum die Natur opfert.
Und dann sind wir alle in den Backwoods.
Die folgenden Buchtipps sollen lediglich einen Überblick verschaffen, um dieses Genre oder Subgenre in seiner Spannbreite zu illustrieren.
DELIVERANCE (BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE, Rowohlt) von James Dickey
Der Klassiker; dazu noch ein „literarisch anerkanntes“ Buch (was immer das bedeuten mag). Bevor eine ganze Wald- und Flussregion als Stausee versinkt, wollen vier Städter noch mal den Genuss an der urwüchsigen Natur genießen und dem Wasserlauf befahren. Und dann kriegen sie Ärger mit den einheimischen Rednecks. Die Vergewaltigungsszene eines der Städter war damals nicht nur extrem schockierend, sie setzte auch die Maßstäbe für die vorherrschende sexuelle Brutalität des Genres.
RIVER GIRL (DAS MÄDCHEN VOM FLUSS, Heyne) von Charles Williams …ist ein Beispiel für den Noir-Thriller als Backwood-Story: Die Leidenschaft zu einer verheirateten Hinterwäldlerin treibt einen Cop in den Kreislauf der Noir-Tragödie. Williams Backwood-Romane haben weniger mit den Horror-Geschichten von heute zu tun. Diese Paperback Originals sind eher von den Southern-Romanen Erskine Caldwell beeinflusst.
JAGDZEIT (Pendragon) von David Osborn
Auch hier hatte der Roman das Glück einer exzellenten Verfilmung (von Peter Collinson mit Peter Fonda und dem unterschätztesten Hollywood-Star überhaupt, William Holden). Ein Update der klassischen Graf Zaroff-Geschichte von Richard Connell. Nur sind es diesmal durchgeknallte Vietnam-Veteranen, die aus der Stadt das Unheil aufs Land bringen.
RAMBO (Heyne) von David Morell.
Nicht nur der erste Rambo-Film war hervorragend (im Gegensatz zu den Sequels), auch die Romanvorlage ist ein moderner Klassiker des Thrillers. Der Vietnamveteran Rambo gerät mit Rednecks aneinander und trägt den Guerilla-Krieg dorthin, wo er hingehört.
OFF SEASON (BEUTEZEIT, Heyne) von Jack Ketchum.
Ketchum gehört wie Joe Lansdale zu den Autoren, deren schwächere Bücher immer noch weit über dem Durchschnitt liegen. Und die außerdem immer wieder für ein Meisterwerk gut sind. Nicht so furchtbar wie EVIL, ist OFF SEASON einer der stilbildenden Romane des Genres und der Klassiker des Kannibalen-Backwood-Thrillers, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Ketchums Brutalität ist erschreckender und glaubwürdiger als der pubertäre Horror, den Laymon verbreitet.
THE WOODS ARE DARK (IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa) von Richard Laymon.
Dieser frühe Roman (1982) gehört zu Laymons schwächeren Büchern. Aber in ihm ist geradezu beispielhaft angelegt, wie die Klischees des Kannibalen-Backwoods funktionieren. Als Roman eher bescheiden, ist das Buch so etwas wie eine „idealtypische“ Drehbuchvorlage für ein genrespezifisches B-Picture. Im Gegensatz zu Ketchum gelingt es Layman nicht, seinen Freaks eine eigene, überzeugende barbarische Identität vermitteln.
CREEKERS (Festa Verlag) von Edward Lee.
Man kann über diesen unbeständigen Autor denken, was man mag, aber dieser 1994 veröffentlichte Roman ist ein herausragendes Werk der Gattung. Phil Straker, einst erfolgreicher Großstadtbulle, ist zurück „im guten alten Crick City, der Welthauptstadt der Idioten“. Und hier hat er es nicht nur mit einigen verkommenen Hillybillys zu tun, sondern auch mit den Creekers, einem Clan, der sich unter primitivsten Bedingungen seit Jahrhunderten durch Inzucht degeneriert.
ISLAND (DIE INSEL) von Richard Laymon.
Natürlich erreicht Laymon auch hier nicht die Dimensionen von William Golding. Aber dies ist ein überzeugender Insel-Backwood. Mit dem eigenwilligen Ich-Erzähler gelingt es Laymon hier seinen üblichen pubertären Sex & Torture-Kram glaubwürdiger und erschreckender darzubieten.
JOE R.LANSDALE – DER BOSS IM HINTERWALD.
Ob Horror-Geschichten, Weird-Western oder Thriller – bei Joe Lansdale spielen die Backwoods von Ost-Texas fast immer eine entscheidende Rolle. Er ist der König des Backwood-Thrillers, da er das Genre am effektivsten und immer wieder originell zu nutzen weiß. Erschwerend kommt hinzu, dass er einer der besten Thriller-Autoren überhaupt ist und immer wieder frische, unverbrauchte Erzählungen aus bekannten Klischeegenres gewinnt. Es ist alleine schon beeindruckend, wie er bei seiner ungewöhnlich hohen Produktivität sein Niveau beibehält und immer wieder steigert.
Siehe auch:
https://martincompart.wordpress.com/2019/01/31/poet-des-white-trash-der-noir-autor-daniel-woodrell/
https://martincompart.wordpress.com/2016/09/07/jagdtrip-von-jack-ketchum/
Filed under: Backwood, DANIEL WOODRELL, Krimis,die man gelesen haben sollte, Noir, NOIR-KLASSIKER, Porträt, Rezensionen | Schlagwörter: Cormac McCarthy, Country noir, DANIEL WOODRELL, Film, Noir, Ozarks, Quantrill
„Der Revolver war im Haus und in ihrem Kopf, und bei jedem neuen Sonnenuntergang spürte ich, dass wir einem richtigen Verbrechen wieder ein Stück nähergekommen waren“, berichtet Sammy, Herumtreiber und Ich-Erzähler in Daniel Woodrells Roman TOMATO RED.
Zusammen mit der rothaarigen Jamalee und ihrem bildschönen kleinen Bruder Jason („Im Lebensmittelladen werfen ihm erwachsene Frauen ihre Schlüpfer zu, auf die sie mit Lippenstift ihre Telefonnummern geschrieben haben.“) schreckt er vor nichts zurück, um ans bessere Leben zu kommen. Denn die Geschwister stammen aus Venus Holler – und wer daher kommt, hat nichts zu verlieren. Venus Holler ist der Slum der fiktiven Stadt West Table, die wohl einiges gemein hat mit West Plains, dem Wohnort des Autors.
Woodrell-Fans kennen dieses Dreckloch noch aus seinem vorherigen Roman STOFF OHNE ENDE, den auch ein Looser erzählte und bei dem ebenfalls so einiges schief ging.
Daniel Woodrell berichtet aus einer Hölle, die Ozarks heißt und im südlichen Missouri liegt. Reichlich Wälder, Hügel, ein paar stinkreiche Ausbeuter, korrupte Bullen, debile Hillbillys und jede Menge White Trash-Clans, die sich gegenseitig die Marijuana-Ernten abjagen und die Schädel wegschießen. „Die Ozarks sind die perfekte B-Seite eines Großstadtmolochs.“
Alles ist käuflich und mit genügend Land oder Geld aus krummen Geschäften kann man sich aus jedem Haftbefehl freikaufen. Zwischen den undurchdringlichen Wäldern Herrenhäuser, verkommene Farmen und kleine Städte voller Slums, in denen „Schuppen die Gegend überziehen wie Pockennarben und massenhaft Kinder ausbrüten, mit denen der Rest der Welt klarkommen muss.“ Woodrell schrieb schon über Trump-Wähler als die noch trainierten, um aus ihrem spärlichen Hirn Grütze zu machen.
Wer Trump-Wähler rudimentär verstehen will, sollte ihren verwurzeltsten Analytiker kennen. Es gibt in den USA Menschen, die nichts mit der Mainstream-Kultur zu tun haben. Sie leben in einem Paralleluniversum aus Trailer-Parks und Nachtjackenviertel. Von den Normalos erwarten sie nur Ärger. Denn die stecken sie in den Knast, verpassen ihnen Strafbefehle oder nehmen ihnen ihr bisschen Land weg. Also leben sie nach ihrem eigenen Wertesystem. Die Waltons würden von ihnen geteert und gefedert. Selbst in dieser Elendszone gibt es noch schlimmere Hinterhöfe.
In denen durchwühlt Woodrell die Mülltonnen für seine Noir-Romane und Sittengemälde aus der amerikanischen Jauchegrube.
Daniel Woodrell, geboren 1953, ist ein Kind der 60er, aufgewachsen in den Ozarks in einer Familie, die den Vietnamkrieg ganz in Ordnung fand.
Mit 17 ging er zu den Marines. Anschließend hatte er mächtig mit Drogen und Subkulturen zu tun. „Seit fast zwanzig Jahren arbeite ich freiberuflich. Habe es nie in einem Job ausgehalten. Der Rekord waren sechs Monate. Tja, man muss für die Schriftstellerei alles geben. Entweder schwimmen oder absaufen.“
Schließlich landete der Outsider in einem Schriftstellerworkshop in Iowa. „Mit meinem blue-collar-Hintergrund passte ich denen nicht. Sie wollten mich nach der Hälfte rausschmeißen, aber ich blieb einfach.“
In dieser Zeit schrieb er seinen ersten Roman CAJUN BLUES, den ersten Band seiner Shade-Trilogie, den er erst 1985 verkaufen konnte, und der fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit veröffentlicht wurde. Jahre des Schreibens und der Frustrationen. Jedes Buch ein kommerzieller Misserfolg.
Auch das zweite Buch, von Ang Lee als RIDE WITH THE DEVIL verfilmt, war ein Flop. Dabei einer der besten Bürgerkriegs-Romane und als „Western“ nur mit Cormac McCarthys Klassiker BLOOD MERIDIAN vergleichbar.
Mit jedem zündenden Satz verbrennt Woodrell die Hollywoodklischees über den Sezessionskrieg. Der Roman folgt dem jungen Ich-Erzähler auf seiner blutigen Spur an der Seite der Freischärler unter dem berüchtigten Quantrill.
In den West Plains tobte ein brutaler Partisanenkrieg, der noch Jahre nach Ende des Bürgerkrieges Opfer forderte.
„Die Amerikaner haben sich über das Buch zu Tode erschreckt weil es vom Standpunkt der Südstaaten geschrieben ist. Ich bekam keine Rezensionen nördlich der Dixon-Linie. Keiner wollte wissen, was hier wirklich los war. Es war wie in Bosnien.“
Die Sprache des Romans ist filmisch und hypnotisch. Der 35-Millionen-Dollar-Film floppte in den Staaten ebenso wie das Buch, das in der Erstauflage gerade mal 2600 Exemplaren verkaufte.
Die beiden nächsten Shade-Romane liefen ebenfalls nicht besonders.
Einigen verblödeten Kritikern galt Woodrell gar als eine Art James Lee Burke ohne Abitur.
„Ich war so wütend, dass ich vier Jahre nichts mehr schrieb. Ich wollte nur einige dieser Rezensenten treffen und ihnen die Scheisse aus dem Leib prügeln.“
Dann schlug er mit STOFF OHNE ENDE zu. Ein country-noir, in dem er seine Technik perfektionierte, jedes Kapitel wie eine Kurzgeschichte aufzubauen: Kurz, mit abrupten Eröffnungen und schnelle Enden. Das Ganze aber ist mehr als die Summe der Einzelteile.
Woodrell hält die Regeln des Noir-Romans ein: Die Verdammten bleiben verdammt, und keine heruntergekommene Nutte wandelt sich zur treusorgenden Hausfrau. Dabei missachtet Woodrell jede einengende Tradition und romantisiert seine Außenseiter nicht.
Wenn sie jemanden umlegen und verbuddeln, beten sie nicht am Grab sondern pinkeln auf die Leiche. Sie leben hart und schnell, saufen, schlucken Drogen, taumeln zwischen Hoffen und Fatalismus und träumen Träume, die regelmäßig zusammengetreten werden:
„Daß ihr Traum nur eine Phantasie ist, an der man sich eine Weile festhält, die aber eines scheußlichen Nachts, ein Stückchen weiter die Straße des Lebens hinab, erschlaffen und sich um ihren hübschen Hals zusammenziehen wird.“
Endgültig als Poet des Trailer-Park-Trash abgestempelt, kann Woodrell mit dieser Schublade mehr schlecht als recht leben. Neben der Jerry Springer-Show und den neuen Trash-Bands ist er zum herausragende Protagonisten der hässlichen Amerikaner geworden -mehr noch als sein kaum weniger begabter Kollege Joe R.Lansdale.
Woodrell schreibt wie ein Bastardsohn von Raymond Chandler und Erskine Caldwell.
In den Dialogen, Bildern oder Vergleichen wird der Einfluss von Chandler deutlich, ohne dass Woodrell zum Epigonen wird: „Ich sah ihn an und dachte, es stimmt wohl, daß uralte Menschen plötzlich wieder wie Kinder aussehen können, wie wenn bei einem Auto der Kilometerzähler umspringt und wieder bei Null anfängt. Nur daß es inzwischen ein klappriges Vehikel ist.“
TOMATO RED ist noch düsterer als STOFF OHNE ENDE, der ebenfalls in West Table spielt, wo die eiserne Regel gilt: Du bist das, wo du geboren wurdest. Und wenn du im Slumviertel Venus Holler geboren wurdest, bist du gar nichts. Dort ist man nicht so anmaßend, leben zu wollen, dort ist man froh zu überleben. Der „Held“ Sammy ist natürlich wieder ein echter Looser, der in die Fallstricke des Noir-Romans gerät: Sex und Gewalt.
Aber Sammy verkündet auch die Erkenntnisse eines Linksaußen, der jeden Glauben an gesellschaftlichen Fortschritt verloren hat:
„Die Reichen können sich entspannt zurücklehnen. Wir könne nie einen richtigen Krieg gegen sie anzetteln. Denn die Reichen können uns jederzeit kaufen, damit wir uns gegenseitig umbringen.“
Woodrell ist das Sprachrohr für die, die nichts mehr zu verlieren haben. Für den Poeten des Lumpenproletariats gilt, was er über sein Alter Ego in Stoff schrieb: Er lebte den Schund, den er schrieb.
WOODRELLS HIER BEHANDELTE ROMANE:
Cajun Blues (Under the Bright Lights, 1986); Heyne, 1994.
Zum Leben verdammt (Woe to Live On, 1987), rororo 22336.
Zoff für die Bosse (Muscle for the Wing, 1988.
John X. (The Ones You Do, 1992), Rowohlt Paperback.
Stoff ohne Ende (Give Us a Kiss, 1996), rororo 22773.
Tomato Red (Tomato Red, 1998), Rowohlt Paperback.
Die neuen Romane, wie WINTER KNOCHEN oder DER TOD VON SWEET MISTER sind bei Heyne und Liebeskind.
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Susanne Fink vom Liebeskind-Verlag hat mir diese genaue Faktensammlung zu Woodrell zur Verfügung gestellt:
Preise / Auszeichnungen •
1999 PEN USA Award for Fiction für Tomato Red (1998).
2000 Auf der Longlist des International IMPAC Dublin Literary Award für Tomato Red.
2008 – Die Kurzgeschichte „Uncle“, zuerst erschienen in A Hell of a Woman: An Anthology of Female Noir (2007), wurde für den 2008 Edgar Award nominiert.
2011 Clifton Fadiman Medal für Der Tod von Sweet Mister/The Death of Sweet Mister. http://centerforfiction.org/awards/fadiman/2011-clifton-fadiman-medal/
2014 The Chicago Tribune Heartland Prize für In Almas Augen / The Maid’s Version
Bibliographie •
• Under the Bright Lights (Henry Holt, 1986) – DE: Cajun-Blues (Ein René-Shade-Thriller), Haffmans 1994 – Bd. 1 der Bayou-Trilogie • Woe to Live On (Henry Holt, 1987, NA Little, Brown 2012) – DE: Zum Leben verdammt, Rowohlt TB 1998. 1999 verfilmt unter der Regie von Ang Lee unter dem Titel Ride with the Devil – Neuübersetzung DE: Zum Leben verdammt, Liebeskind Herbst 2018
• Muscle for the Wing (Henry Holt, 1988) – DE: Zoff für die Bosse (Ein René-Shade-Thriller), Haffmans 1995 – Bd. 2 der Bayou-Trilogie
• The Ones You Do (Henry Holt, 1992) – DE: John X. (Ein René-Shade-Thriller), Rowohlt 1999 – Bd. 3 der Bayou-Trilogie • Give Us a Kiss. A Country Noir (Henry Holt, 1996, NA Little, Brown 2012) – DE: Stoff ohne Ende, Rowohlt 1998
• Tomato Red (Henry Holt, 1998, NA Little, Brown 2012) – DE: Tomato Red, Rowohlt TB 2001 – Neuausgabe DE: Tomatenrot, Liebeskind Frühjahr 2016
• The Death of Sweet Mister (Putnam, 2001, NA Little, Brown, 2012) – DE: Der Tod von Sweet Mister, Liebeskind 2012 (Hardcover), Heyne TB, Nov. 2013
• The Bayou Trilogy (Under the Bright Lights, Muscle for the Wing, and The Ones You Do, NA Little, Brown 2011) – Neuausgabe: Im Süden – Die Bayou-Trilogie, Heyne TB, 12.11.2012.
• Winter’s Bone (Little, Brown, 2006) – DE: Winters Knochen, Liebeskind 2011 (Hardcover), Heyne TB, Sept. 2012
• The Outlaw Album: Stories (Little, Brown, 2011)
• The Maid’s Version (Little, Brown, 2013) – DE: In Almas Augen, Liebeskind 2014
Filmographie
• Ride with the Devil (adapted from novel Woe to Live On) (1999)
• Winter’s Bone (adapted from novel) (2010) o 2010 Sundance Film Festival Award für den besten dramatischen Film und das beste Drehbuch o 2010 21. Stockholm International Film Festival – bester Film o 2010 New York Gotham Independent Film Award für den besten Film und das beste Ensemble o Nominierung Golden Globes 2011: Jennifer Lawrence / Kategorie Best Actress / Drama o 4 Oscar-Nominierungen 2011: Bester Film, beste Hauptdarstellerin, bester Nebendarsteller, bestes adaptiertes Drehbuch o Independent Spirit Awards 2011: beste Nebendarsteller (Dale Dickey und John Hawkes)
Und ist nicht die beste Woodrell-TV-Serie, die nichts mit ihm zu tun hatte, Elmore Leonards Nachbarstaatsserie JUSRUFIED; wobei Woodrell Leonards Marshal-Romantik -Schwachsinn weggelassen hätte.
Filed under: Backwood, Bücher, Jack Ketchum, thriller | Schlagwörter: Backwood, Jack Ketchum, Thriller, Vietnam
Jack Ketchum gehört zu den sensibelsten Autoren, die ich kenne. Wenige schaffen es wie er, unter die Haut ihrer Personen zu schlüpfen, um sie dem Leser in ihrer (amerikanischen) Komplexität erfahrbar zu machen. Dabei geht er ebenso behutsam wie sparsam mit wohl gesetzten Worten um, die ihn auch stilistisch zu einem herausragenden Schriftsteller machen. Fast nie ein falsches Wort, fast nie ein Satz zuviel (weshalb seine relativ kurzen Romane sich aus der Masse des voluminösen und überflüssig umfangreichen Gestammels der Bestseller herausragen wie Leuchttürme am Meer des schlechten Geschmacks).
Ketchum erweckt nicht mit billigen Mitteln Sympathie oder Antipathie. Er kriecht unmerkbar in seine Charaktere und zeigt dem Leser ohne Wertungen, wie sie ticken, was sie antreibt. Nein, er zeigt es nicht nur: er macht es erfahrbar, Indem er sich jeder Bewertung enthält, muss der Leser für sich entscheiden, ob ihm der Charakter und dessen Wertesystem gefällt. Reine Sympathieträger, wie der alte Mann in RED, sind relativ selten in Ketchums Werk, Das reine Böse hingegen existiert und bleibt unzureichend erklärbar. Auch für Ketchum, der sich wie kein anderer Autor in die Struktur des Bösen hinein tasten kann; sowohl in seine Banalität, wie auch in seinen Horror.
Er gilt bekanntlich als hervorstehender Vertreter sogenannter Horror-Literatur, als ultrabrutaler Slasher. Oberflächlich kann man JAGDTRIP auf dieser Ebene lesen, als einen furchtbaren Backwood-Thriller. Tatsächlich hat er mit Clive Barker und anderen Slasher-Kings nur wenig gemeinsam. Seine Brutalität wurzelt in der Realität und nicht in der Pornographie. Sie hat weder kathartische Wirkung, noch lerntheoretische. Er gehört zu den wenigen Autoren der Weltliteratur, die dem Leser die Schrecken menschlicher Grausamkeiten so direkt erfahrbar machen wie einem Soldaten das erste Gemetzel. Er braucht kein übernatürlich Böses. Das Grauen sind die Menschen selbst.
Mit der Wucht seiner Worte durchdringt er den fiktionalen Panzer und trifft direkt in die Weichteile ungeschützter Empfindungen. Man kann sich daran nicht ergötzen oder wohlig schaudern. Man liest mit Schrecken und möchte es hinter sich bringen, kann dem aber nicht entgehen, weil es sich wie erlebte Realität anfühlt. Selbst der wohlbehütetste Leser weiß um diese Wahrhaftigkeit des Schreckens, der im selben Moment der Lektüre hundert- oder tausendfach „da draußen“ passiert.
Er hat einiges von Hemmingway.
Es gibt bessere und weniger gelungene Bücher von ihm. Aber jedes von ihnen ist lesenswert. Er reflektiert die Schrecken unserer Zeit so überzeugend und kunstvoll, dass sie uns tief berühren. Er ist einer der überragenden Schriftsteller der Gegenwart, der beweist, das Einteilungen in Genres nur noch Marketingstrategie ist.
JAGDTRIP (COVER) ist von 1987 und erzählt die Geschichte eines völlig kaputten Vietnamveteranen, der nicht mehr in die Gesellschaft zurück findet, für die er in Südostasien Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Unfähig die Liebe seiner Frau und seines Sohnes zu ertragen, hat er sich tief in die kalifornischen Wälder zurückgezogen und lebt vom Marihuana-Anbau. Er fristet ein bescheidenes Leben in der Natur, während ihm die Stimmen des Krieges verfolgen und noch immer seine Wahrnehmung beherrschen.
Und dann kommt ein Trupp Wochenend-Camper in den Wald.
Mittelschichtsbürger mit ihren kleinen Bedürfnissen und Vorlieben, die sie nur ausleben können, weil Männer wie der Veteran überall auf der Welt ihre Seele verdorren lassen, indem sie für diese armseligen Privilegien bei Bedarf Männer, Frauen und Kinder töten.
Als sie sich vom einzigen geschäftsfähigen Rohstoff (Marihuanapflanzung) des Veteranen bedienen, bringt er ihnen den Krieg ins Heimatland. Normalerweise schreibt ein Rezensent hetzt: „Und dann beginnt eine Orgie der Gewalt.“ Aber Gewaltorgien sind zumindest für Psychopathen etwas freudiges. Ketchums Gewalt ist freudlos und – so wahnsinnig es klingt (siehe oben) – aufklärerisch, da er sie entzaubert.
Das ist ein alter Thriller-Topos aus den 1970 ern (Robert Stone, David Osborn etc.; fast ein Subgenre des Backwood-Thrillers), dessen bekannteste Umsetzung RAMBO von David Morrell (der erste Roman und dessen Verfilmung, nicht der Folgeschrott) ist.
Ketchum gelang mit JAGDTRIP ein weiterer großer Roman, der schockierend verdeutlicht, dass unsere extrem egoistische Zivilisation nicht alleine in die Verdammung führt, sonder auch zur physischen Selbstvernichtung. Und nach der Lektüre fragt man sich, ob man in dieser soziopathischen Zivilisation überhaupt (über)leben will.
Im schönen Vorwort erklärt Ketchum, wie es zu dem Buch kam, wie er einige Vietnamveteranen aushorchen durfte, warum er es schreiben musste und wie er sich schuldig fühlte. Genauso ehrlich und schonungslos, wie er seine Romane schreibt. Auch wenn er nicht in Südostasien war, Vietnam war auch Ketchums Krieg – der Krieg seiner Generation, der die intelligenteren und sensibleren bis heute prägt. Mit der Niederlage der Amerikaner wurde das reaktionäre Roll back eingeläutet.
JAGDTRIP ist einer der besten Kriegsveteranen-Romane. Auch ein bösartiger Thriller, der RAMBO wie ein Buch über den Heimkehrer von einem Darts-Tounier aussehen lässt. Es ist ein Roman über Traumata und eines der besten Bücher über das, was Kriege aus Menschen machen können. Und was ist die Grundlage von Kriegen? Das gierige alte Männer und Frauen dumme oder idealistische Männer und Frauen für ihre Wirtschaftsinteressen verheizen.
Heyne Verlag, 2016. 368 Seiten. 9,99 €
siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/2013/01/02/thriller-die-man-gelesen-haben-sollte-evil-von-jack-ketchum/
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Filed under: Backwood, LEMMINGE IM PALAST DER GIER, Noir, Rezensionen, ROMAN | Schlagwörter: Lemminge im Palast der Gier, Noir
Eine tolle Rezension von Jean van der Vlugt erhielt LEMMINGE auf:
http://www.buechertreff.de/thread/87321-martin-compart-lemminge-im-palast-der-gier/
Danke dafür! Insbesondere deswegen, weil ich keine Rezensionsexemplare verschickt habe.
http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/1505343267/ref=nosim/buecherdasbuc-21
Filed under: Backwood, Film, Rezensionen | Schlagwörter: Backwood, Film, Kannibalen
In meinem Aufsatz über Backwood-Thriller (siehe: https://martincompart.wordpress.com/2013/05/28/hinterwaldler-kannibalen-und-monster-zum-backwood-genre/ ) hatte ich anthtropophagische Themen angerissen und dem Backwood-Genre zugeordnet. Ich halte dies und meine Begründung nach wie vor vertretbar. Allerdings, wie zuvor dargelegt, definiert sich dieses relativ neue Genre Backwood-Thriller vornehmlich nicht durch den Topos des Kannibalismus. Anthropophagie wird von vielen Genres und Subgenres, vom Reisebericht über die Robinsonade bis zum Kriminal-, Fantasy- und Abenteuerroman, genutzt. Als eigenständiges Genre, wie kurzfristig im Film, gibt es die Anthopophragie in der Literatur nicht. Auch wenn sie zu einem viel genutzten Motiv der Weird Fiction zählt.
http://www.amazon.de/Vom-Fressen-Gefressenwerden-Re-Inszenierung-Kannibalen/dp/3828832768/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1414685174&sr=1-1&keywords=paul+drogla
Paul Drogla hat sich, literarische Einflüsse berücksichtigend, ausführlich dem Thema Kannibalismus im Film gewidmet in seiner beeindruckenden Arbeit VOM FRESSEN UND GEFRESSENWERDEN – FILMISCHE REZEPTION UND RE-INSZENIERUNG DES WILDEN KANNIBALEN (Tectum Verlag, Marburg, 2013). Beginnend mit den ersten anthropophagischen Erwähnungen im Altertum (Homer, Herodot), zeigt er ein durchgehendes ideologisches Konzept auf, mit dem sich die westliche Welt der Fremde gegenüber moralisch scheinbar überlegen definiert um koloniale Eroberung zu rechtfertigen: „In der Fremde wohnen immer Ungeheuer, weil die Fremde nicht geheuer ist“. In der Abgrenzung zum Kannibalismus intendiert die europäische Kultur sittliche Überlegenheit, die „gewaltsame Eroberung und Versklavung“ rechtfertigt“. Er zeigt in seinem Buch auf, wie der Kannibalen-Topos zum intramedialen Phänomen wird.
Bevor er die mir bisher am vollständigsten erscheinende Aufarbeitung (er bezieht auch Kannibalendarstellungen in der Comedy, historischen Film und im Zeichentrickfilm mit ein) der Anthropophagie im Film beginnt, gibt er einen aktuellen Überblick über den zwiespältigen Forschungsstand der Anthropologie seit William Arens Thesen, die den aggressiven Kannibalismus leugnen.
Er zeigt auf, wie die Entdeckung Amerikas und der karibischen Bevölkerung unsere Vorstellung vom Kannibalen bis heute prägen. Bei der Lektüre eines Exkurses über die „Robinsonade“ zwang sich mir der Gedanke auf, dass Backwood-Thriller häufig und in vielen Mustern den Robinsonaden folgen.
Im Kapitel über Zombie-Filme weist Drogla darauf hin, dass sich im ursprünglichen Mythos des Zombie als von Voodoo-Zauber verhext, noch mal der Gegensatz zwischen „unserer“ und fremder Zivilisation wiederholt. Ausgehend von George Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD verschwindet der haitianische Kulturhintergrund der Zombies und die lebenden Toten mutieren zum Symbol des Kapitalismus, der sich selber frisst.
Eli Roth (HOSTEL) versucht das Film-Genre neu beleben.
In den Kapiteln über den italienischen Kannibalenfilm (überzeugend und erhellend die genaue Einzelbetrachtung von Ruggero Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST) enttarnt Drogla eine neue, zeitgemäße ideologische Strategie des anthropophagischen Horrors: „der italienische Kannibalenfilm konterkariert… die kannibalische Bestialität gern mit Gier, Raubbau, Vergewaltigung und Mord durch die Weißen um einen oberflächlichen Vorwand und Rechtfertigungsgrund für die anschließenden Gewaltausbrüche der Nativen vorweisen zu können… Diese Aussagekraft zu Gunsten fremder, nativer Kultur wird durch Rassismus und strengen Ethnozentrismus jedoch vor dem Rezipienten verborgen… wird als schmutziger und kulturfreier Gegenentwurf jeglichen Identifikationspotenzials für den Betrachter entrückt.“
http://www.amazon.de/Eaten-Alive-Italian-Cannibal-Zombie/dp/085965379X/ref=sr_1_2?s=books-intl-de&ie=UTF8&qid=1414773857&sr=1-2&keywords=jay+slater
Vermeidbare Fehler wie die Behauptung, dass die TARZAN-Filme auf Comics basieren, schmälern den Gesamteindruck nicht. Großes Vergnügen über die Analyse hinaus bieten die Kapitelüberschriften, wie etwa: „Ridley Scotts Wahrhaftigkeitsanspruch im Spiegel geifernder Kariben“, „Hans Staden reloaded“ oder „Frühe Einblicke in die Kochtöpfe“.
Von Drogla und anderen Autoren ausgehend, könnte man eine Betrachtung des Kapitalismus als Form des Kannibalismus anregen: Wenn wir, zum Beispiel, von Menschen unter erzwungenen selbst zerstörerischen Bedingungen hergestellte Güter konsumieren, also uns einverleiben – ist dies nicht auch ein kannibalistischer Akt? Ähnliches gilt auch für den Katholizismus, der in seinen Riten Oblaten und Wein als Symbol für das Fleisch und das Blut des Gekreuzigten verzehren lässt.Der Kapitalismus strebt in allem (Umwelt, Menschen, Ziere, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) der Destruktion entgegen um sich dies als Konsum oder Profit einzuverleiben.
Paul Droglas Buch, das aus einer Dissertation hervorgegangen ist, gehört in die sekundärliterarische Basisbibliothek zur Populärkultur.
(Eine der entscheidenden Quellen des Kannibalenbildes in Europa)
<img src=“http://vg09.met.vgwort.de/na/111336c635be47298744fefa5bbb4731″ width=“1″ height=“1″ alt=““>
VISIONARIUM Ausgabe 01 erschienen!
Veröffentlicht am Januar 18, 2014 von doc nachtstrom
Lange haben wir getüftelt und geträumt, bis in die Nächte hinein uns den Mund fusslig geredet, Ideen gewälzt, und uns dann ordentlich ins Zeug gelegt – nun präsentieren Bernhard Reicher und ich voller Freude die erste Ausgabe unseres „Magazins für abseitige Phantastik“ – über 100 Seiten hochwertiger Stoff mit handverlesenen Stories von Martin Compart, John Aysa und Christina Scholz, alle extra illustriert von einer ganzen Riege von namhaften Künstlern (wir freuen uns besonders darüber, Perry Rhodan-Zeichner Michael Wittmann für diese und künftige Großtaten mit an Bord zu haben!) und den entsprechenden Artikeln dazu.
Einfach auf die entsprechenden Links klicken, um die erste Ausgabe von VISIONARIUM als gedrucktes Buch oder E-Book zu bestellen!
Über Feedback freuen wir uns jederzeit auf der entsprechenden Facebook-Page!
Dr. Nachtstrom, Herausgeber
Filed under: Backwood, Charles Williams, Jack Ketchum, PAINT IT BLACK - über Noir-Fiction, Rezensionen, thriller | Schlagwörter: Backwood, Horror, Jack Ketchum, James Dickey, Joe R.Lansdale, Richard Laymon, Thriller, William Golding
„Der Gruselschauder ist masochistisch und letzten Endes weiblich, In ihm unterwirft sich die Phantasie einer überwältigenden Übermacht… Der Horrorfilm entfesselt die vom Christentum unterdrückten Mächte – das Böse und das Barbarische der Natur. Horrorfilme sind Rituale in einem heidnischen Gottesdienst.“ Camille Paglia: Die Masken der Sexualität 1. GENRE
Das Backwood-Genre ist nicht ausschließlich ein Subgenre der Weird Fiction oder des Horrors. Horror dominiert dieses Genre, aber die Topoi des Backwood-Horrors lassen sich auch mit anderen verbinden (siehe auch „Wurzeln“). Das wohl herausragendste Werk, James Dickeys DELIVERANCE, ist schwerlich dem Horror-Genrer zuzuordnen. Die Romane und Filme, in denen es um die Konfrontation zwischen städtischen Eindringlingen und Rednecks geht, sind eher dem Thriller zuzuordnen als dem Horror-Genre. Auf den ersten Blick geht es bei Backwood-Thrillern um die völlige Entfremdung des städtischen Individuums von der Natur. Aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Nämlich eine Illustration zum anthropologischen Pessimismus.
Das Backwood-Genre verdankt einiges dem „Lost Race“ oder „Lost Valley“-Motiv. Dieses wurde prominent bis in die 1950er Jahre vornehmlich von der Fantasy oder der Abenteuer-Literatur eingesetzt. Autoren, die es besonders häufig und effektiv nutzten waren Rider Haggard, Edgar Rice Burroughs und Abraham Merritt. Burroughs verwendete das „Lost Race“-Motiv gerne und zahlreich in seinen Tarzan-Romanen. Immer wieder entdeckt der Herr des Dschungels bei seinen Streifzügen Lost Valleys, in denen bestimmte Kulturen isoliert von der Außenwelt existieren oder überlebt haben. Tarzan oder Rider Haggards Helden (Alan Quartermain) finden aber meist vergleichsweise Hochkulturen. Ob Mayas, Wikinger, Römer oder Kreuzritter, Burroughs lässt nichts aus. Aber sie treffen nie, wie in den Backwood-Thrillern, auf Redneck-Kannibalen. Auch von den „Post-Doomsday“-Geschichten der Science Fiction übernimmt das Backwood-Genre etwas: nämlich das Konzept, dass keine bürgerlichen Normen mehr existieren oder durchgesetzt sind. Die „Post-Doomsday“-Stories beschreiben häufig eine Welt nach dem Zusammenbruch, in der wir wieder in die Barbarei zurückgefallen sind. Eine Barbarei, die noch über die technologischen Möglichkeiten der zerstörten Zivilisation verfügt (wie es etwa in den MAD MAX-Filmen gezeigt wird). Im Backwood-Subgenre verbindet sich Weird-Fiction oder Horror mit dem Thriller zum Terror-Movie oder zur Terror-Novel. Die Bedrohung muss dabei nicht übernatürlich sein, also von Horror, SF- oder Fantasy-Elementen getragen. In einigen der besten Backwood-Thrillern, wie DELIVERANCE von James Dickey, OPEN SEASON von David Osborn, einigen Ketchum-und Lansdale-Romanen. geht die Todesgefahr von degenerierten Mitmenschen aus, die dieselbe Mentalität wie Wirtschaftsbosse und Politiker teilen: Maßlose Gier nach Befriedigung ihrer perversen Bedürfnisse durch die Ausübung überlegener Gewalt. Ein Aspekt der Faszination, die vom Terror-Genre ausgeht, ist das Aufzeigen der Brüchigkeit unserer Zivilisation und die Ohnmacht gegenüber brutale Gewalt, sei sie physisch, psychisch, ökonomisch (Bentley Little) oder politisch. Es spiegelt unsere Realität wieder. Erleben wir doch gerade, wie unter dem Begriff „Globalisierung“ auf die gemeinste Weise die Gewalt privilegierter Cliquen gegenüber Mensch und Natur ausgeübt wird. Firmen wie Monsanto zeichnen sich durch unbeschwerte Genmanipulation aus, die „Patente “ für Nahrungsmittel besorgen. Eine Perversion an sich. Chemiefabriken flössen ihren Abfall in die Nahrungskette ein und zerstören wie Ölfirmen rücksichtslos die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Atomverseuchte Abfälle werden skrupellos in Afrika oder den Weltmeeren entsorgt. Die vergiftete Natur wird gerne und plausibel als Erklärung für die Degeneriertheit der Hinterwäldler angeboten.
Schutz- und hilflos in einer fremden Umgebung Kräften ausgeliefert zu sein, die man nicht kontrollieren kann, ist eine der stärksten Ängste, die man mobilisieren kann. In unserer urbanen Zivilisation werden diese Ängste besonders intensiv wahrgenommen, wenn unzivilisierte Regionen zum Schauplatz werden. Dies gilt besonders für Kannibalen- und Backwood-Filme. Die als Genre definierten Kannibalen-Filme spielen an entlegenen Orten, in die Figuren bewusst anreisen und deren Gefahren im vornherein bekannt sind – zumindest zum Teil. Daraus hat sich eine Spielart heraus gebildet, die man vielleicht als „Insel-Thriller“ bezeichnen könnte. Ihre Topoi lassen sich zum Großteil auf zwei Klassiker zurück führen: Richard Connells Kurzgeschichte THE MOST DANGEROUS GAME (1924), deren erfolgreiche Verfilmung von 1932 stilbildend war. Hier geht es darum, dass Menschen auf einer isolierten Insel als Jagdwild herhalten müssen. William Goldmans Roman LORD OF THE FLIES (1954) erzählt von gestrandeten Jugendlichen, die zwei sich bekämpfende Gruppen bilden. Goldings Subtext ist für das gesamte Genre bestimmend: Gewaltbereitschaft ist dem Menschen angeboren und ohne zivilisatorische Regeln herrscht das Gesetz des Stärkeren. Moderne Varianten sind Richard Laymons ISLAND (1991) oder Brian Keenes CASTAWAYS (2009).
4. ERFOLG
Der anhaltende Erfolg des Backwood-Genres geht wohl auf zwei Filme zurück: John Boormans Adaption von Dickeys DELIVERANCE und Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN MASSACRE (1974). Dieses relative kostengünstig zu produzierende Filmgenre explodierte geradezu und wurde besonders seit den 1970er Jahren bis in die 1990er Jahre als B-Pictures genutzt. Schriftsteller wie Jack Ketchum, Richard Laymon und Joe R.Lansdale popularisierten den Backwood-Thriller seit den 1980er Jahren als literarische Form, die bis heute bedient wird und sich beständiger Beliebtheit erfreut. Vielleicht ist die These etwas gewagt, aber man könnte Robert Blochs Ed Gein-Interpretation PSYCHO ebenso als Backwood-Thriller wie als Serienkiller-Roman auffassen. Einige Theoretiker rechnen auch Algernon Blackwoods Natur-Horrorstories THE WILLOWS (1907) oder THE WENDIGO (1910) dem Genre zu.
5. STADT GEGEN LAND
Im Backwood-Genre kommen Gefahr und Horror unerwartet und nichts weist auf künftige Gefährdungen hin. Die Opfer/Protagonisten begeben sich im Hochgefühl zivilisatorischer Überlegenheit an diese Orte, deren Dynamik sie weder kennen noch einzuschätzen wissen. Die Backwoods liegen hinter unseren urban kultivierten Plätzen, nicht weit entfernt von der vertrauten Umgebung. Aber einmal falsch abgebogen und schon sieht man sich einem Terror ausgesetzt, dem man mit seinen zivilisatorischen Mitteln nicht begegnen kann. Ein Topos ist der Städter, der sich dem Backwood-Terror ausgesetzt sieht und alle zivilisatorischen Hemmungen und Konditionierungen abwerfen muss um zu überleben. Die bekannten Verteidigungstechnologien, vom Auto bis zur Schusswaffe, werden in diesem Genre meistens außer Kraft gesetzt oder dienen als eine Art Gral, den die Protagonisten zu erreichen trachten und oft in letzter Sekunde zur finalen Lösung nutzen. Letztlich überwiegt aber das Misstrauen gegenüber technischen Lösungen (ist es nicht oft der technologische Fortschritt, der durch Umweltvergiftung aus debilen Hillybillys völlig durchgeknallte Kannibalen macht? – wie etwa in WRONG TURN 2). Erst wenn der Städter alle zivilisatorischen Schichten abgeschält hat und zur bösartigen Kreatur wird, hat er eine Chance im ruralen Inferno zu bestehen. „Und er konnte es tun – er konnte es wirklich tun. In dieser Nacht hatte er bereits drei oder vier dieser Leute getötet. Warum nicht zwei mehr?… Er hatte Angst. Angst vor dem Vergewaltiger und Mörder, der in seiner Haut lauerte.“ (aus Laymon: IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa 2011.) Je mehr die Industrialisierung fortschreitet, umso intensiver wird auch eine Urbanisierung (die Zuwanderung in die Großstädte der 3.Welt, was zu unfassbaren Slums führt), deren zivilisatorischer Anspruch längst umgekippt ist. Für den Städter ist der Landbewohner inzwischen mental einer fremden Kultur zugehörig, sein Wertesystem kaum nachvollziehbar. Denken wir nur an die gerne im TV vorgeführten Jugendlichen, die kein Gemüse mehr identifizieren können. Der Landbewohner, so er denn nicht dem Flötenspiel der industriellen Rattenfänger folgt, hat kaum noch Bezüge zu den Stadtbewohnern. Sein Leben hat einen anderen Rhythmus, der stärker von den Unwägbarkeiten der Natur abhängig ist. Inzwischen sind verslumte Vororte und verslumte Stadteile neben dem Land auch zu Backwoods geworden (so gesehen könnte man auch Walter Hills THE WARRIORS als einen urbanen Backwood-Thriller werten). Die Förderung landwirtschaftlicher Großbetriebe stärkt nicht humanitären Fortschritt, sondern brutalisiert ökonomische Barbarei (Stichwort Massentierhaltung).
6. ORTE
Das bedrohliche Hinterland mit sinistren Gebäuden ist kein wirklich neues Thema der Weird Fiction. Wenn man denn will, könnte man auch den ersten Teil von Stokers DRACULA mit Jonathan Harkers Reise in die Karpaten zu Draculas Schloss als Backwood-Thrill interpretieren. Unheimliche Orte, die man besser nicht besucht, gab es in der Weird Fiction und in der Gothic Novel immer. Man wird gewarnt, diese nicht aufzusuchen. So auch der Erzähler in Lovecrafts SHADOWS OVER INNSMOUTH. Die Bedrohlichkeit dieser Orte ist zwar nicht in all ihren Dimensionen bekannt, aber es besteht vorab soviel Wissen, dass man erahnen kann, warum man sie besser meidet. Es ist die Naivität oder das übersteigerte Selbstbewusstsein der Protagonisten dieser Weird Fiction, die sie aller Warnungen zum trotz diese „unheiligen“ Orte taufsuchen lässt. Ganz anders nähert man sich den Wäldern oder Dörfern der Backwood-Thriller. In sie fährt oder wandert man hinein, ohne die geringste Vorsicht oder den Hauch von Wissen um ihre Existenz. In der Regel will man diese nicht als Orte des Schreckens kartographierte Regionen nur durchqueren, auf dem Weg von einem bekannten urbanen Platz zum anderen. Man bemerkt gar nicht die Grenze, die man überschreitet, wenn man die vertraute Welt verlässt um in die rurale Barbarei zu geraten. Und dann platzt ein Reifen, oder man biegt falsch ab, oder man will in diesem merkwürdigen Ort nur schnell etwas essen… Schlagartig wird man mit einer archaischen Welt konfrontiert, in der alle erlernten Fähigkeiten nichts zur Überlebenssicherung beitragen. Auch die mitgebrachte Technologie funktioniert nicht („Ich kriege kein Netz.“). in dieser Welt verknüpft sich das Unheimliche nicht domestizierter Natur mit genetischen Katastrophen der eigenen Spezies. In der ungezähmten Wildnis tobt der Abschaum Pans in unkontrollierter Macht. Zivilisatorische Normen haben weder Sinn noch Durchsetzungskraft.
Die Bewohner huldigen undurchschaubaren Riten, Stammesregeln (wenn überhaupt), die nur für sie gelten. Der Fremde steht außerhalb jeder positiven Sanktion. Sie meiden Kontakte mit Menschen außerhalb ihrer inzestuösen Gruppe. Ausgenommen als Jagd-und Ritualopfer, Nahrung oder Sklaven. Fremde sind Nutztiere oder Spielzeuge für ihre erschreckenden Vorlieben. Ob sie durch Abwesenheit von Geschichte, Umweltverschmutzung oder sonst was degeneriert sind, ist sekundär. Primär sind sie aggressiv böse, ohne zivilisatorische Kruste. Sie sind weniger das, was wir vielleicht einmal waren, als das was wir fürchten, sein zu können. Sie verkörpern nicht die ungehinderte Natur, sondern die entartete Gattung.
Sie sind das Gegenteil von Rousseaus edlem Wilden. Eher der Beweis für Freuds These, dass wir alle Mörder und Kinder Kains sind. Sie weisen darauf hin, was passieren kann, wenn unsere zivilisatorischen Lichter ausgehen und wir im Dunkel der entsolidarisierten Gesellschaft versinken: Atomisiert in kleinen Rotten, die nur sich selbst verpflichtet sind, gibt es beim Überlebenskampf keine Gnade. Töten ist genau so selbstverständlich wie essen. Quälen so genussvoll wie Sex. Diese Hinterwäldler werden mental gerne auf einer Stufe mit nicht sozialisierten Kindern dargestellt. Musterbeispiel sind einmal mehr die WRONG TURN-Filme mit ihren infantilen Menschenfressern.Wie diese den Fliegen die Flügel ausreißen, reißen sie den Fremden vergnügt Arme und Beine aus dem Körper. Ein Subtext des Genres ist: Ohne urbane Zivilisation ist der Mensch barbarisch und böse. Dieser anthropologische Pessimismus ist seit den 1980ern (Reagen, Thatcher, Kohl und der Raubtierkapitalismus der Neo-Cons) als Genresubtext aktuell und attraktiv. Jeder spürt ja den bevorstehenden Zusammenbruch des kapitalistischen Lemmingsystems, der alle erreichten zivilisatorischen Errungenschaften zerbröselt. Und dann sind wir alle in den Backwoods. ()
Die folgenden Buchtipps sollen lediglich einen Überblick verschaffen um dieses Genre oder Subgenre in seiner Spannbreite zu illustrieren.
RIVER GIRL (DAS MÄDCHEN VOM FLUSS, Heyne) von Charles Williams …ist ein Beispiel für den Noir-Thriller als Backwood-Story: Die Leidenschaft zu einer verheirateten Hinterwäldlerin treibt einen Cop in den Kreislauf der Noir-Tragödie. Williams Backwood-Romane haben weniger mit den Horror-Geschichten von heute zu tun. Diese Paperback Originals sind eher von den Southern-Romanen Erskine Caldwell beeinflusst.
JAGDZEIT (Pendragon) von David Osborn
Auch hier hatte der Roman das Glück einer exzellenten Verfilmung (von Peter Collinson mit Peter Fonda und dem unterschätztesten Hollywood-Star überhaupt, William Holden). Ein Update der klassischen Graf Zaroff-Geschichte von Richard Connell. Nur sind es diesmal durchgeknallte Vietnam-Veteranen, die aus der Stadt das Unheil aufs Land bringen. RAMBO (Heyne) von David Morell Nicht nur der erste Rambo-Film war hervorragend (im Gegensatz zu den Sequals), auch die Romanvorlage ist ein moderner Klassiker des Thrillers. Der Vietnamveteran Rambo gerät mit Rednecks aneinander und trägt den Guerilla-Krieg dorthin, wo er hingehört.
OFF SEASON (BEUTEZEIT, Heyne) von Jack Ketchum.
Ketchum gehört wie Joe Lansdale zu den Autoren, deren schwächere Bücher immer noch weit über dem Durchschnitt liegen. Und die außerdem immer wieder für ein Meisterwerk gut sind. Nicht so furchtbar wie EVIL, ist OFF SEASON einer der stilbildendsten Romane des Genres und der Klassiker des Kannibalen-Backwood-Thrillers, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Ketchums Brutalität ist erschreckender und glaubwürdiger als der pubertäre Horror, den Laymon verbreitet. THE WOODS ARE DARK (IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa) von Richard Laymon Dieser frühe Roman (1982) gehört zu Laymons schwächeren Büchern. Aber in ihm ist geradezu beispielhaft angelegt, wie die Klischees des Kannibalen-Backwoods funktionieren. Als Roman eher bescheiden, ist das Buch so etwas wie eine „idealtypische“ Drehbuchvorlage für ein genrespezifisches B-Picture.
CREEKERS (Festa Verlag) von Edward Lee.
Man kann über diesen unbeständigen Autor denken, was man mag, aber dieser 1994 veröffentlichte Roman ist ein herausragendes Werk der Gattung. Phil Straker, einst erfolgreicher Großstadtbulle, ist zurück „im guten alten Crick City, der Welthauptstadt der Idioten“. Und hier hat er es nicht nur mit einigen verkommenen Hillybillys zu tun, sondern auch mit den Creekers, einem Clan, der sich unter primitivsten Bedingungen seit Jahrhunderten durch Inzucht degeneriert.
ISLAND (DIE INSEL) von Richard Laymon.
Natürlich erreicht Laymon auch hier nicht die Dimensionen von William Golding. Aber dies ist ein überzeugender Insel-Backwood. Mit dem eigenwilligen Ich-Erzähler gelingt es Laymon hier seinen üblichen pubertären Sex & Torture-Kram glaubwürdiger und erschreckender darzubieten.
JOE R.LANSDALE – DER BOSS IM HINTERWALD.
Ob Horror-Geschichten, Weird-Western oder Thriller – bei Joe Lansdale spielen die Backwoods von Ost-Texas fast immer eine entscheidende Rolle. Er ist der König des Backwood-Thrillers, da er das Genre am effektivsten und immer wieder originell zu nutzen weiß. Erschwerend kommt hinzu, dass er einer der besten Thriller-Autoren überhaupt ist und immer wieder frische, unverbrauchte Erzählungen aus bekannten Klischeegenres gewinnt. Es ist alleine schon beeindruckend, wie er bei seiner ungewöhnlich hohen Produktivität sein Niveau beibehält und immer wieder steigert.