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Momentan wird MIAMI VICE auf irgendeinem Kabelkanalsender wiederholt. Das ist gut so. Zum Glück wird die Serie ja häufiger wiederholt und ist auch als DVD-Box erhältlich. Beim reinzappen bin ich wieder hängen geblieben und habe mir dann die Boxen rausgesucht um gezielt einige Episoden anzusehen. Der Tag war gelaufen. Der alte Serien-Klassiker, der mit HILL STREET BLUES zu Beginn der 1980er ein neues TV-Serien-Bewusstseins einläutete, funktioniert für mich noch immer. Grund genug, ihn hier mal zu würdigen. Von MIAMI VICE führt eine direkte Entwicklung zu THE WIRE, SOPRANOS, GOMORRHA oder THE AMERICANS usw., ja sogar zu GAME OF THRONES. Diese Serie wurde 1984 gestartet – fast zeitgleich mit LINDENSTRASSE; von der LINDENSTRASSE führt eine direkte Entwicklung über den immer schlechteren TATORT zu MORD MIT AUSSICHT. Angesichts der Bildungskrüppel in den deutschen Sendern wird ein MIAMI VICE nie möglich sein. Oh, Gott! Wenn mal irgendein intelligenter Mensch für Werbeetats zuständig sein wird, können die deutschen Privatsender einpacken. Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen sich keine Sorgen machen, solange die Korruption des Parteiensystems aufrecht erhalten bleiben. Aber auch da bröckelt es an Zustimmung.
Keine andere TV-Serie prägte und reflektierte die 80er Jahre stärker als MIAMI VICE, die eine Hysterie auslöste, wie man ihn seit SOLO FÜR ONCEL nicht mehr gesehen hatte. Ästhetisch war sie ebenfalls die einflußreichste Serie des Jahrzehnts.
Sonny Crockett ist ein Undercover-Cop, der auf einem Segelboot namens St.Vitus Dance mit dem Alligator Elvis lebt. Zusammen mit den Mitgliedern der Vice-Squad geht er Verbrechen nach, die nicht immer mit Rauschgift zu tun haben. Anstoß zur Serie gab der damalige NBC-Programmdirektor Brandon Tartikoff, der nach einer Serie mit „MTV-Cops“ verlangte. Michael Mann bearbeitete das Skript GOLD COAST von Anthony Yerkovich und formte daraus die Serie MIAMI VICE. Neonfarben und der ungewöhnliche Einsatz von Musik und aktuellen Hits (einen Großteil des Millionenbudgets pro Folge verbrauchte Jan Hemmer als Verantwortlicher für den Soundtrack für Lizenzgebühren). Die ohnehin nicht gerade optimistische Serie wurde ab der dritten Staffel auch farbästhetisch düsterer. Der weltweite Erfolg ließ in der Serie mehr prominente Gaststars (darunter auffallend viele Musiker) auftreten, als man dies zuvor bei einer TV-Serie erlebt hatte. Darunter: Ed O’Neill, Burt Young, Glenn Frey, Martin Balsam, Miles Davis, Ted Nugent, Leonard Cohen, G.Gordon Liddy, Willie Nelson, Wesley Snipes, Liam Neeson, Meg Foster, Brian Dennehy, Issac Hayes, Sheena Easton, Frank Zappa, Iman, James Brown, Lisa Marie Presley, Julia Roberts, Bruce Willis, John Turturro, Little Richard, Eartha Kitt, Don King, Robert Duran, Lee Iacocca, Phil Collins, John Heard, Lisa Eichhorn, Bianca Jagger, Helena Bonham Carter, Melanie Griffith u.v.m.
Zu den Regisseuren gehörten: Abel Ferrara, Rob Iscove, Michelle Manning,Paul Krasny, Don Johnson, John Nicolella, Leon Ichaso, Rob Cohen, David Anspaugh, Richard Colla.
Als 1986 bei uns die ersten Folgen MIAMI VICE ausgestrahlt wurden, jaulte die bundesdeutsche Kulturschickeria vor Wut auf. „Video-Clip-Ästhetik“, „Unrealistisch“ und „Machogehabe“ waren einige der zahlreichen Vorwürfe gegen die Serie, die wie wenige andere neue Maßstäbe setzte. Die Verantwortlichen der ARD taten noch ein übriges, um ihren potentiellen Hit kaputt zu machen: sie schnippelten in den aggressiven Kamerafahrten herum, hielten sich nicht an die Chronologie und verbannten die Serie auf dem Höhepunkt ihrer Popularität erst mal ein paar Jahre aus dem Programm. Man fragte sich, was wohl in den Köpfen der ARD-Programmplaner vor sich ging: nicht viel, wahrscheinlich.
MIAMI VICE revolutionierte mit seinen filmischen Qualitäten, seiner ausgefuchsten Farbdramaturgie und dem raffinierten Einsatz von Rock-Musik das Medium Fernsehserie formal und bisher unübertroffen. Inhaltlich war die Serie ebenfalls radikal: als direkte Opposition der Reagan-Ära ging sie von der Prämisse aus, daß das Verbrechen längst gewonnen hat und das die Grenzen zwischen illegalem und legalem Kapital, zwischen Wall Street und Medellin-Kartell fließend sind – soweit sie überhaupt existieren. In einer Welt, die dank des völlig befreiten Raubtierkapitalismus am Abgrund wandelt, konnten selbst die moralisch gefestigten Vice-Heroen nur noch Symptome bekämpfen. Sonny Crockett, der Kleinstädter mit den down-to-earth-Tugenden und der intellektuelle Ostküstengroßstädter Ricardo Tubbs erlebten immer aufs neue ihre Frustrationen mit staatlichen Organisationen, von FBI bis CIA, die aus paranoider Machtgier ganz im Sinne der politischen Führung Drogenhändler deckten oder demokratische Strukturen demontierten.
1989 war in den USA die letzte Klappe gefallen. Das Ende kam auf dem künstlerischen Höhepunkt der Serie, die wie keine andere zeigte, wie erbärmlich doch der American Way of Life sein kann. Michael Mann, der ständig Ärger wegen der Budgetüberziehungen hatte, beschloß, daß die 5.Staffel die letzte sein sollte.
Die Metamorphosen der Serie lassen sich besonders gut an den beiden Hauptrollen festmachen: 1984, am Anfang der Serie, war Sonny Crockett noch gut drauf. Er war glücklich verheiratet und liebte seinen Sohn – auch wenn es wegen seines Jobs erheblich in der Ehe kriselte. Aber das Verbrechen schien nicht unüberwindbar, und Crockett und Tubbs strahlten Optimismus aus. Dann wurde ihr Chef erschossen und Sonny geschieden. Die Welt erschien nicht mehr ganz so rosig, aber man schaffte es, einem Supergangster wie Calderone das Handwerk zu legen. Aber statt einzelner Supergangster, tauchten immer mehr unkontrollierbare Kleingangster in Miami auf, die proportional zum Anstieg des Drogenkonsums das Geschäft brutalisierten. Einen ernsthaften Schlag gegen ihren Optimismus erhielten die Beiden zu Beginn der 2.Season in der Doppelfolge PRODIGAL SON: Eine blutige Drogenspur führte von Bolivien bis in die Wall Street, wo sich ein anerkannter Banker als unangreifbarer Drahtzieher entpuppte. Drogengeschäfte waren in Ordnung, wenn sie auf höchster Ebene im großen Stil abgezogen wurden; die Quintessenz der Reagenomics. Von nun an wurde es immer düsterer in der Serie und auch im Team der Vice Squad, das so etwas wie eine moralische Insel innerhalb einer tobsüchtigen, gierigen Welt darstellte. Erst scheiterte Sonnys Beziehung mit Kollegin Gina, dann wurde Polizist Zito von Gangstern umgelegt. In der 4.Season schien für Crockett das Glück zu lachen: Er verliebte sich in den Pop-Star Katelin (Sheenah Easton) und heiratete. Der Versuch, Sonnys schmutzige Welt der Straße und den Glamour des Showbizz harmonisch zu vereinbaren, mußte scheitern. Man sah es Sonny manchmal an, daß er ahnte, daß das nicht gutgehen würde. Das Glück konnte nur von kurzer Dauer sein. Es gab die erwarteten Spannungen, wenn Sonny von einem Einsatz kam und den Schmutz der Straße in die wohlige Glamourhöhle seiner Frau schleppte. Aber bevor sie sich endgültig trennen konnten, ermordeten Gangster Mrs.Crockett – um damit Sonny zu treffen. Davon erholte sich der Junge nie mehr. Zu allem Überfluß verlor er bei einer Explosion auch noch das Gedächtnis. Nun brach der ganze Wahnsinn seiner Doppelexistenz als Polizist und Undercoveragent durch: Crockett hielt sich für Burnett, sein Alter Ego als Drogenhändler. Mit Blitzgeschwindigkeit stieg er in der Hierachie der Drogenhändler auf. Er ging über Leichen und sah sich selbst als harter Geschäftsmann, der in einem harten Business genau das lieferte, was große Teile der Gesellschaft verlangten. Ironie des Schicksals: Als Gangboß schien Sonny viel effektiver in der konkurrierenden Unterwelt aufzuräumen. Einmal versuchte er sogar Tubbs zu töten; das sollte ihre Freundschaft für immer belasten.