Filed under: Backwood, Film, Rezensionen | Schlagwörter: Backwood, Film, Kannibalen
In meinem Aufsatz über Backwood-Thriller (siehe: https://martincompart.wordpress.com/2013/05/28/hinterwaldler-kannibalen-und-monster-zum-backwood-genre/ ) hatte ich anthtropophagische Themen angerissen und dem Backwood-Genre zugeordnet. Ich halte dies und meine Begründung nach wie vor vertretbar. Allerdings, wie zuvor dargelegt, definiert sich dieses relativ neue Genre Backwood-Thriller vornehmlich nicht durch den Topos des Kannibalismus. Anthropophagie wird von vielen Genres und Subgenres, vom Reisebericht über die Robinsonade bis zum Kriminal-, Fantasy- und Abenteuerroman, genutzt. Als eigenständiges Genre, wie kurzfristig im Film, gibt es die Anthopophragie in der Literatur nicht. Auch wenn sie zu einem viel genutzten Motiv der Weird Fiction zählt.
http://www.amazon.de/Vom-Fressen-Gefressenwerden-Re-Inszenierung-Kannibalen/dp/3828832768/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1414685174&sr=1-1&keywords=paul+drogla
Paul Drogla hat sich, literarische Einflüsse berücksichtigend, ausführlich dem Thema Kannibalismus im Film gewidmet in seiner beeindruckenden Arbeit VOM FRESSEN UND GEFRESSENWERDEN – FILMISCHE REZEPTION UND RE-INSZENIERUNG DES WILDEN KANNIBALEN (Tectum Verlag, Marburg, 2013). Beginnend mit den ersten anthropophagischen Erwähnungen im Altertum (Homer, Herodot), zeigt er ein durchgehendes ideologisches Konzept auf, mit dem sich die westliche Welt der Fremde gegenüber moralisch scheinbar überlegen definiert um koloniale Eroberung zu rechtfertigen: „In der Fremde wohnen immer Ungeheuer, weil die Fremde nicht geheuer ist“. In der Abgrenzung zum Kannibalismus intendiert die europäische Kultur sittliche Überlegenheit, die „gewaltsame Eroberung und Versklavung“ rechtfertigt“. Er zeigt in seinem Buch auf, wie der Kannibalen-Topos zum intramedialen Phänomen wird.
Bevor er die mir bisher am vollständigsten erscheinende Aufarbeitung (er bezieht auch Kannibalendarstellungen in der Comedy, historischen Film und im Zeichentrickfilm mit ein) der Anthropophagie im Film beginnt, gibt er einen aktuellen Überblick über den zwiespältigen Forschungsstand der Anthropologie seit William Arens Thesen, die den aggressiven Kannibalismus leugnen.
Er zeigt auf, wie die Entdeckung Amerikas und der karibischen Bevölkerung unsere Vorstellung vom Kannibalen bis heute prägen. Bei der Lektüre eines Exkurses über die „Robinsonade“ zwang sich mir der Gedanke auf, dass Backwood-Thriller häufig und in vielen Mustern den Robinsonaden folgen.
Im Kapitel über Zombie-Filme weist Drogla darauf hin, dass sich im ursprünglichen Mythos des Zombie als von Voodoo-Zauber verhext, noch mal der Gegensatz zwischen „unserer“ und fremder Zivilisation wiederholt. Ausgehend von George Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD verschwindet der haitianische Kulturhintergrund der Zombies und die lebenden Toten mutieren zum Symbol des Kapitalismus, der sich selber frisst.
Eli Roth (HOSTEL) versucht das Film-Genre neu beleben.
In den Kapiteln über den italienischen Kannibalenfilm (überzeugend und erhellend die genaue Einzelbetrachtung von Ruggero Deodatos CANNIBAL HOLOCAUST) enttarnt Drogla eine neue, zeitgemäße ideologische Strategie des anthropophagischen Horrors: „der italienische Kannibalenfilm konterkariert… die kannibalische Bestialität gern mit Gier, Raubbau, Vergewaltigung und Mord durch die Weißen um einen oberflächlichen Vorwand und Rechtfertigungsgrund für die anschließenden Gewaltausbrüche der Nativen vorweisen zu können… Diese Aussagekraft zu Gunsten fremder, nativer Kultur wird durch Rassismus und strengen Ethnozentrismus jedoch vor dem Rezipienten verborgen… wird als schmutziger und kulturfreier Gegenentwurf jeglichen Identifikationspotenzials für den Betrachter entrückt.“
http://www.amazon.de/Eaten-Alive-Italian-Cannibal-Zombie/dp/085965379X/ref=sr_1_2?s=books-intl-de&ie=UTF8&qid=1414773857&sr=1-2&keywords=jay+slater
Vermeidbare Fehler wie die Behauptung, dass die TARZAN-Filme auf Comics basieren, schmälern den Gesamteindruck nicht. Großes Vergnügen über die Analyse hinaus bieten die Kapitelüberschriften, wie etwa: „Ridley Scotts Wahrhaftigkeitsanspruch im Spiegel geifernder Kariben“, „Hans Staden reloaded“ oder „Frühe Einblicke in die Kochtöpfe“.
Von Drogla und anderen Autoren ausgehend, könnte man eine Betrachtung des Kapitalismus als Form des Kannibalismus anregen: Wenn wir, zum Beispiel, von Menschen unter erzwungenen selbst zerstörerischen Bedingungen hergestellte Güter konsumieren, also uns einverleiben – ist dies nicht auch ein kannibalistischer Akt? Ähnliches gilt auch für den Katholizismus, der in seinen Riten Oblaten und Wein als Symbol für das Fleisch und das Blut des Gekreuzigten verzehren lässt.Der Kapitalismus strebt in allem (Umwelt, Menschen, Ziere, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) der Destruktion entgegen um sich dies als Konsum oder Profit einzuverleiben.
Paul Droglas Buch, das aus einer Dissertation hervorgegangen ist, gehört in die sekundärliterarische Basisbibliothek zur Populärkultur.
(Eine der entscheidenden Quellen des Kannibalenbildes in Europa)
<img src=“http://vg09.met.vgwort.de/na/111336c635be47298744fefa5bbb4731″ width=“1″ height=“1″ alt=““>
Filed under: Alexander Martin Pfleger, Bücher, Heftroman, Krimis, Leihbücher, Rezensionen | Schlagwörter: Leihbücher
Herbert Kalbitz und Dieter Kästner haben eine illustrierte Bibliographie des Kriminalleihbuchs erstellt und bei ACHILLA PRESSE veröffentlicht.
http://www.amazon.de/Illustrierte-Bibliographie-Leihb%C3%BCcher-1946-1976-Kriminalleihb%C3%BCcher/dp/3940350222/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1413805557&sr=1-1&keywords=Herbert+Kalbitz
Das Medium des Leihbuchs stellt heutzutage fast nur noch das Betätigungsfeld weniger Spezialisten dar. Sieht man von den Arbeiten Jörg Weigands ab, erfuhr es kaum eine nennenswerte Würdigung als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen
Das Andenken dieser mittlerweile untergegangenen Publikationsform, der Hans-Ulrich Treichel in seinem Romanerstling „Der Verlorene“ (1998) ein Denkmal setzte, bewahrt bis heute eine, wie man überrascht und erfreut vernimmt, deutlich im Steigen begriffene Anzahl spezieller Sammler und Liebhaber.
Doch was ist überhaupt ein Leihbuch? Wie das romantische Kunstlied und der Heftroman stellt das Leihbuch im eigentlichen Sinne ein Phänomen dar, das in seiner spezifischen Ausformung letztlich auf den deutschen Sprachraum beschränkt blieb. Bezeichnet werden mit diesem Begriff Bücher, die speziell zum Vertrieb durch gewerbliche Leihbüchereien hergestellt wurden. Seine Ursprünge reichen weit bis ins 19. Jahrhundert zurück, doch das „goldene Zeitalter“ des Leihbuchs dürfte zweifelsohne der Zeitraum unmittelbar vom Ende des Zweiten Weltkriegs an bis etwa zur Mitte der 1960er Jahre gewesen sein, als in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz etwas über zwei Jahrzehnte hin eine große Anzahl von Verlagen florierte, die sich ausschließlich der Produktion von Leihbüchern widmeten. Die Entwicklung geriet spätestens ab Ende der 1960er Jahre sichtlich ins Stocken, und mit einem Reprint eines Westernleihbuchs im Jahre 1979 dürfte die Geschichte des Leihbuchs ihr Ende gefunden haben.
Das Leihbuch war, wie der Name bereits suggeriert, für den gewerblichen Verleih bestimmt und mußte daher über eine gewisse Robustheit verfügen. Es handelte sich dabei vorwiegend um Hardcover, zwecks Transporterleichterung in genormtem Format – 18 cm hoch, 12,5 cm breit, ca. 4 cm dick, was einer durchnittlichen Seitenzahl von 250 oder auch mehr entsprach – hergestellt, auf besonders dickem, vergleichbar den US-amerkanischen „Pulps“ stark holzhaltigem und daher besonders widerstandsfähigem Papier gedruckt, zumeist mit knallbunten, schreienden Titelbildern geschmückt und zum Schutz vor allzu schneller Abnutzung und Verschmutzung in eine durchsichtige Plastikfolie aus der Untergattung Supronyl gehüllt, was zu der überaus sinnreichen Koseform „Supronyl-Schwarte(n)“ führte.
Inhaltlich deckten die Leihbücher sämtliche Genres der Unterhaltungsliteratur ab. Die durchschnittliche Auflagenhöhe eines Leihbuchs belief sich auf 2000 Exemplare; nur selten brachten es einige wenige „Starautoren“ wie der deutschsprachige Western-Klassiker G. F. Unger auf eine Anzahl von 5000 bis zu 7000 Exemplaren.
Wiewohl sich auch immer wieder literarische Klassiker á la „Die drei Musketiere“ oder „Der Glöckner von Notre-Dame“ in die Reihen der Leihbuchverlage „verirrten“, galt das Leihbuch gleichwohl lange Zeit mit als die verachtetste Form der Trivialliteratur überhaupt, noch unter dem Romanheft rangierend, vornehm als „billiges Lesefutter“ tituliert, etwas weniger zurückhaltend als „unterster Schund“ diffamiert.
Daß solcherlei Vorurteile und Vorverurteilungen ebensowenig über die tatsächliche Qualität des hier Gebotenen aussagen, wie der von Leihbuchfreunden oftmals vorgebrachte Hinweis auf die zumeist aus abwegigsten Beweggründen vorgenommenen Indizierungen von Titeln aus dem Leihbuchsektor durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften – man spricht hierbei auch gerne von einer „Hexenjagd“ – ein Indiz für das generelle Vorhandensein subversiver Subtexte im Supronylgewand darstellt, versteht sich von selbst.
Gleichwohl bleibt der Makel an Feuilleton und Fachgermanistik haften, daß beide eine Reihe literarisch hochwertiger Autoren erst langsam zur Kenntnis zu nehmen begannen, als deren Werke in Verlagen wie Suhrkamp oder Diogenes zu erscheinen begonnen hatten, nicht jedoch zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, als man sie in deutscher Sprache nur in Form von Leihbüchern oder Romanheften zu rezipieren vermochte – stellvertretend seien hier aus den Bereichen der Science Fiction wie der Kriminalliteratur Namen wie Stanislaw Lem, Ray Bradbury, Brian Wilson Aldiss, Philip Kindred Dick, James Graham Ballard, Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Cornell Woolrich oder Margery Allingham genannt. Auch sei daran erinnert, daß man mancherorts Warnrufe bezüglich des vermeintlich vor seinem Untergange befindlichen Abendlandes – wobei natürlich erwähnt werden muß, daß bekanntlich die Wenigsten wußten und wissen, worauf Oswald Spengler tatsächlich mit dieser Begriffsbildung hinauswollte! – zu vernehmen vermochte, als Mitte der 1990er Jahre der Rotbuch Verlag eine sorgfältig edierte Neuausgabe der „Mike Hammer“-Romane von Mickey Spillane startete, dessen deutschsprachige Erstausgaben im Leihbuchformat im Amselverlag „sämtlich dem Bannstrahl der Bundesprüfstelle zum Opfer fielen“ (Jörg Weigand im Vorwort, S. 8), weswegen sich später Heyne und Ullstein bevorzugt auf entschärfte und gekürzte Versionen stützten.
Mit Herbert Kalbitz, seit rund einem Vierteljahrhundert Vorsitzender des „Jerry Cotton Clubs Deutschland“ und Betreiber des Aufbaus einer „Zentralkartei für Leihbücher“, die bislang ca. 33000 Datensätze umfaßt, und Dieter Kästner, Autor einer vielbeachteten „Bibliographie der Kriminalerzählungen 1948 – 2000“ (erschienen 2001 im Baskerville Verlag, Köln-Sulz), haben sich nun zwei Koryphäen auf dem Gebiet der Kriminalliteratur wie der Leihbuchforschung – der Begriff ist in diesem Zusammenhang absolut angemessen! – an die herkulische Aufgabe gemacht, die Kriminalliteratur im Leihbuchsektor bibliographisch zu erfassen.
Dabei galt es nicht allein, die tatsächlich vorhandene Anzahl von Leihbüchern im Privatbesitz der beiden Autoren oder befreundeter Sammlerkollegen (nicht zuletzt aus dem Umfeld des von Herbert Kalbitz seit gut zwei Jahrzehnten organisierten „Offenbacher Leihbuch-Symposions“!) zu sichten und auf ihre Genrezugehörigkeit hin zu prüfen – vielfach war es notwendig, die schiere Existenz bestimmter Leihbücher nachzuweisen: Neben einigen marktführenden Verlagen waren im Leihbuchbereich auch viele Klein- und Kleinstunternehmer tätig, deren Läden (gleichermaßen wortwörtlich wie metaphorisch zu lesen!) aus wirtschaftlichen Gründen vielfach bereits schlossen, noch bevor die Deutsche Bibliothek ihre Pflichtexemplare einzutreiben im Stande war – einer von vielen Gründen, weshalb der Gesamtkomplex der Leihbücher bis heute nur unzureichend bibliographisch erfaßt und erst recht in Bibliotheken kaum greifbar ist. Von vielen Leihbüchern ist bis heute unbekannt, ob sie überhaupt je erschienen oder nur vom Verlag angekündigt wurden. In manchen Fällen bestand der einzige Hinweis auf ihre Existenz aus dem bei der Bundesprüfstelle eingegangenen Indizierungsantrag. Auch wurde nicht jedes Buch indiziert, dessen Indizierung man beantragte!
In jahrzehntelanger Kleinarbeit, ohne staatliche Fördermittel, allein aus der eigenen Tasche finanziert, ermittelten Kalbitz und Kästner nicht nur die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit eines einzelnen Titels zum Krimi-Genre, sondern erforschten komplette Verlagsprogramme und –geschichten, knackten zahlreiche Pseudonyme und eruierten so manche publikationsgeschichtliche Anekdote.
Dem Interessierten bietet das vorliegende Werk nun die Möglichkeit, nach unterschiedlichsten Kriterien das Gewünschte zu finden – gleichgültig, ob man bei seiner Suche nach Autorennamen, (Verlags-)Pseudonymen, Serienheldennamen, Verlagen oder Verlagsreihen vorgeht. Auch haben Kalbitz und Kästner ihren künftigen bibliographischen Projekten zur Abenteuerliteratur, zum Westerngenre oder verschiedenen kleineren Genres, die für die kommenden Bände ihrer Leihbuchbibliographie geplant sind, bereits deutlich vorgegriffen, indem sie bei jedem behandelten Autor auch gleich sein restliches Schaffen im Leihbuchbereich, freilich aus anderen Genres, mitverzeichneten. So wurde aus einem Hobby – Wissenschaft!
Nach der erweiterten Neuausgabe von Robert N. Blochs „Bibliographie der Utopie und Phantastik 1650–1950 im deutschen Sprachraum“ sowie des Verlegers Mirko Schädel unter Mitwirkung von Robert N. Bloch erstellter „Illustrierten Bibliographie der Kriminalliteratur im deutschen Sprachraum von 1796 bis 1945“ liegt mit dem Auftaktband der Leihbuchbibliographie von Herbert Kalbitz und Dieter Kästner im 1990 gegründeten Verlag ACHILLA PRESSE, der bereits mehrfach durch spektakuläre Neu- oder Erstveröffentlichungen deutsch- und fremdsprachiger Kriminalliteratur und Phantastik (Joseph Sheridan Le Fanu, Wilkie Collins, Herman Melville, Robert Louis Stevenson, Fenimore James Cooper, Charles Brockden Brown, Mary Wollstonecraft und Percy Bysshe Shelley, Edgar Allan Poe, Victor Hugo) sowie die Förderung verschiedener junger Talente (Johanna Moosdorf, Katharina Höcker, Anna Katharina Hahn) oder die Pflege moderner Klassiker (Sherwood Anderson, Boris Vian, Hubert Selby) Aufsehen und positive Resonanz erregte, ein weiteres bibliographisches Werk vor, mit dem bereits Maßstäbe gesetzt werden konnten.
http://www.achilla-presse.de/6-0-Buchhandlung.html
Es ist nun Sache einer geistig aufgeschlossenen, sich von ihren ideologischen Erstarrungen langsam freikämpfenden Literaturwissenschaft, das hiermit gemachte Angebot nicht als hingeworfenen Fehdehandschuh zu betrachten, sondern als Ansporn für fundierte Forschungsarbeit in literarhistorischer „terra incognita“ zu werten – und nach Möglichkeit auch zu nutzen! Die Rechnung für eine solche Unternehmung wird von einer dankbaren Leserschaft gewiß nicht mit Blei entlohnt werden!
Herbert Kalbitz / Dieter Kästner:
Illustrierte Bibliographie der Leihbücher 1946 – 1976
Teil 1: Kriminalleihbücher
500 Seiten, EUR 69.00
Achilla Presse, Stollhamm-Butjadingen 2013
ISBN: 978–3–940350–22–0
Und für alle, bei denen die Lektüre dieser Rezension ein Interesse am Leihbuch sowie einer vertieften Beschäftigung mit demselben zu entfachen vermochte, sei noch das Standardwerk (man beachte bitte die raffinierte Anspielung hierauf im Titel dieser Rezension!) von Jörg Weigand empfohlen, der, wie schon erwähnt, zur Leihbuchbibliographie von Herbert Kalbitz und Dieter Kästner ein Vorwort beisteuerte:
Jörg Weigand:
Träume auf dickem Papier. Das Leihbuch nach 1945 – ein Stück Buchgeschichte
168 Seiten, EUR ca. 20.00
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2005
ISBN: 3-7890-3866
Filed under: NEWS
GOMA
Die Geschichte eines Herumtreibers, dem das Leben sämtliche Ideale ausgetrieben hat und der ausgerechnet in der Hölle der Kivus sein Glück machen will…
Voranschluss:
Der Mann, der sich Roland Burget nannte, bewies sein Leben lang ein besonderes Talent für ausweglose Situationen, die er offenbar ebenso magisch anzog wie Scheiße Fliegen. Zur Zeit hielt er sich im Osten der Demokratischen Republik Kongo auf. Genauer in der Region Nord-Kivu, nahe der ruandischen Grenze. Kostbare Rohstoffe warteten hier im vulkanischen Boden auf ihre Ausbeutung: Gold, Diamanten, Uran, Kupfer, Kassiterit und vor allem Coltan, der Rohstoff des digitalen Zeitalter. Die weltweite Nachfrage war enorm, Coltan selten und darum wertvoll. Die Erde im östlichen Kongo barg angeblich geschätzte zwei Drittel der weltweiten Ressourcen. Ein riesiges Vermögen.
Auch Burget war gekommen, um sich die Taschen zu füllen. Und er schien es nötig zu haben. Er war ein abgemagerter Weißer, entweder Ende dreißig oder Mitte fünfzig, schwer zu sagen, mit hohlwangigem Gesicht und löcherigem Bart. Die Hose fadenscheinig, das Hemd fleckig und von undefinierbarer Farbe, die Armeejacke verblichen und geflickt. Aber Burget trug passable Springerstiefel und besaß noch die meisten seiner eigenen Zähne. Er hatte in letzter Zeit immer wieder Pech gehabt.
Das würde sich jetzt ändern. Er war nämlich zufällig in den Besitz von sechs Tonnen Small Arms and Light Weapons samt Munition geraten und fest entschlossen, diese in den Kivus an den Mann zu bringen. Hier wimmelte es nur so vor potentiellen Kunden. Sagte ich schon, dass Krieg herrschte?
DATUM: 25.10.2014, ORT: Kneipe RESISTANCE, Geisselstr. 70, 50832 Köln-Ehrenfeld. BEGINN: 21.00 Uhr.
Filed under: CIA, Crime Fiction, die man gelesen haben sollte, Krimis,die man gelesen haben sollte, Noir, Rezensionen, THOMAS PERRY, thriller | Schlagwörter: CIA, Drehbuchautoren, Elmore Leonard, Ross Thomas, Simon&Simon, Thomas Perry, Thriller
Chinese Gordon ist ein ehemaliger Contractor, der inzwischen mit seiner Freundin Margaret und seinem Kater Dr.Henry Metzger in Los Angeles lebt. Zusammen mit seinen Kumpels Kepler und Immelmann dreht er Dinger, die sich durch militärische Präzision auszeichnen. In seinen Kastenwagen hat er zur besonderen Verwendung eine Flugzeugkanone eingebaut, mit der lässt er es so richtig kachen, dass es Bruce Willis & Co grün vor Neid wird. Für einen mexikanischen Drogenhändler holt er für eine Million Dollar Kokain aus einer Forschungsabteilung der Universität (den Stoff hatte man dem Drogenhändler abgenommen und der Uni zur Verfügung gestellt). Bei dem Coup fallen ihm geheime Papiere der CIA in die Hände, die eine neue Strategie der psychologischen Kriegsführung in Lateinamerika dienen sollen und von der sich die Firma viel verspricht. Erstes Ziel ein Umsturz in Mexiko (der Roman ist von 1983, was aber für seine Zeitlosigkeit keine wirkliche Rolle spielt). Gordon erpresst die CIA und bekommt es mit einem alten Hasen zu tun, der selber an der Inkompetenz des eigenen Ladens verzweifeln könnte. Die Besprechungen der CIA-Analytiker gehören zum Komischsten, das Ross Thomas nie geschrieben hat. Es ist bezeichnend, daß Carl Hiaasen die Einführung zur letzten Neuauflage geschrieben hat. Denn Hiaasens schräger Humor hat einiges mit Perry gemeinsam.
Natürlich ist das kein Katzen-Krimi (obwohl jeder Fan der Spezies begeistert auf seine Kosten kommt).. Das Buch funktioniert auf mehreren Ebenen:
- Als spannender Thriller mit überraschenden Wendungen.
- Als satirische (wirklich?) Beschreibung der CIA.
- Als Lehrbuch für Aufbau und Stil eines nahezu perfekten Thrillers.
Es ist etwas unverständlich, dass Perry nicht einen ähnlichen Stellenwert genießt wie Elmore Leonard. Denn seine Romane verfügen über vergleichbar originelles Personal (auch wenn sie weniger eitel im Dialog sind), präzise Plots, die mit überraschenden Wendungen einhergehen (Perrys schlechteste Plots sind besser als Leonards schlechteste Plots) und ökonomische Erzählweise. In seinen Polit-Thrillern erinnert Perry häufig an Ross Thomas.
An einen Ross Thomas on dope.
Am erfolgreichsten sind bisher die sieben Bände seiner Serie um die indianische Escape-Expertin Jane Whitefield Seine Trilogie über den Killer Butchers Boy ist im Gespräch für eine TV-Serie (die beiden ersten Romane wurden auch ins Deutsche übersetzt; aber seit längerer Zeit hat Thomas Perry, wie so viele großartige US-Autoren, keinen deutschen Verlag mehr). Auch in der besseren amerikanischen Sekundärliteratur sucht man seinen Namen meist vergeblich. Er scheint tatsächlich, trotz seines Erfolges, eines der bestgehütetsten Geheimnisse der US-Crime Fiction zu sein. Vielleicht liegt es aber auch darin begründet, dass er sich oft zwischen alle Stühle gesetzt hat: Er hat häufig den Polit-Thriller und Noir-Roman mit Comedy verbunden, was Kritiker dazu bewegte, den unvermeidbaren Vergleich mit Donald Westlake heraus zu grölen. Dabei ist Perry ist seinen besten Werken so einzigartig und originell, daß man ihn vortrefflich als sein eigenes Genre bezeichnen darf.
Perry stammt aus einer Lehrerfamilie. Zusammen mit einer Schwester und einem Bruder wuchs er in Tonawanda, Nex York, in der Nähe der Niagara-Fälle auf. „Ich verbrachte einige Zeit mit ziemlich harten Burschen, ohne selber einer zu sein. Aber ich lernte, die Dinge durch ihre Augen zu sehen. Ich bin zwischen Buffalo und Niagara Falls aufgewachsen. Das war immer Mafia-Gebiet. Als ich aufwuchs herrschte ein brutaler Krieg zwischen zwei Familien, der erst bei dem berühmten Treffen auf der Ranch in Apalachin 1957 beigelegt wurde. Als ich anfing über diese Leute zu schreiben, erinnerte ich mich an diese Geschichten aus meiner Jugend und recherchierte sie genauer.“
Er studierte Englisch in Cornell und machte an der Universität von Rochester seinen Abschluss. Dann arbeitete er als Fischer und in einigen anderen Jobs, die etwas mit dem richtigen Leben zu tun haben. Schließlich zog er nach Santa Barbara und ging an die Universität von Kalifornien um in der Verwaltung zu arbeiten. Dort traf er die Englisch-Dozentin Jo Anne Lee, die er 1980 heiratete.
In den 1980ern arbeitete er auch als Drehbuchautor und Producer für Serien wie SIMON & SIMON (für die sogar Ross Thomas zwei Episoden schrieb), 21 JUMP STREET und STAR TREK: THE NEXT GENERATION. Bei SIMON & SIMON war er auch als Co-Produzent tätig.
Geschrieben hat er seit der Kindheit, darunter auch ein paar unveröffentlichte Romane. „Ich bemühte mich vergeblich etwas zu schreiben, das nicht langweilig war.“ Bei seiner Dissertation über William Faulkner war Perry auf Chandler gestoßen, den Faulkner als einen seiner Lieblingsautoren bezeichnet hatte. „Ich las Chandler und entdeckte die Kriminalliteratur.“ Perry kannte das Genre kaum und liest auch heute nur wenige Thriller. Vielleicht war es gerade diese Unbedarftheit, die es ihm ermöglichte mit einem neuen Ton ins Genre einzusteigen. „Ich versuche immer wieder etwas anderes um die Sachen interessant zu machen.“ Hätte Perry von Anfang an auf eine Serie gesetzt, wäre er heute sicherlich noch erfolgreicher. Aber selbst für die Whitefield-Romane galt oder gilt, dass er der Serienheldin einen neuen Aspekt abgewinnen muss um ein weiteres Buch über sie zu schreiben. Das erklärt auch die zehnjährige Pause zwischen dem fünften und sechsten Roman.
Sein Erstling, THE BUTCHER´S BOY, für den er den EDGAR bekam, schlug 1982 ein wie eine Bombe. Es war sofort erkennbar, dass sich eine neue, originelle Stimme im Thriller zu Wort meldete. Eine von Perrys Spezialitäten ist die multiple Erzählerperspektive, die er meisterhaft beherrscht. Obwohl er immer in der dritten Person erzählt, führt er den Leser in die nachvollziehbaren Gedankengänge der jeweiligen Figur, egal wie verrückt sie sind. Trotz dieser inneren Monologe ist sein Werk voller filmischer Action, was sicherlich seiner Arbeit als Drehbuchautor geschuldet ist. Diese Mischung, gepaart mit einer großen Portion Zynismus, machen sein Werk originell und einzigartig in der Kriminalliteratur. Was wahrscheinlich auch eine Erklärung dafür ist, dass es seit langem nicht mehr auf Deutsch veröffentlicht wird.
P.S.: Momentan arbeitet Dante Harperr (Edge of Tomorrow) an einem Drehbuch nach METZGER´S DOG.
<img src=“http://vg08.met.vgwort.de/na/b5a87a59d1b14c6fa7223f148691dcf0″ width=“1″ height=“1″ alt=““>
Im Blog der geschliffenen Klinge und des geschliffenen Wortes hat eine Serie über Fechtkunst in der Literatur begonnen. Den Anfang macht ein Beitrag über FLASHMAN:
http://fechtgeschichte.blogspot.de/2014/10/fechten-in-der-literatur-1-flashman.html
Filed under: Weise Worte | Schlagwörter: Banker (Synonym für Totengräber), Idioten der Geschichte, Massenmörder
„Es ist profitabler, Kriege zu führen als Kriege zu gewinnen.“
Ein Banker (möchte ungenannt bleiben)
Jetzt ist der Georg Dietz endlich dort angekommen, wo Manchette und andere vor vierzig Jahren schon ankamen. Hat vielleicht mit dem Alter zu tun…
LG
M
Filed under: Allgemein | Schlagwörter: News
Ich bin am Donnerstag dem 9. auf der Buchmesse am Stand des KÜBLER-Verlages (Halle 3.0 E.5).