Martin Compart


VORWORT ZU WENSKES ROCK´N ROLL TRIPPER by Martin Compart
18. Mai 2016, 7:48 am
Filed under: Bücher, Hunter S.Thompson, Manny Herrmann, Porträt, WENSKE | Schlagwörter: , ,

Wir wurden aber nicht geschnappt, und alles andre war uns scheißegal!

Der TRIPPER hat nichts auf der Bestsellerliste verloren, denn „wo der Pöbel trinkt, sind alle Brunnen vergiftet“(Nietzsche). Soll Chris Hyde ruhig weiterhin Helmut Wenske anpumpen, wenn er Papier kaufen will. Diese Neuauflage darf nur an Leute gehen, die ein Führungszeugnis von Hunter S.Tompson vorweisen können. Horrorvorstellung, dass die Büttel der Subventionskultur mit TRIPPER vor der Nase S-Bahn fahren, oder ranzige Latzhosen sich dabei einen runterholen. Ich will, dass der TRIPPER weiterhin den Outlaws gehört, die sonst kein Buch anrühren und es wie einen Schatz hüten. Das ist nix für Bildungsbürger, die sich schon bei Cormac McCarthy vor Angst in die Hose scheißen. Wie die Leute freiwillig gegen ihre Interessen wählen, so haben sie gefälligst auch gegen ihre Interessen zu lesen.

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Wie war das noch mit den Fifties?

Mandolinen im Mondschein, fette Wirtschaftsbosse im Daimler, die nur innehielten, um ihre eigene Tüchtigkeit zu bewundern, Halbpension in Rimini, singende Seemannsschwuchteln, Conny packte Peters vollgewichste Badehose ein, Streifenpolizisten wie bewaffnete Briefträger, alte Nazis, die den Krieg nicht wirklich verloren hatten und Haxen fressen als Gipfel des Hedonismus. Amoralische Spießer krochen aus den Bombenlöchern, um das Wirtschaftswunder zu erfinden. Hoffnung gab nur die atomare Bedrohung. Blue Jeans und Lederjacken waren Werkzeuge des Teufels, und Rock’n‘ Roll war seine Musik. Das Land gehörte weiterhin den Kreaturen, die die Barbarei wissenschaftlich gemacht hatten. Die Bundesrepublik war nicht die Nachfolgerin der Weimarer, sondern der Friedhof des 3.Reichs, auf dem die Zombies rumirrten.

Wer auf dieser Müllhalde herumkroch und bei klarem Verstand überleben wollte, hatte nur eine Chance: Er musste wahnsinnig werden. Denn Wahnsinn verschafft Autonomie. Wenske buddelte sich aus der Mülltonne der Blockwarte, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Das macht er immer noch. Keith Richards würde mit ihm auf Tournee gehen. Er hat mit Worten das gemacht, was Keith auf der Gitarre anstellt: Literatur als Riffs. Ich fand Bill Haley immer blöde, bis ich bei Chris Hyde lesen musste, wofür er Mitverantwortung trägt.
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Bis heute lässt Hyde sich nicht mit Geld zumüllen (Versuche gab’s einige) und geht dem System mächtig auf den Senkel. Und was das Schlimmste ist: Er schrieb mit nicht wiedergutzumachenden Worten schlichtweg den deutschen – das Wort kommt mir schwer aus der Feder – : Klassiker der Beat-Literatur. Hydes Neal Cassady heißt Helmut Wenske. Er krallte sich Wenskes Leben und presste einen verdammten Klassiker raus. Es gibt wenig Authentischeres, und nichts besser Geschriebenerws. Dabei auch noch so witzig wie Bukowski auf Äppelwoi, der gerade mit den Hells Angels ein Drehbuch für Klaus Kinski schreibt. Rein wissenschaftlich betrachtet, ist es der Undergroundreport der fetten Jahre der Republik. Dr.Wenske und Mr.Hyde wissen nicht, dass sie einen Klassiker geschrieben haben – und werden mich angesichts dieser Behauptung in den Arsch treten wegen übler Nachrede. Schmeiß drauf. Es ist nun mal unser Beat-Klassiker. Die Beats waren/sind Existentialisten, die ihre Glückseligkeit aus der Verachtung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft zogen. Ihr unersättlicher Lebenshunger, der aus jeder Seite des TRIPPER spricht, knallt dem Über-Ich zu Gunsten des Es eine Pulle über den Schädel. Es ist die Rehabilitierung des Instinkts. Hyde hasst die Gleichschaltung der Persönlichkeit und des Alltagsleben, hasst jeden Konformismus und die verlogenen bürgerlichen Moralnormen. Er schmeißt auf die Jagd nach materiellen Wohlstand und das selbstzufriedene Leben der Spießer. Narkotiker und sozial Gestrandete sind eben interessanter als Bankbeamte oder Lokalpolitiker.

TRIPPER hat kein Fett – schier unmöglich, was zu streichen. Der Stil ist so dicht wie in Kerouacs besten Momenten, politisch so korrekt wie ein Abend im Puff. Jede Zeile belegt, dass neben Politikern der brave, ordnungsliebende, hart arbeitende Spießer die niedrigste Lebensform auf diesem Planeten ist. Es ist die deutsche Gesamtausgabe von EXILE ON MAINSTREET, ein deutscher Outlaw-Blues, der uns schlimme Sachen zeigt, um Mythen zu spenden. Wenige Bücher sind nicht zu ersetzen durch Film, Musik, Flipper, Fußball, Radio oder Sex; dies ist eines. Hyde stopft den Leser in die Betonmischmaschine und kurbelt ihn solange durch, bis er erschöpft und um eine echte Erfahrung reicher rausplumpst. Über dem Buch hängt der Satz des Duluoz: „Es war nicht so sehr die Dunkelheit der Nacht, die mich störte, sondern die abscheulichen Lichter, die der Mensch erfunden hat, um diese Dunkelheit zu erhellen.“ Über Kerouac schrieb Henry Miller was auch für Chris Hyde gilt: „Der wirkliche Poet, oder in diesem Fall der spontane Bop-Prosodist, ist immer scharfhörig für die Ab- und Eigenart des Sprachlichen seiner Zeit – für den Swing, den Beat, den abgerissen metaphorischen Rhythmus, der so schnell, so wild, in so wirrem Getümmel kommt, so unglaublich und doch ergötzlich verrückt, daß, zu Papier gebracht, ihn niemand erkennt. Das heißt, niemand außer dem Dichtern. Er `hat es erfunden‘, sagen die Leute. Sie meinen, er habe es künstlich zusammengebraut. Sie sollten aber sagen: `Er hat es‘. Er hat es, hat es ganz mitgekriegt, er hat es niedergeschrieben… die ganze Nacht lag er wach und horchte mit Augen und Ohren. Eine Nacht von tausend Jahren. Hörte es im Mutterleib, hörte es in der Wiege, hörte es in der Schule, hörte es auf den Brettern der Lebensbörse, wo man Träume gegen Gold einhandelt. Und Mensch, wie er es überhat, er will es nicht mehr hören. Er will weiter. Er will abschwirren.“
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Sicher, auch bei uns gab es ein bisschen Beat-Literatur. R.D.Brinkmann, nach dessen Tod Fauser deutlich erkannte: „…daß man bei uns noch mehr als anderswo auf der Hut sein muss vor den Kulturverwertern, diesen Schakalen der total mediatisierten Welt… nicht mal sterben kann man, ohne Angst zu haben, verschaukelt und verscheißert zu werden“. Bisher hatte Hyde das Schweineglück, nicht den Feuilletonisten in die Hände zu fallen, um dort verharmlost zu werden, wo man bei uns die Outlaws erledigt. Fauser stand mit AQUALUNGE damals – wie sein Freund Jürgen Ploog – Burroughs näher als Kerouac oder Mailer (jawohl, Mailer! Lies erstmal WHITE NEGRO, bevor Du dreist „falsche Baustelle“ schreist). Fauser, der den TRIPPER sofort richtig einschätzte und bewunderte, traf Hyde einmal: Auf der Buchmesse ’84 beim Guiness-Ausschank am Ullstein-Stand. Ich war dabei. Man bot uns Geld, wenn wir nur woanders weitermachten.

Du liest noch immer? Dann schnall Dich an, denn jetzt kommt the Real Thing. This is the Trip… I really like it…Und erzähle hinterher nicht, ich hätte Dich nicht gewarnt.

Martin Compart



MANCHE TOTE STERBEN NIE: NEUES VON HUNTER by Martin Compart
14. Februar 2015, 2:40 pm
Filed under: Hunter S.Thompson, Paranoid, Politik & Geschichte, Rezensionen | Schlagwörter: , ,

Die Edition Tiamat erfüllt für die heutige kritische Intelligenz eine ähnliche Aufgabe, wie früher die Edition Suhrkamp für die Pseudo– Intelligenz der 1960er- und 70erJahre. Das ermöglicht, dank der geistig-moralischen Wende, natürlich keine Bestseller mehr.

Autorenfoto_Klaus-Bittermann[1]Seit Jahren beackert Verleger Klaus Bittermann, ein Kämpfer gegen „Literatur die die Ausstrahlung von Birkenstockschuhen hat“, nun schon das Oeuvre von Hunter S Thompsons. Dank seines Engagements (und das des Heyne Verlages) ist das umfangreiche Werk von Hunter weitgehend auch in deutscher Sprache zugänglich. Thompsons Einfluss auf den Journalismus im Besonderen, und auf Teile der zeitgenössischen Literatur im Allgemeinen, kann gar nicht überschätzt werden. Was als Gonzo-Journalismus in die Literaturgeschichte eingegangen ist, gehört nach wie vor zu den interessantesten literarischen Strategien um Realität virtuell erfahrbar zu machen. Hunter hat eindrucksvoll bewiesen, dass eine subjektive Herangehensweise dem Leser objektive Erkenntnisse vermitteln kann. Hunter steht in der Tradition der Beat-Literaten, indem er aus Literatur und Rock ’n‘ Roll eine literarische Synthese geschaffen hat.

Bisher war Bittermanns Verlag bekannt für qualitativ hochwertige Paperbacks; nun hatte er, meines Wissens erstmalig, ein qualitativ hochwertiges Hardcover veröffentlicht (als Band 222 der Critica Diabolis). Der würdige Anlass dafür ist eine umfangreiche Auswahl aus den Briefen von Hunter. Im Waschzettel zu dem voluminösen Band heißt es „Über 20.000 Briefe sind es, die Thompson in seinem Leben verfasst, und an prominente Zeitgenossen von Tom Wolfe bis Jimmy Carter verschickt hat; an Freunde, Feinde und Familie… Sie bilden nicht nur eine Chronik der jüngeren amerikanischen Gegenkultur; es sind seine Memoiren… eine Autobiografie als Live-Mittschnitt.“

»Lesen Sie diese Briefe – aber, um Gottes willen, geben Sie diesem Mann niemals Ihre Telefonnummer.« (Johnny Depp)

Für Leute, die beim Lesen nicht die Lippen bewegen, ist dieser Prachtband schon jetzt eines der Bücher der Saison. Jede der 606 Seiten ist ihr Geld wert. In diesem Monat wird man für 28 € nichts besseres bekommen, dass die Gehirnsynapsen fröhlicher zum klingeln bringt.

Am besten gefällt er mir, wenn er in seinen gnadenlosen Analysen so richtig schön polemisch und wütend wird:

„Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten über Big Sur stimmt, hätte der Ort längst ins Meer abrutschen müssen; und es wären dabei so viele wahnsinnige und Degenerierte ertrunken, dass eine Schiffsbrücke aus Körpern entstanden wäre, die bis nach Honolulu reichen würde. Die Vibrationen all der Orgien hätten die gesamte Bergkette von Santa Lucia zum Einsturz gebracht und die Zerstörung von Sodom und Gomorrha die das kleinliche Werk eines Geizkragen aussehen lassen. An den westlichen Ausläufern würde das Land schlicht das Gewicht all der Sexfanatiker und kriminellen, die hier angeblich leben, nicht tragen können. Die Erde selbst würde sich auftun und vor Ekel würgen – und über die langen steinigen Böschungen würde eine gespenstischer Armada aus Nudisten, Schwulen, Junkies, Vergewaltigern, Künstlern , Flüchtlingen, Vagabunden, Dieben, Verrückten, Sadisten, Eremiten und jedem erdenklichen menschlichen Abschaums herab steigen. Die alle würden samt und sonders sterben – und, wenn es gerecht zuginge, würde es einer Armee von Touristen und Schaulustigen genauso ergehen.“ (S. 122)

Diverse Online-Redaktionen entblödeten sich in ersten Nachrufen nicht, Hunter S. Thompson als „Idol der Hippie-Generation“ zu bezeichnen. Das ist natürlich völliger Schwachsinn. Neil Young (den braucht man sich nur anzusehen) ist ein Idol der Hippie-Generation, aber „Dr. Gonzo“ hat Hippies und deren logische Nachfolger („die Generation der Schweine“) immer verachtet. Er war Waffenfetischist, erklärter Gegner des „Love & Peace“-Geschwafels und ein unbarmherziger Gegner jenes Establishments, dem auch die 68er bald angehörten.

Bill Cardoso war der Urheber des Ausdrucks „Gonzo“, welcher auf das italienische Wort „gonzagas“, zu Deutsch, Absurditäten, bedeutet. Die subjektive Form der Reportage ermöglichte es dass sich Thompson ohne große Vorbehalte auf alles stürzte was ihm an der gesamten Veranstaltung missfiel und was er als verachtenswert empfand. Satirische Überhöhung, Schimpfwörter, Sarkasmus und die Aufhebung der Distanz zwischen Reporter und Reportage. Thompson wurde zur Hauptfigur seines eigenen Artikels und damit zum Schöpfer einer neuen Art von Journalismus.

Er scheute vor keiner Drogendosis zurück, schüttete sich mit Alkohol zu, lebte seine Paranoia voll aus, kämpfte gegen die Chefredaktionen (weil dort der natürliche Feind jedes Journalisten sitzt und im Auftrag der Anzeigenabteilung arbeitet).

Hunter S. Thompson war nach Tom Wolfe der bekannteste Vertreter des New Journalism, einer Form, die ab Mitte der 1960er Jahre den Journalismus neu belebte, indem er subjektives Erleben und literarische Stilmittel in Reportagen einfließen ließ.

Thompson begann Ende der 1950er Jahre als Sportreporter und war dann als Südamerika-Korrespondent unter anderem für den „National Observer“ in Peru, Kolumbien und Brasilien unterwegs. Er wurde 1967 bekannt durch sein Buch „Hell’s Angels – A Strange and Terrible Saga“. Als erster beschäftigte er sich darin mit den Motorradgangs Kaliforniens und lebte dazu ein Jahr lang mit
den Hells Angels.

Ende der 1960er Jahre war er einer der ersten Autoren des neuen Magazins Rolling Stone. Thompsons exzentrischer und ausschweifender Lebens- wie Schreibstil war einer der Gründe für den Erfolg des Rolling Stone. In dieser Zeit schuf sich Thompson seine ganz persönliche Form, den von ihm so genannten Gonzo-Journalismus. Es entstand auch sein bekanntestes Buch, „Fear and Loathing in Las Vegas“. Dieses Buch, wie auch eine Reihe von anderen, wurde von Thompsons Freund, dem Engländer Ralph Steadman illustriert.

In den 1970er Jahren wandte sich Thompson aktiv der Politik zu. 1970 kandidierte er als Sheriff in Aspen, Colorado. Thompson verlor die Wahl nur knapp.

„Richard Nixon gehörte nicht zu den Menschen, die bei mir populär sind. Jahrelang habe ich allein schon die Tatsache seiner Existenz als Denkmal für all jene verfaulten Gene und kaputten Chromosomen angesehen, welche alle Realisierungsmöglichkeiten des Amerikanischen Traums korrumpieren.“

Thompson pflegte u. a. Freundschaften mit Keith Richards, Bob Dylan, Warren Zevon und Johnny Depp.

1963 siedelte er für immer nach Colorado über. Sein Biograph Paul Perry: „Nun konnte er nackt auf seinem eigenen Stück Land herumlaufen, aus seiner .44 Magnum auf verschiedene Gongs feuern, die er an dem nahegelegenen Berghang aufgestellt hatte. Er konnte Meskalin essen und die Stereoanlage auf 100 Dezibel drehen. Dies war das Landleben, das er sich immer gewünscht hatte.“

Am 20. Februar 2005 tötete sich Hunter S. Thompson mit einem Kopfschuss.

Thompson, Hunter S.:
Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten
Es war ein brutales Leben, und ich habe es geliebt.
Gonzo-Briefe 1958-1976
Herausgegeben von Douglas Brinkley
Aus dem Englischen von Wolfgang Farkas

Critica Diabolis 222

Hardcover, 607 Seiten,
28.- Euro

P.S.: Ein dickes Lob auch für die Übersetzung, die nicht einfach ist und selbst einen Literaten verlangt.

http://www.edition-tiamat.de/