Filed under: Brit Noir, Die Krays, Ted Lewis | Schlagwörter: Brit Noir, Inspector Morse, Krays, Ted Lewis
In der 4.Folge der ersten Season (2013) von ENDEAVOUR (Der junge Inspector Morse) wird Bezug genommen auf Ted Lewis: Als kriminelle Strippenzieher im Hintergrund vermutet man nämlich die Brüder Fletcher, die Londoner Unterweltsbosse, für die Jack Carter arbeitet. Lewis´ Vorbilder waren natürlich die Krays.
Ein großartiger Artikel über Ted Lewis von Hans Schmid unter:
http://www.heise.de/tp/artikel/41/41693/1.html
Schmid weiß, worüber er schreibt. Leider viel zu selten. Wenn er sich ein Sujet vornimmt, dann ist er akribisch und brillant wie wenige.
Filed under: Brit Noir, Crime Fiction, Krimis, Krimis,die man gelesen haben sollte, Lee Child, Noir, PAINT IT BLACK - über Noir-Fiction, Peter Cheyney, Porträt, SIMON KERNICK, Ted Lewis, thriller | Schlagwörter: London, Noir, Simon Kernick, Ted Lewis
Seine Cops, wie Milne oder John Gallan und Tina Boyd gehören nicht der Inspector Rebus-Garde an. Es scheint eher, dass der 1966 geborene Autor von der Konventionen sprengenden Fernsehserie THE SWEENEY (1975-78) beeindruckt wurde. „Die meisten meiner Charaktere basieren irgendwie auf realen Menschen. Bei meinen Recherchen stoße ich auf merkwürdige Typen.“ Und natürlich ist er beeinflusst vom Großmeister des Brit-Noir Ted Lewis. „Lewis bekam nie wirklich die ihm zustehende Anerkennung für JACK´s RETURN HOME. Für mich der beste britische Noir-Roman aller Zeiten.“
Seine Noir-Cop- Romane brachten einen neuen Wind in die britische Kriminalliteratur, die an den langweiligen Ermittlern der Colin Dexter-John Harvey-Ian Rankin-Schule erstarrte.
Ab 2006 wechselte er die Richtung: Mit GNADENLOS (RELENTLESS) begann er seine „pot boiler“, für die er heute bekannt ist und ihn erfolgreich machten. Seine düstere Weltsicht hat er beibehalten, aber diese schnellen Action orientierten Romane konzentrieren sich auf den Kampf gegen die Zeit. Niemand setzt Zeitdruck besser in Szene.
Seine Thriller lesen sich in Passagen wie Vorlagen für Jason Statham-Filme und haben natürlich das Interesse der Filmindustrie auf sich gezogen. Einige Fans seiner frühen Romane mochten diesen Tempo-Wechsel gar nicht, aber Kernick gelang damit der Ausbruch aus der Noir-Nische in die Bestsellerlisten. Trotz des Erfolges ist er ein pflegeleichter Autor, der sich tatsächlich noch bei SIEGE vom Verlag vorschreiben ließ, das Ende umzuschreiben und den Titel zu ändern. Hoffen wir mal, dass er einen fähigen Lektor hat(te). Aber jemand, der so lange und verbissen darum gekämpft hat veröffentlicht zu werden, verliert nicht so schnell die Bodenhaftung. Die ersten vier Romane brachten zwar tolle Kritiken, aber wenig Geld. GNADENLOS war 2007 der erfolgreichste Kriminalroman in Großbritannien.
Die Idee für GNADENLOS kam Kernick durch einen Alptraum, den er in Toronto nach einem exzessiven Besäufnis hatte. Protagonist Tom Meron hört am Telefon, wie ein alter Schulfreund umgebracht wird. Seine letzten Worte sind Merons Adresse. Der Höllenzug verlässt den Bahnsteig…
Der Nachfolger TODESANGST beginnt mit einem Satz, der das Schicksal von Noir-Protagonisten Im Allgemeinen und von Kernicks „Helden“ im Besonderen auf den Punkt bringt: „Kaum öffne ich die Augen, weiß ich, es wird ein Scheißtag.“Der Ex-SAS-Soldat Tyler erwacht blutüberströmt neben der kopflosen Leiche seiner Geliebten und erinnert sich an nichts. Und dann geht es ab, dass der Leser aus der Kurve fliegt. Eventuelle Plotschwächen werden einem egal, weil man nur noch mit zitternden Fingern die Seiten umdreht. Kernick fährt mit Bleifuss und schaltet bis zum Finish nicht einmal runter. Um das Tempo noch zu erhöhen, hat er TODESANGST als bisher einzigen Roman im Präsens geschrieben. Eine schwierige literarische Technik, die leicht albern klingt und am besten bei komödiantischen Handlungen funktioniert (siehe Peter Cheyneys Lemmy Caution-Romane, die ich sehr unterhaltsam aber nie spannend fand).
In DEADLINE erzählt Kernick zwar in der dritten Person, wählt aber die Perspektive der Protagonistin, deren Tochter entführt wurde. Tausendmal gelesen und gesehen? Aber nicht so! DEADLINE ist Kernicks einziger Roman, der bei uns auch als Hörbuch vorliegt (Audiobuch Verlag). Wie Johannes Steck es vorträgt, ist unglaublich! Sehr intensiv und dem Tempo entsprechend. Das sollte man nicht auf Kurzstrecken hören, sonst fährt man bis zum Nordkap durch.
Mit seinen On-the-Edge-Thrillern steht Kernick in der Tradition von Cornell Woolrich: Ein (vermeintlich) Unschuldiger gerät in eine Verschwörung, die er nicht durchschaut, und wird gehetzt. Von einer Sekunde auf die andere brechen Ereignisse in das Leben des Protagonisten ein, dass es völlig aus den Fugen gerät. Chandler sagte über Woolrich: „Der Mann mit den besten Einfällen, aber man muss ihn schnell lesen und darf ihn nicht zu genau analysieren; er ist zu fieberig.“ Es wäre ungerecht, dieses Urteil 1:1 auf Kernick zu übertragen. Aber ähnlich wie Woolrich ordnet er den Twists und dem Tempo alles unter. Dieser klassische Thriller-Topos lässt sich mindestens bis zu John Buchan zurückverfolgen. Es geht letztlich um Kontrollverlust. Ein Lebensgefühl, das heute aktueller denn je ist. Manipulation und Kontrollverlust gipfeln in Verschwörungen. Seine düstere Weltsicht unterlegt Kernick auch in den Thrillern, wenn auch nicht so exzessiv wie in den Noir-Romanen. Als intelligenter Zeitzeuge spiegelt er den immer offeneren Moralverfall der westlichen Zivilisation seit dem Aufstieg der Neo-Cons.
Im Gegensatz zu Lee Child lassen sich Kernicks Plots nicht vorher sehen. Wenn man meint, man wisse wie der Hase läuft, schlägt er eine überraschende Volte. „Meiner Meinung nach ist eine der wichtigsten Regeln die Handlung unberechenbar zu halten. Das lässt den Leser die Seiten umblättern.“
.
Filed under: Bücher, Brit Noir, Crime Fiction, Die Krays, JOHN WAINWRIGHT, Krimis, Noir, Ted Lewis | Schlagwörter: JOHN WAINWRIGHT, Krays, London, Noir, Ted Lewis
Anfang der 60er Jahre nahm die bürgerliche Öffentlichkeit stärker davon Notiz, dass es Gangster in London gab. Immer öfter tauchten Geschichten über die Krays-Zwillinge in den Zeitungen auf, die vom Eastend aufgebrochen waren, um auch im Nachtklubgeschäft des Westends Fuß zu fassen. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern (Sabinis, Jack Spot, Comer usw.), bemühten sich die Terrible Twins nämlich um Öffentlichkeitsarbeit. Der 1962 veröffentlichte Roman DEATH OF A BOGEY (TOD EINES GREIFERS; Heyne 1963) von Douglas Warner ist wohl der erste Kriminalroman, der den Krays-Mythos thematisiert. Die Informationen über die Krays-Gang, hier Lane-Bande genannt, die indirekt in den Roman einfließen, sind zwar aus heutigem Kenntnisstand naiv, scheinen aber nicht nur aus der Zeitungslektüre zu stammen. Gut beschrieben ist vor allem die Mauer des Schweigens im Eastend, die die Krays so lange schützte und deren Zerstörung erst ihre Festnahme ermöglichte. Douglas Warner war ein Pseudonym für Desmond Currie und Elizabeth Warner, die bis 1968 sechs harte Krimis über die Schattenseiten Londons veröffentlichten.
Einer wurde sogar verfilmt: DEATH OF A SNOUT, 1961, wurde von Ken Annakin als UNDERWORLD INFORMERS (auch: THE INFORMERS, THE SNOUT) 1963 für die Leinwand adaptiert.
Eine besondere Position kommt dem 1921 in Leeds geborenen Ex-Polizisten John William Wainwright(1921-95) zu. Gemeinhin gilt er seit seinem ersten Buch, das 1965 erschien, als ein herausragender Autor des britischen Polizeiromans. Im Gegensatz zu den police procedural-Autoren und seinem Lieblingsautor Ed McBain behandelt Wainwright in seinen Polizeiromanen immer nur einen einzigen Fall. Bemerkenswert ist auch die frühe Betonung des Organisierten Verbrechens. Seine Helden stehen in ihren Extremsituationen den schwarzen Thrillern näher als den durchschnittlichen Polizeiheroen. Beispielsweise scheut sich einer seiner Serienhelden, der ein Anhänger der Todesstrafe ist, nicht, einen jugendlichen Mörder sofort hinzurichten.Die Methoden der Polizei und die der Gangster sind bei Wainwright fast identisch. Er treibt die erstmals bei John Bingham auftauchende Negativdarstellung der britischen Polizei noch weiter. Das scheint angesichts der beruflichen Vergangenheit des Autors noch beängstigender. Seine überzeugendste Leistung im Schwarzen Roman war seine Tetralogie um den Ex-Polizisten Davis, der die Fronten wechselt. Stilistisch überzeugend zeigt Wainwright Intimes aus der Unterwelt und Charaktere, die der Leser so schnell nicht vergißt. Insgesat schrieb er 83 Romane, darunter eine Autobiographie über sein Leben als copper.
Filed under: Bücher, Krimis, Stammtischgegröle, Ted Lewis | Schlagwörter: Ted Lewis
Bücher, besonders Taschenbücher, sahen in den letzten Jahrzehnten selten ansprechender aus als heute. Gutes Papier, ansprechender Satzspiegel. Wenn ich einen durchschnittlichen Thriller mit den Ullstein-Thrillern meiner Zeit vergleiche, sehe ich den Unterschied sofort: Manchen Ullstein-Krimi kann ich heute kaum noch mit der Lesebrille entziffern. Wunderbar! Anders sieht es mit der von mir so oft beklagten inhaltlichen und personellen Qualität aus. In den letzten zwanzig Jahren bin ich über so manchen Verantwortungsträger oder Wasserholer in Verlagen gestolpert, dass ich glaubte, ich hätte es mit Mitarbeitern eines Fernsehsenders zu tun (deren Niveau wird bekanntlich nur noch durch die BILDzeitung getoppt). Kürzlich hatte ich wieder eine dieser Begegnungen der dritten Art, die mir einmal mehr zeigt, wie gering heute die Kenntnisse vom eigenen Handwerk sind.
Mich erreichte die Mail eines mittleren Verlages – kein selbstausbeuterischer Klein- oder Fanverlag – der sich durch ein eigenwilliges, durchaus originelles Programm sehen lassen kann (hatte aber nie einen ihrer Titel in der Hand und kann weder Umsetzung noch Übersetzungen beurteilen):
Sehr geehrter Herr Compart,
im Rahmen einer Reprint-Reihe möchten wir die Jack-Carter-Trilogie von Ted Lewis neu auflegen. Mit dieser Edition sollen Titel, die in Deutschland entweder vergriffen sind oder denen hier nicht der Erfolg beschert war, den sie verdient hätten, erneut auf den Markt kommen.
Starten wollen wir mit dem Band „Jack Carters Gesetz“ (‚Jack Carter’s Law‘). Um die Titel angemessen zu würdigen, wollen wir sie mit einem kommentierenden Anhang versehen – weshalb wir Sie nun gerne dazu einladen würden, einen Artikel (max. zehn Seiten) zu schreiben, der sich mit Ted Lewis als Autor sowie der Rezeption und dem Einfluss seiner Bücher befasst.
Wir würden uns freuen, wenn Sie Interesse daran hätten, gemeinsam mit uns Ted Lewis dem deutschen Publikum noch einmal vorzustellen.
mfG
LEKTOR
Na schön, dachte ich. Lewis zu bringen, ist immer ein Wagnis. Nur hatte man bei diesem Vorhaben wohl was übersehen. Ich schrieb zurück:
Lieber Lektor,
freut mich, dass Sie die Carter-Trilogie neu auflegen wollen. Allerdings ist die Hardcoverausgabe von JACK RECHNET AB nach wie vor lieferbar, wie mir Herr Fuchs von STRANGE/FANPRO versicherte (auch wenn sie nicht mehr bei AMAZON als solches angeboten wird).
Falls Konditionen und Zeitrahmen mit meinen Interessen vereinbar sind, bin ich gerne zur Mitarbeit bereit. Ich habe mir ein wenig Ihr Verlagsprofil und Programm angesehen und den Eindruck (der vielleicht etwas übersehen hat), dass Sie mit Ted Lewis einen ersten Vorstoss bei den Angelsachsen versuchen möchten.
Mit freundkichen Grüssen,
Martin Compart
Ein Blick ins Verzeichnis lieferbarer Bücher hätte dieses Fakt natürlich schon im Vorfeld geklärt. Aber es wird noch besser:
Lieber Herr Compart,
freut mich, dass Sie grundsätzlich Interesse an dem Reprint-Projekt von Ted Lewis‘ Romanen haben.
Wir klären derzeit die Lizenzsituation und melden uns wieder, sobald wir Genaueres wissen.
MfG
Lektor
Wie bitte? Die fragen nach einem Nachwort ohne vorher abgeklärt zu haben, wo die Rechte an Lewis zur Zeit liegen, diese bereits gekauft zu haben oder wer die Lizenzen hält? Normalerweise kümmert man sich um Nachworte oder Anhänge, wenn man die Verträge mit dem Lizenzgeber in trockenen Tüchern hat und auch die kostenintensiven Übersetzungen, die einem so manche Kalkulation verhageln, sicher hat. Meine Antwort:
Lieber Lektor,
Unglaublich professionell!
Kurz darauf:
Lieber Herr Compart,
mit Blick auf Ihren ironischen Zungenschlag präzisiere ich: Wir waren
ohnehin dabei, die Lizenzsituation zu klären und warten diesbezüglich
seit geraumer Zeit auf eine Antwort aus England. Unabhängig davon wollte ich
für unsere Planung im Vorfeld ganz allgemein abklären, ob Ihrerseits
Interesse an einem kurzen Artikel besteht. Nicht immer lässt sich alles in der
optimalen Reihenfolge und strikt linear erledigen.
mfG
Lektor
Ja, vielleicht sollten künftige LOVE PARADES (eigentlich: DRUG PARADE) von Leuten organisiert werden, die schon Erfahrungen in der Buchbranche gesammelt haben. Also noch einer:
Lieber Lektor,
die Rechte für den deutschsprachigen Raum liegen bei der Liepmann.Agentur, Zürich. All diese Dinge kläret man im Vorfeld.
Grüsse,
MC
Wie ist der alte Vergleich? Das Pferd von hinten aufzäumen? Irgendwann bekäme ich wahrscheinlich eine Mitteilung, dass der Verlag aus irgendwelchen Gründen nun leider doch nicht die anvisierten Bücher machen könne und man deshalb wohl momentan auf das Nachwort verzichte. Unnötig hätte man mich verärgert. So hat man mich im Vorfeld verärgert und mein Vertrauen in die Menschheit erschüttert! Man sollte sich heute nicht darüber aufregen, dass der Markt so unglaublich viele (scheiß)Bücher hervorbringt, sondern, das überhaupt Bücher erscheinen.
Filed under: Bücher, Brit Noir, Crime Fiction, Krimis, Noir, Peter Cheyney, Ted Lewis | Schlagwörter: Film Noir, Gangster, James Hadley Chase, London, Noir, Peter Cheyney, Ted Lewis
Elemente der britischen Noir-Literatur lassen sich auf Thriller von Autoren wie Leslie Chateris, Sidney Horler oder Peter Cheyney zurückführen, die alle bezeichnenderweise in dem englischen Pulp-Magazin The Thriller in den 20er- und 30er Jahren Geschichten um gesellschaftliche Außenseiter veröffentlichten. Natürlich waren diese Autoren keine Noir-Autoren im heutigen Sinne. Aber ihre atmosphärische Darstellung der Vorkriegszeit hatte etwas Beklemmendes und Düsteres. Robin Cook alias Derek Raymond sieht die Urväter des Noir-Romans durchaus in Autoren wie Shakespeare, der die dunklen Gefilde der Seele ausleuchtete, William Godwin, dessen CALEB WILLIAMS wohl die erste hard-boiled novel ist und die Pulp- oder Black-Mask-Revolution vorwegnahm, Henry Fielding mit seiner Gangsterbiographie JONATHAN WILDE und natürlich Charles Dickens, der den Horror der urbanen Industriegesellschaft wie kein anderer einfing. Interessierten sei Derek Raymonds autobiographisches Buch, das gleichzeitig eine brillante Betrachtung der Noir-Literatur ist, empfohlen: DIE VERDECKTEN DATEIEN (erschien 1999 als erster Band der DUMONT NOIR-Reihe).
Das vielleicht verbindliche Geburtsjahr des modernen britischen Noir-Romans war 1939. In diesem Jahr debütierte Rene Raymond alias James Hadley Chase (1906-85) mit seinem ultrabrutalen, in einem mythischen Amerika angesiedelten Roman NO ORCHIDS FOR MISS BLANDISH (KEINE ORCHIDEEN FÜR MISS BLANDISH; zuletzt im Ullstein Verlag 1989). Obwohl er später harte Geschichten aus der Londoner Unter- und Halbwelt erzählte, kehrte er immer wieder in sein fiktionales Amerika zurück. Wie andere große Autoren schuf sich Chase einen eigenen Kosmos um die fiktive Stadt Paradise City. Chase, der die USA nur von einem einzigen Kurztrip kannte, ließ seine besten Romane in Chase County spielen, in dem er den Sozialdarwinismus der kapitalistischen Gesellschaft ungeschminkt vorführen konnte. Er erzählte schmutzige, schnelle Geschichten über wenig sympathische Menschen, die für Sex, Macht und Geld alle gesellschaftlichen Normen brechen. Er zeichnete ein düsteres Bild der westlichen Zivilisation, in der jeder der Wolf des Mitmenschen ist, wenn er nicht untergehen will. Initialzündung für seinen Kosmos war James M.Cains THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE (WENN DER POSTMANN ZWEIMAL KLINGELT; Heyne 1987). Später schrieb Chase manch besseren Cain-Romane als Cain selbst.
1941 erschien ein weiterer Meilenstein: A CONVICT HAS ESCAPED von Jackson Budd, einem Pseudonym von William John Budd (1898-?). Der Roman zeigt ein beeindruckendes Bild der Londoner Eastend-Unterwelt während des Krieges. Dem Helden werden Schiebereien und Schwarzmarktgeschäfte zum Verhängnis. Das Buch wurde 1947 von Alberto Cavalcanti mit Trevor Howard unter dem Titel THEY MADE ME A FUGITIVE verfilmt. Ein harter und düsterer Film ohne Happy End, der die Handlung in die Nachkriegszeit verlegte. Budd hatte bereits in den frühen 30er Jahren Kriminalromane zu schreiben begonnen, aber keines seiner Bücher übertraf diesen Noir-Klassiker.
Autoren wie Jackson Budd, Gerald Kersh, David Craig, James Barlow, Jack Monmouth und andere schrieben finstere London-Novels über die Unterwelten der Metropole bis in die 60er Jahre hinein.
Der erste Autor, der auch die Organisation eines Geheimdienstes beschrieb, war Peter Cheyney mit seiner DARK-Serie. Zuvor hatten die Gentlemanagenten lediglich mit einem nicht weiter ausgeführten Spionageapparat zu tun. Cheyney war der erste, der den Geheimdienst als strukturierte Organisation von Spezialisten beschrieb. Der Autor, der mit fiktiven amerikanischen Slangabenteuern um den FBI-Agenten Lemmy Caution einen Welterfolg hatte, zeigte das Geheimdienstspiel angesichts des zweiten Weltkriegs brutaler und zynischer als seine Vorgänger. In den Dark-Büchern gibt es wiederkehrendes Personal, dass in dem einen Roman eine Haupt- und im nächsten Roman eine kleine Nebenrolle spielt. Die integrierende Figur ist Agentenführer Quayle, der seine Leute von Marokko bis Florida gegen die Deutschen einsetzt. Wie in seinen Lemmy Caution-Romanen gibt es Doppel- und Dreifachspiele zwischen den handelnden Personen. Niemand ist, was er zu sein vorgibt. Cheyney war wohl der erste Spionageautor, der auch der „richtigen“ Seite Skupellosigkeit unterstellte.
Reginald Southouse Cheyney, der sich selbst später Peter Evelyn Cheyney nannte, wurde am 22.2.1896 in London geboren. Er wuchs im Eastend auf, wo seine Mutter ein Korsettgeschäft in Whitechapel betrieb und sein Vater in Billingsgate am Fischmarkt arbeitete. Cheyney besuchte die Mercers School und studierte an der Londoner Universität Jura. Während des 1. Weltkriegs diente er beim Royal Warwickshire Regiment und wurde im Krieg verwundet. Nach dem Krieg führte er kurze Zeit eine Anwaltspraxis. Er versuchte sich mit geringen Erfolgen als Buchmacher, Privatdetektiv, Liedertexter und Politiker; er war Mitglied der faschistischen Partei von Sir Oswald Mosley, was ihm die ohnehin nicht wohlgesonnenen Kritiker immer wieder vorhielten. Cheyney war geradezu ein psychopathischer Patriot. So war er bereit jeden zum Duell zu fordern, der Britannien oder die königliche Familie beleidigte.1933 war er für ein Jahr Redakteur beim „Sunday Graphic“. In dieser Zeit begann er abenteuerliche Kurzgeschichten und Serials für Magazine wie „The Thriller“ zu schreiben, die er zum Teil unter Pseudonymen veröffentlichte. Sein erster Held war der ganz deutlich von Leslie Chateris‘ „The Saint“ beeinflußte Alonzo MacTavish. 1936, als Vierzigjähriger, veröffentlichte er seinen ersten Roman, THIS MAN IS DANGEROUS, der auch der erste Roman mit seinem erfolgreichsten Helden Lemmy Caution war. Bis zu seinem Tod veröffentlichte er 34 Romane, 31 Bände mit Kurzgeschichten und schrieb unzählige Stories und eine Reihe von Hörfunkserien. Er hatte irrsinnigen Erfolg. 1944 verkaufte er mehr als zweinhalb Millione Bücher, ab 1946 pro Jahr mindestens 1 Million. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität verkaufte er allein in Frankreich jährlich 9000000 Bücher und in den USA, dem Handlungsort zahlreicher Romane, den er nie besuchte, 300000 Exemplare. Er starb am 26.Juni 1951 in London.
Filed under: Bücher, Brit Noir, Crime Fiction, Jim Thompson, Noir, Noir-Theorie, Ted Lewis | Schlagwörter: Derek Raymond, Noir, Raymond Chandler, Ted Lewis
ARCHÄOLOGIE I:
Wenn man an britische Kriminalliteratur denkt, meint man meistens die klassischen Detektivgeschichten. Übermächtig überschatten Sherlock Holmes, Agatha Christie oder Dorothy L.Sayers dieses Genre und verstellen den Blick auf unabhängige Strömungen, die als Subgenre mit diesen Klassikern nichts oder nicht viel zu tun haben. Trotz verschiedener „Revolutionen“im Genre , von Francis Iles Transformation der inverted story bis hin zum Psychothriller der angry young men Anfang der 50er Jahre, wird die britische Kriminalliteratur entweder mit klassischen Detektivromanen oder bestenfalls noch Spionageromanen gleichgesetzt. Diese Betrachtungsweise war immer schon verkürzt und ist heute besonders unzutreffend: Um 1990 begannen neue britische Autoren die kriminalliterarische Landschaft ihrer Heimat zu verändern. Der Schock, den Derek Raymond in den 80er Jahren der britischen Kriminalliteratur verpasst hatte, zeigte Wirkung und rüttelte das Genre aus der Lethargie – eine zweifellos kommerziell erfolgreiche Lethargie, wie die Auflagen von P.D.James, Martha Grimes, Ruth Rendell, Minette Walters, Len Deighton oder John LeCarré zeigten. Aber die neuen Autoren wollten jenseits von klassischen Detektivromanen, Psychothrillern oder Polit-Thrillern die Mean Streets Britanniens wiederentdecken.
Derek Raymond hatte mit seiner Factory-Serie an eine Tradition erinnert, die trotz gelegentlicher Einzelleistungen keine Bedeutung zu haben schien: an die höchst eigenwillige britische Noir-Tradition, die zwar einige Meisterwerke hervorgebracht hatte, aber nie so stilprägende Autoren wie die amerikanischen Vettern mit Dashiell Hammett, James M.Cain, Raymond Chandler, Mickey Spillane, Jim Thompson, David Goodis oder Ross Macdonald. Der britische Noir-Roman, wenn nicht einfach nur kommerzieller Epigone der Amerikaner, war ein im Schatten blühendes Pflänzchen, das von wenigen Autoren gepflegt wurde und von wenigen Lesern, die sich damit als wahre Afficionados erwiesen, in eine Tradition eingeordnet wurde. Selbst der große Kriminalliteraturtheoretiker Julian Symons hat in seinem verdienstvollen Standardwerk BLOODY MURDER diesen Teil der britischen Kriminalliteratur unterschlagen oder einzelne Autoren nur isoliert betrachtet. Folgerichtig waren es weniger die eigenen Traditionen, die die Fresh-Blood-Autoren Ende der 80er Jahre inspirierten. Es waren die zeitgenössischen Amerikaner wie Elmore Leonard, Carl Hiaasen, Charles Willeford, James Crumley oder James Ellroy, die den Wunsch auslösten, eine ähnliche Literatur zu produzieren.
Filed under: Brit Noir, Crime Fiction, Drehbuch, Krimis, Noir, Ted Lewis | Schlagwörter: Film Noir, Gangster, Noir, Simon Kernick, Ted Lewis
I love British gangster movies, particularly those that I´d consider classics… Possibly the best of all time, however, and based on one of the best gangster books of all time, was Get Carter [1971]. Fantastic stuff, and Michael Caine was perfect for the title role. Ted Lewis never really got the plaudits he deserved for writing that [book]. As far as I’m concerned, it’s the best British noir title of all time.
SIMON KERNICK
Filed under: Brit Noir, Crime Fiction, Drehbuch, Film, Krimis, Noir, Porträt, Ted Lewis | Schlagwörter: Drehbuchautoren, Film Noir, Gangster, London, Noir, Raymond Chandler, Ted Lewis
Mitte der 70er Jahre trennte sich Jo von Ted. „Ich musste unsere Töchter Nancy und Sally schützen. Ich hoffte, Ted würde durch die Trennung zur Vernunft kommen.“ Weit gefehlt. Ted zog zu seinen Eltern und soff weiter. Kurz darauf starb sein Vater, und seine Mutter konnte ihre ganze Aufmerksamkeit nun Ted widmen. Wenn er blank war, gab sie ihm Geld zum Versaufen. Jo reichte schließlich die Scheidung ein, die schnell und ruhig über die Bühne ging. Danach lebte er abwechselnd mit anderen Frauen zusammen, hielt aber Kontakt mit Jo und den Töchtern, die er sehr liebte. Jo ließ die Töchter aber nicht mehr zu ihm fahren, da sie herausgefunden hatte, dass Ted meistens betrunken war, wenn er mit ihnen zusammen war. Stattdessen musste er – oft mit seiner Mutter – nach Ipswich fahren und ins Hotel gehen. Dann schickte Jo ihm die Mädchen.
Seine letzten harten Noir-Romane erschienen 1976 und 1980: BOLDT und GBH. Böse, schwarze Bücher. Aber Lewis war ausgepowert. Das Schreiben fiel ihm zunehmend schwerer. Er versuchte Geld zu verdienen, indem er für die langlebige SF-Kult-Serie DR.WHO eine Folge schrieb (Titel: THE LORDS OF MISRULE). Wie üblich im Fernsehgeschäft, sollte er das Drehbuch verändern und umschreiben. Er lieferte es völlig betrunken bei der Produktionsgesellschaft ab, die „ihn nicht bat, nochmals vorbei zu kommen“. Sie wurde nie produziert (und durch die Folge THE POWER OF KROLL ersetzt). Für Jarrett-Books sollte er eine sechsteilige Vigilantenserie schreiben, konnte diese aber nicht mehr vor seinem Tod beginnen.
Am Ende war er todkrank und wegen seiner zerstörten Leber auch noch Diabetiker. Einmal fiel er ins Koma und musste mit dem Notarztwagen abgeholt werden, und niemand konnte sagen, ob das Koma auf Alkoholmissbrauch oder Diabetis zurückzuführen war.
1982 starb der Kettenraucher schließlich an einer Herzattacke. Ein wüstes Leben, wie es so viele unglückliche Noir-Kollegen geführt hatten, forderte seinen Preis. Aber sind derartige Leben am Abgrund nicht auch Voraussetzung für derartig schwarze Bücher? Für Autoren wie Ted Lewis, Jim Thompson, Charles Williams oder Cornell Woolrich waren ihre Bücher die letzten Haltestellen auf dem Weg zur Hölle.