Martin Compart


Alexander Preuße über John Mairs „Es gibt keine Wiederkehr“ by Martin Compart
11. März 2024, 12:15 pm
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EIN DANDY IN ASPIK by Martin Compart

Es hat eine Weile gedauert, aber endlich ist EIN DANDY IN ASPIK in der Neuauflage bei Elsinor verfügbar. Dieser Klassiker hat zwei Nachworte: Rolf Giesen erzählt die irre Geschichte der Verfilmung; ich schreibe über Leben und Werk des Derek Marlowe.

Elsinor Verlag; 1. Edition Februar 2024)
Broschiert ‏ : ‎ 232 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3942788748
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3942788748
22,00 €

Aus dem Nachwort:

Für mögliche Bestseller gibt es drei Zeitzonen:
zu früh, zu spät und genau richtig. EIN DANDY IN ASPIK erschien ungeplant genau zum richtigen Zeitpunkt.

Als dieser Roman 1966 auf dem Höhepunkt der multimedialen Geheimagentenwelle (der Bond-Film YOU ONLY LOVE TWICE kam gerade in die Kinos) auf dem Buchmarkt erschien, war der Erfolg gigantisch. Er stürmte umgehend die englischsprachigen Bestsellerlisten und wurde in 16 Sprachen übersetzt (die deutsche Übersetzung erschien im Jahr darauf im Kurt Desch-Verlag). Hollywood kaufte die Filmrechte und begann eilends mit der Vorproduktion, um im Frühjahr des folgenden Jahres mit den Dreharbeiten zu beginnen.

Einen russischen Agenten als Protagonist und Sympathieträger auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges war wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht der populären Kultur! Der Roman belegt einmal mehr, was John Le Carré einmal so ausdrückte: „dass es im Kalten Krieg keinen Sieg und keine Tugend gibt, sondern nur einen Zustand menschlicher Krankheit und politischen Elends“.

Der „Guardian“ listete ihn als einen der zehn besten Erstlingsromane aller Zeiten (Platz fünf) und fügte hinzu: „Das Debüt des englischen Schriftstellers Derek Marlowe war ein Bestseller, den er nie wiederholen konnte, obwohl er noch bessere Romane schreiben sollte. Er bewegte sich in verschiedenen Genres, darunter Thriller, Detektivromane und historische Romane. Es ist verblüffend, dass ein Autor von Marlowes Qualität, der ihn mit seinem Stil und seiner Sensibilität von allen Mitbewerbern abhebt, so lange vergriffen war. ” 1)

Der Plot ist großartig, aber entscheidend ist, wie er erzählt wird.
DANDY galt schon bei der Erstveröffentlichung als Klassiker. Zu seinen heutigen Fans gehören aktuelle Großmeister des Genres wie Alan Furst, der das Buch „wunderbar und grandios“ nennt oder der In Deutschland bisher leider unveröffentlichte Jeremy Duns: „EIN DANDY IN ASPIK ist ein großartiger Spionageroman: wunderschön geschrieben und voller Melancholie unter dem ironischen Humor; es ist höchste Zeit, dass er wieder aus dem Schatten tritt“.

Derek Marlowe portraitiert von Pauline Boty.

Die Swinging Sixties begannen Fahrt aufzunehmen.
Ausgehend von der explodierenden Musik-Szene entwickelten sich bei den jungen Leuten neue Subkulturen mit neuen medialen Sprachrohren und zunehmenden Einfluss bei etablierten Medien wie Film, Theater oder Mode.
Pop-Kultur wurde zu einem geradezu orientalischen Produkt mit neuen Lebensformen.

Marlowe saugte das begierig auf und wurde Mitglied einer Wohngemeinschaft, nachdem er die Universitätskarriere aufgegeben hatte. Zu der „Kommune“ gehörten auch die kommenden Erfolgsautoren Tom Stoppard und Piers Paul Read.
„Ich war nach Notting Hill Gate gezogen, es war eine dieser frühen Sixties-Kommunen-Häuser. Ich wohnte im Erdgeschoss, Tom [Stoppard] war unten im Keller, und es gab noch etwa vier bis fünf andere Leute… Ich lernte Tom sehr gut kennen, und zufällig nahmen wir beide am Berliner Kolloquium teil, das von der Ford-Stiftung für Bildhauer, Dichter, Schriftsteller und Dramatiker eingerichtet wurde, um neun Monate in West-Berlin zu verbringen.“
Ein entscheidender Impuls für A DANDY IN ASPIC. …

Auch die Rolling Stones hatten ihre Finger im Spiel. Gallagher: „Als ich ihn 1984 interviewte, erzählte mir Marlowe, wie seine Karriere mit einer Wette begann. Eine Wette zwischen drei jungen Schriftstellern, die zusammen in einer Wohnung in London lebten. Das war nichts Ungewöhnliches, außer dass es sich bei diesen jungen Schriftstellern um Tom Stoppard, Piers Paul Read und Derek Marlowe handelte. Eines Tages, als sie Mick Jagger bei `Top of the Pops´ sahen, schlossen die drei eine Wette ab, wer zuerst Millionär würde. Es wurde vermutet, dass Stoppard es als erster schaffen würde, aber Marlowe kam ihm mit DANDY zuvor.“
Auch wenn er damals wahrscheinlich nicht mit DANDY eine Million alte Pfund verdiente.

Über Nacht wurde er durch den Erfolg von DANDY zur literarischen Sensation.

Auf dem Höhepunkt der Swinging Sixties war Marlowe hip. Er ließ sich auf Partys herum reichen, lernte die „richtigen Leute“ kennen und wurde etwa mit Julie Christie „gesehen“. Er galt als angesagtester Schriftsteller der Stadt.

Die Pop-Künstlerin Pauline Boty malte sein Portrait.

„Ich fühlte mich wunderbar. Ich war arrogant, eingebildet, absolut, entsetzlich. Ich wurde von Putnam durch Amerika gepeitscht, der das Buch in Amerika veröffentlichte. Vergessen Sie nicht, das war die Zeit der Beatles, von Julie Christie, des Swinging London. Das `Time Magazine´ war verrückt nach allem, was britisch war. Wie alt war ich damals, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig? Ich hatte eine Beatle-Frisur, ich hatte immer lange Haare. Ich war der unausstehlichste Mensch aller Zeiten, aber liebenswert. Ich liebte es. Es war großartig. Aus dem Nichts zu kommen, plötzlich Geld zu haben.“

Die Idee zu dem Buch entstand, als er nach Berlin reiste, um mit Günter Grass und Uwe Johnson an einem „Kolloquium über kreatives Schreiben“ teilzunehmen . „Als ich in Berlin war, arbeitete ich an einem Roman, der eigentlich ein Theaterstück werden sollte, aber ich schrieb es als Roman – und ich liebte es!“

Marlowe schrieb DANDY – zurück in England – in vier Wochen, während er bei der Erdölfirma National Benzole arbeitete und sich auch mit einem Theaterstück abmühte. „Ich schrieb im Zug, auf dem Klo, überall. Ich liebte es, Prosa zu schreiben. Ich fand es großartig. Als das Buch dann tatsächlich gekauft und von Victor Gollanz veröffentlicht und in Amerika ein Bestseller wurde, der dann auch noch verfilmt wurde, dachte ich: Mein Gott, Schreiben ist doch ziemlich leicht, oder?“

Auch die Rolling Stones hatten ihre Finger im Spiel. Gallagher: „Als ich ihn 1984 interviewte, erzählte mir Marlowe, wie seine Karriere mit einer Wette begann. Eine Wette zwischen drei jungen Schriftstellern, die zusammen in einer Wohnung in London lebten. Das war nichts Ungewöhnliches, außer dass es sich bei diesen jungen Schriftstellern um Tom Stoppard, Piers Paul Read und Derek Marlowe handelte. Eines Tages, als sie Mick Jagger bei `Top of the Pops´ sahen, schlossen die drei eine Wette ab, wer zuerst Millionär würde. Es wurde vermutet, dass Stoppard es als erster schaffen würde, aber Marlowe kam ihm mit DANDY zuvor.“ Auch wenn er damals sicherlich nicht mit DANDY eine Million alte Pfund verdiente.

P.S.: Ich liebe das Cover des Buches, weil es die Doppelidentität des Protagonisten wunderbar wiedergibt. Dank an den Verleger, der die Künstlerin für der Nutzung für das Buch überzeugt hat.

P.P.S.: Näheres zum Marlowe-Portrait von Pauline Boty unter https://www.tate.org.uk/art/artworks/boty-portrait-of-derek-marlowe-with-unknown-ladies-t15086



KLASSIKER DES MODERNEN ABENTEUERROMANS: Arturo Pérez-Reverte by Martin Compart
11. Oktober 2023, 1:38 pm
Filed under: Abenteuerliteratur, Arturo Pérez-Reverte | Schlagwörter: , ,

Im ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhunderts waren die Romane von Arturo Pérez-Reverte, die in mehr als vierzig Sprachen übersetzt sind, auch regelmäßig auf den deutschen Bestsellerlisten zu finden. Heute kennt ihn wohl kaum noch jemand; die letzten Bücher wurden vor Jahren übersetzt Dabei ist es ihm zu verdanken, dass dem Abenteuerroman neues Leben eingehaucht wurde, indem Reverte ihn mit anderen Subgenres wie Conspiracy oder Mystery kreuzte (daneben schreibt er auch klassische historische Degen-Romane und Thriller). Um ihn wieder etwas ins Bewusstsein der Freunde des Abenteuer-Romans zu heben, hier mein Artikel:

„Heutzutage kann jeder Feigling von weitem töten, indem er nur auf einen Knopf drückt.“

Nein, die Rede ist nicht von Afghanistan, wo tapfere Bushkrieger mit Hightech im Kampf gegen das Böse Knöpfe drückten. „Stahl symbolisiert für mich den Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Auf den Degenkämpfer spritzte das Blut, das er vergoss“, sagt Spaniens erfolgreichster Schriftsteller Arturo Pérez-Reverte, der sich auf internationalen Schlachtfeldern mit Bitterkeit vollgesogen hat. Von 1973 (Jom Kipur) bis 1994 (Sarajewo) berichtete er über fast jedes zeitgeschichtliche Gemetzel. Wenn irgendwo im großen Stil gemordet wurde, erschien sein trauriges Gesicht auf dem Bildschirm des spanischen Staatsfernsehens. Er musste mitansehen, wie die Amerikaner Konflikte am Köcheln hielten (Strategie der Spannung) und hasst Drecksläden wie McDonalds.

Irgendwann konnte er nicht mehr. Heckenschützen, die in Sarajewo Kinder abballerten, gaben ihm den Rest. „Wenn ich vorher wusste, dass der Mensch ein Hurensohn ist, so bekam ich in Sarejewo Gewißheit.“ Seitdem schreibt er Romane, liest kaum noch Zeitung, will mit der Welt nichts mehr zu tun haben. „Ich bin draußen, ich bin aus allem raus.“

Fast jeder seiner Bestseller ist eine Mischung aus historischem Abenteuerroman und modernem Thriller. Literarische oder kulturelle Exkurse  durchbrechen (und bereichern) die Handlung. Oft witzig und meistens klug: „Auch die Musik hat einen gesellschaftlichen Wert. Sie schafft Gleichheit der Gefühle“, sagt ein Charakter im FECHTMEISTER der „die Meinung vertrat, die wichtigsten Beiträge zur Menschheitsgeschichte sind der Buchdruck und die Guillotine“. Er ist „postmodern“ in der Tradition Umberto Ecos, allerdings mit einer gehörigen Portion Düsternis.

Sein  Roman DIE SEEKARKTE, in der er wieder mal literarischen Idolen huldigt, ist seine Liebeserklärung an das Meer, die Seefahrt und Joseph Conrad und Illustration des Satzes von W.H.Auden: „Der Matrose symbolisiert den unschuldigen Gott vom Meer, für den die Gesetze des Landes nicht gelten und der deshalb alles tun kann, ohne schuldig zu werden“. Lord Jim trifft den Malteser Falken. Neben den literarischen Welten ist die See sein Fluchtpunkt. Mindestens ein Drittel des Jahres kreuzt der Einhandsegler auf seiner selbstentworfenen 13m langen Segelyacht „Corso“ im Mittelmeer. Vollgestopft mit moderner Technik und einer Bibliothek. Frau und Kind lässt er zurück in seiner Madrider Wohnung, in der er seine Romane schreibt. Diese zynischen, aber doch voller Liebe zur europäischen Kultur getragenen Romane zu schreiben, sind Therapie. Sonst würde er an der Welt zu Grunde gehen. „Ich schreibe immer das gleiche Buch: Es handelt von einem Menschen, der die Welt nicht mag, die er vorfindet. Das bin ich.“ Zyniker sind enttäuschte Romantiker, und nur der Romantiker konnte dem Abenteuerroman auf ganz eigene Weise neu beleben.

Geboren wurde er 1951 in Cartagena. „Ich wurde für eine Welt erzogen, die es nicht mehr gibt. Ich hatte als Kind Fechtunterricht. Ich war ein leidenschaftlicher Leser, der reisen wollte. Also wurde ich Journalist, dann Kriegsberichterstatter. Zwanzig Jahre konnte ich mitansehen, das der Krieg die schlimmste Manifestation der menschlichen Existenz darstellt.“

Erst mit 34 begann er Romane zu schreiben.
Mit EL HUSAR hauchte er dem Mantel & Degen-Genre neues Leben ein. Mit dem nächsten, DER FECHTMEISTER, wurde er zum Bestsellerautor. „DER FECHTMEISTER ist die Geschichte des letzten Ehrenmannes. Wie heute war damals im Spanien des 19.Jahrhunderts alles und jeder käuflich.“ Die Geschichte des letzten Ehrenmannes in einer ehrlosen Welt. „Mit dem letzten Fechtmeister werden auch alle vornehmen und edlen Grundsätze sterben. Dann wird es nur noch Hinterhalt und Überfall geben.“

Neben historischen Stoffen schrieb er sich auch die Schrecken der Gegenwart von der Seele. Etwa mit TERRITORIO COMANCHE, das im eingeschlossenen Sarajewo spielt. Aber es sind die düsteren romantic novels, die seinen Welterfolg ausmachen: Millionen seiner Bücher wurden in Frankreich Spanien, Südamerika, Deutschland und den USA verkauft.

Meist sind es geheimnisvolle Botschaften, versteckt in Bildern, Karten oder Büchern, die die Handlung in Bewegung bringen. In seinem bisher besten Buch, JAGD AUF MATUTIN, hackt sich jemand direkt in den Computer des Papstes, um einen Hilferuf abzusetzen. Ein spannender Thriller und eine unversöhnliche Studie über klerikale Macht, die eindeutig vom Weg des Herrn abgekommen ist: „Der Heilige Vater ist unfehlbar, selbst wenn er sich irrt. Die Inquisition wieder ins Leben zu rufen, war die beste Methode, um den Dissidenten das Maul zu stopfen. Wer spricht heute noch von Küng, von Castillo, Schillebeeck oder Boffi? Auseinandersetzungen werden im Schiff Petri seit jeher damit gelöst, dass man Andersdenkende zum Schweigen bringt oder über Bord wirft.“

Im CLUB DUMAS geht es nicht nur um eine aberwitzige Jagd nach einem satanischen Buch, sondern auch um eine Liebeserklärung an Alexandre Dumas und den französischen Feuilletonroman. Fast im Alleingang setzt Perez-Reverte in seinen Büchern der europäischen Populärkultur Denkmäler, die sich sogar in den USA Bestsellerstatus ertrotzen.

Dabei lässt ihn der bourgeoise Kulturkanon kalt, und er stellt Agatha Christies ALBI neben Joyce’s ULYSSES. „Der Roman ist nicht tot, trotz der Bemühungen des kulturellen Establishments, ihn umzubringen. Es ist durchaus möglich, sophisticated Bestseller zu schreiben. Die grösste Sünde eines Autors ist zu langweilen. Realität in Romanen zu verpacken, ist wie das Fälschen von Banknoten: Man muss sie genau kennen und sein Handwerk können.“ Inspiriert nutzt er Versatzstücke der Popkultur, ohne in den Manierismus Umberto Ecos zu verfallen. Reverte hat seine Helden gerne stark und seine Frauen gefährlich. Aber es sind keine Stereotypen, und sie laden nicht zur Identifikation ein. Trotzdem folgt ihnen der Leser willig und nach wenigen Seiten geradezu gierig durch die komplexen Geschichten.

Er lässt sich Zeit zu erzählen. „Es zählt allein das magische Leseerlebnis, die Erschaffung einer Welt.“



KRIMIAUTOREN VON ABEL BIS ZELTSERMAN: Meine Top 15 des Jahres by Martin Compart

Meine Top 15 des Jahres 2022



REZENSIONEN ZU BUCHAN by Martin Compart

Axel Bussmer in seiner KRIMINALAKTE (sie erscheint seit 2007!): https://kriminalakte.org/2022/07/05/alter-scheiss-john-buchan-der-uebermensch/

Nils Heuner in KULTURNEWS: https://kulturnews.de/john-buchan-der-uebermensch/

John Buchan – Der Übermensch

Da die Erstauflage von 2014 noch nicht so lange her ist, freuen mich die Rezensionen natürlich besonders.



IM HERBST 2022:KENNETH FEARING BEI ELSINOR by Martin Compart




DIE PROVINZ BRENNT: DER NEUE GRANGÉ by Martin Compart

Das Elsass während der Weinernte: In einer Kapelle wird unter den Trümmern eines Freskos die Leiche eines Mannes entdeckt. Das Gebetshaus liegt unweit des Wohnorts einer religiösen Gemeinschaft, deren Bewohner ein Leben wie vor 300 Jahren führen und sich durch den Weinbau finanzieren.
Kommissar Pierre Niémans ahnt schon bald, dass der mysteriöse Todesfall nicht das einzige finstere Geheimnis der Täufergemeinde ist. Um mehr zu erfahren, beschließt er, seine Assistentin Ivana undercover als Erntehelferin einzuschleusen. Als ein weiterer Mord geschieht, gerät auch Ivana in große Gefahr…

Lübbe Belletristik
Hardcover, 22,00 €, 366 Seiten
ISBN: 978-3-7857-2787-4
Ersterscheinung: 29.04.2022

eBook (epub) 16,99 €
Hörbuch (CD) gekürzt 19,99 €
Hörbuch (Download) gekürzt 13, 99€

In Deutschland sind die Zeiten vorbei, in denen der neue Grangé regelmäßig die Bestsellerlisten anführte.
Aber er hat auch hier noch ein großes und treues Stammpublikum, jenseits der  intellektuellen Verknappung der Kriminalliteratur im deutschsprachigen Raum, das nach wie vor vom Lübbe-Verlag bestens bedient wird. So ist auch dieser Band wieder exzellent ediert und produziert. Ersteres durch die Arbeit der langjährigen Grangé-Lektorin Iris Gehrmann und der Übersetzerin Ulrike Werner (die angesichts des vom Autor viel verwendeten Elsässer Dialekts hart gefordert wurde).

Für Grangés Werk ist dies ein kurzer Roman.
Das hat damit zu tun, dass er – wie schon sein Vorgänger, DIE LETZTE JAGD, – auf einem Drehbuch der erfolgreichen TV-Serie DIE PURPURNEN FLÜSSE basiert.
Für die Fernsehserie reanimierte Grangé extra seinen populärsten Helden, Kommissar Pierre Niémans (der dank der Darstellung durch Jean Reno in zwei erfolgreichen Kino-Filmen zum Serienhelden mutierte).

Mit Niémans nutzt Grangé einmal mehr das Klischee – oder charmanter ausgedrückt: den kriminalliterarischen Topos – des bärbeißigen Macho-Bullen. In den Romanen ist er noch mürrischer als in der TV-Serie („ Seine guten Vorsätze hielten nicht lange. Weder Sanftheit noch gute Laune passten zu ihm.“ „Die heutige Zeit, die nur noch aus Vorsorge für alle Eventualitäten zu bestehen schien, fand er zum Kotzen.“). Für ihn gelten natürlich weder Regeln noch Vorschriften, genauso wenig wie Hierarchien. Er neigt dazu, wie eine Abrissbirne ins Geschehen zu schlagen.

Ihm zur Seite steht die junge Kollegin Ivana (wohl auch ein Zugeständnis an die TV-Serie, die dort Camille heiß). Ivana, verletzlich, umtriebig, rücksichtslos und scharfsinnig, ist eine „moderne“ Frau mit turbulenter Vergangenheit. Als Typus inzwischen ebenso ein populärkulturelles Klischee – Verzeihung: Topoi – wie der griesgrämige Macho-Bulle.
Schlechte Autoren langweilen mit solchen Konstellationen, Grangé kommt damit nicht nur durch, er amüsiert und unterhält.

Wieder mal hat er sich die/eine französische Provinz vorgenommen und ihre Widerwärtigkeiten enttarnt. Immer wieder zeigt Grangé ein Frankreich-Bild, das sogenannte Patrioten zum Kotzen bringt. Außerdem variiert er zwei seiner „Lieblingsthemen“: Kinder als Opfer und Sekten.

Auch hier gelingen dem „Archäologen des Bösen“ eindringliche Bilder des Schreckens, die über visualisierte Umsetzungen hinaus reichen und Motive der Gothic Novel aktualisieren. Viele Romane des Autors beeindrucken als moderne Gothic Novels, verdanken einiges dem Marquis de Sade und Dekadenten wie Joris-Karl Huysmans.

Sein filmischer Stil, der die Szenen wie im Kino am Zuschauer vorbei rollen lässt, trügt häufig darüber hinweg, dass Grangé zu den besten Stilisten der aktuellen Noir-Literatur gehört.

Auch im TAG DER ASCHE finden sich wunderbare Apercus wie „Er nahm den Fuß vom Gaspedal wie ein Mörder, der plötzlich den Griff um den Hals seines Opfers lockert.“ Oder „Das Gehirn eines Polizisten ist wie eine Bibliothek. Temperatur und Luftfeuchtigkeit müssen ständig überwacht werden.“.

Die Kapitel sind kurz. Und wie immer wird man sofort mit Beginn des Buches in die Handlung gesogen.
Atmosphäre, Stil, Charaktere, Handlung und Rhythmus sind ganz so, wie man es von einem Grangé-Roman erwarten darf. Aber es dauert ziemlich lang, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt und Action generiert. Das Ende erscheint mir ein bisschen schlampig gebaut. Für einen durchschnittlichen Thriller-Autor wäre TAG DER ASCHE ein Quantensprung.

Aber für Grangé gelten andere Maßstäbe.

Dies ist also mit Sicherheit nicht sein bester Roman (allerdings auch mehr als die ambitionslose novelization eines Drehbuchs). Aber das spielt keine wirkliche Rolle, denn es ist ein neuer Grangé!

Und der hat sich seit über zwei Jahrzehnten als eine der faszinierendsten und eigenwilligsten Stimmen in der Noir- und Thriller-Literatur etabliert.

Der Autor mit den Hauptdarstellern der TV-Serie: Erika Sainte und Olivier Marchal.

2020 erzählte Grangé bei Europe 1 über seine nächsten Projekte folgendes:

„Momentan adaptiere ich meinen Roman LOTANTO (PURPURNE RACHE) für eine TV-Mini-Serie. Außerdem arbeite ich an einem Buch über das Nachtleben und den Untergrund in Tokio. Und ich schreibe an meinem ersten rein historischen Roman, der sehr umfangreich werden wird. Mindestens 800 Seiten. 400 Seiten habe ich bereits, aber um auf 800 zu kommen, brauche ich für die erste Fassung 1200 Manuskriptseiten. Der Roman spielt 1935 in Berlin. Außerdem arbeite ich an einer neuen Fernsehserie, ein Originalstoff für viele Folgen. Das ist eine Menge Arbeit. Niemand kann behaupten, dass ich untätig bin und dem Müßiggang fröhne“

Jedes dieser Projekte wird von mir sehnsüchtig erwartet).



RALF STIFTEL ÜBER JOHN MAIR by Martin Compart
27. Januar 2022, 10:42 am
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2022-01-25_TZHamm_31.pdf



KLASSIKER DES POLIT-THRILLERS: JOSEPH R.GARBERS VERTIKALE MENSCHENJAGD by Martin Compart

Jeden Morgen vor Arbeitsbeginn genießt Dave Elliot die Stille seiner Chefsuite im 45. Stockwerk eines New Yorker Bürohauses. Doch an einem bestimmten Tag ist alles anders.

An diesem Tag versucht jeder, der Dave begegnet, ihn umzubringen. Sein Chef macht den Anfang, als er ihm mit durchgeladener Pistole und der festen Absicht, ihn zu erschießen, gegenübertritt. Und der 50stöckige Büro-Tower scheint zu wimmeln von Leuten, die nur eines im Sinn haben: Dave Elliots Leben auszulöschen.
Er hat 24 Stunden Zeit, um herauszufinden, warum…

Dave kämpft einen fast aussichtslosen Kampf gegen einen überlegenen Gegner, der alle Vorteile auf seiner Seite hat. In dieser Situation erwachen in ihm plötzlich wieder alle Instinkte und Überlebenstechniken aus seiner Zeit als Green Berets, die er längst vergessen zu haben glaubt. So eskaliert die höllische Verfolgungsjagd durch die Fahrstuhlschächte, Treppenhäuser und über die Fassade des Wolkenkratzers in einen erbarmungslosen Schlagabtausch zwischen den zahlenmäßig und technisch überlegenen Häschern auf der einen und dem Erfindungsreichtum und der Schnelligkeit des Opfers auf der anderen Seite.


Und es sind nicht nur die Verfolger, denen Dave Elliot sich stellen muss: es gibt da eine unbeglichene Rechnung aus der Vergangenheit, die jetzt fällig zu werden scheint

Piper Verlag
366 Seiten in unterschiedlichen Ausgaben

Dieser Roman liest sich schneller, als man DIE HARD gucken kann. Dave Elliot führt den Leser zu Orten, die John McLane nicht mal erahnen würde. Und dank Garbers gemeiner Prämisse (und schriftstellerischem Können), bleibt der Roman auch länger in Erinnerung.

There`s no time for sex in the book. Hell, there`s barely time for lust.
sagte einst der Autor.

DER SCHACHT steht ganz in der Tradition der großen Jagd-und-Flucht-Romane. Spätesten seit dem Alan Breck Stuart und David Balfour durch die Highlands gejagt wurden, gehört die Menschenjagd zu den großen Topoi der Thriller-Literatur. Garber – äußerst belesen – kannte das Genre gut: „I certainly had Hitchcock in mind when I wrote Vertical Run. And surely I was influenced by the late Geoffrey Household whose man-on-the-run thrillers are the best ever written (try his Dance of The Dwarves, which is the scariest novel I have ever read)… I framed it as the ultimate paranoid nightmare: suppose everybody in the world wants you dead.

Im Subtext geht es auch darum, dass Dave Elliot Männer bekämpft, zu denen er einst gehörte und nie wieder gehören wollte. Um sie zu besiegen, muss er wieder wie sie werden, ins Überwundene zurückkehren. Die ganze Handlung wird aus seiner Perspektive erzählt. Plot und Charakter interagieren auf eine erzählerisch höchst raffinierte Weise. Dass es funktioniert, zeigt Garbers ganze Klasse.

In Zeiten der Corona-Pandemie erreicht der Thriller wieder zusätzliche Aktualität:

ACHTUNG SPOILER: As for the surprise at Lockyear, I`ve always been aware of the incredibly ghastly experiments conducted by Shiro Ishii and Unit 731 during World War II. The Japanese army used Chinese civilians and both American and British POWs as lab rats in a horribly large number of unspeakable medical tests. All of this was covered up quite thoroughly by American war crimes investigators, and it struck me as obvious that the reason for the coverup was that our nation wanted to get its hands on the Japanese research results. Now, fifty-five years after the fact, we know that is precisely what happened.
Nach Garbers Überzeugungen und Erfahrungen beherrschen Verschwörungen nicht nur das Geschäftsleben, sondern auch – man glaubt es kaum! – politische Interessen.

In DER SCHACHT (VERTICAL RUN) beschreibt Garber eine vertikale Menschenjagd, in seinem Folgewerk, IM AUGE DES WOLFES, eine vertikale. Während Dave Elliot rauf und runter durch einen Wolkenkratzer gehetzt wird (wie Bruce Willis in DIE HARD nach Roderick Thorpes NOTHING LAST FOREVER), flüchtet Jack Taft horizontal durch eine ihm fremde Stadt (Singapur).

Die deutsche Ausgabe von VERTICAL RUN unterscheidet sich entscheidend von der englischsprachigen:
The principal difference between my original version and what was published in this country is that Dave died at the end of the original version — as did Marge. The publisher (hoping for a sequel, no doubt) and Warner Brothers both wanted them to live. Insofar as Warner Brothers was paying quite good money for the service, I added the scene in which Marge is discovered alive and rescued, and added a single page ending that keeps Dave alive. The Germans liked the original, darker version and, with my permission, published it. In the final analysis, I think keeping both characters alive was a good choice — it delivers extra surprises and lets readers close the book with satisfied grins on their faces.
Der damalige Piper-Boss, Viktor Nieman, hatte es eher mit düsteren Thrillern.

Es kam (bisher noch) nicht zur Verfilmung, noch zu einem Dave Elliot-Sequel.
Der Workaholic Garber starb 2005 im Alter von 61 Jahren an einem Herzinfarkt.

Joseph Rene Garber wurde am 14.August in Philadelphia in eine Soldatenfamilie geboren. Wegen der ständigen Versetzungen wurden Bibliotheken zur eigentlichen Heimat des Jungen. Er besuchte die University of Virginia, brach das Studium aber ab, um wie sein Vater zur Armee zu gehen. „I spent two years at the University of Virginia majoring in beer-drinking, a discipline for which little academic credit was awarded.” Anschließend ging er reumütig an die Hochschule zurück und schloss 1968 sein Studium der Philosophie erfolgreich ab. Er machte in der Wirtschaft eine Managementkarriere, die den Hintergrund seiner Romane bildet. In VERTICAL Run nutzte er sogar seinen alten Arbeitsplatz bei Booz Allen, 200 Park Avenue, als Handlungsort. Ein Schelm, der böses dazu denkt.

Seine Betrachtungen des Managements strotzen vor Zynismen. Nebenher hatte er immer geschrieben; u.a. war er Kolumnist für „Forbes“, wurde aber immer unzufriedener mit seiner Arbeit für große Wirtschaftsunternehmen. 1989 veröffentlichter er seinen ersten Roman, RASCAL MONEY. Eigentlich war er als Sachbuch (unter dem schönen Titel IN SEARCH OF SHABBINESS) angelegt, aber die Rechtsabteilung des Verlages hatte Bedenken und riet ihm Fiktion daraus zu machen. Mit seinem zweiten Buch, VERICAL RUN, 1995, hatte er zu seiner Überraschung einen internationalen Bestseller. Zwischen 1995 und 2020 wurden 40 Ausgaben in 13 Sprachen veröffentlicht; in Deutschland hatte das Buch bis 2002 acht Auflagen.

Garber war hochintelligent, hatte einen schrägen Sinn für Humor und galt als großzügig, was sich auch in der Unterstützung von Non-Profit-Organisationen ausdrückte.

I am a sharply sardonic person who usually looks for (and finds) humor in even the most ghastly circumstances. Keeping that out of serious books is probably my greatest single challenge as a writer.

Er war u.a. mit Tippi Hedren befreundet, mit der er auch die leidenschaftliche Tierliebe teilte.

Auf die Frage nach seinen Lieblingsautoren antwortete er:
I read omnivorously, so that’s an unfair question. Off the top of my head: Twain, Conrad, Hemingway, Iris Murdoch, John Fowles, Brian Moore, Ian McEwen, the authors of the Icelandic Sagas, Iain Banks, Terry Pratchett, Patrick O’Brian, Bernard Cornwall, Shusako Endo, Russell Hoban, Angela Carter, Barry Unsworth, Robert Stone, Thomas Pynchon, Robert Goddard, Geoffrey Household — and ten pages more.

Zum Abschluss noch eine nette Geschichte aus dem Vorfeld der Veröffentlichung des Romans:

There`s a cute story here: when she first got the manuscript, my agent put it in the trunk of her car prior to going upstate for the weekend. Then she drove to her office, parked outside, and dashed upstairs for a few minutes. By the time she got back (welcome to New York), the car had been burglarized, and the manuscript was gone.
The burglar dumped it (along with other stuff he didn`t want) on the street in Queens. A hairdresser found it, and read it over the weekend. On Monday he called my agent and told her that he had it, and would be happy to return it. She offered him a reward for his trouble. He declined. She insisted. To which he replied, “The only reward I want is a signed copy of the book, because it`s the best thriller I`ve ever read.” So my agent knew she had hit… and the hairdresser DEFINITELY got a signed copy.



KLASSIKER DES NOIR-THRILLERS: „DIE ERSTE TODSÜNDE“ von LAWRENCE SANDERS by Martin Compart

Mitternacht in New York: In einer Straße der vornehmen Upper East Side wird ein Mann ermordet aufgefunden. Der Tote war ein einflussreicher Politiker, der lautstark für Recht und Ordnung eintrat. Aber dieses Verbrechen ist nur das erste Glied in einer Kette von Morden ohne erkennbares Motiv, die die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen.

So beginnt dieser Roman zweier Männer: Captain Edward X. Delaney, Leiter des 251. Polizeireviers in Manhattan, seit über 25 Jahren im Polizeidienst, guter Ehemann und Vater, stolz auf seine Familie, seine Stadt, sein Revier und vor allem auf seinen Beruf. Daniel Blank, mit 36 Jahren Vertriebsleiter eines großen Zeitschriften-Konzerns, stolz auf seine intellektuellen Fähigkeiten genießt die Früchte seines Erfolgs: er besitzt eine Luxuswohnung, fährt einen schnellen Wagen, hat ein sehr männliches Hobby: als Bergsteiger unternimmt er gern gewagte Kletterpartien.

Aber es gibt Risse im Leben beider Männer: Delaneys Frau wird von einer geheimnisvollen Krankheit befallen. Auch beruflich: Politiker der Stadt mischen sich in seine Arbeit ein, undurchsichtige Machtkämpfe schaffen bald eine Atmosphäre des Misstrauens und bedrohen das festgefügte Weltbild des Captains. Für Daniel Blank endet eine nach außen glückliche Ehe mit der Scheidung von seiner Frau Gilda. Dann tritt die exotische, reizvolle Celia Montfort in sein Leben. Ihre bloße Gegenwart entfesselt dunkle, abseitige Triebe in Daniel, die ihn selbst erschrecken.
Inzwischen häufen sich die Morde, es gibt kein Motiv, keine Erklärung für sie – die Polizei kann nicht einmal die Tatwaffe feststellen. Hier beginnt der einsame Kampf Captain Delaneys, der sich geschworen hat, den Mörder zu überführen und die Gesellschaft gegen die Macht des Bösen zu schützen.

Der Leser wird mit Männern und Frauen diesseits und jenseits des Gesetzes konfrontiert, mit Opfern des Zufalls und der Umstände. Er wird hineingerissen in einen Strudel von Ehrgeiz, Hochmut und Stolz, Sex, Liebe und Leidenschaft.

Im Wesentlichen aber handelt diese Geschichte von Verbrechen und Bestrafung, von dem Kampf zwischen Polizisten und Mördern, zwischen Jäger und Gejagten, von dunklen Besessenheiten und vor allem von der ersten Todsünde, dem Hochmut, der beide einander immer ähnlicher werden lässt, der ihre Identitäten zu zerstören droht, ein psychologisches Duell, das an die Moral der Gesellschaft rührt. Noch kein Roman hat den gigantischen Polizeiapparat einer Metropole, das raffinierte Räderwerk kriminalistischer Ermittlungen, aber auch die menschlichen Unzulänglichkeiten und Rivalitäten der Beamten so überzeugend und detailliert dargestellt. Atemberaubende Wirklichkeit. Schuld und Sühne in New York.
(KLAPPENTEXT)

Von den 1970er – bis in die 1990er Jahre war Lawrence Sanders (1920-98) in den USA ähnlich populär wie Stephen King. Und er hatte einen ähnlich hohen Ausstoß dank – wie man heute weiß – der Beschäftigung von Ghostwritern oder Co-Autoren. Sanders war ein sehr ungleichmäßiger Schriftsteller, der neben faszinierenden und fesselnden Romanen auch banalen Trash produzierte. Die meist gleichmäßige Qualität bei hohem Ausstoß, wie man sie von King kennt, gelang ihm nicht.

1985, auf dem ersten Höhepunkt seiner Popularität, waren von seinen 20 Büchern 25 Millionen Taschenbücher und 1.5 Millionen Hardcover in 15 Sprachen verkauft worden.
In seinem Todesjahr hatten seine 23 Bücher, die in 30 Ländern veröffentlicht worden waren, allein in den USA fast 60 Millionen Exemplare verkauft.

Sanders, der zuvor im Vertrieb der Verlagsbranche und als Lektor tätig war, begann erst relativ spät zu schreiben: Er war 50 Jahre alt, als er seinen ersten Roman veröffentlichte (den aus fiktiven Dokumenten und Abhörprotokollen konzipierten THE ANDERSON TAPES). Für ihn bekam er den damals bei Debütanten üblichen Vorschuss von $ 3.000, aber sein Agent verkaufte anschließend die Filmrechte für $ 100.000 und die Taschenbuchrechte für $ 210.000.

Er verdiente in drei Jahrzehnten Millionen Dollar, hätte sich zurücklehnen können und darauf warten, wie die Tantiemen aufs Konto rollten. Stattdessen arbeitete er täglich bis zu seinem Tod:

„I don’t have hobbies. I have no desire to travel. I start writing every night a 17 and finish at 21:30 p.m. Sound boring? Writing is the most important thing in my life—above marriage. You can live a million lives. All your fantasies come true. It’s all from imagination and newspaper clips.”
Er schrieb handschriftlich auf Schreibblöcken fünf Seiten pro Sitzung, sieben Tage die Woche.

Lawrence Sanders war der erste Autor, der eine bis heute gültige Formel für den Serienkiller-Thriller fand.

In seinem Bestseller THE FIRST DEADLY SIN nahm er weitgehend voraus, was dann Thomas Harris in seinen Lecter-Romanen perfektionierte: Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Jäger und Gejagten, erzählt in wechselnden Perspektiven. Diese Perspektivwechsel zwischen Prota- und Antagonisten bewährten sich, da sie mehr Dynamik in den Handlungsablauf bringen.

Sanders Detektiv versucht sich naiv behavioristisch in den Mörder zu versetzen. Er verfügt noch nicht – wie Harris´ FBI-Profiler – über die Erkenntnisse der Behavioral Science Unit. Das macht die retrospektive Lektüre sowohl interessant wie auch antiquiert. Ein wenig so, als würde man die langen Landschaftsbeschreibungen bei Walter Scott lesen.

Er brachte den Polizeiroman wie auch den Serienkillerroman als erster auf die Bestsellerlisten. Zuvor waren die „police proceduralsˮ zumeist kurze Taschenbuchoriginalausgaben gewesen. Sanders schrieb Hardcover, die zwischen 400 und 600 Seiten lang sind. Genug Platz für Charakterisierungen, die man so zuvor noch nicht gelesen hatte.

THE FIRST DEADLY SIN, und die drei weiteren Captain Edward X. Delaney-Romane beschrieb ein Kritiker als „psychosexual thriller”, der den Standard für die weiteren Entwicklungen des Subgenre setzten.

Sensibel wird der Leser gleich zu Beginn des Romans in die Geschichte und Persönlichkeit des Killers Daniel Blank eingeführt. Er ist wahrlich böse, aber im Gegensatz zu späteren Serienkillern kein Sadist und an jeder Form von perverser Erotik interessiert. Seit jungen Jahren ist er fasziniert von der Entgrenzung des Bösen.

Nicht weniger sensibel wird auch sein Gegenspieler dem Leser nahegebracht: Edward X.Delaney hatte zuvor sein Debüt in dem experimentellen Erstling von Sanders, THE ANDERSON TAPES, der mit dem Edgar ausgezeichnet und mit Sean Connery verfilmt wurde. Delaney ist ein alter Hase, knallharter Ermittler, aber auch um seine kranke Frau rührend besorgt. Er respektiert Frauen und ist ein ungewöhnliches Beispiel aus einer Zeit, in der ein Ermittler meistens ein männlicher Chauvinist ist.

„I don’t like him,“ sagte Sanders. „I think he’s an old expletive . An opinionated, pontifical SOB. But the readers love him, mostly the women. I don’t understand it. The guy took on a life of his own.“

Liest man das Buch heute, hat es bei allen zeitlosen Qualitäten auch etwas von einer Zeitreise. Wie eingefroren liegt das damalige New York vor einem; es hat so gut wie nichts mit der heutigen Stadt zu tun. New York war ein gefährliches Pflaster in den frühen 1970er Jahren, mit täglich mindestens fünf Mordfällen allein in Manhattan. Brave Bürger blieben abends daheim und mieden sinistere Orte wie etwa den damaligen Times Square.
Von 1963 bis 1972 war die Zahl der Morde in New York von 550 auf 1691 gestiegen. New York war in den 1970er Jahren ein Ort der Stadtflüchtlinge, für die selbst die Lichtquellen die Farbe der Finsternis angenommen hatte. Das vermitteln Sanders Romane ziemlich eindrucksvoll. New York ist als Hintergrundrauschen in den SIN-Romanen allgegenwärtig.

Heute ist vielen Lesern der Roman viel zu lang. Der Plot hebt erst ab Seite 200 richtig ab. Zuvor nutzt er den Raum, um seine Charaktere sorgfältig zu entwickeln. Das verlangt eine Geduld, die der heutige Leser kaum noch aufbringt (die aktuellen „dicken Schinken“ unter den Thrillern zeichnen sich meistens durch nervtötende Redundanz aus, nicht durch Stil oder sorgfältige Charakterisierung).

Sanders galt als heiß (und ab 1973 war er Stammgast auf den Bestsellerlisten) und verkaufte umgehend die Filmrechte von SIN an Columbia.

Es dauerte sieben Jahre, bis die Adaption in die Kinos kam. Ursprünglich war Roman Polanski als Regisseur vorgesehen. Nachdem er aber nach Frankreich geflogen war, um der Strafverfolgung wegen seiner Vergewaltigungsanklage zu entgehen, übernahm Brian G.Hutton. Frank Sinatra spielte überzeugend den Detektiv und Bruce Willis gab als „Man entering Diner“ sein Leinwanddebut.

Das Ende des Romans wurde für den Film drastisch geändert. Faye Dunaway, die Delaneys kranke Frau spielte, wurde als schlechteste Schauspielerin des Jahres ausgezeichnet. Sicherlich kein großer Film, aber man kann ihn sich immer noch ansehen.

Sanders Roman ist zusammen mit KILL von Shane Stevens der wichtigste Vorläufer für den Serial Killer-Boom seit den späten 1980er Jahren. Inzwischen scheint das Subgenre als Teil der Sublimierungskultur totgetrampelt. Trauriger Endhöhepunkt sind Romane wie die von Ethan Cross um eine „Familie der Serienkiller“ (nein, es handelt sich dabei nicht um surrealistische Werke). Mit dem Roman THE THIRD DEADLY SIN führte Sanders 1981 den wahrscheinlich ersten weiblichen Serienkiller im Subgenre ein.
DIE ERSTE TODSÜNDE führt ebenfalls die Darstellung des Serienkillers als Pathographie ein.

“The vision of life that Lawrence Sanders communicates has been called depressing. The sweaty sex, the deadpan descriptions of sadistic killings, the downbeat endings – Delaney has an unattractive tendency to toy with his villains until they destroy themselves – leave some readers slightly queasy. Sanders says that’s just the way things are.“ (THE WASHINGTON POST)

Edward X. Delaney–Serie

1970 The Anderson Tapes (dt. 23 Uhr, York Avenue. Molden, Wien 1971)
1973 The First Deadly Sin (dt. Die erste Todsünde. Rowohlt, Reinbek 1975)
1977 The Second Deadly Sin (dt. Die zweite Todsünde. Rowohlt, Reinbek 1980)
1981 The Third Deadly Sin (dt. Die dritte Todsünde. Blanvalet, München 1987)
1985 The Fourth Deadly Sin (dt. Die vierte Todsünde. Blanvalet, München 1986)

„Ich hab den Sinnattra immer gern gehört. Besonders das Lied über die sieben Fässer Wein. Oder waren es acht? Musse mal hören, wenze Kanzler bist. Da isss Kraft drinn.“