Martin Compart


Zur Wiederholung von HUMAN TARGET by Martin Compart
25. März 2014, 9:46 am
Filed under: HUMAN TARGET, Rezensionen, thriller, TV-Serien | Schlagwörter: , , ,

VORBEMERKUNG:
Als ich vor ein paar Jahren diesen Artikel über die erste Season der Action-Serie HUMAN TARGET schrieb, hatte ich hohe Erwartungen an die 2.Staffel. aber die wurden nicht erfüllt, und die Serie abgesetzt. ich finde es höchst ärgerlich, dass die Macher nicht das Potential in den Griff bekommen haben. ich überschrieb damals meine Kritik mit „eine (fast) perfekte Action-Serie“. Und das hätte sie werden können, wenn man die übergreifenden Subplots und Nebenfiguren konsequent und intelligent behandelt hätte. So aber wurde sie noch schlimmer in den Sand gesetzt als die letzte Staffel STRIKE BACK (jedenfalls die letzten Folgen. Trotzdem: Im Vergleich zu deutschen Serien ist HUMAN TARGET noch immer sehenswert (auch wenn dazu ja nicht viel gehört; ich jammere hier auf hohem Niveau).

Wenn man die ersten Folgen der neuen Action-Serie HUMAN TARGET gesehen hat, bestätigt sich, was andere US- und GB-Serien schon bewiesen haben: In Deutschland ist die Zeit stehen geblieben. Zumindest auf dem Lerchenberg und den Räumen deutscher Produktionsfirmen. Kein gegängelter deutscher Drehbuchautor hätte solche Lines, mythisch anmutende Charaktere, Plot-und Subplotwendungen auch nur im Ansatz hingekriegt. Deutsche Regisseure hätten aus dem US-Drehbuch mindestens einen Dreistünder machen MÜSSEN, da sie nie Timing gelernt haben. Und das deutsche Action-TV-Aushängeschild COBRA 11 wirkt im Vergleich mit HUMAN TARGET so antiquiert wie die Keystone Cops.

Perfekt nutzen die Macher die Möglichkeiten des nicht linearen Erzählens, wie es zuvor schon effektiv bei HUSTLE eingesetzt wurde (momentan scheinen die meisten Innovationen aus Großbritannien zu kommen – siehe auch SPOOKS oder LITTLE BRITAIN). Produziert wird sie in Vancouver (seit der gerade verstorbene Stephen J.Cannell die Stadt für WISEGUY entdeckte und sie beispielsweise Joel Surnow für LA FEMME NIKITA nutzte, gilt Vancouver dank günstiger Gewerkschaftsbedingungen als Mekka für Action-Serien). Und jede Folge hat tatsächlich den look eines Bruce Willis-Kinofilm. Action-Kino für Arme ist das nicht. Und die tollen Bücher sorgen dafür, dass alles was momentan in den verseuchten Cinemaxen vor einem debilen Publikum abgespielt wird, dagegen alt aussieht. Noch älter sehen natürlich deutsche Gähnserien aus. Klaus Bassiners Lerchenberger Geronten-Sokos verstehen sich natürlich nicht als Action-TV sondern als homöopathisches Sedativ. Aber der ganze Mist der unfähigen RTL-Tante Anke Schäferkordt stinkt jetzt wieder mächtig ab. Ob sogenannte „Eventfilme“, die scheinbar in einem Legoland gedreht werden, oder LASKO und die vielen vergessenen Flop-Serien, die US-Konzepte grottig kopierten, – so was kann man wohl nur noch für kleines Geld in deutsche Urlaubsgebiete an der
Schwarzmeerküste verscherbeln. Im Gegensatz dazu zeigt HUMAN TARGET, wie man Massen taugliches Action-Format macht ohne die Intelligenz zu beleidigen. Aber auch dieses Highlight wird Tante Anke nicht davon abhalten wieder los zu brausen zu neuerlichen, noch finsteren Tiefpunkten derber Unterhaltung. Immer SAT 1 und pro/ im Rückspiegel.

Die Kunst bei solchen Action-Serien ist die Gradwanderung zwischen Leichtigkeit, Augen zwinkernder Selbstironie und Suspense gepaart mit der Glaubwürdigkeit von Hero-Comic-Charakteren, die in ihrem Kosmos vollkommen glaubwürdig agieren und in ihm dreidimensional wirken. HUMAN TARGET macht das perfekt. Ein absoluter Quantensprung seit dem MILLION DOLLAR MAN oder dem A-Team. TARGET funktioniert auf allen Ebenen und spricht alle Bildungsschichten an. Ein Zeichen wahrer Industriekunst, also mehr als nur gutes Handwerk! Neben der Action ist die Interaktion zwischen den drei Hauptfiguren ein besonderer Reiz der Serie. Mark Valley drückte das ebenso kryptisch wie nett aus: „Wenn Chance ein ehemaliger Junkie oder Alkoholiker wäre, dann ist Winston eher sowas wie sein Helfer während Jackie sein Ex-Dealer ist.“
Die Serie beginnt klassisch in Episodenform. Ab der Folge SANCTUARY steigt sie intensiver in die Personen und ihre Hintergründe ein und baut behutsam ihre eigene Mythologie. Hinweise und Andeutungen werden geschickt in die einzelnen Folgen eingebaut, die beim großen Finale erst ihren Sinn bekommen. Da erfahren wir dann die „großen“ Geheimnisse hinter dem Mann, der sich Christopher Chance nennt. Die Season endet mit einem cliffhanger, da man die Verlängerung durch FOX wohl in der Tasche hatte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es in der zweiten Staffel zu einem noch stärkeren Mix aus episodischen- und seriellem Erzählen kommt. Wie gut das funktionieren kann, haben bereits LA FEMME NIKITA oder X-FILES bewiesen. Aber wer weiß? Vielleicht bauen die Produzenten auch stärker auf das rein serielle Erzählen. Denn das hat momentan den größten Zuspruch des Publikums; abgesehen mal von police procedurals wie CSI. Mich würde es nicht wundern, wenn sich TARGET zur nächsten großen Kult-Serie entwickelt. Das Ende von 24 und dem J.J.Abrams-Zeugs hinterlassen ein Vakuum. Die erste Season ist dann nichts anderes als eine äußerst ausführliche Exposition.

Christopher Chance erblickte das Licht der Comic Book-Welt 1958 in GANG BUSTER No.61. Er wäre ein längst vergessener One Shot, hätten ihn micht Len Wein und Carmine Infantino 1972 neu belebt. In den frühen 1970ern diente er als Füllserie für Superman in der ACTION COMIC-Reihe. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnt wechselte er als Füllmaterial zu Batman in DETECTIVE COMICS. Zu seinen Zeichnern zählten immerhin Stars wie Neal Adams und Howard Chaykin! 1990 wurde er für sieben Folgen auf den Bildschirm gezerrt, gespielt von Rick Springfield. Das Gute an der erfolglosen Serie war, dass sich DC wieder an Chance erinnerte und Pete Milligan ein neue Interpretation für Erwachsene ermöglichte. Mit den Zeichnern Edvin Biukovic, Cliff Chiang und Javier Pulido legte er für DCs VERTIGO-Line 1999 eine beeindruckende Mini-Serie und 2003 eine Graphic Novel vor; und von 2003 bis 2005 gab es dann eine monatliche Heftserie in 21 Comic Books. Markanter Unterschied zur neuen TV-Serie: In den Comics nimmt Chance die Identität des Klienten an, währen er im TV eher als HUMAN SHIELD agiert, Die TV-Serie wurde von Jonathan E.Steinberg entwickelt. Er hatte zuvor als Autor, story editor und Produzent an JERICHO gearbeitet; die Serie bezeichnet er als „very good boot camp“. Der Grund für den Konzeptwechsel des Comics ist eine medienspezifische Vorgabe: so kann man prominente Gaststars in jede Folge einbauen:
„ This was a property that had been in development both for TV and the movies for a while, and I think for good reason. It’s a very enticing idea – a guy who is always looking to or is willing to become you and get into the trouble that you made for yourself, and I think everybody had tried to figure out a way to make it work. It was pitched to me as something that Peter Johnson andWarner Bros. were looking to do…It’s fun and allows you to play with identity in a cool way, but as soon as it becomes flesh and blood, it’s a strange credibility that is detrimental to the story. That was one of the earlier obstacles with us, how do we make it real? If there was a guy who did this job, how would he do it? He probably wouldn’t do it by putting on a rubber mask.
So I think that was the beginning of it. After that it became clear to us that we wanted to create an action hero that was like the action heroes that I grew up with, the Indiana Joneses. The John McClanes. It’s very hard to fall in love with Indiana Jones when he looks like somebody else every week.“

Nach der ersten Season mit 12 Folgen ist eine zweite mit über zwanzig Folgen in der Produktion. Obwohl die Zuschauerzahlen bei FOX eher mittelmäßig waren: Von Anfangs ca.10 Millionen sank sie auf 7,5 Millionen. Zum Glück für HUMAN TARGET hat Fox aber nicht mehr 24 am Start (endete mit der 8.Season) und braucht einen zumindest ähnlichen Ersatz im Genre. In der 2.Season bekommen die drei von der Rettungsstelle einen weiblichen Boss. Der neue Showrunner Matt Miller lüftete die Hintergründe: Die Milliardärin Ilsa, gespielt von Indira Varma (Rom, Torchwood) kauft die Agentur, die permanent in finanzielle Schwierigkeiten steckt und wird ihr Chef. Natürlich – wie es sich nach Genrekonventionen gehört – ist sie von Chance völlig unbeeindruckt und aus der Situation wird sicher Knistern und Spannung destiliert. Chi McBride alias Winston: „Wir sind wie eine dysfunktionale Familie. Wir streiten uns, aber wenn es darauf ankommt, halten wir zusammen.“ Ein Konzept, dass seit Jahrzehnten funktioniert: Streitende Ritter, die von ihrer Burg zu einer Quest aufbrechen um das Böse zu bekämpfen. Matt Miller: „In der 2.Season legen wir Wert darauf, dass man neben der Haupthandlung auch in jeder Folge etwas neues über einen der Protagonisten erfährt.“ Miller spielt einen hohen Ball wenn er HUMAN TARGET mit den Büchern von Elmore Leonard vergleicht: „Durchaus, was Witz, Charakterisierung und Stimmung angeht. Guerrero ist ein Typ, der direkt einem Leonard-Roman entstiegen sein könnte.“ Man denkt auch daran, künftig Autoren des Comics für Drehbücher zu verpflichten.

Neben der guten Story-Struktur und dem perfekten Szenenaufbau gelingt es den Autoren mit den Schauspielern in der kürzesten Zeit alle Figuren individuell und zumeist auch originell zu charakterisieren. Das heißt: auch die Dialoge sind genau das Gegenteil vom sinnlosen Gestammel in deutschen Crime-Serien. Großartige Lines kriegt natürlich Mark Valley, die Christopher Chance als witzigen und ultracoolen Charakter unterstreichen:

Chance: Ich muss das brennende Flugzeug auf den Rücken legen um den Brandherd auszublasen.
Stewardess: Haben Sie so was schon gemacht?
Chance: Häufig In allen Möglichkeiten.
Stewardess: Wann und wo?
Chance: In einem Simulator.
Stewardess: Oh, nein.
Chance: Es war ein sehr guter Simulator.
Chance dreht das Flugzeug was zur Folge hat, dass die Instrumente nicht mehr funktionieren und er es nicht mehr kontrollieren kann.
Stewardess: Was bedeutet das?
Chance: Technisch gesehen: Das Flugzeug ist kaputt.

Man muss Mark Valley dabei sehen. Der Golfkriegveteran (des 2. Golfkriegs 1991; der 1.fand zwischen Irak und Iran statt) hat das Charisma um diese Comicfigur im allerbesten Sinn glaubwürdig rüber zu bringen. Wäre die Hauptrolle schlecht gecastet, hätte die Serie trotz guter Bücher riesige Probleme.
Das einzige Ärgernis ist, dass man HUMAN TARGET montags auf pro7 mit Werbeunterbrechungen sehen muss. Wer das nicht will, muss auf die Box warten oder sich im Internet die amerikanischen Folgen zusammen suchen.

Zu Gast auf einem Comic Con:




Zur Erinnerung: Das Kotzmittel Maschmeyer by Martin Compart
20. März 2014, 7:04 pm
Filed under: Ekelige Politiker, maschmeyer, ORGANISIERTE KRIMINALITÄT, Parasiten, Stammtischgegröle | Schlagwörter:

Der STERN machte heute sehr schön mit der Maschmeyer-Connection auf, um uns diese Parasiten näher zu bringen. Deshalb möchte ich diesen älteren Blog-Beitrag noch mal wiederholen um zu zeigen, wie lange uns dieses Ekel aus dem Dunstkreis von Ex-Kanzler Proll-Gert (den er sich mit einer Wahlkampagne für kleines Geld gekauft hatte, bevor der für kleines Geld von Putin eingesackt wurde) schon begleitet. Wieder so ein Typ, dessen Tod die Lücke schließen würde, die er hinterlässt. Manchmal sollte man sich in dieser, unserer kurzlebigen Zeit daran erinnern, wie lange schon manche Parasiten ihr Unwesen treiben.

Unlängst lief in der ARD mal wieder etwas, wofür sie eigentlich da ist: eine aufklärerische Doku über Korruption in Deutschland. Drahtzieher eines Korruptionssystems mit Sitz und Wurzel in Hannover (vielleicht das Korruptionszentrum Deutschlands): Carsten Maschmeyer, den EXPLOSIV-Seher als Begleiter einer mittelmäßigen Schauspielerin (die auch gerne in Solingen Kartoffeln verkauft; das soll sie richtig gut können) kennen. Mit der Drückerfirma für Kapitalanlagen AWD hat er Millionen verdient und dieses Unternehmen, das Kleinanleger in den Ruin trieb, für weitere Millionen an ein – was sonst -Schweizer Unternehmen verkloppt. Maschmeyer lebt in Bezirken, von denen selbst das Licht sich fern hält. Seine Visage macht jedes Foto oder Film zum Alptraum. Seinen Aufstieg charakterisiert das Manager Magazin (vom 22.2.2002) so: „Sein Schicksal wendet sich im Urlaub, auf der Insel Djerba. Ein älterer Herr spricht den jungen Mann am Pool an. Er hält ihn für ein Verkaufstalent. So einer wie Sie könnte viel Geld verdienen.“ Schön, dass ältere Männer auf Urlaubsinseln nach dem wohlverdienten Entspannungsurlaub ihre jungen Freunde nicht einfach links liegen lassen. Aber das passiert wohl nur, wenn diese über wirklich außergewöhnliche Verkaufstalente verfügen.

Ein Geniestreich seiner Clique war die Riesterrente, die AWD ungeheure Summen einbrachte: Unter dem Maschmeyer-Freund Kanzler Proll Gert Schröder entwickelten die Maschmeyer-Heloten Rührup und Riester die privat und staatlich finanzierte Zusatzrente. Heute hält Riester Vorträge für AWD (für läppische 7000 Euro pro Vortrag, da sieht man was für ein mieser, kleiner Groschenstricher er ist; nicht mal ans große Geld kam er trotz seiner Mittäterschaft). Scheinheiligkeit im Endstadium. Dagegen waren Guidos Geschenke ans Hotelgewerbe Peanuts. Es bedurfte eines SPD-Kanzlers und eines grünen Vizekanzlers um das Korruptions- und Lügenniveau Deutschland auf die Ebene einer Bananenrepublick zu liften

Deutschlands peinliche Krawallrocker SCORPIONS gehören ebenfalls zum Freundeskreis. Dass Maschi und Ex-Kanzler Proll-Gert befreundet sind, verwundert eigentlich nicht. Beide stammen aus der Unterschicht und sind dieser ästhetisch nie entwachsen (Proll Gert sieht selbst im Brioni wie ein grobschlächtiger Schiffsschaukelbremser aus, der im NSU Prinz mit Fuchsschwanz von Kirmes zu Kirmes fährt). Beide lassen sich durch krude Akademiker wie Bert Rürup beeindrucken, da sie im schwarzen Loch seiner elenden Existenz sowas wie Intellektualität vermuten. Und allen ist gemeinsam (andere Korrumpel von Wolfgang Clement bis Peter Harz gehören ebenfalls dazu), dass ihr Ableben die Lücke schließen würde, die sie hinterlassen.

Beim Sehen der Dokumentation wünschte ich mir die RAF (nicht die Royal Air Force) zurück. Was die alleine in Hannover an Flurbereinigung zu erledigen hätte durch druckbedingte Konsistenzveränderungen.

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die wahrgenommene Korruption in Deutschland nicht verändert. Ein Trend zur Zu- oder Abnahme von Korruption lässt sich statistisch nicht abbilden. Laut dem Bundeslagebild Korruption 2009 des Bundeskriminalamtes muss nach wie vor von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. (Berlin, 26.10.10: Die Antikorruptionsorganisation Transparency International hat heute ihren Korruptionswahrnehmungsindex,CPI, vorgelegt)




IN EIGENER SACHE: FAUST by Martin Compart
5. März 2014, 9:24 am
Filed under: Deutsches Feuilleton, NEWS, Politik & Geschichte | Schlagwörter: , ,

Mit großer Freude darf ich hier verkünden, dass ich ab jetzt eine Kolumne im renommierten Kultur-Magazin FAUST (http://faustkultur.de/) betexte.

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Herausgeber von FAUST ist niemand geringerer als Werner Ost. Sein Print-Magazin BÜCHNER, das von 1999 bis 2002 erschien, setzte Maßstäbe und die aufwendig und originell gestalteten Hefte sind inzwischen begehrte Sammlerstücke. Ich hatte damals die Ehre für BÜCHNER zu schreiben und kann bis heute kaum fassen, wie großartig die graphischen Konzepte waren, in die meine Beiträge umgesetzt wurden. Das Heft mit einem Noir-Artikel gehört zu den Highlights meiner Bibliographie.

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FAUST.DE ist gefährlich: Dort liest man sich immer wieder fest und ruiniert seinen Arbeitstag. Die Themenvielfalt ist atemberaubend und hängt nicht nur an scheinbar aktuellem. Ich fand dort einen Text von Camus, den ich bisher nicht kannte und den ich mit seiner Brisanz und Brillanz jedem empfehlen möchte: http://faustkultur.de/1481-0-Camus-Die-Krise-des-Menschen.html .



KRIMIS, DIE MAN GELESEN HABEN SOLLTE: JIM THOMPSON by Martin Compart
2. März 2014, 4:24 pm
Filed under: Crime Fiction, Jim Thompson, Krimis,die man gelesen haben sollte, Noir | Schlagwörter: , ,

Auch wenn er keinen aktuellen deutschen Verlag hat (Ausnahme: zwei Bücher bei Heyne Hardcore), ist das keine Entschuldigung dafür, Jim Thompson nicht zu lesen.
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Als James Myers Thompson am 7. April 1977 in Los Angeles starb, war er ein vergessener Schriftsteller, und kein Buch von ihm war noch lieferbar. Wenige Jahre zuvor hatte er in Second- Hand-Läden alte Ausgaben seiner Romane aufgekauft und versucht, die Filmrechte an seinem G e s a m t w e r k für 500 Dollar an Hollywood zu verkaufen. Zum Glück seiner Erben griff keiner dieser instinktlosen Glamourpiraten zu, und heute müssen die Produzenten tief in die Tasche greifen, wenn sie ein Thompson-Recht erwerben wollen. An seiner Beerdigung in Westwood nahmen nur wenige Menschen teil; lediglich vier Trauergäste gehörten nicht der Familie an, darunter Thompsons langjähriger Lektor und Freund Arnold Hano: „Ich fühlte mich schlecht, es waren nur wenige Leute da. Es kam mir vor, als wäre ich in einer Jim Thompson-Geschichte.“

Jim Thompson wurde am 27.September 1906 im Gefängnis des Caddo County in Anadarko im Oklahoma Territory (das erst ein Jahr später als Bundesstaat anerkannt wurde) geboren. Thompsons Vater war dort Sheriff, nachdem er zuvor als Ölmann eine Million Dollar gemacht und verloren hatte. Jim war ein echter Junge vom Land und lernte als Kind die Ölfelder von Oklahoma und Texas und die Prärien von Nebraska kennen. Landschaften, die in seinen späteren Romanen immer wieder eindrucksvoll verarbeitet wurden. Sein Verhältnis zu seinem Vater, der ein glückloser Rumtreiber war, blieb zeit seines Lebens problematisch. Nie schien er dessen Anerkennung erringen zu können, und bis zu seinem eigenen Tod fühlte er sich als Versager. Jim begann mit vierzehn Jahren zu schreiben und veröffentlichte seine erste Story mit fünfzehn. Daneben beendete er die Schule und hatte verschiedene Jobs als Hotelboy (davon erzählt er in dem grandiosen autobiographischen Roman BAD BOY, 1953) und Golfcaddy. An der Universität von Nebraska, wo er Journalismus studierte, lernte er 1931 Alberta Hesse kennen, die er 1932 heiratete. Zu diesem Zeitpunkt war Alberta mit dem ersten Kind schwanger, zwei weitere sollten folgen. Die Ehe hielt bis zu seinem Tod, 46 Jahre. Nach der Geburt seiner Tochter Patricia gab Jim das Studium auf, um Geld für seine Familie zu verdienen. Das war in den Jahren der Depression nicht so leicht, und Jim hatte zahlreiche, obskure Jobs und brachte die Familie kärglich als kleiner Geschäftemacher oder Ölfeldarbeiter durch. Geldsorgen sollten ihn bis an sein Lebensende begleiten. Mitte der 30er Jahre war er für drei Jahre Direktor des „Writer’s Project“ in Oklahoma City, ein Projekt des New Deals von Roosevelt für arbeitslose Schriftsteller und einer von Jims besseren Jobs. In dieser Zeit fasste er wohl den endgültigen Entschluss, sich künftig als Autor durchs Leben zu schlagen.

351_67610_105254_xl[1]1942 erschien sein erster Roman, NOW AND ON EARTH. Bis 1949 folgten zwei weitere, wobei der letzte, NOTHING MORE THAN MURDER, 1949, bereits Thompsons Markenzeichen einführt: den psychopathischen Ich-Erzähler. Der große Erfolg als Autor blieb jedoch aus und Jim wurde in den vierziger Jahre zunehmend zum Alkoholiker. Anfang der 50er Jahre hatte er mehrere Jobs bei Zeitungen und schrieb regelmäßig über wahre Kriminalfälle für die „True Crime“-Magazine. Kurze Zeit hielt er sich sogar als Managing Editor für eines dieser billigen Magazine, bevor ihm sein Alkoholismus einen weiteren Rausschmiss bescherte. 1952 schien Jim am Ende zu sein, ein hoffnungsloser Säufer, der keinen Job mehr vernünftig auf die Reihe brachte. Das muss ihm in einem seiner seltenen klaren Momente bewusst geworden sein. Jedenfalls stoppte er das Trinken, nüchterte aus und beriet sich mit seiner Agentin Ingrid Hallen. Die schleppte den noch zittrigen Thompson kurz entschlossen in die Büros von Jim Bryans und Arnold Hano, den Lektoren des neuen Taschenbuchverlags Lion Boocks. Anfang der 50er Jahre schossen die Taschenbuchverlage nur so aus dem Boden. Mit billigen Nachdrucken von Bestsellern und immer mehr spannenden Originalromanen, meist Western, Liebesromane oder Thriller, verdrängten sie die Magazine (Pulps) in der Gunst des Publikums und bedienten einen schier unersättlichen Markt. Hano mochte den schüchternen Mann sofort. Er legte ihm ein paar äußerst grobe und klischeehafte Konzepte für Romane vor, die er für den Verlag geschrieben haben wollte. Jim wählte zwei davon aus. Aus dem zweiten wurde CROPPER’S CABIN, Thompsons optimistischster und Erskine Caldwel ähnlicher Roman (das für Thompson überhaupt nicht typische Schlusskapitel beruhte auf einer Anordnung des Verlages, der das ursprüngliche, pessimistische Ende nicht akzeptierte). Das andere Konzept trug den Titel SLEEP WITH THE DEVIL und handelte von einem Großstadtpolizisten, der sich in eine Prostituierte verliebt und sie dann umbringt. Daraus sollte Jims erstes Buch für Lion werden, der unsterbliche schwarze Klassiker THE KILLER INSIDE ME, für viele Jims bestes Buch. Mit Hanos Konzept hat der Roman nicht mehr viel zu tun. Thompson schrieb THE KILLER INSIDE ME in zwei Wochen und bekam 2000 Dollar für den Roman. Hano war so sehr von dem Buch beeindruckt, dass er es als Kandidaten für den National Book Award einreichte. Und niemand, der die Geschichte von Sheriff Lou Ford gelesen hat, wird diesen düsteren Roman je vergessen können.

Ohne jeden Zweifel gehört es zu den zehn wichtigsten und einflussreichsten Werken der nordamerikanischen Kriminalliteratur. Erstmals wurden in diesem Buch Elemente der Hard-boiled-novel konsequent und geradezu diabolisch mit der Psychoanalyse verbunden. Das die Erzählung vom psychopathischen Täter selbst vorgetragen wird, ist heute natürlich nichts ungewöhnliches mehr, war aber 1952 ein innovatives Wagnis. Bedenkt man, dass der Killer ein Polizist ist und das Buch zur Zeit der Terrorherrschaft des Senator McCarthy erschien, muss man es auch als ein mutiges Buch anerkennen. Genreimanent stellte es zusätzlich den gerade seinen Siegeszug in der Publikumsgunst beginnenden Polizeiroman auf den Kopf. Marcel Duhamel, Herausgeber von Gallimards Serie Noire, die als erste für Thompsons Anerkennung als brillanter Schriftsteller sorgte, erinnerte Thompson an Henry Miller, Erskine Caldwell und Céline. Er sagte über ihn: „Thompsons Werk unterscheidet sich grundlegend von mittelmäßiger Kriminalliteratur; er besitzt einen völlig eigenen Stil und eine höchst individuelle Weltsicht.“ Und Thompson selbst: „Alle Schriftsteller, angefangen bei Cervantes, haben nur ein Thema: Die Dinge sind nicht so, wie zu sein scheinen.“ Das trifft seine Romanwelt ziemlich genau: Lou Ford scheint ein netter, menschenfreundlicher Deputy Sheriff zu sein und ist doch in Wirklichkeit ein psychopathischer Killer. Auch staatliche Institutionen und demokratische Kontrollinstanzen zeigen sich hinter den Kulissen nicht als das, was sie nach außen vorgeben zu sein. Thompson zeigt in jedem seiner Romane ein rabenschwarzes Bild der nordamerikanischen Gesellschaft. Er zeigt, wie sehr Gewalttätigkeit, Machtstreben und Korruption mit der kapitalistischen Gesellschaft verbunden sind. Sein Markenzeichen, der paranoide Schizophrene, ist nichts anderes als die perverse Konsequenz aus dem Verfassungsgrundsatz, dass jeder „Amerikaner das Recht hat, nach seinem Glück zu Streben“.

Für Thompson, der kurze Zeit in der Kommunistischen Partei war, Marx gelesen hatte und von Naturalisten wie Zola, William Cunningham und Frank Norris beeinflusst war, gab es nie einen Zweifel daran, dass das System naturbedingt Millionäre genauso hervorbrachte, wie es psychisch kranke Killer zeugte. In Thompsons Welt können die Dämonen des Schicksals nicht bezwungen werden. Die Kreatur – und seine Menschen sind allesamt armselige Kreaturen – ist ohnmächtig diesem Walten und den gesellschaftlichen Machtverhältnissen ausgeliefert. Bestenfalls können sie sich durch äußerste Brutalität für einige Zeit einen Freiraum erkämpfen.

Jims Tage als Hardcoverautor waren gezählt. Für den Rest seines Lebens schrieb er direkt für die grellen, reißerischen Taschenbuchreihen. Sicherlich auch ein Grund, weshalb die amerikanische Literaturkritik seinen Stellenwert erst lange nach den Europäern entdeckte. Ein Schicksal, das er allerdings mit vielen anderen Autoren teilte, nicht zuletzt mit David Goodis, John D.MacDonald, Charles Williams oder Cornell Woolrich.

Bis 1954 entstanden elf weitere Bücher für Lion-Books, dann verließ Hano den Verlag, nachdem man beschlossen hatte, künftig keine Originalromane mehr zu veröffentlichen. Jim war so geschockt, dass er wieder zu trinken begann. Er schlug sich mit Zeitungsjobs durch und veröffentlichte nebenher weiter Romane bei billigen Taschenbuchverlagen.
Jim Thompson - The Alcoholics[1]
Sein Lektor Arnold Hanno erinnerte sich, wie es zu dem Roman THE ALCOHOLICS kam: „Jim sagte, er wolle ein Buch über Alkoholismus schreiben. Er argumentierte: es gibt 4o Millionen Alkoholiker und ich werde 40 Millionen Bücher verkaufen.“ Thompson übersah wohl, dass die meisten dieses Ordens ihre Zeit nicht mit Lesen verplempern.45698[1]

Ein Hoffnungsschimmer erschien am Horizont, als der junge Regisseur und Thompson-Fan Stanley Kubrick sich an ihn heranmachte. Durch ihn erhielt er ein paar Drehbuchaufträge und war für kurze Zeit im Hollywood-Geschäft. Aber die beiden Männer waren zu verschieden, sie verstanden einander nicht wirklich und schließlich endete die Freundschaft mit einem Prozess. Thompsons weiteres Leben bestand aus Enttäuschungen, kurzen euphorischen Phasen, furchtbaren Alkoholexzessen und schließlich tiefster Niedergeschlagenheit. 1975 tauchte er in einer kleinen Nebenrolle, als Richter Grayle, in Dick Richards Chandler-Verfilmung FAREWELL MY LOVELY auf. Dabei sah er Robert Mitchum wieder, den er 1948 während eines Jobs als Reporter interviewt hatte als dieser wegen des Rauchens von Marihuana eine kurze Gefängnisstrafe verbüßen musste. Auch sein gigantischer Erfolg in Frankreich, wo man ihn neben Hammett und Chandler als einen der wichtigsten Autoren des 20.Jahrhunderts verehrte, gab dem Gebrochenen keine Kraft mehr.

Als Jim starb, war er am Ende seines Weges angelangt und blickte auf ein Leben zurück, das kaum weniger schrecklich war, als das seiner Romanhelden. Sein Leben war eine gruselige Soap Opera ohne Quoten und seine Bücher die letzten Haltestellen auf dem Weg in die Hölle. Thompson war von ihrer literarischen Qualität immer überzeugt. Heute ist es auch die restliche Welt und jeder, der kein kompletter Ignorant ist, weiß bei der Lektüre von THE KILLER INSIDE ME, das er einen der großen Romane des 20. Jahrhunderts liest. Er selbst hatte seiner Frau gesagt, in zwanzig Jahren, also nach seinem voraussehbaren Tod, würden sie Bedeutung haben. Speziell in wirtschaftlicher Hinsicht – wie die vielen Verfilmungen und Neuauflagen belegen.