Martin Compart


DAS CRIME-JAHR BEGINNT MIT LES EDGERTON by Martin Compart
19. Januar 2024, 1:49 pm
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Frank Novatzki legt einen weiteren Band des letztes Jahr verstorbenen Autors vor.

‎PULP MASTER Bd.45
Taschenbuch ‏ : ‎ 270 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3927734934
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3927734937
Originaltitel ‏ : ‎ The Bitch
16,00 €
E-Book 11,99 €

https://www.pulpmaster.de/wp/

Jake Bishop ist voll resozialisiert und träumt gemeinsam mit seiner Frau Paris den amerikanischen Traum, der sich als eigener Friseursalon materialisieren soll. Doch seine kriminelle Vergangenheit holt Bishop ein, und zwar in Gestalt seines ehemaligen Zellenkumpels Walker, der ihm im Knast das Leben rettete und nun, frisch entlassen, im Gegenzug etwas Starthilfe einfordert. Sich des über seinem Kopfe schwebenden Damoklesschwertes bewusst – einer bei der nächsten Verurteilung anstehenden lebenslangen Haftstrafe –, lehnt Jake entschlossen ab. Doch der Auftraggeber im Hintergrund hat Jakes Schwachstelle längst ausgemacht und zwingt ihn, den Einbruch bei einem lokalen Juwelier durchzuziehen …

Ein rabenschwarzer Noir des US-Autors Les Edgerton, der hier eindrucksvoll zeigt, wie schnell Stigmatisierung und gesellschaftliche Unfreiheit in ein Pandämonium menschlicher Abgründe führen können.

P.S.: Für Fitzeck-Leserinnen völlig ungeeignet, da es ihr intellektuelles Niveau und ästhetisches Empfinden um Lichtjahre übersteigt. Das ist hier was für Interessierte, deren Horizont über RTL oder SAT 1 hinaus geht. 
Anmerkung des Bloggers



Megan Abbott „Aus der Balance“ (The Turnout“) von Jochen König by Martin Compart

„Aus der Balance“ ist der erste Roman einer Autorin im verdienstvollen Pulp Master-Verlag. Frank Nowatzki geht gleich aufs Ganze: Mitten hinein in die Abgründe einer Ballettschule. Spätestens seit Dario Argentos „Suspiria“ (und der exzellenten Neuinterpretation Luca Guadagninos) wissen wir, welche höllischen Gefahren dort lauern können.

Bei Megan Abbott gibt es keine blutigen Morde, kein Hexen- oder Teufelswerk, ihre Hölle beginnt auf kleiner Flamme, befeuert durch dunkle Ahnungen, Obsessionen, Täuschungen, Verrat und Schuldgefühle. Der Herd des Ganzen ist die Keimzelle der Gesellschaft, die Familie. Megan Abbott ist sehr gut
aufgehoben in der dunklen, verschachtelten, höchst faszinierenden literarischen Welt von Pulp Master.

Oder wie Thekla Danneberg in ihrem lesenswerten Nachwort schreibt: „Es ergibt eine hübsche Punchline, dass der Verlag ausgerechnet mit dem Roman Aus der Balance beginnt, einem Roman über das Ballett, die Welt von Tüll und Tutu, Satin und Spitzenschuhen, in der alles zart und rosa erscheint. Wenn schon, denn schon, könnte man denken,aber tatsächlich passt Megan Abbott in diesen Kosmos aus Pulp und Noir wie die Faust aufs Auge.“

Pulp Master 58
Megan Abbott
Aus der Balance
Übersetzt von Karen Gerwig und Angelika Müller
Mit einem Nachwort von Thekla Dannenberg
415 Seiten
Pulp Master 2023, EUR 16,00

Dara und Marie sind die Töchter der berühmten Ballerina Mrs. Durant (Vornamen bekommen beide Elternteile nicht). Marie ist die besessenere Tänzerin, vielleicht auch die bessere, Dara ist rationaler, fokussierter – so scheint es jedenfalls. Sie ist verheiratet mit Charlie, einem begabten und ehemals vielversprechenden Tänzer. Bis dessen malträtierter Körper sich dem Tanz verweigerte.

Megan Abbott und ihre (nicht sehr zuverlässige) Erzählerin Dara verbringen viel Zeit damit, die körperlichen Verwüstungen zu beschreiben, die exzessiver Balletttanz mit sich bringt.
Und die natürlich symbolhaft für innere Deformationen stehen.

Das Trio wohnt gemeinsam im Elternhaus der Schwestern, Charlie war bereits als Ziehkind Teil der Familie Durant.
Seit die Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen, hat sich das Verhältnis noch gefestigt. Doch nicht nur die Frage, wer am Steuer bei der tödlichen Fahrt saß, zeigt wie brüchig die Beziehungen sind. Fluchten werden geplant und nicht konsequent umgesetzt, immer wieder hockt das Trio aufeinander und arbeitet mit ehrgeizigen Eleven an der jährlichen Aufführung von Tschaikowskis „Nussknacker“. Das Ballett und die Proben dafür konterkarieren und kommentieren Daras Erzählungen vom Zusammenleben, den Versuchungen, Erschütterungen, Verschwiegenheiten und dunklen Geheimnissen.

Als nach einem Brand der Bauunternehmer Derek ins Leben der Kleinfamilie tritt, bröckelt die Fassade der unheilen Welt noch weiter. Die labile Marie verliebt sich in den grobschlächtigen Mann, während Dara ihr Leben okkupiert und in Gefahr sieht. Derek wird zur Nemesis der Durants, wobei Zweifel bleiben, ob Daras Schlussfolgerungen der Realität entsprechen.

Die gewählte Erzählperspektive setzt Megan Abbott mit großem Geschick ein. Daras eingeschränkte
Wahrnehmung und Kunst der Verdrängung bilden den perfekten Nährboden für heftige, allerdings jederzeit nachvollziehbare Twists. „Aus der Balance“ ist ein klug gewählter deutscher Titel fürs Original „The Turnout“.
Denn das Leben der Protagonisten gerät völlig aus der Bahn, nachdem es bereits lange Zeit ein Tanz auf der Rasierklinge war. Geheimnisse und Lügen werden aufgedeckt, Ängste erzeugt und besiegt. Und es wird Tote geben, bis die Premiere des „Nussknackers“ endlich stattfinden kann.

„Aus der Balance“ ist ein Psycho-Thriller der besonderen Art. Er ist auch ein Noir, dessen Handlung dem Dunkel entgegensteuert, ein Horror-Roman, in dem sich das Grauen still und leise, quasi über die Hintertreppe der Ballettschule hereinschleicht. Selbst wenn nicht viel passiert, herrscht eine Atmosphäre des Unbehagens. Megan Abbott ist meisterlich darin, kriechenden Schrecken aus kleinen, scheinbar alltäglichen Gegebenheiten zu ziehen. Sie braucht keine Blutorgien, keine überkandidelten Wendungen, die Lesende erschlagen, statt zu überzeugen. Abbott genügen Unsicherheiten, Verblendungen (insbesondere der Erzählerin Dara), leichte Abweichungen im Tagesablauf, um die Dinge aus der Balance zu bringen. Die selbst in den vermeintlich besten Momenten, ein fragiles Konstrukt ist.

Dazu gesellen sich Mobbing, besonders unter den kleinen Ballerinen, Obsessionen, Eifersucht, Neid sowie die Unfähigkeit, Konsequenzen aus dem zu ziehen, was gefühlt oder offensichtlich aus dem Ruder läuft. Von Veränderungen ganz abgesehen. Die, wenn sie denn doch geschehen, brachial über die Beteiligten hereinbrechen, anstatt überlegt in Angriff genommen zu werden.
Der Roman zeigt Menschen, denen es nicht gelingt, toxischen Beziehungsgeflechten zu entfliehen, die lieber versuchen, sich hineinzuschmiegen, als wäre ein Spinnenznetz eine Wohlfühloase.
Das betrifft nicht nur die Durant-Schwestern und ihren ewigen Spielkameraden Charlie, sondern auch die Figuren am Rande. Wobei nicht eindeutigfestliegt, wer gerade die Spinne ist, bereit ihre Opfer zu verschlingen.

„Aus der Balance“ gelingt es hervorragend, den Horror der Ambivalenz zu erfassen. Leichte Veränderungen im wiederholt Erzählten, vielschichtige, glaubwürdige Charaktere und eine behutsame, aber kontinuierliche Spannungssteigerung (mit einigen Explosionen) machen das Buch zu einem geschliffenen, schmerzhaften wie lustvollen Stück Literatur.

Und wir hoffen, dass weitere Werke Megan Abbotts in deutscher Übersetzung folgen. Der Pulp Master-Verlag hat einen wichtigen und richtigen ersten (angesichts von „Das Ende der Unschuld“ zweiten) Schritt getan.



ENDLICH IN DEUTSCH: MEGAN ABBOTT by Martin Compart
16. Februar 2023, 12:27 pm
Filed under: Noir, Pulp Master/Frank Nowatzki | Schlagwörter: , ,

Dara hat ihr Leben im Schatten ihrer glamourösen Mutter verbracht. Zusammen mit ihrer Schwester Marie und ihrem Ehemann Charlie – dem ehemaligen Starschüler ihrer Mutter – leitet Dara jetzt die Ballettschule, die ihre Mutter einst gründete. So kultiviert ihre geschlossene Welt auch sein mag, ist sie doch auch geprägt von rücksichtslosem Ehrgeiz und einem intensiven Wettbewerb, den die Schwestern zwischen ihren Elevinnen und Eleven befördern. Als nach einem Brand ein Bauunternehmer in ihr Leben tritt, um die Sanierung vorzunehmen, überwindet er die sorgsam bewachten Grenzen dieser Welt und setzt eine Kettenreaktion aus Verlangen, Verführung und Verrat in Gang.

Mit allen Mitteln des Schauerromans beschwört Megan Abbott die Atmosphäre eines Unheils in Rosé — Neid und Eifersucht, sexuelles Verlangen und Erniedrigung — und entwickelt eine Geschichte verhängnisvoller Familienbande und des psychosozialen Netzes aus Macht und Weiblichkeit dahinter.

Pulp Master 58

Megan Abbott

Aus der Balance

Übersetzt von Karen Gerwig und Angelika Müller
Mit einem Nachwort von Thekla Dannenberg

415 Seiten

Pulp Master 2023, EUR 16,00

ISBN 978-3-946582-16-8

Seit fast zwanzig Jahren gilt nun Megan Abbott als eines, von ernstzunehmenden Theoretikern sogar als DAS, größte Talent der zeitgenössischen Noir-Literatur. In Deutschland blieb sie bisher unbeachtet. Dank Frank Nowatzki und PULP MASTER ändert sich das endlich. Er veröffentlichte jetzt ihren jüngsten Roman, den ich trotz des Sujets lese: Nichts interessiert mich weniger als Ballett (ausgenommen vielleicht noch Karneval). Aber das spielt keine Rolle, denn das Buch ist ja von einer der brillantesten Stilistin der amerikanischen Gegenwartsliteratur.

Und hoffentlich legt Frank bald nach.



WYATT IST WIEDER DA by Martin Compart
14. Oktober 2021, 12:44 pm
Filed under: Noir, Pulp Master/Frank Nowatzki, Rezensionen | Schlagwörter: , , , , ,

Wyatt stiehlt. Und das ziemlich gut, denn er istvorsichtig wie eh und je, effizient und erfinderisch.Bei der Auswahl seiner Jobs greift er diesmal aufeinen Informanten im Knast zurück, der direkt ander Quelle sitzt: Sam Kramer. Bis zu dessen Entlassung kümmert sich Wyatt im Gegenzug um Kramers Familie. Doch der Afghanistan-Veteran NickLazar erfährt von dieser Vereinbarung. Über seinenInsider erfährt Lazar zudem, dass Kramer – undsomit auch Wyatt – zu Ohren gekommen ist, dassdem schlitzohrigen Finanzberater Jack Tremayne eine satte Anklage ins Haus steht und sein Koffermit einer Million schon griffbereit ist: Tremaynewill die Flatter machen …

Garry Disher trägt der Logik und Dynamik der globalen Finanzialisierung Rechnung und konfrontiert Berufsverbrecher Wyatt mit dem Ponzi-Schema:einem finanziellen Betrugssystem, womit Investitionen reicher Anleger verschleiert werden.

PULP MASTER Bd.53, 2021
Gary Disher:
MODER
9.Bd. der Wyatt-Serie
Original: KILL SHOR, 2018
Deutsch von Ango Laina u. Angelika Müller
Taschenbuch, 300 Seiten; € 14, 80. e-Book 9,99€.

Natürlich stand der große Donald Westlake als Richard Stark im Geburtssaal von Wyatt: „Ich habe alle Parker-Romane früh in meiner Schreibkarriere gelesen und wollte herausfinden, was ich mit einem cleveren Kriminellen als Hauptfigur anstellen kann. Ich wollte die Parker-Romane natürlich nicht kopieren, sondern meine eigene Herangehensweise entwickeln. Ich glaube, dass Wyatt ein reichhaltigerer Charakter als Parker ist, außerdem ist auch mein Plot dichter und sind die Nebencharaktere stärker entwickelt

Während Westlakes Parker-Romane immer schlechter wurden, werden Dishers Wyatt-Romane immer besser (und sind genauso wenig noch reine Hommagen wie Max Allan Collins Nolan-Bücher):
But Disher is more interested in emotion and less in surgical detail than Stark. Wyatt, though impatient with stupidity in others, is more social and susceptible than Parker. For one thing, he lets himself become involved with a woman during the caper’s planning, which Parker avowedly would never do. And when he does become involved, the feelings are more than just sexual. There are tenderness and vulnerability in Wyatt’s feelings for this novel’s femme fatale. There are also touches of humor here, both on the author’s part and the protagonist’s, where there would be none in a Parker book.
(http://detectivesbeyondborders.blogspot.com/2006/11/kickback-garry-dishers-thriller-and.html)



Schon wieder ein Tom Franklin! Die Freude ist groß by Martin Compart

Dank der Kernerarbeit von Frank Nowatzkis PULP MASTER bescheren uns die Abstauber von HEYNE HARDCORE nun Tom Franklin im Hardcover.

Aber wir wollen nicht ungerecht sein: die erste deutsche Übersetzung von Franklin war in der Allgemeinen Reihe von Heyne:

Es illustriert einmal mehr die heutigen Strategien der Großverlage:

1. Wir wurden – wodurch auch immer(Agent?) – auf einen neuen, vielversprechenden Autor aufmerksam.

2. Wir kaufen ihn und präsentieren ihn im Markt.

3. Er verkauft nicht soviel wie Dan Brown ab seinem dritten Buch. Wir sind nicht mehr interessiert.

4. Wir beobachten höhnisch, wie ein Kleinverlag seine weiteren Bücher in einer uninteressanten Nische des deutschen Marktes pflegt. „Naja, für ihn als Kleinverlag wirds ja reichen.“

5. Um den scheint sich sowas wie „Kult“ zu entwickeln. Und wir verkaufen von neuen Autoren immer weniger…

6. „Der kriegt immer mehr Aufmerksamkeit – auch im Buchhandel.“

7. Holen wir ihn zurück. Machen wir daraus ein Hardcover in der doppelten Auflagenhöhe von ungefähr der Auflage, die der Kleinverlag unter die Leute bringen konnte. Sonst hätte er ja keine drei Bücher durchgehalten. Und wenn wir als Großverlag ein paar Dollar mehr bieten, hat der Kleine keine Chance. Außerdem können wir ihm großherzig sagen: Das nützt ja auch Deiner Backlist.

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Das gilt ja nicht nur für Heyne.
Seitdem Controlletis und Marketing in den Großverlagen die Macht übernommen haben, bestimmt die Logistik das Kriegsziel.