Martin Compart


HANNIBAL – DIE ARROGANTESTE TV-SERIE by Martin Compart

„Ich möchte, das Sie an das Beste in mir glauben.“
Dr.Lecter

Mit Hannibal Lecter gelang dem US-Autor Thomas Harris eine nder überragenden Mythen der Kriminalliteratur zu schaffen, nicht ganz – aber fast! – auf dem Level von Sherlock Holmes oder James Bond.

Mit Sicherheit ist Harris´ Schöpfung die einflussreichste Figur des Genres und der Pop-Kultur seit den 1980er Jahren. Der Erfolg der Lecter-Romane machte den Serienkiller zum erfolgreichsten kriminalliterarischen Subgenre der letzten 40 Jahre (zum Leidwesen vieler) und zur Pop-Ikone.

Natürlich nicht von ungefähr: Keine andere Figur verkörpert diese Epoche genauer als der Serienkiller. Niemand symbolisiert den herrschenden Raubtierkapitalismus, der soziopathisch für kurze oder mittlere Bedürfnisbefriedigung über Leichen geht, effektiver als der Serienmörder.

Die Qualität von Thomas Harris Romanen steht – im Gegensatz zu den meisten seiner Epigonen – nicht in Frage. Die Verfilmungen sind akzeptabel (die erste, RED DRAGON von Michael Mann, ist sogar herausragend).

Die überragende Umsetzung des Lecter-Mythos ist m.E. die TV-Serie HANNIBAL, die sogar die literarische Vorlage übertrifft.

HANNIBAL ist wohl die arroganteste TV-Serie, die bisher gedreht wurde. Ohne Rücksicht auf bildungsferne Schichten dekliniert sie fin de siècle als Crime-TV. Trotz der Brutalität, die anfangs dem US-Sender NBC immerhin 4,36 Mio Zuschauer einbrachte, stürzte sie ab und konnte in ihrer vorläufig letzten Staffel (der dritten) nur noch 1,5 Mio Zuschauer erreichen.
In Deutschland war die Erfolglosigkeit noch dramatischer.

Sympathischer Weise interessierte das die Produzenten (darunter Martha De Laurentis, die die Film- und Fernsehrechte der literarischen Vorlagen hält) nicht im Geringsten. Mit internationaler Verwertung und DVD-Verkäufen ist der Profit gesichert. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass sie weiteres planen.

„Es gibt keinen Gott.“
„Mit dieser Einstellung, sicher nicht.“

Es gibt viele Bezüge zu den Romanen, aber auch entscheidende Abweichungen und Unterschiede: In der TV-Serie wird der Profiler Will Graham durch Dr.Lecter geformt und manipuliert. Am Ende der 1.Season hat Lecter alle Beweise seiner Verbrechen so manipuliert, dass Graham für sie verantwortlich gemacht wird.

Das kompromisslose Ende der Serie zeigt Lecter und Graham nach dem Niederringen des Roten Drachen als Liebespaar, dass sich quasi die Reichenbachfälle herunterstürzt.
2015 verkündeten Bryan Fuller und Martha de Laurentis, dass man eine 4.Season vorbereitet (die zwei Jahre nach der letzten Folge spielen soll; Holmes hat den Sturz in die Reichenbachfälle auch überlebt).

Mit der Nutzung der Digitaltechnik schaffen die Macher faszinierende Traumbilder, die assoziativ Erkenntnisse über Handlung oder Charaktere im Zuschauer freisetzen (können).

„Sein Tod ist nichts persönliches. Er ist nur die Tinte, mit der ich meine Verse schreibe.“

Die hier geschilderten Serienkiller sind derartig abstrus in ihren Motiven und Neigungen, dass die TV-Serie die Schwarze Romantik (nach Mario Praz) aktualisiert.

Überhaupt scheint neben Thomas Harris und der Film „7“ der Schriftsteller Joris-Karl Huysmans ein wichtiger Einfluss gewesen zu sein. In seinem Roman Á REBOURS lebt seine Hauptfigur den Ästhetizismus, in dem alles Künstliche dem Natürlichen vorzuziehen ist, bis zum exzessiven Niedergang aus.
Noch wichtiger könnte Huysmans Roman LÁ-BAS für die Serie gewesen sein: In ihm sucht ein dekadenter Literat, der an einer Biographie des „Vater aller Serienkiller“, Gilles de Rais, arbeitet Erfüllung im Satanismus.

In HANNIBAL wird die Natur auch optisch diskreditiert: Pflanzen wachsen zerstörerisch aus oder durch Körper (die Kamera zeigt es brutal im Zeitraffer) und Mörder, Serienkiller oder Perverse sind nichts anderes als Egozentriker in einem Danteschen Inferno.

Ton, Musik, Bild und Dialog bilden ein eigenes Universum, das nur innerhalb der Serie existiert.

In Harris´ Romanen hat sich das l´art pour l´art lediglich auf die Figur Dr.Lecter beschränkt; die anderen Personen, Handlungsorte und Plotlines sind in der sozialen Realität verankert.
In der TV-Serie ist Dekadenz der Kosmos, in dem Krieg zwischen Moral und Ästhetizismus herrscht. Losgelöst von soziologischen Impulsen spielt HANNIBAL in einer Parallelwelt, wodurch man die Serie als Noir-Fantasy oder Noir-Horror kategorisieren könnte. Auch hier führt Dekadenz in den Wahnsinn („Sie haben sehr spektakulär ihren Verstand verloren.“).
Die Serie bewegt sich in Räumen des Irrsinns, in denen sich vor den Augen des staunenden Zuschauers eine eigene Logik manifestiert. „Ich lasse mich von etwas so formbaren wie der Wahrheit nicht eingrenzen.“

Eine Parallelwelt, die fast ausschließlich aus Empathie freien Menschen besteht und in der Empathie immer weiter zurückgedrängt wird, den Fahndern nur als Aufklärungsinstrument dient (darin besteht vielleicht ein dystopischer Bezug zur sozialen Realität der Zuschauer).

Die immer wiederkehrenden Großaufnahmen von lukullischen Köstlichkeiten und ihres Verzehrs in verschwenderischen Farben, kippen den Zuschauer innerhalb weniger Sekunden von Gourmetfaszination in Ekel. Ein höchst informatives Gespräch über die Bildsprache in HANNIBAL findet sich unter: https://tv.avclub.com/hannibal-s-powerful-visuals-make-it-one-of-the-best-sho-1798242349

Für den DER SPIEGEL ist die Serie fast zu viel: „Das permanente Dräuen des Wahnsinns, die fehlende Entspannung und die kaum vorhandenen Glücks- oder Humormomente machen die Serie zu einer fast körperlichen Belastung: Sie staffelweise wegzugucken, ist ein nahezu unmögliches Unterfangen.“(Online 9.10.2013)

„Wovor ziehen Sie sich zurück?“
„Soziale Bindungen.“

Mads Mikkelsen ist natürlich der Star in diesem Ensemble blendender Schauspieler (wie in Hollywood inzwischen üblich, bedient man sich bei Ausländern für Starrollen, besonders bei den Briten wie hier mit Hugh Dancy als Graham).
Mikkelsen chargiert nicht wie Anthony Hopkins, sondern verkörpert Lecter als bedrohlichen Stoiker, der anscheinend lediglich aus sich ein wenig heraus geht, wenn er mit guten Speisen und Getränken konfrontiert wird.

Von Anfang an plante Fuller die ersten drei Seasons als eine perverse Liebesgeschichte, die sich zwischen Graham und Lecter entwickelt. Mikkelsen spielt Darcy gegenüber seinen homosexuellen Charme so dominant aus, dass dieser manchmal wie ein Kaninchen vor der Schlage wirkt, bevor er sich in einen beißfreudigen Mungo verwandelt.

In der dritten Season treiben sie – inhaltlich orientiert am dritten und ersten Harris-Roman – den Wahnsinn auf die Spitze; die surrealistische Bildsprache erreicht ihren Höhepunkt und driftet häufig ins psychedelische.

Diese TV-Serie ist wahrlich mit keiner anderen vergleichbar und baut einen so eigenen und in sich geschlossenen Kosmos, wie es auf völlig anderer Ebene nur THE PRISONER gelang.

P.S.: Dies ist wohl das letzte mal, dass ich mit einem funktionstüchtigen Classic Editor in meinem wordpress-Blog arbeiten konnte. Deshalb nenne ich hier meinen neuen Blog, in dem ich künftig schreiben werde: https://martincompart.blogspot.com/

HANNIBAL

US-TV-Serie. 39 Episoden in drei Staffeln, 2013-15.

Dr. Hannibal Lecter Mads Mikkelsen Matthias Klie
Will Graham Hugh Dancy Marcel Collé
Dr. Alana Bloom Caroline Dhavernas Susanne Geier
Beverly Katz Hettienne Park Victoria Sturm
Special Agent Jack Crawford Laurence Fishburne Leon Boden
Jimmy Price Scott Thompson Gerald Schaale
Brian Zeller Aaron Abrams Matthias Deutelmoser
Dr. Bedelia Du MaurierF Gillian Anderson


Wir wollen unsern Kaiser Wilhelm wieder haben! NACH 13 JAHREN: DER NEUE THOMAS HARRIS-Roman „CARI MORA“ by Martin Compart
22. Mai 2019, 10:07 am
Filed under: Rezensionen, Thomas Harris, thriller | Schlagwörter: , , , , ,

Die Schreie einer Frau sind Musik in Hans-Peter Schneiders Ohren. Er ist groß, blass, haarlos, und wie ein Reptil liebt er die Wärme. Menschen begegnen ihm mit Angst und Ekel. Er ist daran gewöhnt. Denn wenn sie das Monster in ihm erkennen, ist es meist zu spät. Bis der Killer sich Cari Mora aussucht. Die junge Frau hat keine Angst vor dem Grauen und wagt es, dem Dämon ins Auge zu blicken.
Cari Mora ist eine ehemalige Kindersoldatin und auch die Hüterin einer Villa in Miami Beach, die einst Pablo Escobar gehört hat. Hier sollen 25 Millionen Dollar in Gold versteckt sein, gesichert durch 15 Kilo Semtex.
Neben Schneider sind noch andere an den Dollars interessiert, die ebenfalls nicht zimperlich sind
.

Aus dem Amerikanischen von Imke Walsh-Araya
Originaltitel: Cari Mora
Hardcover mit Schutzumschlag, 336 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-453-27238-5
€ 22,00

Thomas Harris ist einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Kriminalliteraten der letzten vierzig Jahre. Für den Erfolg des Serienkiller-Romans war er ähnlich verantwortlich wie Dan Brown für den Conspiracy-Thriller, indem er ein Subgenre bestsellertauglich machte.

Außerdem schuf er mit der Figur des Hannibal Lecter einen populärkulturellen Mythos, durchaus vergleichbar mit Sherlock Holmes, Flashman, Dracula oder 007.

Lecter ist inzwischen ähnlich multimedial verbreitet und neben den gelobten Filmen sehe ich die TV-Serie (siehe https://crimetvweb.wordpress.com/category/h/hannibal/) als überzeugendste und beeindruckendste Umsetzung der Figur.
Die Inspiration für Lecter war ein mexikanischer Gefängnisarzt, dem Harris als junger Reporter begegnete.

Seit 1975 (sein Debut war der Katastrophenthriller BLACK SUNDAY, verfilmt von John Frankenheimer) schrieb er lediglich fünf Romane, vier davon mit Hannibal Lecter. Mit RED DRAGON, 1986 genial und mit auf die Spitze getriebener „Miami Vice“-Ästhetik von Michael Mann verfilmt, der damals sagte: „Das ist einfach die beste Kriminalgeschichte, die mir je in die Finger gekommen ist.“, und THE SILENCE OF THE LAMBS schrieb Harris zwei der besten und stilprägendsten Thriller in der Geschichte des Genres (zu Serienkiller siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/category/shane-stevens/).

Dieser Autor muss nichts mehr beweisen.
Vielleicht ein Grund, weshalb der neue Roman fast experimentell wirkt, indem er Erwartungshaltungen unterläuft, annähernd sabotiert (ein Kapitel ist gar aus der Perspektive eines Krokodils geschrieben und seine Faszination der Fauna Floridas erinnert an die Faszination der Flora des amerikanischen Südens bei James Lee Burke).

Zur Veröffentlichung gab Harris das erste Interview seit den 1970er Jahren (https://www.nytimes.com/2019/05/18/books/thomas-harris-new-book.html).
“I’ve been fortunate that my books have found readership without me promoting them, and I prefer it that way,”

Foto: Rose Marie Cromwell für The New York Times.

„Harris and I met on a bright, muggy morning in the parking lot of the Pelican Harbor Seabird Station, an animal rescue center on Biscayne Bay that features prominently in his new novel. Cari works there as a volunteer, caring for injured birds. Harris, a nature lover, has been visiting the center regularly for 20 years. He’s brought orphaned squirrels and an injured ibis there, and he took a wildlife rehabilitation workshop, learning how to intubate a distressed animal by practicing on a dead possum.“

Der neue Roman ist ein Gegenentwurf zur Lecter-Serie und ein Heist Thriller. Dem 79jähigen Autor geht es nicht mehr um Ästhetik, Wissenschaft und Krankenbilder, sondern um die brutale Realität im Lemming-Kapitalismus, in dem alles zur Ware wird.

Der deutschstämmige Soziopath Schneider ist allerdings ein echtes Harris-Monster, das aus Geldgier und Sadismus besteht, und mit seinem Geschäftsmodell den Ausverkauf einer Zivilisation betreibt. Anders als Lecter ist Schneider kein Connaisseur.

In den Lecter-Romanen thematisiert Harris die Exotik des Bösen, in CARI MORA beschreibt er dessen Banalität. Das enttäuschte viele Kritiker, die Charaktere und Spannungsbögen nicht überzeugte. Vom „Guardian“ über „Washington Post“ bis zur „Stuttgarter Zeitung“ ist das Gejammer groß, dass Harris nicht das Buch geschrieben hat, dass die Kritiker gerne gelesen hätten.

Bereits sein letzter Roman HANNIBAL RISING, 2006, enttäuschte Kritiker und Publikum; es war die Novelisierung eines erpressten Filmskriptes, über die Harris ambitioniertes sagte: „Harris says that’s because he wrote some of the exchanges between Hannibal and his aunt, Lady Murasaki, in the poetic style of the Heian period, as a homage to the 11th-century Japanese novel, “The Tale of Genji.” The allusion was apparently lost on some readers.” (NYT).

Manchmal scheint es, als wolle Harris die selbst geschaffenen Klischees aus der Lecter-Serie „dekonstruktivieren“. John Connolly teilt wohl diese Einschätzung; in seiner Rezension in der „Irish Times“, in der er sie mit der Dylans Dekonstruktion seiner Songs in den 1980ern vergleicht.

Auch stilistisch geht Harris in diesem kurzen Roman andere Wege: Keine barocke Üppigkeit, wie häufig in den Lecter-Romanen, mit genauer Darstellung des Innenlebens der Figuren, sondern „stripped to the bone“ wie eine Hemingway-Story. Konservierte Energie. Sein kürzester Roman.

CARI MORA ist auch ein Florida-Roman. Harris, 1940 in Mississippi geboren, lebt seit dreißig Jahren hier und engagiert sich im Tierschutz.

Er schildert ein Florida, dass John D.MacDonald nicht in seinen schlimmsten Prophezeiungen vorausgesehen hat und das noch über die Beschreibungen von Elmore Leonard oder James W.Hall hinausgeht.

Er zeigt das heutige Inferno, das eine Folge ist, seitdem die USA ganz offen auf beiden Seiten des „Drogenkrieges“ agieren (DEA und FBI sorgen für stabile Preise, die CIA für Nachschub und Chaos in den Anbauländern, Wall Street für Banken- und Konzernkapital durch Drogengelder und der militärisch-politische Komplex für Armut und politische Dominanz).

Wie sagte Harris im Interview?
“I don’t think I’ve ever made up anything. Everything has happened. Nothing’s made up. You don’t have to make anything up in this world.”

Man könnte den Kampf zwischen der Kolumbianerin Cari gegen den geldgierigen Sadisten Schneider, der unübersehbar als Krieg zwischen Gut und Böse angelegt ist, auch als Bildnis des Verhältnis zwischen der 3.Welt und dem US-Imperialismus interpretieren. Zudem bedeutet der Vorname der Heldin, Caridad,  auch noch Nächstenliebe, Wohltätigkeit oder Almosen. Ein kluger Mensch wie Harris, wird sich da etwas gedacht haben. Dass Schneider einer deutschen Familie aus Paraguay entstammt, ist ebenfalls nicht ohne Symbolkraft: Stehen doch die nach Paraguay geflüchteten Nazis für die extremste Form des Kapitalismus, dem Faschismus.

Während es in den Lecter-Romanen noch so etwas wie dekadente Hoffnung durch forensischen Fortschritt gab, beschreibt Thomas Harris in CARI MORA eine Welt, in der man es kaum erwarten kann, dass das Artensterben endlich den Homo Sapiens erreicht.

Leider ist in der deutschen Ausgabe das Nachwort von Harris nicht enthalten. Stattdessen gibt es sinnlose sieben Kapitel von DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER mit dem Betteln ums weiterlesen.

Ob mir das Buch gefallen hat? Es hat mir extrem gut gefallen.

Auch die Komik, die der Spannung nichts nimmt, fand ich herzerfrischend: „Abgesehen von X hatte das Krokodil erst ein Mal einen Menschen gefressen, einen Säufer, der von einem Boot voller Säufer fiel und weder damals noch später vermisst oder betrauert wurde. Nachdem ihn das Krokodil verspeist hatte, war es eine ganze Stunde lang ziemlich beschwipst.“