Martin Compart


ZU UNRECHT VERGESSENE SONGS (+TV-Serien) by Martin Compart

Es gibt wohl keine andere Fiktionalität, die das Versagen des Kapitalismus als Zivilisationskonzept deutlicher macht als die zum Teil unerträgliche TV-Serie(wegen der Sentimentalität) SONS OF ANARCHY.

Ich habe noch nie ein Kunstwerk erfahren, über dem eine derartig sentimentales Dystopiebewußtsein schwebt und niederkracht.

Es ist wohl auch die grausamste und brutalste Serie, die bisher für das Fernsehen gedreht wurde.

Und mit Gewissheit hat Kurt Sutter intensiver und intelligenter Shakespeare revitalisiert als eine Elendsgestalt wie John Milius, die Shakespeare immer nur in der Ausgabe der „Illustrierten Klassiker“ als Monstranz für eine Verdrängungsindustrie vor sich her schleppte. Am beeindruckenden Opfergang des Protagonisten sieht man aber auch, dass Sutter in der christlich-jüdischen Ideologie viel stärker verhaftet ist, als es Shakespeare je war.

Im Vergleich zu SOA ist MAD MAX ein freundlicher Nachmittags-Western für die Waltons oder Cartwrights (deren direkte Nachfahren die Tellers & Co. sind; nein: Sie sind ihre logische Konsequenz).

Ach ja: Es bedurfte eines Co-Producers wie Kem Nunn um das Elend der ersten vier Staffeln zu einem schier unerträglichen Finale in zwei Seasons zu führen.

Und natürlich endet es nach der Schuldgeladenheit im Selbstopfergang als Erlösung, da die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen ideologisch nicht mehr vorstellbar sein dürfen.

Mrs. Bundy ist wohl für den Rest ihres Lebens Lady Macbeth.

Die menschliche Spezies mit ihrer Krämermentalität ist außergewöhnlich unangenehm. Intelligenz ohne Bewusstsein. Diese Serie ist unmoralisch und nicht amoralisch – wie jeder Mist, der auf der Mayflower gründet.

Diese White-Trash-Serie ist gleichzeitig blöde, berührend und beeindruckend.

Eine weitere Serie, die zeigt, dass die USA völlig am Arsch sind und was Europa droht, wenn wir weiterhin die Neo-Cons leben und handeln lassen. Es ist nicht nur Umweltzerstörung, die sie betreiben.

Bandenkriminalität – von Clans bis Neo-Nazis – haben wir inzwischen auch reichlich.



MEYER LANSKY – DER PIONIER DES ORGANISIERTEN VERBRECHENS by Martin Compart

Als FBI-Agenten Mitte der 80er Jahre eine Razzia in der Zentrale der Mafia-Familie Lucchese durchführten, entdeckten sie zwei Fotos an der Wand: eines von Al Capone und eines von Meyer Lansky, allgemein immer als „Buchhalter der Mafia“ verkannt.
Zwei Ikonen des Organisierten Verbrechens, die zwei entscheidende Aspekte verkörpern: Capone steht für den brutalen Aufstieg des Mobs durch Gewalt und Korruption; Lansky für das Festsetzen in der Gesellschaft durch die Umwandlung illegal erwirtschafteten Kapitals in legale Geschäfte.

Heute wissen wir, wer der staatsgefährdendere war. Angesichts der Milliarden Drogengelder die jährlich gewaschen werden und als legales Kapital in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen, kann man auch bei uns von einer großformatigen Unterwanderung der Volkswirtschaft durch das Organisierte Verbrechen sprechen. Um so wichtiger ist die Aufklärung über diesen Bereich, der lange von deutschen Verlagen, im Gegensatz zu angelsächsischen, sträflich vernachlässigt wurde.

Die vorliegende, bereits 1992 im Lübbe Verlag erschiene Biographie über den intelligentesten Mobster seiner Generation gibt Einblick, wie die amerikanische Gesellschaft durch das Organisierte Verbrechen unterwandert wurde und wie der Aufstieg des Mobs zum Wirtschaftsfaktor erst durch die unselige Prohibition möglich wurde. Angesichts der idiotischen Drogenpolitik ist es schwer verständlich, wie wenig doch Politiker aus der Geschichte lernen. Da bleibt dann nur der Schluss, dass die Vernetzung zwischen illegalen und legalen Geschäften zwei Seiten derselben Münze sind, die Kapitalismus heißt.

Meyer Lansky wurde um 1902 in dem Grenzstädtchen Grodno geboren. Eine der wenigen osteuropäischen Gemeinden, in denen sich die Juden mit Gewalt gegen die Pogrome von 1906 wehrten und somit dafür sorgten, dass sie vor den schlimmsten Ausschreitungen des Antisemitismus verschont blieben.

1911 wanderte die Familie nach New York aus und siedelte sich im jüdischen Viertel der Lower East Side an, eingeklemmt zwischen irischen und italienischen Reservaten. Die früher eingewanderten Iren, die die Großmacht der korrupten New Yorker Polizei stellten, fühlten sich Italienern und Juden überlegen und förderten zusammen mit Politikern die Ghettoisierung dieser Gruppen.
Bandenkriminalität war von Anfang an ein Problem, aber Anfang des Jahrhunderts bekam sie eine neue Qualität: Arnold Rothstein, „das Gehirn“ genannt, merkte schnell, daß die Organisation von Glücksspielen weitaus lukrativer als das Spielen selbst war. Er war der erste Gangster, der das Verbrechen als Geschäft betrieb. Scott Fitzgerald verewigte ihn als Meyer Wolfsheim im „Grossen Gatsby“.

Der junge Lansky entdeckte früh das Glücksspiel, das an jeder Ecke der Slumstraßen auf naive Narren wartete. Als hervorragender Schüler, der drei Klassen übersprang bevor er eine Mechanikerlehre antreten musste, hatte er schnell seine außergewöhnliche Fähigkeit mit Zahlen umzugehen erkannt. Nach einem Spielverlust durchschaute er das System: „Einen Spieler der Glück hat, gibt es einfach nicht. Es gibt nur Gewinner und Verlierer. Die Gewinner sind diejenigen, die das Spiel kontrollieren.

Noch als Jugendlicher freundete er sich mit Bugsy Siegel, den er vor einem unnötig riskanten Mord bewahrte, und Lucky Luciano an. Mit Beiden sollte ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden und Lansky galt als der einzige, der mit dem notorisch mörderischen Siegel umgehen konnte.

Als 1920 die Prohibition in Kraft trat, knallten bei den Gangsterbanden der USA die Sektkorken. Indem man den Alkohol in die Illegalität abdrängte, gab man den Gangstern quasi eine Lizenz zum Gelddrucken. „Denn die Profite aus diesem gewinnträchtigen und nun illegalen Sektor der Volkswirtschaft schufen gewaltige Vermögen, durch die Polizisten, Richter und Staatsbeamte nur allzuleicht in Versuchung geführt wurden“.
Durch die Prohibition gelang es dem Organisierten Verbrechen von den Rändern der Gesellschaft mitten in ihr Zentrum vorzudringen. Je mehr Kapital „erwirtschaftet“ wurde, um so höher waren die Möglichkeiten zur Reinvestition. Natürlich kam es zwischen den immer gieriger werdenden Bossen zu Gebietskämpfen und blutigen Rivalitäten. Aber Lansky und Freund Siegel blieben davon verschont, denn Meyer, der glaubwürdig behauptete „kein Geld hatte Gewalt über mich „, galt als ehrlich. Das war seine größte Stärke im Königreich der Betrüger und Opportunisten. Er sah alles geschäftsmäßig: „Schießereien und Morde waren eine sehr unrentable Geschäftsmethode. Ford-Vertreter erschossen Chevrolet-Vertreter nicht, sondern versuchten, sie durch ihre besseren Angebote auszuschalten.“

Der Aufstieg des Organisierten Verbrechens wäre ohne das Alkoholverbot nicht möglich gewesen. Es war eine kurzsichtige Aktion von Politikern, deren Wertvorstellungen mit den Bedürfnissen seiner Bürger nicht mehr im Einklang waren. Etwas, dass immer den kontrollierten Normenverstoß als Geschäft nach sich zieht. Wenn sich die staatliche Kontrolle aus einem wirtschaftlichen Bereich zurück zieht, werden dem Organisierten Verbrechen alle Profite zugestanden, die einer unverzeihlichen Schwächung des öffentlichen Einkommens mit sich bringt.

Das Ende der Prohibition ließ die Gangs zwar mit riesigen Vermögen zurück, aber auch eines lukrativen Geschäftszweiges verlustig. Viele vertrieben nun offiziell Alkohol. Lanskys Freund Luciano warf sich auf den noch lukrativeren Rauschgifthandel. Davon wollte Lansky nichts wissen. Zeit seines Lebens ließ er die Finger vom Rauschgifthandel.

Er wandte sich verstärkt seiner ersten großen Liebe zu: dem Glücksspiel. Im 2.Weltkrieg bat der Marinegeheimdienst Lansky um Hilfe; zuvor hatte Lansky schon durch Gangster Nazi-Versammlungen sprengen lassen. Der ließ sich nicht lange bitten und setzte aus Patriotismus seine Unterweltkontakte gegen deutsche Spione und Saboteure ein.
Er stellte auch den Kontakt zu Luciano her, der wie bekannt, alles mögliche für eine erfolgreiche Invasion Siziliens durch die Alliierten einleitete.

Nach dem Krieg dankte es Meyer niemand und er meinte nur lakonisch: „Ich bin nie der Meinung gewesen, dass ein Jude Dank erwarten sollte, wenn er sich für die jüdischen Interessen einsetzt.“ Und als sich Frank Costello einmal darüber beklagte, dass sie als Gangster eingestuft wurden, meinte Lansky: „Keine Sorge, keine Sorge. Sieh dir die geschichtliche Entwicklung an: die Astors und die Vanderbilts, all diese Leute aus der großen Gesellschaft, das waren die schlimmsten Diebe; und nun guck sie dir heute an…Es ist alles nur eine Frage der Zeit.“

1982 stand Lansky auf der Forbes-Liste der reichsten Amerikaner mit einem geschätzten Vermögen von 1,5 Milliarden Dollar an achter Stelle, vor den erwähnten Familien. Lansky intensivierte seine Bemühungen im Glücksspiel. Kleinere Ortschaften wurden völlig korrumpiert und ihr Wohlstand von den Spielkasinos abhängig gemacht.

Auf das Drängen des kubanischen Diktators Batista nahm sich Meyer Lansky auch der Insel an und modelte sie zu dem Spielerparadies schlechthin um. Mit seinen anderen Geschäften, wie den Vertrieb von Fernsehern an Bars, hatte er dafür weniger Glück. Aber „Ende der 40er Jahre regte sich in vielen Ecken Amerikas, wo das Glücksspiel bisher ungehindert floriert hatte, allgemeine Unmut. Eine Freizügigkeit, die in den Nachwehen der Prohibition und der Depression sowie im allgemeinen Überschwang der ersten Nachkriegsjahre weithin toleriert worden war, wurde von einer Gesellschaft, die auf moralisch rigide Eisenhower-Ära zusteuerte, als nicht mehr akzeptabel angesehen.“ Die Öffentlichkeit begann die Mobster zu jagen.

Durch den Ausschuss von Senator Kefauver wurde nun allgemein bekannt, wer in den Grauzonen der Gesellschaft die Finger am Drücker hatte. Lansky konnte sich allen Versuchen entziehen, als Boss des Organisierten Verbrechens verurteilt zu werden. Hoover und sein FBI verfolgten ihn angeblich und schreckten auch nicht davor zurück, Zeugen zu Falschaussagen zu verleiten. Es nützte nichts: Lansky war zu clever, weil „er niemals der Größte sein wollte“ und seine Steuern pünktlich zahlte.

Seine Bemühungen nach Israel auszuwandern wurden durch den Druck der amerikanischen Behörden zunichte gemacht. So lebte er bis zu seinem Tod 1983 in Miami ein unauffälliges Rentnerleben.

Biograph Lacey folgt mit Akribie den Spuren dieses eher unauffälligen Mannes und gewährt tiefe Einblicke in die ganze Bigotterie der US-Gesellschaft. Der Bastei-Lübbe Verlag hatte sich schon mit der Biographie über den Chicagoer Mobster Giancana Lorbeeren eingeheimst. Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre hatte der Verlag ein starkes True-Crime-Segment, dass wohl aus der vom damaligen Bastei-Verlagsleiter Rolf Schmitz hervorgegangenen „True Crime“-Taschenbuchreihe hervorgegangen war. Da gibt es noch ein paar Schätze zu heben!
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Robert Lacey: Meyer Lansky.Der Gangster und sein Amerika. Gustav Lübbe Verlag, 1993; 607 Seiten.



Wir wollen unsern Kaiser Wilhelm wieder haben! NACH 13 JAHREN: DER NEUE THOMAS HARRIS-Roman „CARI MORA“ by Martin Compart
22. Mai 2019, 10:07 am
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Die Schreie einer Frau sind Musik in Hans-Peter Schneiders Ohren. Er ist groß, blass, haarlos, und wie ein Reptil liebt er die Wärme. Menschen begegnen ihm mit Angst und Ekel. Er ist daran gewöhnt. Denn wenn sie das Monster in ihm erkennen, ist es meist zu spät. Bis der Killer sich Cari Mora aussucht. Die junge Frau hat keine Angst vor dem Grauen und wagt es, dem Dämon ins Auge zu blicken.
Cari Mora ist eine ehemalige Kindersoldatin und auch die Hüterin einer Villa in Miami Beach, die einst Pablo Escobar gehört hat. Hier sollen 25 Millionen Dollar in Gold versteckt sein, gesichert durch 15 Kilo Semtex.
Neben Schneider sind noch andere an den Dollars interessiert, die ebenfalls nicht zimperlich sind
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Aus dem Amerikanischen von Imke Walsh-Araya
Originaltitel: Cari Mora
Hardcover mit Schutzumschlag, 336 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN: 978-3-453-27238-5
€ 22,00

Thomas Harris ist einer der einflussreichsten und erfolgreichsten Kriminalliteraten der letzten vierzig Jahre. Für den Erfolg des Serienkiller-Romans war er ähnlich verantwortlich wie Dan Brown für den Conspiracy-Thriller, indem er ein Subgenre bestsellertauglich machte.

Außerdem schuf er mit der Figur des Hannibal Lecter einen populärkulturellen Mythos, durchaus vergleichbar mit Sherlock Holmes, Flashman, Dracula oder 007.

Lecter ist inzwischen ähnlich multimedial verbreitet und neben den gelobten Filmen sehe ich die TV-Serie (siehe https://crimetvweb.wordpress.com/category/h/hannibal/) als überzeugendste und beeindruckendste Umsetzung der Figur.
Die Inspiration für Lecter war ein mexikanischer Gefängnisarzt, dem Harris als junger Reporter begegnete.

Seit 1975 (sein Debut war der Katastrophenthriller BLACK SUNDAY, verfilmt von John Frankenheimer) schrieb er lediglich fünf Romane, vier davon mit Hannibal Lecter. Mit RED DRAGON, 1986 genial und mit auf die Spitze getriebener „Miami Vice“-Ästhetik von Michael Mann verfilmt, der damals sagte: „Das ist einfach die beste Kriminalgeschichte, die mir je in die Finger gekommen ist.“, und THE SILENCE OF THE LAMBS schrieb Harris zwei der besten und stilprägendsten Thriller in der Geschichte des Genres (zu Serienkiller siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/category/shane-stevens/).

Dieser Autor muss nichts mehr beweisen.
Vielleicht ein Grund, weshalb der neue Roman fast experimentell wirkt, indem er Erwartungshaltungen unterläuft, annähernd sabotiert (ein Kapitel ist gar aus der Perspektive eines Krokodils geschrieben und seine Faszination der Fauna Floridas erinnert an die Faszination der Flora des amerikanischen Südens bei James Lee Burke).

Zur Veröffentlichung gab Harris das erste Interview seit den 1970er Jahren (https://www.nytimes.com/2019/05/18/books/thomas-harris-new-book.html).
“I’ve been fortunate that my books have found readership without me promoting them, and I prefer it that way,”

Foto: Rose Marie Cromwell für The New York Times.

„Harris and I met on a bright, muggy morning in the parking lot of the Pelican Harbor Seabird Station, an animal rescue center on Biscayne Bay that features prominently in his new novel. Cari works there as a volunteer, caring for injured birds. Harris, a nature lover, has been visiting the center regularly for 20 years. He’s brought orphaned squirrels and an injured ibis there, and he took a wildlife rehabilitation workshop, learning how to intubate a distressed animal by practicing on a dead possum.“

Der neue Roman ist ein Gegenentwurf zur Lecter-Serie und ein Heist Thriller. Dem 79jähigen Autor geht es nicht mehr um Ästhetik, Wissenschaft und Krankenbilder, sondern um die brutale Realität im Lemming-Kapitalismus, in dem alles zur Ware wird.

Der deutschstämmige Soziopath Schneider ist allerdings ein echtes Harris-Monster, das aus Geldgier und Sadismus besteht, und mit seinem Geschäftsmodell den Ausverkauf einer Zivilisation betreibt. Anders als Lecter ist Schneider kein Connaisseur.

In den Lecter-Romanen thematisiert Harris die Exotik des Bösen, in CARI MORA beschreibt er dessen Banalität. Das enttäuschte viele Kritiker, die Charaktere und Spannungsbögen nicht überzeugte. Vom „Guardian“ über „Washington Post“ bis zur „Stuttgarter Zeitung“ ist das Gejammer groß, dass Harris nicht das Buch geschrieben hat, dass die Kritiker gerne gelesen hätten.

Bereits sein letzter Roman HANNIBAL RISING, 2006, enttäuschte Kritiker und Publikum; es war die Novelisierung eines erpressten Filmskriptes, über die Harris ambitioniertes sagte: „Harris says that’s because he wrote some of the exchanges between Hannibal and his aunt, Lady Murasaki, in the poetic style of the Heian period, as a homage to the 11th-century Japanese novel, “The Tale of Genji.” The allusion was apparently lost on some readers.” (NYT).

Manchmal scheint es, als wolle Harris die selbst geschaffenen Klischees aus der Lecter-Serie „dekonstruktivieren“. John Connolly teilt wohl diese Einschätzung; in seiner Rezension in der „Irish Times“, in der er sie mit der Dylans Dekonstruktion seiner Songs in den 1980ern vergleicht.

Auch stilistisch geht Harris in diesem kurzen Roman andere Wege: Keine barocke Üppigkeit, wie häufig in den Lecter-Romanen, mit genauer Darstellung des Innenlebens der Figuren, sondern „stripped to the bone“ wie eine Hemingway-Story. Konservierte Energie. Sein kürzester Roman.

CARI MORA ist auch ein Florida-Roman. Harris, 1940 in Mississippi geboren, lebt seit dreißig Jahren hier und engagiert sich im Tierschutz.

Er schildert ein Florida, dass John D.MacDonald nicht in seinen schlimmsten Prophezeiungen vorausgesehen hat und das noch über die Beschreibungen von Elmore Leonard oder James W.Hall hinausgeht.

Er zeigt das heutige Inferno, das eine Folge ist, seitdem die USA ganz offen auf beiden Seiten des „Drogenkrieges“ agieren (DEA und FBI sorgen für stabile Preise, die CIA für Nachschub und Chaos in den Anbauländern, Wall Street für Banken- und Konzernkapital durch Drogengelder und der militärisch-politische Komplex für Armut und politische Dominanz).

Wie sagte Harris im Interview?
“I don’t think I’ve ever made up anything. Everything has happened. Nothing’s made up. You don’t have to make anything up in this world.”

Man könnte den Kampf zwischen der Kolumbianerin Cari gegen den geldgierigen Sadisten Schneider, der unübersehbar als Krieg zwischen Gut und Böse angelegt ist, auch als Bildnis des Verhältnis zwischen der 3.Welt und dem US-Imperialismus interpretieren. Zudem bedeutet der Vorname der Heldin, Caridad,  auch noch Nächstenliebe, Wohltätigkeit oder Almosen. Ein kluger Mensch wie Harris, wird sich da etwas gedacht haben. Dass Schneider einer deutschen Familie aus Paraguay entstammt, ist ebenfalls nicht ohne Symbolkraft: Stehen doch die nach Paraguay geflüchteten Nazis für die extremste Form des Kapitalismus, dem Faschismus.

Während es in den Lecter-Romanen noch so etwas wie dekadente Hoffnung durch forensischen Fortschritt gab, beschreibt Thomas Harris in CARI MORA eine Welt, in der man es kaum erwarten kann, dass das Artensterben endlich den Homo Sapiens erreicht.

Leider ist in der deutschen Ausgabe das Nachwort von Harris nicht enthalten. Stattdessen gibt es sinnlose sieben Kapitel von DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER mit dem Betteln ums weiterlesen.

Ob mir das Buch gefallen hat? Es hat mir extrem gut gefallen.

Auch die Komik, die der Spannung nichts nimmt, fand ich herzerfrischend: „Abgesehen von X hatte das Krokodil erst ein Mal einen Menschen gefressen, einen Säufer, der von einem Boot voller Säufer fiel und weder damals noch später vermisst oder betrauert wurde. Nachdem ihn das Krokodil verspeist hatte, war es eine ganze Stunde lang ziemlich beschwipst.“



Zum 60.Todestag: Raymond Chandler in Hollywood 4/ by Martin Compart

Im Juli 1945 verpflichtete MGM Chandler, damit er seinen vierten Marlowe-Roman, THE LADY IN THE LAKE, zu einem Drehbuch umschrieb. Er bekam 1000 Dollar die Woche. Die Filmhrechte hatte die MGM für 35 000 Dollar gekauft. Chandler war von dieser Arbeit so gelangweilt (wahrscheinlich trank er auch ganz ordentlich), dass er neue Szenen erfand, die nichts mit dem Buch zu tun hatten.

Nach drei Monaten, in denen er gut verdient und wenig gearbeitet hatte, schmiss Ray den Job hin. Steve Fisher, der Autor des Noir-Klassikers I WAKE UP SCREAMING, beendete das Skript. Chandler verzichtete auf eine Namensnennung im Vorspann. Offiziell war er natürlich auch noch bei der Paramount unter Vertrag.
Die war noch immer so begeistert von Ray, dass sie Swanson mitteilten, Chandler könne seine eigenen Filme produzieren, schreiben und Regie führen – wenn er nur zu ihnen zurückkäme. Ray beeindruckte das weniger als die einlaufenden Schecks.

Im Januar 1946 reichte es dem Studio. Sie suspendierten ihn. Aber bereits im Mai desselben Jahres machten sie Chandler ein neues Angebot: Für 1500 Dollar die Woche solle er einen Roman seiner Wahl zum Drehbuch bearbeiten.

Chandler nahm an und begann mit der Adaption des Kriminalromans THE INNOCENT MRS.DUFF von Elizabeth Sanxay Holding, die Chandler aus unverständlichen Gründen schon lange für eine tolle Autorin hielt und in Briefen gerne anpries. Aber schon bald langweilte er sich wieder bei der Arbeit. Der Film wurde nie gedreht und Paramount kostete die ganze Angelegenheit insgesamt
53 000 Dollar, von denen Ray 18 000 für 72 „Arbeitstage“ einstrich.

Hollywoods masochistische Beziehung zu Chandler nahm kein Ende:
Nach dem letzten Paramount-Deal traf sich der große Samuel Goldwyn höchstpersönlich mit Chandler, um ihn zu überreden künftig für MGM zu schreiben. Aber Chandler brauchte wohl eine Pause in seinem Hollywood-Spiel. Er hatte die Filmindustrie erstmal genug gemolken und kaufte sich sein berühmtes Haus in La Jolla, in der Nähe von San Diego.

Im November 1945 veröffentlichte er dann auch noch seine Abrechnung mit Hollywood: Im ATLANTIC MONTHLY erschien sein bissiger Artikel HOLLYWOOD AND THE SCREENWRITER (SCHRIFTSTELLER IN HOLLYWOOD in CHANDLER ÜBER CHANDLER). Der Aufsatz wimmelte nur so von Gemeinheiten. Etwa: „Hollywoods Vorstellung von Produktionswert besteht darin, eine Million Dollar dafür aufzuwenden, um eine Geschichte aufzumöbeln, die jeder gute Schriftsteller fortwerfen würde.“ Der Artikel sorgte für Aufsehen und wurde in der Filmmetropole nicht sonderlich freudig aufgenommen.
Der Drehbuchautor Charles Brackett sagte über den Essay: „Chandlers Bücher sind nicht gut genug und seine Filme nicht schlecht genug, um diesen Artikel zu rechtfertigen.“ Als Chandler von Bracketts Äußerung erfuhr, entgegnete er: „Wenn meine Bücher etwas schlechter gewesen wären, hätte mich Hollywood nicht geholt, und wenn sie etwas besser gewesen wären, wäre ich nicht gekommen.“ Erstere, halte ich für eine äußerst gewagte These.

1946, das Jahr, in dem sich Chandler aus dem Hollywood-Geschäft zurückzog, war ausgerechnet das Jahr seines größten Erfolges: In diesem Jahr kam der Film in die Kinos, der für viele als der Chandler-Film schlechthin gilt, THE BIG SLEEP. Dieser Film, der den Hays-Code ebenfalls weiter aushöhlte, war in den USA ein Blockbuster.

Zensurprobleme bekam er in anderen Ländern, nämlich in Irland, Schweden, Dänemark und Finnland. Der irische Zensor erteilte kein Freigabezertifikat mit der Begründung, „dies ist ein durch und durch unmoralischer Film“.

Im Jahr darauf kamen Robert Montgomerys THE LADY IN THE LAKE und John Brahms THE BRASHER DOUBLOON (nach dem Roman THE HIGH WINDOW) in die Kinos. Chandler galt nach wie vor als „heißer Autor“, ließ sich aber zu keiner weiteren Arbeit für die Studios überreden. Er hatte genug Geld auf der Seite und von nun an verkauften sich seine Bücher in der englischsprachigen Welt ausgezeichnet, hinzu kamen auch Tantiemen aus vielen Übersetzungen (die der alte Meckerkopf gerne an Hand von Wörterbüchern überprüfte).
Chandler lehnte ein Filmangebot einmal mit der Begründung ab, er habe inzwischen genug Geld, um davon den Rest seines Lebens existieren zu können.

Einmal jedoch kehrte Ray noch ins Filmgeschäft zurück: Im Juli 1950 bot ihm Warner Brothers 2500 Dollar pro Woche, um Patricia Highsmiths ersten (nicht unter Pseudonym geschriebenen) Roman STRANGERS ON A TRAIN zu einem Drehbuch für einen Film von Alfred Hitchcock umzuarbeiten.

Hitchcock hatte die junge Autorin wie üblich übers Ohr gehauen:
Für die Filmrechte bezahlte er miese 2000 Dollar. Dabei sagte er ihr, eigentlich müsse sie für die Verfilmung zahlen, denn der Film würde viel zu ihrem künftigen Ruhm und Reichtum beitragen.

Die Zusammenarbeit war Hitchcocks Idee, der unbedingt mit Chandler kooperieren wollte – heißt es im Mythos. In Wirklichkeit hatten alle anderen Autoren, die Hitchcock gefragt hatte (darunter auch Dashiell Hammett), abgelehnt.
Chandler stimmte zu, weil er eine hohe Meinung von Hitch hatte. Allerdings lehnte er es ab, im Studio zu arbeiten. Und so musste Hitch – derartiges von untergeordneten Drehbuchautoren überhaupt nicht gewohnt – für die Story-Konferenzen etwa hundert Meilen zu Chandler nach La Jolla pilgern.

Erst waren beide noch begeistert voneinander. Aber bald stellte sich heraus, dass jeder von ihnen eine völlig andere Vorstellung von dem Film hatte. Nach zwei Monaten reichte es Ray. Das anfängliche Entzücken über die Diskussionen mit Hitch waren tiefer Verachtung gewichen.
Als er einmal den schwergewichtigen Regisseur vor seinem Haus aus dem Auto klettern sah, sagte er zu seiner Sekretärin: „Schauen Sie sich an, wie dieser fette Bastard versucht, aus dem Wagen herauszukommen.“ Die Sekretärin warnte entgeistert, Hitchcock könne ihn doch hören. Darauf Chandler: „Was kümmert’s mich?“
Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass Hitchcock das Drehbuch nicht mochte. Deshalb engagierte er Czenzi Ormonde, eine Assistentin des Drehbuchfürsten Ben Hecht, um es umzuschreiben. Rausgekommen ist schließlich ein ziemlich bescheuerter Film. Trotz Einladung nahm Chandler nicht an der Premierenvorführung teil.

Ab 1957 verhandelte Chandler mit einer Produktionsgesellschaft über eine Philip Marlowe TV-Serie.

1959 war es dann endlich soweit und PHILIP MARLOWE am TV-Start. In der halbstündigen Serie, die mit ach und krach eine Season mit 26 halbstündigen Folgen schaffte und von E.Jack Neumann geschrieben wurde, musste Phil Carey, sehr zu seinem Nachteil, den Vergleich mit Bogey antreten.
Chandler giftete noch kurz vor seinem Tod gegen diese „Demontage“ seines Lebenswerks.

Besser machte es Mitte der Achtziger Powers Boothe als Marlowe in zwei Staffeln, die auf Chandlers Kurzgeschichten (in denen der Detektiv noch nicht Marlowe heißt) basierten und in Kanada gedreht wurden. Die Serie war ein erstklassiges period piece und fing die Atmosphäre der späten 3oer- und frühen 40er Jahre detailfreudig ein. Und Boothe konnte prima neben Bogey und Robert Mitchum bestehen (siehe auch: https://crimetvweb.wordpress.com/2019/05/16/philip-marlowe/)

Fraglos hat Chandler dem Film viel gegeben – vor allem den Privatdetektiv-Film als eigenes, uramerikanisches Genre durchgesetzt. Wahrscheinlich waren die Adaptionen seiner Romane – sieht man einmal von DOUBLE INDEMNITY ab – wichtiger als seine Drehbücher.

Die mit seinem Namen verbundenen Filme trugen dazu bei, Hollywoods verkrustete Moralcodes aufzuknacken. Alle Filme machten gute Profite. Aber Chandler hat sich seine oft lustlose und nachlässige Arbeit auch verdammt gut bezahlen lassen. Negativ betrachtet hat Hollywood Chandler ausgebeutet und umgekehrt. Positiv gesehen haben beide voneinander Nutzen erzielt und kein unschuldiges Opfer zurückgelassen.

Chandler gehört zu den wenigen Autoren, die von Hollywood nicht brutal und dauerhaft über den Tisch gezogen wurden. Und anders als etwa F.Scott Fitzgerald, verließ er das Filmgeschäft nicht ausgebrannt und schreibunfähig, sondern mit seinem besten Roman, THE LONG GOODBY (DER LANGE ABSCHIED), noch vor sich.

Aber machen wir uns nichts vor: Ich könnte auf alle audiovisuellen Umsetzungen von Chandler verzichten.
Nicht aber auf seine Bücher, die wie wenig andere Werke der westlichen Welt des 20.Jahrhunderts einen Sound gegeben haben. Und der verzaubert noch immer.

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QUELLEN UND BIBLIOGRAPHIE:

Al Clark: Raymond Chandler in Hollywood. London & New York:Proteus, 1982.

Otto Friedrich: Markt der schönen Lügen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1988.

Dorothy Gardiner u. Kathrine Sorley Walker (Hrsg.): Chandler über Chandler. Frankfurt/Berlin: Ullstein, 1965. Neuübersetzt als: Die simple Kunst des Mordes, Zürich: Diogenes, 1975.

Tom Hiney: Raymond Chandler: A Biography.London: Chatto & Windus, 1997.

Hellmuth Karasek: Billy Wilder. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1992.

William Luhr: Raymond Chandler and Film. New York: Frederick Ungar, 1982.

Frank McShane: Raymond Chandler.Eine Biographie. Zürich: Diogenes, 1984.

Robert Ottoson: A Reference Guide to the American Film Noir: 1940-1958. Metuchen,NJ & London: Scarecrow Press, 1981.

Donald Spoto: Alfred Hitchcock. Hamburg: Kabel Vlg., 1984.

John Russell Taylor: Hitchcock. München: Hanser Vlg., 1980.

Jon Tuska: In Manors and Alleys.Conneticut: Greenwood Press, 1988.

David Wilt: Hardboiled in Hollywood. Bowling Green: University Press, 1991.

EINE KERZE FÜR RAY



Zum 60.Todestag: Raymond Chandler in Hollywood 3/ by Martin Compart
13. Mai 2019, 5:59 pm
Filed under: Film, Noir, Porträt, Raymond Chandler | Schlagwörter: , , ,

Casual portrait of writer Raymond Chandler. (Photo by Ralph Crane/The LIFE Images Collection/Getty Images)

Nach elf Jahren, in denen er als Schriftsteller jeden Penny fünfmal hatte umdrehen müssen, war Chandler jetzt ein unterforderter aber überbezahlter Angestellter eines Hollywood-Studios. Der Vertrag lief im September 1944 aus.

Chandler hatte genug verdient, um einen Teil des Geldes in Staatsanleihen anzulegen. Schon im Januar 1945 trat er den nächsten Vertrag mit der Paramount an. Ebenfalls einer der ungewöhnlichsten und großzügigsten im damaligen Filmbusiness. Er hatte einen Dreijahresvertrag unterschrieben, in dem er sich verpflichtete, jedes Jahr 26 Wochen anwesend zu sein mit einem Anfangsgehalt von 1000 Dollar die Woche. Außerdem sollte er zu besonderen Bedingungen ein Originaldrehbuch schreiben. Man kann wirklich nicht behaupten, dass Hollywood, oder zumindest die Paramount, nicht alles daran setzte, um Chandler angenehme Bedingungen und einen Haufen Geld zukommen zu lassen.

Als die Paramount erfuhr, dass Alan Ladd eingezogen würde, gerieten alle Verantwortlichen in Panik. Man wollte schnell noch einen Film mit ihm drehen, bevor er für Uncle Sam die Bösewichter umlegte. Verzweifelt suchte man nach einem Stoff. Zögernd zeigte Chandler seinem Freund John Houseman eine halbfertige Geschichte, an der er gerade arbeitete. Houseman war begeistert und kaufte die Rechte für 25 000 Dollar. Der vom Studio angestellte Chandler sollte sie als Drehbuch umarbeiten und zu Ende führen.

Anfangs kein Problem, und sobald die ersten Drehbuchseiten vorlagen, begann George Marshall zu drehen. Titel des Films: THE BLUE DAHLIA. Marshall drehte flott und uninspiriert. Entscheidend war nur, dass der Film im Kasten war, bevor Ladd seinen Dienst antrat. Der Vorrat an zu drehenden Szenen schmolz dahin und von Chandler kam nichts mehr.
Verzweifelt stellte ihn Houseman zur Rede. Chandler, ebenso verzweifelt, sagte, er habe eine Schreibblockade und sei außer Stande, die Story oder das Drehbuch zu beenden. Er fände einfach keine Möglichkeit, die Geschichte befriedigend aufzulösen.

Zu allem Überfluss rief dann auch noch der Chef der Produktionsabteilung an und bot Chandler einen Bonus von 5000 Dollar an, wenn er den Film beende. Nach Housemans Aussage erreichte der Produktionschef damit nur „Chandler auf drei gänzlich verschiedene Weisen aus der Bahn zu werfen. Erstens, sein Glaube an sich selbst war zerstört. Dadurch, dass ich nie an Ray gezweifelt hatte, hatte ich ihn davon überzeugt, dass ich seinen Fähigkeiten vertraute, das Drehbuch rechtzeitig fertigzustellen. Dieses Gefühl der Sicherheit war jetzt hoffnungslos erschüttert. Zweitens, man hatte ihn beleidigt. Für Ray war der Bonus nichts anderes als Bestechung. Eine große zusätzliche Geldsumme für die Erfüllung eines Auftrags angeboten zu bekommen, für den er bereits einen Vertrag unterschrieben hatte, den er selbstverständlich auch erfüllen wollte, war nach seinen Maßstäben entwürdigend und entehrend. Drittens, man hatte ihm zugemutet, einen Freund und Absolventen einer Public School zu hintergehen. Die Art, wie das Gespräch geführt worden war (‚hinter deinem Rücken‘), demütigte Ray und erfüllte ihn mit Zorn.“

Jetzt wurde erstmal richtig Trübsal geblasen. Nach einiger Zeit kam Chandler mit einem Vorschlag: Er könne das Drehbuch vielleicht betrunken beenden. Schamhaft gestand er Houseman, was jeder in Hollywood längst wusste: Er war einmal Alkoholiker gewesen und im Suff verfüge er über genügend Selbstvertrauen und werde nicht von Selbstzweifeln aufgefressen.

In Wirklichkeit war Rays Alkoholkarriere nie beendet worden. Es gab zwar kurze und lange Pausen, aber gesoffen hat er bis ans Lebensende (das nicht sehr schön war). Houseman zögerte, wollte die Verantwortung nicht übernehmen. Chandler zog einen Zettel hervor, auf dem die Bedingungen notiert waren, unter denen er seinen Vorschlag realisieren wollte:

A. Zwei Cadillacs müssen Tag und Nacht mit Fahrern vor dem Haus bereit stehen um:
1 Für Ray oder Cissy jeder Zeit einen Arzt zu holen.
2.Drehbuchseiten von und zum Studio zu bringen.
3.Das Hausmädchen zum Einkaufen zu fahren.
4.Für Notfälle.
B.Sechs Sekretärinnen – in drei Schichten eingeteilt – müssen Rund um die Uhr für Diktate, Tippen usw. bereitstehen.
C. Eine direkte Telefonverbindung zwischen dem Haus und der Produktionsabteilung bei Paramount muß 24 Stunden offen sein.

Houseman stimmte zu, packte Chandler ins Auto und fuhr mit ihm zu Perino’s, dem teuersten Restaurant von Hollywood. Dort goss sich Ray erstmal drei doppelte Martinis auf die Lampe, dann bestellte er ein sorgfältig ausgewähltes Essen, das er mit drei doppelten Stingers (Brandy mit weißer Crème de Menthe) abrundete. Dann fuhr Houseman ihn zu seinem Haus an der Drexel Avenue, wo die Cadillacs bereits warteten.

Etwa eine Woche lang arbeitete und soff Chandler. Manchmal schlief er am Schreibtisch, trank nach dem Aufwachen sofort weiter und schrieb dabei. Abends hörte er manchmal mit Cissy klassische Musik im Radio, bevor er wieder in sein Arbeitszimmer ging und fast im Delirium weiterschrieb. Die Cadillacs rasten hin und her und brachten jede neue Seite ins Studio, wo die Crew drehbereit wartete.

Insgesamt dauerten die Dreharbeiten läppische 42 Tage. Alle waren begeistert. Das Studio verbreitete die Geschichte als PR und bot dem verkaterten Ray einen Vertrag mit wöchentlich 4000 Dollar an. Der ach‘ so gebeutelte Chandler nahm ächzend an.
Der Billy Wilder-Biograph und Filmbuchautor Maurice Zolotow sieht diese berühmte Anekdote ein wenig anders. In seinem Aufsatz THROUGH A SHOT GLASS DARKLY: HOW RAYMOND CHANDLER SCREWED HOLLYWOOD (in ACTION vom Januar-Februar 1978) geht er hart mit Ray ins Gericht. Er behauptet, Chandler konnte das Drehbuch nicht rechtzeitig fertigstellen, weil er längst wieder wild soff. An dem Morgen, als er Houseman seinen Vorschlag unterbreitete, soll Ray schon so betrunken gewesen sein, dass er es kaum bis zum Studio schaffte. Damit er alleine zu Hause arbeiten und trinken konnte, hätte Ray erzählt, er wäre seit Jahren trocken. Mit den ganzen Ärzten, Sekretärinnen und Cadillacs um sich herum hätte Chandler, so Zolotow, sich den Traumjob eines Alkoholikers erfüllt: Umsorgt von anteilnehmenden Menschen konnte er sich mit gutem Gewissen ordentlich den Stoff reinknallen, schlafen, brabbeln, Leute schikanieren und gelegentlich ein paar Zeilen aufs Papier bringen, für die er auch noch Dankbarkeit und Mitgefühl erntete.

Alkohol spielte auch im Drehbuch eine wichtige Rolle und die Moralwächter im Studio beanstandeten dreizehn Szenen, in denen getrunken wurde. Der Film beginnt und endet in einer Bar und dürfte neben Billy Wilders THE LOST WEEKEND (DAS VERLORENE WOCHENENDE, 1945) einer der großen Trinkerfilme der Epoche sein. Das ist aber wohl auch das einzige Interessante, was sich über diesen Film sagen lässt. Zur Premiere von THE BLUE DAHLIA lud Paramount zu einer Sondervorführung die Krimiautoren Craig Rice, Erle Stanley Gardner, Leslie Charteris, Frank Gruber, Philip MacDonald, Geoffrey Homes und Captain Thad Brown von der Mordkommission ein. Nach der Vorführung und während des Dinners lag der Küchenchef vermeintlich tot auf dem Tisch. Die Anwesenden sollten den Mord aufklären. Wahrscheinlich eines der ersten Murdergames.

Raymond Chandler, 1947; photograph by George Platt Lynes



Weise Worte by Martin Compart
11. Mai 2019, 4:50 pm
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Warum gibt es Ein-Euro-Verkaufsläden?
Damit der Hartz4-Empfänger noch shoppen gehen kann und nicht sein Konsumbewußtsein verliert.



Zum 60.TODESTAG: Raymond Chandler in Hollywood 2/ by Martin Compart

Mit dem alten Ray war nicht gut auszukommen. Billy Wilder hasste ihn und erzählte gerne hämische Geschichten über ihn (die in Hellmuth Karaseks Wilder-Buch nachzulesen sind).

Das in Hollywood mehr Geld zu verdienen war als sein unfähiger Agent bisher rausgeschlagen hatte, musste Chandler bei seiner ersten Autorenverpflichtung klar geworden sein.

Otto Friedrich beschrieb die herrliche Szene: „Zur Drehbuchbesprechung bei der Paramount geladen, musste Chandler bekennen, dass er nicht wusste, wo das Studio lag. Dann kam die unselige Begegnung mit Wilder. Wilder war zutiefst misstrauisch. Chandler ebenso. Barsch erklärte er, er verlange 150 Dollar wöchentlich. Produzent Sistrom sagte, die Paramount habe damit gerechnet, ihm 750 Dollar pro Woche zu zahlen.“

Nie wieder wollte Old Ray in eine derartige Situation kommen und künftig meistens mehr verlangen, als sogar in Hollywood üblich war. Fast immer sollte er es auch bekommen.
Für seine Arbeit an seinem letzten Film STRANGERS ON A TRAIN erhielt Chandler wöchentlich 2500 Dollar.
Trotz ihrer Antipathie würdigte Wilder ihn später als „einen der größten kreativen Geister, die ich je getroffen habe“. Chandler sah ihre Beziehung ähnlich. Er schrieb am 10.November 1950 an Hamish Hamilton: „Die Arbeit mit Billy Wilder war mörderisch und hat mein Leben wahrscheinlich verkürzt, aber ich habe dabei über das Drehbuchschreiben soviel gelernt, wie ich lernen kann, was nicht sehr viel ist.“
Hier untertrieb Ray wieder gewaltig. Chandler war ein brillanter Analytiker der Filmsprache, wie unter anderem aus einem Brief an James Sandoe vom 2.Oktober 1947 hervorgeht:

„Der beste Cutter in Hollywood kann eine verpatzte Regie nicht wettmachen. Er kann keine Szenen fließen lassen, wenn sie im Stakkato ohne Bezug auf ihre Bewegung im Film aufgenommen wurden. Wenn der Cutter eine Überblendung machen will, um einen abrupten Übergang zu verdecken, kann er es nur, wenn er genug Filmmaterial dafür hat. Wenn nur die Handlung abgedreht wurde und am Ende kein Material ist, bleibt für eine Überblendung nichts übrig. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Zwei Figuren diskutieren über einen Brief, den die eine bekommen soll. Sie sind in einer Wohnung, ein Mann und ein Mädchen. Der Mann sagt: Er schreibt mir postlagernd. Der Brief ist wahrscheinlich jetzt da. Das Mädchen sagt: Warum gehst du nicht hinunter und holst ihn? Der Mann sagt: Wirst du noch hier sein, wenn ich zurückkomme? Das Mädchen antwortet: Gewiss, und lächelt rätselhaft.
Der Regisseur, ein schlechter Regisseur, hält das rätselhafte Lächeln und hält es lange genug für eine Überblendung. Dann macht er eine Aufnahme der Post von außen. Der Mann kommt in einem Taxi an, bezahlt das Taxi, geht die Stufen zur Post hinauf. Großaufnahmen des Eingangs, Mann geht hinein, Szene in der Schalterhalle, Mann durchquert sie. Großaufnahme des Schalters für postlagernde Sendungen, Mann geht darauf zu und fragt nach dem Brief. Postbeamter sieht Briefe durch und reicht ihm einen, usw., usw.
Nun weiß der Cutter, dass das Quatsch ist, langweilig, ein Überbleibsel aus den frühen Tagen des Films, als das bewegte Bild an sich schon aufregend war. Alles, was wirklich gebraucht wird, sind Schalter für postlagernde Sendungen und der Mann, der einen Brief in Empfang nimmt. Aber der Regisseur hat versäumt, zu dieser Einstellung zu kommen, als er aus dem rätselhaften Lächeln des Mädchens abblendete und den Zuschauer auf die Frage stieß, was sie wohl im Schilde führen könne. Deshalb haben sie das durch eine völlig überflüssige Serie von Einstellungen verwischt, die die Ankunft im Postamt zeigten. Der Regisseur hat versucht, einen Punkt herauszustellen, der in diesem Augenblick noch gar keine Bedeutung hat und damit den Schnitt empfindlich stört. Der entscheidende Punkt ist, ob ein gewisser Brief angekommen ist. Eine Hand reicht durch den Schalter, und der Mann nimmt den Brief entgegen. Das ist alles. Es ist aber nicht das, woran einen die vorhergehende Szene denken lässt. Man denkt daran, was das Mädchen vorhaben könnte, während der Mann auf der Post ist. Und der arme Cutter muss, um den ihm wichtigen Punkt herauszustellen, Film vergeuden, um dem Zuschauer Zeit zu lassen, das zu vergessen. Und nicht nur das, er muß ihm auch noch einen langweiligen Film zeigen.“

Chandler war eben kein junger Mann mehr, als er Drehbuchautor wurde. Er konnte sich nie mit dem Studiosystem anfreunden, in dem Autoren zusammengepfercht in einem Bürohaus gemeinsam Drehbücher ausheckten.
Nach den ersten schmerzhaften Erfahrungen bei DOUBLE INDEMNITY sorgte Chandler dafür, dass er nie wieder unter diesen Bedingungen arbeiten mußte. Wenn er bei späteren Jobs schon auf dem Studiogelände anwesend sein musste, konnte er doch immer durchsetzen, wenigstens alleine und ohne Co-Autor zu schreiben. Er brauchte beim Schreiben von Filmskripts dieselbe Einsamkeit, die er auch bei der Arbeit an seinen Romanen benötigte. Teamwork am Drehbuch war ihm zutiefst suspekt (was nicht ausschloss, dass er fertige oder halbfertige Skripte bearbeitete).

1947 verschaffte ihm ein ungewöhnlicher Vertrag mit Universal die Möglichkeit ein Drehbuch völlig alleine zu Hause zu schreiben. Darüberhinaus garantierte man ihm die völlige Nichteinmischung. Ähnliche Freiheiten hatte zuvor kein Autor in Hollywood erhalten. Allerdings kam nicht viel dabei raus. Ein Film nach dem Drehbuch PLAYBACK wurde nie realisiert. Chandler nutzte es als Basis für seinen letzten Roman, der sein schwächster wurde. Den Vertrag zu PLAYBACK unterzeichnete er im Frühjahr 1947. Es war nicht nur Chandlers bester Hollywood-Vertrag, sondern auch sein vorletzter.

In diesem Jahr wandelte sich Hollywood entscheidend. Das vorausgegangene Jahr war das erfolgreichste in der Geschichte der Filmstadt gewesen, und nun begann sich eine Rezession, die in den 50er Jahren ihren Höhepunkt erreichen sollte, in Amerikas Filmmetropole abzuzeichnen. Der Nachkriegsboom war vorbei und das neue Medium Fernsehen warf bereits erste, düstere Schatten auf die Kinos.

Chandler betrachtete das neue Medium zynisch in einem Brief an Charles W.Morton vom 22.November 1950:

„Das Fernsehen ist wirklich das, wonach wir unser ganzes Leben gesucht haben. Es erforderte eine gewisse Mühe, ins Kino zu gehen. Jemand musste bei den Kindern bleiben. Man musste den Wagen aus der Garage holen. Das war eine anstrengende Arbeit. Und man musste fahren und parken. Manchmal musste man sogar einen ganzen halben Block weit zu dem Kino laufen. Lesen verlangte weniger körperliche Anstrengung, aber man musste sich etwas konzentrieren. Das war für das Gehirn sehr anstrengend. Radio war viel besser, aber es gab dabei nichts zu sehen. Der Blick wanderte durchs Zimmer, und man fing vielleicht an, an andere Dinge zu denken – Dinge, an die man nicht denken wollte. Man musste etwas Phantasie aufwenden, sich nur nach dem Ton ein Bild von dem zu machen, was vor sich ging. Aber Fernsehen ist vollkommen. Man dreht an ein paar Knöpfen, ein paar dieser mechanischen Einstellungen, in denen die höheren Affen so tüchtig sind, und lehnt sich zurück und entleert seinen Kopf von jedem Gedanken. Und da sitzt man und betrachtet die Blasen im Urschlamm. Man braucht sich nicht zu konzentrieren. Man braucht nicht zu reagieren. Man braucht sich nicht zu erinnern. Man vermisst seinen Verstand nicht, weil man ihn nicht braucht. Das Herz und die Leber und die Lunge funktionieren normal weiter. Davon abgesehen ist alles friedlich und still. Man befindet sich im Nirwana des kleinen Mannes. Und wenn irgendein bösartiger Charakter kommt und sagt, man sähe aus wie eine Fliege an einem Müllkübel, soll man ihn nicht beachten. Wahrscheinlich hat er nicht das Geld für einen Fernseher.“

Wie schwer sich Hollywood in den fünfziger Jahren mit der Konkurrenz durch das neue Medium tat, ist oft genug beschrieben worden. Strukturelle Veränderungen sollten den Studios Geld einsparen. Angestellte Autoren wurden reihenweise entlassen. Für einen unbequemen Autor wie Chandler, der trotz seines anerkannten Genies als unzuverlässig, rechthaberisch und aufsässig galt, war im neuen System kein Platz mehr.

Allerdings gab es immer Produzenten, die das nicht einsehen wollten, und alles mögliche versuchten, um Ray für ein Projekt zu gewinnen. Chandler, der inzwischen auf diese Einnahmequelle verzichten konnte, machte das nicht viel aus. Ihm war längst klar, dass das, was er unter einem guten Film verstand, selten genug und nur durch Zufall in Hollywood entstehen konnte.
Er hatte die Filmarbeit nie so ernst genommen wie die Arbeit an seinen Romanen und Kurzgeschichten: „Für jeden Autor von Büchern kann nebensächliche Filmarbeit nur trivial sein.“
An den handwerklichen Dingen des Schreibens war er zeitlebens interessiert wie seine zahlreichen Briefe zum Thema belegen. Auch die Filmsprache faszinierte ihn weiterhin. Die Unterschiede zum Romanschreiben waren ihm schnell klar geworden, und er hatte erkannt, „dass die besten Szenen in einem Film die mit den wenigsten Worten sind“. Also das ganze Gegenteil dessen, wofür seine Romane berühmt sind.

1944 lief Billy Wilders James M.Cain-Verfilmung DOUBLE INDEMNITY an. Das gemeinsam erarbeitete Drehbuch wurde für den Oscar nominiert und über Nacht galt Chandler als einer der heißesten Autoren Hollywoods. DOUBLE INDEMNITY war ein Kassenhit und zeigte erstmals überzeugend, wie man die Zensurbestimmungen unterlaufen konnte.

Auch an den Romanen des Genies Chandler war man wieder interessiert. Eine werkgetreuere Verfilmung der Marlowe-Figur schien nun wünschenswert und erfolgversprechend. RKO erinnerte sich daran, dass sie den Roman FAREWELL MY LOVELY zwar bereits in einem B-Picture niedergemetzelt hatten, aber immer noch über die Rechte verfügten. Sie drehten eine zweite Adaption unter dem Titel MURDER, MY SWEET mit Dick Powell, der damit als erster Philip Marlowe-Figur auf der Leinwand verkörperte (die dritte Adaption erfolgte 1975 mit Robert Mitchum, gedreht von Dick Richards).

Chandler hatte mit dem Film, der Powells Karriere neue Impulse gab, nichts zu tun und bekam auch keinen zusätzlichen Penny dafür. Aber der Film förderte den Absatz seiner Romane: Die Auflage der Pocket Book-Ausgaben stieg 1944 in den USA auf zwei Millionen verkaufte Taschenbücher! In England verkaufte Chandler von den Hardcover-Ausgaben seiner Bücher zeit seines Lebens mehr Exemplare als in den USA. Sein Ruhm in Hollywood erreichte 1945 den Höhepunkt. Obwohl sein Einfluss auf das US-Kino enorm war, sind es nur fünf Filme für die Chandler direkte credits bekam.

Nach der Arbeit an DOUBLE INDEMNITY unterschrieb Chandler bei der Paramount im Winter 1943 einen Anschlussvertrag: Er bekam 1250 Dollar die Woche und musste in einem Einzelbüro mit Sekretärin auf dem Studiogelände arbeiten.
Mit dieser Sekretärin hatte Ray eine stürmische und kurze Affäre, wenn man den vagen Behauptungen seiner Biographen Glauben schenkt. Die Verantwortlichen bei Paramount machten einen Fehler: Sie sahen Chandler nicht als Spezialist für Noir-Stoffe, sondern als „Dialog-Doktor“, der bereits in den Sand gesetzte Stoffe anderer Autoren aufpolieren sollte. Als erstes verpasste er dem dumpfen Alan Ladd-Vehikel AND NOW TOMORROW nach dem Roman von Rachel Field ein paar gute Dialoge, die dieses Melodram aber nicht retten konnten (erfolgreich war es trotzdem, weil Ladd damals ein Kassenmagnet war).

Danach setzte man ihn an THE UNSEEN, einem melodramatischen Horrorfilm, dessen Drehbuch von Hagar Wilde und Ken Englund nach dem Roman von Ethel Lina White (die für den Hitchcock-Film THE LADY VANISHES, 1937, die Romanvorlage geliefert hatte) zu Dreiviertel fertiggestellt war.
Es war der erste Film des jungen Produzenten John Houseman, der über ihn sagte: „Der einzige Grund, weshalb der Film gedreht wurde und in die Kinos kam, war der, das damals absolut jeder Film Profit machte„.

Houseman, der ebenfalls eine britische Public School-Erziehung genossen hatte, wurde ein sehr enger Freund von Chandler. Dieser genoss inzwischen das tägliche Leben im Studio. In der Kantine hielt er regelrecht Hof und umgab sich mit Drehbuchautoren, die zu ihm aufschauten.
„Am Tisch der Drehbuchautoren hörte ich einige der besten Witze, die ich je in meinem Leben gehört habe. Ich erinnere mich an Henry Tugends wunderbaren Witz über einen berühmten Filmstar. Er sagte: ‚Wissen Sie, das ist eine lausige Arbeit. Man muss sich hinsetzen und mit diesem Spatzenhirn ernsthaft darüber reden, ob diese Rolle für ihre Karriere gut ist oder nicht. Gleichzeitig muss man aufpassen, dass man nicht von ihr vergewaltigt wird.‘ Worauf ein ziemlich unschuldiger Mann aufpiepste: ‚Wollen Sie damit sagen, dass sie eine Nymphomanin ist?‘ Harry sah stirnrunzelnd in die Ferne und seufzte: ‚Vermutlich wäre sie das, wenn man sie etwas abkühlen könnte.'“

EINE KERZE FÜR RAY



zum 60. Todestag: RAYMOND CHANDLER IN HOLLYWOOD 1/ by Martin Compart

Raymond Chandler war ein einsamer Mann; aber Schreiben ist ein einsames Geschäft. Sein Einfluss auf die Massenmedien war und ist allerdings alles andere als isoliert. Er schuf mit dem Privatdetektiv Philip Marlowe eine der großen multimedialen Pop-Ikonen des 20.Jahrhunderts und ist als Autor für mehr literarische Epigonen verantwortlich als selbst Ernest Hemingway.

Dashiell Hammett hatte vor ihm das Subgenre der private-eye-novel, des harten Privatdetektivromans, erfunden oder zumindest in seinen fünf Romanen entscheidend die wichtigsten Richtungen ausgeformt.
Mickey Spillane hat mehr Bücher als Chandler und Hammett zusammen verkauft, aber es ist Chandler, der bis heute den meistkopierten Stil der Literatur des 20.Jahrhunderts entwickelte.

Chandler war bereits über vierzig Jahre alt, als er diesen Stil herauszubilden begann.
1934 erschien in dem Pulp-Magazin BLACK MASK seine erste Story: BLACKMAILER’S DON’T SHOOT. In dieser noch wenig beeindruckenden Geschichte beschäftigte er sich bereits mit der Welt des Films; es geht um das Kidnapping eines Filmstars aus Werbegründen. Man kann also kaum behaupten, dass Chandler der Glitzerwelt naiv gegenüber stand, bevor ihn der Ruf als Drehbuchautor ereilte. Er war nicht der erste und sollte nicht der letzte hard-boiled-Autor sein, den Hollywood einfing.
black_mask[1] Die amerikanischen Pulp-Autoren, dessen berühmtestes Organ das BLACK MASK-Magazin war, griffen eine neue Sprache auf: Die Sprache der Straße, die Sprache der Verlierer, Arbeiter, Gangster und Geschäftemacher. In dieser Sprache stellten sie realistisch eine Welt dar, die brutal, unmenschlich und nicht mehr zu beherrschen war.

Meist agieren in diesen Geschichten Detektivhelden, die versuchen Gerechtigkeit im Kleinen zu erkämpfen. Sie sind aber nicht einmal der stete Tropfen, der den Stein höhlt. Bereits Dashiell Hammett, der herausragendste Vertreter der hard-boiled-school, glaubt nicht mehr an Gerechtigkeit im Mikrokosmos und wird zum Chronisten der Düsternis der Städte. Autoren wie Hemingway (in A FAREWELL TO ARMS, 1929), Faulkner (in SANCTUARY, 1931) oder John O’Hara (in APPOINTMENT IN SAMARRA, 1934) griffen Sprache und Weltbild der Pulp-Autoren auf.

Hammett beschrieb die Abkehr von allen zivilisatorischen Regeln, indem er seine Helden, die oft im Dienste des amoralischen Kapitals standen, zu Richtern, Geschworenen und Henkern gleichzeitig machte. Raymond Chandler fiel in dieser Hinsicht hinter Hammett zurück, indem er romantisierte und einen staubigen Ritter die mean streets einer korrupten Zivilisation durchstreifen ließ. Ross Macdonald nannte den Chandlerschen Privatdetektiv den „klassen- und ruhelosen amerikanischen Demokraten“.

Spätestens nachdem sich Humprey Bogart Trenchcoat und Hut übergezogen hatte, ist der abgebrühte (hardboiled) Privatdetektiv ein popkultureller Mythos. In Tausenden Romanen und Filmen singt er das hohe Lied vom ehrlichen Kleinstunternehmer, der sich nicht schmieren lässt und in einer korrupten Welt für etwas mehr Gerechtigkeit sorgt. Diese Literatur sollte für Hollywood in den 40er Jahren ungeheuer wichtig sein. Denn nach den brutalen Gangsterfilmen der 30er Jahre hatte die katholische Zensurstelle, der so genannte Hays-Code, den Filmemachern so viele Beschränkungen auferlegt, dass sie kaum noch realistische Filme drehen konnten.

Historiendramen und Musicals drohten Anfang der 40er Jahre das Publikum aus den Kinos zu vertreiben. Aber nicht nur diese harte, realistische Prosa war für die Stilentwicklung des film noir verantwortlich. Man musste sich auch wieder an frühe Formen der Filmsprache erinnern. An eine Filmsprache, die nicht amerikanisch war:

Nicht Hollywood sondern Deutschland war in den 20er Jahren der Mittelpunkt der Filmwelt. Die Deutschen waren die Meister des Lichts, der special effects und ungewöhnlicher Kamerastandpunkte. Die Filmemacher nutzten Techniken des experimentellen Theaters und des Expressionismus, um Spannung, Horror und das Gefühl totaler Verunsicherung auf die Leinwand zu bringen. Mit dem KABINETT DES DR.CALIGARI (1919) schufen sie das sowohl düsterste wie auch expressionistisch befremdlichste Werk der Epoche. Die Welt von Kafka durch die Kamera eines Expressionisten gesehen.

Gleichzeitig revolutionierte Sergei Eisenstein in Russland die Filmkunst mit einer neuen Schnittechnik. Das expressionistische Licht des deutschen Films und Eisensteins Schnittechnik wurden die entscheidenden Elemente des späteren Film noirs, der in den 40er- und 50er Jahren in Hollywood als Schwarze Serie stilbildend wirkte.

Es waren fast ausschließlich Emigranten wie Fritz Lang, Billy Wilder oder Robert Siodmak, die in den 40er Jahren die pessimistische Grundhaltung der Amerikaner auf die Kinoleinwand brachten. Literarische Vorlagen fand man eben in den Pulp-Magazinen und den Romanen der Noir-Autoren: Geschichten über Menschen, die in aussichtslose Fallen gerieten, gesellschaftliche Außenseiter ohne Hoffnung und die Ausgegrenzten, die nur noch Chancen im Verbrechen sahen. Diese handlungsbetonten Geschichten eigneten sich bestens für den Film.

Der unerwartete Erfolg von John Hustons THE MALTESE FALCON (DER MALTESER FALKE, 1941) nach Hammetts Klassiker begründete das Interesse an Noir-Filmen, die auf den Werken der Hard-boild-Schreiber basierten oder von ihnen direkt für die Leinwand geschrieben wurden. Deshalb karrte Hollywood ganze Zugladungen von ihnen heran.

Die Crème der Noir-Autoren folgte dem Ruf des Zelluloids und verdingte sich mal besser, mal schlechter, als Drehbuchautoren: Hammett, Chandler, James M.Cain, Horace McCoy, David Goodis, Frank Gruber, Jonathan Latiner, Peter Ruric, William Burnett, Eric Taylor, Dwight V.Babcock, John K.Butler, Steve Fisher, W.T.Ballard, Jim Thompson und viele mehr.

Große Regisseure drehten nach Noir-Romanen Klassiker der Filmkunst. Darunter etwa Fritz Langs MINISTRY OF FEAR (MINISTERIUM DER ANGST, 1944) nach Graham Greene, William P.McGiverns BIG HEAT (HEISSES EISEN, 1953) oder Geoffrey Households ROGUE MALE als MANHUNT (MENSCHENJAGD, 1941). Billy Wilder drehte Cains DOUBLE INDEMNITY (FRAU OHNE GEWISSEN, 1944), Robert Siodmak Cornell Woolrichs PHANTOM LADY (ZEUGE GESUCHT, 1944), Orson Welles verfilmte Whit Mastersons TOUCH OF EVIL (IM ZEICHEN DES BÖSEN,1958) und Edward Dmytryk Don Tracys CRISS CROSS (GEWAGTES ALIBI, 1949) oder nach Chandlers FAREWELL, MY LOVELY mit MURDER MY SWEET den ersten Film mit der Figur Phil Marlowe.

Dass man Noir-Filme auch in Farbe drehen kann, weiß man seit 1958, als Nicholas Ray mit PARTY GIRL (MÄDCHEN AUS DER UNTERWELT) den ersten „bunten“ Noir-Film vorlegte. Kein anderes Filmgenre hat so viele Klassiker hervorgebracht und keine Minute vergeht, in der nicht irgendwo auf der Welt im Fernsehen ein Noir-Film läuft.

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In diesen erschreckenden, gewalttätigen frühen Filmen (die manchmal aus Zensurgründen völlig unglaubwürdig das pessimistische Ende der literarischen Vorlage ins Positive umdrehten) wurde der Einsatz der subjektiven Kamera perfektioniert, um den Zuschauer noch intensiver in die Leinwand zu saugen.

Chandler mäkelte einmal herum, dass diese subjektive Kamera in der Verfilmung von THE LADY IN THE LAKE ein alter Hut sei. Das war diese Technik damals natürlich nicht; sie wurde in diesem Film nur so penetrant eingesetzt, dass man den gesamten Film als gescheiterten, aber höchst interessanten Experimentalfilm ansehen muss. Wie in den Romanen hatte der Zuschauer keine Chance seinen eigenen Ängsten zu entkommen.


Die Noir-Filme waren eine Chance, langsam aber sicher die überholten Normen der Zensur des Hayes-Codes auszuhebeln, der inzwischen die Existenz Hollywoods gefährdete, da er dem neuen Lebensgefühl der Kinogänger nicht mehr entsprach. Depression und Krieg hatten das Bewusstsein der Menschen nachhaltig verändert.
Erstes Genre-Opfer war der Western: Die naiven Vorkriegswestern voller makelloser Helden mit weißen Hüten waren lächerlich geworden angesichts der realen Schrecken des Krieges. Zynische Helden wie Bogart, die an keine patriotischen Floskeln mehr glaubten, verkörperten den Zeitgeist.

Von den weiblichen Stars erwartete man nun eine stärkere, direktere sexuelle Ausstrahlung. Wenn Bogart mit Bacall rummachte und derb flirtete, wusste der Zuschauer, dass die beiden anschließend nicht zum gemeinsamen Blumenpflücken gehen würden. In den Filmen der 40er Jahre litten Männer der Mittelschicht häufig unter den sexuellen und materiellen Bedürfnissen der Frauen. Diese harte, düstere und oft sexuell aufgeladene Stimmung schwang in der harten amerikanischen Kriminalliteratur mit. Selbst in den schlechtesten Pulp-Stories (und es gab eine Menge schlechte Geschichten) schwingt ein realistischeres Zeitgefühl mit als in den meisten Werken der damaligen Mainstream-Literatur. Vom klassischen Detektivroman britischer Prägung ganz zu schweigen. Die Noir-Helden können den Gang der Welt nicht kontrollieren, höchstens eine Wahl treffen, wie sie in ihr leben (oder untergehen).

Im Gegensatz zu anderen Literaten, die seit den 30er Jahren von Hollywood eingekauft wurden, hatte Chandler nie Berührungsängste mit dem Kino. Anders als viele Kollegen sah er den Film nie als per se minderwertiges Medium an.
Wieso auch?
Hatte er doch in den billigen Pulp-Magazinen gezeigt, dass man aus jedem Genre qualitativ Hochwertiges herausholen konnte. Seine Frau Cissy, eine gescheiterte Schauspielerin (und in jungen Jahren ein Opium rauchendes Nacktmodel), hatte aus ihm einen regelmäßigen Kinogänger gemacht, der seine analytische Brillanz auch auf die Filmkunst bezog.
Gleich nachdem CITIZEN KANE herausgekommen war, erkannte Chandler die Bedeutung des Streifens für die Filmsprache und wurde umgehend zu einem Bewunderer von Orson Welles. Niemals stellte er aber auch in Abrede, dass die Filmindustrie in erster Linie ein Geschäft ist und die Verantwortlichen vor allem Geld verdienen wollen. Das bereitete ihm keine Kopfschmerzen, da es letztlich dieselbe Ausgangssituation war, die er als Autor akzeptiert hatte, als er für die billigen Hefte des Pulp-Marktes zu schreiben begann.

Letztlich folgte er dem Ruf nach Hollywood auch deshalb, weil ihn zu diesem Zeitpunkt seine Einkünfte aus dem literarischen Schaffen kein sorgenfreies Leben garantierten. Die große Legende, dass Chandler ach so furchtbar unter Hollywood gelitten haben soll, ist quatsch – wie sich noch zeigen wird. Eine Legende, die immer mal wieder auftaucht (gespeist auch durch Chandlers bitterbösen Aufsatz über Hollywood im ATLANTIC MONTHLEY: SCHRIFTSTELLER IN HOLLYWOOD, 1945).
Sein Biograph Tom Hiney hat in seinem Buch gründlich mit diesem Missverständnis aufgeräumt. Wenn man Hiney extrem verstehen will, könnte man behaupten, dass eher Hollywood (zumindest einige wichtige Leute dort) unter Chandler gelitten hatten, der sich dafür rächte, dass man seinen unfähigen Agenten anfangs schwer übers Ohr gehauen hatte, was Chandler einen Haufen Geld gekostet hatte: 1941 verkaufte sein Agent Sydney Sanders die Rechte an dem Roman FAREWELL MY LOVELY für 2000 Dollar an RKO. Die machten daraus das B-Picture THE FALCON TAKES OVER in der Billigserie THE FALCON. „Ein Beispiel wohl noch nie dagewesener Dummheit seitens meines New Yorker Agenten“, sagte Ray später dazu.

Im selben Jahr kaufte die Twentieth-Century Fox für 3500 Dollar die Rechte an THE HIGH WINDOW, um daraus den Film TIME TO KILL für die Michael Shayne-Serie zu machen. 1947 drehte John Brahm danach THE BRASHER DOUBLOON. Üblicherweise zahlten die Studios damals bis zu 50 000 Dollar für Romanrechte.
Kein Wunder, dass Ray seinen Agenten feuerte, nachdem er die geschäftlichen Gepflogenheiten Hollywoods kennengelernt hatte. Statt Sanders vertrat ihn später H.N.Swanson, ein hoch angesehener, mit allen Wassern gewaschener Hollywood-Agent, der auch F.Scott Fitzgerald, William Faulkner und später Elmore Leonard zu seinen Klienten zählte.

FORTSETZUNG FOLGT!

EINE KERZE FÜR RAY



Zum 60.Todestag von Raymond Chandler by Martin Compart
9. Mai 2019, 12:06 pm
Filed under: Raymond Chandler, Zerberus Books | Schlagwörter: , ,

…zündet MiC eine Kerze für Ray an, in:

EINE KERZE FÜR RAY



DER FLIEGENDE TEUTONE von Dr.Horror by Martin Compart

Bekanntlich beobachtet Dr.Horror gerne Weltmeere, Berater und die zweifelhaften Aktivitäten von Politikern, denen er in fröhlicher Loyalität leicht zugetan ist. Nach mehrmonatiger Schlaflosigkeit scheint er nun eine Lösung für den Problemfall GORCH FOCK gefunden zu haben.

Die GORCH FOCK im Trockendock.

Gorch Fock (Johann Wilhelm Kinau, 1880-1916), lesen wir im Wikipedia-Eintrag, sei unbestreitbar ein Nationalist gewesen, aber kein Rassist und Antisemit: Ausgesprochener Antisemitismus zeige sich bei ihm „nur sehr verstreut“. Trotzdem soll das Andenken des Zehntel-Antisemiten, wie es symbolisiert ist in dem 1958 auf Kiel gelegten Segelschulschiff der Deutschen Marine, nicht um jeden Preis saniert werden, wenn es nach der für Segel- und andere Schlachtschiffe zuständigen Verteidigungsministerin von der Leyen geht.

Kostenvoranschlag: 9,6 Millionen; ausgegeben bisher: 70 Millionen; Gesamtkosten nach jetziger Schätzung: 135 Millionen Euro. Die Berater der Ministerin haben indes ermittelt, dass im Verteidigungsfall ein Segelschulschiff relativ nutzlos ist. Das war ihr neu. Wer konnte das wissen?

Segelturn für Berater.

Wir haben eine Idee. Statt der Gorch Fock ein anderes Segelschiff in den Dienst der Bundesmarine zu stellen und fortan unter deutscher Flagge als „Vergeltungswaffe“ auf die Ozeane zu schicken: ein fluchbeladenes Schiff von Weltrang, das bisher noch jeden, der ihm begegnet ist, zerstört hat, Freund, nun ja, Kollateralschäden, und Feind.

Fietje Hansen, idealistischer 2.Maat der FH

]Die Mannschaft: Tote. Keine Verpflegung, kein Sold, keine Sanierung erforderlich bis zum Jüngsten Tag – also noch viele Legislaturperioden.

Schon Richard Wagner, ein Antisemit von Weltgeltung, hat das Schiff in einer „Romantischen Oper in drei Aufzügen“ erstmals 1843 in Dresden besingen lassen.
Wilhelm Hauff, der eine Fortsetzungs-Novelle über den Juden Süß geschrieben hat, verdanken wir ein entsprechendes Märchen.

Und 1918 entstand, am Stettiner Haff, die erste stumme Filmversion. Auch Donald Duck, aus der Feder von Carl Barks, soll ihm einmal begegnet sein – dem Fliegenden Holländer.

Denken wir um, rüsten wir sinnvoll, setzen wir auf den Fluch, auf eine Armada von Geisterschiffen. Null Kosten.

Und gewiss würde auch die AfD zustimmen – vorausgesetzt, man nennt das Schiff um: statt Fliegender Holländer der Fliegende Germane – oder Fliegende Teutone. The Flying Teuton – ein Romantitel von Alice Brown, gestorben 1948, also inzwischen public domain.

Der Fliegende Holländer im Trockendock.