Martin Compart


THRILLER, DIE MAN GELESEN HABEN MUSS: JOHN RIDLEY by Martin Compart
25. Februar 2017, 2:22 pm
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Heute ist John Ridley (Oscar-Preisträger) vor allem wegen seiner Film- und Fernseharbeit als Autor, Regisseur und Produzent bekannt, Daneben schreibt er gelegentlich noch Romane (und Graphic Novels), die schon lange nicht mehr ins Deutsche übersetzt werden. Ein Grund, an seine beiden ersten Romane zu erinnern, von denen zumindest der erste in den Kanon der Noir-Klassiker gehört,

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KEINER KOMMT HIER LEBEND RAUS

Es gibt Romane, die gehören einfach nicht auf die Bestsellerliste. Das mag hart sein für Autor und Verlag, ist aber ein Naturgesetz. Denn wo der Pöbel trinkt, sind alle Brunnen vergiftet. Das gilt auch für John Ridley, dessen Bücher bei uns anbscheinend unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienen sind.

John Ridley, die große schwarze Hoffnung des Noir-Romans, gehört zu den neuen Giganten, und hat in bisher drei Romanen den Amerikanischen Traum entsorgt. Keine zehn Minuten möchte man in seiner Welt leben, aber jederzeit darüber lesen. Im Noir-Roman geht es nicht ums Gewinnen, sondern darum, das Verlieren so lange wie möglich rauszuzögern. Kaputt und gescheitert krabbeln Ridleys Protagonisten durch ihr übles Schicksal, verstecken sich in Suff und Dunkelheit, bevor sie lasngsam ins Nichts abrutschen. „Man kann der Vergangenheit nicht davonlaufen. Man kann sie nur ein bißchen verscharren.“ Seine Protagonisten sind Leute auf der Flucht, denen der Geldhai im Nacken sitzt und die nur eine Hand gebrauchen können, weil sie gerade die letzte Zahlungsaufforderung erhalten haben. Sonderlich sympathisch sind sie nicht, diese miesen kleinen Verlierer, die gerne jeden übers Ohr hauen wollen. „Jedes Jahr muß ich mehr Zeit aufwenden um weniger Geld zu verdienen“, sagt eine alte Nutte und stellt den allgemeinen Stand der Ökonomie fest. Ridleys unbarmherziger Kosmos ist pragmatisch: „Ich bin kein Mörder.“ „Woher willst’n das wissen, wenn du’s nie probiert hast?“

03406956251 Gleich sein Erstling STRAY DOGS war eine Sensation! Frischfleisch für die ganz harten Noir-Afficionados. Oliver Stone besorgte sich umgehend die Rechte und machte den unterschätzten Film U-TURN daraus: Als John Stewarts 64er Mustang in dem Wüstenkaff Sierra verreckt, kann er sich völlig auf Murphys Gesetz verlassen. Am heissesten Tag des Jahres landet er in einem Ort voller Maniacs, Bekloppter und einer verdammt gefährlichen Frau. Nicht nur die Sonne brennt so erbarmungslos „als marschierte man in bezingetränkten Shorts durch die Hölle“. In der Wüste zu verdursten wäre ein gnädigeres Schicksal; wenn Stewart geahnt hätte, was auf ihn zukommt, hätte er die Feldflasche ausgeschüttet und wäre den Geiern begeistert entgegengeeilt. Was folgt ist eine Noir-Farce, die sich James M.Cain und Charles Bukowski nach einem nicht wiedergutzumachenden Trinkgelage ausgedacht haben könnten.

john-ridleyl-a-blues1 In L.A.BLUES geht es ganz tief in die Gülle von Los Angeles und Vegas. Die Geldverleiher von der harten Sorte brechen dem Ich-Erzähler Jeffty gleich auf der ersten Seite den Finger. Idyllischer Auftakt zu einer bösen Geschichte die souverän zwischen unglaublich komischen Szenen und dunkelsten Abgründen balanciert. Jeffty, gescheiterter Drehbuchautor, miserabler Zocker ist Kino-Fan: „Schwarze Serie. Die sollen bloß nicht so angeben. Selbst in den schwärzesten Filmen leben die Leute tausendmal besser als ich.“ Als sein alter Kumpel Nellis auftaucht, dem er mal die Frau ausgespannt hat und der an der Nadel hängt, sieht Jeffty hinterlistig seine Chance. Denn Nellis kann Zen-Poker und verliert nie. Wer die besten Bücher von Elmore Leonard liebt, wird Ridley verschlingen.

Sein dritter Roman, EVERYBODY SMOKES IN HELL erschien bei Ullstein nicht meht. Wieder eine Loosergeschichte, in der Paris Scott über das letzte Tape eines sich gerade umgebrachten Rockstars und einen Haufen Drogen stolpert. Natürlich hält Paris nicht die Chance seines Lebens in den gierigen Klauen, sondern eine Zeitbombe. Wieder geht es von LA nach Vegas, zwei Orte, die Ridley mehr hasst „als Krebs“. Dreckslöcher, in denen man nicht leben mag. „Einfamilienhausghettos sind eine Spezialität von Los Angeles. Denn unsere Armen hatten Einfamilienhäuser und unsere Schnapsleichen waren sonnengebräunt.“ Auch Vegas findet in seinen Augen kein Erbarmen: „Vegas für Familien? Schneewittchenschlösser und Vergnügungsparks, Schwuchteln, die mit weißen Tigern zauberten, und Pfeifen, die man nicht einfach ausnehmen und umbringen konnte. Was soll der Quatsch? Das Familien-Vegas lehrt die Kinder spielen, damit sie eines Tages ihr Geld hier verzocken.“

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John Ridley wurde in Milwaukee geboren. Er ging nach New York und studierte ostasiatische Kultur. Zur Abrundung des Programms begann er mit Shotokan-Karate. Eine Weile lebte er in Japan, versank in dieser Zivilisation und lernte auch die Sprache. Zurück in den USA begann er eine Karriere als Stand-up-Komiker, die immerhin bis in die Tonight-Shows von Jay Lenno und David Letterman führte. Deshalb wechselte er 1991 nach Hollywood und begann Drehbücher zu schreiben. Die Tretmühle eines Autors für Black Sitcoms nagte an ihm: „Für TV-Serien zu schreiben ist – bis auf wenige Ausnahmen – eine geistlose Fließbandarbeit, bei der man immer wieder dieselben blöden Gags recycelt. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb schrieb ich meinen ersten Roman, denn ich liebe das Schreiben.“ Nebenher arbeitete er als Skriptdoktor für Visionäre wie Coppola und Oliver Stone, der 1997 Ridleys Regiedebut COLD AROUND THE HEART (MENSCHENJAGD) produzierte. Für diesen Noir-Film mit David Caruso wurde er in New York auf dem Urbanworld Film Festival (was immer das sein mag) ausgezeichnet. Auch mit anderen Drehbüchern hatte Ridley Erfolg, etwa THREE KINGS mit George Clooney. Außerdem ist er Co-Produzent und Autor der höchst erfolgreichen TV-Serie THIRD WARCH, eine Art NYPD BLUE meets EMERGENCY ROOM. Im Mai 2000 pitchte Ridley eine neue Serie über das Internet und war anschließend um eine Million Dollar reicher. Zusammen mit Sofia Coppola entwickelte er für den Kabelkanal HBO die Serie EMPIRE über zwei Brüder, die eine Hip-Hop-Plattenfirma leiten. Aber seine große Liebe, das betont er immer wieder, ist der Roman. Das bei seinen Zocker-Geschichten alles stimmt, hat neben auch mit einer Frau zu tun: Ridley ist mit einer Berufsspielerin verheiratet. Ridleys Frauen sind die schlimmsten femmes fatales der zeitgenössischen Kriminalliteratur, allesamt Schwarze Witwen mit gehörigen Macken. Die tumben Protagonisten schnallen natürlich nichts: „Er musterte sie so skeptisch wie ein Urmensch, der zum erste mal Feuer sieht.“ Seine geschlechtsspezifischen Analysen bestätigen einen Aphorismus von Nietzsche: „Der Mann ist böse, die Frau ist schlecht.“

Die BÜcher:

U Turn – Kein Weg zurück (Stray Dogs, 1997). Ullstein 24253 (1998); DM 12,90.
L.A.Blues (Love Is A Racket, 1998). Ullstein Hardcover (2000); DM 39,90.
Everybody Smokes In Hell, Alfred A.Knopf, 1999.
A Conversation with the Mann: A Novel.: Warner Books, 2002.
The Drift. Knopf, 2002.
Those Who Walk in Darkness. Warner Books, 2003.
Ridley, John, and Patricia R. Floyd.
What Fire Cannot Burn., MD: Recorded Books, 2011