Martin Compart


HINTERWÄLDLER, KANNIBALEN UND MONSTER – zum BACKWOOD-GENRE, das Genre zur Umweltzerstörung by Martin Compart

„Der Gruselschauder ist masochistisch und letzten Endes weiblich, In ihm unterwirft sich die Phantasie einer überwältigenden Übermacht… Der Horrorfilm entfesselt die vom Christentum unterdrückten Mächte – das Böse und das Barbarische der Natur. Horrorfilme sind Rituale in einem heidnischen Gottesdienst.“

Camille Paglia: „Die Masken der Sexualität“
.

„Im Horror kommt zur Sprache, was seit der Aufklärung und der Weimarer Klassik aus dem Kanon des guten Geschmacks ausgegrenzt wurde: die schockierende Abweichung vom Vernünftigen, Schönen und Guten. Legitimierungsbedürftig kann eine solche Untersuchung (des Genres) nur dem erscheinen, der die im 18.Jahrhundert ausgebildeten Geschmacksnormen unbefragt bis in die Gegenwart fortgeschrieben sehen möchte.“

Hans Richard Brittnacher: „Ästhetik des Horrors“



1. GENRE

Das Backwood-Genre ist kein ausschließliches Subgenre der Weird Fiction oder des Horrors. Horror dominiert dieses Genre, aber die Topoi des Backwood-Horrors lassen sich auch mit anderen verbinden (siehe auch „Wurzeln“). Es bedient sich vieler Genres, vom „Lost-Valley-Abenteuerroman“ bis zum „Country Noir“. Am intensivsten aber wohl mit dem Horror-Genre.

Das wohl herausragendste Werk, James Dickeys DELIVERANCE, ist schwerlich dem Horror-Genre zuzuordnen. Die Romane und Filme, in denen es um die Konfrontation zwischen städtischen Eindringlingen und Rednecks geht, sind eher dem Thriller zuzuordnen als dem Horror-Genre. Auf den ersten Blick geht es bei Backwood-Thrillern um die völlige Entfremdung des städtischen Individuums von der Natur. Aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Nämlich eine Illustration zum anthropologischen Pessimismus und zeitnaher Ängste. Was die Anhänger der bildungsbürgerlichen Ästhetik als voraufklärerische Moral diskreditieren, erscheint im Subtext des Genres als Ausdruck kollektiver Furcht vor realen Auswüchsen des Feudal-Kapitalismus.

2. WURZELN

Das Backwood-Genre verdankt einiges dem „Lost Race“ oder „Lost Valley“-Motiv. Dieses wurde prominent bis in die 1950er Jahre vornehmlich von der Fantasy oder der Abenteuer-Literatur eingesetzt. Autoren, die es besonders häufig und effektiv nutzten waren Rider Haggard, Edgar Rice Burroughs und Abraham Merritt.
Burroughs verwendete das „Lost Race“-Motiv gerne und zahlreich in seinen Tarzan-Romanen. Immer wieder entdeckt der Herr des Dschungels bei seinen Streifzügen Lost Valleys, in denen bestimmte Kulturen isoliert von der Außenwelt existieren oder überlebt haben. Tarzan oder Rider Haggards Helden (Alan Quartermain) finden aber meist vergleichsweise Hochkulturen. Ob Mayas, Wikinger, Römer oder Kreuzritter, Burroughs lässt nichts aus.

Aber sie treffen verständlicher weise nie, wie in den Backwood-Thrillern, auf Redneck-Kannibalen.

Auch von den „Post-Doomsday“-Geschichten der Science Fiction übernimmt das Backwood-Genre etwas: nämlich das Konzept, dass keine bürgerlichen Normen mehr existieren oder durchgesetzt sind. Die „Post-Doomsday“-Stories beschreiben häufig eine Welt nach dem kulturellen Zusammenbruch, in der wir wieder in die Barbarei zurückfallen. Eine Barbarei, die noch über technologische Möglichkeiten der zerstörten Zivilisation verfügt (wie es etwa in den MAD MAX-Filmen gezeigt wird).

Im Backwood-Subgenre verbindet sich Weird-Fiction oder Horror mit dem Thriller zum Terror-Movie oder zur Terror-Novel.
Die Bedrohung muss dabei nicht übernatürlich sein, also nicht von Horror, SF- oder Fantasy-Elementen getragen.

In einigen der besten Backwood-Thrillern, wie DELIVERANCE von James Dickey, OPEN SEASON von David Osborn, einigen Ketchum-und Lansdale-Romanen. geht die Todesgefahr von degenerierten Mitmenschen aus, die dieselbe Mentalität wie Wirtschaftsbosse und Politiker teilen: Maßlose Gier nach Befriedigung ihrer perversen Bedürfnisse durch die Ausübung überlegener Gewalt.

Ein Aspekt der Faszination, die vom Terror-Genre ausgeht, ist das Aufzeigen der Brüchigkeit unserer Zivilisation und die Ohnmacht gegenüber brutaler Gewalt, sei sie physisch, psychisch, ökonomisch (Bentley Little) oder politisch. Es spiegelt unsere Realität wieder. Erleben wir doch gerade, wie unter dem Begriff „Globalisierung“ auf die gemeinste Weise die Gewalt privilegierter Cliquen gegenüber Menschen und Natur ausgeübt wird. Firmen wie Monsanto zeichnen sich durch unbeschwerte Genmanipulation aus, die „Patente “ für Nahrungsmittel besorgen. Eine Perversion an sich. Chemiefabriken flössen ihren Abfall in die Nahrungskette ein und zerstören wie Ölfirmen rücksichtslos die Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen. Atomverseuchte Abfälle werden skrupellos in Afrika oder den Weltmeeren entsorgt. Besinnungsloser Raubbau an der Umwelt und hemmungslose Akkumulation von Reichtum sind die Wertsetzungen des Kapitalismus, die Genre-Fiction gerne in Frage stellt.

Die vergiftete Natur wird gerne und plausibel als Erklärung für die Degeneriertheit der Hinterwäldler angeboten.

3. INSEL

Isolation in feindlicher Umgebung war und ist ein starkes Motiv der Fiktion.

Schutz- und hilflos in einer fremden Umgebung Kräften ausgeliefert zu sein, die man nicht kontrollieren kann, ist eine der stärksten Ängste, die man mobilisieren kann. In unserer urbanen Zivilisation werden diese Ängste besonders intensiv wahrgenommen, wenn unzivilisierte Regionen, deren Codes die Protagonisten nicht entziffern können, zum Schauplatz werden.

Dies gilt besonders für Kannibalen- und Backwood-Filme. Die als Genre definierten Kannibalen-Filme spielen an entlegenen Orten, in die Figuren bewusst anreisen und deren Gefahren im vornherein weitgehend bekannt sind (zu Kannibalen siehe auch: https://martincompart.wordpress.com/2014/10/30/wo-die-wilden-kerle-leben-kannibalismus-im-film/).

Dschungelregionen und ferne unbekannte Länder erscheinen wie unerforschte Inseln mitten in der „bekannten“ Welt.
Keine Überraschung, dass auch fiktive Inseln zum Kanon der Backwood-Thriller zählen.

Diese Spielart könnte als „Insel-Thriller“ bezeichnen; wieder eine Art Subgenre.

Es lässt sich vor allem auf zwei Klassiker zurück führen: Richard Connells Kurzgeschichte THE MOST DANGEROUS GAME (1924), deren erfolgreiche Verfilmung von 1932 stilbildend war. Hier geht es darum, dass Menschen auf einer isolierten Insel als Jagdwild herhalten müssen. Graf Zaroffs Menschenjagd auf seiner Insel ist zum populären Allgemeingut geworden und taucht immer wieder in allen möglichen Genres und Medien auf (sogar in dem Daily Comic Strip X9 SECRET AGENT CORRIGAN von Al Williamson und Archie Goodwin).
William Goldmans Roman LORD OF THE FLIES (1954) erzählt von gestrandeten Jugendlichen, die zwei sich bekämpfende Gruppen bilden. Goldings Subtext ist für das gesamte Genre bestimmend: Gewaltbereitschaft ist dem Menschen angeboren und ohne zivilisatorische Regeln herrscht das Gesetz des Stärkeren. Jüngere Beispiele sind Richard Laymons ISLAND (1991) oder Brian Keenes CASTAWAYS (2009).

4. ERFOLG

Der anhaltende Erfolg des modernen Backwood-Genres geht wohl auf zwei Filme zurück: John Boormans Adaption von Dickeys DELIVERANCE und Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN MASSACRE (1974). Dieses relative kostengünstig zu produzierende Filmgenre explodierte geradezu und wurde besonders von den 1970er Jahren bis heute als B-Pictures direct to Video/DVD genutzt. Eine eindrucksvolle Aufzählung von 188 Filmen findet sich unter: https://www.imdb.com/list/ls068573001/ .

Schriftsteller wie Jack Ketchum, Richard Laymon und Joe R.Lansdale popularisierten den Backwood-Thriller seit den 1980er Jahren als literarische Form, die bis heute bedient wird und sich beständiger Beliebtheit erfreut.
Vielleicht ist die These etwas gewagt, aber man könnte Robert Blochs Ed Gein-Interpretation PSYCHO ebenso als Backwood-Thriller, wie als Serienkiller-Roman auffassen.

Einige Theoretiker rechnen auch Algernon Blackwoods Natur-Horrorstories THE WILLOWS (1907) oder THE WENDIGO (1910) dem Genre zu.

5. STADT GEGEN LAND

Im Backwood-Genre kommen Gefahr und Horror für die Hauptpersonenunerwartet und nichts weist auf künftige Gefährdungen hin. Sie begeben sich im Hochgefühl zivilisatorischer Überlegenheit an diese Orte, deren Dynamik sie weder kennen noch einzuschätzen wissen. Die Backwoods liegen hinter unseren urban kultivierten Plätzen, nicht weit entfernt von der vertrauten Umgebung. Aber einmal falsch abgebogen und schon sieht man sich einem Terror ausgesetzt, dem man mit seinen zivilisatorischen Mitteln nicht begegnen kann.

Ein Topos ist der Städter, der sich dem Backwood-Terror ausgesetzt sieht und alle zivilisatorischen Hemmungen und Konditionierungen abwerfen muss, um zu überleben.

Die bekannten Verteidigungstechnologien, vom Auto bis zur Schusswaffe, werden in diesem Genre meistens außer Kraft gesetzt oder dienen als eine Art Gral, den die Protagonisten zu erreichen trachten und oft in letzter Sekunde zur finalen Lösung nutzen. Letztlich überwiegt aber das Misstrauen gegenüber technischen Lösungen (ist es nicht oft der technologische Fortschritt, der durch Umweltvergiftung aus debilen Hillbillys völlig durchgeknallte Kannibalen macht? – wie etwa in WRONG TURN 2.

Erst wenn der Städter alle zivilisatorischen Schichten abgeschält hat und zur bösartigen Kreatur wird, hat er eine Chance im ruralen Inferno zu bestehen.

„Und er konnte es tun – er konnte es wirklich tun. In dieser Nacht hatte er bereits drei oder vier dieser Leute getötet. Warum nicht zwei mehr?… Er hatte Angst. Angst vor dem Vergewaltiger und Mörder, der in seiner Haut lauerte.“ (aus Laymon: IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa 2011.)

Je mehr Industrialisierung und Umweltzerstörung fortschreiten, umso intensiver wird auch eine Urbanisierung (die Zuwanderung in die Großstädte der 3.Welt, was zu unfassbaren Slums führt), deren zivilisatorischer Anspruch längst umgekippt ist.
Für den Städter ist der Landbewohner inzwischen mental einer fremden Kultur zugehörig, sein Wertesystem kaum nachvollziehbar. Denken wir nur an die gerne im TV vorgeführten Jugendlichen, die kein Gemüse mehr identifizieren können. Der Landbewohner, so er denn nicht dem Flötenspiel der industriellen Rattenfänger folgt, hat kaum noch Bezüge zu den Stadtbewohnern. Sein Leben hat einen anderen Rhythmus, der stärker von den Unwägbarkeiten der Natur abhängig ist.

Inzwischen sind verslumte Vororte und verslumte Stadteile neben dem Land auch zu Backwoods geworden (so gesehen könnte man auch Sol Yurick und Walter Hills THE WARRIORS als einen urbanen Backwood-Thriller werten). Die Förderung landwirtschaftlicher Großbetriebe stärkt nicht humanitären Fortschritt, sondern brutalisiert ökonomische Barbarei (Stichwort Massentierhaltung).

6. ORTE

Das bedrohliche Hinterland mit sinisteren Gebäuden ist kein wirklich neues Thema der Weird Fiction. Das alles findet sich in Mythologien und etwa den Burgen und Klöstern der Gothic Novel (wenn man denn will, könnte man auch den ersten Teil von Stokers DRACULA mit Jonathan Harkers Reise in die Karpaten zu Draculas Schloss als Backwood-Thrill interpretieren).

Unheimliche Orte, die man besser nicht besucht, gab es in der Weird Fiction und der Gothic Novel immer. Man wird gewarnt, diese nicht aufzusuchen. So auch der Erzähler in Lovecrafts SHADOWS OVER INNSMOUTH. Die Bedrohlichkeit dieser Orte ist zwar nicht in all ihren Dimensionen bekannt, aber es besteht vorab so viel Wissen, dass man erahnen kann, warum man sie besser meidet. Es ist die Naivität oder das übersteigerte Selbstbewusstsein der Protagonisten, die sie aller Warnungen zum Trotz diese „unheiligen“ Orte aufsuchen lässt.

Ganz anders nähert man sich den Wäldern oder Dörfern der Backwood-Thriller.
In sie fährt oder wandert man hinein, ohne die geringste Vorsicht oder den Hauch von Wissen um ihre Existenz. In der Regel will man diese nicht als Orte des Schreckens kartographierte Regionen nur durchqueren, auf dem Weg von einem bekannten urbanen Platz zum anderen. Man bemerkt gar nicht die Grenze, die man überschreitet, wenn man die vertraute Welt verlässt, um in die rurale Barbarei zu geraten.
Und dann platzt ein Reifen, oder man biegt falsch ab, oder man will in diesem merkwürdigen Ort nur schnell etwas essen…
Schlagartig wird man mit einer archaischen Welt konfrontiert, in der alle erlernten Fähigkeiten nichts zur Überlebenssicherung beitragen. Auch die mitgebrachte Technologie funktioniert nicht („Ich kriege kein Netz.“).

in dieser Welt verknüpft sich das Unheimliche mit nicht domestizierter Natur mit genetischen Katastrophen der eigenen Spezies. In der ungezähmten Wildnis tobt der Abschaum Pans in unkontrollierter Macht.

Zivilisatorische Normen haben weder Sinn noch Durchsetzungskraft.

Die Bewohner huldigen undurchschaubaren Riten, Stammesregeln (wenn überhaupt), die nur für sie gelten. Der Fremde steht außerhalb jeder positiven Sanktion. Sie meiden Kontakte mit Menschen außerhalb ihrer inzestuösen Gruppe. Ausgenommen als Jagd-und Ritualopfer, Nahrung oder Sklaven.
Fremde sind Nutztiere oder Spielzeuge für ihre erschreckenden Vorlieben. Ob sie durch Abwesenheit von Geschichte, Umweltverschmutzung oder sonst was degeneriert sind, ist sekundär. Primär sind sie aggressiv böse, ohne zivilisatorische Kruste. Sie sind weniger das, was wir vielleicht einmal waren, als das was wir fürchten, sein zu können.

Sie verkörpern nicht die ungehinderte Natur, sondern die entartete Gattung. Sie sind das Gegenteil von Rousseaus edlem Wilden. Eher der Beweis für Freuds These, dass wir alle Mörder und Kinder Kains sind.

Sie weisen darauf hin, was passieren kann, wenn unsere zivilisatorischen Lichter ausgehen und wir im Dunkel der entsolidarisierten Gesellschaft versinken: Atomisiert in kleinen Rotten, die nur sich selbst verpflichtet sind, gibt es beim Überlebenskampf keine Gnade. Töten ist genauso selbstverständlich wie essen. Quälen so genussvoll wie Sex.

Diese Hinterwäldler werden mental gerne auf einer Stufe mit nicht sozialisierten Kindern dargestellt. Musterbeispiel sind einmal mehr die WRONG TURN-Filme mit ihren infantilen Menschenfressern. Wie Kinder Fliegen die Flügel ausreißen, reißen sie den Fremden vergnügt Arme und Beine vom Körper.

Ein Subtext des Genres ist: Ohne urbane Zivilisation ist der Mensch barbarisch und böse. Dieser anthropologische Pessimismus ist seit den 1980ern (Reagen, Thatcher, Kohl und der Raubtierkapitalismus der Neo-Cons) als Genresubtext aktuell und attraktiv. Jeder spürt ja den bevorstehenden Zusammenbruch. des kapitalistischen Lemmingsystems, der alle erreichten zivilisatorischen Errungenschaften zerbröselt und für sinnlosen Konsum die Natur opfert.

Und dann sind wir alle in den Backwoods.

Die folgenden Buchtipps sollen lediglich einen Überblick verschaffen, um dieses Genre oder Subgenre in seiner Spannbreite zu illustrieren.

DELIVERANCE (BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE, Rowohlt) von James Dickey

Der Klassiker; dazu noch ein „literarisch anerkanntes“ Buch (was immer das bedeuten mag). Bevor eine ganze Wald- und Flussregion als Stausee versinkt, wollen vier Städter noch mal den Genuss an der urwüchsigen Natur genießen und dem Wasserlauf befahren. Und dann kriegen sie Ärger mit den einheimischen Rednecks. Die Vergewaltigungsszene eines der Städter war damals nicht nur extrem schockierend, sie setzte auch die Maßstäbe für die vorherrschende sexuelle Brutalität des Genres.

RIVER GIRL (DAS MÄDCHEN VOM FLUSS, Heyne) von Charles Williams …ist ein Beispiel für den Noir-Thriller als Backwood-Story: Die Leidenschaft zu einer verheirateten Hinterwäldlerin treibt einen Cop in den Kreislauf der Noir-Tragödie. Williams Backwood-Romane haben weniger mit den Horror-Geschichten von heute zu tun. Diese Paperback Originals sind eher von den Southern-Romanen Erskine Caldwell beeinflusst.

JAGDZEIT (Pendragon) von David Osborn
Auch hier hatte der Roman das Glück einer exzellenten Verfilmung (von Peter Collinson mit Peter Fonda und dem unterschätztesten Hollywood-Star überhaupt, William Holden). Ein Update der klassischen Graf Zaroff-Geschichte von Richard Connell. Nur sind es diesmal durchgeknallte Vietnam-Veteranen, die aus der Stadt das Unheil aufs Land bringen.

RAMBO (Heyne) von David Morell.
Nicht nur der erste Rambo-Film war hervorragend (im Gegensatz zu den Sequels), auch die Romanvorlage ist ein moderner Klassiker des Thrillers. Der Vietnamveteran Rambo gerät mit Rednecks aneinander und trägt den Guerilla-Krieg dorthin, wo er hingehört.

OFF SEASON (BEUTEZEIT, Heyne) von Jack Ketchum.
Ketchum gehört wie Joe Lansdale zu den Autoren, deren schwächere Bücher immer noch weit über dem Durchschnitt liegen. Und die außerdem immer wieder für ein Meisterwerk gut sind. Nicht so furchtbar wie EVIL, ist OFF SEASON einer der stilbildenden Romane des Genres und der Klassiker des Kannibalen-Backwood-Thrillers, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Ketchums Brutalität ist erschreckender und glaubwürdiger als der pubertäre Horror, den Laymon verbreitet.

THE WOODS ARE DARK (IN DEN FINSTEREN WÄLDERN, Festa) von Richard Laymon.
Dieser frühe Roman (1982) gehört zu Laymons schwächeren Büchern. Aber in ihm ist geradezu beispielhaft angelegt, wie die Klischees des Kannibalen-Backwoods funktionieren. Als Roman eher bescheiden, ist das Buch so etwas wie eine „idealtypische“ Drehbuchvorlage für ein genrespezifisches B-Picture. Im Gegensatz zu Ketchum gelingt es Layman nicht, seinen Freaks eine eigene, überzeugende barbarische Identität vermitteln.

CREEKERS (Festa Verlag) von Edward Lee.
Man kann über diesen unbeständigen Autor denken, was man mag, aber dieser 1994 veröffentlichte Roman ist ein herausragendes Werk der Gattung. Phil Straker, einst erfolgreicher Großstadtbulle, ist zurück „im guten alten Crick City, der Welthauptstadt der Idioten“. Und hier hat er es nicht nur mit einigen verkommenen Hillybillys zu tun, sondern auch mit den Creekers, einem Clan, der sich unter primitivsten Bedingungen seit Jahrhunderten durch Inzucht degeneriert.

ISLAND (DIE INSEL) von Richard Laymon.
Natürlich erreicht Laymon auch hier nicht die Dimensionen von William Golding. Aber dies ist ein überzeugender Insel-Backwood. Mit dem eigenwilligen Ich-Erzähler gelingt es Laymon hier seinen üblichen pubertären Sex & Torture-Kram glaubwürdiger und erschreckender darzubieten.

JOE R.LANSDALE – DER BOSS IM HINTERWALD.
Ob Horror-Geschichten, Weird-Western oder Thriller – bei Joe Lansdale spielen die Backwoods von Ost-Texas fast immer eine entscheidende Rolle. Er ist der König des Backwood-Thrillers, da er das Genre am effektivsten und immer wieder originell zu nutzen weiß. Erschwerend kommt hinzu, dass er einer der besten Thriller-Autoren überhaupt ist und immer wieder frische, unverbrauchte Erzählungen aus bekannten Klischeegenres gewinnt. Es ist alleine schon beeindruckend, wie er bei seiner ungewöhnlich hohen Produktivität sein Niveau beibehält und immer wieder steigert.

Siehe auch:
https://martincompart.wordpress.com/2019/01/31/poet-des-white-trash-der-noir-autor-daniel-woodrell/
https://martincompart.wordpress.com/2016/09/07/jagdtrip-von-jack-ketchum/



TOM FRANKLIN IS BACK by Martin Compart

Die deutsche Verlagswelt ist wahrlich im Umbruch: Ein US-Autor, der mit Faulkner und McCarthy in einem Atemzug genannt wird und dessen Roman CROOKED LETTER, CROOKED LETTER in Baden-Württemberg zur Abiturs Prüfung gehört, erscheint bei Pulp-Master: Tom Franklin hätte man noch vor einigen Jahren eher bei Hanser oder Rowohlt beheimatet gesehen (und ein Schundautor, den man bei Droemer vermuten könnte, bei Suhrkamp).

Seit dem Noir-Western DIE GEFÜRCHTETEN (Heyne, 2008) ist Tom Franklin ein Begriff für Noir-Fans, denen Cormac McCarthy nicht genügend Lesestoff liefert. Wie Lansdale gelegentlich, beschäftigt sich Franklin in den GEFÜRCHTETEN und im nun bei Pulp-Master vorgelegtem SMONK mit dem Süden der USA kurz vor und nach der Jahrhundertwende. Zu einer Zeit also, als der Slogan „go west young man“ bedeutete, dass die Bestie nach dem Völkermord an den Indianer bereit und willens war, den Rest des Planeten zu zerfleischen.

Wie man so was machen kann, zeigt uns E.O.Smonk im Kleinen, indem er das Städtchen Old Texas in Alabama tyrannisiert in Franklins ultrabrutalen, wahnsinnig komischen (Betonung liegt auf wahnsinnig) , erhellenden und erschreckendem Pageturner.


http://www.pulpmaster.de/wp/order/

„Old Texas, Alabama, 1911. Fernab und inmitten abgebrannter Maisfelder gelegen, leidet die kleine Gemeinde nicht nur unter den Folgen des Bürgerkrieges. E.O. Smonk, ein schießwütiger, einäugiger Farmer, tyrannisiert das Städtchen, insbesondere Dutzende Witwen und junge Mädchen, an denen er sich vergeht. Als ihm der Prozess gemacht werden soll, kann Smonk dem Lynchmob entkommen. Doch es scheint eine Verbindung zu geben zwischen Smonk, dem geheimnisvollen religiösen Witwen-Kult und der Truppe um einen christlichen Hilfssheriff, der eine mordende minderjährige Hure entlang der Golfküste verfolgt.“

Im hinreißendem Vorwort, in dem man auch eine Menge über Franklin erfährt, erklärt Frank Nowatzki, wieso Pulp Master nun zum Schulbuchverlag geworden ist (CROOKED LETTER, CROOKED LETTER erscheint dort ebenfalls).

Eine überraschend gute deutsche Rezension zum „neuen“ Tom Franklin, mit bestechendem Hintergrundwissen, das mir teilweise neue Aspekte eröffnet hat, fand ich unter: http://www.spiegel.de/kultur/literatur/tom-franklin-suedstaaten-romangroteske-smonk-a-1176717.html von Markus Müntefering.



NOIR-WESTERN: JOE R.LANSDALEs DAS DICKICHT by Martin Compart
30. Juni 2016, 8:03 am
Filed under: DUMONT NOIR, Joe R.Lansdale, Noir, Rezensionen, Western | Schlagwörter: , , , ,
Das Dickicht von Joe R Lansdale

Das Dickicht von Joe R Lansdale

 

 

Das hat man doch alles schon x-Mal gelesen oder gesehen:

Die Schwester des Helden wird von Schurken entführt und der Held stellt daraufhin ein Wild Bunch zusammen, mit dem er die bösen Jungs verfolgt bis zum Showdown in einer möglichst schaurigen Umgebung.

Denkt man.

Und dann kommt Joe R.Lansdale daher und erzählt diese Geschichte, wie man sie eben doch noch nie gelesen oder gesehen hat. Es ist seine Version von TRUE GRIT, einem Schlüsselroman des Noir-Westerns.

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Angefangen beim Ich-Erzähler. es ist ein weiterer Spät-Western oder Heimatroman (er spielt ca.915), dessen Held ein Junge an der Schwelle zum Erwachsenwerden ist. Lansdale hat wieder seine „Mark Twain-Stimme“ und berichtet, wie zuvor in THE BOTTOMS, EDGE OF DARK WATER oder A FINE DARK LINE, über die Vergangenheit seiner Heimat Ost-Texas als Western. Authentisch, noir und mit einer berauschenden Sprache beschreibt er die Düsternis der glorreichen Vergangenheit eines Teilstaates der USA, der eher zum Süden, wie Louisiana gehört, als zum Südwesten wie Texas. Damit streift er auch immer wieder „Gothic-Themen“ (nicht von Ungefähr schrieb Lansdale Weird Western wie die Comic-Serie JONAH HEX). „A glory that costs everything and means nothing“, wie Steve Erickson sagte.

Die Schurken des Buches gehören zu den übelsten der jüngeren Noir-Literatur. Ihre Bösartig erwächst genau daraus, was der Western als amerikanische Ideologie so gerne verkündet: die rücksichtslose Durchsetzung eigener Interessen, die weder vor Tötung noch Sabotage des Allgemeinwesens zurück schreckt.  Wobei das hier geschilderte Allgemeinwesen auch nicht gut davon kommt .Die Lynch-Szene, die der junge Protagonist beobachtet, zeigt die Stadtbewohner kaum weniger barbarisch als die Outlaws,

Lansdale gehört zu den kraftvollsten Stimmen der US-Literatur und nur wenige andere haben ein ähnlich breites Spektrum: SF, Fantasy, Crime, Western, Horror. In allen von ihm gewählten Genres schreibt er Herausragendes.

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Dieser Roman gehört zu seinen besten. Alles ist da, was man von Lansdale erwartet: Knallige Dialoge, aberwitzige Charaktere, beängstigende Naturbeschreibungen und ein flüssiger Stil, dessen Feinheit leicht erscheint, da er das rasante Tempo voran treibt. Nebenbei lässt er seine Figuren anregend und charakteristisch über Gott und die Welt philosophieren. Für seinen intelligenten Witz ist der Autor hinreichend bekannt. Cormac McCarthy behält immer eine gewisse Distanz zum Leser; Lansdale saugt ihn auf und zwingt ihn in seinen Kosmos, gibt ihm keine Chance, aus dem Buch auszusteigen.

Eine der Wurzeln der Noir-Literatur ist die Hard-boiled Novel, Diese hat wiederum einiges dem Western-Genre zu verdanken. Eine Beziehung zwischen Noir und Western ist naheliegend und gibt es schon länger, auch wenn das außerhalb des Medium Films seltener geschah. Neuere Autoren wie Tom Franklin oder James Carlos Blake haben den Noir-Western neue Popularität verschafft – dazu demnächst mehr.

 

Als Anhang mein altes Lansdale-Nachwort aus DUMONT NOIR Bd.23 SCHLECHTES CHILI. Einiges ist inzwischen veraltet, und die Bibliographie natürlich nicht auf dem neuesten Stand.

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DER MANN AUS TEXAS

„Das Blöde ist, die Leute denken, wenn sie meine Bücher lesen: So läuft das also in Texas. Aber das stimmt nicht. Es sind Romane. Wenn ich über Maine schriebe, würde ich über die dortigen bösen Buben schreiben. Verdammt nochmal, ich bin Kriminalschriftsteller und kein Angestellter des Touristenverbandes. Ich suche mir die Bereiche der menschlichen Natur aus, die ich beleuchten will. Das heißt doch nicht, daß in Texas an jeder Ecke ein Rassist oder ein brutaler Redneck lauert. Aber man kann es natürlich auch nicht verschweigen. Das Böse lauert überall in den USA“, sagt Joe R.Lansdale und sieht dabei aus wie die Idealbesetzung für sein alter ego Hap. Kein Kerl, der sich von einem Dorfschläger ungestraft ein Bier über den Kopf schütten läßt. Lansdale ist ein echter tough guy, der in seinem Leben oft die dornigen Straßen gewählt hat, und für den Überleben auch Kampf ist. Und er ist ein Mann von Ehre: „Wenn es keine Guten in dieser Welt gäbe, die aufstehen und sich gegen das Böse stellen, wäre alles noch schlimmer. Die paar Aufrechten sorgen dafür, daß der Scheck nicht platzt.“ Dabei hilft dem Schwarzgurt natürlich auch, daß er seit über dreißig Jahren Kampfsport betreibt. Wenige andere Autoren in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur haben das Ohr so dicht am bösen Herzen Amerikas.

image004[1]Kaum ein Autor zeigt so unsentimental und konsequent wie sich das Böse in God’s Own Country eingeschlichen und festgesetzt hat. Und das erschreckendste dabei: Seine Figuren sind dreidimensional, absolut lebenswirklich und keine dumpfen Horrorgestalten. Lansdale läßt den Leser zwar nicht unbedingt an jeder Entwicklung seiner Schurken teilhaben, aber er verharmlost sie auch nicht als Comic-Bösewichter. „Das Böse besteht für mich darin, wie Menschen miteinander umgehen. Dummheit und sogar Gemeinheit müssen nicht unbedingt wirklich böse sein. Gemeinheit kann natürlich tief böse sein. Selbst dumme Menschen können böse Handlungen begehen. Das Böse kommt von innen, und die Art und Weise, wie man als Kind behandelt wurde, hat viel damit zu tun. Ich denke aber auch, daß eine bestimmte genetische Disposition genauso wichtig ist. Durch eine bestimmte Sozialisation kann die aktiviert werden. Wenn man einem Kind kein Mitgefühl vermittelt, wird es nie mitfühlen lernen. Ich bin davon überzeugt, daß es Menschen gibt, die ohne die Fähigkeit zum Mitfühlen geboren werden. Ihnen fehlt die genetische Disposition. Manche Leute sind so intensiv Ich-bezogen, daß sie andere nicht mal als Lebewesen wahrnehmen. Schlecht gepolt. Und die können sehr, sehr böse sein.“

An Gerechtigkeit glaubt er sowieso nicht mehr; jedenfalls nicht, was ihre Durchsetzung durch staatliche Strukturen, die er als verrottet analysiert, angeht. „Klar ist da auch Vigilantismus in meinen Romanen. Hap und Leonard überschreiten diese Grenzen zur Selbstjustiz. Ich bin aber kein Anhänger des Vigilantentums. Eher ein Anhänger simpler alttestamentarischer Moral. Es ist nun mal so, daß korrupte Bullen oder einflußreiche Gangster über dem Gesetz stehen. Bei mir geht es um Fegefeuer und Verdammnis. Naja, Pistolenfeuer und Verdammnis.“

media.media.35a45a5d-eebf-4205-bae0-323a91842423.normalized[1]

Joe Richard Lansdale wurde am 28.Oktober 1951 in Gladewater, Texas geboren. Eine ehemalige Öl-Stadt, die nach dem Boom völlig herunterkam. „War ein verdammt harter Ort zum Leben.“ Dort und in Mount Enterprise wuchs er auf. Sein Vater hatte während der Depression als Kirmesboxer den Lebensunterhalt verdient und vermittelte dem Sohn eine eiserne Arbeitsethik. Obwohl seine Eltern keine gebildeten Leute waren, ermutigten sie den Sohn, der sich zu einer Leseratte entwickelte und als Junge schon Geschichten schrieb. „Ich saß rum und las im Wörterbuch. Ich las die Bibel und die Werke Shakespeares. Natürlich auch Lone Ranger- und Superhelden-Comics. Edgar Rice Burroughs, und ungefähr mit vierzehn entdeckte ich die Noir-Romane der Gold Medal-Reihe.“ Noch auf der High School arbeitete er nebenher als Müllmann. Er studierte in Austin und Nacogdoches an der University of Texas mit Unterbrechungen, in denen er mit allen möglichen und unmöglichen Jobs Geld verdiente, unter anderem als Ziegenzüchter und Feldarbeiter. Wie Hap schlug er sich mit den unterschiedlichsten Jobs durch: Saisonarbeiter auf den Farmen, Industriearbeiter oder als Handlanger für Klempner und Teppichleger. „Ich habe alle Jobs gemacht, die auch Hap hatte. Er hat viel von mir. Er ist so wie ich, wenn ich etwas weniger ambitioniert wäre und ein paar blöde Fehler mehr gemacht hätte. Natürlich hat auch Leonard Aspekte von meiner Persönlichkeit. Man kann nicht über jemanden schreiben, der nichts von einem selbst hat. Egal ob es ein Ganove oder eine Frau ist. Aber Leonard basiert auch auf einigen Leuten, die ich kenne.“lansdale_joe_r[1]

Neben seinen miesen Jobs schrieb er. Lansdale war ein aktiver Gegner des Vietnamkrieges und wollte eher ins Gefängnis gehen, als für die Interessen des militärisch-wirtschaftlichen Blocks in Südostasien Leute zu ermorden oder selbst ermordet zu werden. Ein wohlmeinender Arzt schrieb ihn untauglich, so blieb ihm im Gegensatz zu Hap das Gefängnis erspart. „Eigentlich war das ein harter Knochen. Aber vielleicht hatte er zuviele Jungs rübergeschickt und in Leichensäcken zurückkommen sehen.“ 1970 heiratete er zum ersten Mal und wurde zwei Jahre später geschieden. 1973 heiratete er Karen Ann Morton, die er an der Universität kennengelernt hatte. Gemeinsam mit ihr gab er die Kurzgeschichtensammlung DARK AT HEART heraus. Mit Sohn und Tochter leben die Lansdales in Nacogdoches, 32260 Einwohner.

Pulpmaster_Berlin_06[1]Schon als Kind hatte er Schriftsteller werden wollen, und 1981 machte er seinen Traum war und wurde hauptberuflicher Autor. „Ich war ein Hausmann. Wenn meine Frau als Dispatcher der Feuerwehr arbeitete, saß ich daheim, hütete meinen Sohn und schrieb. Er schlief kaum, und ich konnte nur in zwanzig Minuten Intervallen schreiben. Einiges von dem Zeug war wirklich fürchterlich, und ich bekam tausend Ablehnungsschreiben.“ Wie Kollege Loren D.Estleman einmal richtig bemerkte: „Erfolg ist eine Frage des Portos.“ Im selben Jahr erschien sein erster Romasn ACT OF LOVE. Es war sein erster Noir-Thriller und ein Blick in die Psyche eines Serienkillers, lange bevor Serial killer-novels zu einem breitgetretenen Subgenre wurden. Das Buch ist hart, rücksichtslos und gilt einigen Fans, wie Bill Crider, als Lansdales am besten konstruiertes Buch. „Ich will den Tod nicht trivialisieren. Manche Szenen sind so brutal, weil ich die Gewalt nicht verharmlose. Ich war früher in einige Schlägereien verwickelt und weiß, was Gewalt bedeutet. Das heißt nicht, daß ich mich gerne prügele. Ganz im Gegenteil: Ich hoffe, ich werde nie wieder eine gewalttätige Auseinandersetzung erleben.“grlg[1] Zuvor hatte er bereits zahlreiche Kurzgeschichten in semi-professionellen Magazinen, sogenannten Fanzines, veröffentlicht. Berühmt wurde er in den 80er Jahren aber vor allem durch seine Kurzgeschichten, besonders seine Horror-Stories. „Wenn der Kontostand sich bedenklich senkte, lieh ich mir ein billiges Horror-Video aus. Meine Frau machte Popcorn, und ich setzte mich damit vor den Rekorder. Jedesmal, wenn ich das Popcorn aß und einen miesen Film sah, bekam ich die unglaublichsten Wachträume und Ideen für Stories. Wahrscheinlich lag es an dem Fett.“

Lansdale schrieb eine große Anzahl von Horrorgeschichten, die wirklich Angst machen. Seine besten gehören zum Allerbesten was in diesem Genre je geschrieben wurde. Da hat er wohl gelernt, wie man eine Atmosphäre aufbaut, die dem Leser Schweißperlen auf die Stirn treibt und den Herzschlag erhöht. Mit traumwandlerischem Gespür weiß er genau, was er beschreibt und – oft noch wichtiger – was er weglassen muß, um den Leser an der Gurgel zu packen und durchzuschütteln. Lansdale-Lektüre ist eine gute Diät: Man verliert Gewicht dabei. Für Furore sorgte er am Anfang seiner Karriere in der Splatter-Punk-Szene, für die er ultrabrutale und gnadenlos geschmacklose Stories schrieb, die jeden Vergleich mit Clive Barker aushalten. Aber es wäre zu kurz gegriffen, ihn auf den reinen Splatter-Punk zu reduzieren. Lansdale experimentierte schon früh mit cross-overs und schrieb einige beeindruckende Synthesen aus Western und Horror wie den Roman THE MAGIC WAGON. Lovecraft meets Louis L’Amour.

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1988 erhielt er für THE NIGHT THEY MISSED THE HORROR SHOW den Bram Stoker Award, ein Jahr später für die Novelette (Kurzroman oder Novelle) ON THE FAR SIDE OF THE CADILLAC DESERT WITH DEAD FOLKS ebenfalls. Lansdale, der ein typisches Multimedia-Kind der Swinging Sixties ist, interessierte sich immer auch für Comics (darin ist er Max Allan Collins ähnlich) und nahm begeistert das Angebot des DC-Verlages (SUPERMAN, BATMAN) an, für die mit Horrorelementen durchsetzte Serie JONAH HEX zu schreiben. Für die Episode TWO GUN MOJO wurde er 1994 ebenfalls mit dem Bram Stoker Award ausgezeichnet. 1997 dann nochmals für die Novelle THE BIG BLOW. Außerdem erhielt der ehemalige Vizepräsident der Horror Writers of America noch den British Fantasy Award und den American Mystery Award. Die JONAH-HEX-Geschichte RIDERS OF THE WORM AND SUCH verursachte eine rechtliche Auseinandersetzung: Die Bluesmusiker Johnny und Edgar Winter verklagten den DC-Verlag, weil in dem Comic zwei „halb-menschlich, halb Wurm“-Albino-Bösewichter mit den Namen Johnny und Edgar Autumn ihr Unwesen trieben. Der Comic Book Legal Defense Fund kam zu Hilfe und berief sich auf das Recht auf freie Rede. „War eine Satire über Gestalten aus der Öffentlichkeit“, grinst Lansdale, der damit einmal mehr die Grenzen des guten Geschmacks hinter sich gelassen hatte. 1994 drehte James Cahill auf Video eine 20 Minuten lange Version von DRIVE-IN DATE, zu der Lansdale das Drehbuch schrieb.

Zu den Autoren, die ihn beeinflußt haben, zählt er Richard Matheson, Dean R.Koontz, Evan Hunter und Flannery O’Connor. „Von Edgar Rice Burroughs habe ich gelernt, wie wichtig das Tempo für einen Roman oder eine Novelle ist. Auch Kipling, Jack London, Mark Twain, Conan Doyle oder Max Brand wußten das. Eine ganze Reihe von Autoren haben mir etwas gegeben. Darunter William Goldman, T.V.Olsen, Ray Bradbury, Jack Finney, William F.Nolan, Robert Bloch, Harry Crews, Raymond Chandler, Hammett, James M.Cain, Gerald Kersh, Harlan Ellison, Pete Hamill, William Kotzwinkle… Ich könnte die Liste endlos fortsetzen. Außerdem bin ich natürlich vom Kino, Radio, Fernsehen und Comics beeinflußt.“ 1996 beendete Lansdale ein Fragment seines Idols Burroughs zum Roman TARZAN: THE LOST ADVENTURE.

„Ich bin ein Regionalist. Ich schreibe fast ausschließlich über Osttexas. Ich sehe mich aber auch in der Tradition von Jack London und Mark Twain: als Unterhaltungsautor, der auch etwas über die Welt zu sagen hat. Ich meine damit nicht, daß ich in derselben Liga wie London oder Twain spiele, aber ich eifere ihnen nach und habe dieselbe Zielsetzung. Ich sehe mich nicht als Nihilist oder Existentialist. Das interessiert mich gar nicht. Aber eher bin ich existentialistisch orientiert als nihilistisch, obwohl ich natürlich nihilistische Charaktere beschreibe. Ich sehe mich als eine Kombination aus Realismus und Humanismus.“

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Der erste Hap & Leonard-Roman SAVAGE SEASON ist eine Abrechnung mit den 60er Jahren. „Ich wollte in einem Buch darstellen, was aus den Idealen dieses Jahrzehnts geworden ist. Es gab damals einen Moment, als wir glaubten, wir könnten Utopia errichten. Wahrscheinlich war das immer nur eine mythische Vorstellung, aber wir waren jung genug, um zu glauben, daß alles möglich sei und wir wirklich die Welt verändern könnten.“ Der Roman ist ein harter, schwarzer Thriller und eine Meditation über den langsamen Tod des 60er Jahre-Idealismus. Hap ist den Idealen der 60er treu geblieben, aber kein blauäugiger Idealist. Der Pragmatiker Leonard, geprägt durch die Black Experience, hat als Vietnamveteran die Swinging Sixties aus einer weniger romantischen Perspektive erlebt und neigt nicht im geringsten zur Verklärung. Daß Leonard Pine ein schwarzer Homosexueller ist und Hap hetero, macht die Freunde zu einem der ungewöhnlichsten Duos des modernen Noir-Romans. „Ich habe immer gegen die Trends im Buchgeschäft gearbeitet. Und jedesmal nach einigen Jahren festgestellt, daß sich das Klima in meinem Sinne geändert hat. Leider habe ich nie davon profitiert. Heute sieht man schwule Charaktere ganz selbstverständlich und nicht diskriminiert in Büchern, Comics, Filmen oder Fernsehserien. Eine Menge schwuler Leser haben mir geschrieben, daß sie Leonard mögen, weil er keine Stereotype ist. Ich bin sehr stolz auf dieses Urteil.“

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Hap und Leonard waren nicht als Serienprotagonisten geplant. „Ich wollte kein weiteres Buch über Hap und Leonard schreiben. Als ich MUCHO MOJO begann, funktionierte das Buch nicht. Erst als ich Hap und Leonard in die Geschichte einbaute, klappte es. Meine Agentin meinte, ich solle nicht weiter über diese Typen schreiben und das Buch nicht veröffentlichen. Also legte ich es zehn Monate in die Schublade und schrieb irgendeinen Mist. Dann sagte ich mir: So läuft das nicht. Ich schreibe, was ich schreiben will. Ich feuerte meine Agentin und schrieb das Buch fertig.“51p3KTB2FbL._AC_UL320_SR206,320_[1]

Während SAVAGE SEASON noch sehr stark plotorientiert war, lehnte sich Lansdale bei diesem Buch entspannt zurück und ließ Hap übernehmen. James Crumley sagte über den Roman: „Nicht nur ein großartiger Kriminalroman voller unerwarteter Wendungen, sondern auch der beste Roman, den ich über die Freundschaft zwischen einem Schwarzen und einem Weißen gelesen habe.“ Der dritte Roman, THE TWO-BEAR MAMBO, wurde von David Lynch unter Filmoption genommen und „brachte mir mehr Geld, als ich in fünf Jahren zusammen verdient hatte“. Auch sein Horror-Western DEAD IN THE WEST wurde unter Filmoption genommen: von Dark Horse Entertainment (THE MASK). COLD IN JULY wurde von Regisseur John Irvin gekauft. „Ich weiß nicht, ob sie je einen Film daraus machen. Erst werden sie eine Yankee-Story daraus machen und dann die Handlung nach Kalifornien verlegen. Und dann stellen sie fest, daß dieses Ding nicht funktioniert, denn es kann nur in Texas funktionieren.“ Der Roman ist – wenn man überhaupt einen Vergleich wagen will – eine Art Höllenversion von John D.MacDonalds THE EXECUTIONERS (CAPE FEAR). In TWO-BEAR MAMBO führt Hap und Leonard der Weg ins fiktive Grovetown, die wahrscheinlich übelste Rassistenstadt der amerikanischen Kriminalliteratur. „In Texas gibt es einen Ort namens Vidor, der dafür ein bißchen Modell gestanden hat. Da gibt es sogar eine Buchhandlung des Ku Klux Klan. Der Ort ist nicht typisch für Texas. Die Leute denken oft, wir fahren hier mit pick-ups und Gewehren durch die Gegend. Stimmt nicht. Heute ist der Klan nur noch eine kleine Gruppe und selbst durchschnittliche Rassisten halten die Klan-Mitglieder für Feiglinge. Aber Vidor ist eine Ausnahme. Als ich dort war, war ich wirklich erstaunt. Es gibt keine Schwarzen in Vidor. Ich konnte kaum glauben, daß es so einen Ort gibt.“

Lansdale arbeitet jeden Tag fünf bis sechs Stunden als Schriftsteller (immer nur ein Projekt, nie gleichzeitig an verschiedenen), bevor er abends in seinem vom Honorar für TWO-BEAR MAMBO gekauften Studio Kampfsport unterrichtet.

DieInspiration für seine Romane und Erzählungen kommt aus den unterschiedlichsten Quellen. Die Initialzündung für SCHLECHTES CHILI lieferten die lokalen Nachrichten: „Es gab in Texas einige Schwulenmorde. Einer passierte in Tyler, eine Gegend, in der ich aufwuchs. Ich verfolgte im Fernsehen die Berichterstattung und mir kamen einige Ideen… Klar, Hap und Leonard brauchen Geschichten, die in Texas spielen. Sonst funktionieren sie nicht.“ Trotz des überragenden Erfolges seiner Hap & Leonard-Romane will Lansdale auch künftig in unterschiedlichen Genres arbeiten: „Ich habe nicht vor, ausschließlich Kriminalromane zu schreiben. Ich habe auch nicht vor, sogenannte literarische Sachen zu schreiben. Ich glaube, daß – egal was für ein Genre – jedes gute Buch automatisch gute Literatur ist.“

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Bibliographie (bis 1998):

ACT OF LOVE (deutsch bei Mass Verlag, Berlin), New York: Zebra, 1981.

TEXAS NIGHT RIDERS (als Ray Slater), New York: Leisure, 1983.

DEAD IN THE WEST, New York: Space and Time, 1986.

THE MAGIC WAGON, New York: Doubleday, 1986.

THE NIGHTRUNNERS (deutsch als rororo 22224, 1998), Illinois: Dark Harvest, 1987.

THE DRIVE-IN: A B-MOVIE WITH BLOOD AND POPCORN (deutsch bei Pulp Master, Berlin), New York: Bantam, 1988.

COLD IN JULY (KALT BRENNT DIE SONNE ÜBER TEXAS, rororo 13768, 1997), New York: Bantam, 1989.

BY BIZARRE HANDS (Stories), Kalifornien: Ziesing, 1989.

SAVAGE SEASON, Kalifornien: Ziesing, 1990.

THE DRIVE-IN 2: NOT JUST ONE OF THEM SEQUELS, New York: Bantam, 1990.

STORIES BY MAMA LANSDALE’S YOUNGEST BOY (Stories, Oregon: Pulphouse, 1991.

ON THE FAR SIDE OF THE CADILLAC DESERT WITH THE DEAD FOLKS (Stories), Colorado: Roadkill Press, 1991.

THE STEEL VALENTINE (Stories), Oregon: Pulphouse, 1991.

BATMAN: CAPTURED BY THE ENGINES, New York: Warner, 1991.

STEPPIN‘ OUT, SUMMER ’68. (Stories) Colorado: Roadkill Press, 1992.

BATMAN: TERROR ON THE HIGH SKIES (Kinderbuch), Boston: Little Brown, 1992.

TIGHT LITTLE STITCHES ON A DEAD MAN’S BACK (Stories), Pregon: Pulphouse, 1992.

DRIVE-BY (mit Andrew Vacchs und Gary Gianni), Massachusetts: Crossroads Press, 1993.

MUCHO MOJO (TEXAS BLUES, rororo 13767, 1996), New York: Mysterious Press, 1994.

WRITER OF THE PURPLE RAGE (Stories), Baltimore: CD Publications, 1994.

ELECTRIC GUMBO (Stories), Quality Paperback Book Club, 1994.

THE TWO-BEAR MAMBO (MAMBO MIT ZWEI BÄREN, rororo 13958, 1997), New York: Mysterious Press, 1995.

TARZAN’S LOST AVENTURE (mit Edgar Rice Burroughs), Dark Horse, 1996.

A FISTFUL OF STORIES (Stories)

ATOMIC CHILI: THE ILLUSTRATED LANSDALE (Stories)

THE GOOD, THE BAD, AND THE INDIFFERENT (Stories)

BAD CHILI (SCHLECHTES CHIL, DuMont Noir 23, 2000), New York: Mysterious Press, 1997.

RUMBLE TUMBLE , New York: Mysterious Press, 1998.

https://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss_2?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&url=search-alias%3Dstripbooks&field-keywords=joe+Lansdale

 

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NEWS: LANSDALE SUPERSTAR by Martin Compart
4. Juni 2016, 3:15 pm
Filed under: Film, Joe R.Lansdale, NEWS, Noir, TV-Serien | Schlagwörter: , , , , ,

Gerade – endlich – COLD IN JULY gesehen und den TRAILER des ersten HAP & LEONARD-Sechsteilers. Einer der überfälligen Noir-Stars kommt jetzt langsam zu seiner überfälligen Bedeutung. Die ekelige deutsche Editionsgeschichte von Lansdale erzähle ich gelegentlich in meiner Autobiographie auf Facebook. Er ist wie wenig andere Autoren durch die Verlage gereicht worden und scheint erst jetzt wirklich gepflegt zu werden, Was man sich keinesfalls entgehen lassen sollte, sind die aktuellen audiovisuellen Umsetzungen:

Und wieder mal heißt es: Deutsches Fernsehen, stell endlich Deine Crime-Fiction ein. Ein Minderheitsprogramm für geistig Behinderte (auch wenn die Schäuble-Tochter Chefin der Degeto ist), berechtigt nicht diese Ausgaben in Milliardenhöhe. Gebt das Geld lieber für sinnvolle Telekollegs aus /wie z,Bsp.mit Messer und Gabel zu essen oder wie erhöhe ich meinen restringierten Wortschatz auf 215 Worte- wie im HEUTE JOURNAL).