Filed under: Noir, OZARK, Politik & Geschichte, TV-Serien | Schlagwörter: Feudalkapitalismus, OZARK, TV-Serie
Seit der „Bankenkrise“ bestätigen die besseren US-TV-Serien den anthropologischen Pessimismus. Moral ist kein Thema mehr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wird nur noch thematisiert, wenn die herrschende Amoral eine Figur negativ betrifft. Über den Quality-Serien hängt seit 9/11 und dem Bush jr.-Regime eine dystopische Stimmung, die in Schundserien wie NAVY SEALS oder CHICAGO P.D. durch faschistoiden Aktionismus oder Glaubenskriege kompensiert wird. Seit 2008 hat der Defätismus aber nochmal richtig Fahrt aufgenommen, und Donald Trump wurde zum Pressesprecher der Apokalypse
OZARK ist wohl die erste TV-Serie über Trumps Amerika. Wobei es zwischen den Kategorien „Drama“ und „Crime“ keinen Unterschied mehr macht (wie in ANIMAL KINGDOM bereits vorgeführt, hat sich die Familie längst kriminalisiert, um es sich in einem kriminellen System ein bisschen nett zu machen).
Im Endzeitkapitalismus entscheidet nur der Gewinn über ein „gutes Geschäft“. Weder Illegalität des Handelsgutes, Zerstörung von Lebensgrundlagen noch Betrug sind Kriterien, alleine Gewinn und Gewinnmaximierung zählen. Die Lemming-Mentalität des Feudalkapitalismus hat den Planeten fest im Würgegriff.
Auch den White-collar-Gangster Marty Byrd (grandios verkörpert von Jason Bateman), der als Anlageberater Spezialist für Geldwäsche ist. Marty wäscht Geld für das „zweitgrößte mexikanische Kartell“. Leider hat sein Partner dem Großunternehmen Geld gestohlen – was zu extremen Konsequenzen führt. Marty kann sich und seine Familie nur retten, wenn er innerhalb eines kurzen Zeitraums eine ungeheure Menge Geld für den Manager des Kartells wäscht. Aus einem Irrglauben – und weil er aus dem von Finanz- und Drogenfahndern verseuchten Chicago raus will – zieht er mit der Familie nach Missouri an den Lake Orzak. „Mehr Küstenlinien als Kalifornien.“ Statt seine Vorhaben schnellstmöglichst umsetzen zu können, gerät er von einem Mist in den schlimmeren nächsten. Das haben die angelsächsischen TV-Autoren wirklich raus: Eine Situation immer weiter zu verschlimmern, bis man glaubt, dass nichts mehr geht. Und genau das sorgt ja für die Überraschungsmomente, die man bei deutschen Serien nie findet.
Und es gibt genügend Parallelhandlungen mit eigenen Entwicklungen (der schwule FBI-Soziopath hätte ein spin-off verdient), die aber effektiv mit dem Hauptstrang verzahnt sind.
Die einheimischen Hillbillys könnten einem Daniel Woodrell-Roman entsprungen sein. Da machen sogar Klischees Spaß.
Die Familie ist nicht länger emotionaler Rücksturzort. Martys Frau Wendy hatte eine offenbar unverzeihliche Affäre, und Marty sieht nun ihre Gemeinschaft als „Unternehmen zur Sozialisation und Aufzucht der Kinder“.
Der gerne genommene Vergleich mit BREAKING BAD ist nur oberflächlich: In BREAKING BAD gab es noch sowas wie Hoffnung in einer Welt, in der lediglich die mangelnde medizinische Versorgung eine Hochschullehrer in die Kriminalität treibt. In ORZAK sind so ziemlich alle Personen so mies, das man kotzen könnte – wenn sie nicht so unterhaltsam wären.
Sein Sohn erklärt einer verblüfften Lehrerin, warum man den Drogenhandel differenziert sehen muss: „Durch das Drogengeld war 2008 die einzige Möglichkeit, das Bankensystem zu retten. Sonst wäre alles noch schlimmer geworden.“
Und ein lokaler Großunternehmer vermeldet – eines Lobbyparlamentariers würdig – : „Ich schaffe Arbeitsplätze. Ohne Mohn würde hier ein Drittel aller Arbeitsplätze wegfallen.“ Erpressungsrhetorik, wie wir sie regelmäßig von der Auto- und anderen Industrien hören und genauso wahr.
Der künstliche Lake Ozark, deren Anwohner weitgehend von Tourismus und Kriminalität leben, ist eine schöne Metapher für die Entfremdung des Menschen von sich selbst und der Natur: Kapitalismus schuf und schafft Scheinbedürfnisse, die künstlich sind und letztlich in die Zerstörung führen. Für das Wasserkraftwerk wurde eine gewachsene Natur überflutet und mit dem künstlichen See eine scheinbar schöne Oberfläche geschaffen, die zweckgebunden ist.
Die Serie ist komisch, brutal, dramatisch, verblüffend, manchmal nervig(aber selten), literarisch, grandios gefilmt und gespielt und spannend. Die dritte Season wird gedreht und ich freue mich erstmal auf die zweite, die sogar noch besser als die erste sein soll.
P.S.: Hier irrt übrigens MiC in seinen vorangegangenen Analysen: Die Familie bildet in den aktuellen Serien kein hoffnungsvolles Rückszuggebiet mehr. Siehe seine bemerkenswerte Betrachtung unter:
https://martincompart.wordpress.com/2018/10/29/mics-tagebuch-oktober-2018/
PPS: Letztlich die erste Serie, in der der anthropologische Pessimismus nicht mehr hinterfragt wird, sondern gesetzt ist. Make America great… it had never been. Oder wie Matthew Quick 9n ANSTAND schrieb: „Bei den Deutschen waren die Nazis irgendwann weg, die amerikanische Regierung ist immer noch da und fühlt sich wohl.“