Martin Compart


THRILLER, DIE MAN GELESEN HABEN SOLLTE: SCHATTENLICHTER von THEODORE ROSZAK by Martin Compart

Ein junger Filmstudent auf den Spuren eines vergessenen Kultregisseurs. Rätselhafte Symbole in alten Stummfilmen. Eine mächtige Bruderschaft, die ihre Novizen in der Kunst des Filmhandwerks unterweist. Ein Geheimnis, das die Grundfesten unserer Welt erschüttert…

SCHATTENLICHTERs Ich-Erzähler ist der junge Filmstudenten Jonathan Gates, der in den fünfziger Jahren in einem Kellerkino in Los Angeles seinen ersten Film des vermeintlichen B-Movie-Regisseurs Max Castle sieht, dessen Ästhetik ihn im Folgenden nicht mehr loslässt. Was Gates in den Filmen von Castle sah, verweist nach jahrelangen Recherchen auf einen Orden hin, der seit den Anfängen religiöser Erfahrung existiert, älter als das Christentum ist und immer dann aktiv wird, wenn bewegte Bilder eine Rolle spielen.
Aber welche Rolle spielte der überaus intelligente Castle dabei? Und was wollen die „Sturmweisen“ wirklich?
Gates macht sich auf die Suche nach einer Antwort — und findet Unglaubliches heraus…

Film als Verschwörung!

Angesichts der heutigen Mediendiskussion für und gegen die Manipulation der Massen (jüngstes Beispiel ist die Verarschung durch die Mächtigen in der „Skripal-Affäre“ um Stimmung gegen Russland zu erzeugen – denn sowohl Amerikaner wie Briten haben medial nicht intensiv  nachgefragten Zugang zu Nowitschok –  um Rüstungsausgaben anzuheizen; da ist das Establishment wieder ähnlich beweistüchtig wie bei Saddams „Vernichtungswaffen“ und Gaddafis „Massenmord“ ) ein noch immer aktueller Hintergrund für einen schon klassischen Noir-Conspiracy-Thriller.
Für einen Roman wie diesen, gibt es keinen mir bekannten Vergleich. Dazu weiter unten.

Neben der spannenden Handlung erzählt der Roman auch noch Filmgeschichte vom Stummfilm bis zur Nouvelle Vague in so wunderbarer Form, dass Film-Aficionados alleine schon deshalb das Buch lieben. „Theodore Roszak schafft es jedenfalls, alle Strömungen, die die Wahrnehmung des Kinos im letzten Jahrhundert bestimmt haben, auf pfiffige Weise aufzugreifen, und was sein Held dabei an Kulturpessimismus entwickelt, wird ihm am Ende geradezu zum Verhängnis.“ (FAZ, 20.10.2005)  Pfiffig wie die FAZ. Aber wie oft bei Ausnahme-Thrillern, ist auch hier der Weg das Ziel. Ein Weg, der rund um den Globus und zu behexenden Charakteren führt.

SCHATTENLICHTER ist auch eine Art parzifalesker „Bildungsroman“ des Ich-Erzählers und die Sozialisationsgeschichte eines Cineasten. Dafür nimmt sich Roszak jede Menge Zeit, ohne auch nur eine Seite zu langweilen (ausgenommen natürlich für Leser, die sich nicht für kulturgeschichtliche Hintergründe interessieren, aber die greifen sowieso eher zu deutschen- oder skandinavischen Provinz-Krimis).
Denn Roszak erweist sich als großartiger Romancier, der filmisches Detailwissen, witzige Beobachtungen und unvergessliche Charaktere mit einem treibenden Plot verbinden kann. Neben verschlüsselten Personen lässt der Autor auch unverschlüsselte Heroen der 7.Kunst auftreten, wie Orson Welles oder Edgar Ulmer.

Aber es ist auch ein Roman, der sein Publikum spaltet: Entweder man liebt ihn, oder man kann nichts mit ihm anfangen und ist gelangweilt. Wer nicht nach den ersten zwanzig Seiten Blut geleckt hat, sollte auf die restlichen 850 verzichten.

An seinen Formulierungen habe ich große Freude:

„Er (der Mythos) war in unser Bewusstsein eingesickert, als hätten wir Schmutz verschluckt.“

„Kunst durfte nur über den urteilsfähigen Verstand in unser Leben treten, sonst sei sie nicht mehr als eine Droge.“

„…die Studios brauchten jemanden, dessen natürlicher Lebensraum die kinematografische Müllkippe war.“

„Ohne Ästhetik keine Ethik“

„Ich beneidete Claire um die unbekümmerte Art ihrer Verachtung.“

„Überzeugt von der geistigen Brillanz meiner Lehrerin – und angesichts meiner eigenen, eher mittelmäßigen Begabung – war ich bereit, als perfektes Trägermedium zu fungieren.“

Da viele Rezensenten gerne Autorenvergleiche (immer gerne genommen: Dan Brown) zu dem Buch bilden, möchte ich auch einen abliefern: Als hätten Mark Fisher und Umberto Eco bei diesem Roman kooperiert. Tatsächlich ist Umberto Eco der einzige Autor, der mir zu Roszak einfällt: Ein ähnlicher professoraler Hintergrund und eine ähnliche Herangehensweise an die eigene fiktionale Tätigkeit, die im hohen Maße kulturgeschichtliche Betrachtung und Analyse miteinschließt.

Der Autor war ein ungewöhnlicher Mann, der die Verschwörungen in den USA stets durchschaute: Geschichtsprofessor Theodore Roszak(1933-2011) von der Berkeley University nennt in seiner sozio-politischen Betrachtung ALARMSTUFE ROT-AMERIKAS WILDWEST-KAPITALISMUS BEDROHT DIE WELT (Riemann Verlag) Gruppierungen: Die Corporados, Wirtschaftsmagnaten, deren Gier keine Grenzen kennt, Killer-Ceos, die sich jenseits aller Gesetze wähnen und dem Sozialdarwinismus huldigen, die Triumphalisten, die ihr Heil in der militärischen Aufrüstung suchen und nicht zuletzt die religiösen Fundamentalisten, die eine christliche Weltordnung herbeibomben wollen – wenn es denn sein muss.

Roszak war der Erste, der sich wissenschaftlich der Jugendrevolte der 1960er Jahre genähert hatte. 1968 versuchte er mit The Making of a Counter Culture den Intellektuellen der älteren Generation die Jugendbewegung zu erklären. Weitere Sachbücher folgten, in denen er die Ökopsychologie entwickelte, „die er als eine Synthese von Ökologie und Psychologie in einem neuen wissenschaftlichen Paradigma begründete. Dabei betrachtete er auch den Zusammenhang von zunehmender Zerstörung des Planeten Erde und den psychischen Befindlichkeitsstörungen vieler Menschen“(Wikipedia).

Seit der amerikanischen Wiederveröffentlichung steht eine geplante Verfilmung in den Branchenblättern. Dabei sollte Darren Aronofsky Regie führen und Jim Uhls (FIGHT CLUB nach Chuck Palahniuk) das Drehbuch schreiben. Nach der Lektüre des ersten Entwurfs von 2004 schrieb ein Insider über Uhls Werk: „Auf der ersten Seite war bereits Roszaks Name falsch geschrieben – von da an ging´s bergab.“

SCHATTENLICHTER
Originaltitel: Flicker, 1991.
Aus dem amerikanischen Englisch von Friedrich Mader
878 Seiten, Heyne-Verlag, 2005.

P.S.:
In seinem Essay über das Buch, SECRET MOVIES, sieht Dennis Cozzalio den Roman dem Horror-Genre zugehörig:

Three years ago I was commissioned to write about Flicker for writer Bill Ryan’s annual October consideration of horror at his great blog The Kind of Face You Hate. I had to admit, I never really thought of Flicker as a horror novel in the strictest sense while I was immersed in it– the first half reads more like an indulgent orgy of movie lore woven expertly into a pleasingly reluctant, expertly teased detective story. But the book certainly qualifies as horror in that it shares the obsessive nature of its protagonist, film historian Jonathan Gates, who follows the decaying nitrate trail of long-forgotten genre filmmaker Max Castle (apparently at least partially inspired by Ulmer and his travails, from set designer for a series of great German films– Nosferatu and Metropolis included– to a career as a subversive director of Poverty Row B-movies) all the way down the rabbit hole, beneath the deceptively tacky first layer of the director’s strangely seductive imagery and into a nightmare world of secret movies. Here, bathed in the sinister interplay of shadows and light, where something always seems to be just hidden from view, the hooks of the past are set, dragging the academic, and us, into a present where Castle’s subliminal text is developing, with the help of a mysterious religious sect and a newly emerging cult phenomenon by the name of Simon Dunkle, into malignant foreground. Flicker‘s vampires and creatures of the night may remain locked in tattered celluloid, the remains of Max Castle’s oeuvre, but like Castle’s mysterious technique, known as the flicker, Roszak’s book gets under your skin, makes you shiver, and makes you think about how elastic the horror genre really can be.