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Mit Dank an Jochen König, der dieses zweifelhaft und despektierliche „Dokument“ in mein tränenreiches Bewusstsein getrieben hat.
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DIE GROSSE UHR war Kenneth Fearings vierter Roman und mit Abstand sein erfolgreichster – künstlerisch wie kommerziell. Er schuf damit einen Klassiker, der seit der Erstveröffentlichung von 1946 fast durchgehend lieferbar war und ist. Und das nicht nur im englischsprachigen Raum; auch im romanischen.
THE BIG CLOCK hat eine mörderische Prämisse:
Ein Unschuldiger muss sich selbst als Mörder jagen.
Ein Klassiker des Noir-Thrillers
Deutsch von Jakob Vandenberg
Mit einem Nachwort herausgegeben von Martin Compart
Deutsche Erstausgabe
Elsinor Verlag, Coesfeld 2022 (200 Seiten, Klappenbroschur, 14 x 22 cm, ISBN 978-3-942788-71-7; 20,00 Euro [D])
Der Protagonist, der gegen sich selbst ermitteln soll, ist einer der ganz großen Plots der Kriminalliteratur. Vergleichbar nur mit den besten von Agatha Christie (MURDER OF ROGER ACKROYD, MURDER AT THE ORIENT EXPRESS), Nicholas Blake (THE BEAST MUST DIE) oder Anthony Berkeley Cox (BEFORE THE FACTS, TRIAL AND ERROR). Im Unterschied zu den genialen Plots der genannten britischen Großmeister des „Golden Age“ ist Fearings Werk ein Noir-Roman, in dem der Plot in düsterer Zivilisationskritik eingebettet ist.
Und da diese Literatur eine Welt ohne moralisches Zentrum portraitiert, stellt es eine der klassische Noir-Frage: Wer wird mit was davonkommen?
Der Schriftsteller Michael Gilbert nahm THE BIG CLOCK in seine Liste der zehn besten Kriminalromane aller Zeiten auf. Der Roman erscheint fast auf jeder der Listen mit den besten Kriminalromanen/Thriller, die je geschrieben wurden. Die meisten Theoretiker des Genres priesen das Werk, und sogar Großmeister Raymond Chandler, bekannt und berüchtigt für seine oft bösartige Kritik, nannte es eine tour-de-force.
Ins Französische wurde das Buch bereits 1947 von Boris Vian übersetzt.
Nie wieder sollte Fearing ein ähnlicher wirtschaftlicher Erfolg gelingen. Zwar gingen im Laufe der 1950er auch weiterhin Einnahmen aus Lizenzgeschäften bei ihm ein, aber die Beträge etwa aus Auslandsgeschäften waren vergleichsweise gering.
Der Roman wurde weltweit zum Klassiker und zweimal verfilmt. Im Oktober 1973 gab es eine neue Adaption für den Hörfunk: Rod Serling (unvergessenes Mastermind der TWILIGHT ZONE) stellte sie unter dem Titel DESPERATE WITNESS in der Reihe THE ZERO HOUR vor 1). 1976 legten die renommierten Kritiker Jacques Barzun and Wendell Hertig Taylor den Roman mit einem ausführlichen Nachwort neu auf in ihrer Hardcover- Reihe „Fifty Classics of Crime Fiction 1900–1950“ bei Garland. Robert Polto nahm den Roman 1997 in seinen klassischen Sammelband CRIME NOVELS: AMERICAN NOIR OF THE 1930s & 40s auf. 2012 dann auch in die zweibändige “Liberary of America“-Edition der Noir-Klassiker.
Fearing gelang diese seltene und beneidenswerte Leistung: ein Page-Turner, der gekonnt geplottet und so eng wie eine Uhrfeder gewickelt ist, und dessen erzählerische Zahnräder auch als existenzielle Metapher dienen.
Der einzige Noir-Autor dieser Zeit, den man mit Fearing vergleiche könnte – jedenfalls als Autor von THE BIG CLOCK – ist m.E. Cornell Woolrich (1903-68). Seine paranoiden Plots gingen häufig in eine ähnliche Richtung (scheinbar aussichtslose Situationen der isolierten Protagonisten), aber seine zahlreichen Kurzgeschichten und Romane haben nicht die subtextliche Tiefe wie Fearings Buch.
Der Roman erschien zu einem Zeitpunkt, als die USA in einen großen paranoiden Abgrund glitten: Der zweite Weltkrieg war beendet, der Kalte Krieg hatte begonnen und der McCarthyismus startete seinen zerstörerischen Siegeszug. Diese Atmosphäre der Verunsicherung fängt THE BIG CLOCK ein. Das Buch spiegelt neben der existenzialistischen Dimension den bewusster werdenden Kontrollverlust des Individuums durch wirtschaftliche Systeme – symbolisiert durch „die große Uhr“. Den Amerikanern, stellvertretend für alle kapitalistischen Volkswirtschaften, wurde zunehmend deutlich, dass die Verfügungsgewalt über ihr Leben nicht in ihrer vermeintlichen Selbstbestimmung angesiedelt ist.
Paranoia ist eine der stärksten Triebfedern der Noir-Kultur.
BIG CLOCK stützt besonders intensiv die Erkenntnisse von Gilles Deleuze und Felix Guattari: Ursachen für Paranoia sind nicht psychologische oder gar psychopathologische Fehlentwicklungen, sondern eine psychopathologische Kultur auf die sich das Individuum bezieht. 2)
In seinem Buch AMERICAN NIGHT: THE LITERARY LEFT IN THE ERA OF THE COLD WAR (dessen Cover ein Portrait von Fearing ziert), schreibt der Literaturwissenschaftler Alan M. Wald, ein Historiker der amerikanischen Linken, über den Roman: er fasse die „beängstigende und fragmentierte Hohlheit“ zusammen, die Fearing in der Nachkriegsgesellschaft der USA sah.
„Das bedrohliche Ambiente der Verwerfung, das THE BIG COCK durchdringt, wird strukturell und symbolisch als Industriekapitalismus dargestellt, eine sozioökonomische Ordnung, in der sich die Kommunikationswege, insbesondere Printprodukte und Rundfunk, zu einer Wissenschaft der geplanten Manipulation entwickeln, die darauf abzielt, die Rentabilität sicherzustellen. Gut bezahlte Betrüger werden zusammen mit den Naiven und Getäuschten als Rädchen im Apparat der modernen Institutionen des Privatunternehmens gesperrt… Das Geniale an THE BIG CLOCK ist die Vorwegnahme der vielfältigen mythologischen Dimensionen einer Konsumrepublik, die die anbrechende Ära prägen würde.“ 3)
Er nannte ihn weiterhin „einen psychosexuellen Roman Noir, der die unheimliche Wirkung der Marktsegmentierung in der Verlagsbranche betont“.
Die im Roman geäußerte Medienkritik erscheint noch immer aktuell. Fearing orientierte sich an gewissen Zuständen der Time Incorporated, für die er zeitweilig arbeitete.
Fearing war ein modernistischer Romancier und proletarischer Lyriker. Im Modernismus stand er besonders dem Symbolismus nahe und Motive wie apokalyptische Endzeitstimmung, individuelle Wahrnehmungen, das Unterbewusste, Dekadenz, Verfall und Tod und zivilisatorischer Pessimismus finden sich auch mehr oder weniger ausgeprägt in THE BIG CLOCK.
Die innovative Struktur des Romans wird aus der Sicht von sieben verschiedenen Charakteren dargestellt. Die ersten fünf Kapitel werden von George Stroud erzählt, der für einen New Yorker Zeitschriftenverlag arbeitet. Er scheint den Umständen kaum gewachsen, bewegt sich aber intelligent durch ein Labyrinth von Möglichkeiten.
Die Erzähler sind Stroud, Janoth, Hagen, Strouds Frau, zwei Crimeways-Reporter und die exzentrische Künstlerin Louise Patterson. Fearing leistet hervorragende Arbeit, um die Stimme jedes einzelnen Erzählers einzufangen.
Trotz der unterschiedlichen Erzählperspektiven entwickelt Fearing den Plot chronologisch. Jeder Erzählerwechsel treibt die Handlung weiter voran.
Filed under: Alain Delon, Film, Noir | Schlagwörter: Alain Delon, Duccio Tessari, Film Noir, Gangster, Giallo, Tony Arzenta
Der Sizilianer Tony Arzenta (Alain Delon) lebt in Mailand und ist Auftragsmörder der Mafia.
Noch am Geburtstag seines einzigen Sohnes erledigt Tony einen letzten Job, denn er will ein anderes Leben und bittet die Bosse, seine Entscheidung zu akzeptieren. Doch so einfach ist das dann doch nicht, denn er weiß zu viel, weswegen seine Chefs – der Pariser Carrè (Roger Hanin), der gebürtige Deutsche Grünwald (Anton Diffring), der Mailänder Rocco Cutitta (Lino Troisi) und der Italo-Amerikaner Nick Gusto (Richard Conte) – versuchen, ihn mit Hilfe einer Autobombe loszuwerden.
Bei dem Anschlag sterben Arzentas Kind und seine Frau direkt vor seinen Augen in seinem Auto. Arzenta sinnt auf Rache. Mit Hilfe von Freunden gelingt es ihm unterzutauchen. Er beginnt einen Rachefeldzug und zieht eine Vernichtungsschneise durch Europa.
TÖDLICHER HASS oder TONY ARZENTA (auch BIG GUNS oder NO WAY OUT) ist ein absolut sehenswerter Film, aber keinesfalls das Meisterwerk, als das man ihn mit der längst überfälligen ungekürztem Neuveröffentlichung verkaufen möchte.
Denn im letzten Drittel wird der anfängliche Stoizismus (auch im ansonsten beeindruckenden Spiel von Delon) nicht mehr konsequent durchgehalten. Aber es ist natürlich schön, dass dieser lange in Deutschland unzugängliche Film endlich verfügbar ist.
Der Film von Regisseur Duccio Tessari aus dem Jahr 1973 mit Alain Delon in der Hauptrolle wurde on location in Mailand, Paris und Kopenhagen und in den Dear Studios, Rom, gedreht.
TÖDLICHER HASS ist ein echtes Starvehikel für Delon.
Der Film wurde wohl auch durch zwei Faktoren inspiriert: Der Co-Produzent Delon hatte direkt zuvor mit seinen selbst produzierten Filmen MADLY, DOUCEMENT LES BASSES und OKTOBER IN RIMINI wirtschaftliche Misserfolge eingefahren. Sicherlich auch wegen der ungewöhnlichen Rollen, die er darin spielte und die den Großteil seines „Stammpublikums“ nicht ansprachen. Da kam dem Inhaber von Adel Produktion die vom PATEN ausgelöste Mafia-Welle gerade recht, um seinen wertvollsten Schauspieler imageentsprechend als Gangster in Szene zu setzen.
Delon dominiert den Film mit seiner stahläugigen Präsenz, unter deren stoischer Oberfläche eine lebenslange Sehnsucht und Schmerz existieren. Tatsächlich wurde Arzenta durch jahrelanges kaltblütiges Töten abgehärtet, aber Delon macht deutlich, dass das eisige Herz des Charakters dank der Liebe seiner Familie zu tauen begonnen hatte.
„Noch wichtiger ist jedoch, dass der Film immer wieder die Idee verstärkt, dass Arzentas‘ Liebe zu seiner Frau und seinem Sohn keine Schwäche darstellt, sondern eine neu gefundene Stärke, die ihm die Fähigkeit verleiht, sich in andere einzufühlen und den Wert des menschlichen Lebens zu verstehen. Als Arzenta Zeuge der Explosion wird, die seiner Frau und seinem Kind das Leben kostet, bleibt sein Gesichtsausdruck ruhig und distanziert, aber seine Augen zeigen all das Entsetzen und die Angst, die er in diesem Moment empfindet. Delon vermittelt all dies subtil und schafft durch seine Performance einen Charakter, der an Jef Costello (und eine Vielzahl anderer filmischer Mafia-Killer) erinnert, während er immer noch völlig unverwechselbar und ikonisch erscheint.“ (Chris’s Cult Catalogue: No Way Out)
Zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung war TÖDLICHER HASS dank Delons Star-Appeals ein großer Erfolg an den Kinokassen, wobei die Kritiker nicht sonderlich angetan waren, den Film eher oberflächlich beurteilten und hauptsächlich die angeblich abgenutzten Klischees und damals ungewohnte Brutalität zur Kenntnis nahmen.
In Deutschland schlug umgehend die Staatsanwaltschaft zu, und die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften besorgte dem Film eine jahrzehntelange Indizierung.
„Der Film ist nichts als eine schier endlose, stumpfsinnige Aneinanderreihung unappetitlichster Gewalttaten zwischen schick arrangierten italienischen Industrie Designs.“
( Die Zeit vom 1. Februar 1974)
„Ein zynischer Actionfilm mit Glorifizierung brutaler Gewalt, distanzloser Verherrlichung eines Massenmörders und billigster ‘Zehn-kleine-Negerlein-Dramaturgie’. Delon auf dem Tiefpunkt seiner Karriere. Ein Actionfilm unter jeder Kritik.“ vermerkte noch im Oktober 1987 das Lexikon des internationalen Films (herausgegeben vom Katholischen Institut für Medieninformation e. V).
Das bürgerliche Feuilleton verband in der Genrekritik damals (?) meisterlich Arroganz mit Ignoranz.
Inzwischen beurteilt eine neue Generation Kritiker den Film anders:
„Dieser ausgezeichnete Film verbindet auf wundersame Weise das kühl berechnende französische mit dem emotionsgeladenen italienischen Gangsterkino. (…) Der Film ist wirklich gut gemacht: Eine bekannte und in wenigen Worten zu umreißende Geschichte wird mit geradliniger Brutalität und guten schauspielerischen Leistungen präsentiert. Das Aufgebot an Schauspielern ist als fast sensationell zu bezeichnen.“
(Karsten Thurau: in Der Terror führt Regie – Der italienische Gangster- und Polizeifilm“ von Michael Cholewa und Karsten Thurau, S. 194, 2. Auflage 2008)
Duccio Tessaris Gangsterfilm ist vielleicht das erfolgreichste Beispiel für die Vermischung von italienischem Giallo- Stil und französischem film noir. Ihm mangelt es an der Kälte und Melancholie des französischen Stils, und der italienische Sadismus und nervöse Aktionismus beherrscht den Film.
Zusammen gehalten wird er durch Delon, der aber nicht verhindert, dass das konzeptionell gute Ende entgleist.
„Tessari (und Delon) gelingt es, einen der beeindruckendsten Antihelden italienischer Kriminalfilme zu kreieren. Tony Arzenta stellt einen einsamen, melancholischen Charakter dar, der seinem Schicksal ohne Chance auf Erlösung bis zum bitteren Ende folgen muss und sich dabei vollends bewusst ist, dass er letztendlich an übermächtigen Kräften scheitern wird. Doch hier gibt es noch viel mehr zu entdecken. Tödlicher Hass legt nämlich eine stilistische Opulenz an den Tag, die im italienischen film noir noch nie zuvor gesehen worden ist. Die besondere Beachtung des Dekors wird durch Silvano Ippolitis wunderschöne Kinematographie unterstrichen, die eine chromatische Palette aus flammenden Rottönen und blendendem Weiß in den Innenszenen präsentiert und es bestens versteht die eisige sowie neblige Mailänder Umgebung einprägsam einzufangen. Die Actionszenen (in denen Delon bei Autoverfolgungsjagden teilweise seine eigenen Stunts macht) sind durchweg als hervorragend zu bezeichnen, während sich die Gewalt so unvorhersehbar wie plakativ präsentiert.“ (Von BLUNTWOLF , am 23. Januar 2022)
Feministinnen werden ihre helle Freude am Frauenbild haben.
In einer so gewalttätigen und düsteren Welt stellen Frauen nur entbehrliche Schachfiguren dar. Sie werden ermordet, geschlagen, gedemütigt und missbraucht, so wie Carrès (Hanin) lang leidende Geliebte Sandra, die in einer extrem gewalttätigen Szene von Cuttitas Männern zu Klängen klassischer Musik brutal zusammengeschlagen wird. „Du kannst hier bleiben, wenn Du willst“, sagt Delon zu Sandra, die Zuflucht in seiner Wohnung sucht, nachdem sie ihm geholfen hat, den sadistischen Carrè zu finden sowie zu töten, „aber lass mich Deine Anwesenheit nicht zu sehr spüren.“
Tessari hüllte Europa von Mailand bis Stockholm im wahrsten Sinne des Wortes in einen Nebelschleier (die Drehzeit fand vom 30.1. bis Ende März 1973 statt). Er nutzte die klimatischen Verhältnisse, um den Zuschauern zu suggerieren, dass ganz Europa bereits unter dem Nebel der Mafia liegt. Und ganz nebenbei zeigt er, das Deutschland 1973 nicht nur Rückzugsgebiet der Mafia war, wie von der deutschen Politik bis 1990 behauptet). ). Von den italienischen Anti-Madia-Filmen übernahm Tessari die Sichtweise, dass sie Mafia nicht in einer internationalen Gefahrenregion angesiedelt ist, sondern sich in der europäischen Normalität eingerichtet hat. Seine Mafiosi verhalten sich nicht nur böse, sie sind es.
Tessari spielt auch effektiv mit ungewöhnlichen (aber genau kalkulierten) Kameraeinstellungen. Sehr schön, und zum Teil nie gesehen, bei den Autojagden. Der „nervöse“ Inszenierungsstil vieler Szenen wird häufig konterkariert durch elegische Beratungsszenen (dümmlich gekürzt in der deutschen Kino-Fassung) der Mafia-Geschäftsleute.
Das sorgt für einen weiteren Subtext: Delon war ein funktionierendes Rädchen im Getriebe des profitorientierten Wirtschaftssystems, bis er durch emotionale Erfahrungen ein anderes Wertesystem aufrief. Dies konnte von den Profiteuren nicht hingenommen werden, da es ihre Grundlagen bedroht. Beim Versuch den Aussteiger final auszuschalten, töteten sie versehentlich sein neugewonnenes Wertesystem mit der Folge, dass er das alte System nun gegen es selbst anwendet.
Anders als bei den meisten Gialli, die entweder auf der Popularität von bekannten Schauspielern setzen oder bewährte Genremuster verfremden und „ ausbeuten“ (oder beides), gelingt Tessari ein völlig eigenständiger Film, unterfüttert von Subtexten.
Am Ende etwa stirbt Tony, weil er sich immer noch an die Regeln hält, die alle anderen mit Füßen treten.
Nihilismus, der Melville als Romantiker bestätigt.
ZUR EDITION:
Extras:
Audiokommentar mit Leonhard Elias Lemke
Original Kinotrailer
40seitiges Booklet mit einigen Bildern und Texten von Steffen Wulf (nicht bei der dvd)
Bildergalerie
Zwei Blu-rays oder dvds mit zwei unterschiedlichen Schnittfassungen (Internationale Fassung + dt. Kinofassung). Englische, italienisch, deutsch; Delon spricht die englische Synchronisation selbst. Der Ton der alten deutschen Synchronisation ist so erbärmlich, dass man lieber eine anderssprachige wählen sollte.
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Mitternacht in New York: In einer Straße der vornehmen Upper East Side wird ein Mann ermordet aufgefunden. Der Tote war ein einflussreicher Politiker, der lautstark für Recht und Ordnung eintrat. Aber dieses Verbrechen ist nur das erste Glied in einer Kette von Morden ohne erkennbares Motiv, die die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen.
So beginnt dieser Roman zweier Männer: Captain Edward X. Delaney, Leiter des 251. Polizeireviers in Manhattan, seit über 25 Jahren im Polizeidienst, guter Ehemann und Vater, stolz auf seine Familie, seine Stadt, sein Revier und vor allem auf seinen Beruf. Daniel Blank, mit 36 Jahren Vertriebsleiter eines großen Zeitschriften-Konzerns, stolz auf seine intellektuellen Fähigkeiten genießt die Früchte seines Erfolgs: er besitzt eine Luxuswohnung, fährt einen schnellen Wagen, hat ein sehr männliches Hobby: als Bergsteiger unternimmt er gern gewagte Kletterpartien.
Aber es gibt Risse im Leben beider Männer: Delaneys Frau wird von einer geheimnisvollen Krankheit befallen. Auch beruflich: Politiker der Stadt mischen sich in seine Arbeit ein, undurchsichtige Machtkämpfe schaffen bald eine Atmosphäre des Misstrauens und bedrohen das festgefügte Weltbild des Captains. Für Daniel Blank endet eine nach außen glückliche Ehe mit der Scheidung von seiner Frau Gilda. Dann tritt die exotische, reizvolle Celia Montfort in sein Leben. Ihre bloße Gegenwart entfesselt dunkle, abseitige Triebe in Daniel, die ihn selbst erschrecken.
Inzwischen häufen sich die Morde, es gibt kein Motiv, keine Erklärung für sie – die Polizei kann nicht einmal die Tatwaffe feststellen. Hier beginnt der einsame Kampf Captain Delaneys, der sich geschworen hat, den Mörder zu überführen und die Gesellschaft gegen die Macht des Bösen zu schützen.
Der Leser wird mit Männern und Frauen diesseits und jenseits des Gesetzes konfrontiert, mit Opfern des Zufalls und der Umstände. Er wird hineingerissen in einen Strudel von Ehrgeiz, Hochmut und Stolz, Sex, Liebe und Leidenschaft.
Im Wesentlichen aber handelt diese Geschichte von Verbrechen und Bestrafung, von dem Kampf zwischen Polizisten und Mördern, zwischen Jäger und Gejagten, von dunklen Besessenheiten und vor allem von der ersten Todsünde, dem Hochmut, der beide einander immer ähnlicher werden lässt, der ihre Identitäten zu zerstören droht, ein psychologisches Duell, das an die Moral der Gesellschaft rührt. Noch kein Roman hat den gigantischen Polizeiapparat einer Metropole, das raffinierte Räderwerk kriminalistischer Ermittlungen, aber auch die menschlichen Unzulänglichkeiten und Rivalitäten der Beamten so überzeugend und detailliert dargestellt. Atemberaubende Wirklichkeit. Schuld und Sühne in New York.
(KLAPPENTEXT)
Von den 1970er – bis in die 1990er Jahre war Lawrence Sanders (1920-98) in den USA ähnlich populär wie Stephen King. Und er hatte einen ähnlich hohen Ausstoß dank – wie man heute weiß – der Beschäftigung von Ghostwritern oder Co-Autoren. Sanders war ein sehr ungleichmäßiger Schriftsteller, der neben faszinierenden und fesselnden Romanen auch banalen Trash produzierte. Die meist gleichmäßige Qualität bei hohem Ausstoß, wie man sie von King kennt, gelang ihm nicht.
1985, auf dem ersten Höhepunkt seiner Popularität, waren von seinen 20 Büchern 25 Millionen Taschenbücher und 1.5 Millionen Hardcover in 15 Sprachen verkauft worden.
In seinem Todesjahr hatten seine 23 Bücher, die in 30 Ländern veröffentlicht worden waren, allein in den USA fast 60 Millionen Exemplare verkauft.
Sanders, der zuvor im Vertrieb der Verlagsbranche und als Lektor tätig war, begann erst relativ spät zu schreiben: Er war 50 Jahre alt, als er seinen ersten Roman veröffentlichte (den aus fiktiven Dokumenten und Abhörprotokollen konzipierten THE ANDERSON TAPES). Für ihn bekam er den damals bei Debütanten üblichen Vorschuss von $ 3.000, aber sein Agent verkaufte anschließend die Filmrechte für $ 100.000 und die Taschenbuchrechte für $ 210.000.
Er verdiente in drei Jahrzehnten Millionen Dollar, hätte sich zurücklehnen können und darauf warten, wie die Tantiemen aufs Konto rollten. Stattdessen arbeitete er täglich bis zu seinem Tod:
„I don’t have hobbies. I have no desire to travel. I start writing every night a 17 and finish at 21:30 p.m. Sound boring? Writing is the most important thing in my life—above marriage. You can live a million lives. All your fantasies come true. It’s all from imagination and newspaper clips.”
Er schrieb handschriftlich auf Schreibblöcken fünf Seiten pro Sitzung, sieben Tage die Woche.
Lawrence Sanders war der erste Autor, der eine bis heute gültige Formel für den Serienkiller-Thriller fand.
In seinem Bestseller THE FIRST DEADLY SIN nahm er weitgehend voraus, was dann Thomas Harris in seinen Lecter-Romanen perfektionierte: Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Jäger und Gejagten, erzählt in wechselnden Perspektiven. Diese Perspektivwechsel zwischen Prota- und Antagonisten bewährten sich, da sie mehr Dynamik in den Handlungsablauf bringen.
Sanders Detektiv versucht sich naiv behavioristisch in den Mörder zu versetzen. Er verfügt noch nicht – wie Harris´ FBI-Profiler – über die Erkenntnisse der Behavioral Science Unit. Das macht die retrospektive Lektüre sowohl interessant wie auch antiquiert. Ein wenig so, als würde man die langen Landschaftsbeschreibungen bei Walter Scott lesen.
Er brachte den Polizeiroman wie auch den Serienkillerroman als erster auf die Bestsellerlisten. Zuvor waren die „police proceduralsˮ zumeist kurze Taschenbuchoriginalausgaben gewesen. Sanders schrieb Hardcover, die zwischen 400 und 600 Seiten lang sind. Genug Platz für Charakterisierungen, die man so zuvor noch nicht gelesen hatte.
THE FIRST DEADLY SIN, und die drei weiteren Captain Edward X. Delaney-Romane beschrieb ein Kritiker als „psychosexual thriller”, der den Standard für die weiteren Entwicklungen des Subgenre setzten.
Sensibel wird der Leser gleich zu Beginn des Romans in die Geschichte und Persönlichkeit des Killers Daniel Blank eingeführt. Er ist wahrlich böse, aber im Gegensatz zu späteren Serienkillern kein Sadist und an jeder Form von perverser Erotik interessiert. Seit jungen Jahren ist er fasziniert von der Entgrenzung des Bösen.
Nicht weniger sensibel wird auch sein Gegenspieler dem Leser nahegebracht: Edward X.Delaney hatte zuvor sein Debüt in dem experimentellen Erstling von Sanders, THE ANDERSON TAPES, der mit dem Edgar ausgezeichnet und mit Sean Connery verfilmt wurde. Delaney ist ein alter Hase, knallharter Ermittler, aber auch um seine kranke Frau rührend besorgt. Er respektiert Frauen und ist ein ungewöhnliches Beispiel aus einer Zeit, in der ein Ermittler meistens ein männlicher Chauvinist ist.
„I don’t like him,“ sagte Sanders. „I think he’s an old expletive . An opinionated, pontifical SOB. But the readers love him, mostly the women. I don’t understand it. The guy took on a life of his own.“
Liest man das Buch heute, hat es bei allen zeitlosen Qualitäten auch etwas von einer Zeitreise. Wie eingefroren liegt das damalige New York vor einem; es hat so gut wie nichts mit der heutigen Stadt zu tun. New York war ein gefährliches Pflaster in den frühen 1970er Jahren, mit täglich mindestens fünf Mordfällen allein in Manhattan. Brave Bürger blieben abends daheim und mieden sinistere Orte wie etwa den damaligen Times Square.
Von 1963 bis 1972 war die Zahl der Morde in New York von 550 auf 1691 gestiegen. New York war in den 1970er Jahren ein Ort der Stadtflüchtlinge, für die selbst die Lichtquellen die Farbe der Finsternis angenommen hatte. Das vermitteln Sanders Romane ziemlich eindrucksvoll. New York ist als Hintergrundrauschen in den SIN-Romanen allgegenwärtig.
Heute ist vielen Lesern der Roman viel zu lang. Der Plot hebt erst ab Seite 200 richtig ab. Zuvor nutzt er den Raum, um seine Charaktere sorgfältig zu entwickeln. Das verlangt eine Geduld, die der heutige Leser kaum noch aufbringt (die aktuellen „dicken Schinken“ unter den Thrillern zeichnen sich meistens durch nervtötende Redundanz aus, nicht durch Stil oder sorgfältige Charakterisierung).
Sanders galt als heiß (und ab 1973 war er Stammgast auf den Bestsellerlisten) und verkaufte umgehend die Filmrechte von SIN an Columbia.
Es dauerte sieben Jahre, bis die Adaption in die Kinos kam. Ursprünglich war Roman Polanski als Regisseur vorgesehen. Nachdem er aber nach Frankreich geflogen war, um der Strafverfolgung wegen seiner Vergewaltigungsanklage zu entgehen, übernahm Brian G.Hutton. Frank Sinatra spielte überzeugend den Detektiv und Bruce Willis gab als „Man entering Diner“ sein Leinwanddebut.
Das Ende des Romans wurde für den Film drastisch geändert. Faye Dunaway, die Delaneys kranke Frau spielte, wurde als schlechteste Schauspielerin des Jahres ausgezeichnet. Sicherlich kein großer Film, aber man kann ihn sich immer noch ansehen.
Sanders Roman ist zusammen mit KILL von Shane Stevens der wichtigste Vorläufer für den Serial Killer-Boom seit den späten 1980er Jahren. Inzwischen scheint das Subgenre als Teil der Sublimierungskultur totgetrampelt. Trauriger Endhöhepunkt sind Romane wie die von Ethan Cross um eine „Familie der Serienkiller“ (nein, es handelt sich dabei nicht um surrealistische Werke). Mit dem Roman THE THIRD DEADLY SIN führte Sanders 1981 den wahrscheinlich ersten weiblichen Serienkiller im Subgenre ein.
DIE ERSTE TODSÜNDE führt ebenfalls die Darstellung des Serienkillers als Pathographie ein.
“The vision of life that Lawrence Sanders communicates has been called depressing. The sweaty sex, the deadpan descriptions of sadistic killings, the downbeat endings – Delaney has an unattractive tendency to toy with his villains until they destroy themselves – leave some readers slightly queasy. Sanders says that’s just the way things are.“ (THE WASHINGTON POST)
Edward X. Delaney–Serie
1970 The Anderson Tapes (dt. 23 Uhr, York Avenue. Molden, Wien 1971)
1973 The First Deadly Sin (dt. Die erste Todsünde. Rowohlt, Reinbek 1975)
1977 The Second Deadly Sin (dt. Die zweite Todsünde. Rowohlt, Reinbek 1980)
1981 The Third Deadly Sin (dt. Die dritte Todsünde. Blanvalet, München 1987)
1985 The Fourth Deadly Sin (dt. Die vierte Todsünde. Blanvalet, München 1986)

„Ich hab den Sinnattra immer gern gehört. Besonders das Lied über die sieben Fässer Wein. Oder waren es acht? Musse mal hören, wenze Kanzler bist. Da isss Kraft drinn.“
Filed under: Dr. Horror, Ekelige Politiker, Essen & Trinken, Parasiten, Politik & Geschichte, Tierschutz | Schlagwörter: Dr.Horror, Film Noir, Nazis
Seit Jahrzehnten wissen wir, wer der schlimmste Mann Deutschlands ist: Dr.Horror (beim BKA als Rolf Giesen geführt). Während wir freudig beim Kükenschreddern zusehen, legt sich Dr.Horror mit der heiligen Ex-Weinkönigin an. Erbärmlich!
Filed under: Drehbuch, Film, Noir, Porträt, Raymond Chandler | Schlagwörter: Alfred Hitchcock, Charles Brackett, Film, Film Noir, Hollywood, Noir, Patricia Highsmith, Philip Marlowe TV, Raymond Chandler
Im Juli 1945 verpflichtete MGM Chandler, damit er seinen vierten Marlowe-Roman, THE LADY IN THE LAKE, zu einem Drehbuch umschrieb. Er bekam 1000 Dollar die Woche. Die Filmhrechte hatte die MGM für 35 000 Dollar gekauft. Chandler war von dieser Arbeit so gelangweilt (wahrscheinlich trank er auch ganz ordentlich), dass er neue Szenen erfand, die nichts mit dem Buch zu tun hatten.
Nach drei Monaten, in denen er gut verdient und wenig gearbeitet hatte, schmiss Ray den Job hin. Steve Fisher, der Autor des Noir-Klassikers I WAKE UP SCREAMING, beendete das Skript. Chandler verzichtete auf eine Namensnennung im Vorspann. Offiziell war er natürlich auch noch bei der Paramount unter Vertrag.
Die war noch immer so begeistert von Ray, dass sie Swanson mitteilten, Chandler könne seine eigenen Filme produzieren, schreiben und Regie führen – wenn er nur zu ihnen zurückkäme. Ray beeindruckte das weniger als die einlaufenden Schecks.
Im Januar 1946 reichte es dem Studio. Sie suspendierten ihn. Aber bereits im Mai desselben Jahres machten sie Chandler ein neues Angebot: Für 1500 Dollar die Woche solle er einen Roman seiner Wahl zum Drehbuch bearbeiten.
Chandler nahm an und begann mit der Adaption des Kriminalromans THE INNOCENT MRS.DUFF von Elizabeth Sanxay Holding, die Chandler aus unverständlichen Gründen schon lange für eine tolle Autorin hielt und in Briefen gerne anpries. Aber schon bald langweilte er sich wieder bei der Arbeit. Der Film wurde nie gedreht und Paramount kostete die ganze Angelegenheit insgesamt
53 000 Dollar, von denen Ray 18 000 für 72 „Arbeitstage“ einstrich.
Hollywoods masochistische Beziehung zu Chandler nahm kein Ende:
Nach dem letzten Paramount-Deal traf sich der große Samuel Goldwyn höchstpersönlich mit Chandler, um ihn zu überreden künftig für MGM zu schreiben. Aber Chandler brauchte wohl eine Pause in seinem Hollywood-Spiel. Er hatte die Filmindustrie erstmal genug gemolken und kaufte sich sein berühmtes Haus in La Jolla, in der Nähe von San Diego.
Im November 1945 veröffentlichte er dann auch noch seine Abrechnung mit Hollywood: Im ATLANTIC MONTHLY erschien sein bissiger Artikel HOLLYWOOD AND THE SCREENWRITER (SCHRIFTSTELLER IN HOLLYWOOD in CHANDLER ÜBER CHANDLER). Der Aufsatz wimmelte nur so von Gemeinheiten. Etwa: „Hollywoods Vorstellung von Produktionswert besteht darin, eine Million Dollar dafür aufzuwenden, um eine Geschichte aufzumöbeln, die jeder gute Schriftsteller fortwerfen würde.“ Der Artikel sorgte für Aufsehen und wurde in der Filmmetropole nicht sonderlich freudig aufgenommen.
Der Drehbuchautor Charles Brackett sagte über den Essay: „Chandlers Bücher sind nicht gut genug und seine Filme nicht schlecht genug, um diesen Artikel zu rechtfertigen.“ Als Chandler von Bracketts Äußerung erfuhr, entgegnete er: „Wenn meine Bücher etwas schlechter gewesen wären, hätte mich Hollywood nicht geholt, und wenn sie etwas besser gewesen wären, wäre ich nicht gekommen.“ Erstere, halte ich für eine äußerst gewagte These.
1946, das Jahr, in dem sich Chandler aus dem Hollywood-Geschäft zurückzog, war ausgerechnet das Jahr seines größten Erfolges: In diesem Jahr kam der Film in die Kinos, der für viele als der Chandler-Film schlechthin gilt, THE BIG SLEEP. Dieser Film, der den Hays-Code ebenfalls weiter aushöhlte, war in den USA ein Blockbuster.
Zensurprobleme bekam er in anderen Ländern, nämlich in Irland, Schweden, Dänemark und Finnland. Der irische Zensor erteilte kein Freigabezertifikat mit der Begründung, „dies ist ein durch und durch unmoralischer Film“.
Im Jahr darauf kamen Robert Montgomerys THE LADY IN THE LAKE und John Brahms THE BRASHER DOUBLOON (nach dem Roman THE HIGH WINDOW) in die Kinos. Chandler galt nach wie vor als „heißer Autor“, ließ sich aber zu keiner weiteren Arbeit für die Studios überreden. Er hatte genug Geld auf der Seite und von nun an verkauften sich seine Bücher in der englischsprachigen Welt ausgezeichnet, hinzu kamen auch Tantiemen aus vielen Übersetzungen (die der alte Meckerkopf gerne an Hand von Wörterbüchern überprüfte).
Chandler lehnte ein Filmangebot einmal mit der Begründung ab, er habe inzwischen genug Geld, um davon den Rest seines Lebens existieren zu können.
Einmal jedoch kehrte Ray noch ins Filmgeschäft zurück: Im Juli 1950 bot ihm Warner Brothers 2500 Dollar pro Woche, um Patricia Highsmiths ersten (nicht unter Pseudonym geschriebenen) Roman STRANGERS ON A TRAIN zu einem Drehbuch für einen Film von Alfred Hitchcock umzuarbeiten.
Hitchcock hatte die junge Autorin wie üblich übers Ohr gehauen:
Für die Filmrechte bezahlte er miese 2000 Dollar. Dabei sagte er ihr, eigentlich müsse sie für die Verfilmung zahlen, denn der Film würde viel zu ihrem künftigen Ruhm und Reichtum beitragen.
Die Zusammenarbeit war Hitchcocks Idee, der unbedingt mit Chandler kooperieren wollte – heißt es im Mythos. In Wirklichkeit hatten alle anderen Autoren, die Hitchcock gefragt hatte (darunter auch Dashiell Hammett), abgelehnt.
Chandler stimmte zu, weil er eine hohe Meinung von Hitch hatte. Allerdings lehnte er es ab, im Studio zu arbeiten. Und so musste Hitch – derartiges von untergeordneten Drehbuchautoren überhaupt nicht gewohnt – für die Story-Konferenzen etwa hundert Meilen zu Chandler nach La Jolla pilgern.
Erst waren beide noch begeistert voneinander. Aber bald stellte sich heraus, dass jeder von ihnen eine völlig andere Vorstellung von dem Film hatte. Nach zwei Monaten reichte es Ray. Das anfängliche Entzücken über die Diskussionen mit Hitch waren tiefer Verachtung gewichen.
Als er einmal den schwergewichtigen Regisseur vor seinem Haus aus dem Auto klettern sah, sagte er zu seiner Sekretärin: „Schauen Sie sich an, wie dieser fette Bastard versucht, aus dem Wagen herauszukommen.“ Die Sekretärin warnte entgeistert, Hitchcock könne ihn doch hören. Darauf Chandler: „Was kümmert’s mich?“
Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass Hitchcock das Drehbuch nicht mochte. Deshalb engagierte er Czenzi Ormonde, eine Assistentin des Drehbuchfürsten Ben Hecht, um es umzuschreiben. Rausgekommen ist schließlich ein ziemlich bescheuerter Film. Trotz Einladung nahm Chandler nicht an der Premierenvorführung teil.
Ab 1957 verhandelte Chandler mit einer Produktionsgesellschaft über eine Philip Marlowe TV-Serie.
1959 war es dann endlich soweit und PHILIP MARLOWE am TV-Start. In der halbstündigen Serie, die mit ach und krach eine Season mit 26 halbstündigen Folgen schaffte und von E.Jack Neumann geschrieben wurde, musste Phil Carey, sehr zu seinem Nachteil, den Vergleich mit Bogey antreten.
Chandler giftete noch kurz vor seinem Tod gegen diese „Demontage“ seines Lebenswerks.
Besser machte es Mitte der Achtziger Powers Boothe als Marlowe in zwei Staffeln, die auf Chandlers Kurzgeschichten (in denen der Detektiv noch nicht Marlowe heißt) basierten und in Kanada gedreht wurden. Die Serie war ein erstklassiges period piece und fing die Atmosphäre der späten 3oer- und frühen 40er Jahre detailfreudig ein. Und Boothe konnte prima neben Bogey und Robert Mitchum bestehen (siehe auch: https://crimetvweb.wordpress.com/2019/05/16/philip-marlowe/)
Fraglos hat Chandler dem Film viel gegeben – vor allem den Privatdetektiv-Film als eigenes, uramerikanisches Genre durchgesetzt. Wahrscheinlich waren die Adaptionen seiner Romane – sieht man einmal von DOUBLE INDEMNITY ab – wichtiger als seine Drehbücher.
Die mit seinem Namen verbundenen Filme trugen dazu bei, Hollywoods verkrustete Moralcodes aufzuknacken. Alle Filme machten gute Profite. Aber Chandler hat sich seine oft lustlose und nachlässige Arbeit auch verdammt gut bezahlen lassen. Negativ betrachtet hat Hollywood Chandler ausgebeutet und umgekehrt. Positiv gesehen haben beide voneinander Nutzen erzielt und kein unschuldiges Opfer zurückgelassen.
Chandler gehört zu den wenigen Autoren, die von Hollywood nicht brutal und dauerhaft über den Tisch gezogen wurden. Und anders als etwa F.Scott Fitzgerald, verließ er das Filmgeschäft nicht ausgebrannt und schreibunfähig, sondern mit seinem besten Roman, THE LONG GOODBY (DER LANGE ABSCHIED), noch vor sich.
Aber machen wir uns nichts vor: Ich könnte auf alle audiovisuellen Umsetzungen von Chandler verzichten.
Nicht aber auf seine Bücher, die wie wenig andere Werke der westlichen Welt des 20.Jahrhunderts einen Sound gegeben haben. Und der verzaubert noch immer.
Al Clark: Raymond Chandler in Hollywood. London & New York:Proteus, 1982.
Otto Friedrich: Markt der schönen Lügen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1988.
Dorothy Gardiner u. Kathrine Sorley Walker (Hrsg.): Chandler über Chandler. Frankfurt/Berlin: Ullstein, 1965. Neuübersetzt als: Die simple Kunst des Mordes, Zürich: Diogenes, 1975.
Tom Hiney: Raymond Chandler: A Biography.London: Chatto & Windus, 1997.
Hellmuth Karasek: Billy Wilder. Hamburg: Hoffmann und Campe, 1992.
William Luhr: Raymond Chandler and Film. New York: Frederick Ungar, 1982.
Frank McShane: Raymond Chandler.Eine Biographie. Zürich: Diogenes, 1984.
Robert Ottoson: A Reference Guide to the American Film Noir: 1940-1958. Metuchen,NJ & London: Scarecrow Press, 1981.
Donald Spoto: Alfred Hitchcock. Hamburg: Kabel Vlg., 1984.
John Russell Taylor: Hitchcock. München: Hanser Vlg., 1980.
Jon Tuska: In Manors and Alleys.Conneticut: Greenwood Press, 1988.
David Wilt: Hardboiled in Hollywood. Bowling Green: University Press, 1991.
Filed under: Film, Noir, Porträt, Raymond Chandler | Schlagwörter: Black Mask, Dashiell Hammett, Expressionismus, Film, Film Noir, Fritz Lang, Gangster, Hayes Code, Hollywood, Humphrey Bogart, Noir, pulp, Raymond Chandler, Sergei Eisenstein
Raymond Chandler war ein einsamer Mann; aber Schreiben ist ein einsames Geschäft. Sein Einfluss auf die Massenmedien war und ist allerdings alles andere als isoliert. Er schuf mit dem Privatdetektiv Philip Marlowe eine der großen multimedialen Pop-Ikonen des 20.Jahrhunderts und ist als Autor für mehr literarische Epigonen verantwortlich als selbst Ernest Hemingway.
Dashiell Hammett hatte vor ihm das Subgenre der private-eye-novel, des harten Privatdetektivromans, erfunden oder zumindest in seinen fünf Romanen entscheidend die wichtigsten Richtungen ausgeformt.
Mickey Spillane hat mehr Bücher als Chandler und Hammett zusammen verkauft, aber es ist Chandler, der bis heute den meistkopierten Stil der Literatur des 20.Jahrhunderts entwickelte.
Chandler war bereits über vierzig Jahre alt, als er diesen Stil herauszubilden begann.
1934 erschien in dem Pulp-Magazin BLACK MASK seine erste Story: BLACKMAILER’S DON’T SHOOT. In dieser noch wenig beeindruckenden Geschichte beschäftigte er sich bereits mit der Welt des Films; es geht um das Kidnapping eines Filmstars aus Werbegründen. Man kann also kaum behaupten, dass Chandler der Glitzerwelt naiv gegenüber stand, bevor ihn der Ruf als Drehbuchautor ereilte. Er war nicht der erste und sollte nicht der letzte hard-boiled-Autor sein, den Hollywood einfing.
Die amerikanischen Pulp-Autoren, dessen berühmtestes Organ das BLACK MASK-Magazin war, griffen eine neue Sprache auf: Die Sprache der Straße, die Sprache der Verlierer, Arbeiter, Gangster und Geschäftemacher. In dieser Sprache stellten sie realistisch eine Welt dar, die brutal, unmenschlich und nicht mehr zu beherrschen war.
Meist agieren in diesen Geschichten Detektivhelden, die versuchen Gerechtigkeit im Kleinen zu erkämpfen. Sie sind aber nicht einmal der stete Tropfen, der den Stein höhlt. Bereits Dashiell Hammett, der herausragendste Vertreter der hard-boiled-school, glaubt nicht mehr an Gerechtigkeit im Mikrokosmos und wird zum Chronisten der Düsternis der Städte. Autoren wie Hemingway (in A FAREWELL TO ARMS, 1929), Faulkner (in SANCTUARY, 1931) oder John O’Hara (in APPOINTMENT IN SAMARRA, 1934) griffen Sprache und Weltbild der Pulp-Autoren auf.
Hammett beschrieb die Abkehr von allen zivilisatorischen Regeln, indem er seine Helden, die oft im Dienste des amoralischen Kapitals standen, zu Richtern, Geschworenen und Henkern gleichzeitig machte. Raymond Chandler fiel in dieser Hinsicht hinter Hammett zurück, indem er romantisierte und einen staubigen Ritter die mean streets einer korrupten Zivilisation durchstreifen ließ. Ross Macdonald nannte den Chandlerschen Privatdetektiv den „klassen- und ruhelosen amerikanischen Demokraten“.
Spätestens nachdem sich Humprey Bogart Trenchcoat und Hut übergezogen hatte, ist der abgebrühte (hardboiled) Privatdetektiv ein popkultureller Mythos. In Tausenden Romanen und Filmen singt er das hohe Lied vom ehrlichen Kleinstunternehmer, der sich nicht schmieren lässt und in einer korrupten Welt für etwas mehr Gerechtigkeit sorgt. Diese Literatur sollte für Hollywood in den 40er Jahren ungeheuer wichtig sein. Denn nach den brutalen Gangsterfilmen der 30er Jahre hatte die katholische Zensurstelle, der so genannte Hays-Code, den Filmemachern so viele Beschränkungen auferlegt, dass sie kaum noch realistische Filme drehen konnten.
Historiendramen und Musicals drohten Anfang der 40er Jahre das Publikum aus den Kinos zu vertreiben. Aber nicht nur diese harte, realistische Prosa war für die Stilentwicklung des film noir verantwortlich. Man musste sich auch wieder an frühe Formen der Filmsprache erinnern. An eine Filmsprache, die nicht amerikanisch war:
Nicht Hollywood sondern Deutschland war in den 20er Jahren der Mittelpunkt der Filmwelt. Die Deutschen waren die Meister des Lichts, der special effects und ungewöhnlicher Kamerastandpunkte. Die Filmemacher nutzten Techniken des experimentellen Theaters und des Expressionismus, um Spannung, Horror und das Gefühl totaler Verunsicherung auf die Leinwand zu bringen. Mit dem KABINETT DES DR.CALIGARI (1919) schufen sie das sowohl düsterste wie auch expressionistisch befremdlichste Werk der Epoche. Die Welt von Kafka durch die Kamera eines Expressionisten gesehen.
Gleichzeitig revolutionierte Sergei Eisenstein in Russland die Filmkunst mit einer neuen Schnittechnik. Das expressionistische Licht des deutschen Films und Eisensteins Schnittechnik wurden die entscheidenden Elemente des späteren Film noirs, der in den 40er- und 50er Jahren in Hollywood als Schwarze Serie stilbildend wirkte.
Es waren fast ausschließlich Emigranten wie Fritz Lang, Billy Wilder oder Robert Siodmak, die in den 40er Jahren die pessimistische Grundhaltung der Amerikaner auf die Kinoleinwand brachten. Literarische Vorlagen fand man eben in den Pulp-Magazinen und den Romanen der Noir-Autoren: Geschichten über Menschen, die in aussichtslose Fallen gerieten, gesellschaftliche Außenseiter ohne Hoffnung und die Ausgegrenzten, die nur noch Chancen im Verbrechen sahen. Diese handlungsbetonten Geschichten eigneten sich bestens für den Film.
Der unerwartete Erfolg von John Hustons THE MALTESE FALCON (DER MALTESER FALKE, 1941) nach Hammetts Klassiker begründete das Interesse an Noir-Filmen, die auf den Werken der Hard-boild-Schreiber basierten oder von ihnen direkt für die Leinwand geschrieben wurden. Deshalb karrte Hollywood ganze Zugladungen von ihnen heran.
Die Crème der Noir-Autoren folgte dem Ruf des Zelluloids und verdingte sich mal besser, mal schlechter, als Drehbuchautoren: Hammett, Chandler, James M.Cain, Horace McCoy, David Goodis, Frank Gruber, Jonathan Latiner, Peter Ruric, William Burnett, Eric Taylor, Dwight V.Babcock, John K.Butler, Steve Fisher, W.T.Ballard, Jim Thompson und viele mehr.
Große Regisseure drehten nach Noir-Romanen Klassiker der Filmkunst. Darunter etwa Fritz Langs MINISTRY OF FEAR (MINISTERIUM DER ANGST, 1944) nach Graham Greene, William P.McGiverns BIG HEAT (HEISSES EISEN, 1953) oder Geoffrey Households ROGUE MALE als MANHUNT (MENSCHENJAGD, 1941). Billy Wilder drehte Cains DOUBLE INDEMNITY (FRAU OHNE GEWISSEN, 1944), Robert Siodmak Cornell Woolrichs PHANTOM LADY (ZEUGE GESUCHT, 1944), Orson Welles verfilmte Whit Mastersons TOUCH OF EVIL (IM ZEICHEN DES BÖSEN,1958) und Edward Dmytryk Don Tracys CRISS CROSS (GEWAGTES ALIBI, 1949) oder nach Chandlers FAREWELL, MY LOVELY mit MURDER MY SWEET den ersten Film mit der Figur Phil Marlowe.
Dass man Noir-Filme auch in Farbe drehen kann, weiß man seit 1958, als Nicholas Ray mit PARTY GIRL (MÄDCHEN AUS DER UNTERWELT) den ersten „bunten“ Noir-Film vorlegte. Kein anderes Filmgenre hat so viele Klassiker hervorgebracht und keine Minute vergeht, in der nicht irgendwo auf der Welt im Fernsehen ein Noir-Film läuft.
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In diesen erschreckenden, gewalttätigen frühen Filmen (die manchmal aus Zensurgründen völlig unglaubwürdig das pessimistische Ende der literarischen Vorlage ins Positive umdrehten) wurde der Einsatz der subjektiven Kamera perfektioniert, um den Zuschauer noch intensiver in die Leinwand zu saugen.
Chandler mäkelte einmal herum, dass diese subjektive Kamera in der Verfilmung von THE LADY IN THE LAKE ein alter Hut sei. Das war diese Technik damals natürlich nicht; sie wurde in diesem Film nur so penetrant eingesetzt, dass man den gesamten Film als gescheiterten, aber höchst interessanten Experimentalfilm ansehen muss. Wie in den Romanen hatte der Zuschauer keine Chance seinen eigenen Ängsten zu entkommen.
Die Noir-Filme waren eine Chance, langsam aber sicher die überholten Normen der Zensur des Hayes-Codes auszuhebeln, der inzwischen die Existenz Hollywoods gefährdete, da er dem neuen Lebensgefühl der Kinogänger nicht mehr entsprach. Depression und Krieg hatten das Bewusstsein der Menschen nachhaltig verändert.
Erstes Genre-Opfer war der Western: Die naiven Vorkriegswestern voller makelloser Helden mit weißen Hüten waren lächerlich geworden angesichts der realen Schrecken des Krieges. Zynische Helden wie Bogart, die an keine patriotischen Floskeln mehr glaubten, verkörperten den Zeitgeist.
Von den weiblichen Stars erwartete man nun eine stärkere, direktere sexuelle Ausstrahlung. Wenn Bogart mit Bacall rummachte und derb flirtete, wusste der Zuschauer, dass die beiden anschließend nicht zum gemeinsamen Blumenpflücken gehen würden. In den Filmen der 40er Jahre litten Männer der Mittelschicht häufig unter den sexuellen und materiellen Bedürfnissen der Frauen. Diese harte, düstere und oft sexuell aufgeladene Stimmung schwang in der harten amerikanischen Kriminalliteratur mit. Selbst in den schlechtesten Pulp-Stories (und es gab eine Menge schlechte Geschichten) schwingt ein realistischeres Zeitgefühl mit als in den meisten Werken der damaligen Mainstream-Literatur. Vom klassischen Detektivroman britischer Prägung ganz zu schweigen. Die Noir-Helden können den Gang der Welt nicht kontrollieren, höchstens eine Wahl treffen, wie sie in ihr leben (oder untergehen).
Im Gegensatz zu anderen Literaten, die seit den 30er Jahren von Hollywood eingekauft wurden, hatte Chandler nie Berührungsängste mit dem Kino. Anders als viele Kollegen sah er den Film nie als per se minderwertiges Medium an.
Wieso auch?
Hatte er doch in den billigen Pulp-Magazinen gezeigt, dass man aus jedem Genre qualitativ Hochwertiges herausholen konnte. Seine Frau Cissy, eine gescheiterte Schauspielerin (und in jungen Jahren ein Opium rauchendes Nacktmodel), hatte aus ihm einen regelmäßigen Kinogänger gemacht, der seine analytische Brillanz auch auf die Filmkunst bezog.
Gleich nachdem CITIZEN KANE herausgekommen war, erkannte Chandler die Bedeutung des Streifens für die Filmsprache und wurde umgehend zu einem Bewunderer von Orson Welles. Niemals stellte er aber auch in Abrede, dass die Filmindustrie in erster Linie ein Geschäft ist und die Verantwortlichen vor allem Geld verdienen wollen. Das bereitete ihm keine Kopfschmerzen, da es letztlich dieselbe Ausgangssituation war, die er als Autor akzeptiert hatte, als er für die billigen Hefte des Pulp-Marktes zu schreiben begann.
Letztlich folgte er dem Ruf nach Hollywood auch deshalb, weil ihn zu diesem Zeitpunkt seine Einkünfte aus dem literarischen Schaffen kein sorgenfreies Leben garantierten. Die große Legende, dass Chandler ach so furchtbar unter Hollywood gelitten haben soll, ist quatsch – wie sich noch zeigen wird. Eine Legende, die immer mal wieder auftaucht (gespeist auch durch Chandlers bitterbösen Aufsatz über Hollywood im ATLANTIC MONTHLEY: SCHRIFTSTELLER IN HOLLYWOOD, 1945).
Sein Biograph Tom Hiney hat in seinem Buch gründlich mit diesem Missverständnis aufgeräumt. Wenn man Hiney extrem verstehen will, könnte man behaupten, dass eher Hollywood (zumindest einige wichtige Leute dort) unter Chandler gelitten hatten, der sich dafür rächte, dass man seinen unfähigen Agenten anfangs schwer übers Ohr gehauen hatte, was Chandler einen Haufen Geld gekostet hatte: 1941 verkaufte sein Agent Sydney Sanders die Rechte an dem Roman FAREWELL MY LOVELY für 2000 Dollar an RKO. Die machten daraus das B-Picture THE FALCON TAKES OVER in der Billigserie THE FALCON. „Ein Beispiel wohl noch nie dagewesener Dummheit seitens meines New Yorker Agenten“, sagte Ray später dazu.
Im selben Jahr kaufte die Twentieth-Century Fox für 3500 Dollar die Rechte an THE HIGH WINDOW, um daraus den Film TIME TO KILL für die Michael Shayne-Serie zu machen. 1947 drehte John Brahm danach THE BRASHER DOUBLOON. Üblicherweise zahlten die Studios damals bis zu 50 000 Dollar für Romanrechte.
Kein Wunder, dass Ray seinen Agenten feuerte, nachdem er die geschäftlichen Gepflogenheiten Hollywoods kennengelernt hatte. Statt Sanders vertrat ihn später H.N.Swanson, ein hoch angesehener, mit allen Wassern gewaschener Hollywood-Agent, der auch F.Scott Fitzgerald, William Faulkner und später Elmore Leonard zu seinen Klienten zählte.
FORTSETZUNG FOLGT!
Filed under: Crime Fiction, DUMONT NOIR, Film, George Pelecanos, Krimis,die man gelesen haben sollte, MUSIK, Noir, Porträt, Rezensionen | Schlagwörter: Chandler, DUMONT NOIR, Film Noir, Grorge P.Pelecanos, Hammett, Noir
Mein Nachwort zu Dumont Noir Bd.6: DAS GROSSE UMLEGEN.
Im ersten Noir-Roman seiner historischen Washington-Trilogie, THE BIG BLOWDOWN (DAS GROSSE UMLEGEN), beschreibt George P.Pelecanos die amerikanische Hauptstadt der 40er- und 50er Jahre. Damals wurden für eine Reihe Entwicklungen die Weichen gestellt, die bis heute richtungweisend sind. Der Hass der ethnischen Gruppen untereinander, die alle auch kriminelle Fraktionen bilden, ist natürlich über das historische Washington hinaus aktuell. Genauso das Abgleiten perspektivloser Jugendlicher, die ihre neue Welt noch nicht richtig verstehen, in Gangs, um sich gegen reale wie vermeintliche Bedrohungen von Außen zu verteidigen.
Pelecanos schreibt über die Stadtteile der amerikanischen Hauptstadt, vor denen uns die Reiseführer warnen, falls sie überhaupt erwähnt werden.
Er ist Washingtoner griechischer Herkunft, hat die US-Klassiker des proletarischen Romans wie THIEVES LIKE US von Edward Anderson oder THIEVES MARKET von A.I.Bezzerides genauso studiert wie Hammett und Chandler. Seine Romane beleuchten die Machtzentrale Washington D.C., wie man diese Stadt bisher noch nicht in der Literatur gesehen hat. Es ist die Welt der Immigranten und Sklavennachkommen, die sich mehr schlecht als recht durchbeißen, um einen Stück vom Kuchen des amerikanischen Traumes herunterschlucken zu können.
Der 1957 geborene Pelecanos hat eine eigene originelle Stimme und ein eigenes Thema, von dem er geradezu besessen scheint. „Meine Idee war, als ich begann, über die Arbeiterklasse Washingtons zu schreiben in der Form des Kriminalromans. Meines Wissens hat das bisher keiner getan. Wenn Washington das Thema von Romanen oder Thrillern ist, dann geht es nur um hohe Politik oder einen verrückten Militär, der den roten Knopf drücken will. Es ist meine Lebensaufgabe geworden, über das wahre Washington vor den verschlossenen Türen zu schreiben. Durch alle Jahrzehnte unseres Jahrhunderts hindurch.“
Pelecanos Vater kam als Kleinkind in die USA. Die ganze Familie arbeitete in der Billiggastronomie, und George wuchs in den Küchen, Bars und Coffeshops der griechischen Einwandererszene auf. Ab dem zehnten Lebensjahr half er seinem Vater in den Sommerferien. „Ich tat dies mein ganzes Leben, bis ich Schriftsteller wurde.“ Nach seinem Kunststudium nahm er eine Reihe unterschiedlicher Jobs an.
1989 kündigte er seinen Job als Manager einer Kette von Haushaltsgeschäften, um einen Roman zu schreiben. Für den Lebensunterhalt arbeitete er nachts in einer Bar im Nordwesten Washingtons. Der Roman erschien 1992 unter dem Titel „A Firing Offense“ und war der erste einer Trilogie um den Washingtoner Privatdetektiv Nick Stefanos.
Ihm gelang mit den drei Stefanos-Romanen, was inzwischen zu den schwierigsten schriftstellerischen Aufgaben gehört: neue Funken aus einem Klischee strotzenden Subgenre zu schlagen. Die Private-Eye-Novel stand Jahrzehnte unter dem übermächtigen Einfluss von Raymond Chandler und war schon fast in Stereotypen erstickt als Ende der 1970er Jahre und in den 80er Jahren Autoren wie Robert.B.Parker, Lawrence Block, Loren D.Estleman, Marcia Muller, James Crumley, Joe Gores, Joseph Hansen und einige andere neue Wege gingen. Aber ob Regionalismus-Trend, neuer Realismus oder harte weibliche Privatdetektive, in den 90er Jahren schien der Privatdetektivroman wieder in einer Sackgasse gelandet zu sein. Pelecanos schrieb mit der Stefanos-Trilogie einen im Regionalismus verwurzelten Entwicklungsroman, dessen Hauptperson jenseits abgedroschener Klischees angesiedelt war.
„Ich liebe das Genre. Ich wurde an der Universität, ich war an der University of Maryland, durch einen Lehrer damit bekannt gemacht. Von da an las ich mehrere Bücher pro Woche zehn Jahre lang. Und dann dachte ich mir, ich könnte selbst einen Privatdetektivroman schreiben. Aber ich hatte natürlich keine Ahnung von der Arbeit als Privatdetektiv. Also besann ich mich auf meine proletarischen Wurzeln und die Milieus, die ich kenne. Ich hatte auch eine ganze Reihe Romane gelesen, die eher an der Peripherie des Genres angesiedelt sind: THIEVES LIKE US von Edward Anderson, THIEVE’S MARKET von A.I.Bezzerides und die Bücher von Horace McCoy. Ich kannte diesen proletarischen Moment in der Hard boiled novel. Ich wollte nicht irgendwas Originelles erfinden oder konstruieren, ich schrieb nur aus einer anderen Perspektive über bisher literarisch nicht beachtete Milieus.“
Damit gab Pelecanos die Perspektive der Mittelklasse, die den Privatdetektivroman von Chandler bis Sue Grafton, Parker oder Sarah Paretsky beherrschte, auf. Aber Pelecanos sagt auch: „Heute nicht zuzugeben, dass Chandler die Standards vorgab, wie es einige Autoren tun, ist völliger Unsinn. Jeder von uns PI-Autoren schuldet oder verdankt ihm etwas.“
Anders als bei den üblichen Privatdetektivromanen schrieb Pelecanos nicht dasselbe Buch mehrmals: in jedem der drei Stefanos-Romane macht der Protagonist eine radikale Veränderung durch, die aus seinen Erfahrungen rührt. „Wenn ich ein Buch in die Hand bekomme, dessen Klappentext behauptet, der Autor sieht sich als geistiger Nachfolger von Chandler, möchte ich es am liebsten an die Wand schmeißen. Ich bin sicher, Mr. Chandler würde von einem jungen Autor erwarten, dass er etwas neues, anderes wagt, selbst mit dem Risiko zu scheitern. Ich achte die Regeln des Genres, aber genauso ist es mir wichtig, diese Regeln zu verändern, ich will die Konventionen solange zusammenpressen, bis Blut herausläuft.“
Den Kosmos, den Pelecanos in seiner Stefanos-Trilogie, entwickelt hat, nutzt er auch für spätere Bücher: Im GROSSEN UMLEGEN etwa taucht Nicks Großvater Big Nick Stefanos auf, und Nick selbst ist ein Baby. Das gibt seinem Gesamtwerk eine zusätzliche Dimension epischer Breite und seinem Jahrzehnte überspannenden Sittenbild glaubwürdige Geschlossenheit.
Über DAS GROSSE UMLEGEN sagt er:
„Der Anfang ist eigentlich die Geschichte meines Vaters. Er kam aus Griechenland und lebte in Washingtons Chinatown. Damals kein reines Chinesenviertel, sondern der übliche Ort, wo sich arme Immigranten niederließen. Im 2.Weltkrieg ging mein Vater zu den Marines; er nahm an den Nahkämpfen auf Leyte teil. Peter Carras im Roman kehrt aus dem Krieg zurück und schlägt dann einen anderen Weg ein als mein Vater, der seine Familie hatte. DAS GROSSE UMLEGEN wurde mein Big Book, mein großer Gangsterroman. Es schrieb sich von selbst und ist immer noch mein Lieblingsbuch. Naja, ganz von selbst schrieb es sich natürlich nicht. Ich verbrachte Monate im Washingtonraum der Martin Luther King-Bibliothek und fraß mich durch Zeitungen von damals. Mich interessierte natürlich alles über die Kriminalität. Es gab keine richtig große Gang, obwohl es natürlich organisiertes Glücksspiel gab und enge Verbindungen mit New York zum Costello-Syndikat. Außerdem sprach ich mit älteren Leuten, die sich noch gut an die Zeit erinnern konnten. Dann setzte ich mich hin und schrieb das Buch in vier Monaten. Der Film noir der 40er Jahre beeinflusste mich sehr stark bei diesem Roman.“
Der nächste Band der Trilogie, KING SUCKERMAN, spielt in den 70er Jahren mit Pete Karras‘ Sohn Dimitri als einen der Protagonisten.
„Das war meine große Zeit. Das Buch spielt in der Woche der großen Zweihundertjahrsfeiern 1976. Ich war 19 Jahre alt und es war mein Sommer. Ich glaube, jeder Mensch hat einen großen Sommer, in dem alles großartig ist. Ich erinnere mich an jedes Detail. Das Buch ist in einem völlig anderen Stil geschrieben als DAS GROSSE UMLEGEN. Viel lockerer, weil es eine Zeit darstellt, in der ich gelebt habe und die ich nicht mühselig recherchieren musste. Mich haben besonders diese radikalen Veränderungen in der Kultur innerhalb von dreißig Jahren fasziniert. Ein Mann in den 40er Jahren band sich einen Windsorknoten und setzte einen Fedora auf, bevor er aus dem Haus ging. Man muss sich mal vorstellen, er ginge aus dem Haus und würde in den 7oer Jahren landen. Alleine wie die Leute gekleidet waren, wäre ein Schock für ihn gewesen. Wie bei dem GROSSEN UMLEGEN der Film noir ein Einfluss war, schlugen sich bei KING SUCKERMAN das schwarze Actionkino der 70er Jahre, die blaxploitation movies nieder. Der letzte Band der Trilogie heißt THE SWEET FOREVER und spielt 1986.“ In diesen Büchern vermittelt Pelecanos neben der crime story auch die Tragödie, dass keine Generation der nächsten ihre Erfahrungen wirklich vermitteln kann. „Ja, es ist ein Moment der Tragödie, denn man ahnt oder weiß, was passieren wird, weil die eine oder andere Person nicht zuhört, was ihm der Ältere zu vermitteln versucht.“
Neben seiner Karriere als Schriftsteller arbeitet Pelecanos noch in der Filmbranche. „Auf einem Hongkong-Festival am American Film Institute hatte ich THE KILLER von John Woo gesehen und war tief beeindruckt. Als ich erfuhr, daß Jim und Ted Pedas die amerikanischen Vertriebsrechte für Circle Films gekauft hatten, meldete ich mich bei ihnen. Ich wollte eigentlich nur die Promotion für diesen einen Film machen, blieb aber dann bei Circle Films.“ Circle Films vertrieb BLOOD SIMPLE der Coen-Brüder und produzierte für die Coens RAISING ARIZONA, MILLER’S CROSSING und BARTON FINK. „MILLER’S CROSSING ist im Grunde eine Adaption von Dashiell Hammetts RED HARVEST und THE GLASS KEY. RED HARVEST ist oft für das Kino adaptiert oder geklaut worden:von Kurosawas YOYIMBO bis zu Sergio Leones EINE HANDVOLL DOLLAR und Walter Hills LAST MAN STANDING.“ Pelecanos war Co-Produzent bei Bob Youngs Film CAUGHT mit Edward James Olmos, „eine Art James M.Cain-Geschichte mit der Musik von meinem alten Idol Curtis Mayfield“. Zuletzt produzierte er WHATEVER, der von Sony Pictures gekauft wurde. Es liegt nahe, daß Pelecanos Romane selbst als Filmvorlage dienen könnten. „Meine Agentin trommelt dafür. Mein non-serie-Roman SHOEDOG ist unter Option, aber ob er wirklich verfilmt wird, steht in den Sternen. Ich habe das Drehbuch geschrieben, und ich schrieb die Drehbuchadaption von DAS GROSSE UMLEGEN. Ich wollte nicht, daß ein anderer das macht. Das Buch steht mir und meiner Familie zu nahe. Es geht um echte Menschen, nicht um Stereotype.“
P.S.: Pelecanos hat 2000 mit SHAME THE DEVIL noch einen Band nachgelegt und somit wurde aus der Trilogie eine Tetralogie.