Filed under: FLASHMAN, NEWS, Rezensionen | Schlagwörter: Flashman-Blog, Robert Silverberg
Neu in https://compartsflashman.wordpress.com/ in der Reihe Klassiker des modernen Abenteuerromans ist Robert Silverbergs HERR DER FINSTERNIS.
Hier die ersten Eindrücke der 2.Season von TRUE DETECTIVE. Die erste Season setzte (auch literarische) Maßstäbe für TV-Serien und zeigte einmal mehr, wie weit inzwischen die Schere zwischen angelsächsischen- und deutschen Produktionen auseinanderklafft. Ab Juni läuft die neue Staffel, die ein schweres Erbe antritt. Mit Colin Farrell hat man die Gewissheit, dass das schauspielerische Niveau der ersten Season erhalten bleibt. Warten wir es ab!
Hier die wahnwitzige sechsminütige Einstellung aus der ersten Season:
Filed under: Mark Fisher, MUSIK, Politik & Geschichte, Rezensionen | Schlagwörter: Kulturkritik, Mark Fisher, Pop
Wenn man heutzutage innovative, aktuelle oder originelle Kulturkritik zu lesen bekommen will, muss man fast ausschließlich auf Werke zurückgreifen, die sich mit Pop und Medien beschäftigen. Denn in dieser Auseinandersetzung hat Kulturkritik die größte Schnittmenge mit Systemkritik. Beziehungsweise ist hier die Konfrontation des Lebens mit Politik und Wirtschaft so wuchtig, dass es unseren zivilisatorischen Stellenwert unausweichlich verdeutlicht. Im deutschen Sprachraum sind die vielleicht eindrucksvollsten pop- und medienkulturellen Analysen die Arbeiten von Georg Seeßlen.
Auch Fishers hier versammelte Essays sind eine tiefgehende Kulturkritik. Er weist aus überzeugenden Beobachtungen nach, dass aktuelle Kunst und Kultur nicht mehr die Gegenwart erfassen und artikulieren können – was nicht ihre Schuld sei, sondern an der „Erschöpfung der Gegenwart und allmählichen Aufkündigung der Zukunft“ seit dem Aufstieg des Raubtierkapitalismus liegt. Als Brite macht er das an Thatcher fest; Deutschland, in der üblichen kulturellen Verspätung, kann ihn mit Kohl und Schröder verbinden. Seitdem beobachtet Fisher, der sich häufig auf Frederic Jameson als Vordenker bezieht, den Zusammenbruch der Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dies manifestiert sich in einer multimedialen Nostalgie als ideologische Strategie: „Baut(e) KRAFTWERK in geradezu paradigmatisch moderner Weise auf Technologie, um neue Formen hervortreten zu lassen, so dient der Einsatz von Technologie im Nostalgiemodus lediglich dem Zweck, das Alte aufzupolieren. Das Ziel lautet, das Verschwinden der Zukunft als ihr Gegenteil zu maskieren.“
Er macht das Im Film u.a. sehr schön an STAR WARS und BODY HEAT in der Argumentation von Jameson offensichtlich.
In den weiteren Essays, die sich von TV-Serien, Joy Division, John LeCarré bis über den Junior Boys, David Peace, Chris Petit und anderen erstrecken, verfolgt Fisher die Frage, weshalb der Aufstieg des neoliberalen, postfordinistischen Kapitalismus zu einer durch Retrospektion und Pastiche geprägten Kultur führt.
Ein Symptom dafür ist, dass sie Kultur des 21.Jahrhunderts durch „suspendierenden Stillstand und Unbeweglichkeit gekennzeichnet ist, verborgen unter einer oberflächlichen Gier nach Neuheit und ständiger Bewegung“. Mit diesem Stillstand der Kultur erwächst der Eindruck, „als hätte das 21.Jahrhundert noch nicht begonnen“. Tatsächlich stecken wir kulturell, postkolonoial und wirtschaftlich noch in „der Falle des 20.Jahrhunderts“. Wie etwa der politisch-ökonomische Umbruch durch Thatcher Reagen, Kohl und die ganze kapitalistische Genozid-Clique, die den Konsens der Nachkriegszeit durch die Prekarisierung der Lohnarbeit ersetzte.
Schon auf der zweiten Seite im Eingangskapitel (u.a. über die zu Unrecht bei uns völlig unbekannte TV-Serie SAPPHIRE AND STEEL) knallt Fisher dem Leser so erhellende Erkenntnisse entgegen, dass er weiß, man wird in diesem Buch auch die Essays zu Personen und Themen lesen, von denen man annahm, dass sie einen nicht interessieren. „unter Bedingungen digitaler Erinnerung geht der Verlust selbst verloren.“
Ein spannendes und genauso unterhaltsames Buch (Pop-Musik-, Film- und Krimifans kommen genauso auf ihre Kosten wie potentielle Molotow-Cocktail-Bastler), das von Thomas Atzert sensibel und atemberaubend kenntnisreich übersetzt wurde.
Im ersten Teil erklärt Fisher seine Weltsicht und Analyseinstrumente, in den beiden folgenden Teilen wendet er diese in Essays zu ausgesuchten populärkulturellen Themen (Le Carré, Life on Mars etc.)an.
Und wieder ein Beleg dafür, dass Klaus Bittermanns EDITION TIAMAT für das kulturlose 21.Jahrhundert das ist, was die EDITION SUHRKAMP für die Kultur der 1960er und 1970er war.
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Filed under: Conspiracy, Deutsches Feuilleton, die man gelesen haben sollte, DON DeLILO, Krimis, Noir, Politik & Geschichte, Rezensionen, thriller | Schlagwörter: CIA, Conspiracy, Don deLillo, Hammett, Joachim Kalka, Nazis, Noir, Porno, Postmodern, Thriller
Don DeLillo ist einer der großen Verschwörungstheoretiker. Aber ihm nimmt es das Feuilleton nicht übel, denn DeLillo hat mehr Literaturpreise gewonnen als die meisten Mainstream-Zeitungen noch Abonnenten haben.
DeLilo wird von den Medienkellnern der Literaturseiten gerne mit dem Begriff „postmodern“ belegt. Bei SIEBEN SEKUNDEN begründet das Der Spiegel mit der Beobachtung, dass in dem Roman fiktive Figuren auf historische stoßen. Oha, dann ist wohl Charles Dickens (A TALE OF TWO CITIES) ebenfalls ein „postmoderner“ Autor. „Postmodern“ ist lediglich ein völlig hirnverbrannter Begriff aus den vollgekotzten Schubladen des Marketings, der impliziert, dass es irgendwann mal eine ästhetische Wetterscheide gegeben habe, nach deren Grenzüberschreitung anders als zuvor geschrieben werde.
Tatsächlich gibt es aber seit den 1980er Jahren (in denen manche dieser verzweifelt um Schubladenoriginalität bemühten Hirnakrobaten, überwältigt von ihrer eigenen Wortgewalt, diese „Postmoderne“ verorten) stilistisch nichts epochal Neues. Auch nicht unter der trüben Sonne Klagenfurts.
Kerouac, Burroughs, Vian, Mailer, Robbe-Grillet, Manchette, Pynchon und ein paar weitere füllten bereits in den 1950er- bis 1970ern die literarischen Werkzeugkästen, aus denen man sich bis heute bedient.
Um die Kultur nicht in den öden Festungen subventionierter Kritiker zu isolieren, sollte man sie, wie es ihre Existenz ausdrücklich verlangt, eher an der Realität anmessen. Dann könnte man zumindest seit 2001 von einer Kultur, bzw. Literatur, der „Postdemokratie“ sprechen, was sie ja häufig thematisiert.
Seit der Bankrottrüstung der Sowjetunion und spätestens seit 9/11 rechtfertigen die Lebensgrundlagenzerstörer (Neo-Con ist ein ebenso falscher Begriff wie „postmodern“, denn er beleidigt all das, wofür ein aufrechter Konservativer steht) ihre globalen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Umwelt mit der Marktwirtschaftsphrase. Dank Banker, Konzernlenker und ihren eingekauften politischen Heloten hat die Vernichtung unseres Planeten eine nie gekannte Virtuosität erreicht.
Ich habe schon häufig darauf hingewiesen, dass sogenannte E-Literaten immer häufiger Ausflüge in sogenannte U-Genres machen (wahrscheinlich um ihrem Biedermeier zu entkommen), besonders gerne in die Noir-Literatur.
Hemingway, Mailer, McCarthy, Pynchon taten dies bereits vor Jahrzehnten aus edleren Gründen.
Don DeLillo tat dies ganz unmissverständlich 1978 mit RUNNING DOG. Pop-Kultur war immer bedeutsam für seine Bücher und Weltsicht, aber in diesem Roman nutzte er ganz bewusst die Strukturen des Thrillers. Oder wie es Joachim Kalka 1999 in der FAZ in einer der brillantesten Besprechungen von BLUTHUNDE ausdrückte: kreist die Handlung „in einem Dekor von verschwenderischer Noir-Ausstattung“ um „ein leeres Zentrum: Es gibt etwas, das alle haben wollen, von dem man aber nicht genau weiß, was es ist, wer es hat, ob es existiert“.
Dies ist DeLillos Jagd nach dem MALTESER FALKEN, der bei ihm ein Pornofilm aus den letzten Tagen im Führerbunker ist und dessen Schale am Ende des Romans ähnlich aufgekratzt wird wie bei Hammett. Und wie bei Hammett ist es auch für DeLilo lediglich ein McGuffin – einer der aberwitzigsten der Noir-Literatur (der Begriff „McGuffin stammte von Alfred Hitchcock und benannte das zugleich sinnlose oder sinnvolle Motiv, das „die Handlung zum laufen bringt oder am laufen hält“). Dem Zeitgeist entsprechend, gibt es in BLUTHUNDE keine integre Figur wie Sam Spade. Mordende wie Ermordete sind schuldhaft in die Intrigen des Systems verwickelt.
Im Echo von Kennedy-Attentat, Vietnam, Watergate, Sixties-Revolte und Church-Ausschuss hat DeLillo BLUTHUNDE mit ebenso unterhaltsamem wie symbolisiertem Personal bestückt: einen Geheimagenten, zwei Journalistinnen des ehemals radikalen Magazins „Bluthunde“, einen Senator (der in einem dem Church-Ausschuss nachempfundenen Komitees mitmischt), den Boss des militärisch-industriellen Komplexes, einen Mafia-Don, einen alternden Erotika-Händler und andere illustre Gestalten.
Der Agent Selvy arbeitet, von Steuergeldern bezahlt, für Senator Lloyd Percy als eine Art Referent. Seine wirkliche Aufgabe ist es, belastendes Material gegen den Senator zu sammeln, dass Geheimdienste und der militärisch-industrielle Komplex gegen ihn verwenden kann. „Er fühlte sich vom Dreck seines Berufs nicht beschmutzt.“ Selvy ist der Strohmann für eine vor der Öffentlichkeit verborgenen Neigung des Senators: seine millionenschwere Erotika-Sammlung, der auch der Nazi-Porno einverleibt werden soll. „Es gefällt dem Herrn, dass nur wenige von uns über das nötige Kleingeld verfügen, um solchen Neigungen nachzugehen.“
Zynisch betrachtet DeLillo die perverse Nazi-Faszination durch den Zwischenhändler Lightborne: „Film spielte eine ganz wesentliche Rolle in der Nazi-Ära. Mythos, Traum. Erinnerung… faszinierend: Die ganze Nazi-Ära. Die Leute können nicht genug davon kriegen. Wenn´s um Nazis geht, kommt automatisch Erotik ins Spiel. Die Gewalt, die Rituale, das Leder, die Schaftstiefel. Die ganze Begeisterung für Uniformen und das ganze Brimborium. Hitler hat seine Nichte ausgepeitscht, haben Sie das gewußt? Verhilft derlei Material den Leuten dazu, ihren Orgasmus aufzuwerten?“
Der Roman steht ganz in der Tradition der amerikanischen Conspiracy-Romane und Paranoia-Filme der 1970er. Geschockt von den Reformen der 196oer Jahre, die aus dem Ruder gelaufen waren, begann die Reaktion vehement aufzurüsten und setzte zu Beginn der 1980er gar mit Reagen den ersten Soldaten-Präsidenten ins Weiße Haus. DeLilos schwarzer Polit-Thriller verdeutlicht diese Zeit, die soviel mit unserer Gegenwart zu tun hat.
Aus einem Dialog zwischen Selvy und der Bluthund-Journalistin Robbins:
„BLUTHUND war einstmals ein Organ der Unzufriedenen.“
„Ja, wir waren ziemlich radikal.“
„Heute völlig etabliert.“
„Völlig würde ich nicht gerade sagen.“
„Teil der ständig expandierenden Mitte.“
Kein Thriller für Leser, die zur Genügsamkeit bei geistiger Nahrung neigen.
Filed under: Crime Fiction, die man gelesen haben sollte, Matthew Stokoe, Noir, Rezensionen | Schlagwörter: David Goodis, de Sade, Irvine Welsh, Matthew Stokoe, Noir, Porno
Noir goes mainstream. Das lässt sich nun schon eine Weile beobachten. Erst wanderten die verstörenden Bilder von Thompson, Goodis & Co. in den Underground, wo sich William S. Burroughs und Hubert Selby bedienten, dann kamen ehrgeizige Designer wie Brett Easton Ellis und Chuck Palahniuk und machten daraus goutierbaren Horror für die verklemmte Kulturschickeria. Der völlig überschätzte WC-Krakeeler Dennis Cooper hat diese Nische erkannt und macht im Kleinverlag Akashic Books gleich eine ganze Reihe unter dem dämlichen Titel „Little House on the Bowery“. Das ist so erschreckend wie Michael Landon mit der Maske von Leatherface. Und so subversiv wie ein Konzert der Rolling Stones, wenn es der katholische Herrenzwerg Martin Scorsese abfilmt.
Das hätte ich beinahe vergessen: Scorseses TAXI DRIVER war sicherlich auch einer der Auslöser für diese angenehm verstörende Weird-City-Kultur. Dieses literarische Konzept verdankt George Bataille mindestens soviel wie dem Noir-Genre. Gilles de Rais im urbanen Dschungel. Einen ähnlichen Entwurf bemühte die Splatter-Punk-Bewegung vor über zwanzig Jahren mit Autoren wie Clive Barker oder David J. Schow. All diesen Autoren ist zu eigen, dass sie den amerikanischen Traum als bösartiges Krebsgeschwür definieren und der Gesellschaftsvertrag weitgehend – wenn nicht ganz – aufgekündigt ist. Der klassische Noir-Held ist gefangen in einer Welt, die er nicht gemacht hat und so nie gewollt hat. Die Helden dieser Designer-Noir-Romane akzeptieren die Normen einer degenerierten Lemminggesellschaft, die Humanismus und Aufklärung aufgegeben hat und nur noch egoistische Vorteilsnahme als Wert ausgibt. Sie leben nur noch im Konkurrenzkampf, der die Seele längst zerfressen hat.
Matthew Stokoes bereits 2002 erstveröffentlichter Roman HIGH LIFE ist ein neuer Höhepunkt dieser literarischen Ausrichtung. Der Roman verdankt de Sade mindestens soviel wie Goodis oder Thompson. Und wie die bereits genannten Ellis, Cooper und Palahniuk, kann er schreiben. Er packt den Leser und saugt ihn hinein in seine literarische Müllkippe, die auch Jean Genet einigen Dung verdankt. HIGH LIFE ist Stokoes zweiter Roman und der erste, der ins Deutsche übersetzt wurde. Erschienen bei Arche und gut übersetzt von Joachim Körber, der auch als Herausgeber von Splatter-Punk-Anthologien aktiv war.
Der Autor wurde 1965 in England geboren und studierte an University of East London. Er lebte in Australien, Kalifornien und Neuseeland und hat neben einem Comic bisher drei Romane veröffentlicht. Sein Romandebut COWS, über randalierende und sprechende Kühe, ist eine Art Underground-Kultbuch und sein erster Versuch Krafft-Ebings Psychopathia Sexualis auf den neuesten Stand zu bringen. Er nennt als Einflüsse auf sein Schreiben Chandler, Hubert Selby Jr und Nelson Algren. Stokoe begann als Autor von Kurzfilmen (ROCK, DOG).
HIGH LIFE hätte Stokoes Durchbruch werden sollen. In seinem Nachwort beklagt Herausgeber Dennis Cooper deshalb :“…dass HIGH LIFE nicht in einem Atemzug mit klassischen, anstößigen Gesellschaftssatiren wie AMERICAN PSYCHO oder FIGHT CLUB genannt wird, ist und bleibt ein Rätsel und eine Ungerechtigkeit.“ Ob sich die genannten Romane als Klassiker behaupten werden, muss sich erst noch heraus stellen. Als Satire empfand ich sie ebenso wenig, wie HIGH LIFE. Mit Sicherheit ist Stokoes Buch aber ebenfalls ein verstörender, schmutziger Großstadtroman:
Ich-Erzähler Jack ist nach LA gezogen, weil er in die Verdrängungsindustrie will. „Was ich wollte, sah ich im Fernsehen, und ich wusste, ich konnte es nicht haben. Alles andere war mir gleichgültig.“
Jack definiert den Sinn des Lebens durch die Berichterstattung über Stars und Buchhalter der Medienindustrie. Eine Art intellektueller Gegenentwurf zu all den armen Trotteln, die sich im Fernsehen durch die Castingshows-Fleischwölfe drehen lassen. „Ich war besser als sie, ich wusste mehr als sie, und ich sah gut aus. Aber sie waren diejenigen mit einem Leben.“ Er ist ein Produkt unserer Medien besessenen Zeit, in der lediglich medial verbreitete Menschen einen Wert haben. Bekanntheit und Ruhm als Preis für Seelenlosigkeit.
Ein mieser Job und die in Drogen verliebte Nutte Karen garantieren ihm das Überleben in dieser Stadt, die selten ekeliger beschrieben wurde. Ein Leben, das im Konjunktiv zu zerschmettern droht.
Irgendwann verlässt Karen den selbstverliebten Möchtegernstar und wird einige Zeit später als Leiche aufgefunden. Jack erregt den Verdacht eines Bullen, der zu Karens Freiern gehörte, und nun seine perversen Spiele mit ihm treibt. Ryan, der Cop, gehört sicherlich zu den ekelhaftesten Cops der Literatur. Höchstens vergleichbar mit dem Protagonisten aus Irvine Welshs Cop-Roman DRECKSAU.
Aber auch für Jack erfüllt sich der große amerikanische Traum: Vom Donut-Teigkneter zum Stricher.
„Ich sah mit an, wie die Freier für eine halbe Stunde ihr behütetes Leben verließen und in diese Welt der Fleischbeschau eintauchten.“ .Jacks dunkle Drogeneuphorie erleuchtet seine erbärmliche Existenz bei seiner Suche, nach einem Platz in dieser Stadt. Er treibt sich herum, hängt seinen Plänen nach und durchquert alle Perversionen, die LA zu bieten hat; eine Synthese aus dem Marquis de Sade und David Goodis.
Der eigentliche Star des Romans ist die große West Coast-Müllkippe, die mal Los Angeles war. Ein Ort, für den ein Atombombenabwurf zivilisatorischer Fortschritt bedeuten würde. Hier kann man sich schon mal angucken, wie die westliche Welt aussieht, wenn die Banken mit ihr durch sind. „Geld ist Bestandteil der Architektur der Stadt.“ Im Vergleich zu Stokoes LA ist das von Charles Bukowski ein idyllisches Örtchen aus der guten, alten Zeit.
Schließlich geht Stokoe auf, dass er ja die Konventionen eines Kriminalromans bedienen will. Also begibt sich Jack, der zwischen Straßenstrich und Escort seinen Platz im Leben gefunden hat (ohne seine Starträume aufzugeben), auf die Suche nach Karens Mörder. Die Spur geht in Richtung Organhandel. Nicht als Privatdetektiv, sondern als sexueller Einzelhändler, klopft er an den Türen zur Erkenntnis.
Je tiefer er in den Sumpf eintaucht, umso erfolgreicher kann er seine Träume verwirklichen. Die alte Weisheit, dass man sich richtig schmutzig machen muss, um im System aufzusteigen. Und als er die femme fatale Bella kennen lernt, nimmt seine Erfolgskurve richtig fahrt auf. Mit dem Ferrari durch die Jauchegrube. „Zack. Aus dem Nichts mitten rein ins Zuviel.“
Atemberaubend spannend ist der überkandidelte Roman nicht. Aber im Gegensatz zu den meisten aktuellen Noir-Romanen ist er ein literarischer Genuss. Es ist die Erzählerstimme, und Stokoes häufig brillant formulierter Blick auf die Endzeitgesellschaft, die Freude am Lesen macht. Man erkennt leicht, wenn der Autor vom wirklich Beobachteten abweicht um noch ein paar Schaufeln Perversionen aufzulegen. Da fehlt auch die obligatorische Snuff-Szene nicht, die zwar schockiert, aber auch künstlich und kalkuliert rüberkommt. Stokoe türmt – manchmal unglaubwürdig – Abartigkeiten auf Teufel komm raus übereinander um ordentlich Provokationsmaterial für die Kulturspießer zu liefern. Trotz all der detailliert geschilderten Schreckensszenarien, geht Stokoes Grauen nie so tief unter die Haut wie zum Beispiel in Jack Ketchums EVIL. Wie schon bei de Sade, löst die schiere Aneinanderreihung von Perversionen keine Lust aus, sondern Verblüffung, Verwirrung, Bestürzung und Unruhe.
Bei aller Kritik könnte dieser Roman Bestand haben als genaue Momentaufnahme einer Gesellschaft, die dabei ist, in einer gleichgeschalteten virtuellen Realität zu versinken und ihre Werte nicht mehr aus der physischen und spirituellen Tradition destilliert. Alles ist gleich in seiner Bedeutungslosigkeit. Ein Zombie-Roman mit sprechenden Untoten. Damit setzt sich Stokoe zwischen alle Stühle: Intellektuelle Bluffer werfen ihm Flachheit vor, ohne diese als adäquates Stilelement zu erkennen (das auch noch von großer Eleganz ist). Für die Krimi-Connaisseurs, die immer alles besser wissen, aber kein Gefühl für Sprache haben, ist er verwerflich, da er nicht Ellroy ist. Bleiben ihm nur die dumpfen Erregungsleser, die sich an seiner Ekel-Pornographie delektieren mögen. Bei allen Schwächen – das Buch bleibt kleben, besudelt einen und kann Narben im Gehirn hinterlassen.
P.S.: Genauso lesenswert ist Stokoes Country-Noir:
http://www.amazon.de/Empty-Mile-Matthew-Stokoe/dp/3716026816/ref=tmm_hrd_title_0
P.P.S.: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Monsanto vernichtet werden muss.