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Ein junger Hacker manipuliert die Waffensysteme der Supermächte, er bringt die Welt aus dem Gleichgewicht – er darf nicht in falsche Hände geraten
Die meisten Waffen tun, was man ihnen befiehlt. Die meisten Waffen hat man unter Kontrolle. Aber was ist, wenn die gefährlichste Waffe der Welt keine intelligente Rakete oder ein Tarnkappen-U-Boot oder gar ein Computerprogramm ist? Was ist, wenn es ein Siebzehnjähriger ist, der die Sicherheitssysteme von Staaten knackt, der Verteidigungssysteme manipulieren kann, so dass sie sich gegen die Supermächte selbst richten? Und was würde man unternehmen, um seiner habhaft zu werden? Eines ist klar: Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn er darf nicht in die falschen Hände gelangen.
Als Forsyth-Fan der ersten Stunde habe ich den Niedergang seines Werkes seit DER AFGHANE immer tief bedauert. Als würde ein Freund an Alzheimer erkranken. Um so mehr erfreut es, dass der 80jährige Klassiker zu Lebzeiten noch einmal aufdreht und auf der Höhe der Zeit die aktuelle Welt der „Sicherheitskräfte“ transparent macht.
Sicher, immer noch konservativ und so reaktionär wie in den letzten Romanen. Der amerikanische Präsident (ein verschlüsselter Trump) ist eitel und naiv (bis zur Blödheit) und der verschlüsselte Putin ein Killer. Die Regimes in Russland, Nordkorea und Iran sind böse, die Amerikaner dämlich. Gott schütze Britannien! Denn die Welt ist trotz allem wieder schwarz und weiß. Forsyth neigte immer dazu, die Welt in gut und böse einzuteilen.
Im „Wettstreit der Ideologien“ bezog er knallhart Position zu Gunsten konservativer Werte. Insofern reiht er sich in die Tradition der konservativ bis reaktionären britischen Thriller-Autoren ein – angefangen bei LeQueux, Oppenheim und Buchan.
Eine große Stärke von Forsyths 14. Roman (sein Werk besteht aus einer Autobiographie +einer Novelle, zwei Novellensammlungen und einem Kurzgeschichtenband) sind mal wieder die genauen Fakten, die in die Story eingearbeitet sind und für Spannung sorgen. Keine Frage: Freddie weiß auch heute, wie die Dienste arbeiten und ihre geostrategischen Interessen verfolgen.
„In den acht Präsidentschaftsjahren George W.Bushs und den ersten vier Jahren Barack Obamas verwandten die USA eine Billion Dollar für den Aufbau der größten, schwerfälligsten, der redundantesten und möglicherweise ineffizientesten staatlichen Sicherheitsstruktur, die die Welt je gesehen hat… Die staatlichen Ausgaben für das eine pandemische Wort „Sicherheit“ explodierten wie eine Atombombe über dem Bikini-Atoll, klaglos bezahlt durch den stets vertrauensvollen, immer hoffnungsvollen und allezeit leichtgläubigen amerikanischen Steuerzahler.“
Was Spannungsaufbau angeht, war Forsyth immer einer der besten Thriller-Autoren aller Zeiten. Nach einigen Ausfällen erreicht er mit DER FUCHS wieder sein altes Niveau. Die Eröffnungsszene, in der Special Forces in ein englisches Haus eindringen, um terroristische Hacker festzusetzen, ist für ihn eine atemberaubende Möglichkeit, die gesamte (missratene) Sicherheitsarchitektur der USA unbarmherzig zu zerlegen.
Sein faktisch orientierter journalistischer Stil mit wenigen Dialogen wurde von vielen Autoren kopiert, ohne ihn zu erreichen. Das klingt kunstlos, ist es aber nicht. Viele Kritiker neigen dazu, Forsyths literarische Qualitäten zu unterschätzen. Wie breit sein Spektrum ist, kann man sehr schön mit der Kurzgeschichtensammlung IN IRLAND GIBT ES KEINE SCHLANGEN erfahren. Oder in dem AFGHANEN, besonders in der Sequenz, in der Kampfflugzeuge einen ganzen Berg zerstören. Da zeigt sich seine literarische Sensibilität.
“Everything I’ve ever written about has depended upon two half-answered questions: ‘What would happen if…?’ and ‘Would it be possible to…?’ I wondered what it would be like to take this young man with a strange talent, put him on the payroll, and have him peek into our enemies’ secret archives.”
Der autistische Knabe Luke, der nur seine Mutter an sich heranlässt und ein Hackergenie ist, wird seit Jahren als Klischee durch die Populärkultur geschoben. Forsyth bedient dieses Klischee.
Oder?
“I’d read that somewhere in Britain, a young man [activist Lauri Love] had been charged by the American government with breaking into one of their most secret databases. But he also had a fragile mind – he had Asperger Syndrome, which makes it hard to get along with other people, but was at home in cyberspace. I didn’t know such a brain existed.”
Luke ist eine Art “McGuffin” im hitchcockschen Sinne, denn seine Fähigkeiten als Hacker werden nie erklärt. Hier lässt Freddie mal die Fakten weg. Aber das stört nicht, denn keiner möchte wohl eine langatmige Einführung in die Welt des Programmierens lesen. Die Action geht um den Schutz des Hackers, denn die Mächte des Bösen haben ihre Killerkommandos auf ihn angesetzt.
Trotzdem ist es einer der wenigen überzeugenden Thriller über Cyberwar. Und Forsyth veranschaulicht die nebulösen Vorstellungen, die herumgeistern.
Mit etwas über 300 Seiten ist DER FUCHS ein dünner Roman in seinem Oeuvre. Das kommt dem Tempo bei diesem etwas sperrigen Thema zu Gute. Routiniert, wie es kaum ein anderer Thriller-Autor kann, mischt er die Actionszenen mit interessanten Details und den nicht weiter ausgeführten Darstellungen des Cyberkrieges und dessen Auswirkungen auf die „reale Welt“.
Natürlich verarbeitet Forsyth die geopolitischen Minenfelder der letzten Jahre. DER FUCHS ist ein hochaktueller Thriller, der großes Vergnügen bereitet und den Leser durch die Seiten peitscht, wenn er sich auf ihn einlässt.
Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies Forsyths letzter Roman sein wird. Damit verabschiedet sich ein Autor, der wie wenige die Entwicklung des Thrillers mitgeprägt hat. Er gehört zu den Klassikern des Genres, die auch von künftigen Generationen gelesen werden. Und er ist nie langweilig.
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Frederick Forsyth führte ein Leben, das Stoff für viele Romane hergeben würde: Jüngster RAF-Pilot, als Journalist in Krisenregionen und gelegentlicher Freelancer für den MI6. In seiner Autobiographie erzählt er einiges, verschweigt aber auch reichlich. Zum Beispiel sagt er nicht, mit welchen Argumenten er General und Staatsoberhaupt Ojukwu dazu gebracht hat, den Söldner Rolf Steiner aus Biafra rauszuschmeißen.
Überhaupt Biafra!
Wahrscheinlich war dieser Krieg eine der prägendsten Erfahrungen für Forsyth. Da er die Lügen des britischen Establishment (und des damaligen Sprachrohrs BBC) nicht länger ertragen konnte, verlor er seinen guten Job bei der alten Tante. Stattdessen arbeitete er als Freiberufler hinter und an der Front um jeden die Wahrheit zu sagen, der sie hören wollte. Das war dann ausgerechnet der Auslandsgeheimdienst, der Forsyth fälschlich überzeugte, dass er die Regierung Großbritanniens mit den richtigen Informationen von ihrem falschen, menschenverachtenden Kurs abbringen könne. Vor Biafra war Forsyth Korrespondent für Reuters in Paris und Ost-Berlin gewesen. Aus dieser Zeit berichtet er unterhaltsame und zum Teil schreiend komische Anekdoten. Etwa die über einen Ex-Nazi, der nun für die Betreuung westlicher Journalisten zuständig war und seine Arschlochkarriere nahtlos fortsetzte. Freddie schickte ihm zu seinem Geburtstag und zu Weihnachten aus Westberlin regelmäßig anonyme Grußkarten mit seiner NSDAP-Mitgliedsnummer und den „besten Wünschen der alten Kameraden“.
Er beschreibt einigermaßen ausführlich den Beginn seiner Karriere als Bestseller-Autor. Besonders der Verkauf seines Erstlings DAY OF THE JACKAL ist eine hinreißende Darstellung einer untergegangenen Verlagswelt. Der Roman schlug ein wie eine Bombe und erweiterte das Genre. Seitdem führt Forsyth Millionen von Lesern erhellend durch die dunklen Seitenstraßen der Zeitgeschichte. Immer wieder ragen seine Romane aus der Thriller-Masse heraus, da er sie mit Informationen bestückt, die den meisten Journalisten nicht zugänglich sind. Wäre er nicht Schriftsteller geworden, dann wäre er mit Sicherheit einer der größten Journalisten seiner Zeit. Leider sagt er in OUTSIDER wenig bis gar nichts über den Prozess des Schreibens, was ich zutiefst bedaure. Denn Forsyth war und ist zumeist ein ungewöhnlicher Autor, der stilistisch von der Literaturkritik schmählich unterschätzt wird. Das hat natürlich auch mit Forsyths ewigem und nervenden Understatement zu tun. Dabei war spätestens mit seiner Novelle DER LOTSE und seinem ersten Kurzgeschichtenband IN IRLAND GIBT ES KEINE SCHLANGEN erkennbar, dass er mehr ist als ein begnadeter Plotter, der in einem kühlen behavioristischen Stil den Leser mit seinen Pageturnern nicht mehr aus den Krallen lässt, sobald er die erste Seite eingesogen hat. Seinen literarischen Höhepunkt erreichte er m.E. mit DER AFGHANE, der vor Szenen und Beschreibungen strotzt, wie man sie so zuvor nie gelesen hat (etwa wie die Amerikaner mit Bomben einen ganzen Berg abtragen, Menschen vernichten und mit einer langfristigen Strategie ihre Terroristen erzeugen). Im Vergleich erscheinen mir seine letzten Romane politisch naiv und nicht mehr so überzeugend. Aber was heißt das? Lieber ein schlechter oder mittelmäßiger Forsyth als gar keiner oder ein Roman seiner weniger begnadeten Epigonen. Verdammt! Selbst ein Forsyth, der mich ärgert und dessen politische Naivität mich aufregt, ist immer noch ein Forsyth!
Forsyth ist schon lange ein moderner Klassiker des Thrillers. Das wurde er schon mit seinen ersten drei Romanen, die neuen Realismus ins Genre pumpten. Mit seiner journalistischen Detailverliebtheit (niemand kann mechanische Vorgänge spannender darstellen) ging er weit über Ian Fleming hinaus. Der Mann, der nur auf seiner Reiseschreibmaschine schreibt, vermittelt die modernsten Technologien so eindringlich, dass sie der Leser selbst betreiben könnte. Niemand hat zuvor kriminalistische oder politische Vorgänge so transparent in eine Thrillerhandlung eingebettet wie er. Eine nette Begleiterscheinung der AKTE ODESSA ist eine Anekdote, die er in seiner Autobiographie ebenfalls zum besten gibt: Durch eine Vorführung der Verfilmung wurde ein lange flüchtiger Nazi-Verbrecher (Roschmann) enttarnt, der dann in einer wirklich aberwitzigen Flucht sein dreckiges Leben aushauchte.
Wie gesagt: Forsyth vermittelt in seiner Biographie eine wahrhaftige Darstellung seiner Jugend und Sozialisation, erzählt spannende, ironische und anrührende Anekdoten – und verschweigt doch viel. Kein Wort etwa über seine Beziehung zu Tim Spicer und seine Beteiligung an AEGIS. So gut wie nichts über sein Familienleben und – für mich am bedauerlichsten – nichts über das Schreiben. Kaum etwas über die Verfilmungen (und seiner Partnerschaft mit Michael Caine). Es ist nicht wirklich das, was man von einer Autobiographie erwartet. Aber das war auch nicht Forsyths Absicht, wie er dem GUARDIAN sagte: “I’d fended off various suggestions for 10 years and I finally decided I didn’t want to do an autobiography because that would involve scholarship and research. So my wife suggested I make it a series of anecdotes—60 of them.”
Aber ich finde in seinen „autobiographischen Vignetten“ etwas wieder, was ich in seinen letzten Romanen vermisst habe: Den rebellischen Geist, der sich dem Establishment oft verweigert hat und dessen Lügen nicht mitträgt. Irgendwie versteht er sich immer noch als Journalist mit dem Credo: „Unsere Aufgabe besteht darin, die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen, nicht, uns mit ihnen zu solidarisieren.“
Der coole Freddie zeigt hier auch Empathie, die nur selten durch sein Image als abgewichster Bestsellerautor durchscheinen durfte. Dies herausragend in den Biafra-Beschreibungen (sein einziges Sachbuch ist BIAFRA STORY):
“Ich tippe auf meiner Schreibmaschine, das Fenster weit geöffnet. Das war im Spätsommer 1969, und die Luft war mild. Dann hörte ich etwas, trat ans Fenster.
Sie stand draußen auf dem Gras, ein schmächtiges Mädchen von sieben oder acht Jahren, spindeldürr, einem fadenscheinigen, verdreckten Baumwollhemdchen. An der linken Hand hielt sie ihren kleinen Bruder, vollkommen nackt, teilnahmslose Augen, aufgeblähten Bauch. Die starrte zu mir herauf und ich auf sie hinunter.
Sie hob die rechte Hand an den Mund machte das universelle Zeichen, das bedeutete: ich habe Hunger, bitte gib mir was zu essen. Dann hob sie die Hand zum Fenster, ihre Lippen bewegten sich geräuschlos. Ich schaute auf die winzige rosa Handfläche, aber ich hatte nichts zu essen. Meine Mahlzeiten kamen zweimal täglich von der Kochstelle hinter der Ansammlung von Hütten, in denen die wenigen durchreisenden Weissen untergebracht wurden. An diesem Abend würde ich speisen, gutes, nahrhaftes Essen, importiert aus der Schweiz. Doch erst in 3 Stunden. Die Küche war geschlossen und verriegelt, und keines der beiden Kinder hätte feste Nahrung zu sich nehmen können. Bis zum Abendessen würde ich mit Zigaretten durchhalten. Aber Zigaretten kann man nicht essen. Törichterweise versuchte ich zu erklären. Ich konnte kein Ibo, sie kein Englisch , doch das spielte keine Rolle. Sie verstand. Langsam sank ihre ausgestreckte Hand herab. Sie beschimpfte mich nicht, sie brüllte nicht. Sie nickte nur in stillem Verständnis. Der weiße Mann am Fenster würde nichts für sie und ihren Bruder tun.
In meinem langen Leben habe ich nie solche Resignation gesehen, solche überragende Würde wie in dieser abgemagerten Gestalt, als sie sich abwandte, die letzte Hoffnung dahin. Zusammen gingen die beiden kleinen Gestalten über das Gras auf die Bäume zu. Im Wald würden sie einen schattenspendenden Baum finden, sich an dessen Fuß setzen und auf den Tod warten. Und sie würde ihren kleinen Bruder halten, wie eine gute Schwester, die ganze Zeit.
Ich sah ihnen nach, bis sie unter den Bäumen verschwanden, setzte mich an den Tisch, legte den Kopf in die Hände und weinte, bis der Bericht durchnässt war.
Das war das letzte Mal, dass ich über die Kinder von Biafra weinte…
(Das Handeln Großbritanniens im Biafra-Krieg) ist der Grund, weshalb ich glaube, dass diese Clique eitler ranghoher Bürokraten und feiger Politiker die Ehre meines Landes für immer beschmutzt hat. Etwas, das ich ihnen nie verzeihen werde.”
Was bleibt also von der Lektüre übrig? Nicht weniger als eines der aufregendsten Leseerlebnisse des Jahres.
Allerdings ganz schlimm getrübt durch Freddies Aussage, dass er künftig nichts mehr schreiben werde. Hoffentlich wird Forsyth, wie viele Autoren zuvor, seine Ankündigung als Lüge strafen. Falls nicht, bleiben 13 Romane und mehrere Kurzgeschichten, die für immer zum Kanon gehören.
P.S.:FORSYTH BEI MARKUS LANZ
Am 22,9. war Freddie beim Tiroler Cappuccino-Kellner vom Lerchenberg. Lanz war natürlich wieder peinlich und unbelesen (immerhin hat sein Recherche-Team in meiner Rezension die Biafra-Vignette ausfindig gemacht) und hing wie Quasimodo über seine Kärtchen („Wie ich nachgelesen habe“, „Ich sage hier nichts, was wir nicht vorher gelesen haben.“).. Ein würdiger Nachfolger von Kerner, devot und ölig. Forsyth ist ab 42:50 zu sehen.
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„Je mehr ich in die trüben Wasser der NS-Ideologie vor 1945 und deren Bewunderer nach 1945 eintauchte, desto mehr gelangte ich zu der Ansicht, dass es in der gesamten Menschheitsgeschichte nie eine so widerwärtige Gesinnung gegeben hatte. Sie hatte kein einziges versöhnliches Element und sprach nur die hässlichsten Seiten der menschlichen Seele an.“
Frederick Forsyth in
Demnächst mehr zur Autobiographie des Jahres! Aber wartet das gar nicht erst ab: Sofort kaufen, Elektronik aushängen und einen Tag Lesevergnügen pur genießen. Aber leider ist es nicht nur Vergnügen.
TRAURIGE UND ZORNIGE WORTE:
„Ich tippe auf meiner Schreibmaschine, das Fenster weit geöffnet. Das war im Spätsommer 1969, und die Luft war mild. Dann hörte ich etwas trat ans Fenster.
Sie stand draußen auf dem Gras, ein schmächtiges Mädchen von sieben oder acht Jahren, spindeldürr, einem fadenscheinigen, verdreckten Baumwollhemdchen. An der linken Hand hielt sie ihren kleinen Bruder, vollkommen nackt, teilnahmslose Augen, aufgeblähten Bauch. Die starrte zu mir herauf und ich auf sie hinunter.
Sie hob die rechte Hand an den Mund machte das universelle Zeichen, das bedeutete: ich habe Hunger, bitte gib mir was zu essen. Dann hob sie die Hand zum Fenster, ihre Lippen bewegten sich geräuschlos. Ich schaute auf die winzige rosa Handfläche, aber ich hatte nichts zu essen. Meine Mahlzeiten kamen zweimal täglich von der Kochstelle hinter der Ansammlung von Hütten, in denen die wenigen durchreisenden Weissen untergebracht wurden. An diesem Abend würde ich speisen, gutes, nahrhaftes Essen, importiert aus der Schweiz. Doch erst in 3 Stunden. Die Küche war geschlossen und verriegelt, und keines der beiden Kinder hätte feste Nahrung zu sich nehmen können. Bis zum Abendessen würde ich mit Zigaretten durchhalten. Aber Zigaretten kann man nicht essen. Törichterweise versuchte ich zu erklären. Ich konnte kein Ibo, sie kein Englisch , doch das spielte keine Rolle. Sie verstand. Langsam sank ihre ausgestreckte Hand herab. Sie beschimpfte mich nicht, sie brüllte nicht. Sie nickte nur in stillem Verständnis. Der weiße Mann am Fenster würde nichts für sie und ihren Bruder tun.
In meinem langen Leben habe ich nie solche Resignation gesehen, solche überragende Würde wie in dieser abgemagerten Gestalt, als sie sich abwandte, die letzte Hoffnung dahin. Zusammen gingen die beiden kleinen Gestalten über das Gras auf die Bäume zu. Im Wald würden sie einen schattenspendenden Baum finden, sich an dessen Fuß setzen und auf den Tod warten. Und sie würde ihren kleinen Bruder halten, wie eine gute Schwester, die ganze Zeit.
Ich sah ihnen nach, bis sie unter den Bäumen verschwanden, setzte mich an den Tisch, legte den Kopf in die Hände und weinte, bis der Bericht durchnässt war.
Das war das letzte Mal, dass ich über die Kinder von Biafra weinte…
(Das Handeln Großbritanniens im Biafra-Krieg) ist der Grund, weshalb ich glaube, dass diese Clique eitler ranghoher Bürokraten und feiger Politiker die Ehre meines Landes für immer beschmutzt hat. Etwas, das ich ihnen nie verzeihen werde.“
Filed under: Frederick Forsyth, Politik & Geschichte, Spythriller, thriller, Waffenhandel | Schlagwörter: CIA, Frederick Forsyth, Jeremy Scahill, Mark Mazzetti, Thriller
Es ist immer schmerzhaft, wenn ein Jugendidol verblödet und man den Niedergang miterlebt. Beispiele dafür gibt es für jeden Geschmack. Mit Bestürzung beobachte ich seit Jahrzehnten, wie Mick Jagger immer noch gerade die Kurve kratzt, um nicht komplett als alternder Rock´n Roll-Dandy zu verpeinlichen.
Richtig schlimm war für mich dieses Jahr der endgültige Absturz von Frederick Forsyth. Freddie war politisch ja immer ein anständiger britischer Konservativer. In der Jugend ein rebellischer Journalist (anti-britisch im Biafra-Krieg), wandelte er sich im Laufe der Jahre immer mehr zum Krämer-Sohn, der Anerkennung durch die herrschenden Schichten suchte. Gelegentlich bemerkte er noch, dass die mächtiger werdenden Neo-Cons alles verraten, was sowohl Konservativen wie auch Sozialisten wichtig ist. Leider verwirrte sich sein politisch ohnehin nie sonderlich entwickelter Verstand in den letzten Jahren immer mehr. Dies schlägt sich in seinen devoten Thrillern COBRA und TODESLISTE betrübendst nieder. Natürlich hat es der alte Faktensammler und Indizienfetischist noch immer drauf, einen spannenden Thriller zu entwickeln. Noch immer gräbt er Faktisches aus, das einem schwer zugängliche Informationen vermittelt. Noch immer kann er wunderbar seinen journalistischen Stil präsentieren (allerdings meilenweit entfernt von seinen literarischen Meisterwerken DER AFGHANE oder IN IRLAND GIBT ES KEINE SCHLANGEN). In der TODESLISTE ist er nun endgültig auf die Lügen der Verbrecher in New York, dem Pentagon, Maryland und Downing Street hereingefallen und zum Troubadour des ewigen Kampfes gegen den Terrorismus verschleimt. Vielleicht ein letzter Versuch, noch den Ritterschlag zu erkriechen. Wenn man seinen letzten Roman gelesen hat, sollte man als Korrektiv unbedingt zwei Bücher zur Hand nehmen, die Freddie bei seiner Recherche wohl nicht berücksichtigen konnte: Mark Mazzettis KILLING BUSINESS (Berlin Verlag) und Jeremy Scahills SCHMUTZIGE KRIEGE (Verlag Antje Kunstmann). Beide zeigen detailliert (Scahills Buch ist mit 718 Seiten das umfangreichere, das detailversessenere; leider aber auch ohne Register) die Entwicklung der CIA (und der Killerbrigade JSOC) von einem miesen Verein, der vor Mord nicht zurück schreckte, zu einer regelrechten Killer- und Folterorganisation mit fast unbegrenzten Mitteln im persönlichen Auftrag des wirtschaftlich-militärischen Blocks. Ganz nebenbei erfährt man, wie das Tanzäffchen Obama brav und folgsam in über 70 Ländern verdeckte Kriege eingerichtet hat. Dank der Drohnen, die lange nicht so präzise sind (oder ist das gewollt?), wie Freddie uns einreden will, kommt es dabei unter Zivilisten zu unfassbaren „Kollateralschäden“. Und diese produzieren natürlich anti-amerikanischen Nachwuchs. Dieser dient dann wiederum den destruktiven US-Interessen, da sich die Verantwortlichen auf weiterhin zunehmendes Bedrohungspotential berufen könnenn um den Krieg weiter auszudehnen. Im Windschatten profitiert auch die deutsche Rüstungsindustrie, die dank der Heloten Schröder und Merkel inzwischen zum mindestens drittgrößten Waffenlieferanten aufgestiegen ist.
All diese Hintergründe bleiben vom großen alten Mann des Thrillers völlig unbedacht. Ihn faszinieren nur die Zwischenhändler und Endverbraucher des Todes. Einseitige Gehirnverkalkung.
Ach, Freddie! Ich habe Jahrzehnte lang (seit Deinem Erstling) jedem neuen Buch von Dir entgegen gefiebert. Manche waren besser, manche nicht ganz so toll (aber immer ein Lesevergnügen). Aber DIE TODESLISTE ist, trotz des Kotaus mancher widerwärtiger liberaler Medienkellner, eine dirty-old-man-novel.
Bye, bye, Freddie. Du warst einer der Besten. Dein Platz im Pantheon des Thrillers bleibt unangefochten.