Martin Compart


KAPITALISMUS = KORRUPTION=ZERSTÖRUNG DER UMWELT by Martin Compart


Eine der besten Dokus seit langem.



zu JOHN MAIRS KLASSIKER „ES GIBT KEINE WIEDERKEHR“ by Martin Compart

Neu im BUCHMARKT https://buchmarkt.de/menschen/martin-compart-sg-noch-nicht-baerbeitet/
In CRIMEALLEY: https://crimealleyblog.wordpress.com/2021/08/01/totgesagte-leben-laenger/
In MORDLUST: https://www.mordlust.de/john-mair-es-gibt-keine-wiederkehr/
In TAGESANZEIGER und BERNER ZEITUNG: https://www.tagesanzeiger.ch/ein-thriller-der-george-orwell-begeisterte-771035667231; https://www.bernerzeitung.ch/ein-thriller-der-george-orwell-begeisterte-771035667231
In BONNER KRIMIARCHIV (Sekundärliteratur): https://www.bokas.de/krimitipsiebzig-eins.html#Lupe
In KULTURNEWS: https://kulturnews.de/john-mair-es-gibt-keine-wiederkehr/

John Mairs deutsche Erstveröffentlichung ES GIBT KEINE WIEDERKEHR entwickelt sich zu einem überraschenden Erfolg, mit dem weder der Verlag noch meine Wenigkeit so gerechnet haben.

Das große Interesse hat das vorgesehene Rezensionsexemplare-Kontingent schon so gut wie aufgebraucht. Es gab einige schöne und kritische Rezensionen (mit Ausnahme der erwartbaren unfreiwillig plumpen Dummschwätzerei meines bekannten Ex-Bastei-Büttels, der seine akademischen Plattitüden gerne wie eine Monstranz vor sich herträgt; oft so peinlich wie – um Orwell zu zitieren – „ein humoristischer Vortrag auf einem Kirchenabend“.). Unerwartet wurde der Roman von der Jury, gegen entsprechenden Widerstand, auch in die „Krimi-Bestenliste“ gewählt.

Mit dieser Resonanz hatten wir nicht gerechnet! Ein anspruchsvoller und verstörender Thriller findet also doch sein kleines oder mittleres Publikum in Zeiten, in denen sich Kriminalliteratur durch Gestalten wie Sebastian Fitzek auf der Bestsellerliste als literarische Lebensmittelvergiftung definiert.

Bei der zweiten Auflage, bzw. Nachdruck, wird es nur kleine Änderungen geben. Aber sicherlich darf nicht unerwähnt bleiben (was mir völlig entgangen war), worauf mich Eva König aufmerksam gemacht hat: Das Mairs Buch ein früher existentialistischer Roman ist. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf, machen auch surrealistisch anmutende Szenen zusätzlich Sinn.

An dieser Stelle – mit Erlaubnis des Verlages – möchte ich zum fortschreitenden Interesse an John Mairs Roman zwei Kapitel aus meinem Nachwort zitieren:

Thriller

Als John Mairs Roman Never Come Back erschien, stand der britische Spionageroman schon in erster Blüte. Ausgehend von den Invasion-Romanen eines William Le Queux, Rudyard Kiplings «Great Game»-Roman Kim und Erskine Childers Riddle of the Sands entwickelte sich im und nach dem Ersten Weltkrieg ein Genre mit breitem Spektrum.

Den prägendsten Einfluss übte der Schotte John Buchan aus, der mit dem Klassiker The 39 Steps (seit 1915 in Britannien ununterbrochen lieferbar) eine Art Blaupause für viele Thriller lieferte (die auch in Never Come Back nachschwingt: Ein Zivilist wird in eine Verschwörung verwickelt, muss vor Sicherheitskräften und Konspirateuren fliehen und während dieser atemberaubenden Jagd die Konspiration aufklären und verhindern).

In den 1920er Jahren entstanden neben diesen politisch konservativen Thrillern auch faschistoide, wenn nicht faschistische Thriller. Zum Synonym für diese brutale Spielart des Politthrillers wurde «Sapper» mit seiner Bulldog Drummond-Serie, die vor Antisemitismus und Rassismus nur so strotzt. In diesen Spionagethrillern tobte die Paranoia des britischen Empires. Es fühlte sich von allen Seiten bedroht, von anderen Mächten und politischen Systemen. In Britannien verschärfte sich der Klassenkampf und in den Kolonien kam es zu Aufständen. Dahinter – so suggerierten nicht nur Sapper & Co. – standen Kommunisten, unterstützt von der Sowjetunion, Anarchisten, eifersüchtige Imperialmächte wie Frankreich oder die USA oder das Finanzjudentum.

Bulldog Drummond und Richard Hannay hatten alle Hände voll zu tun, feindliche Sabotage- und Spionageringe aufzuspüren und unschädlich zu machen. Die Populärkultur feierte nach wie vor Britanniens imperiale Allüren.

Beginnend mit Somerset Maughams Kurzgeschichtenzyklus Ashenden (1928) begann eine Tendenz zu bis dahin nicht gekanntem Realismus im britischen Spionageroman. Autoren wie Eric Ambler oder Graham Greene verfestigten diese literarische Strategie. Danach unterscheidet man zwei Schulen des Spy Thrillers: die romantische und die realistische (mit vielen Überschneidungen im Laufe der Jahrzehnte).

1939, in dem Jahr, als Mair seinen Roman angeblich begann, erschienen drei Meilensteine des Genres, die er wahrscheinlich gelesen hatte: The Mask of Dimitrios von Eric Ambler, The Confidential Agent von Graham Greene und Rogue Male von Geoffrey Household. Mit Eric Ambler verbindet Mair auch die linksliberale politische Orientierung.1

Aber vielleicht hatte Mair auch später Graham Greene beeinflusst: Man weiß nicht, ob Graham Greene Mairs Roman gelesen hat. Aber in Ministry of Fear (1943) weist einiges darauf hin, besonders die atmosphärischen Beschreibungen Englands während des Krieges (und Greene schrieb den Roman bekanntlich während seiner Zeit in Sierra Leone als Mitarbeiter des Geheimdienstes). In beiden Romanen finden die Aktionen in «Echtzeit» statt, genau in diesem Moment, nach dem sogenannten «Phoney War» oder «Sitzkrieg», in dem die Deutschen soeben die Kapitulation Frankreichs erzwungen und begonnen hatten, die Inseln zu bombardieren. Allerdings spürten die britischen Bürger die Auswirkungen des Konflikts noch nicht so intensiv wie ab September 1940 (The Blitz), als die deutsche Luftwaffe auch die Städte angriff. Man schien sich durch die Insellage noch sicher zu fühlen und war eher optimistisch. Was würde als Nächstes passieren? Niemand wusste es so recht und die meisten waren nicht allzu beunruhigt.

Mair kannte das Genre und hatte sich bewusst für die Form des Thrillers als Romandebüt entschieden. Julian Symons berichtet, dass Mair häufig Thriller rezensiert hatte, darunter eine Symons beeindruckende Besprechung von James Hadley Chases Roman No Orchids for Miss Blandish, der ebenfalls 1939 erschienen war. In dieser Rezension, die Symons in Bloody Murder zitiert, führte Mair akribisch alle Straftaten auf, die in Chases Roman begangen werden. 2

Ich vermute, dass auch G. K. Chestertons «philosophischer Thriller» The Man Who Was Thursday einen gewissen Einfluss auf Mairs Roman hatte: Das dort beschriebene Anarchisten-Zentralkomitee ist ebenso surreal wie Mairs Oppositions-Internationale.

Der Antiheld

Mit seinem Antihelden bricht der Roman durch eine literarische Straßensperre nach der anderen. Nie zuvor wurde mit den etablierten Klischees des Spionageromans konsequenter gebrochen. In Never Come Back gibt es weder einen Clubland-Hero noch eine patriotische Mission – und nicht mal eine «damsel in distress».

Symons stellt fest, dass Desmond Thane ganz bewusst als Gegenentwurf zu den angstfreien
Helden von John Buchan oder Sapper konzipiert worden war (und dass Mair einige Merkmale seiner eigenen egozentrischen Persönlichkeit hat einfließen lassen).

Der Protagonist Desmond Thane ist eine überraschend dreidimensionale Figur, wie es sie damals im Thriller kaum gab. Er gehört wahrlich nicht zu den «Clubland Heroes» à la Richard Hannay, Jonah Mansel oder Bulldog Drummond, die mit ihrem Patriotismus den britischen Spy Thriller dominierten. 3

Thane ist – wie Julian Symons bemerkt – der erste Antiheld des Genres.

Er ist ein pathologischer Lügner, beherrscht von eigenem Vorteilsstreben. Er ist eitel, sexbesessen, feige und egozentrisch. Nichts interessiert ihn weniger als kosmische Harmonie, denn er behauptet sich in der scheinbaren Sicherheit von Spekulationen.

Es zeigt John Mairs Fähigkeiten als Schriftsteller, dass er für ihn trotzdem Empathie beim Leser erzeugt. Denn Thane ist auch clever und schlagfertig wie ein amerikanischer Private Eye, der jedes Dilemma, in das er gerät, annimmt und sich herauszuwinden versteht. Ob wir wollen oder nicht: Seine derbe, überschäumende Vitalität und Cleverness nötigen uns Respekt ab.

In gewisser Hinsicht greift er mit seinem sexuellen Appetit auf spätere Thriller-Helden wie James Bond voraus. Mit Bond verbindet ihn auch seine Neigung zum Hedonismus. Dabei unterscheidet er sich aber doch sehr von Bond durch seinen Egoismus, dem patriotische Motive fremd sind. Als echter Antiheld interessiert ihn keinesfalls das Wohl des Vaterlandes. Ihm geht es nur um den eigenen Vorteil: Nachdem er herausgefunden hat, was seine Gegenspieler wollen, denkt er daran, es ihnen teuer zu verkaufen und mit dem Erlös ein Leben in Wohlstand zu führen. Dafür allein hätte Bond ihn erschossen.

Und seine physischen Fähigkeiten scheuen ebenfalls jeden Vergleich mit 007.

Anders als die Amateure in den frühen Ambler-Romanen, die zufällig in eine Konspiration geraten, treibt Thane sich selbst durch sein sexuelles Verlangen in die düstere Welt von Anna Raven. Für ihn sind Verbrechen nicht Ursachen für, sondern Konsequenzen von Entwicklungen.

Thane sieht sich als erfolgreicher Frauenheld, beladen mit einem antiquierten Frauenbild. Das wird ihm zum Verhängnis, als er Raven trifft und Besitzansprüche stellt.

Sie aber ist eine selbstbewusste moderne Frau, ebenfalls ziemlich ungewöhnlich für die Thriller der damaligen Zeit. Sie bestimmt über ihre Sexualität – sehr zu Thanes Missfallen.
Verärgert muss er feststellen, dass sie ihn dominiert und so behandelt, wie Männer Frauen «gewöhnlich» behandeln. Für sie ist der Sex mit ihm ein rein episodisches Vergnügen ohne emotionale Einlassung. Sie unterwirft sich nicht seiner göttlichen Männlichkeit. Thane kann damit nicht umgehen, wird immer verunsicherter (eine Situation, die auch heute noch bei Männern zu Komplikationen oder Gewaltausbrüchen führt).

Ungewöhnlich für das Genre sind auch Thanes Neigungen zum Philosophieren:

«Selig der Mensch, so dachte er, ohne geistige oder körperliche Leidenschaften, der mit gleichem Abscheu an Buchhandlungen, Bordellen und Reise­büros vorbeizugehen vermochte. Eigentlich schade, dass man sich heutzutage nicht mehr dem Teufel verschreiben konnte; der allgemeine Niedergang des Glaubens hatte diesen Markt ruiniert und den Verderbten lediglich die Rolle des verachteten Proletariats zugewiesen; zu verkaufen blieb denen nichts als ihre
ohnehin verlorenen Seelen. Faust hatte Juristerei, Medizin, Logik und Philosophie immerhin noch gegen vierundzwanzig Jahre voller Macht und Herrlichkeit eingetauscht; inzwischen steckten alle Hauptstädte randvoll mit Gelehrten, die diese vier Disziplinen und allerlei weiteres Wissen liebend gern für ein paar Schillinge und gelegentliche Vortragsreisen hingegeben hätten. Laster unterlagen einer Überproduktion, wie anderes auch.»

Mairs Prosa ist stets raffiniert. Und wann haben wir je von einem Bösewicht gelesen, der die Konsequenzen seiner Misse­taten im Lichte philosophischer Lehren analysiert?

Man muss Julian Symons wohl zustimmen, dass Mair in Thane auch ein Selbstporträt anlegte, eine Innenschau des damals achtundzwanzigjährigen Autors. Kein besonders schmeichelhaftes Selbstbild, aber vielleicht treffend angesichts der ihm nachgesagten Egozentrik. Jedenfalls ist Thane ein runder Charakter, wie er in der damaligen Thriller-Literatur selten oder eher gar nicht präsent war. Ein Typ, an dem Patricia Highsmith sicherlich Vergnügen gefunden hätte.

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1 In den sechs Romanen, die Eric Ambler vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben hatte, sympathisiert der Autor mit dem Kommunismus und auch der Sowjetunion.

2 Julian Symons: Bloody Murder. From the Detective Story to the Crime Novel: A History. London: Faber & Faber, 1972. Deutsche Auagaben: Am Anfang war der Mord. Eine Geschichte des Kriminalromans. München: Goldmann, 1982 (Nachdruck der Ausgabe München 1972).

3 Der Begriff «Clubland Heroes» wurde geprägt von Richard Usborne in seinem gleichnamigen Buch (London: Constable, 1953), in dem er die Charaktere in den Werken von Dornford Yates, John Buchan und Sapper untersucht. «I call this book Clubland Heroes because the heroes of the books I am examining were essentially West End clubmen, and their clubland status was a factor in their behaviour as individuals and groups … In Buchan, Sapper and Yates men of action were recruited from the leisured class.»




KLASSIKER DES POLIT-THRILLERS: JOSEPH R.GARBERS VERTIKALE MENSCHENJAGD by Martin Compart

Jeden Morgen vor Arbeitsbeginn genießt Dave Elliot die Stille seiner Chefsuite im 45. Stockwerk eines New Yorker Bürohauses. Doch an einem bestimmten Tag ist alles anders.

An diesem Tag versucht jeder, der Dave begegnet, ihn umzubringen. Sein Chef macht den Anfang, als er ihm mit durchgeladener Pistole und der festen Absicht, ihn zu erschießen, gegenübertritt. Und der 50stöckige Büro-Tower scheint zu wimmeln von Leuten, die nur eines im Sinn haben: Dave Elliots Leben auszulöschen.
Er hat 24 Stunden Zeit, um herauszufinden, warum…

Dave kämpft einen fast aussichtslosen Kampf gegen einen überlegenen Gegner, der alle Vorteile auf seiner Seite hat. In dieser Situation erwachen in ihm plötzlich wieder alle Instinkte und Überlebenstechniken aus seiner Zeit als Green Berets, die er längst vergessen zu haben glaubt. So eskaliert die höllische Verfolgungsjagd durch die Fahrstuhlschächte, Treppenhäuser und über die Fassade des Wolkenkratzers in einen erbarmungslosen Schlagabtausch zwischen den zahlenmäßig und technisch überlegenen Häschern auf der einen und dem Erfindungsreichtum und der Schnelligkeit des Opfers auf der anderen Seite.


Und es sind nicht nur die Verfolger, denen Dave Elliot sich stellen muss: es gibt da eine unbeglichene Rechnung aus der Vergangenheit, die jetzt fällig zu werden scheint

Piper Verlag
366 Seiten in unterschiedlichen Ausgaben

Dieser Roman liest sich schneller, als man DIE HARD gucken kann. Dave Elliot führt den Leser zu Orten, die John McLane nicht mal erahnen würde. Und dank Garbers gemeiner Prämisse (und schriftstellerischem Können), bleibt der Roman auch länger in Erinnerung.

There`s no time for sex in the book. Hell, there`s barely time for lust.
sagte einst der Autor.

DER SCHACHT steht ganz in der Tradition der großen Jagd-und-Flucht-Romane. Spätesten seit dem Alan Breck Stuart und David Balfour durch die Highlands gejagt wurden, gehört die Menschenjagd zu den großen Topoi der Thriller-Literatur. Garber – äußerst belesen – kannte das Genre gut: „I certainly had Hitchcock in mind when I wrote Vertical Run. And surely I was influenced by the late Geoffrey Household whose man-on-the-run thrillers are the best ever written (try his Dance of The Dwarves, which is the scariest novel I have ever read)… I framed it as the ultimate paranoid nightmare: suppose everybody in the world wants you dead.

Im Subtext geht es auch darum, dass Dave Elliot Männer bekämpft, zu denen er einst gehörte und nie wieder gehören wollte. Um sie zu besiegen, muss er wieder wie sie werden, ins Überwundene zurückkehren. Die ganze Handlung wird aus seiner Perspektive erzählt. Plot und Charakter interagieren auf eine erzählerisch höchst raffinierte Weise. Dass es funktioniert, zeigt Garbers ganze Klasse.

In Zeiten der Corona-Pandemie erreicht der Thriller wieder zusätzliche Aktualität:

ACHTUNG SPOILER: As for the surprise at Lockyear, I`ve always been aware of the incredibly ghastly experiments conducted by Shiro Ishii and Unit 731 during World War II. The Japanese army used Chinese civilians and both American and British POWs as lab rats in a horribly large number of unspeakable medical tests. All of this was covered up quite thoroughly by American war crimes investigators, and it struck me as obvious that the reason for the coverup was that our nation wanted to get its hands on the Japanese research results. Now, fifty-five years after the fact, we know that is precisely what happened.
Nach Garbers Überzeugungen und Erfahrungen beherrschen Verschwörungen nicht nur das Geschäftsleben, sondern auch – man glaubt es kaum! – politische Interessen.

In DER SCHACHT (VERTICAL RUN) beschreibt Garber eine vertikale Menschenjagd, in seinem Folgewerk, IM AUGE DES WOLFES, eine vertikale. Während Dave Elliot rauf und runter durch einen Wolkenkratzer gehetzt wird (wie Bruce Willis in DIE HARD nach Roderick Thorpes NOTHING LAST FOREVER), flüchtet Jack Taft horizontal durch eine ihm fremde Stadt (Singapur).

Die deutsche Ausgabe von VERTICAL RUN unterscheidet sich entscheidend von der englischsprachigen:
The principal difference between my original version and what was published in this country is that Dave died at the end of the original version — as did Marge. The publisher (hoping for a sequel, no doubt) and Warner Brothers both wanted them to live. Insofar as Warner Brothers was paying quite good money for the service, I added the scene in which Marge is discovered alive and rescued, and added a single page ending that keeps Dave alive. The Germans liked the original, darker version and, with my permission, published it. In the final analysis, I think keeping both characters alive was a good choice — it delivers extra surprises and lets readers close the book with satisfied grins on their faces.
Der damalige Piper-Boss, Viktor Nieman, hatte es eher mit düsteren Thrillern.

Es kam (bisher noch) nicht zur Verfilmung, noch zu einem Dave Elliot-Sequel.
Der Workaholic Garber starb 2005 im Alter von 61 Jahren an einem Herzinfarkt.

Joseph Rene Garber wurde am 14.August in Philadelphia in eine Soldatenfamilie geboren. Wegen der ständigen Versetzungen wurden Bibliotheken zur eigentlichen Heimat des Jungen. Er besuchte die University of Virginia, brach das Studium aber ab, um wie sein Vater zur Armee zu gehen. „I spent two years at the University of Virginia majoring in beer-drinking, a discipline for which little academic credit was awarded.” Anschließend ging er reumütig an die Hochschule zurück und schloss 1968 sein Studium der Philosophie erfolgreich ab. Er machte in der Wirtschaft eine Managementkarriere, die den Hintergrund seiner Romane bildet. In VERTICAL Run nutzte er sogar seinen alten Arbeitsplatz bei Booz Allen, 200 Park Avenue, als Handlungsort. Ein Schelm, der böses dazu denkt.

Seine Betrachtungen des Managements strotzen vor Zynismen. Nebenher hatte er immer geschrieben; u.a. war er Kolumnist für „Forbes“, wurde aber immer unzufriedener mit seiner Arbeit für große Wirtschaftsunternehmen. 1989 veröffentlichter er seinen ersten Roman, RASCAL MONEY. Eigentlich war er als Sachbuch (unter dem schönen Titel IN SEARCH OF SHABBINESS) angelegt, aber die Rechtsabteilung des Verlages hatte Bedenken und riet ihm Fiktion daraus zu machen. Mit seinem zweiten Buch, VERICAL RUN, 1995, hatte er zu seiner Überraschung einen internationalen Bestseller. Zwischen 1995 und 2020 wurden 40 Ausgaben in 13 Sprachen veröffentlicht; in Deutschland hatte das Buch bis 2002 acht Auflagen.

Garber war hochintelligent, hatte einen schrägen Sinn für Humor und galt als großzügig, was sich auch in der Unterstützung von Non-Profit-Organisationen ausdrückte.

I am a sharply sardonic person who usually looks for (and finds) humor in even the most ghastly circumstances. Keeping that out of serious books is probably my greatest single challenge as a writer.

Er war u.a. mit Tippi Hedren befreundet, mit der er auch die leidenschaftliche Tierliebe teilte.

Auf die Frage nach seinen Lieblingsautoren antwortete er:
I read omnivorously, so that’s an unfair question. Off the top of my head: Twain, Conrad, Hemingway, Iris Murdoch, John Fowles, Brian Moore, Ian McEwen, the authors of the Icelandic Sagas, Iain Banks, Terry Pratchett, Patrick O’Brian, Bernard Cornwall, Shusako Endo, Russell Hoban, Angela Carter, Barry Unsworth, Robert Stone, Thomas Pynchon, Robert Goddard, Geoffrey Household — and ten pages more.

Zum Abschluss noch eine nette Geschichte aus dem Vorfeld der Veröffentlichung des Romans:

There`s a cute story here: when she first got the manuscript, my agent put it in the trunk of her car prior to going upstate for the weekend. Then she drove to her office, parked outside, and dashed upstairs for a few minutes. By the time she got back (welcome to New York), the car had been burglarized, and the manuscript was gone.
The burglar dumped it (along with other stuff he didn`t want) on the street in Queens. A hairdresser found it, and read it over the weekend. On Monday he called my agent and told her that he had it, and would be happy to return it. She offered him a reward for his trouble. He declined. She insisted. To which he replied, “The only reward I want is a signed copy of the book, because it`s the best thriller I`ve ever read.” So my agent knew she had hit… and the hairdresser DEFINITELY got a signed copy.



WARUM BILL CLINTON EIN EBENSO GROSSER VERBRECHER WIE TRUMP IST by Martin Compart

Wie die Finanzmärkte Kriege verursachen und uns „Flüchtlingskrisen“ bescheren.

Der gesamtgesellschaftliche Wert eines Investmentbankers liegt irgendwo zwischen Kinderschändern und leider vorerst nicht guillotinierten Feudaladeligen.

PERVERSIONEN OHNE ENDE:

Gegen diese Typen sind Mafiosi Ehrenmänner.



JACK LONDONS „DAS MORDBÜRO“ – SOZIALSCHMAROTZER TÖTEN ALS GESCHÄFTSMODELL by Martin Compart

Winter Hall ist Sozialist und Millionär. Also verfügt er über genügend Ressourcen, als er den angeblichen Selbstmord eines Freundes untersucht. Er entdeckt, dass hinter dem vermeintlichen Freitod eine Organisation steht, die für eine ganze Reihe von Morden in den USA verantwortlich ist: das Mordbüro. Ihm gelingt es, Kontakt mit dem Chef aufzunehmen, mit Iwan Dragomiloff ( der Roman spielt 1911, und die Hysterie über bombende russische Anarchisten ist seit längerem Bestandteil der Populärkultur) und erfährt mehr über die Organisation.

Das Mordbüro ist eine in New York ansässige Institution, die gegen Bezahlung Mordaufträge übernimmt. Eine Geld-zurück-Garantie gibt es auch, falls der Auftrag nicht binnen eines Jahres erfüllt wird. Natürlich abzüglich zehn Prozent für die Recherchekosten.

Allerdings sind Bedingungen an die Annahme geknüpft: Das Opfer muss eine für die Gesellschaft schädliche Person sein, etwa skrupellose Geschäftemacher, Verräter oder korrupte Politiker.
Das Ziel der Institution, deren Mitglieder fast alle ehemalige Wissenschaftler sind, die zu perfekten Mördern wurden, ist eine bessere Gesellschaft.

Winter Hall erteilt den Auftrag, Dragomiloff zu töten – und dieser nimmt ihn an. Denn er kann sich der Argumentation nicht verschließen, die später auch gegen die Rote Armee Fraktion massentauglich verbreitet wurde:

„Es war der Kampf zweier Gelehrter, zudem noch pragmatischer Gelehrter. Dass sein Leben verwirkt war, hatte keinen Einfluss auf Dragomiloffs Argumentation. Zur Debatte stand einzig die Frage, ob seine Attentatsagentur eine rechtmäßige Einrichtung war. Ja, sie dachten so pragmatisch, dass sie beide die gesellschaftliche Zweckdienlichkeit als entscheidendes Kriterium akzeptierten und darin übereinstimmten, dass diese in höchstem Maße ethisch war. Und anhand dieses Kriteriums trug am Ende Winter Hall den Sieg davon. »Ich erkenne jetzt«, sagte Dragomiloff, »dass ich nicht genügend Betonung auf die gesellschaftlichen Faktoren gelegt habe. Die Attentate sind weniger für sich genommen als vielmehr gesellschaftlich falsch. Ich würde das sogar noch relativieren. Von Individuum zu Individuum betrachtet waren sie keineswegs falsch. Aber Individuen sind nicht einfach nur Individuen. Sie sind Teile einer Gesamtheit von Individuen. Ich war nicht im Recht.“

Und nun beginnt eine irrwitzige Hetzjagd, ebenso spannend wie mit humorigen Szenen und philosophischen Diskursen durchsetzt.

Der Polit-Thriller THE ASSASSINATION BUREAU LTD basiert auf einem langen Fragment von Jack London, dass von dem heute leider vergessenen Kriminalschriftsteller Robert L.Fish vollendet und 1963 erstmals veröffentlicht wurde.

Mit „Agenten-Thrillern“ hat der Roman so gar nichts gemein.


Von den 161 Seiten der amerikanischen Erstausgabe stammen die ersten 110 Seiten von Jack aus dem Jahre 1910. Die restlichen Seiten verfasste Fish nach Notizen des Autors. Nach diesen Vermerken sollte die Jagd auch noch nach Mittel- und Südamerika und nach Australien führen.

London verlegte die Handlung in die nahe Zukunft, 1911. Darin gibt es bereits Elektroautos und man spricht über die Russische Revolution!

Als „philosophischer Thriller“ ist DAS MORDBÜRO wohl nur mit einem zeitnahen Roman vergleichbar: G.K.Chestertons DER MANN, DER DONNERSTAG (1908) war.

Noch eine dritte Person war am Entstehen des Romans beteiligt:

Der spätere Literaturpreisträger Sinclair Lewis (1885-1951) – er war der erste amerikanische Schriftsteller, der den Preis erhielt – arbeitete jahrelang als Plot-Lieferant für Jack London, dem die Ideen für seine Massenproduktion ausgingen.
Aus dem Briefwechsel zwischen London und Sinclair:

„Lieber Jack London“, schrieb Sinclair Lewis, „ich war sehr erfreut, von Ihnen die Nachricht zu bekommen, daß Sie sich noch einige andere Kurzgeschichten-short story plots ansehen wollen. Ich lege ein dickes Bündel bei … Ich hoffe sehr, daß Sie eine beträchtliche Anzahl davon verwenden können …“

„Lieber Sinclair Lewis, Ihre Plots trafen gestern abend ein, und ich habe sofort neun (9) übernommen, für die ich Ihnen hiermit, entsprechend Ihrer Rechnung, per Scheck 52,50 Dollar überweise …Einige entsprechen nicht meinem Temperament, andere kommen nicht in Frage, weil ich leider zu faul bin, die dazu noch nötigen Fakten und atmosphärischen Details zu recherchieren.“ Wieder andere verwarf er, weil sie „richtige O’Henry-plots sind, für O’Henry wären sie großartig“.

Insgesamt kaufte London 27 Plot-Ideen von Siclair Lewis. Fünf von ihnen hat er verwertet: Drei verarbeitete er zu Kurzgeschichten („Winged Blackmail„, „When the World was Young„, „The Prodigal Father„), zwei zu Romanen („The Abysmal Brute“, „The Assassination Bureau„).


Die Filmrechte wurden im Mai 1966 von United Artists für ein Burt Lancaster-Vehikel verkauft.

Als dieser sich von dem Projekt zurückzog, wurden sie an Paramount weitergereicht. Dort machten Basil Dearden (Regie) und Michael Relph (Drehbuch) aus der Vorlage „a very british comedy“ mit absoluter Starbesetzung: Oliver Reed spielte Dragomiloff und Dianna Rigg die angehende Investigativjournalistin Sonya Winter, zu der Winter Hall im Drehbuch mutiert war.

Die Schauplätze des Romans wurden aus den USA nach Europa und die Zeit von 1911 in 1914 verlegt. Telly Savalas, Curd Jürgens und Phillippe Noiret gehörten zu den Co-Stars. Die Musik komponierte kein Geringerer als Ron Grainer (The Prisoner, Man in a Suitcase etc.).

Der Film konzentriert sich auf die komödiantischen Momente, ist voller anarchischer Komponenten (gedreht wurde im April 1968) und amüsiert noch immer. Er atmet den Geist der Swinging Sixties,

In Zeiten von Corona wird das Sozialschmarotzertum wieder besonders deutlich: Die Reichen verdoppeln ihre Gewinne, die Börsenkurse gehen durch die Decke, der Mittelschicht droht der endgültige Kollaps, die lange behauptete Chancengleichheit ist durch ein seit Kohl und Schröder immer maroderes Bildungssystem endgültig ausgehebelt, und auf der Straße verenden die Obdachlosen.

Für die Neo-Cons oder Neo-Liberalen wird ihr Paradies wahr.

Was die meisten Investmentbanker und Nutznießer nicht erwirtschafteten Kapitals oder Internet-Mogule nicht wahrhaben wollen, ist, dass der Systemabsturz sie mitreißen wird. Um einen Satz von Henry Ford abzuwandeln: Computer kaufen keine Computer (bei Amazon).

Wie pervers dieses ohnehin schon perverse System inzwischen ist, kann man an zwei Faktoren ablesen: Kriege werden nicht mehr geführt um gewonnen zu werden, da das Führen von Kriegen profitabler als ein Sieg ist (mit der Ausnahme von „befreiten“ Rohstoff-Oasen), und Klimawandel gilt als Marktvariable.

Der lange Krieg gegen den Feudal-Kapitalismus (im „reinen“ Kapitalismus würde jeder Mensch bei und mit Null starten, und es gäbe kein feudalistisches Erbrecht) war auch eines der wiederkehrenden Themen des Schriftstellers Jack London (seine Dystopie DIE EISERNE FERSE befasste sich bereits 1908 mit dem Faschismus als Form kapitalistischer Herrschaft).

In seinem Polit-Thriller-Fragment THE ASSASSINATION BUREAU LTD ging er aus philosophischer Perspektive der berauschenden Frage nach: Wie wäre es, wenn es eine marktwirtschaftlich orientierte Firma gäbe, deren Geschäftsmodell das Töten von Sozialschmarotzern wäre?
Natürlich für einen schönen Profit:

»Ist die Bezahlung der vollen Summe erforderlich – Sie wissen doch selbst, dass wir Anarchisten arme Leute sind.«
»Deshalb mache ich Ihnen auch so einen günstigen Preis. Zehntausend Dollar für die Tötung des Polizeichefs einer Großstadt ist nicht überzogen. Wären Sie Millionär und keine bettelarme Vereinigung, die am Hungertuch nagt, dann würde ich Ihnen für McDuffy fünfzigtausend Minimum berechnen.«

DAS MORDBÜRO könnte man als Allegorie auf den Kapitalismus lesen: Eine Maschine, einmal in Bewegung gesetzt, zerstört alles und jeden, auch die Erfinder und Profiteure.

In seinem Aufsatz ENGINE OF DESTRUCTION schrieb Alberto Manguel 2008 in “The Guardian” über dieses Buch:

“At the risk of stretching the comparison too far, I believe that the Assassination Bureau has enjoyed a modern reincarnation: we too have allowed for the construction of many such formidable social machineries whose purpose is – in their case – to attain for a handful of individuals the greatest possible financial profit, regardless of the cost to society and protected by a screen of countless anonymous shareholders. Unconcerned with the consequences, these machineries invade every area of human activity and look everywhere for financial gain, even at the cost of human life: of everyone’s life, since, in the end, even the richest and the most powerful will not survive the plunder.“

„Als ich noch in dieser Kanzlei fürs Rotlichrtviertel war, hatten wir auch mal sowas. Hells Angels oder so ein Fernfahrerklub. Pfiffige Idee. Aber man muss sowas marktwirtschaftlich angehen. Sonst wird das nix.“




BILLIONS – die Wall Street-Dystopie by Martin Compart

P.S.:Gerade läuft die 6.Staffel und schürrt angenehm Ekel und Hass vor dem Kapitalismus.

„BILLIONS exaggerates some scenes for entertainment value,
but it really does capture the social milieu that
some hedge fund players inhabit — the way people live,
their wives, the social events they attend after-hours.
There hasn’t been something fictional that has felt as
real about the Wall Street world since [Tom Wolfe’s 1987
novel] The Bonfire of the Vanities.”

Bruce Goldfarb, Gründer und CEO des Hedgefonds Okapi Partners.

„Some of those situations are clearly drawn from
real life. You can tell the writers are obviously reading
The Wall Street Journal or Businessweek and then
ransferring that into the scripts… If I was writing t
he script of BILLIONS, I would start exploring the
interplay between D.C. politics and the financial markets,
because regulation is really going to matter and hedge funds
have thrived by being unregulated.”

Euan Rellie, Co-founder und Seniordirector der Investmentbank BDA Partners.

BILLIONS ist eine höchst bemerkenswerte und spannende Serie: Sie führt vor, wie das unmoralische Wirtschaftssystem durch Finanzspekulationen ohne Rücksicht auf den Planeten die Gier einiger Weniger auf die Spitze getrieben wurde und wird, und dass der Planet dadurch nicht die geringste Chance aufs Überleben hat. Denn in der plündernden Finanzwelt wurde als todbringende Waffe das Reale längst durch das Virtuelle ersetzt.

BILLIONS ist die Serie der Trump-Administration, die durch weitere Deregulierung Milliardärsträume wahr machte.

In der Serie gibt es keine Sympathieträger, nur asoziale Arschlöcher, die umgehend unter die Guillotine gehören. Ein besonders widerliches Beispiel ist der „neue“ Justizminister (in der 3.Season), der scheinbar direkt aus dem Trumpschen Kabinett in die Serie gerüpelt ist. Mehr Kotzmittel auf einen Haufen findet man nur in der Londoner City, der Wall Street oder im Frankfurter Bankenviertel (dort allerdings nur die Wasserträger).

Der personalisierte Grundkonflikt ist geradezu klassisch:

Auf der einen Seite ist ein etablierter Vertreter des Systems (Chuck Rhoades) und auf der anderen Seite ein gieriger Aufsteiger aus der Unterschicht (Bobby Axelrod).

Der eine ist unattraktiv, leidet unter einem autokratischen Vater und geht gerne zur Domina(auch gemeinsam mit der Ehefrau);
der andere ist charismatisch, erfreut sich an Konsum und redet sich ein, dass er seine Familie mehr als seine aus Frustration geborene Gier liebt.

Chuck will, dass die Regeln des Systems von den meisten eingehalten werden, Ax ist das egal, denn er weiß um den repressiven Nutzen des Systems für die Etablierten. Stattdessen pflegt er einen Lebensstil, der sich an Dekadenz orientiert und seine geistigen Mittel überschreitet.

„Everybody’s a libertarian until it’s their own town that’s dying,”

Umringt sind sie von einem Panoptikum aus ekeligen Konkurrenten und widerwärtigen Heloten. Gier und gegenseitiger Hass sind die Motoren ihres Handelns. Zwei Phänotypen des Kapitalismus, für die Klimawandel eine Marktvariable ist.

Zwischen ihnen steht Wendy Rhoades, die mit Chuck verheiratet ist aber für Ax(elrod) arbeitet (und von dessen Frau eifersüchtig gehasst wird). Sie ist der komplexeste Charakter und nicht komplett durchschaubar (nicht unvorstellbar, falls sie sich als bestens getarnter Serienkiller herausstellen würde).

Asia Kate Dillon as Taylor in BILLIONS (Season 2, Episode 02). – Photo: Jeff Neumann/SHOWTIME – Photo ID: BILLIONS_202_1570.R

Einer der interessantesten Charaktere ist das nichtbinäre Spekulationsgenie Taylor Mason, das soziopathische Neigungen gelegentlich mit funktionaler Empathie auszugleichen sucht. Aber Taylor Mason ist auch ein unberechenbarer Nerd.

„They turned us all into Starship Troopers, sent us to Klendathu and some of us got our brains eaten. And it wasn’t until the end of our time in that we realized we were the bad guys all along. It’s not like that here.”

Um sie herum manipulieren oder zerstören sie alles und jeden. Die einzige „saubere“ Figur wird in der 3.Season aus einer staatlichen Institution gefeuert, weil sie unbestechlich ist und gut ihren Job gemacht hat.

Die Serie schreckt auch nicht davor zurück zu zeigen, dass das Rechtssystem ebenfalls fast völlig korrumpiert ist und vor allem der Egomanie der Oberschicht zu dienen hat, die einst ihre Privilegien ebenso kriminell erreicht hatten wie der Axelrod-Typus. Die gelegentlichen Konflikte mit Wall Street basieren darauf, dass etablierte Kräfte ihre Gier nicht mit Aufsteigern teilen mögen.

Tausende da draußen gucken Bruce Lee-Filme, trotzdem können sie kein Karate.“

“China’s a pig on LSD … you never know which way it’s gonna run!”

Chuck, der als Staatsanwalt bald eine politische Karriere anstrebt, ist eine unmoralische Figur, Bobby eher amoralisch. Auch aus dieser Spannung saugt die Erzählung zynisches Vergnügen. Genauso wie aus dem Verhältnis zwischen Hass und Gier als Energiequellen dieser vor Systemimmanenz glühenden Neo-Cons. Was Chuck noch eine zusätzliche Ekeldimension beschert, ist seine Bigotterie: Er erklärt seine gemeinsten Handlungen gerne damit, dass er den „kleinen Mann“ gegen das Establishment verteidigt. Trump wird seit der Erstausstrahlung (ab 2016) keine Folge verpasst haben (obwohl sie ihn geistig wohl überfordert hat).

In unserer Welt gibt es mehr Kapital als Dinge zu kaufen. Das unproduktive Kapital sucht ständig nach Anlagemöglichkeiten, um sich zu vermehren. Diese Spekulationsblasen sind ein perpetuum mobile, dass mittelfristig das eigene System zerstören wird. Denn im Gegensatz zum Axiom der liberalen Scharlatane ist Wachstum, auch das von Kapital, nicht unendlich. Diese These würden beide Antagonisten, Chuck und Ax, ablehnen. Reduktion der Ungleichheit ist für sie keine Option. Warum den Planeten für Säugetiere retten, wenn man mit seiner Zerstörung Geld verdienen kann?

Die Serie ist grandios umgesetzt (in einer Qualität, die man in Deutschland wohl nie erreichen wird). Bestes Schauspiel, effektive Regie.
Und geschrieben ist sie fantastisch, auf einem Niveau, wie es nur die besten Angelsachsen können. Selbst den Soap-Elementen gewinnen die Autoren meistens noch frische Aspekte ab.
Es sind vor allem die unerwarteten Volten in der Handlung, die einen an den Bildschirm fesseln und wohl weitgehend dazu beigetragen haben, dass BILLIONS immer erfolgreicher wird und SHOWTIME gerade eine sechste Season in Auftrag gegeben hat. Die fünfte wurde aus Corona-Gründen nach sieben Folgen beendet.

Man sollte auch berücksichtigen, dass da draußen genug Opfer einer ideologischen Illusion vor den Bildschirmen sitzen, die BILLIONS aus den falschen Gründen mögen.

Die Serie ist wie Ross Thomas‘ schlimmster Alptraum.

Verantwortlich für diese Qualität sind vor allem die drei Männer, die sie erfunden haben: Brian Koppelman, David Levien und Andrew Ross Sorkin, die BILLIONS auch produzieren.

Koppelman (geboren 1966) war Musikmanager (u.a. bei Elektra!), entdeckte Eddie Murphy und Tracy Chapman, für deren erste Tonträgerverträge er verantwortlich war. 1997 schrieb er mit David Levien seinen ersten Film: ROUNDERS. Weitere Drehbücher (WALKING TALL, OCEAN´S THIRTEEN, etc.) folgten. In MICHAEL CLAYTON (2007) und I SMILE BACK (2015; basierend auf einem Roman seiner Frau Amy) war er als Nebendarsteller zu sehen.

David Levien ist Drehbuchautor, Regisseur, Produzent und Schriftsteller (darunter die Serie um den Privatdetektiv Frank Behr). Der gebürtige New Yorker begann auf der Universität mit dem Schreiben von Kurzgeschichten und stieg 1989 ins Film- und Fernsehgeschäft ein.

„I’d been an avid crime fiction reader since I was a kid. Chandler and Hammett, John D. MacDonald, Donald Westlake, Elmore Leonard, Lawrence Block, James Elroy and even the crime novels of Cormack McCarthy are among my favorites. They set the standard — which is a very literary one I believe — in the genre, and the one that I strive for in my books… I’m fortunate in my film work — screenwriting, directing and producing — to work with a great creative partner, Brian Koppelman. We’ve been life-long friends since meeting on a summer trip more than 25 years ago. I had moved back to New York and was writing novels in my mid-20s and he was pursuing a successful career in the music business when he said he really wanted to write a screenplay, and to learn the form. I knew a lot about screenwriting from my time in Hollywood, where one of my jobs was as a script reader, and volunteered that we should write one together. Soon after that, Brian was taken to an underground poker club in New York. He lost all his money but was excited by the colorful world of „No Limit Texas Hold ‚Em.“ We started going to the clubs, playing poker every night, and that’s where ROUNDERS, our first movie, was born… For us the collaboration starts right at inception — throwing dialog back and forth in our office. Since we’ve known each other for so long, and grew up reading the same books, listening to the same music, and watching the same movies, there is a shared creative language that makes the whole process very natural.“

Für die Stimmigkeit der Fakten und des Milieus ist Andrew Ross Sorkin zuständig.
Der Wirtschaftsjournalist und Autor hat eine eigene Kolumne in der New York Times und schrieb über die Bankenkrise den Bestseller TOO BIG TO FAIL (Vorlage des Films von Curtis Hanson mit William Hurt und Paul Giamatti). Das Wissen um sein Knowhow macht BILLIONS umso erschreckender.

Alle drei betreiben transzendentale Meditation.

Koppelman, Levien, Sorkin

Trotz all des Vergnügens, den der Konsum von BILLIONS bereitet: Die abgebildete Systemrealität ist nicht mal nihilistisch, sondern nur pervers destruktiv. Da können Pandemien zum Hoffnungsträger werden.

P.S.: Diese Rezension bezieht sich auf die ersten drei Seasons. Man kann nicht prognostizieren – und das gehört zum schönsten, was sich über eine Serie sagen läßt – wie und wohin sie sich weiterentwickelt.

P.P.S.: Die ersten vier Staffeln gibt es auf DVD. Genau das richtige für ein besinnliches Christenfest.

„The torrent of pop culture references continues. Before watching season two, it is wise to be up to speed on, among other things, The Philadelphia Story, the Dalai Lama, the musical Hamilton, Ali G, the Roman poet Pindar, and always, not far below the surface, Moby-Dick.“

Mark Lawson in THE GUARDIAN

Es ist die bisher konsequenteste Darstellung des Kapitalismus, inklusive intelligenter und umfassender kultureller Verweise.



Soeben Erschienen: JOHN MAIRs KLASSIKER DES POLIT-THRILLERS by Martin Compart

Als Appetizer hier schon mal ein paar witzige Zitate, die einen ersten Blick auf den humoristischen Aspekt von Mairs Stil werfen:

„In einer Ecke verteidigte ein junger Unteroffizier den Wert der Keuschheit gegen den derben Humor einer älteren Dirne, und er sah nicht gut dabei aus.“

„Er zog sich in ein behagliches Wachkoma zurück und lauschte den weitschweifigen und zweifellos hochinteressanten Schilderungen aus dem Leben der Dunkelhaarigen.“

„Der Vollmond hatte schon seinen halben Weg über den Himmel zurückgelegt, und die flachen Gesichter der Häuser wirkten wie Kulissen eines kubistischen Balletts.“

„Laster unterlagen einer Überproduktion, wie anderes auch.“

„Hätte er kaltblütig gehandelt, verdiente er vermutlich zweihundert Tode – oder vielleicht auch nur vierzig; bei diesem Platon wusste man es nie so genau. Sollte es der medizinischen Wissenschaft jemals gelingen, Menschen nach einem unangenehmen Tod, sagen wir durch Ersticken, wiederzubeleben, könnte man den Täter wahrhaftig hundert Tode sterben lassen und ihn nach jeder Hinrichtung wieder aufwecken, außer nach der letzten. So ließe sich eine Art Tarifkatalog erstellen, von einem Tod für Taten im Affekt bis zu fünfhundert Toden für vorsätzlichen Raub, Unzucht und Vatermord, begangen an einem hohen Offizier, der gerade im Feld dem Feind ins Auge blickte; sollte die Berufung scheitern, wäre die Strafe zu verdoppeln.“

„Das Schaufenster präsentierte ein Durcheinander aus Büchern aller Sachgebiete, das dem Hirn eines senilen Gelehrten entsprungen sein mochte. Auf dem Ehrenplatz prangte eine gewaltige Prachtausgabe des Novum Organum von Francis Bacon, auf der einen Seite flankiert von einer deutschen Abhandlung über Vulkanismus, auf der anderen von einem illustrierten Handbuch über militärische Uniformen, in dem Offiziere mit Pomade im Haar und gewachsten Schnurrbärten wie launische Pfauen vor Landschaften posierten, in welchen Tau-sende berittener Soldaten in Rot und Weiß und in perfekter Formation in einem felsenbesetzten und von Kanonenkugeln zerfurchten Gelände zum Angriff übergingen. Rings um diese drei Zentralgestirne wimmelte ein staubiges Durcheinander aus Predigten, obskuren Dryden-Ausgaben, viktorianischen Handbüchern zur Leibes­ertüchtigung, alten Bänden des Spectator, antiken Theaterzetteln, Schmähschriften gegen vergessene Laster und Lobreden auf nicht weniger vergessene geistliche Tugenden. Es handelte sich um eine literarische Müllkippe, die Perlen ebenso enthielt wie Abfall – Strandgut der Grub Street aus vier Jahrhunderten.“

Als Conspiracy-Thriller ist der Roman bis heute herausragend und Maßstäbe setzend: Kein anderer mir bekannter Thriller geht ähnlich differenziert mit seinem Personal und der Verschwörungstruktur um, indem er die Haupthandlungsträger gleichermaßen negativ – oder freundlicher ausgedrückt: skeptisch – betrachtet. Mair schafft dies durch Stilmittel wie zynische Ironie, die er manchmal fast, aber nur fast, bis zur Satire treibt. Der allwissende Erzähler nimmt häufig eine spöttische Haltung ein, die auch seinen „Protagonisten“ – immerhin ein Mörder – nicht verschont. Eher das Gegenteil: Desmond Thane wird gnadenlos bloßgelegt und seziert.
Literarisch ist er ohne Nachfolger, obwohl er den modernen Paranoia-Thriller vorweggenommen hat. Am nächsten kommt ihm vielleicht noch Trevanian.
Sein früher Tod ist höchstwahrscheinlich der schlimmste Verlust für den Thriller. Sein einziger Roman ein herausragendes Leseerlebnis.

ELSINOR VERLAG: https://www.elsinor.de/elsinor/

INTERVIEW MIT DEM VERLEGER IN DIESEM BLOG (2016): https://martincompart.wordpress.com/2016/02/24/interview-mit-thomas-pago-verleger-des-elsinor-verlages/

JOHN BUCHANS DER ÜBERMENSCH: https://martincompart.wordpress.com/2015/01/09/thriller-die-man-gelesen-haben-sollte-der-ubermensch-von-john-buchan/

REZENSIONSEXEMPLARE unter: info@elsinor.de



NOIR-THRILLER, DIE MAN GELESEN HABEN MUSS: TAMBERLAINE MUSS STERBEN VON LOUISE WELSH by Martin Compart

1593 ist London eine aufregende, unruhige Stadt. Ein verzweifelter Ort, bedroht von Krieg und Pest. Fremde sind hier nicht willkommen, aufgespießte Köpfe grinsen von der Tower Bridge. Der Stückeschreiber, Poet und Spion Christopher Marlowe hat noch drei Tage zu leben. Drei Tage, in denen er mit gefährlichen Regierungsvertretern konfrontiert wird, die ihr eigenes Süppchen kochen, mit Doppelagenten, mit Schwarzer Magie, mit Verrat und Rachsucht. Drei Tage, in denen er den mörderischen Tamburlaine sucht, einen Killer, der seinem eigenen, äußerst gewalttätigen Theaterstück entsprungen zu sein scheint. Tamburlaine muss sterben“ ist die abenteuerliche Geschichte eines Mannes, der Kirche und Staat herausfordert und entdeckt, dass es Schlimmeres gibt als die Verdammung.

TUMBURLAINE MUSS STERBEN
Aus dem Englischen von Wolfgang Müller
Verlag Antje Kunstmann, München 2005
144 Seiten

Christopher Marlowe schreibt höchst selbst in der ersten Person diese Epistel über die letzten 72 Stunden (oder vielleicht nicht?) seines fast dreißigjährigen Lebens, aus der dieser angenehm kurze Roman besteht.
Sie beginnt am 29.Mai 1593: „Ich habe vier Kerzen und eine Nacht, um diesen Bericht zu schreiben.“

Alles wird also aus Marlowes Perspektive erzählt. Ohne den Leser mit dem ansonsten so schwer erträglichen Verbal-Historizismus der üblichen historischen Romane zu quälen, gelingt Louise Welsh nicht nur ein ebenso brutales wie betörendes Zeitbild, sondern auch eine überzeugende Innendarstellung des sprachgewaltigen Gotteslästerers:

„Ich setzte die Welt des Theaters in Brand. Mein MASSACRE OF PARIS verließen Männer mit zuckender Fechthand… Und so pendelte ich zwischen zwei Reichen der Nacht und glaubte mich auf der Sonnenseite des Lebens… Ich bekenne, die Gesetze von Gott und Mensch ohne sonderliches Bedauern zu brechen.“

Er schreibt ohne Sentimentalität, „nicht als Beichte, sondern als Selbstvergewisserung und Zeugnis eines unbeugsamen Geistes“, wie Rolf-Bernhard Essig es in https://literaturkritik.de/id/8457 treffend ermittelte. Allein mit ihrer Sprache gelingt es Welsh die Spannung aufzubauen und hoch zu halten.

Er beendet seinen Bericht bei Sonnenaufgang des 30.Mai, dem Tag seines gewaltsamen Todes.

Leichtfüßig führt Louise Welsh den Leser in die grauenhafte Welt eines übermächtigen Staates, der schier willkürlich über Menschenleben verfügt, einem Land unter pandemischem Druck und Fremdenhass. “I do believe historical books should have a resonance now. Tamburlaine is very much about asylum seekers, and our attitude towards newcomers to this country, which I think is disgraceful. That was in the forefront of my mind when I was writing it.”

will-jamie-campbell-bower als Marlowe in der TV-Serie WILL

Angst und Schrecken eines historischen Raumes, der einige Ähnlichkeiten mit unserer Gegenwart aufweist, dringen in den Leser ein. Denn das Buch fesselt durch Sprache und Stil. Welsh gelingt etwas Seltenes: Sie macht Stil zum Spannungsmotor.

Als Thriller funktioniert TAMBERLAINE MUSS STERBEN wie Forsyths DAY OF THE JACKAL: Wir kennen das Schicksal der historischen Figur und den Ausgang der Geschichte. In kriminalliterarischen Kategorien gedacht, hat Welsh eine neue Variante erfunden: Der Roman ist ein „Who-is-he?“. Es sind Marlowes Volten, Gedanken, Beobachtungen, die den Leser durch die Seiten jagen.

Sie beschreibt Marlowe als bisexuellen Atheisten, der diesen Staat herausfordert (Historiker haben bisher keinen Beweis dafür gefunden, dass Marlowe – wie bei Welsh dargestellt – ein sexuelles Verhältnis mit Walsingham hatte).

Die Autorin hat sich zwar von Marlowes Sprache anregen lassen, tappt aber nicht in die Falle peinlicher Nachahmung. Sie schafft eine effektive Kunstsprache, die altertümlich anmutende Formulierungen einbezieht und modern erscheinen lassen. Ihre gewählte Sprache ist von schöner Klarheit. “I read a great deal of 16th-century literature to prepare for Tamburlaine.”

Louise Welshs Roman funktioniert auf mehreren Ebenen: als historischer Noir-Roman, Psycho- und Politthriller. Sie verbindet Fakten und Fiktion mit Conspiracy. Und als stilistisch beeindruckende Novella.

Christopher „Kit“ Marlowe ist eine der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Figuren der Literatur; in vielerlei Hinsicht übt er eine ähnliche Attraktion aus wie Caravaggio in der Malerei.

Sein übler Ruf ist noch prachtvoll intakt.

Francis Walsingham

Im elisabethanischen England war er der Superstar des Theaters, diente in Walsinghams Secret Service und war ein berüchtigter Raufbold. Ein frühes Beispiel für einen Sex & Drugs ohne Rock´n Roll-Lifestyle. Noch vor Shakespeare machte er den Bösewicht zum Helden und revolutionierte damit das Theater. Ein  erster „der Hölle schwarzer Kundschafter“, der durch ein London (Shoreditch) streift, dass – ähnlich wie heute – von stolpernd betrunkenen oder sonstwie zugeballerten Zombies bevölkert ist.

Sein Tod gilt weiterhin als mysteriös, und eine Verschwörungstheorie behauptet, er habe ihn inszeniert, um anschließend in Italien Shakespeares Stücke zu schreiben. Eine andere, dass ihn Sir Walter Raleigh umbringen ließ, damit Marlowe nicht gegen ihn aussagen konnte.

Die Theorie, dass Marlowe seinen Tod vorgetäuscht hat ist auf dem zweiten Blick nicht so abstrus: Das Gasthaus, in dem er offiziell in Notwehr erstochen wurde, war ein Safe House von Walsinghams Geheimdienst. Der Tote in Marlowes Grab ist nicht Marlowe, sondern wahrscheinlich ein am Vortag von Marlowes Tod Gehenkter.

Jedenfalls fasziniert Marlowe bis heute – so auch Louise Welsh: „There are contradictions with Marlowe – this amazing ability to write, so passionate, so lyrical, and then the violence, which was present in the work and which we know to an extent was present in the life because we do know that he was involved in a murder charge. That contradiction is part of the attraction.”

Als ungewöhnlicher Charakter inspirierte Marlowe auch spätere Schriftsteller: Anthony Burgess schrieb über ihn in A DEAD MAN IN DEPTFORD (1993), Andreas Höfele in DER SPITZEL (1997), Dieter Kühn in GEHEIMAGENT MARLOWE (2007), Philip Lindsay in ONE DAGGER FOR TWO (1932), Wilbur G. Zeigler in IT WAS MARLOWE (1895), Herbert Lom (ja, der Schauspieler!) in ENTER A SPY (1978) und M.J.Trow schreibt seit 2011 eine ganze Serie mit Kit Marlowe als Detektiv und Geheimagent für Walsingham (bis 2019 sind zehn Romane erschienen).

„Man muss nicht Stil opfern, nur weil man einen Plot hat.“

Louise Welsh trat 2002 mit einem Paukenschlag auf die Bühne der Noir-Literatur. Mit DUNKELKAMMER (THE CUTTING ROOM) legte sie eines der beeindruckendsten Debuts der zeitgenössischen Noir-Literatur vor. In dem verstörenden Snuff-Roman schrieb sie einen schwulen, zynischen Flaneur als Amateurdetektiv, der in den perversesten Höhlen Glasgows wühlt und jede Tarnung der Stadt aufbricht.

Der Erstling wurde mit Preisen überschüttet, in zahlreiche Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert. Eine Verfilmung (mit Robert Carlyle) war fast sicher.

TAMBERLAINE MUST DIE war ihr zweiter Roman, der alle überraschte, und klar machte, dass sich die Autorin keinen kommerziellen Erwartungen unterwerfen würde. Aber wie schon in DUNKELKAMMER ist auch hier die Reise wichtiger als das Ziel.

In der schottischen Literatur positioniert sie sich zwischen Schriftstellern wie Irvine Welsh und James Kelman auf der einen Seite und Denise Mina oder John Harvey auf der anderen. Also da, wo man auch den großen William McIllvanney verorten könnte.

Namensvetter Irvine Welsh sagte über Louise auf die Frage nach Verwandtschaft: „ No, she’s not, although funnily enough our mothers are very good friends! I think she is a very interesting writer. To my mind she is not really a crime writer. She is a very serious literary writer working in crime. She is a bit like Dostoyevsky in the way that she uses the existential thriller and the crime genre as a way of exploring individuals’ relationships with society.”

Ihre weiteren Romane (bis zur Pandemie-Trilogie) überzeugten durch Originalität. Die „überzeugte Glasgowerin“ („I live a very quiet life up in Glasgow. Though we do have the highest murder rate of any city in Europe.“) gibt ihrer Stadt eine neue, sehr düstere Perspektive, so dass die britische Presse von “gothic noir” spricht.

Und natürlich wurden auch Vergleiche mit Robert Louis Stevenson bemüht. Wie die meisten schottischen Autoren empfindet auch Frau Welsh eine Nähe zu Robert Louis Stevenson. Besonders natürlich zu seinen dunklen Seiten. Sie hat häufig über Stevenson geschrieben. 2016 sogar ein Libretto für die Oper THE DEVIL INSIDE (nach Stevensons Kurzgeschichte THE BOTTLE IMP), komponiert von Stuart MacRae.

DUNKELKAMMER strotzt vor Perversionen und auch TUMBERLAINE beinhaltet drastische Sex-Szenen. Warum so viel Sex in ihren Büchern?
„I do worry about it a lot. In the first book, there was a lot of sex. In Tamburlaine Marlowe has sex twice, but then it is a very short book… I think sex is really important. It reveals a lot about ourselves and is a way of opening up characters. I think books should have humour, and I think it’s a very hard book that doesn’t have a little bit of sex in it.“

Ohne Verklemmtheit nutzt die Autorin für diese Szenen gerne eine pornografische Sprache, was ihr schon zur Nominierung zum Literary Review’s infamous Bad Sex Award verholfen hat. Aber das beunruhigt sie nicht: „They’re just a load of old men having lunch. But, if I got it, I would pick it up for sure“.



DAS GROSSE SPIEL by Martin Compart

Als „das große Spiel“ bezeichnet man den Konflikt zwischen Russland und Großbritannien um die Vormachtstellung in Zentralasien. Als Urheber des Begriffs, der zu einem allgemein gebräuchlichen Terminus werden sollte, gilt der „politische Offizier“ (damals ein Euphemismus für Geheimagent) Captain Arthur Conolly (1807-42), der ihn erstmals 1840 verwendete.

Conolly sollte selbst eines der vielen Opfer im „großen Spiel“ werden: Zusammen mit Colonel Charles Stoddard wurde er nach monatelanger Haft im Juni 1842 in Buchara auf Befehl des Emirs geköpft. Die East India Company hatte Stoddard nach Buchara geschickt, um den Emir zu einer Allianz gegen die Russen zu bewegen. Aber er landete in einem ungastlichen Kerker.
Als sein Freund Conolly ihm nachreiste, um Stoddards Freilassung zu erreichen, erging es ihm ebenso. Die Khanate von Buchara, Kiva oder Samarkand waren für ihre Reichtümer, Grausamkeiten und Sklavenmärkte ebenso berühmt wie gefürchtet. Die kirgisischen Stämme rückten bis auf russisches Gebiet vor um Sklaven für diese Märkte zu erjagen. Im „großen Spiel“ wurden die Khanate von beiden Seiten umworben oder angegriffen.

Es begann 1813 nach dem Rückzug Napoleons aus Russland und dem weiteren Expansionsdrang des Zarenreichs und endete 1947 mit dem Abzug der Briten aus Indien. Die Russen versuchten über Turkestan zum indischen Ozean vorzudringen, um einen eisfreien Hafen zu etablieren, das britische Empire empfand das als Bedrohung Indiens.

Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts sorgten angebliche russische Pläne zur Eroberung Indiens in London für eine politische Hysterie. „Dieses Projektˮ, berichtete der russische Botschafter in London, Carlo Andrea Pozzo di Borgo, ein gebürtiger Korse, im September 1838 an sein Außenministerium, „hat sich in allen Köpfen festgesetzt, ungeachtet dessen, dass es offenkundig unwahrscheinlich und falsch ist.ˮ

Dass die Briten die Russen als Rivalen in Asien wahrnahmen, war die Folge zweier siegreicher russischer Feldzüge in Vorderasien und auf dem Balkan. Im Russisch-Persischen Krieg 1826 bis 1828 hatte das Zarenreich die heutige armenische Hauptstadt Eriwan erobert und die im Süden des heutigen Aserbaidschan gelegene Provinz Nachitschewan.
Russland war damit zur beherrschenden Macht im Südkaukasus geworden. Die Landbrücke Europas nach Asien ermöglichte ihm die Seeherrschaft im Kaspischen Meer und über dessen östliche Küste den Zugang nach Zentralasien.
Das schwächte den britischen Einfluss auf Persien. Kaum weniger dramatisch war der Ausgang des Russisch-Osmanischen Kriegs 1828 bis 1829. Die Russen erhielten danach das Donaudelta und die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer und durch die Dardanellen ins Mittelmeer.

Die Paranoia zweier expandierender Imperialmächte nahm zu: Die Russen fühlten sich von den Briten in Indien bedroht (die Agenten wie Alexander Burnes nach Norden schickten), und die Briten sahen entsetzt, dass sich das Russische Reich in Richtung Süden schob. Dies führte dann auch zum ersten anglo-afghanischen Krieg 1839 bis 1842; die Briten sahen Afghanistan als failed state an, den es zu besetzen galt bevor es die Russen tun konnten, um dann direkt Indien, das Juwel in der Krone, zu bedrohen.

Afghanistan hatte (stärker noch als Tibet) eine Schlüsselposition inne.

Intrigen, Pakte, Geheimmissionen durch Agenten und bewaffnete regionale Konflikte bestimmten das „große Spiel“. Am aggressivsten geführt zwischen dem russischen Zarenreich und dem britischen Empire bis zum 1.Weltkrieg. Ausgeführt wurden die lebensgefährlichen Aktionen auf beiden Seiten von Gestalten, wie sich nur die originellsten Autoren von Abenteuer- und Spionageromanen hätten ausdenken können.

Diese atemberaubenden Aktionen, getragen von manchmal irrwitzigen Ideen, fanden auch Eingang in die Literatur. Zum Beispiel in Rudyard Kiplings KIM oder John Buchans THE HALF-HEARTED. Wobei die Fiktion mit der Realität kaum mithalten konnte.

Nach der Revolution von 1917 machte sich bei den Bolschewisten schnell Enttäuschung breit, da weder westeuropäische- noch amerikanische Arbeiter erfolgreich die verkündete Weltrevolution durchsetzten. Die Marxsche These, dass die Revolution zuerst in den entwickelten Industrienationen erfolgreich sein würde, wurde verworfen.

Deshalb orientierten sich in der bald gegründeten Kommunistischen Internationale (Komintern) die wesentlichen Kräfte gen Osten. Der Zusammenbruch der russischen- und chinesischen Kaiserreiche hinterließ viele Stämme und Völker (Mongolen, Buryaten, Kalmyken usw.) Zentralasiens in ungekannter Unabhängigkeit. Auch in den Kolonien der Europäer regte sich unter den Armen der Widerstand. Es schien naheliegend, in und durch das zentralasiatische Vakuum das „große Spiel“ gegen England wieder aufzunehmen.

Peter Hopkirk (1930-2014) war einer der besten westlichen Kenner des „großen Spiels“ und Zentralasiens. Der ehemalige TIMES-Journalist schrieb einige der besten Bücher zu diesem Komplex. In THE GREAT GAME. THE STRUGGLE FOR EMPIRE IN CENTRAL ASIA, 1990, beschrieb er minutiös die verdeckten (und manchmal nicht so verdeckten) Aktionen der Briten.

Dabei schreckte er auch nicht vor den abstrusesten oder gruseligsten Informationen zurück. Etwa das große Vergnügen eines Khans von Khiva an neuen Folter- oder Hinrichtungsmethoden (seine liebste war das Pfählen). Nachdem dieser Alkohol und Tabak aufgegeben hatte, verbot er auch seinen Untertanen das Rauchen und trinken. Wer dabei erwischt wurde, bekam die Mundwinkel bis zu den Ohren aufgeschlitzt, damit sein permanentes Grinsen als makabre Warnung für Andere diente.

Der Bürgerkrieg von 1918-22, in dem sich die Sowjetunion hauptsächlich gegen die Europa zugewandten reaktionären Kräfte und europäischen Mächte (und Japan) behaupten musste, diskreditierte vorherrschende europäische Traditionen.

Clevere Bolschewiki begannen über Strategien nachzudenken, wie man in Zentralasien den Sozialismus russischer Prägung und Dominanz durchsetzen könne. Um die dortigen Völker, die noch im vorkapitalistischen Wirtschaften verhaftet waren (ein deutlicher Widerspruch zur Marxschen Doktrin über die Revolutionsvoraussetzungen), zu erreichen, begann man die eschatologischen Momente des Bolschewismus mit denen des tibetanischen Buddhismus im Shambala-Mythos zu vermengen.
Denn da gab es leicht vermittelbare Schnittmengen, die man ungebildeten Hirtenvölkern darstellen konnte.

Ideologen wie Sergei Oldenburg verordneten bereits im August 1919 eine große Ausstellung buddhistischer Kunst, die die Nähe zwischen Sowjetunion und Buddhismus illustrieren sollten. Sie verknüpften die marxistischen Ideale der Völkerfreundschaft mit denen von Buddha gepredigten.

Zum Teil mit großem Erfolg, wie sich in der Mongolei zeigte (nachdem man den wahnsinnigen Baron Ungern-Sternberg geschlagen hatte). Die Okkultistin und Tibet-Reisende Alexandra David-Neel notierte überrascht, dass viele Lamas das „Rote Russland“ mit dem Reich von Shambala gleichsetzten.
Der erste und größte Sieg der Komintern war die Revolution in der Mongolei. A
us der erfolgreichen Strategie leitete man die Formel ab, die in den anderen asiatischen Ländern versucht wurde: Suche ein nationales Befreiungsmotiv, interpretiere alte Weisheiten als Bezug zu den Sowjets, bilde revolutionäre Zellen und schüre den bewaffneten Aufstand gegen die Besatzer.

Während sich Peter Hopkirk in SETTING THE EAST ABLAZE, 1985, auf die geheimdienstlichen und militärischen Aktionen (darunter widmet er dem „Bloody Baron“ Ungern-Sternberg eine längere und brillante Analyse) zwischen den Weltkriegen konzentrieret, stellte Andrei Znamenski in RED SAHAMBHALA: MAGIC, PROPHECY AND GEOPOLITICS IN THE HEART OF ASIA, 2011, die okkulten Aspekte in den Vordergrund.

Er beschreibt eindrucksvoll (unter der Nutzung wenig bekannter russischer Quellen), wie bolschewistische Agenten und Agitatoren versuchten, tibetanische Glaubensvorstellungen, insbesondere den Endkampf zwischen Gut und Böse des Shambala-Mythos, für geostrategische Ziele zu nutzen.

Mit der Übertragung des Kalachakra-Tantra wurden auch prophetische Texte übertragen, deren Inhalt kriegerische Auseinandersetzungen darstellen. Demnach sollen Armeen, die der spirituellen Praxis feindlich gesinnt sind, zur Zeit des 25. Königs von Shambala über die zivilisierte Welt herfallen, um jede Möglichkeit für geistige Entwicklung zu zerstören. Nach den Kalachakra-Texten wird die zivilisierte Welt aus dem Reich Shambala Beistand erhalten, und die Angreifer werden zurückgeschlagen. Daraufhin soll ein neues Goldenes Zeitalter beginnen, das für die geistige Entwicklung besonders günstige Umstände bringt.“.(https://anthrowiki.at/Kalachakra-Tantra).

Die Sowjets verknüpften diese „Prophezeiungen“ mit ihrer Eroberungspolitik in Zentralasien. Aber auch Nationalisten (wie der Mongole Dja Lama) oder japanische Imperialisten und Weißrussen (Ungern-Sternberg) instrumentalisierten den Shambala-Mythos.

Das bemerkenswerte Bildmaterial rundet die Studie des Russen ab. Znamenski unterrichtete als Historiker an den Universitäten von Hokkaido, Alabama und Memphis. Seine besonderen Forschungsgebiete sind Schamanismus, Religionsgeschichte und westliche Esoterik. Großen Raum in seinem Buch nehmen auch die merkwürdigen Aktivitäten von Nicholas Roerich und dessen Familie ein.

Erst mit Stalins „großem Terror“ wurden die esoterisch-geopolitischen Experimente eingestellt und die Shambala-Warrior als Konterrevolutionäre vernichtet. Nachdem 1938 die letzten buddhistischen Klöster in Sibirien geschlossen wurden, interpretierte die Sowjetpropaganda den Shambala-Mythos als Werkzeug der Japaner, die seit 1931 in der Mandschurei an der Grenze des mongolischen Satellitenstaates lauerten

Das „große Spiel“ endete erst 1947 nach dem Abzug der Briten aus Indien. Aber inzwischen gibt es eine Art „Neuauflage“, bei der sich Russland den USA gegenüber sieht. Spätestens seit der Einkreisungspolitik Russlands durch die USA mit der NATO auf dem Kaukasus und der (einmal mehr) gescheiterten Besatzung Afghanistans konzentrieren sich die Interessen der beiden Staaten wieder verstärkt auf die neue Seidenstraße und Zentralasien. Mit der neuen Weltmacht China ist ein dritter Spieler hinzugekommen.

ROMANE zum GROSSEN SPIEL:

The Lotus and the Wind von John Masters, 1953.

The Far Pavilions von M.M. Kaye, 1978.

Flashman von George MacDonald Fraser, 1969.

Flashman at the Charge von George MacDonald Fraser, 1973.

Flashman in the Great Game von George MacDonald Fraser, 1975.

Kim von Rudyard Kipling, 1901.

The Imperial Agent von T.N.Murai, 1987 (eine Fortsetzung zu Kim).

Drums Along the Khyber von Duncan MacNeil (d.i.Philip McCutchan), 1969 (erster Band der James Ogilvie-Serie).

The Mulberry Empire von Philip Hensher, 2002.

The Devil’s Cocktail. Alexander Wilson’s second Secret Service novel 1928.

The Half-Hearted von John Buchan, 1900

The Diplomatic Agent von Yulian Semyonov, 1959.



LEBEN UND STERBEN LASSEN… meint DR.HORROR by Martin Compart
14. Mai 2020, 10:25 am
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…war nicht nur der Titel eines Roger Moore-007, es ist auch das Schreckgespenst einer Wirklichkeit, die mit der unheimlichen Medien-Präsenz eines Zombie-Seuchen-Films über uns hereingebrochen ist.

Epidemien und Pandemien gehören zu den zyklisch auftretenden Damoklesschwertern der Menschheitsgeschichte: Pocken, Masern, Fleckfieber, der Schwarze Tod, Cholera und Spanische Grippe, Kollateralschaden eines globalisierten Krieges. O-Ton Boris Palmer: „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“

Wenn das, möchte man mit dem mythologischen Nazarener ausrufen, wenn das schon mit dem grünen Holz geschieht, was wird dann erst mit dem dürren werden?

Was wird dann nach der zweiten oder dritten Welle von Covid-19 sein? Wird die Welt nachher wieder so sein wie vorher?

Werden die Jecken in Heinsberg wieder Kappenfeste feiern dürfen?

Wird Deutschland je wieder Fußball-Weltmeister werden?

Wird am Ende kommen, was Untergangspropheten schon lange versprechen: eine weltweite Rezession – Finanzcrash – Währungsschnitt – Massenarbeitslosigkeit – und Schlimmeres noch: nein, nicht die Klimakatastrophe, die sowieso, sondern ein Hauen & Stechen um Klopapier und ein Dammbruch der Fäkalien?

Stets war und ist man in solchen Situationen, die angeblich ebenso wenig vorhersehbar war wie Apokalypse und Jüngstes Gericht (O-Ton Jens Spahn, noch im Februar ein Apologet der „aufmerksamen Gelassenheit“: „Im Nachhinein ist man schlauer“) und deren Wahrscheinlichkeit doch jedem Virologen seit einem Jahrzehnt bewusst war, auf der Suche nach möglichen Verursachern: Juden, die die Brunnen von Christen vergiften; Hexen, die schuld waren an Missernten; augenblicklich die Fledermaus-fressenden Chinesen. Schnell waren und sind Antisemiten, Hexenjäger, Trump-Jünger und andere Verschwörungstheoretiker zur Stelle: gar ein Unfall im Wuhan-Labor chinesischer Vampire, die Fledermäuse untersuchten?

Das Coronovirus selbst – Lock Down hin, Lockerungen her – soll uns hier nicht beschäftigen, wohl aber die möglichen gesundheitlichen Langzeitfolgen, die es bei Infizierten auslösen mag, vom temporären Verlust des Geschmackssinns bis hin, man kennt es doch aus diesen Zombiefilmen, zum permanenten Verlust des sogenannten gesunden Menschenverstands.

Was aber kommt nach dem Verlust des gesunden Menschenverstands? Was kommt nach Spahn, Karliczek und Andi Scheuer, der das einzige, was er tun sollte, nicht getan hat: die politische Verantwortung für seine dämlichen Handlungen übernehmen?
Doch wohl nicht der Chef-Stratege des freien Marktes: Christian „Moomax“ Lindner, der schon als junger Mann einen Porsche fuhr, sehr bald Insolvenz anmelden musste, dabei zwei Millionen in den Sand setzte und stattdessen FDP-Chef wurde?

Oder Friedrich Merz: „Ich traue mir zu, die CDU in die Zukunft zu führen“?

Oder der seinem Naturell entsprechend schwammig formulierende Peter Altmaier, der „Ludwig Erhard des 21. Jahrhunderts“? Heile heile Mausespeck. In hunnerd Jahr is alles weg.

Wir können von Glück sagen, dass die extreme deutsche Rechte überwiegend aus größeren Hohlköpfen geschnitzt ist. Während das Virus sich schon zur Pandemie auswuchs, machte B. Höcke in Thüringen noch seine Mätzchen. (Oder wird gerade mangelnder Sachverstand gepaart mit populistischer Ignoranz unsere Zukunft besiegeln, so dass wir wieder zurück in die germanischen Wälder müssen, als Bewohner kränkelnder Bäume womöglich?)

Leider stehen zu viele Science-Fiction-Autoren noch in der Tradition der Raketenhefte (Liest du schon wieder Raketenhefte? fragte die um das Wohl des Sprösslings besorgte Mutter und warf sie in den Ofen: Kindheitstrauma jedes Sammlers).

Jetzt könnte man nach Herzens- und Pessimistenlust Orwellsche Dystopien entwerfen. Tatsächlich beschleunigt die Pandemie nämlich nur, was längst im Busch war: die Geburtswehen einer neuen Zeit.
Was Orwell im Stalinismus vermutete, ist längst Bestandteil der sich wie ein Krebsgeschwür ausbreitenden digitalen Globalisierung geworden: Neusprech – totale Überwachung – Gehirnwäsche. Freiwillig öffnen wir uns den großen Brüdern Google, Facebook & Co. Würde es eines Tages ein „ewiges Leben“ in der Virtualität von Mind Control geben, wer weiß, wie viele ihre Körperlichkeit aufgeben würden für ein Linsengericht oder ein Freibier. Na gut, wir wollen mal nicht kleinlich sein: zwei Freibier.

Nein, ein Zurück in die Sicherheit des Mutterschoßes zwischen Befreiung vom Hitler-Faschismus und Kubakrise wird es nicht geben.

Vielleicht wird es auch der Anfang vom Ende der medialen Blockbuster sein, die vor Marvelscher Kraft kaum laufen konnten. Besonders hart trifft es zurzeit den Disney-Konzern. Aber die Start-ups der Zukunft, die Disney und seinesgleichen ablösen werden, stehen schon in den Startlöchern. Sie setzen auf Cocooning und Home Entertainment.
Aber um richtig effizient zu wirken, brauchen sie etwas mehr als eine Mattscheibe mit Schreibmaschine davor, sprich: mehr als PCs, sie brauchen ein Ding, das den „Volksgenossen“ richtig in die verseuchte Birne geht und jede Menge virtuellen Shit dort ablädt. Die Labors in Wuhan und anderswo in China arbeiten bekanntlich schon daran, das menschliche Gehirn zu infiltrieren, wenn man den amerikanischen Geheimdiensten glauben will.

Wird es irgendwann in Zukunft, so absurd, perfide und ungeheuerlich das klingen mag, virtuelle „Gaskammern“ geben statt Suppenküchen: wo die Armen und bösen Buben nicht wie in Pinocchio in Esel verwandelt werden, sondern in geistlose Energie? Natürlich wird man nicht von „Gaskammern“ sprechen, sondern von Herausforderungen in der Unendlichkeit des digitalen Universums.

Rolf Giesen

PS: Sie können diesen Artikel auch ausdrucken und ihn in Notzeiten als Klopapier-Ersatz verwenden. Der Autor hat nichts dagegen einzuwenden.

Mach mal wieder Home Entertainment – echt gut!