Filed under: Jochen König, Noir, TV-Serien | Schlagwörter: Anthony J. Quinn, die brücke, Don Winslow, Film, Jochen König, John LeCarré, Seamus Smyth, Taylor Sheridan, TV-Serie
Zwischen Globalisierung und stetig fortschreitender Migration, zwischen Verknüpfung von Beziehungen, Schmuggel und Drogenhandel sind Grenzen und die sie umgebenden Landschaften die relevantesten Marker. Zwischen Fakt und Faszinosum spielt das Thema (gerade in den letzten Jahren) in der Populärkultur eine wichtige Rolle. Inklusive der möglichen Übertragbarkeit auf ethisch-moralische, gesellschaftsstrukturelle und individuell konnotierte Konditionen. Nein, „Fifty Shades Of Grey“ ist kein grenzüberschreitender Text, sondern bloß ein kleingeistiges Spiel mit eigenen Beschränkungen. Eine Grenzerfahrung der anderen Art.
Die Grenze als trennendes wie verbindendes Medium hat die schwedische Serie „Die Brücke – Transit in den Tod“ (OT. „Broen“) wesenhaft in Szene gesetzt. Eine Leiche, die auf der titelgebenden Öresund-Brücke genau auf der Grenzlinie zwischen Dänemark und Schweden deponiert wurde, zwingt die Polizeibehörden beider Länder zur (vom Täter beabsichtigten) Zusammenarbeit. Gelungene Charakterzeichnungen, geschickter Spannungsaufbau und das Spiel mit Doppelbödigem machen die Serie zu einem Genuss. Gilt auch, mit leichten Abstrichen, für die Folgestaffeln.
Im Verlauf der zweiten Staffel wurden die Serienschöpfer von der Realität eingeholt. Zu einen kündigte der dänische Hauptdarsteller Kim Bodina wegen des wachsenden Antisemitismus in der Öresund Grenzregion (sowie inhaltlicher Differenzen) seinen Ausstieg an, zum andern wurde die ehemals völkerverbindende freie Überfahrt 2016 durch reinstallierte Grenzkontrollen wesentlich erschwert. Als ein Grund dafür wurden die steigenden Migrationszahlen von Dänemark Richtung Schweden genannt.
Der amerikanische Ableger „The Bridge – America“, der zwischen dem texanischen El Paso und dem mexikanischen Ciudad Juárez spielte, agierte auf ähnlich hohem Niveau wie das Original.
Weitere Ableger gab es in Frankreich (mit dem Eurotunnel statt einer Brücke), Russland, Asien (angesiedelt zwischen Malaysia und Singapur) sowie mit der mäßigen, verschwurbelten deutsch-österreichischen Koproduktion „Der Pass“. Ein wahrhaft weltumspannendes Serienuniversum.
Was „The Bridge – America“ eher am Rande inszenierte, rückte in Denis Villeneuves „Sicario“ (und dem schwächeren zweiten Teil) in den Mittelpunkt: Drogenhandel sowie die schwierige Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden, bei der Kompetenzen, Vertrauen, Verrat und Eigeninteressen einen komplexen und stellenweise unberechenbaren Verbund eingehen. „Sicario“ gehört zur „American-Frontier“-Trilogie des Autoren Taylor Sheridan, dessen vorzüglicher Wüsten-Noir „Hell or High Water“ eine familiäre Grenzlandodyssee darstellt, während „Wind River“ Ausgrenzung und Verbrechen an der indigenen Bevölkerung der USA darstellt.
In der Serie „Yellowstone“ rücken Grundstücks- und Weidegrenzen in den Mittelpunkt. Spätestens hiermit hat sich, der auch als Schauspieler („Sons Of Anarchy“) tätige Sheridan als einer der wichtigsten aktuellen Kulturschaffenden etabliert.
Den hoffnungslosen „War On Drugs“ hat Don Winslow mit seinem Magnum Opus „Tage der Toten“ zum Thema, in dem Grenzüberschreitungen von mexikanischer und US-amerikanischer Seite an der Tagesordnung sind. Trotzdem ist der voluminöse kein Pamphlet, das Donald Trumps „Let‘s build a wall“-Ideologie unterstützt. Ebenso wenig wie Robert Crais‘ „Straße des Todes“ der seinen Detektiv Elvis Cole gemeinsam mit dem schlagkräftigen Joe Pike an seiner Seite in einen Kampf gegen brutale Schleuserbanden schickt. Bereits 1982 waren Jack Nicholson, angenehm zurückhaltend und intensiv, in Tony Richardsons „Der Grenzwolf“ sowie Charles Bronson zwei Jahre früher, und qualitativ blasser, in Jerold Freedmans „Grenzpatrouille“ unterwegs. Eine spannende Ergänzung, die den Überlebenskampf der Flüchtlinge stärker visualisiert, stellt Jonás Jonás Cuaróns (Sohn von Alfonso Jonás Cuarón) „Desierto – Tödliche Hezjagd“ dar, der mit Gael García Bernal und Jeffrey Dean Morgan zwei vorzüglich aufspielende Antagonisten aufzubieten hat.
In Deutschland prägte das Thema Grenze und ihre Überwindung die Geschichte seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Gelegenheit, auf John Le Carrés Klassiker „Der Spion, der aus der Kälte kam“, inklusive der gelungenen Verfilmung zu verweisen. Doch auch im Westen spielten Grenzübertretungen eine Rolle. In Mechtild Borrmanns „Grenzgänger“ wird der Kaffeeschmuggel für die junge Henni und ihre Freunde zum Verhängnis. Denn auch hier gibt es einen Schießbefehl, der von Ordnungskräften mal widerstrebend, mal mit Begeisterung umgesetzt wird. Die befehlsgebende Gewalt hat sich geändert, die Verhaltensweise der Subalternen bleiben gleich. Henni kommt mit dem Leben davon, landet jedoch nach dem Tod der Mutter in einem kirchlich geführten Kinderheim. Dort sind Nächstenliebe, das Achten der menschlichen Würde Fremdwörter. Es gibt keine Grenze zwischen Himmel und Hölle. Borrmanns Roman ist ein aufwühlender Streifzug durch eine Zeit, die bei Weitem noch nicht aufgearbeitet ist.
Noch näher am Genre und doch ganz ähnlich ist Seamus Smyths Revenge-Thriller „Spielarten der Rache“, der die Perfidie eines menschenverachtenden Systems, geschützt und bewahrt von kirchlichen Trägern und Handlangern, in bitterer Konsequenz schildert. Die Grenzen der Menschlichkeit werden bewusst und mit ausufernder Brutalität überschritten, der spät folgende Rachefeldzug erscheint geradezu zwangsläufig. Ein so kraftvoller wie schmerzlicher Roman.
An der realen Grenze Nordirlands zur irischen Republik, im Gebiet zwischen Armagh im Norden und dem County Monaghan in der Republik Irland siedelt Anthony J. Quinn seine Reihe um den nachdenklichen und obsessiven Polizisten Celsius Daly an. Hier stellt die Zusammenarbeit der nordirischen Beamten mit der Guardia Civil eine Herausforderung mit manch böser Überraschung dar. Es gibt viel zu tun, haben sich doch im Grenzbereich ehemalige IRA-Mitglieder, Kriminelle unterschiedlicher Couleur und Nationalität sowie Immobilienspekulanten angesiedelt, die gerade angesichts der vorhandenen Armut für eine Atmosphäre der Angst, Gewalt und Verzweiflung sorgen.
In „Frau ohne Ausweg“ trifft Daly auf die kroatisch-stämmige Lena Nowak, die an einem ausgefeilten Plan arbeitet, ihrem kriminellen Chef und der Zwangsprostitution zu entkommen. Nowak ist nur eine von vielen Frauen, die über Grenzen verschleppt wurden, ihrer Pässe und damit der Identität beraubt zu werden. Aber sie ist klug und zäh genug, um Mitstreiterinnen zu motivieren und der Polizei sowie verbrecherischen Zuhältern ein Schnippchen zu schlagen. Ein Hauch von Hoffnung am Ende von schwarzen Tagen.
„Frau ohne Ausweg“ zeigt – wie alle gelungenen Werke zum Thema Grenze – wie brüchig die menschliche Gemeinschaft gebaut ist, in einer Welt in der Recht und Gerechtigkeit oft wenig miteinander zu tun haben. Menschen werden zu Waren, die über Grenzen geschafft werden, Waren werden zu Schmuggelgut und der sogenannte Krieg gegen Drogen scheint schon seit langem verloren.
Grenzüberschreitungen können zu Erkenntnissen führen, halten aber auch den Abstieg in die Hölle bereit. Dazwischen gibt es, gerade kulturell, viel zu entdecken.
Filed under: Boston Teran, Elsinor Verlag, Film, NOIR-KLASSIKER | Schlagwörter: Boston Teran, Elsinor Verlag, Film, Noir
Ursprünglich wollten wir bei Elsinor die Boston Teran-Edition mit dem Erstling GOD IS A BULLET starten. Aber wir haben uns dann für GARDEN OF GRIEF entschieden. Dieses Jahr ist nun endlich die Verfilmung von GOD IS A BULLET in die US-Linos gekommen; es hat Jahrzehnte gedauert, das er realisiert wurde.
https://ok.ru/video/5889304300190
Filed under: JAHRESRÜCKBLICK, Jochen König, MUSIK, Rezensionen, Taylor Swift, TV-Serien | Schlagwörter: Film, Jochen König, MUSIK, TV-Serie
2022 hatte die Chance das Vorjahr in die Schranken zu verweisen. Doch es wurde versaubeutelt.
Corona rückte zwar in den Hintergrund, verblasste aber nicht völlig. Krieg, Naturkatastrophen, die FIFA, Korruptions- und Fake-News-Skandale, dazu viel zu viel eklige Menschen, die laut polternd zwischen Realitätsverweigerung und sozialer Verwahrlosung bevorzugt in den (anti)sozialen Netzwerken Nachrichten aus der Hohlwelt verbreiteten. Linus Volkmann bezeichnete 2022 in seinem Rückblick im „Musikexpress“ sehr treffend als „ein Jahr wie ein Typ, der einem ins Auto kotzt – und sich später nicht mal entschuldigt.“
Bleibt, wie so oft, das kulturelle Schaffen der vergangenen zwölf Monate, eine verkorkste Zeit zu retten. Oder die Krätze auszulösen (wie viel zu viele grottenöde Serienkiller-Thriller, Nena, Van Morrison, Filme, die nicht wissen, dass ein Ende zur rechten Zeit was Gutes ist)?
Schön, dass es wieder Konzerte gab.
Einen gelungenen Auftakt bildeten PURE REASON REVOLUTION und GAZPACHO im Columbia-Theater in Berlin. Zwischen Dancefloor, Art-Rock und großen Gesten boten beide Bands atmosphärisches Schwelgen, besonders GAZPACHO lieferten eine stimmungsvoll bebilderte Zeitreise. MELODY GARDOT, ebenfalls in Berlin, belegte, dass sie eine äußerst charmante Geschichtenerzählerin und große (Jazz)-Chanteuse ist. Leider kein „Preacherman“ für mich.
In der Elbphilharmonie gab es zwei Jugendorchester mit starkem Programm zum moderaten Preis. Von einer Eigenkomposition über Rachmaninoff und Shostakowich bis zur „What A Feeling“-Zugabe (die zur unbewussten Hommage an die kurz darauf verstorbene Irene Cara wurde) ein hervorragendes Konzert, mit viel Verve vorgetragen von jungen Musiker*innen zwischen 10 und 27 Jahren. Und die Bildungsbürgerreise in die „Elphi“ abgehakt.
Trotzdem muss man mit Erschrecken feststellen, dass Live-Events in Gefahr sind. Nicht wegen Corona. Während bekannte Künstler (vertreten durch viel zu groß gewordene „Dienstleister der Kulturbranche“ wie Live Nation oder Eventim) stellenweise Ticketpreise bis ins Vierstellige nehmen können, bleibt der Nachwuchs und unabhängige Kunst auf der Strecke.
Durch den Verkauf von Tonträgern lässt sich schon lange keine Tour mehr pushen, geschweige denn finanzieren. Logistik ist teuer, der Brexit sorgt für ein Aufblühen umständlicher und ebenfalls kostspieliger Zoll-Aktivitäten. Das Couch-Arrangement (und die Angst vor Ansteckung in prall gefüllten Räumen) mit Corona führte auch zu weniger Interesse an Konzerten. Zahlreiche Bands und Solokünstler sagten ihre bereits geplanten Touren ab oder verschoben sie auf unbestimmte Zeit. Prognosen sind düster.
Zu den musikalischen Veröffentlichungen, die mein Jahr prägten, stieß bereits früh „Call To Arms & Angels“, das neue Doppelalbum von ARCHIVE. Ein hypnotischer, langsamer Tanz, der sich sowohl bei Trip Hop, Pop wie Art Rock auskennt und auch passend für den Soundtrack eines Nicolas Winding Refn-Films (oder einer Serie) wäre.
Passend wäre auch „Nights Of Lust“, der Darkjazz-Slowburner des LOVECRAFT SEXTETs, die gegen BOHREN & THE CLUB OF GORE geradezu dem Geschwindigkeitsrausch verfallen sind.
Gefallen hat auch der gutgelaunte, spannende Retroprog der MOON LETTERS, deren erstes Album ich nicht so toll fand, während das zweite, „Thank You From The Future“, strahlte: „Überbordend, diffizil, dabei höchst ökonomisch, kein Ton zuviel“.
Ebenso klasse war die neue Inkarnation MAJOR PARKINSONs, der Beginn einer Trilogie. Ein weiteres Selbstzitat: „„Valesa – Chapter 1: Velvet Prison“ ist ein Grand Guignol-Musical der exzessiven Art. Genregrenzen interessieren MAJOR PARKINSON nicht, hier wird überbordend musiziert: Prog, Stadion-Rock und AOR treffen auf elektronische Entdeckungsreisen und grüblerische Singer-Songwriter-Sequenzen“.
Düsterer und intimer gings es bei der fabulösen Karin Park zu, deren eindringliche „Private Collection“ ein würdiger Nachfolger des exzellenten „Church Of Imagination“ ist. Steve Kilbey und Martin Kennedy hingegen überzeugten einmal mehr als vers(p)onnene Psychedeliker mit ihrem kryptisch betitelten „The Strange Life of Persephone Nimbus“. THE CHURCH sind stets präsent.
Kein Weg führte vorbei an TAYLOR SWIFTS neuem Output „Midnights“. Streamingdienste brachen bei Veröffentlichung zusammen und Swifty-Achselshirts waren ausverkauft. Ansprechend melancholischer Electro-Pop mit anrührenden, nachdenklichen Lyrics und nur sachtem R’n’B-Hochglanz-Muzak. Was der Musik gut tut. Nur selten klingt es nach einem Stück aus dem „Victorious“-Soundtrack. Aber auch da gibt es Schlimmeres.
SWIFT gelingt es mainstreamkompatibel zu sein und trotzdem die Dringlichkeit und den Charme von Indie-Produktionen zu bewahren. Das Album erschien in vier Ausführungen mit unterschiedlichem Artwork (Standard, Jade Green, Blood Moon, Mahogany). Besonders lohnt sich die später erschienene „Lavender“-Version mit drei famosen Bonustracks. Diese sind wieder originell instrumentiert und strahlen die bestrickende Intimität von TAYLOR SWIFTs in der Pandemie rearrangierten Werken aus. Digital erschien zudem die „3am“-Ausgabe mit insgesamt sieben Bonustracks.
SWIFT ist eine der wenigen Megastars, die einem nie auf den Senkel gehen. Und dass sie eine fantastische Musikerin ist, hat sie längst bewiesen. Allein mit E-Gitarre auf der Bühne ist sie die pure Freude. Davon bitte irgendwann ein komplettes Album!
Ein postumes Album bildet den Abschluss meiner kleinen musikalischen Reminiszenz ans Jahr 2022. Auch in dieser Beziehung ein ätzendes Jahr. Für mich wichtige und prägende Künstler starben: Dazu gehörten VANGELIS, MARK LANEGAN, MANUEL GÖTTSCHING, PHAROAH SANDERS, Jeff Beck und TERRY HALL. Mit dem Verlust von JULEE CRUISE und ANGELO BADALAMENTI wurde das „Twin Peaks“-Universum kleiner.
Besonders schwer traf mich der Tod KLAUS SCHULZEs, dessen Musik mich noch länger begleitet als die von VANGELIS. Mit „Deus Arrakis“, einer erneuten „Dune“-Reminiszenz, hinterließ er ein inspirierendes, atmosphärisches letztes Album.
Lobende Erwähnungen gibt es noch für die Comebacks von PORCUPINE TREE, „Closure P/T“ ist feinster Pop-Prog nach dreizehn Jahren Sendepause, die BROKEN BELLS (letzte Veröffentlichung 2014) mit dem der psychedelisch-poppigen Wundertüte „Into The Blue“. Der Übersong „The Chase“ enthält Spuren aus dem ARCHIVEt.
MADRUGADA melden sich mit dem funkelnden Nachtschattengewächs „Chimes At Midnight“ zurück. Ärgerlich ist die Veröffentlichungspolitik, bei der man es sich immer weiter mit der schrumpfenden Schar von Tonträger-Käufern verscherzt. Während PORCUPINE TREE ihr Album gleichzeitig in verschiedenen Versionen auf den Markt brachten, was eine Wahl möglich machte, erschien von „Chimes At Midnight“ nur wenige Monate nach dem Originalalbum eine Expanded Edition mit fünf(!) starken Bonustracks.
So verprellt man seine Interessenten.
Im Kino erledigte das über lange Zeit Corona. Und für mich und viele andere ist die Veränderung der Kino-Kultur hin zu einem umfassenden Event mit dauerhafter Fress-, Smartphone-, Trink-Begleitung und damit verbundenen Toilettenbesuchen ein Verweigerungsgrund.
Ist anscheinend schwer, Konzentration, Mund und Wasser eine ganze Filmlänge halten zu können. Von konzertierten Störaktionen irgendwelcher TikTok-Deppen ganz zu schweigen. Die Kino-Magie verflüchtigt sich ins Nichtige, was dazu führte, dass ich 2022 nur einen einzigen Film im Kino gesehen haben. Und das gleich im Januar.
Guillermo del Toros „Nightmare Alley“, die zweite Adaption des Romans von William Lindsay Gresham ist ein visuell ansprechender, passend düsterer Noir, ausgezeichnet besetzt und gespielt. Der Film leidet allerdings unter einer weitverbreiteten Krankheit des aktuellen Filmschaffens: Er ist mit 150 Minuten viel zu lang (Die erste Verfilmung von 1947 beschränkte sich auf, damals exorbitante, 110 Minuten).
Der Plot, und die nicht ganz so schwer zu entschlüsselnden Twists tragen neunzig Minuten locker, alles darüber hinaus ist Ignoranz gegenüber filmischer Ökonomie. Trotzdem eines der besseren Werke in del Toros Agenda der jüngeren Zeit.
Sein „Cabinet Of Curiosities“ blieb trotz hochinteressanter Regisseur*innen eine müde Angelegenheit mit wenigen Ausreißern nach oben. Besser als die unsäglichen „American Horror-Stories“, aber das will nichts heißen.
Weitere filmische Glanzpunkte:
Ein Highlight des Jahres gab es gleich zu Beginn. Brandon Cronenberg (richtig, David Cronenbergs Sohn) schuf mit „Possessor“ (der 2021 noch in der Warteschleife steckte) einen so intensiven wie verstörenden Psycho-Horror-Tripp. Mein Fazit: „“Possessor” ist ein kunstvoller, zwischen Meditation und psychedelischem Schlachtfest angesiedelter Trip zum Ende der Menschlichkeit. Gefühle und Bewusstsein sind austauschbar, Individualität kaum ein Schimmer in glitzernden Oberflächenreizen. Die Welt ist ein Modell, das Geschäftemacher untereinander aufteilen.“ Der Soundtrack ist ebenfalls highly recommended.
Alex Garlands „Men“ ist eine Mischung aus Gesellschaftskritik, Folk-, Slasher-Horror und Mindfuck. „Men“ beinhaltet Beziehungsdrama, Satire, Psycho-Thriller und blutigen Body-Horror als sperriges Gesamtpaket.
Ein Meta-Film, wie auch Jordan Peeles „Nope“, der wieder geschickt zwischen Horror, Science Fiction und Satire pendelt, dabei gespickt ist mit filmhistorischen Verweisen.
Kaum eine Jahresbestenliste kommt an „Everything Everywhere All at Once“ vorbei, so auch diese nicht. Bereits wegen der Besetzung mit Michelle Yeoh und Jamie Lee Curtis (direkt der Beamtenhölle entstiegen) ein Muss, überzeugt der Film auch als relevantes Multiversumsspektakel.
Im Gegensatz zu „Dr. Strange In The Multiverse Of Madness“, das, von einigen selbstreflexiven Sam Raimi-Momenten abgesehen, ein blutleeres CGI-Gehampel blieb. So seelen- und gehaltlos wie die meisten Marvel-Werke der letzten Jahre. Der Film ging zudem sehr liederlich mit dem eigenen Personal um.
Während sich das MCU im Fernsehen unterhaltsam zeigt (von „Moon Knight“, zwischen Langeweile und Hyperaktivität schwankend, abgesehen), bleiben die Kinofilme bestenfalls Zeitvertreib für einen regnerischen Sonntagnachmittag.
Besonders erfreulich und trickreich war das Horror-Genre mit ganz unterschiedlichen Gewächsen. „X“ beginnt als ironisches Spiel mit Erwachsenenfilmen und wird zum leichenreichen Backwood-Slasher mit Pfiff und sehr originellem Killer.
„The Innocents“ wagte sich, hervorragend gefilmt, in die bisweilen tödlichen Untiefen der Kindheit. Magischer Realismus vom Feinsten.
„Barbarian“ schließlich war ein außergewöhnlich spannendes Ereignis zum Jahresabschluss. In Deutschland leider nicht im Kino gelaufen, spielt der Film mit Erwartungen, bricht und bedient sie gleichzeitig gekonnt. Nicht nur von der Erzählstruktur her transportiert Regisseur Zach Cregger Alfred Hitchcock stilvoll in die Gegenwart. Und liefert nebenbei Bilder einer nicht nur sozial zerfallenden Zivilisation. Das überbordende Grindhouse-Finale, mit einigen der wenigen sehr blutigen Sequenzen, dürfte die Geschmäcker teilen. Zach Cregger darf das. Weil er es kann.
Mein TV-Höhepunkt waren „Die schwarzen Schmetterlinge“. Ein französische Produktion, die wild und visuell artistisch Psychothrill, Surrealismus und Giallo verband, dabei gleichzeitig als eine Reflexion über Erzählen und Wahrnehmen taugte. Obendrauf versehen mit einem traumhaften Soundtrack.
„Wednesday“ machte überwiegend Spaß, zumindest in den von Tim Burton inszenierten Episoden. Der Mystery-Anteil blieb unausgegoren und zu durchschaubar, die Monstereffekte waren stellenweise Power Rangers-würdig und in den letzten drei Folgen war das Ganze eher eine Art Addams-Familienbesuch in Hogwarts. Aber hey, „Wednesday“ hat die wunderbaren Jenna Ortega (auch in „X“ sehr experimentierfreudig dabei) UND Christina Ricci an Bord.
Die Miniserie wurde rasend schnell zum Medienhype, inklusive unzähliger überflüssiger Tanzvorführungen bei TikTok. Aber hey…
Heimisch geriet ich schnell wieder in der „Umbrella Academy“, die ebenfalls ihr Multiversum beherrschten.
„Reacher“ bot solide Kost und mit Alan Ritchson, nach dem Gernegroß Tom Cruise, endlich einen amtlichen Jack Reacher-Darsteller vorzuweisen hatte. Die Verfilmung des ersten Lee Child-Romans verriet die Vorlage nicht, blieb lakonisch und kantig. Besetzungstechnisch war das insgesamt eine Freude, mit Sonderlob an die bezaubernde und schlagkräftige Willa Fitzgerald.
Ansonsten gehörte das Jahr eher Aufholterminen. Viel Spaß mit elf Staffeln „Modern Family“ gehabt, „Superstore“ neigt zwar zu arg hohem Fremdschämfaktor, ist aber eine der besten, bittersten Betrachtungen über die ausbeuterischen Machenschaften von Großfirmen und dabei urkomisch.
„Gotham“ gefiel als ansprechend besetzter, visuell finsterer Noir, in dem Ben McKenzie aka Jim Gordon mit einer Handvoll Verbündeter gegen die Organisierte Kriminalität kämpft. Taugte ebenfalls als DC-Origin-Serie, wenn auch der juvenile Bruce Wayne einem gehörig auf den Senkel gehen konnte. Das entschärften Catgirl Camren Bicondova und Sean Pertwee als wehrhafter Butler und Ersatzvater Alfred. Jeden Penny worth.
Literarisch beschäftigten mich einige Zeit ein Buch, das nicht erscheinen wird und eines, dass erst im Herbst 2023 veröffentlicht wird. Daneben blieb die Leseauswahl überschaubar. Zu den Tops gehören:
Willi Achten – „Rückkehr“. Wenn Amazon mich zitiert, darf ich das auch: „Willi Achtens Roman ist ein melancholischer Rückblick auf etwas, das nie existierte. Die Sehnsucht nach Neuanfängen gepaart mit Verlustängsten. Eine ungesunde Kombination. Ein Text, so leise wie faszinierend, der einen reißenden Fluss als idyllischen Bergbach tarnt.“
Terry Miles – „Rabbits – Spiel um dein Leben“. Und wieder ein Multiversum. Donnie Darko irrt in Twin Peaks durch die Pforten der virtuellen Wahrnehmung. So in etwa. „Rabbits“ vereint gekonnt Mystery- mit Verschwörungsthriller, angesiedelt in High Tech-Universen, die von einer nicht allzu fernen Zukunft erzählen. Basiert auf Terry Miles eigenem Rabbits“-Podcast. So können großangelegte Verschwörungsmythen gefallen. NUR so.
Mechtild Borrmann – „Feldpost“. Auf Borrmann ist Verlass. Sprachlich gelingt ihr wieder die Kombination von Poesie und Effizienz. Sie kann mit wenigen Sätzen eindrücklich skizzieren, was anderen Autor*innen nicht über mehrere Seiten gelingt. Kompetent entwickelte Charaktere, überzeugende Handlung, die das Grauen des Dritten Reichs nachdrücklich schildert und in der Gegenwart weiter schwelen lässt. Mit der Chance auf Verarbeitung. Spannend, klug und im besten Sinne lehrreich (ohne erhobenen Zeigefinger).
Etwas älter, aber unbedingt einen Lesetipp wert: Kanae Minatos „Geständnisse“. Kongenial 2010 verfilmt von Tetsuya Nakashima nach einem Drehbuch der Autorin. Das Buch erschien auf Deutsch 2017 und schildert aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte einer nachvollziehbaren Rache, die aus dem Ruder läuft.
Statt einer erlösenden Katharsis entwickelt sich eine Eigendynamik, die Todesopfer fordert. Ein furioser Abstieg in eine Hölle, die nicht nur die anderen sind. Die bildgewaltige Verfilmung erfasst die Essenz des Romans, ohne ihm sklavisch zu folgen. Zwei Wunderwerke.
Das nachfolgende „Schuldig“ (mehr Romane sind von Minato leider nicht auf Deutsch erschienen) bewegt sich auf ähnlichem Terrain, ist immer noch lesenswert, aber deutlich schlichter und damit schwächer.
Trotzdem würde ich gern mehr von Minato lesen.
Meine kleine popkulturelle Nabelschau darf nicht ohne die Erwähnung einer starken Frau, mit der ich viel zeit verbracht habe. Mit Aloy durch „Horizon Forbidden West“ zu streifen war das reine Vergnügen. Eine wohl austarierte Spielmechanik und -dynamik, atemberaubende Grafik und eine solide Geschichte ergaben ein Videospiel-Highlight der besonderen Art. Mehr brauchte ich an der Konsole 2022 nicht.
Zum Schluss noch ein bisschen Eigenwerbung:
Die Arbeit auf und mit http://www.Booknerds.de war 2022 ebenfalls ein Hort der Freude. Chris Popp hat mit Dominic Schlatter einen ebenso würdigen wie engagierten Nachfolger als Chefredakteur gefunden, unter dessen Ägide ein monatlicher Redfaktions-Chat eingerichtet wurde und das Team quantitativ wuchs und qualitativ überzeugte.
Besonders freut mich, dass meine ehemaligen „Couch“-Kollegen Eva Bergschneider und Jörg Kijanski ebenfalls für Booknerds schreiben. Tolle Arbeit leistete auch Sarah Teicher (aka Sari Sorglos), die die sozialen Netzwerke mit positiven Inhalten pflegt (gibt es eh zu wenige von) und mit ihrer Kollegin Mariann Gaborfi den feinen Podcast „Autorinnen im Porträt“ am Start hat, der sich auch auf und via Booknerds finden und hören lässt. Lohnt sich. Wie das gesamte Booknerds-Programm mit Besprechungen quer durchs kulturelle Schaffen.
Ich habe 2022 sogar ein LP-Review geschafft. „Bleed’n’Blend“ der Isländerin KJASS wird hiermit vollumfänglich empfohlen. „KJASS weiß, wie man einnehmende Melodien schreibt und atmosphärisch vorträgt, während ihre Mitstreiter so kompetent, wie gefühlvoll zwischen Pop, Jazz, Folk und angrenzenden Genres wandeln.“ Lest den Rest (und auch meine anderen Betrachtungen zu Film, Fernsehen und Literatur) gerne selbst. Würde mich freuen.
2022 ist vorbei, und das ist verdammt gut so. Leider bin ich skeptisch, was 2023 angeht. Aber wie zitiert Martin Compart Urban Priol am Telefon so gerne wie treffend: Es kann immer noch besser als 2024 werden. Hauptsache, der kotzende Kerl ist weg.
Filed under: Dr. Horror, Film, Rolf Giesen, Sekundärliteratur | Schlagwörter: Dr.Horror, Film, Rolf Giesen
Er wirkt wie ein liberaler Evangelist, aber er sagt treffende und kluge Analysen.
Filed under: Film, Politik & Geschichte, Spythriller, thriller | Schlagwörter: Film, GNADENLOS, Polit-Thriller, Shawn Ryan, Stefano Sollima, Taylor Sheridan, Tom Clancy, WITHOUT REMORSE
Als russische Soldaten seine Familie als Vergeltung für seine Beteiligung an einer streng geheimen Operation der Navy SEALs töten, verfolgt Sr. Chief John Kelly die Mörder. Er tut sich mit seiner Kollegin Karen Greer und dem CIA-Agenten Robert Ritter zusammen. Hierbei kommt er unbeabsichtigt hinter das Geheimnis einer Verschwörung, die versucht, die USA und Russland in einen Krieg zu verwickeln. Kelly ist zwischen dem Pflichtgefühl, seine Familie zu rächen, und der Loyalität gegenüber seinem Land hin und her gerissen.
Der Film GNADENLOS (WITHOUT REMORSE) basiert auf Clancys Roman von 1993 WITHOUT REMORSE, der den Vietnamkrieg als Hintergrund hat und John Clark als spin-off in das Jack Ryan-Universum einführt. Das zehn Jahre alte Drehbuch war von Shawn Ryan (THE SHIELD) geschrieben worden und wurde von Taylor Sheridan (WIND RIVER, YELLOWSTONE) überarbeitet.
Tom Clancy hätte wahrscheinlich einen Infarkt bekommen, hätte er diese düstere Interpretation seines Werkes noch erlebt! Denn vom Superpatriotismus seiner Bücher – Trump wäre sicherlich Clancy-Fan, wären die Romane nicht zu anspruchsvoll für ihn – bleibt in diesem düsteren Film nicht viel übrig.
Ich lasse mich sogar zu der kühnen Bemerkung hinreißen: Clancy goes noir!
Der Film kommentiert die zunehmende Spannungserhitzung der USA/des Westens und Russlands. Um die innerlich gespaltenen US-Staaten wieder zu einen, bedarf es wieder eines großen, mächtigen Feindes, denn „nicht die Militärs haben den 2. Weltkrieg oder den kalten Krieg gewonnen, sondern die Ökonomen. Der beste Feind, den wir je hatten, war die Sowjetunion. Mehr Panzer, mehr Waffen – das hat die Ökonomie stark gemacht und uns wohlhabend“, so Guy Pearce als Secretary Clay.
Dafür müssen dann auch eigene Delta Force-Soldaten, CIA-Agenten und ihre Angehörigen über die Klinge springen. Denn im Film provozieren die Mächtigen der USA nicht mit der Einkreisungspolitik der NATO die Russen, sondern durch getürkte Kommando-Unternehmen, die in beiden Ländern breite Blutspuren hinterlassen.
Atemberaubend glaubwürdig gefilmt durch Regisseur Stefano Sollima (GOMORRAH) sind besonders die unrealistischen Action-Szenen (die den Großteil des Films einnehmen). Seine bösartige Adaption zeigt beeindruckend den aktuellen zivilisatorischen Zustand der kapitalistischen Machteliten.
Gut, das es noch Filme, Romane oder TV-Serien gibt, die nicht behaupten, was Amerika sein könnte, sondern was es ist.
Filed under: Film, Rezensionen, Sternstunden der Verblödung | Schlagwörter: Christian Keßler, Film, Hollywood Blackout
In Hollywood Blackout widmet sich Filmautor Christian Keßler der ebenso hartgesottenen wie vielfältigen Tradition des klassischen Noir-Kinos der USA, die von etwa 1940 bis 1960 währte. An der Seite von Legenden wie Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Burt Lancaster, Ava Gardner und vielen anderen durchstreift er die dunklen Bezirke von Hollywood, wo Gesetze nichts wert sind und Menschenleben noch viel weniger. Über 27.000 Minuten aufregenden Kinos werden besungen. Viele dieser Minuten können Leben verändern. Manche können sie auch beenden. Ein tiefschwarzer Reigen der Gangster, der Gestrauchelten und der Geläuterten, zeitlos und wunderschön.
Christian Keßler
Hollywood Blackout
Sternstunden des amerikanischen
Noir-Kinos 1941–1961
376 S., geb. Hardcover, farb. Abb.
ISBN 978-3-927795-90-7
Euro 35,00
Ich wollte dieses Buch mögen!
Denn beim ersten in-die-Hand-nehmen beeindruckt es sofort durch optische und herstellerische Qualität.
Aber dafür ist es leider zu textlastig und die unfreiwillige Komik des Autors trägt natürlich nicht über lange 370 Seiten.
Bestes zuerst: Das Buch ist gespickt mit Farbillustrationen (farbige Filmplakate zu jedem Artikel) und Schwarzweiß-Abbildungen in bester Druckqualität. Außerdem behandelt es zahlreiche Filme der Epoche, die man nie oder selten zu sehen bekommt. Leider gibt es zu keinem Film eine auch nur rudimentäre Credit-Leiste (aber die Credits könnte man sich im Netz oder aus Standardnachschlagewerken parallel zur eventuellen Lektüre zusammensuchen; doch selbst die ausführlichsten Stabangaben hätten das Buch nicht retten können).
Die Gestaltung von Jürgen Frohnmaier ist atemberaubend schön. Optisch ist das Buch ein Prachtband, der in jede Bibliothek mit Sekundärliteratur zum Noir-Film gehören sollte, wären da nicht diese Texte, die kein Lektor hätte retten können, bedauerlich in ihrer pubertären Ich-Bezogenheit voller ungeschickter bis mehr als peinlicher Formulierungen.
Die subjektivistische Herangehensweise ist – um es im Jargon des Autors zu sagen – meine Sache nicht. Dadurch strotzen die Texte von unfreiwilliger Komik und es wimmeln nur so von nicht belegten subjektiven Behauptungen. Des Weiteren erinnert der ungeschickt flapsige Stil an Schülerzeitungs- oder Fanzine-Besprechungen aus längst vergangen Zeiten:
„Das Drehbuch von Sydney Boehn und Melvin Wald (beide Könner!“ (The Undercover Man))
„…niemand hält es für nötig, ihm Geld abzugeben, denn alle gehen davon aus, daß er schwer Dresche bezieht.“ (The Set-Up)
„Eine gewohnt saubere Fox-Verfilmung von Chandlers THE HIGH WINDOW, die sicherlich nicht die umwerfende Qualität der beiden Laird-Cregar-Lattenkracher von Brahm erreicht… Montgomery war ursprünglich ein Boxer gewesen. Sein Gesicht wurde ihm aber scheinbar niemals zerdellt, denn er stellte es eine ganze Zeit lang für die Fox zur Schau, später für Columbia wobei er meistens auf Western und Kriegsfilme spezialisiert war.“ (The Brasher Douboon)
„Keine Ahnung, wie man ausgerechnet zur Hohezeit der Kommunistenhatz in Hollywood auf den Gedanken kommt, diesen Film zu drehen, aber er ist wirklich ganz hervorragend.“
„Die meisten Schauspieler sagen mir nichts.“ (Cry Venegeance)
„Obwohl die Landschaft frei ist von Hindernissen, die den Blick verstellen könnten, handelt es sich um ein Kammerspiel;“ (Bad Day at Black Rock)
„(=ein atemberaubend aufspielender Richard Conte, der seine Dialogzeilen sanft, aber ungeheuer bedrohlich formuliert, wie Garben aus einem schallgedämpften Maschinengewehr)“ (The Big Combo)
„THE BIG COMBO ist ein beinharter Thriller, der nicht nur eine ungewöhnliche Folterszene per Hörgerät enthält, sondern einige Tabubrüche launig zelebriert.“
„Berühmt wurde eine Szene, in der Conte erst der Wallace mit Gewalt einen Kuß aufzwingt, dann aber – wenn er merkt, daß sie `reagiert´ – vor ihr langsam auf die Knie geht. Warum er das macht, werden wir wohl niemals erfahren, aber auch im Jahr 1955 wird es bereits Oralsex gegeben haben.“ (The Big Combo)
„Der mit Abstand beste Republic-Film, den ich jemals gesehen habe… Mit Sicherheit nicht für jedermann, aber Jedermann kann mir im Mondschein begegnen.“ (Moonrise)
„Im Verbund mit dem niedergeschlagenen Grundton der Story wirkt sie merkwürdig traurig, und es sollte auch der letzte Film der Schauspielerin sein… doch der Tiefpunkt ihres Lebens blieb noch zu ergründen. Die Suche wurde begleitet von massivem Alkoholabusus, unzähligen falschen Männern… Mit 39 Jahren fand ihr Martyrium ein Ende am Boden eines Badezimmers.“ (Murder Is My Beat)
„Für sich gesehen ist KISS ME DEADLY ein ziemlicher Kracher und wohl mein Lieblings-Hammer.“ (Kiss Me Deadly)
„In vielen seiner Drehbücher baute Fuller irgendwo eine Figur namens Griff ein, als Held oder Edelstatist. Warum er das tat, entzieht sich meiner Kenntnis.“ (House of Bamboo) 1)
„…doch am Schluß ist auch hier das Heim eine uneinnehmbare Festung, umschmeichelt von David Manafields lieblicher Musik.“ (The Desperate Hours)
„Der in Australien geborene John Farrow muß wohl so eine Art `Renaissance Man´ gewesen sein, der kaum etwas in seinem Leben ausließ. So begleitete er auch schon mal wissenschaftliche Expeditionen in unwirtliches Gebiet. An seiner Seite hatte er die wunderschöne Maureen O´Sullivan, die ihm sieben Kinder gebar. Darunter befand sich Mia (die an Woody Allen geraten sollte), aber auch Tina (die an italienische Zombies geraten sollte).“ (The Big Clock)
So läuft das ununterbrochen über 370 Druckseiten. Man kann das Buch aufschlagen, wo immer man möchte, und findet umgehend solche Stilblüten (um es freundlich zu formulieren). Die Beispiele wurden systemlos herausgegriffen (und vieles noch blöderes wahrscheinlich übersehen). Der Autor kriegt kaum einen geraden Satz hin. Das hat bei allem Amüsement auch etwas erschreckend Hilfloses, in diesem grundlos zelebrierten Selbstvertrauen.
Das er häufig bei den literarischen Vorlagen blufft (anscheinend weiß er nicht, dass der englische Begriff „Novel“ einen Roman und keine Novelle bezeichnet) – geschenkt.
Exzessive Subjektivität liest sich besser ohne inflationären Gebrauch von Personalpronomen. Die durchaus erkennbare Leidenschaft des Autors für sein Sujet überschreitet seine stilistischen Mittel.
Extrem peinlich ist im „Vorspann“ der Teil, in dem sich der Autor selbst (und in der misslungenen Diktion) als einen typischen hard-boiled-Priivate eye beschreibt, der zum Verfassen dieses Buches genötigt wird („Die düsteren Wolken schoben sich ineinander, als würden sie dafür bezahlt“). Sowas klingt zu vorgerückter Stunde bei Konzeptgesprächen in der Paris-Bar oder im Zwiebelfisch erstmal ganz witzig, sollte dann aber keinen Einzug ins Endprodukt halten.
Anschließend stolpert der Autor in einer Art Vorwort durch seine wirren Vorstellungen vom Film noir und was dieses Buch eigentlich soll: „Das Ziel von Hollywood Blackout ist es, ein Gefühl für diese Welt des Noir-Kinos zu vermitteln, in der eine gänzlich neue Sicht auf die Menschen und das Leben verhandelt wurde.“ So die Behauptung dieses Buches.
Der Autor sollte sein erstaunliches Vielwissen lieber auf Tresengespräche konzentrieren. Aber vielleicht hat er sich ja mit diesem Werk als Dozent für die Filmakademie Ludwigsburg qualifiziert.
Nach dieser anstrengenden Lektüre sehnt man sich nach Filmbesprechungen von Hans Gerhold um wieder ins geistige Gleichgewicht zurückzufinden.
Und eine Frage stellt sich: Hat ein Verlag nicht auch die Verpflichtung, einen Autor vor sich selbst zu schützen?
P.S.: Um den einstigen Ullstein-Vertriebschef Meier zu zitieren: „Es gibt keine negativen Kritiken, solange Autor, Titel und Verlag richtig geschrieben sind.“
1) Jochen König kommentierte zu FILMKRITIK BLACKOUT:
„Griff“ war ein Soldat, mit dem Samuel Fuller im zweiten Weltkrieg zusammen diente und der darin umkam. Die Namensnennung in Fullers Filmen ist eine Reminiszenz an den Mann. Das zumindest hätte man ganz leicht eruieren können. Sehr schade. Ich mag Kesslers Bücher eigentlich. Aber das klingt, als hätte er sich gewaltig überhoben.
Filed under: Backwood, Film | Schlagwörter: Backcountry, Backwood-Genre, Film
Es müssen nicht immer Kannibalen, Serienkiller oder durchgeknallte Faschisten sein, die für gute Laune im Backwood-Genre sorgen.
Seitdem wir durch permanente und kompetente Umweltzerstörung immer mehr Naturkatastrophen bewirken, dürften Filme wie BACKCOUTRY uns mit Freude oder Trost darüber erfüllen. Wer den Film gesehen hat, wird nicht mal mehr in den Stadtpark gehen wollen. Der Film thematisiert die tiefe Entfremdung von der Natur, begleitet von einer gleichzeitigen Arroganz urbaner Trottel.
Arrogant trampelt ein junges Paar durch einen wilden kanadischen Naturschutzpark (wahrscheinlich inzwischen abgebrannt). Alle Ratschläge des Rangers, bestimmte Pfade keinesfalls zu verlassen, schlägt das Männchen in den Wind um das Weibchen vermeintlich zu beeindrucken. Zuvor hat es in seiner Hybris auch heimlich dafür gesorgt, dass weder Karte noch Handy im Reisegepäck blieben. Alles läuft erstmal einigermaßen, obwohl sich das Männchen bald den Fuß verletzt.
Aber dann müssen sie auf einmal feststellen, dass sie sich hoffnungslos verirrt haben und auch Vorräte und Wasser knapp werden.
Als dann auch noch ein schlecht gelaunter Bär auf sie aufmerksam wird, geht die Party richtig los.
Backcountry – Gnadenlose Wildnis ist ein kanadischer Backwoodfilm von 2014. Geschrieben und gedreht wurde der Film von Adam MacDonald, der sich auf seine unglaubliche Hauptdarstellerin Missy Peregrym (REAPER, ROOKIE BLUE, FBI etc) und die Wildnis von Ontario verlassen konnte.
Robert Abele schrieb in der Los Angeles Times vom 26.März 2015:
„…eine atmosphärische Wildnis-Horrorgeschichte…. Was kann schon schief gehen, wenn sich zwei Menschen in einem Wald aufhalten? Horrorfilme, die in diese Überheblichkeit verliebt sind, haben verrückte Mörder, böswillige Außerirdische, sogar mythische Tiere vorgeschlagen. Drehbuchautor und Regisseur Adam MacDonalds moderat nervenaufreibender Wildnis-Thriller Backcountry erinnert jedoch mit grimmiger, grausiger Entschlossenheit daran, dass menschliches Versagen und pelzige, wilde, kaltblütige Natur alles ist, was man braucht, um … das Publikum ordentlich in Wallung zu bringen… Christian Bielz’ kunstvolle Kameraarbeit ist ein Plus, und MacDonald weiß, wie man ein Spannungsfeuer anfacht. Backcountry bringt unweigerlich einen Blutrausch mit sich, aber der Film findet atmosphärische Wege, um zu zeigen, wie sich die idyllische Ruhe bei einem Ausflug in die Natur in einen Überlebensalptraum für die Unvorbereiteten verwandeln kann.“
Zu sehen ist der Film, der bei uns nie in die Kinos kam, bei Amazon Prime.
… beruht auf ihrer an Dämlichkeit in der menschlichen Kulturgeschichte unübertroffenen Präsentation ihres Produkts. Die immer gleichen Floskeln, gepaart mit Nicht-Informationen, verhindern eine interessierte Ansteuerung. Über kurz oder lang wird sich neben digital-strukturellen Komfort (muss ich bei jeder Folge in folge einen Alterscode eingeben und kann „was bisher geschah“ nicht wegdrücken) daran mitentscheiden, welcher Streamingdienst erfolgreich im Markt sein/bleiben wird.
Momentan sind alle auf demselben Idiotenniveau.
Wahrscheinlich werden die deutschen Texte dieser zweizeiligen inhaltslosen Präsentationen nebenbei von Springer- oder Burda-Idioten, oder wie sie alle heißen, gemacht, immer auf der Suche nach einem Zubrot für ihre überflüssige Existenzsicherung.
Um einen Claim der webungsfinanzierten Verblödungssender zu zitieren: SO SIEHTS AUS:
„In dieser dauernd preisgekrönten Serie muss die Heldin alles geben um ihre Lieben/Menschheit/Kosmos/Haustier/Beziehung zu retten.“
„In dieser preiswürdigen Krimi-Serie wird die alleinerziehende/unter Schwachsinn leidende/gelähmte/hyperaktive Kommissarin in ihr Heimatdorf in der Nähe des Golf-Stroms versetzt, wo ihr Vater wohnt, und kommt einer unglaublichen Verschwörung auf die Spur.“
„Ausgezeichnet mit internationalen Preisen und voll mit großen Stars. Es steht schon fest: Es wird eine 2. Staffel geben.“
„Sie war eine erfolglose Influencerin, dann wurde sie von einem radioaktiven Buddhisten vom Mars gebissen, bekam Superkräfte und zeigte es allen.“
„In dieser unglaublich guten deutschen Serie, die es mit internationalen Standards aufnehmen kann und keinen Vergleich mit LINDENSTRASSE, BONANZA oder DER PATE 3 scheuen muss, wird ein fränkischer Transvestit Ministerpräsident und verirrt sich im Wald.“
„Eine Frau sucht sich selbst und findet die Autobahnausfahrt. Ab Freitag: die 5.Staffel.“