Martin Compart


KRIMI DES JAHRES 2017 by Martin Compart

In unregelmäßiger Folge nennen hier ausgewiesene Kenner des Genres einen Titel, der sie 2017 besonders beeindruckt hat. So wollen wir nicht das Weh beklagen, das die meisten Neuerscheinungen erzeugt haben, in ihrem erstaunlichen Niveau.

MARTIN COMPART
Die beste Neuerscheinung, die ich letztes Jahr gelesen habe, ist der zweite Roman des herausragenden Southern-Autors Michael Farris Smith.Sein Erstling, RIVERS, erschienen bei Heyne, ist bei uns völlig untergegangen und auch noch als eine Art SF verkauft worden. Dabei war es eher eine Horror-Noir-Quest. Mit DESPERATION ROAD schrieb er ein Meisterwerk, das Southern Noir mit poetischen Realismus verbindet. Die heimatlose Maben streift mit ihrer Tochter durch Mississippi um eines Tages in einem üblen Kaff zu landen. Ihre letzten Dollar gehen fürs Motel drauf. Nach elf Jahren Knast (weil er jemanden totgefahren hatte) kommt Russell in dieses Kaff, das seine Heimatstadt ist, zurück um von den rachsüchtigen Brüdern seines Opfers empfangen zu werden. Russel wird zusammengeschlagen und soll sich auf die ganze Wucht der Rache freuen… Maben wird vom Deputy vergewaltigt, den sie erschießen kann, bevor seine Kumpels zum Gangbang kommen. Und dann fängt endlich der Spaß an.

‚One of the best writers of his generation, Desperation Road may very well be his best work‘ – Tom Franklin

http://bittersoutherner.com/from-the-southern-perspective/politics/the-united-states-of-mississippi-michael-farris-smith

 

 

MiC:
Herr Compart bestand darauf, dass das Buch hierzulande zwischen Januar und Dezember 2017 erschienen sein muss. Der Monat wäre egal, das Jahr Pflicht.

Auf zwei gelesene Titel treffen o.g. Kriterien zu:

Antonin Varenne, Die Treibjagd, Penguin – dreckige Machenschaften in der französischen Provinz, jedes Arschloch kassiert mit, ein „Heimatkrimi“, der rockt.https://martincompart.wordpress.com/category/antonin-varenne/

Jérome Leroy, Der Block, Edition Nautilus – der Aufstieg einer nationalistischen Partei in Frankreich bis in die Hallen der Staatsmacht, erhellend, spannend, Parallelen erkennbar

In Frankreich bereits 2015 bzw. 2011 erschienen. Beide empfehlenswert.

Nicht den o.g. Kriterien entsprechend, dafür absolute Knaller, drei Sachbücher, die tief in die Mechanismen unserer Welt blicken, alle drei dazu „echte Spannungslektüre“:

The Killing of Crazy Horse, Thomas Powers – die feige Entsorgung eines dem System gefährlichen Helden. Powers ist u.a. der Autor eines Buches über Richard Helms (1979), das auch bei uns einiges Aufsehen erregte.

The Last Stand, Nathaniel Philbrick – Eitel-Custer als Prototyp des kapitalistischen Aufsteigers und PR-Profis in eigener Sache.

Heroes, Massmurder and Suicide, Franco Berardi – die neuen „Helden“ unserer kapitalistischen Realität werden im Titel verraten.

FRANK NOWATZKI:
„Krimi des Jahres“ klingt überkandidelt, „Krimi-Debüt des Jahres“ trifft es dagegen für meinen Geschmack schon eher, auf jeden Fall war er für mich mit seinem individuellen, literarischen Sound, der seinen amerikanischen Vorbildern wie Raymond Carver oder Barry Hannah in nichts nachsteht „die Überraschung des Jahres“. Wir sprechen von: Sven Heuchert mit „Dunkels Gesetz“. http://www.pulpmaster.de/wp/dunkels-gesetz-ein-interessantes-debuet-von-sven-heuchert/
Ich freue mich jedenfalls jetzt schon wie Bolle auf seinen neuen Storyband „Könige von nichts“, der im Frühjahr bei Bernstein erscheinen soll.

MYRON BÜNNAGEL
Dieses Jahr stand eher im Zeichen von abgegriffenen Taschenbüchern,
statt Neuerscheinungen. Aber eine gab es doch:

54 x 13 – Die Tour de France nach Jean-Bernard Pouy

Zwar von 1996, aber dieses Jahr in einer Neuübersetzung im egoth Verlag erschienen. Vier gnadenlose Stunden der Tour. Eine schonungslose Berg- und Talfahrt. /54 x 13/ bildet dabei das perfekt zusammengeschraubte Rennrad für diese Tour de Force.http://www.mordlust.de/jean-bernard-pouy-54-x-13/

Hanspeter Eggenberger:

Gar nicht so einfach dieses Jahr.
Der Hammer war nicht dabei.
Also:
Eine Wahnsinnsentdeckung hat das ausgehende Jahr im Krimibereich für mich nicht gebracht. Zu den Sachen, die ich sehr gerne gelesen habe, gehört insbesondere
Wallace Stroby: „Geld ist nicht genug“ (Pendragon),
der zweite Band der Reihe um Crissa Stone.
«Crissa zog sich die Skimaske über das Gesicht, trat auf die Kupplung des Schaufelladers und schaute über den Asphalt zum Geldautomaten hinüber und dem rotgeziegelten Bankgebäude dahinter.» Mit diesem ersten Satz ist man mitten drin in der Geschichte um die Berufskriminelle. Sie kommt ein bisschen rüber wie eine kleine Schwester von Parker, dem Helden der legendären Romanreihe von Richard Stark (bzw. Donald E. Westlake). Wie Parker geht es Crissa in dieser Geschichte, die vor allem von Treue und Verrat handelt, darum, das Richtige zu tun, auch wenn es illegal ist. Ganz auf der Höhe von Stark/Westlake ist der 1960 geborene Stroby nicht, aber das kann ja noch werden. Ich freue mich jedenfalls schon auf den nächsten Band, „Fast ein guter Plan“, der im kommenden Februar erscheint.


PETER HIESS
:

Sterben auf Italienisch/Tod auf der Piazza (metro/Unionsverlag)

Viel zu spät draufgekommen … also habe ich mit den zwei letzten Büchern der hervorragenden Aurelio-Zen-Reihe begonnen. Und die sind großartig! Alles andere als geschmäcklerische Literatur für sozialdemokratische Toscana-Rentner, sondern vielmehr witzige, gut erzählte Krimis um einen sympathischen (und angenehm unneurotischen) Ermittler, der als Polizist immer wieder an anderen Orten Italiens stationiert ist. Michael Dibdin nimmt verblödete Silicon-Valley-Millionäre, verstockt-verbrecherische Bergbewohner und verkokste Fernsehköche aufs Korn – und zeigt dabei nicht nur seine Liebe zum Land, sondern auch zum Krimi. Genau das zählt. Musste sofort die neun Vorgänger kaufen.


AMBROS WAIBEL:

Mir hat Sven Heucherts „Dunkels Gesetz“ am besten gefallen. Die Begründung steht (hoffentlich) hier:

http://www.taz.de/!5451251/

Und um es mit Heiner Müller zu sagen: Wenn ich es anders hätte sagen können, dann wäre ich nicht extra nach Siegburg gefahren. Ich freue mich einfach auf alles, was aus der Heuchertschen Werkstatt noch so kommen mag.


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