Martin Compart


DSCHUNGELFIEBER – GRAHAM GREENE IN AFRIKA by Martin Compart
12. März 2015, 5:49 pm
Filed under: Graham Greene, Politik & Geschichte, Rezensionen | Schlagwörter: , , ,

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Graham Greene gehört zweifellos zu den wichtigsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Er war ein Autor mit einer ungeheuren Spannbreite. Neben seinen Romanen, von denen nicht wenige als Polit-Thrillers zu bezeichnen sind, stechen besonders seine Reisebeschreibungen und journalistischen Arbeiten (etwa über die Mau-Mau) hervor. Zeit seines Lebens zog er durch die Welt, die er mit einem kritischen analytischen Blick beobachtete und sezierte. Diese Reisen verwertete er nicht nur journalistisch oder für Reisebücher, sie waren auch immer Auslöser oder Grundlage für Romane.

Ulrich Greiwe nannte ihn in seiner Studie, den „globalsten Autor, der je gelebt hat“ und „ein Genie des Mitgefühls“.

Oder wie es Greene in diesem Buch ausdrückt: „Von allen Menschen unterm Himmelszelt sind die am hoffnungslosesten, die einst am meisten gehofft, und die am elendsten, die am meisten geglaubt.“

Er war ein politischer Autor, der sich auch gerne direkt einmischte: einmal brachte er den Rebellen auf Kuba um Castro und Che Guevara einen Koffer mit Winterkleidung; bei Papa Doc Duvalier brachte er es auf die Todesliste der Tonton Macoutes. Die spanischsprachigen Tantiemen von MONSIEUR QUIJOTE spendete Greene der Guerilla von Salvador.

Nun ist endlich das Buch über seinen legendären 560-Kilometer-Fußmarsch durch Liberia erschienen. 1935 machte sich Greene zusammen mit seiner Cousine Barbara auf, um die weißen Stellen auf den Landkarten zu erkunden. Es war seine erste Reise außerhalb Europas – und Westafrika sollte ihn nie wieder loslassen (im Zweiten Weltkrieg war er in Sierra Leone chief of station für den britischen Auslandsgeheimdienst . Sein damaliger Vorgesetzter in London war Kim Philby): „…Wir tranken warmes, abgekochtes Wasser mit Whisky, und endlich begannen die Zeitlosigkeit, die Verantwortungslosigkeit und die Freiheit Afrikas auf uns überzugreifen.“
Auch seine Cousine Barbara schrieb ein Buch über diese Expedition, das in vielerlei Hinsicht Greenes nicht nachsteht (Im Hinterland – Barbara und Graham Greene in Liberia; Kirchheim, 2008).

Greene ist in früher Hochform: witzig, zynisch und mit seinem berühmten Blick für Fremdes, das doch nicht so fremd ist.
„Unsere heutige ist Welt offenbar ganz besonders empfänglich für Brutalität. Es liegt ein Hauch Nostalgie in dem Vergnügen, das uns Gangsterromane und Gestalten bereiten, die alle ihre Gefühle aufs angenehmste vereinfacht haben und sich nun wieder auf einem Niveau unterhalb der Benutzung des Großhirns befinden.“
oder:
„… die gleiche Art von Heldentum bei den ersten Siedlern, nämlich die typisch protestantische Eigentümlichkeit, Märtyrertum mit Absurdität zu kombinieren.“

Seine Reiseliteratur ist genauso eindrucksvoll, spannend und unterhaltsam wie seine Romane – voller witziger Beobachtungen, nie larmoyant, trotz vieler Strapazen, denen sich der Autor immer wieder aussetzte. Durch Liberia reiste er trotz aller Mühen doch relativ komfortabel als weißer Bwana, dessen Träger Whisky-Vorräte und eine Badewanne mitschleppen mussten.

Greene arbeitete zeitweilig als Filmkritiker und gehörte zu den literarischen Pionieren, die die Filmsprache für die Literatur nutzbar machten. So filmisch wie seine Romane – jedenfalls auf einer bestimmten Ebene – sind auch seine Reportagen und Reiseberichte. Er öffnet ein großes eindrucksvolles Panorama von Westafrika in den 1930ern. Er zeigt eine wilde Schönheit, die mehr und mehr schwindet, eine Naivität, die längst dem Zynismus weichen musste. Die physischen Anstrengungen erlebt man wie im Kino. Wenn man sich vorstellt, dass Johnny Weissmüller zur selben Zeit durch die TARZAN-Filme tobte, wird einem klar, wie wichtig Greenes Korrektur des Afrika-Bildes für breite Schichten gewesen sein muss. Denn 1936 war er bereits ein schlecht verfilmter Erfolgsautor.

Barbara und Graham

Barbara und Graham

Greene betrat Afrika in Sierra Leone, heuerte Träger an, fuhr nahe an die Grenze und machte sich auf seinen Marsch durch Leone und Liberia, durch einen Landstrich, dessen Boden in den 1990er Jahren Zentimeter für Zentimeter mit Blut durchtränkt werden sollte. Greene wechselte 1935 von Sierra Leone nach Liberia an derselben Stelle, an der 1991 die RUF in umgekehrter Richtung die Grenze zu überschritt, um Leone zu terrorisieren.

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Aber REISE OHNE LANDKARTEN (Liebeskind Verlag) ist ein Klassiker der Reiseliteratur. Mit Gedanken an diesen unfassbar brutalen Bürgerkrieg (denn die Kriege in Liberia und Sierra Leone waren im Grunde ein einziger Bürgerkrieg), hinterlässt die Lektüre einen melancholischen, aber auch schalen Geschmack. Aus der brutalen Wildnis Schwarzafrikas, die Greene noch erlebte, ist inzwischen eine brutale Jauchegrube geworden.

Wie viel von der Tragik Afrikas, die wir heute nicht mehr übersehen können, wurde schon im Kolonialismus angelegt. Szenen wie diese hätten auch aus dem Bürgerkrieg stammen können:

„Die Soldaten schlichen sich durch die Bananenpflanzungen an, die alle Eingeborenen Dörfer umgeben, und feuerten Salven auf die Hütten. Eine Frau, die am selben Tag von Zwillingen entbunden worden war, wurde in ihrem Bett erschossen, und die Neugeborenen kamen in den Flammen um, als das Dorf von den Truppen beschossen wurde… Ein Mann, der politischer Gefangener gewesen war, sagte aus, er habe Soldaten damit prahlen hören, sie hätten Kinder mit Macheten getötet und die Leichen dann in die brennenden Hütten geworfen…“

grahamg-2[1]Immer wieder gelingen Greene Momentaufnahmen, die vielleicht nicht von historischer Bedeutung sind, aber wenig bekanntes oder gar unbekanntes aus dem Nebel der Zeitgeschichte zerren: „Dr.D.s kläglicher und würdiger Tod, in den er offensichtlich bewusst gegangen war, brachte die Welt Hitlers, Dachaus, der Konzentrationslager und der Selbstgerechtigkeit der Nazis in diese entlegene Ecke Afrikas… Es gibt keine Beweise für die Absichten von Dr.D., aber es scheint offensichtlich, dass er nicht wünschte, nach Europa zurückzukehren, und lieber in Afrika sterben wollte…“

Die arrogante britische Kolonialmacht bekommt, wie bei Greene üblich, auch ihr Fett weg:

„Waren Sie schon einmal in Liberia?“ fragte ich.
„Nein, nein“, sagte der korpulente Mann, „wir lassen die hierher kommen.“

Tim Butchers AUF DER FÄHRTE DES TEUFELS (Malik Verlag, 2014) ist die perfekte Ergänzung zu den beiden genannten Büchern. Butcher war Kriegskorrespondent in Sierra Leone und Liberia während des Bürgerkriegs gewesen. Seitdem lässt ihn die dunkle Seite Schwarzafrikas nicht mehr los. In seinem Buch folgte er 2008 den Spuren von Graham Greene. Die Schrecken, die die beiden Länder in den letzten Jahrzehnten durchlebt haben, sind in seinem Buch noch gegenwärtig. Durch ein ausführliches Archivstudium hatte er vor Antritt seiner Expedition herausbekommen, dass Greene damals auch im Auftrag der Anti-Sklaverei-Gesellschaft seine Reise durch das noch weit gehend unerforschte Hinterland Liberias unternommen hatte. Auch das Außenministerium war informiert, Hintergründe, die Greene in seinem Buch nie erwähnt. Ein interessantes Detail: „Land im Dunkeln (so der Titel der Erstausgabe) enthält viele hilfreiche Einzelheiten der Reise, besonders in der Erstausgabe, ein Buch, das heute schwer aufzutreiben ist, da es kurz nach der Veröffentlichung 1936 aufgrund einer Verleumdungsklage eingestampft wurde. Die meisten Ausgaben heute enthalten Änderungen, die Graham Greene zehn Jahre später vornahm…“ Diese spätere Ausgabe ist identisch mit der vorliegenden von REISE OHNE LANDKARTEN. In Vergleich zu Butchers Horror-Trip war Greenes Reise, bei allen Widrigkeiten, ein spätviktorianisches boy-adventure, ein bisschen auch auf den Spuren Rider Haggards, der ein Lieblingsautor des jugendlichen Greene war.

Dieses Buch machte mir eines nochmals deutlich: Greene ist als Autor immer noch aktuell. Als literarischer Gigant steht sein Oeuvre wie ein Monolith in der Literaturgeschichte.
Dieser meistgereiste Schriftsteller aller Zeiten hat der Welt immer noch eine Menge mitzuteilen. Die Mechanismen der Ausbeutung haben sich geändert, eher verschärft, aber ihre Gründe sind dieselben geblieben und ihre Drahtzieher sind nach wie vor die üblichen Verdächtigen.

P.S.: Vielleicht ist das der Unterschied zwischen dem großen Stilisten Greene und dem größten Stilisten Fitzgerald: Bei Greene gibt es Lösungsmöglichkeiten, bei Fitzgerald nicht.

P.P.S.: Ich bitte zu würdigen, dass in diesem Sujet nicht einmal der Begriff „Herz der Finsternis“ verwendet wurde.


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[…] Total anglophile Links haben wir heute, merke ich gerade. Super. Dann passt Martin Comparts Empfehlung eines neuen Buchs über Graham Greene. […]

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