Martin Compart


JOCHEN KÖNIG ÜBER EINEN WESTERN VON ELMORE LEONARD by Martin Compart
8. Mai 2024, 12:06 pm
Filed under: Jochen König, Western | Schlagwörter: , , ,

Elmore Leonard – Letztes Gefecht am Saber River

Als der ehemalige Südstaatenoffizier Paul Cable mitsamt seiner Familie zum Ende des Sezessionskrieges auf seine kleine Ranch zurückkehrt, findet er sie von den Männern des Nordstaatlers Vern Kidston okkupiert vor. Der undurchsichtige Händler und Waffentransporteur Edward Janroe versucht Cable zu überzeugen, Kidston und seinen Bruder Duane zu töten. Cable ist skeptisch und verweigert sich der Manipulation.

Doch als er die Hausbesetzer vertreibt, ist ein gewalthaltiger Konflikt vorprogrammiert, ein finaler Showdown zwischen Paul und Vern scheint unvermeidlich. Der Ränkeschmied Janroe scheint zu triumphieren. Dann endet allerdings der Bürgerkrieg. Mit der Niederlage des Südens und dem Friedensschluss ändern sich die Verhältnisse schlagartig, und es darf bezweifelt werden, ob alle Protagonisten eine Zukunft besitzen.

Herausgeber ‏ : ‎ Liebeskind; Deutsche Erstausgabe Edition (4. März 2024)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Übersetzer: Florian Grimm
Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 256 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3954381761
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3954381760
Originaltitel ‏ : ‎ Last Stand at Saber River

Elmore Leonard reichen eine Ranch und ein Gemischtwarenladen samt angrenzendem Gebiet für eine dramatische Auseinandersetzung. Dass er den Umgang mit überschaubaren Schauplätzen exzellent beherrscht, zeigt auch sein 1961, zwei Jahre nach „Last Stand At Saber River“, entstandener Roman „Hombre“, den Martin Ritt 1967 zu seinem erfolgreichsten Film (mit Paul Newman in der Titelrolle) verarbeitete.

Doch während der „Hombre“ Russell aufgrund seiner indigenen Verbindungen ein geringgeschätzter Mann innerhalb eines rassistischen Umfelds ist, möchte der dekorierte Ex-Soldat Paul Cable sein Leben inmitten einer Gemeinschaft, die er kennt, wieder aufnehmen. Doch wie so oft kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.

Wobei die Fronten gar nicht klar verteilt sind. Leonard ist ein zu geschickter und intelligenter Erzähler, um bloßes Schwarzweiß-Denken die Oberhand gewinnen zu lassen. Cable ahnt schnell, dass er und Vern Kidston sich nicht als Feinde gegenübertreten müssten. Doch Kidstons Männer verfolgen ihre von Rachsucht geprägten eigenen Pläne, während der etwas tumbe Duane Kidston von allen Seiten beeinflusst wird. So auch von seiner Tochter Lorraine, die die Rückkehr der Familie Cable auf ganz spezielle Art torpediert. Neben der Vermittlerin Luz und der wehrhaften Martha Cable, eine von drei starken Frauenfiguren des Romans. Bei Elmore Leonard alles andere als Staffage. Ungewöhnlich genug für das Jahr 1959 in einem Genre, das eigentlich als reine Männerdomäne gilt. Leonard weiß, dass eine Männerwelt ohne Frauen ein Nichts ist.

Der mysteriöse Edward Janroe möchte ein großer Manipulator sein, der alle Seiten um des eigenen Vorteils willen gegeneinander ausspielt. Das ins Negative gekehrte Pendant zu Toshiro Mifunes „Yoyimbo“ und Clint Eastwoods schweigsamem Fremden in „Eine Handvoll Dollar“. Janroe stilisiert sich zum patriotischen Südstaaten-Kämpfer, ist aber nur ein skrupelloser Kriegsgewinnler, der über Leichen geht, um seine Ziele zu erreichen. Zugleich – und damit ganz nahe an der modernen Politik – arbeitet er hinterhältig mit Fake News. So verschweigt er das Kriegsende, weil es ihm ungelegen kommt.
Doch er hat die Rechnung ohne seine Gegenspieler gemacht. Denn denen gelingt etwas, dass oft in vermeintlicher Spannungsliteratur vermieden wird: Sie reden miteinander (wenn auch spät).

Erzählerisch ist „Letztes Gefecht am Saber River“ ein Genuss. Bereits der Einstieg ist große Kunst. Ein Mann beobachtet einen anderen bei Alltagstätigkeiten, die Erzählung bleibt gelassen, beinahe sachlich, doch gelingt es Elmore Leonard, ein Gefühl der Bedrohung zu vermitteln, welches die Entwicklung des gesamten Romans bestimmen wird. Hier gibt es keine künstliche Aufgeregtheit, kein aufgebauschtes Drama. Die Handlungsträger sind sich ihres Selbst, ihrer Motivation und grundlegenden Wesenszüge bewusst, Cable und Kidston denken nach, bevor sie handeln, ziehen daraus ihre Kraft und in entscheidenden Momenten auch ihre Ruhe. Dass ist bei Edward Janroe ähnlich, doch fehlen ihm ethische Ankerpunkte und Verantwortlichkeiten übers eigene Ego hinaus.

Timing spielt eine wichtige Rolle in Elmore Leonards Werken, so auch hier. Aktionen und Reaktionen bestehen aus Planung und Überraschungsmomenten, Phasen des Nachdenkens und Resümierens werden unterbrochen durch kurze, aber intensive Gewaltausbrüche. Bei denen immer die Frage im Raum steht: Wer kämpft aus welchen Beweggründen? Und ist dabei in der Lage, trotz heftig wallender Gefühle, die Ratio nicht auszuschalten. Könnte sein, dass dies ausschlaggebend ist, die Kampfzone lebend zu verlassen.

„Letztes Gefecht am Saber River“ nimmt viel vorweg, was später im Italo-Western folgen sollte. Die Lakonik, die präzisen Wechselspiele in Taten und Worten, die Vermeidung von Stereotypen, gerade in der Konstellation der Guten, Bösen und Hässlichen, den konsequenten und wohlüberlegten Einsatz von Gewalt und die Leidensfähigkeit der Hauptfigur, im Wissen um ein hehres Ziel.

Was den Roman vom italienisch-spanischen Kino unterscheidet ist die Abwesenheit von Zynismus und Nihilismus. Ein wenig Sarkasmus sitzt allemal drin, aber am Saber River wissen sie, was sie tun. Und warum.



Alexander Preuße über „DANDY IN ASPIK“ by Martin Compart
5. Mai 2024, 12:49 pm
Filed under: Derek Marlowe, Elsinor Verlag | Schlagwörter: , , ,

https://schreibgewitter.de/?p=5000



WEISE WORTE von der FDP by Martin Compart
25. April 2024, 11:21 am
Filed under: Ekelige Politiker, fdp, Weise Worte | Schlagwörter: , ,

„Wenn Bürgergeldempfänger von leistungslosen Einkommen leben wollen, dann sollen sie doch Aktionäre werden – wie andere Millionäre auch. Aber dazu sind sie natürlich zu faul.“

Warum muss noch für das Profit überflüssiges Leben interessieren? Das macht doch marktwirtschaftlich keinen Sinn. Und hält nur auf auf der „long Road to…“

Gäbe es die Parteien nicht, würde ich zum Nihilismus tendieren.



„ALLES FÜR CHINA!“ by Martin Compart

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„UND FÜR PUTIN! Lasst uns ihre Lakaien werden!“

„Die volle Idiotie meiner Partei ist vielen noch gar nicht bewusst. Wir ruinieren Ihren Verstand durch Aberglauben.“

„He! Das berührt aber die Kernkompetenz der FDP!“



ZU UNRECHT VERGESSENE SONGS by Martin Compart
19. April 2024, 2:55 pm
Filed under: Zu Unrecht vergessene Songs | Schlagwörter: , , ,

In Erinnerung gebracht durch ARTEs fantastische Serie MACHINE (Kill Bill meets Karl Marx).

PS: NEIN! Alles zurück! Wir müssen jeden Server sprengen, durch den die Serie erreichbar ist! Denn die weiße Protagonistin hat sich nicht nur Dreadlocks kulturell angeeignet, sondern auch noch Kung Fu !
Sowas hätte sich nicht mal Söder getraut.



EASTENDBALLADE – DIE KRAYS 5/ by Martin Compart

Die Commercial Road macht ihren Namen alle Ehre.

Sie führt mitten ins Gewühl von Whitechapel und ist eine der großen Lebensadern des Eastend. Ein altes Manufakturgebäude hinter dem anderen. Hier schlägt das Herz der englischen Bekleidungsindustrie, heute fest in der Hand von Indern, Pakistani und einigen schwerreichen britischen Mogulen.

An einer Bushaltestelle balanciert eine Farbige eine Waschmitteltrommel freihändig auf dem Kopf. Die alten mehrgeschossigen Häuser mit ihren ungepflegten Fassaden beherbergen Hunderte von Textilfirmen. Dazwischen mal ein ungehöriger Neubau, auch verlassene Fabrikgebäude mit eingeschlagenen Fenstern.
An den mit Paketen und Papp-Containern vollgestopften Bürgersteigen werden riesige LKWs be- und entladen. Die Straße ist ein einziges Textillager. Hunderte Ausgänge führen auf unübersichtliche Hinterhöfe und in kleine dunkle Gassen. Die Gegend ist nicht kontrollierbar. Ein Alptraum für jede deutsche Behörde, deren Beamte man hier ihre Strafzeit nehmen lassen sollte.
Für Krimiautoren der harten Schule so etwas wie Disneyland. Ein düsteres Labyrinth, in dem der hässliche Kapitalist der Minotaurus ist.

Rechts war die schmale, wenig einladende Duval Street, die leider einem Gebäudekomplex weichen musste. Früher hieß sie Dorset Street, und Detektivsergeant Leeson schrieb 1934 in seinen Memoiren LOST LONDON: „Es bleibt offen, ob die Dorset Street oder der Ratcliffe Highway die Ehre für sich in Anspruch nehmen konnte, die schlimmste Verbrecherstraße Londons zu sein. So mancher Konstabler, der einen fliehenden Verbrecher verfolgte, gab die Jagd auf, wenn sich der Missetäter in den Schutz der Dorset Street begab.“

In der schmalen Passage Miller’s Court, kurz bevor die Duval Street in die Crispin Street mündete, metzelte Jack the Ripper Mary Jane Kelly nieder.

Die alte Kneipe Ten Bells steht noch an der Commercial Street. Hier nahm die arme Mary Kelly ihren letzten Gin, bevor sie dem Ripper begegnete. Die Gegend von Commercial Road bis Brick Lane im Osten und Whitechapel Road im Süden heißt Spitalfields. Noch bis zur Jahrhundertwende der schlimmste Slum der Welt, Ort furchtbarster Armut und schrecklichster Verbrechen.

Als Charles Booth 1889 seine berühmte Armutskarte von London entwarf, zeichnete er Spitalfields schwarz, um es als „sehr arm, unterste Schicht, lasterhaft, halbverbrecherisch“ zu bezeichnen. Wenn man heute die Gegend nachts durchwandert, scheint man immer noch, kaum überdeckt, den Geruch von Armut und üblen Lastern zu riechen. Als wäre Spitalfields wirklich ein verfluchter Ort.
Tagsüber ist das etwas anderes. Eher, als würde man in der Kulisse eines Gangsterfilms herumwandern. Das eifrige Treiben der Textilfirmen beim Beladen der Laster hat irgendwas illegales. Wie das Schnapsverschieben während der Prohibition.
Hergestellt werden sowohl teure Modefähnchen für die Boutiquen Europas, wie billigste No-Name- Produkte, zusammengeschustert von kleinen Firmen, die Tausende von Asiaten in schmutzigen Löchern für kargen Lohn schuften lassen.

Der Einstieg ins Krays-County.

Die Winthop Street liegt hinter der Whitechapel Road. Unvorstellbar. Hier lebt niemand. Die einzige Bewegung geht von einem Bagger aus, der einen Schrottplatz umpflügt. Selbst Hausbesetzer machen einen großen Bogen um diese Ecke. Hier gibt es genug Abrissarbeiten für die nächste Generation.
Früher hieß diese Gasse Buck’s Row und war eine der gemeinsten Hinterstraßen von Whitechapel. In ihr lag das berüchtigte Barbers Pferdeschlachthaus, und am 31.August 1888 fand man hier die Leiche von Mary Ann Nichols, Jack the Rippers erstes Opfer.

Zwischen Bethnal Green Road und Whitechapel Road breitet sich das ganze Spektrum des östlichen Londons aus: heruntergekommene Straßen neben gerade frisch renovierten. Und gegenüber von düsteren, in die Bahndämme gegrabene Autowerkstätten hat ein völlig durchgeknallter Architekt eine Zeile mit modernen Einfamilienhäusern hingesetzt, die in deutschen Vororten normalerweise unweit von Einkaufszentren zu finden sind.

In der nicht ganz so düsteren Cheshire Street, über die noch Pferdewagen jagen, entsteht ein riesiger, moderner Bürobau. Nichts passt hier zusammen und alles zusammen ist ein harmonisches Ganzes.

In einem der Häuser hatte George Cornell 1962 angeblich den Gangster Ginger Marks erschossen. Jedenfalls hat er das mal Ronnie erzählt, und Ginger Marks wurde auch nie wieder gesehen. Man steht davor und kann nicht einmal das Dezennium erkennen, in dem diese Straßen entstanden. Kein Problem, hier einen Film über Jahrhundertwende oder einen Gangsterfilm aus den 30er- oder 50er Jahren zu drehen.

Kurz vor der Ecke zur Tapp-Street hat man den Randstreifen mit Parkuhren bestückt. Vielleicht wurden sie vom Jugendamt als Trainingsgerät für die Streetfighter aufgestellt. Bevor es ans Renovieren geht, hat man jedenfalls schon mal die künftigen Parkplätze geregelt.

Wie sagte mir Gavin Lyall? „Überall nur Stückwerk. Da wird ein bisschen was gebaut und dort ein bisschen was renoviert. Aber es gibt keinen umfassenden Sanierungsplan.“ Gut so, mir gefällts. Wenn jemals deutsche Stadtplaner aufs Eastend losgelassen werden, sollten die Londoner gleich hinter Moorgate Pallisaden errichten.

Endlich bin ich in der Tapp Street.
Der legendäre Lion-Pub steht noch. Unverändert, direkt vor einer Bahnunterführung. Das war einer der großen Treffpunkte der Firma. In ihm verkehrten die Zwillinge seit frühester Jugend.

Am 9.März 1966 fuhr Ronnie in Begleitung der beiden Schotten Ian Barrie und John Dickson kurz nach acht von hier aus zum Blind Beggar, erschoss George Cornell und kam zurück, um zum gemütlichen Teil des Abends überzugehen. Reggie hatte mit ein paar anderen Firmenmitgliedern gesoffen, ohne zu ahnen, was Brüderchen eben erledigen ging.

Der Lion ist noch immer ein typischer Pub für die Anwohner. Ein kleiner Laden, der sich in den letzten Jahrzehnten nicht sehr verändert haben dürfte. An den Wänden Tapeten mit schwarzen Palmenblättern auf gelben Hintergrund. Ein altersschwacher Schäferhund sieht voller Milde und Weisheit den Stammgästen zu.
Der Tresen scheint neu, irgendein Hartplastik das an Marmor erinnern soll. Ungewöhnlich, aber nicht störend. Genau die richtige Höhe. Was für Profis – nicht irgendwelcher neumodischer Firlefanz. Der alte Wirt gibt mir mein Ruddles Best Bitter und kümmert sich um die beiden Stammgäste an der rechten Seite des hufeisenförmigen Schanktisches. An der linken Seite streitet sich ein Inder mit seiner englischen Freundin und gießt Gin Tonic in sich rein. Reggies Lieblingsgetränk. Typischer 60er Drink. Darf man heute eigentlich nur noch auf Borneo trinken, an einem wirklich schwülen Sommerabend. Oder wenn man im Eastend als Inder Krach mit seiner englischen Freundin hat. Furchtbares Gesöff, sollte aus ästhetischen Gründen längst verboten sein.

Dazu jault Johnny Cash ununterbrochen frühe Songs über Bahnarbeiter, Landstreicher und wie es immer die Besten zuerst erwischt.

Das Ruddles kommt gut. Ich kann mich unschwer zwanzig Jahre zurückversetzen. Arbeiter am Tresen, die sich hier von Job und Familie erholen. Lachen, Billardspiele und der Zigarettenqualm hängt so tief, dass man kaum noch die Pints erkennen kann.

Dann kommen Reg & Ron mit ihren Jungs durch die Schwingtüren. Großes Hallo. Zwei aus der Nachbarschaft, die es zu etwas gebracht haben. Die weder Familie noch ihre alten Freunde verleugnen und den arroganten Westendern die Kohle aus der Tasche ziehen. Gangster? Bei mir ist nichts zu holen. Harte Jungs, aber okay. Lokalrunden, und für ein paar zugeschüttete Stunden existiert nichts anderes im Universum. Jack London nannte die Kneipen die Klubs des kleinen Mannes. Wo sollte das mehr Berechtigung haben als in London, wo die vornehmen Westendklubs Jahresbeiträge kassieren, die für die Gäste des Lion einem Jahresverdienst gleichkommen.



Neben der Vallance Road verläuft heute (1990) eine gigantische Wiese bis zur Bahnunterführung, neben der einst „Fort Vallance“, wie das Haus der Krays im Volksmund hieß, stand. Genügend Platz für scheißende Hunde und Nachwuchskicker. Vielleicht ein Mahnmal für den Nachwuchs: Schlagt nicht den Weg der Krays ein, sondern tretet gegen den Ball, dann könnt auch ihr Gazzas werden. Das Chancenspektrum hat sich auch im Eastend erweitert: Neben Frohnarbeit, Berufsboxen und Gangster, kann man jetzt auch noch sein Glück als Fußballprofi, Schauspieler (Michael Caine, Terrence Stamp, Twiggy) oder Pop-Star versuchen.

Neben dem Bahndamm verläuft die Cheshire Street. An einer Ecke steht ein schmales, dreistöckiges Haus und beherbergt noch immer das Carpenters Arms. Dieser rotplüschige Pub war zeitweilig im Besitz der Krays. Hier ist noch nichts los; aus den Lautsprechern erklingt DAVY CROCKETT, KING OF THE WILD FRONTIER, 1954 ein echter Hit. Michael Jackson hat es nie bis ins Eastend geschafft. Auf dem roten Teppichboden suche ich nach alten oder neuen Blutflecken.

Am letzten Samstag im Oktober 1967 begann für Reggie Kray hier der Abend, an dessen Ende die Ermordung von Jack the Hat stand.

Die Cheshire Street endet an der Brick Lane, die südlich auf die Whitechapel Road stößt. Hier ist alles fest in asiatischer Hand. Imbissbuden, Curry-Restaurants und immer wieder Textilgeschäfte. Ecke Woodseer Street präsentiert sich die Firma Titash stolz als führender Spezialist für Hochzeitssarees. Und immer wieder halbverfallene Häuser, aus denen Ratten nach zwei Nächten entnervt ausziehen. Würde nicht die blutrote Eastendsonne am grauen Herbsthimmel versinken, könnte man sich angesichts des bunten Treibens wie in Kalkutta fühlen. Majestätisch stehen rechts als Monument höchster Qualität die Neu – und Altbauten der Black Eagle-Brauerei. Jedes Bad Godesberger Ministerium könnte stolz auf so eine gepflegte Sandsteinfassade sein.

Als ich endlich auf der breiten Whitechapel bin, dröhnt plötzlich der undisziplinierte Autoverkehr einer Millionenstadt um mich herum. Rechts erheben sich fünf Meter hohe Mauern. Sie umrahmen Englands größte Moschee. Und wie auf Kommando beginnt der Muezzin lautstark über Whitechapel zu plärren. Da hat selbst der Autoverkehr keine Chance.

Am Boothhaus springt plötzlich eine leicht zerlumpte Gestalt auf mich zu. Er will ein bisschen Geld, für Tee. Klar. Mit ungeheurer Geschwindigkeit redet er auf mich ein. Ich stelle mich blöd, sage ihm auf Preußisch, dass ich kein Wort verstehe. Unbeeindruckt bringt er sein Anliegen in fließendem, akzentfreiem Deutsch vor. Völlig verdattert gebe ich ihm etwas Kleingeld. Bevor ich ihn mir schnappen kann um ihn in den nächsten Pub zu zerren, ist er angeekelt zurückgesprungen und blitzschnell verschwunden. Egal was man anzieht, im Eastend stinkt man als Tourist meilenweit gegen den Wind.

Ein paar Hundert Meter hinter der U-Bahn-Station ist der Blind Beggar, echte Folklore und der vielleicht berühmteste Pub des Eastends. Auf dem breiten Bürgersteig bei der U-Bahnstation haben ein paar Dutzend Straßenhändler ihre Stände aufgebaut. Taschen und Textilien. Was ich vermisse, sind die nachgemachten Bobbyhelme aus Gummi, die man im Westend an jeder Touristencke kaufen kann und mit denen als Souvenir ich bei meinen Freunden so großen Erfolg hatte. Die Polizei ist wirklich nicht populär im Eastend.

Nachdem der Beggar unfreiwillig durch Ronnie Kray eine ganz bestimmte Sorte von Publicity bekommen hatte, wurde er innen völlig renoviert. Am Eingang klebt verheißungsvoll Ruddles Best Bitter Lives Here. Ein guter Grund einzutreten. Rotes Licht, ein anheimelnder Kamin und nur ein paar Tische an den Wänden. Vor der großen Theke ist genug Platz für die sauber gekleideten Geschäftsleute, die nach der Arbeit auf ein Gläschen einkehren.

Das Publikum ist gemischt: Subkulturtypen, die immer weiter ins Eastend vordringen, ein paar alte Oldtimer, die ich mir schon als Opfer ausgespäht habe, Verkäuferinnen, junge Verliebte.
Seinen Namen hat der Pub nach einem Gedicht aus dem 17.Jahrhundert: THE BLIND BEGGAR OF BETNAL GREEN. Ein armer Bettler hatte eine wunderschöne Tochter. Doch wenn die Jungs, die hinter ihr her waren, erfuhren, dass sie die Tochter eines Bettlers war, nahmen sie Reisbaus. Aber eines Tages kam dann der obligatorische hübsche Bursche. Ihm waren die wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse egal, und er heiratete sie. Umgehend stellte sich heraus, dass der Bettler kein armes Schwein, sondern ein Verwandter des reichen und mächtigen Simon de Montfort war. Der Bettler schwamm im Geld und hatte nur nicht gewollt, dass seine Tochter wegen des schnöden Mammons geheiratet würde. Die richtige Story für diesen Ort zerbrochener Träume.

Für ein paar Pfund und reichlich Drinks berichten mir die Wind-und-Wetter gegerbten Oldtimer wie so die Trinksitten der Krays waren. Sie waren damals junge Dockarbeiter und wurden gelegentlich von ihnen freigehalten, wenn sie wie Cowboys nach einem langen Viehtrieb in den Saloon einfielen: „Sie steckten einen Haufen Pfundnoten in ein Bierglas gleich hier vorne am Ausschank auf den Tresen. Wer eingeladen war, konnte bestellen was und soviel er wollte. Jedesmal wenn der Keeper wieder ein Getränk rausrückte, nahm er sich das Geld dafür aus dem Glas. Wenn das Glas leer war, gingen sie hin und stopften neue Pfundnoten rein.“
Mochten sie die Krays, oder fürchteten sie sie? „Beides. Ronnie war unberechenbar. Mal großzügig und mal düster und beängstigend. Die kleinen Leute hatten keinen Grund, die Krays zu fürchten. Frauen und alten Leuten gegenüber waren sie immer respektvoll und freundlich. Ihre Mutter hatte sie gut erzogen. Sie hatten Manieren.“

Die Legende lebt. Eine freundlichere Eastendlegende als Jack the Ripper. Aber wie so vieles in diesem Schmelztiegel, voller Gewalt und Brutalität.

Draußen ist es tiefe Nacht geworden. Der Betrieb auf der Whitechapel Road lässt langsam nach. Die Straßenhändler haben ihre Stände abgebaut. Auch der Second-Hand-Plattenladen, in dem ich für ein läppisches Pfund die Original-Single OUT OF TIME von Chris Farlowe und eine EP der Pretty Things erwischt hatte, ist geschlossen. Im Eastend ist die Nacht besonders dunkel. Ich nehme ein Taxi zum Hotel.

— ENDE

1999. Nachtrag: Kürzlich unterhielt ich mich mit Russell James, dem „Chronisten der Südlondoner Unterwelt“ über die Krays und meine Faszination. Es amüsierte ihn. Ihn faszinieren reale Gangster nicht mehr. In seinem Roman PAYBACK – DIE RÜCKKEHR DES FLOYD CARTER hat er seinen Kommentar zu der Krays gegeben. Rational musste ich dem zustimmen. Aber analytisch gesehen sind meine geliebten High-School-Songs wohl auch nicht von der entscheidenden Bedeutung für die Pop-Musik, wie ich es gerne sehe. Was ist schon rational daran, wenn sich Nebel über Limehouse legt und irgendwo aus der der Undurchsichtigkeit ein Knall kracht… Ein Schuss? Oder nur ein geplatzter Reifen?

Auawahlbibliographie:

Campbell, Duncan: The Underworld. London: BBC Books, 1994.
Dickson, John: Murder Without Conviction. London: Sidgwick & Jackson, 1986.
Donoghue, Albert (und Martin Short): The Krays’Lieutnant. London: Smith Gryphon, 1995.
Fraser, Frankie (mit James Morton): Mad Frank. London: Little Brown, 1994.
Fry, Colin: The Kray Files. London: Mainstream Publ., 1998.
Kelland,G.: Crime in London. London: Century, 1986.
Kray, Charles (mit Robin McGibbon): Me and My Brothers. London: Grafton, 1988.
Kray Charlie (und Colin Fry): Doing the Business. Smith Gryphon, 1993.
Kray, Kate: Ronnie Kray: Sorted.London: Blake, 1998.
Kray, Reg: Born Fighter. London: Century, 1990.
Kray, Reg: Villains We Have Known. Leeds: N.K.Publ. 1993.
Kray, Reg & Ron (mit Fred Dinenage): Our Story. London: Sidgwick & Jackson, 1988.
Kray, Ron (mit Fred Dinenage): My Story. London: Sidgwick & Jackson, 1993.
Lambrianou, Chris (mit Robin McGibbon): Escape From the Kray Madness. London: Sidgwick & Jackson, 1995.
Lambrianou, Tony: Inside the Firm. London: Smith Gryphon, 1991.
Pearson, John: The Profession of Violence. London: Weidenfeld and Nicolson, 1972; Grafton 1989/6.
Morton, James: Gangland. Londons Underworld. London: Little Brown, 1992.
Morton, James: Gangland 2. The Underworld in Britain and Ireland. London: Little Brown, 1994.
Read, Leonard (und James Morton): Nipper. London: Macdonald & Co., 1991.
Richardson, Charlie: My Manor. London: Sidgwick & Jackson, 1991.
Samuel, Richard: East End Underworld. London: Routledge & Kegan Paul, 1981.
Thompson, Tony: Gangland Britain. London: Hodder and Stoughton, 1995.


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JETZT AUCH ALS E-BOOK by Martin Compart
9. April 2024, 9:01 am
Filed under: Allgemein | Schlagwörter:

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EASTENDBALLADE . DIE KRAYS 4/ by Martin Compart
2. April 2024, 12:07 pm
Filed under: Brit Noir, Die Krays, ORGANISIERTE KRIMINALITÄT | Schlagwörter: , , , , , ,

Die magische Tür öffnet sich und wir gehen durch die laxen Sicherheitskontrollen.

Schließlich eine Treppe hoch zum Aufenthaltsraum. Ein paar grobe Tische, Stühle und ein Getränke- und Snacktresen.
Ich erkenne Reggie sofort. Er sieht viel jünger aus als auf den letzten Fotos von der Beerdigung seiner Mutter 1984. Kaum grau in den dunklen Haaren. Die Falten in dem jungenhaften Gesicht drücken mehr über seine Umgebung der letzten 21 Jahren aus als über sein Alter. Tiefe Lachfalten um Augen und Mund. Hält er das alles inzwischen für einen Betriebsausflug? Sicher nicht. Er ist wahrlich durch die Hölle gegangen und – trotz eines Selbstmordversuchs Anfang der 80er – irgendwie unbeschädigt geblieben. Ich brauch mir nichts vorzumachen: Das ist einer der härteste Knochen, der mir je gegenüber stand, härter als Karibik-Horst.

Er lacht, winkt und umarmt Rita und Joe. Der Charme, dem sich auch sein kritischer Biograph John Pearson nicht entziehen konnte, funktioniert noch. Der fitteste Mann, den ich je gesehen habe. Seit 1969 trimmt er sich jeden Tag mehrere Stunden. Hat bis vor ein paar Jahren regelmäßig Knastmeisterschaften im Gewichtheben und anderes gewonnen. Außerdem gab er das Rauchen auf. Einer, der an die Zukunft denkt. Seine Bewegungen sind blitzschnell und völlig beherrscht. Der Junge würde Joe umhaun, bevor der überhaupt weiß was los ist. Und Joe weiß das. In einem seiner Bücher schrieb Reggie, dass er sich an elf Kiefer erinnert, die er gebrochen hat. Seine Spezialität war der „Cigarette punch“. Mit der Schnelligkeit und Präzision des Berufsboxers schlug er auf die Kinnlade seines Gegenübers, wenn der sich gerade die angebotene Zigarette in den geöffneten Mund steckte.

Eine von Englands größten lebende Legende neben den Rolling Stones. Die sind allerdings inzwischen so gefährlich wie Perry Como. Bei Reggie bin ich mir da nicht so sicher. Er umarmt mich wie einen alten Freund. Unser wöchentlicher Briefwechsel hat uns irgendwie zu Vertrauten gemacht. Ein wenig; ich möchte mir das einbilden.

Wir setzen uns, und Reggie öffnet seine Aktenmappe. Lets talk business. Vorschläge für Fernsehdokumentationen, Vertriebsprobleme mit der Schallplatte, sein neues Buch mit den schönen Titel FAMOUS VILLAINS WE HAVE KNOWN ist fast fertig. Die Memorabila-Maschine mit T-Shirts, Kaffeetassen und was weiß ich noch, läuft nicht rund. Joe muss ein paar Sachen erklären, Rita nimmt Anweisungen entgegen, holt Kaffee und Snacks, die liegen bleiben werden. Wir Kerle hier sind einfach zu hart, um in einen Schokoladenriegel zu beißen. Das hätte sie wissen müssen!
Er verteilt Zettel, auf die er für jeden in seiner unmöglichen Handschrift genau fixiert hat, was sie in nächster Zeit zu erledigen haben. Als ich seinen ersten Brief erhielt, wusste ich nicht mal wie rum ich ihn halten soll.

Rita holt wieder Kaffee. Am Nebentisch steht eine junge Frau auf und flüstert etwas in Reggies Ohr. Er nickt und grinst. Sie bringt ihm einen Pappbecher. Fuselgestank steigt auf. Wenn eine Braut ihrem Freund Alkohol in den Knast schmuggelt, trinkt Mr. Kray selbstverständlich mit. Er ist der Guru, der ihnen klarmacht, dass sie ihre kleinkriminelle Laufbahn schleunigst aufgeben und lieber mit dem Computer umgehen lernen sollen. Er ist nicht mehr an Verbrechen interessiert. Er hat im Knast seinen Horizont erweitert und mit Büchern, Filmen, T-Shirts und dem ganzen Kray-Merchandising viel Geld verdient. „Selbst wenn ich wollte, ich hätte heute draußen keine Chance mehr, ein Racketeering aufzuziehen. Heute ist alles viel härter, und ich bin 57 Jahre alt. Die Welt ist anders als 1969.“ Den Straßenschläger möchte ich erst noch sehen, der Reggie Kray von den Füßen holt. Nein, Reggie steht jetzt auf andere Sachen. „Wenn ich rauskomme, mache ich erstmal einen langen Urlaub um wieder richtig fit zu werden.“ Vielleicht will er einen Kontinent umgraben. „Und dann mache ich ein keep-fit-Video für über Sechzigjährige.“ Ich sehe meine völlig verfetteten Onkel im Trainingsanzug vor der Sportschau sitzen. „Zusammen mit Jane Fonda.“ Großes Gelächter. Zärtlich nimmt er Rita am Arm. „Come closer, dear. Feel comfortable.“ Reggie hat es gern, wenn sich die Leute wohl fühlen. Das hat ihm schon in den Klubs Freude gemacht. Mit einem Glas in der Hand herumzuwandern und sehen, dass alle ihren Spaß haben. Und wer stört, bekommt was auf die Birne. „Du kannst es dir nicht vorstellen. Du hattest damals nur drei Wahlmöglichkeiten im Eastend: Berufsboxen, Berufsverbrechen oder in die Fabrik gehen. Kein intelligenter Junge träumt davon, in die Fabrik zu gehen, oder? Eher hätten wir uns die Kugel gegeben.“ Heute kann man außerdem noch Fußballer werden.

Joe hat seine Anweisungen bekommen, Reggie entlässt ihn. Immer noch der Boss und Joe steht auf und verabschiedet sich artig.

Reggie kriegt Unmengen Post, meist von Unbekannten, darunter schlimmste Psychos. Reggie reicht mir einen Brief, den er gerade erhalten hat. Er ist von zwei britischen Soldaten vom Golf. Sie wünschen ihm alles Gute und loben sein Buch BORN FIGHTER. Er hätte recht mit seiner Aussage, dass nichts auf der Welt rechtfertigt, dass zwei Länder ihre jungen Männer in einen Krieg zum gegenseitigen Abschlachten aufeinanderhetzen.
Reggie diktiert Rita, zehn Bücher an die Soldaten im Golf zu schicken.

“Frag alles, was du fragen willst.“ In den Büchern wurde immer deutlich, dass Ronnie der düstere Antreiber von Reggie war. So wie Günter Mittag als böser Geist von Erich Honecker galt. Etwas, gegen das sich Reggie immer wandte. „Ronnie war geradeaus. Er ging die Sachen direkt an, egal was. Auch seinen Mord. Der Unterschied zwischen ihm und der Planung bis zur Ausführung.“

Kann er sich noch an den Moment erinnern, als er Jack the Hat das Mmir ist: ich liebe die Intrige. Jede Sekunde, von esser ins Gesicht stach? „Es steht ganz klar vor mir. Als wäre es gerade geschehen.“ Ich verkneife mir das voyeuristische Klischee à la was-fühlt-man-dabei. „In den Büchern wurde Jack the Hat immer runtergespielt. Man stellte ihn hin, als wäre er ein harmloser Drogentrottel gewesen. Er hat seine Freundin aus dem fahrenden Auto geworfen, und sie blieb gelähmt. Er war mit einer Schrotflinte hinter mir her. Das Miststück war verdammt gefährlich, völlig unberechenbar. Es ging um ihn oder mich. Hätte ich ihn nicht kalt gemacht, hätte er mich erwischt.“ Rita bestätigt ihn: das Eastend zitterte vor dem durchgedrehten Glatzkopf. Rita meint, im Medak-Film sei der Schauspieler von Jack als Einziger der realen Figur nahegekommen. Bis heute ist seine Leiche nicht gefunden.

Wann war der entscheidende Punkt, an dem alles aus dem Ruder lief? „Ich glaube, so um 1964. Da hätten wir innehalten sollen und alles überdenken. Statt sorglos einfach immer weiter zu machen, hätten wir einen Schritt zurückgehen müssen. Wir haben den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Damals hätten wir noch legale Geschäftsleute werden können.“ Der Tod seiner Frau Frances, 1967? Danach schien er mehr zu saufen und Ronnies wilden Aktionen blind zu folgen. Er selbst wurde unberechenbar. „Nach Frances Tod interessierten mich die Dinge nicht mehr so sehr. Alles war nicht mehr so wichtig. Aber immerhin habe ich noch dafür gesorgt, dass wir zurück ins Eastend gingen und uns nicht mehr auf das Westend konzentrierten.“

Was denkt er über die Verräter heute? Alles Leute, die es sich in der „Firma“ der Krays jahrelang gut gehen ließen. „Ich denke nicht oft an Scotch Jack Dickson, Ronnie Hart oder Les Payne. Die denken wohl öfter an mich. Die haben mich für immer. Sie sitzen auch im Gefängnis. Ihr Kopf ist ihr Gefängnis. Natürlich tat es weh, dass gerade unser Cousin Ronnie Hart den Kronzeugen machte. Nach einem Selbstmordversuch lebt er jetzt mit neuer Identität in Australien. Aber er hat immer noch dasselbe Gehirn, denselben Kopf. Typisch für ihn, dass sein Selbstmord nicht geklappt hat. Er kann so weit weglaufen, wie er will. Sein Verrat wird ihn immer begleiten.“
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Und Nipper Read, der Mann, der sn Knast brachte? „Ich hab keinen Kontakt zu ihm. Warum auch? Dieser Teil meines Lebens ist vorbei. Der Mann machte seinen Job. Und er machte ihn gut. Ich glaube, er ist inzwischen pensioniert. Weiß nicht mal, ob er noch lebt.“

Warum ging es schließlich schief? Sorglosigkeit, Überheblichkeit, Größenwahn, zu große Brutalität? „Von allem etwas. Es war meine Schuld. Ich war wie der Kapitän auf der Brücke. Ich trage die Verantwortung. Ich beklage mich nicht über mein Urteil. Das habe ich nie getan. Ich war der Kapitän, und das Schiff ist abgesoffen. Die anderen sind als Zeugen gegen uns – nicht alle – in die Rettungsboote gegangen. Ich hasse sie nicht dafür.
Ich habe keine Lust mehr, ein Interview abzuziehen. Wir unterhalten uns über das Eastend und seine besondere Schönheit, seine unvergleichliche Atmosphäre. Reggie hat ein Buch über den Eastendslang geschrieben. Als er Ronnie erzälte, er habe ein Exemplar an Ronald Reagen geschickt, fragte Ronnie: „Und wie hat’s ihm gefallen?“ „Ronnie kann sehr komisch sein und merkt es nichtmal.“

Ab drei sieht Reggie immer wieder auf seine goldene Armbanduhr. Schließlich zieht er eine gestreifte Jacke über. „Sie wollen, dass wir das hier tragen. Aber meine Besucher fühlen sich unwohl, wenn ich die Streifenjacke anhabe.“ Wir umarmen uns zum Abschied. „Du kommst wieder.“ Keine Frage.

Ich gehe hinter Rita zum Ausgang. Ich drehe mich nochmal um. Reggie steht da, lacht und winkt. Plötzlich fühle ich mich beschissen. Mir geht auf, dass er seit 1969 im Gefängnis ist. Länger, als jeder Mörder oder Kinderschänder – von korrupten EU-Kommissaren ganz zu schweigen. Ich grinse schief zurück. Warum können wir nicht woanders hingehen und ein paar Biere schlucken? Ich fühle mich wohl in seiner Gesellschaft und möchte mit ihm durch die Eastend-Pubs ziehen. Ich bin durch die Tür. Etwas benommen. Auch ‚ne Art jet-lack.

FORTSETZUNG FOLGT



WEISE WORTE by Martin Compart
29. März 2024, 4:24 pm
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Ein Lieblingsthema rechter Populisten ist bekanntlich die innere Sicherheit, die nur sie vollmundig und effektiv herstellen und garantieren können. Die freie Gesellschaft muss einer autokratischen weichen, damit der brave Bürger zumindest in Sicherheit leben kann.

Nun hat der IS-Anschlag in Moskau bewiesen, das nicht mal eine autoritäre, in Teilen faschistische, Oligarchie seinen Bürgern innere Sicherheit garantieren kann. Also kann es nicht mehr argumentativ darum gehen, Freiheit gegen Sicherheit abzuwägen. Das einzig Sichere ist wohl, das am Ende des Lebens der Tod lauert (obwohl ich bis vor wenigen Jahren Sterblichkeit für eine linke Verschwörungstheorie gehalten habe).

Kann dieser echte bio-deutsche Mann und Putin-Verehrer Europa vor dem IS schützen?



CHRIS KURBJUHN über „DANDY IN ASPIK“ by Martin Compart
25. März 2024, 10:33 am
Filed under: Derek Marlowe | Schlagwörter: , , ,

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