Martin Compart


COPPER – LAW IS WHERE YOU CAN BUY IT by Martin Compart
7. Juni 2024, 3:18 pm
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Was wäre, wenn Boston Teran eine TV-Serie schreiben würde?

COPPER kommt dem sehr nahe. Eine Serie für anthropologische Pessimisten.

Im Mittelpunkt der Serie steht Kevin „Corky“ Corcoran, ein Copperdetektiv irischer Einwanderer, der versucht, so etwas wie Ordnung im Bezirk von Five Points im New York Mitte der 1860er Jahre zu wahren. Zu Beginn sucht er gleichzeitig nach Informationen über seine Frau, die verschwunden ist, und seine Tochter, die getötet wurde, während er im Süden für die Unionsarmee kämpfte. Die Serie beleuchtet die Auswirkungen des amerikanischen Bürgerkriegs sowie die soziale Schichtung zwischen der New Yorker Aristokratie, der afroamerikanischen Bevölkerung und anderen ethnischen Gruppen, die den amerikanischen Traum leben wollen.

Das New York der Jahre 1864-65 war aufgrund einer Reihe von Faktoren ein brutaler Ort. Hungersnöte, Kriege und Unruhen in anderen Ländern trieben die Zahl der Neueinwanderer in die Höhe, und diese Neuzugänge im Schmelztiegel sahen sich oft mit ungewissen Aussichten, wenn nicht gar mit bitterer Armut konfrontiert. Klingt irgendwie aktuell. Soldaten, die durch die Schrecken des Krieges an Gewalt gewöhnt waren, zogen auf dem Weg zu ihren Feldzügen durch die Stadt oder machten sie nach ihrer Entlassung oder Desertion zu ihrem Traumort. Auch damals litt die Welt schon unter Oligarchen wie Putin und Elon Mask (ja, ich setze sie gleich, denn Masks Profitstreben führt ebenfalls zu blutigen Kriegen – nur eben verdeckt und in der 3.Welt, die uns nicht wirklich interessiert).

Jede Wählerstimme wurde von einer Stadtregierung gekauft und bezahlt, in der Bestechung und Vetternwirtschaft Bestand des Systems „waren“. Bis in die einzelnen Polizeireviere herrschte die Korruption. Im Jahresbericht des „Board of Metropolitan Police Commissioners“ von 1865 wurde festgestellt, dass „das gesamte System reformbedürftig ist … all diese Beamten sind leider in gewissem Maße von den Straftätern abhängig, die sie bestrafen sollen“. Derselbe Bericht beschrieb den Bürgerkrieg als „eine Schule der Gewalt und des Verbrechens“, mit dem Endergebnis, dass „in keiner Stadt der zivilisierten Welt das menschliche Leben so wenig geschätzt wird und so großen Gefahren durch Gewalt ausgesetzt ist wie in New York… Die Praxis, Menschenleben bei geringem oder gar keinem Anlass zu töten, hat furchtbar zugenommen.

COPPERs NYC ist ein Gomorrah der 1860er Jahre; Schmutz durchdringt alles, buchstäblich und metaphorisch. Polizei und Kriminelle verhalten sich gleichermaßen. Das Laster ist allgegenwärtig, selbst an den unwahrscheinlichsten Orten.

Wer bisher gedacht hat, New York wäre nur in den 1970ern wirklich interessant gewesen, wird hier eines besseren belehrt.

Das pestilente Five Points wurde zuvor nur einmal „verfilmt“ – von Martin Scorsese mit GANGS OF NEW YORK. Das Setting in dieser ersten Serie von BBC America ist ähnlich eindrucksvoll: ein Gewirr aus Straßen und Gassen, das der Produktionsdesigner John Blackie (HELL ON WHEELS) in einer riesigen kanadischen Halle nachgebildet hat. Kameramann Paul Sarossy lässt alles wie einen eigenen Kosmos aussehen, exotischer als viele Fantasy-Produktionen. Das Grauen in diesen Gassen kriecht aus den Bildschirmen.

Erfunden wurde COPPER von Tom Fontana , der zuvor mit HOMICDE, OZ und einigen anderen Serien die Quality-Revolution im US-Fernsehen mitgestaltet hatte. Und v0n Co-Autor Will Rokos, dem Autor von MONDSTER´BALL. Das Konzept lag sechs Jahre bei einem anderen Sender auf Eis, bevor es BBC America rauskaufte. Dann kam als verantwortlicher Produzent auch noch der legendäre Barry Levinson hinzu.

Die Schauspieler sind grandios – und in ihren (Haupt-)Rollen höchst ambivalente Sympathieträger. Die Autoren haben darauf geachtet, dass jede der Nebenfiguren nie eindimensional ist.

Die vielleicht erstaunlichste Leistung ist jedoch die von Kiara Clasco als junge Hure Annie Reilly, die noch ein Kind ist, aber dazu gezwungen, erwachsene Überlebensfähigkeiten zu entwickeln, die rücksichtslos sind. Clasco spielt nicht nur sowohl Annie als auch ihre „Schwester“ sondern sie ist auch völlig überzeugend, wenn Annie eine komplizierte List durchführt, während sie uns nie vergessen lässt, dass in ihr noch kindliche Unschuld steckt, die nach Schutz schreit.

Die Begeisterung für die Show steigerte sich anfangs zu einem Höhepunkt, als sie vor 1,1 Millionen Zuschauern gesehen wurde, das größte Publikum für ein Debüt einer BBC America-Serie. Die Show hatte eine große und leidenschaftliche Gruppe von Fans gefunden. Nach anfänglichem Überraschungserfolg wurde die Serie mit der zweiten Season beendet. Dazu gibt es unterschiedliche Erzählungen.

Die Büros und das Personal von BBC America wurden jedenfalls mit Briefen, Petitionen und E-Mails überschwemmt, in denen die Wiederaufnahme gefordert wurde. Zahlreiche Facebook-, Twitter- und Youtube-Seiten wie „ Save Copper “ wurden eingerichtet, um ihrer Wut über die Absetzung Ausdruck zu verleihen und die Serie zurückzubringen, was bekanntlich nicht gelang.

Zurück bleibt ein Klassiker auf DVD und Blur-Ray, dem sein Platz im Pantheon der TV-Serien sicher ist. Realistischer wurde der amerikanische Traum in Big Apple nie dargestellt. Sie zeigte den Amerikanern drastisch, auf welchen Werten ihr Land begründet ist.

Titel Copper – Justice is brutal
Originaltitel Copper
Produktionsland Vereinigte Staaten
Erscheinungsjahre 2012–2013
Episoden 23 in 2 Staffeln
Produktions-unternehmen Cineflix Studios, Shaw Media
Produktion
Barry Levinson, Tom Fontana
Erstausstrahlung 19. Aug. 2012 auf BBC America

Kevin „Corky“ Corcoran… Tom Weston-Jones
Robert Morehouse… Kyle Schmid
Elizabeth Haverford… Anastasia Griffith
Eva Heissen… Franka Potente
Francis Maguire… Kevin Ryan
Andrew O’Brien… Dylan Taylor
Annie Reilly… Kiara Glasco
Sara Freeman… Tessa Thompson
Ellen Corcoran… Alex Paxton-Beesleyn
Joseph Sullivan… Ron White
Brendan Donovan… Donal Logue



P.S.:
„Das ist der Ort. Diese engen Gassen, die nach rechts und links auslaufen und überall vor Schmutz und Abfall starren. Die Leben, die hier geführt werden, tragen die gleiche Frucht, wie überall sonst. Die groben und aufgeblähten Gesichter an den Türen haben ihre Gegenstücke zuhause und überall auf der Welt. Ausschweifung hat sogar die Häuser vor ihrer Zeit altern lassen. Sehen Sie, wie die faulen Balken einstürzen und wie die zusammengeflickten und zerbrochenen Glasscheiben finster dreinblicken, wie Augen, die in versoffenen Schlägereien verletzt wurden. Viele dieser Schweine leben hier. Wundern die sich manchmal, warum ihre Herren aufrecht und nicht auf allen Vieren gehen? Und warum sie sprechen anstatt zu grunzen?“

– Charles Dickens 1842, als er Five Points besuchte

Als Hintergrundlektüre empfehle ich THE GANGS OF NEW YORK, 1028, von Herbert Asbury, das auch Martin Scorsese teilweise als Vorlage für seinen Film diente. Von dem extrem gut geschriebenen Buch gibt es auch eine deutsche Ausgabe, die 2001 im Heyne Verlag erschienen ist.