Martin Compart


INTERVIEW MIT THOMAS PAGO, VERLEGER DES ELSINOR VERLAGES by Martin Compart
24. Februar 2016, 1:13 pm
Filed under: Bücher, Elsinor Verlag, Interview, John Buchan, Porträt | Schlagwörter: , , ,

Bis letztes Jahr war der Elsinor Verlag für mich eines der best gehüteten Geheimnisse des deutschen Buchhandels. emotionheader21598269[1]Dann – ich konnte es kaum glauben – erschien dort als deutsche Erstausgabe John Buchans THE POWER HOUSE, ein Schlüsselwerk des Thrillers. Noch dümmer guckte ich aus der Wäsche, als ich feststellte, dass in diesem Verlag ein bisher nicht übersetzter Nicholas Blake erschienen war und zudem noch mehrere Bände von G.K.Chesterton. Das gesamte Verlagsprogramm war überraschend vielfältig. Um nur ein paar Namen zu nennen: Robert Louis Stevenson, Arthur Koestler, Gustav Meyrink, Voltaire etc. Das war ganz klar die Handschrift eines Verlegers, der sich einen Dreck um planbaren Bestsellermist schert. Und ganz sicher war es auch die ganz persönliche Handschrift eines Verlegers mit breiten Interessen.

Darum also hier ein Interview mit ihm:

 

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  1. Wer ist Thomas Pago – Ein paar Worte zur Biographie und Werdegang.

Studiert habe ich Germanistik und Anglistik in Münster. Dann ergab sich die Chance, am Nachwuchslektorenprogramm der Verlagsgruppe Bertelsmann in München teilzunehmen. Dort bin ich zehn Jahre geblieben, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur im Programmsegment „Reiseführer und Kulturführer“. Mit Münchner Kollegen folgte dann der Schritt in die Selbständigkeit – der Aufbau eines Redaktionsbüros, das bis heute als Producer für Verlage im Sachbuchbereich tätig ist.

 

  1. Die Leidenschaft zur Literatur wird ja zumeist in jungen Jahren geweckt. Was hat Sie nachhaltig beeindruckt?

Vorgelesen wurde tatsächlich seit frühester Kindheit, und dann eben selbst gelesen, sobald das möglich war. Vermutlich war vieles davon auch gar nicht wirklich „altersgemäß“. Jedenfalls war ich als Kind besonders beeindruckt von den frühen Erzählungen Heinrich Bölls, von den Romanen Wilhelm Raabes und von Thomas Mann. Persönlich beeinflusst hat mich vor allem ein Onkel, Norbert Engling, der als Bibliothekar in Dortmund für schöne Literatur und Theater zuständig war. Als junger Theaterkritiker hatte er beispielsweise alle großen Brecht-Inszenierungen am Berliner Ensemble gesehen und kannte Helene Weigel persönlich, auch einige Schauspieler und Regisseure. Stoff genug also für viele interessante Gespräche.

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http://www.elsinor.de/elsinor/

 

  1. Wie kam es zur Gründung von Elsinor?

Die Idee, es mit einem eigenen Verlag mit literarischer Ausrichtung zu versuchen, bestand schon länger. Ohne die Jahre im Konzernverlag und ohne die Erfahrung nicht nur im Lektorat, sondern auch mit der technischen Seite der Buchproduktion wäre das allerdings kaum möglich gewesen. Denn klar war von Anfang an, dass man sehr vieles selbst und manches im kleinen Team freier Mitarbeiter tun muss. Die Grundausrichtung stand also bei der Gründung schon fest, aber der Blick reichte zu Anfang vielleicht ein halbes Jahr weit; die Strukturen sind dann erst langsam gewachsen.

 

  1. Das Programmspektrum ist von einer beeindruckenden Vielfalt. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Titel aus?

Eine schwierige Frage, weil sie unterstellt, dass jede Programmentscheidung vollkommen rational nach bestimmten Kriterien erfolgt. Mindestens zu Anfang spielten persönliche Vorlieben eine ganz große Rolle, daran konnten sich dann weitere Autoren oder Titel anlehnen. Von Keyserling zum Beispiel, der zur Münchner Bohème gehörte, ist von Lebenszeit und -ort her der Weg gar nicht so weit zu Alexander Moritz Frey oder Rudolf Schneider-Schelde. Betrachtet man das Programm inhaltlicher, entdeckt man vielleicht eine kleine Vorliebe für Texte im Grenzbereich der Groteske – etwa bei Wilhelm Busch, bei Chesterton oder in Freys „Solneman“. Aber selbstverständlich gilt das nur für einen Teil der Titel. Jedenfalls zeichnen sich mittlerweile Linien ab, die nicht von vornherein festgelegt waren, sondern sich entwickelt haben und künftige Entscheidungen leiten werden. Wobei der persönliche Eindruck immer noch entscheidet – für Bücher, die mich nicht ansprechen, würde ich den Aufwand nicht betreiben.

Vielleicht noch ein Beispiel für klare Kriterien: Über den Kontakt zum Übersetzer Jörg W. Rademacher ist es zu einer Neuauflage seiner Übersetzung des „Dorian Gray“ von Oscar Wilde gekommen. Das ist ein ehemaliger Eichborn-Titel, dessen Rechte an den Übersetzer zurückgefallen waren. Es geht dabei um einen ganz ungewöhnlichen Versuch, die „unzensierte“ Erstfassung dieses Skandalromans zu rekonstruieren – also die Eingriffe und Korrekturen des Autors und seiner Lektoren in einem umfangreichen Anmerkungsapparat kenntlich zu machen. Es handelt sich um eine Textfassung, die es sonst nirgendwo gibt, und eine wissenschaftliche Ausgabe, aber ungewöhnlicherweise eben in deutscher Übersetzung. Daraus ließ sich dann ein kleiner Themenschwerpunkt ableiten: eine deutsche Leseausgabe ohne die umfangreiche Dokumentation und ohne Nachwort, und dann die rekonstruierte Erstfassung auch als englischen Text, mit Zeilenzählung für den Schulgebrauch. Hier hat sich also die Chance zu einer Art Verdichtung geboten – solche Fälle sind allerdings nicht die Regel.

 

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  1. Wie wichtig ist das Internet für Ihren Vertrieb und Ihr Marketing?

Das ist schwer einzuschätzen. Natürlich gibt es eine Verlagswebsite, und Buchhandlungen werden teilweise auch durch Mailings angesprochen. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gibt es Blogs und Magazine im Netz, die teilweise sehr qualifiziert rezensieren und über Titel berichten. Manche Verlage versenden ja Rezensionsexemplare ungern an Autoren, die nur im Netz publizieren. Diesen Unterschied macht Elsinor nicht, Beiträge im Netz sind höchst willkommen. Aber, und daher das „schwer einzuschätzen“: Die Wirkung ist oft nicht so leicht zu messen. Wenn unmittelbar nach einer Rezension in einer überregionalen Print-Zeitung die Bestellungen zunehmen, ist der Zusammenhang relativ klar. So deutlich ließ sich der Zusammenhang bei Berichten im Internet bisher nicht beobachten. Dafür ist das, was im Netz steht, eben sehr lange auffindbar, wirkt also vielleicht „nachhaltiger“.

 

  1. Mit LONGINUS veröffentlichen Sie Regionalica. Darunter „Klassiker“ wie DER TOLLE BOMBERG. Ich habe kaum Vorstellungen von Westfalica und frage: Ist da tatsächlich noch Ähnliches zu entdecken? Oder konzentrieren Sie sich hauptsächlich auf zeitgenössisches und zeitgeschtliches?

 

teaserbox_53458807[1]DER TOLLE BOMBERG ist in der Tat eine Ausnahme: wirklich ein Klassiker, der schon seit etlichen Jahren vergriffen war, aber zumindest in Westfalen noch unvergessen ist. Was den Bekanntheitsgrad angeht, wird sich vermutlich nicht so leicht etwas Ähnliches finden. Aber es gibt durchaus auch unter den literarischen Westfalica vergessene Titel, die heute noch Wirkung entfalten könnten. Ich denke da beispielsweise an Augustin Wibbelt, dem man großes Unrecht tut, wenn man ihn als „Heimatdichter“ abstempelt. Bei Wibbelt gibt es durchaus noch einiges zu entdecken – nicht zuletzt in seinem wenig bekannten hochdeutschen Werk. Im Übrigen muss man Westfalica ja nicht „heimatkundlich“ auffassen; wenn man den Blick auf Autoren aus Westfalen richtet, wird sich sicherlich noch einiges entdecken lassen.

Insgesamt sehen Sie das aber richtig: Weil das Feld kleiner ist, wird Longinus thematisch breiter angelegt, soll auch Kultur- und Zeitgeschichtliches umfassen. Sogar ein Kochbuch aus dem 19. Jahrhundert ist in diesem Jahr vorgesehen; der Schriftsteller, Rezitator und Wibbelt-Herausgeber Rainer Schepper hat kürzlich die Handschrift in seiner Bibliothek entdeckt. Das wird nun sicherlich eine Ausnahme bleiben, passt als kulturhistorisches Dokument aber in ein derart weit gefasstes Programmsegment.

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  1. Man sollte das einen Verleger, der ganz offensichtlich mit so viel Herzblut sein Programm gestaltet, nicht fragen. Ich versuche es trotzdem: Gibt es in Ihrem Programm Autoren oder Titel, die Ihnen besonders viel bedeuten?

Sie haben recht, das ist eine heikle Frage – und eine Antwort kann ich natürlich nur versuchen, wenn ich die noch lebenden Autoren komplett ausklammere. Dann würde ich ganz spontan auf die Erzählungen Eduards von Keyserling zeigen und auf die Essays und Erzählungen von Chesterton. Und auf einen wirklich großartigen und leider fast unbekannten satirischen Roman aus der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg – „Solneman der Unsichtbare“ von Alexander Moritz Frey („Solneman“ muss man übrigens rückwärts lesen). Das war die erste spontane Reaktion; nun kämen noch eine Reihe weiterer Titel hinzu, aber ich will es dabei belassen.

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  1. Mit sechs bis sieben Titel im Halbjahr bei LONGINUS und ELSINOR kann man nicht mehr von einem Kleinverlag reden. Mit welcher Manpower organisieren Sie diesen Ausstoß?

Da treffen Sie einen wunden Punkt – denn hier vor Ort im Büro bin ich tatsächlich allein verantwortlich und erledige einen großen Teil der anfallenden Arbeiten – Dinge, die in einem größeren Haus auf mehrere Schultern verteilt wären. Aber selbstverständlich gibt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aber immer nur projektweise tätig werden – Übersetzer, Schlusskorrektoren, aber auch gelegentlich Herausgeber, die ein Projekt von der Erstellung einer satzreifen Textfassung bis zum Verfassen eines Nachworts komplett betreuen. Ohne diese Hilfe wäre der Umfang nicht zu stemmen. Andererseits gibt es aber auch viele Titel, die ich von der Erstellung der Vorlage bis zur Schlusskorrektur komplett selbst in der Hand halte. Manche sprechen ja in solchen Fällen von „Selbstausbeutung“; so sehe ich das zwar nicht, aber ohne die Bereitschaft, sehr viel eigene Zeit einzubringen, wäre das alles nicht möglich.

 

  1. Und natürlich die Sphinx-Frage: Wie sehen Sie die Zukunft des Buches, speziell in Deutschland?

Ein Verschwinden des Buches in den nächsten Jahrzehnten befürchte ich, ehrlich gesagt, nicht; das Buch hat hier einen hohen Stellenwert – als „Gebrauchsbuch“ wie als Kulturgut. Und die elektronische Version, die in Deutschland ja bei weitem nicht so verbreitet ist wie im angelsächsischen Raum, verdrängt das gedruckte Buch bisher nicht, sondern stellt bestenfalls eine weitere Ergänzung dar, eine Variante wie das Paperback zum Hardcover. Andererseits dürfte der Bevölkerungsrückgang – der vielzitierte demografische Wandel – sich langfristig noch stärker im Buchhandel niederschlagen. Zumal die heute jugendliche Generation weniger vom Buch geprägt wird als frühere Generationen, wegen der vielen visuellen Medien – und wegen der immer knapper werdenden Zeit, man denke nur an an die verkürzte Schulzeit vor dem Abitur. Nun hat vor 20 Jahren auch nicht jeder Jugendliche seinen Goethe auf dem Nachttisch liegen gehabt. Aber wer sich für Literatur begeistert, tut das in der Regel schon früh – und ob man als Jugendlicher frei über einen großen Teil seiner Zeit verfügt oder nicht, ist schon ein erheblicher Unterschied. Deshalb glaube ich zwar weiterhin an die Zukunft des Buches, aber ein sehr literarisch ausgerichtetes Programm wie das von Elsinor hätte es vor 20 Jahren vermutlich ein wenig leichter gehabt – und wird es in 20 Jahren noch etwas schwerer haben.

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  1. Und welche Chance haben kleinere und mittlere Verlage angesichts der großen Konzernverlage?

Das Nebeneinander von großen Häusern und kleinen und mittleren Verlagen ist ja nicht neu und macht die Vielfalt der Verlagslandschaft in Deutschland aus. Diese Landschaft wird vielleicht von den Verlagen in der ersten Reihe dominiert, aber in der zweiten oder von mir aus in der dritten und vierten Reihe finden sich durchaus noch auskömmliche Plätze. Da die Ressourcen in den kleinen Verlagen begrenzt sind, muss das Programm natürlich klar profiliert sein – und sich möglichst vom Programm der Großen abgrenzen. Aber Programmideen und die Fähigkeit, davon etwas umzusetzen, sind ja nicht ausschließlich ans große Budget oder eine Konzernzugehörigkeit gebunden. In meiner Zeit im Konzernverlag sind viele Projekte mit der ersten Deckungsbeitragsrechnung begraben worden. Da kann ein kleiner Verlag, natürlich mit der gebotenen Vorsicht, durchaus mehr wagen als der Programmleiter eines großen Verlages, der stärker am Ergebnis gemessen wird. Es gibt ja auch im weiten Feld der Literatur Raum für viele – und es gibt die reizvollen Bezirke, die für den großen Verlag unattraktiv bleiben, weil die Risiken zu hoch sind.

Man darf sich eben nur nicht überschätzen und die eigenen Grenzen aus den Augen verlieren. Der kleine Verlag, der sich für einen erfolgreichen Bestsellerautor interessiert, wird chancenlos bleiben. Und mit dem Gewicht einer jahrzehntelang präsenten Marke oder mit den Vertriebsmöglichkeiten der Großen – mit Marketing- und Presseabteilungen und einem perfekt organisierten Außendienst – kann ein Kleiner in der Regel nicht mithalten. Es ist Raum genug für beide, aber jeder bleibt eben in seiner Sphäre – der Kleine muss nicht unbedingt ein Verdrängtwerden befürchten, aber eine Möglichkeit, wirtschaftlich auch nur halbwegs zu den Großen aufzuschließen, besteht wohl in der Regel nicht.

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Artur Koestlers Sonnenfinsternis (Darkness at Noon), Erstausgabe 1940, für mich die Entdeckung 2014 und das beste Buch in dem Jahr. Grandiose Schilderung, wie die große Säuberung im totalitären System Stalins funktionierte – und das ohne Land und Diktator beim Namen zu nennen. Kommunist Koestler wusste bereits Ende der 1930er Jahre, was stramme Linke wie Sarte vier Jahrzehnte später noch nicht öffentlich eingestehen wollten.

Kommentar von MiC




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