Martin Compart


BRIT NOIR: MCGILL DER WANDERARBEITER by Martin Compart
23. Februar 2012, 4:18 pm
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Er war und ist noch immer einer der Höhepunkte des Brit Noir im Medium Fernsehen: Richard Bradford alias McGill in MAN IN A SUITCASE.

Als das vielbesungene 68er-Jahr damals wie eine biblische Heimsuchung über alle anständigen Bürger hereinbrach, geriet die Welt der Eltern eine Zeitlang ziemlich aus den Fugen. Heranwachsende ließen sich nun überhaupt nichts mehr sagen und lachten über die ebenso banalen wie gutgemeinten Ratschläge ihrer Erziehungsberechtigten. Die Spießerdroge Fernsehen – womit man die lieben Kleinen früher noch hatte heimlocken können – war out. Man würde ohnehin nie wieder einen solchen Kick erleben wie beim ersten Sehen von „Texas Rangers“, „Bob Moran“, „Mike Nelson“, „Tennisschläger und Kanonen“ oder „Simon Templar“. Lediglich „Der Mann mit dem Koffer“, der für Krimiserien das war, was die Stones im Bereich der Popmusik darstellten, lockte mich 1969 noch ganze dreizehnmal freitags, pünktlich um 21 Uhr, nach Hause – und natürlich „Nummer 6“ (Originaltitel: „The Prisoner“), samstags nach dem „Aktuellen Sportstudio“.

Eigentlich war man ja als hartgesottener Teenager über die Identifikation mit diversen Serienhelden hinaus – so dachte man wenigstens. Doch dann kam er: McGill, der Mann mit dem Koffer. Er gab uns den Thrill der frühen Jahre zurück, als die Mattscheibe das gesamte Bewußtsein fiebriger Kinderhirne aufgesaugt hatte. McGill knallte alles weg, was zuvor noch Idolcharakter besessen hatte.


Er war der härteste TV-Held der Prä-Sonny-Crockett-Ära und der einsamste Wolf auf diesem Planeten (abgesehen von den männlichen, pubertierenden Fans, die seiner lakonischen Einsamkeit mit offenen Mündern und wütend geballten Fäusten folgten). Die einst so bewunderten TV-Helden wirkten im Vergleich zu ihm noch mehr wie Hochstapler und Flaschen. Ihre inszenierten Prügeleien muteten angesichts der eigenen Straßenschlachten, nach denen man sich nicht die Haare kämmte, sondern wundgeprügelt in der Dunkelheit auf Schmerzlinderung wartete, absurd und lächerlich an. Bei Kämpfen siegte nicht automatisch das Gute, wie uns die Arschlöcher von der Ponderosa weismachen wollten, sondern der Stärkere. McGill wußte das. Er machte bereits in der ersten Einstellung klar, daß er nicht an alte Wertvorstellungen glaubte und wirklich gefährlich war. Der Mann bewegte sich über den Bildschirm wie ein Panther.

Zum ersten Mal sah man in einer Serie, wie beim Schießen Patronen aus der Pistole geworfen wurden. Erstmals wurde auch gezeigt, wie man sich wirklich verhält, wenn man in ein Haus eindringt, wo die bösen Jungs schon auf einen warten. McGill nahm sich dafür Zeit, nutzte jede Deckung aus und arbeitete sich minutiös wie in einem Melville-Film von Zimmer zu Zimmer vor, darauf achtend, daß kein Licht in seinen Rücken fiel. „Amos Burke“ oder „Simon Templar“ wären wie Elefanten durch die Bude getrampelt, hätten den Kopf ein wenig zur Seite genommen (nicht zu hastig, damit die Frisur nicht verrutscht), um einer Kugel auszuweichen, und dann mit einem langen, langsamen Hieb aus der ganzen Schulter den Bösewicht ohnmächtig geschlagen – ein Hieb, den man auf der Straße nie zu sehen bekam.

Nicht so McGill: der war ein übler, unglaublich schneller Schläger, der offensichtlich nicht nur zur Freude der Yellow-Press-Fotografen mit Stuntmen ein bißchen herummachte.

Nein, Richard Bradford hatte geboxt, und seinem Gesicht konnte man ansehen, daß er auch einzustecken wußte. Daß aus ihm kein Superstar geworden ist, ist unbegreiflich. Aber wahrscheinlich hat er zu vielen Produzenten aufs Maul gehauen, ohne dabei die Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen.

McGill war eigentlich zu hart fürs deutsche Fernsehen – und genau deswegen war er unser Mann. Er war ein Ex-CIA-Agent (ohne daß der Dienst je namentlich genannt wurde), den man reingelegt hatte, so wie wir damals alle regelmäßig reingelegt wurden, von staatlichen Institutionen wie der Lehrerschaft. So wie McGill seine Unschuld nachzuweisen hatte, mußte auch unsereins vor elterlichen Tribunalen oder der pädagogischen Inquisition pausenlos beweisen, daß man nicht irgendwas angestellt hatte. Dabei wurde der Rechtsgrundsatz von der Unschuld bis zum Beweis des Gegenteils von der Blitzkriegsgeneration selbstverständlich außer Kraft gesetzt. Wir waren also alles in allem nicht viel besser dran als McGill, der eine erhebende Metapher für junge Außenseiter war.

Die Firma beschuldigte McGill, er habe absichtlich nicht verhindert, daß ein westlicher Wissenschaftler zu den Russen übergelaufen war, und schmiß ihn deshalb ohne Rentenanspruch raus. Natürlich war McGill schuldlos und versuchte das zu beweisen. In der Episode „Man from the Dead“, geschrieben vom genialen Stanley Greenberg, stellte sich seine Unschuld dann auch heraus. Aber da der vermeintliche Überläufer in Wahrheit ein Doppelagent war, konnte McGill natürlich nicht rehabilitiert werden, und seine zynischen Ex-Arbeitgeber ließen ihn weiterhin draußen in der Kälte stehen.


McGill: „Wenn er noch lebt, könnte er mich rechtfertigen.“

Direktor Cofflin: „Niemand kann Sie rechtfertigen, McGill.“

Widerliche Bürokraten sorgten zusätzlich dafür, daß er nicht zurück in die USA konnte, ohne verhaftet zu werden, und setzten ihn auf eine Schwarze Liste. So konnte jeder dumpfe Provinzbulle McGill das Leben noch schwerer machen. Alles was ihm blieb, war ein Leben aus dem Koffer, mit dem er von einer miesen Absteige in die nächste zog. Er hatte nichts zu verkaufen als seine Arbeitskraft – und wurde so zum ersten proletarischen Krimihelden der Fernsehgeschichte. „Paranoia heißt, alle Fakten kennen“, schrieb William S. Burroughs einst; McGill bestätigte diese Weisheit Woche für Woche. Um Kohle zu verdienen, nahm er so ziemlich jeden miesen Job an, und oft genug blieb man ihm den Lohn schuldig. Für Konsumfetischismus und dummes Geplänkel hatte er dabei nichts übrig:



Bankkassierer: „Wie möchten Sie es haben?“

McGill: „Einfach in Geld.“



Nein, McGill ließ sich nichts vormachen. „Sie würden sich wundern, wie oft die eine Hand nicht weiß, was die andere versteckt“, sagte er gern. Aber er war auch kein Glückspilz. Wenn er schon mal die Chance hatte, an eine satte Million Dollar zu kommen (wie in dem grandiosen Zweiteiler „Variation on a Million Bucks“ von Greenberg), landete er am Ende ohne Geld im Krankenhaus und mußte noch dankbar dafür sein, daß jemand für die Kosten aufkam. Bei fast jedem Job, selbst als Söldner in Afrika (in der Episode „No Friend of Mine“ von John Stanton), gerät er zwischen die Fronten und hat alle Seiten gegen sich. Und eine Suche nach geraubtem Geld, wie in „Which Way Did He Go, McGill?“ mit Donald Sutherland als Killer, konnte natürlich nur ergebnislos bleiben.

“Man in a Suitcase“ schlachtete eine goldene Kuh und schaffte das Happy-End in TV-Serien ab. Bei diesen brutalen Stories kam in den naiven 60er Jahren manchmal wirklich das Gefühl auf, daß McGill am Ende einer Episode ins Gras beißen könnte. Genau das irritierte den durchschnittlichen Fernsehzuschauer, der schon zur Genüge um Dr. Kimble („Auf der Flucht“; OT: „The Fugitive“) gezittert hatte. Denn McGill war, im Gegensatz zu Kimble, ein echter gesellschaftlicher Außenseiter, und solche Typen schätzten die Mattscheibenspießer überhaupt nicht (weshalb die ARD nach 13 Folgen auch Schluß mit der Serie machte und uns die restlichen 17 Folgen vorenthielt).

Junge Leute, vielleicht die potentielle Zielgruppe dieser existentialistischen Serie, schauten damals nicht fern – schon gar nicht angelsächsische Action-Serien mit dem Geruch des „westlichen Kulturimperialismus“.

So wäre die Serie bei uns fast ein Flop geworden, hätte sie nicht eine der vielen unsäglichen öffentlichen Diskussionen darüber ausgelöst, „wieviel Brutalität denn das Fernsehen anbieten darf“. Damit hatte eine Hamburger Fischverkäuferin keine Probleme: Als eine Fernsehillustrierte eine Umfrage („Was halten Sie von McGill – ist er zu gewalttätig?“) abzog, antwortete sie: „Der Mann ist eine Sünde wert.“

Selbst die stellenweise recht B-Movie-mäßigen Versuche, beim Publikum durch „geschickten“ Einsatz realer Hintergründe fernab gewohnter Studiokulissen etwas exotische Atmosphäre aufkommen zu lassen, taten der allgemeinen Begeisterung keinen Abbruch. Da wurden Standphotos von der Riviera oder grobkörnige Super-8-Aufnahmen von Rom dazwischengeschnitten, um zu belegen, daß sich McGill auch wirklich in Italien oder sonstwo aufhalten würde. Dabei sah jeder, daß er im lieblos ausgestatten Elstree-Studio herumtobte.



Aber der Trash-Effekt war letztlich egal, solange nur der Drehbuchautor einen guten Job machte und sich Richard Bradford eine Zigarette in den Mundwinkel schieben konnte. Seit Humphrey Bogart hatte nämlich niemand mehr so cool mit Glimmstengeln hantiert. Was wiederum einige Kritiker auf die Palme brachte, wenn McGill mit Kippe im Mund einem Mittelschicht-Punk eine reinhaute. Außerdem zeigte man erstmals in einer britischen Serie die dreckigen Londoner Hinterstraßen, auf denen Obdachlose herumlagen und Besoffene in Hauseingänge kotzten. Als Nebenfiguren tauchten außerdem einige der schlimmsten Freaks auf, die man in einer 60er-Jahre-Serie zu sehen bekam: Donald Sutherland als völlig beknackter Killer in „Which Way Did He Go, McGill?“ oder ein ganzes Dorf voller aggressiver Arschlöcher in „All That Glitters“ von Greenberg, der auch hier wieder McGill am Ende ins Krankenhaus schickte. Und wenn die im deutschsprachigen Raum nie gezeigte Folge „Brainwash“ wirklich die letzte Episode war (was viele Fans behaupten), wissen wir nicht, ob McGill wirklich überlebt hat.

Mit ihrer Ideologie der positiven Resignation war „Der Mann mit dem Koffer“ jedenfalls keine echte Sixties-Serie mehr und nahm „Miami Vice“ oder „Wiseguy“ bereits einiges vorweg. Statt sie jedoch an den Pranger zu stellen, hätten die üblichen besorgten Eltern Herrn Bradford lieber Dankschreiben schicken sollen: Er garantierte, daß wenigstens einige Raubauken Freitag abend zu Hause blieben…



PS: Ron Grainer, der einige der besten Titelmusiken der Seriengeschichte komponierte (Stichwort: „The Prisoner“), legte mit der Musik zu „Der Mann mit dem Koffer“ übrigens sein Meisterwerk vor.

Auch bei uns entdeckt eine neue Generation McGill:
http://beyondhollywood.de/index.php/topic,17782.new.html


18 Kommentare so far
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Endlich mal wieder was Vernüftiges im Netz gefunden: Der Blog von Martin Compart.

Kommentar von Kai Stellmann

Danke für die Blumen, Kai, und Grüsse von einem alten ComMix-Leser.
Wann spielt ihr mal im Kölner Raum?

Kommentar von Martin Compart

Danke für deinen Verweis auf meinen Beyondhollywoodthread.
Mcgill packt mich heute immer noch.

Gibt jetzt endlich auch ein Buch über die Serie.

Man in a suitcase
A critical guide
Von Rodney Marshall und Matthew Lee

Wird wohl das Standardwerk werden.

Dein Blog ist übrigens die wahre Schatztruhe für Crimelover.
Vermisse nur deinen Abriss über die Serie Quarry, denn die war genialste TV Ware.

Kommentar von Gunther Feist

Danke Dir erstmal für die überfällige Kontaktierung und due Information über das Buch. Wusste ich nicht und werde sofort hysterisch und will es sofort haben, Zu Quarry: Ich habe due Serie bis heute nicht gesehen, kenne nur das, was mir Max zugänglich gemacht hat. Warum schreibst Du nichts darüber? Gerne auch in meinem Blog. Du hast Dich offensichtlich damit genau auseinandergesetzt.

Kommentar von Martin Compart

Nun bin ich ja kein so guter Schreiber wie du und bin auch nicht so analytisch.
Mich treibt allein die Begeisterung.
Und dieser habe ich hier schon freien Lauf gelassen.
Ich hoffe es gibt keinen Stress mit dem Link.

http://beyondhollywood.de/index.php/topic,19368.0.html

Kommentar von Gunther Feist

Ich habe mir das McGill-Buch umgehend besorgt. Wirklich gute Analysen der einzelnen Folgen. Aber leider ganz wenig Hintergrundmaterial zur Produktion. Ich hoffe, das ist nur ein erstes Buch und weitere werden folgen. AQber nicht nur Richard Bradford ist ja inzwischen verstorben, was die Recherche von Jahr zu Jahr schwieriger machen wird.
by the way: Ich habe wahrlich nicht den Eindruck, dass Du dich schriftlich nicht gut ausdrücken kannst.

Kommentar von Martin Compart

In der Sprechblase 231 ( Nov 2014) ein wohl bekanntes Printmedium über Comics befasst sich Georg K.Berres in der Rubrik TV Klassiker mit McGill.Wusste gar nicht das Wimm Wenders in seiner Hammett Verfilmung Bradford als Detective Bradford agieren lies. Ein Fan der Wenders !

Kommentar von Gunther Feist

Wegen Bradford und Ross Thomas sind Jörg Fauser und ich in Berlin zweimal besoffen in die Nachtvorstellung von HAMMETT gegangen. Ansonsten hat uns der Film nicht viel Freude bereitet. Im ARMCHAIR DETECTIVE No.2/1984 gibt es als MAKING OF HAMMETT ein ziemlich sarkastisches Interview von Brian Garfield mir Joe Gores und Toss Thomas. Da kommt der arme Wim nicht gut weg.

Kommentar von Martin Compart

by the way: Kennst Du INTEREFACE von Gores? Der Italo-Western unter den PI-Novels.

Kommentar von Martin Compart

Nein kenne ich nicht. Habe es auf die Liste gesetzt.
Unter all die anderen Empfehlungen von dir 🙂
Noir mit Westernfeeling hatte ich gerade in bewegten Bildern.
Wind River-sensationell.
Und Hell and High Water- noch sensationeller mit dem besten Dialog des Jahres 2018

Der Bad Boy des Films geht auf Konfrontation mit einem Indianer am Pokertisch

Indianer: Kennst du die Bedeutung des Wortes Comanche?
Bad Boy: Nein kenne ich nicht
Indianer: es bedeutet Feind von Allen
Bad Boy: und zu was macht mich das jetzt?
Indianer: zu einem Feind
Bad Boy: Falsch, es macht mich zu einem Comanchen

Ich meine wie genial ist das denn? Wie der Rest des Films mit einem brillianten Jeff Bridges als grantigen Texas Ranger.

Kommentar von Gunther Feist

Das nenne ich Dialog, verdammt!
Ich meine nicht, das INRERFACE eine Westernkombination ist, sondern das es ein BRIUCH mit den Traditionen ist wie der Italo-Western mit dem Hollywoodscheiß war. Sowas har Gores im PI-Genres hingekriegt:

NOIR-KLASSIKER, DIE MAN GELESEN HABEN SOLLTE: INTERFACE VON JOE GORES

Kommentar von Martin Compart

Auf Deine Stokoe-Kritik reagiere ich noch. Soviel Vorwürfe – So wenig Zeit. Ich sehe diese Endpunkt (nicht Endzeit)-Literatur ganz anders als Du. Muss aber erst wieder reinlesen, um auf Dein Vorwurfsniveau zu kommen.

Kommentar von Martin Compart

Vorwurfsvoll war das nicht gemeint,sorry falls das so rüberkam. Die beiden Bücher haben mich einfach nur geärgert. Deine Tipps sind ja fast immer der Knaller. Wobei sich mein Fazit stark auf Cows bezog. Den versuch ich mir immer noch vom Hirn zu schrubben :-).
High Life hat mich wie American Psycho höchst kalt gelassen und das nicht unter dem Gesichtspunkt ich brauch was Extremes. Es gefiel mir so ganz und gar nicht.

Kommentar von Gunther Feist

Ist doch kein Problem, wenn sich Geschmäcker unterscheiden. Für mich war HIGH LIFE schlichtweg DER L.A.-Roman der letzten Jahre, ein hervorragend geschriebenes Kompendium aller diesbezüglichen Themen.

Kommentar von Martin Compart

Ich schaue mir gerade wieder die Sandbaggers im Original an.
Das ist ja sensationell gut. Auch heute noch sehr spannend.
Roy Marsden spielt hier ein richtiges Viech. Greg Rucka hat die Serie als Blaupause für seinen Comic Queen & Country benutzt und ich denke es ist die Mutter von Spooks.
Die deutsche VÖ lief 1985 bei Sat1 und damit total an mir vorbei.

Kommentar von Gunther Feist

Ich wußte gar nicht, dass es eine deutsche Version gab… Dann fehlt die auch im Buch (Crime TV).

Kommentar von Martin Compart

Neu McGill in Widescreen

https://networkonair.com/all-products/2806-man-in-a-suitcase-to-chase-a-million-blu-ray-

Kommentar von Gunther Feist




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