Martin Compart


zum 60. Todestag: RAYMOND CHANDLER IN HOLLYWOOD 1/ by Martin Compart

Raymond Chandler war ein einsamer Mann; aber Schreiben ist ein einsames Geschäft. Sein Einfluss auf die Massenmedien war und ist allerdings alles andere als isoliert. Er schuf mit dem Privatdetektiv Philip Marlowe eine der großen multimedialen Pop-Ikonen des 20.Jahrhunderts und ist als Autor für mehr literarische Epigonen verantwortlich als selbst Ernest Hemingway.

Dashiell Hammett hatte vor ihm das Subgenre der private-eye-novel, des harten Privatdetektivromans, erfunden oder zumindest in seinen fünf Romanen entscheidend die wichtigsten Richtungen ausgeformt.
Mickey Spillane hat mehr Bücher als Chandler und Hammett zusammen verkauft, aber es ist Chandler, der bis heute den meistkopierten Stil der Literatur des 20.Jahrhunderts entwickelte.

Chandler war bereits über vierzig Jahre alt, als er diesen Stil herauszubilden begann.
1934 erschien in dem Pulp-Magazin BLACK MASK seine erste Story: BLACKMAILER’S DON’T SHOOT. In dieser noch wenig beeindruckenden Geschichte beschäftigte er sich bereits mit der Welt des Films; es geht um das Kidnapping eines Filmstars aus Werbegründen. Man kann also kaum behaupten, dass Chandler der Glitzerwelt naiv gegenüber stand, bevor ihn der Ruf als Drehbuchautor ereilte. Er war nicht der erste und sollte nicht der letzte hard-boiled-Autor sein, den Hollywood einfing.
black_mask[1] Die amerikanischen Pulp-Autoren, dessen berühmtestes Organ das BLACK MASK-Magazin war, griffen eine neue Sprache auf: Die Sprache der Straße, die Sprache der Verlierer, Arbeiter, Gangster und Geschäftemacher. In dieser Sprache stellten sie realistisch eine Welt dar, die brutal, unmenschlich und nicht mehr zu beherrschen war.

Meist agieren in diesen Geschichten Detektivhelden, die versuchen Gerechtigkeit im Kleinen zu erkämpfen. Sie sind aber nicht einmal der stete Tropfen, der den Stein höhlt. Bereits Dashiell Hammett, der herausragendste Vertreter der hard-boiled-school, glaubt nicht mehr an Gerechtigkeit im Mikrokosmos und wird zum Chronisten der Düsternis der Städte. Autoren wie Hemingway (in A FAREWELL TO ARMS, 1929), Faulkner (in SANCTUARY, 1931) oder John O’Hara (in APPOINTMENT IN SAMARRA, 1934) griffen Sprache und Weltbild der Pulp-Autoren auf.

Hammett beschrieb die Abkehr von allen zivilisatorischen Regeln, indem er seine Helden, die oft im Dienste des amoralischen Kapitals standen, zu Richtern, Geschworenen und Henkern gleichzeitig machte. Raymond Chandler fiel in dieser Hinsicht hinter Hammett zurück, indem er romantisierte und einen staubigen Ritter die mean streets einer korrupten Zivilisation durchstreifen ließ. Ross Macdonald nannte den Chandlerschen Privatdetektiv den „klassen- und ruhelosen amerikanischen Demokraten“.

Spätestens nachdem sich Humprey Bogart Trenchcoat und Hut übergezogen hatte, ist der abgebrühte (hardboiled) Privatdetektiv ein popkultureller Mythos. In Tausenden Romanen und Filmen singt er das hohe Lied vom ehrlichen Kleinstunternehmer, der sich nicht schmieren lässt und in einer korrupten Welt für etwas mehr Gerechtigkeit sorgt. Diese Literatur sollte für Hollywood in den 40er Jahren ungeheuer wichtig sein. Denn nach den brutalen Gangsterfilmen der 30er Jahre hatte die katholische Zensurstelle, der so genannte Hays-Code, den Filmemachern so viele Beschränkungen auferlegt, dass sie kaum noch realistische Filme drehen konnten.

Historiendramen und Musicals drohten Anfang der 40er Jahre das Publikum aus den Kinos zu vertreiben. Aber nicht nur diese harte, realistische Prosa war für die Stilentwicklung des film noir verantwortlich. Man musste sich auch wieder an frühe Formen der Filmsprache erinnern. An eine Filmsprache, die nicht amerikanisch war:

Nicht Hollywood sondern Deutschland war in den 20er Jahren der Mittelpunkt der Filmwelt. Die Deutschen waren die Meister des Lichts, der special effects und ungewöhnlicher Kamerastandpunkte. Die Filmemacher nutzten Techniken des experimentellen Theaters und des Expressionismus, um Spannung, Horror und das Gefühl totaler Verunsicherung auf die Leinwand zu bringen. Mit dem KABINETT DES DR.CALIGARI (1919) schufen sie das sowohl düsterste wie auch expressionistisch befremdlichste Werk der Epoche. Die Welt von Kafka durch die Kamera eines Expressionisten gesehen.

Gleichzeitig revolutionierte Sergei Eisenstein in Russland die Filmkunst mit einer neuen Schnittechnik. Das expressionistische Licht des deutschen Films und Eisensteins Schnittechnik wurden die entscheidenden Elemente des späteren Film noirs, der in den 40er- und 50er Jahren in Hollywood als Schwarze Serie stilbildend wirkte.

Es waren fast ausschließlich Emigranten wie Fritz Lang, Billy Wilder oder Robert Siodmak, die in den 40er Jahren die pessimistische Grundhaltung der Amerikaner auf die Kinoleinwand brachten. Literarische Vorlagen fand man eben in den Pulp-Magazinen und den Romanen der Noir-Autoren: Geschichten über Menschen, die in aussichtslose Fallen gerieten, gesellschaftliche Außenseiter ohne Hoffnung und die Ausgegrenzten, die nur noch Chancen im Verbrechen sahen. Diese handlungsbetonten Geschichten eigneten sich bestens für den Film.

Der unerwartete Erfolg von John Hustons THE MALTESE FALCON (DER MALTESER FALKE, 1941) nach Hammetts Klassiker begründete das Interesse an Noir-Filmen, die auf den Werken der Hard-boild-Schreiber basierten oder von ihnen direkt für die Leinwand geschrieben wurden. Deshalb karrte Hollywood ganze Zugladungen von ihnen heran.

Die Crème der Noir-Autoren folgte dem Ruf des Zelluloids und verdingte sich mal besser, mal schlechter, als Drehbuchautoren: Hammett, Chandler, James M.Cain, Horace McCoy, David Goodis, Frank Gruber, Jonathan Latiner, Peter Ruric, William Burnett, Eric Taylor, Dwight V.Babcock, John K.Butler, Steve Fisher, W.T.Ballard, Jim Thompson und viele mehr.

Große Regisseure drehten nach Noir-Romanen Klassiker der Filmkunst. Darunter etwa Fritz Langs MINISTRY OF FEAR (MINISTERIUM DER ANGST, 1944) nach Graham Greene, William P.McGiverns BIG HEAT (HEISSES EISEN, 1953) oder Geoffrey Households ROGUE MALE als MANHUNT (MENSCHENJAGD, 1941). Billy Wilder drehte Cains DOUBLE INDEMNITY (FRAU OHNE GEWISSEN, 1944), Robert Siodmak Cornell Woolrichs PHANTOM LADY (ZEUGE GESUCHT, 1944), Orson Welles verfilmte Whit Mastersons TOUCH OF EVIL (IM ZEICHEN DES BÖSEN,1958) und Edward Dmytryk Don Tracys CRISS CROSS (GEWAGTES ALIBI, 1949) oder nach Chandlers FAREWELL, MY LOVELY mit MURDER MY SWEET den ersten Film mit der Figur Phil Marlowe.

Dass man Noir-Filme auch in Farbe drehen kann, weiß man seit 1958, als Nicholas Ray mit PARTY GIRL (MÄDCHEN AUS DER UNTERWELT) den ersten „bunten“ Noir-Film vorlegte. Kein anderes Filmgenre hat so viele Klassiker hervorgebracht und keine Minute vergeht, in der nicht irgendwo auf der Welt im Fernsehen ein Noir-Film läuft.

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In diesen erschreckenden, gewalttätigen frühen Filmen (die manchmal aus Zensurgründen völlig unglaubwürdig das pessimistische Ende der literarischen Vorlage ins Positive umdrehten) wurde der Einsatz der subjektiven Kamera perfektioniert, um den Zuschauer noch intensiver in die Leinwand zu saugen.

Chandler mäkelte einmal herum, dass diese subjektive Kamera in der Verfilmung von THE LADY IN THE LAKE ein alter Hut sei. Das war diese Technik damals natürlich nicht; sie wurde in diesem Film nur so penetrant eingesetzt, dass man den gesamten Film als gescheiterten, aber höchst interessanten Experimentalfilm ansehen muss. Wie in den Romanen hatte der Zuschauer keine Chance seinen eigenen Ängsten zu entkommen.


Die Noir-Filme waren eine Chance, langsam aber sicher die überholten Normen der Zensur des Hayes-Codes auszuhebeln, der inzwischen die Existenz Hollywoods gefährdete, da er dem neuen Lebensgefühl der Kinogänger nicht mehr entsprach. Depression und Krieg hatten das Bewusstsein der Menschen nachhaltig verändert.
Erstes Genre-Opfer war der Western: Die naiven Vorkriegswestern voller makelloser Helden mit weißen Hüten waren lächerlich geworden angesichts der realen Schrecken des Krieges. Zynische Helden wie Bogart, die an keine patriotischen Floskeln mehr glaubten, verkörperten den Zeitgeist.

Von den weiblichen Stars erwartete man nun eine stärkere, direktere sexuelle Ausstrahlung. Wenn Bogart mit Bacall rummachte und derb flirtete, wusste der Zuschauer, dass die beiden anschließend nicht zum gemeinsamen Blumenpflücken gehen würden. In den Filmen der 40er Jahre litten Männer der Mittelschicht häufig unter den sexuellen und materiellen Bedürfnissen der Frauen. Diese harte, düstere und oft sexuell aufgeladene Stimmung schwang in der harten amerikanischen Kriminalliteratur mit. Selbst in den schlechtesten Pulp-Stories (und es gab eine Menge schlechte Geschichten) schwingt ein realistischeres Zeitgefühl mit als in den meisten Werken der damaligen Mainstream-Literatur. Vom klassischen Detektivroman britischer Prägung ganz zu schweigen. Die Noir-Helden können den Gang der Welt nicht kontrollieren, höchstens eine Wahl treffen, wie sie in ihr leben (oder untergehen).

Im Gegensatz zu anderen Literaten, die seit den 30er Jahren von Hollywood eingekauft wurden, hatte Chandler nie Berührungsängste mit dem Kino. Anders als viele Kollegen sah er den Film nie als per se minderwertiges Medium an.
Wieso auch?
Hatte er doch in den billigen Pulp-Magazinen gezeigt, dass man aus jedem Genre qualitativ Hochwertiges herausholen konnte. Seine Frau Cissy, eine gescheiterte Schauspielerin (und in jungen Jahren ein Opium rauchendes Nacktmodel), hatte aus ihm einen regelmäßigen Kinogänger gemacht, der seine analytische Brillanz auch auf die Filmkunst bezog.
Gleich nachdem CITIZEN KANE herausgekommen war, erkannte Chandler die Bedeutung des Streifens für die Filmsprache und wurde umgehend zu einem Bewunderer von Orson Welles. Niemals stellte er aber auch in Abrede, dass die Filmindustrie in erster Linie ein Geschäft ist und die Verantwortlichen vor allem Geld verdienen wollen. Das bereitete ihm keine Kopfschmerzen, da es letztlich dieselbe Ausgangssituation war, die er als Autor akzeptiert hatte, als er für die billigen Hefte des Pulp-Marktes zu schreiben begann.

Letztlich folgte er dem Ruf nach Hollywood auch deshalb, weil ihn zu diesem Zeitpunkt seine Einkünfte aus dem literarischen Schaffen kein sorgenfreies Leben garantierten. Die große Legende, dass Chandler ach so furchtbar unter Hollywood gelitten haben soll, ist quatsch – wie sich noch zeigen wird. Eine Legende, die immer mal wieder auftaucht (gespeist auch durch Chandlers bitterbösen Aufsatz über Hollywood im ATLANTIC MONTHLEY: SCHRIFTSTELLER IN HOLLYWOOD, 1945).
Sein Biograph Tom Hiney hat in seinem Buch gründlich mit diesem Missverständnis aufgeräumt. Wenn man Hiney extrem verstehen will, könnte man behaupten, dass eher Hollywood (zumindest einige wichtige Leute dort) unter Chandler gelitten hatten, der sich dafür rächte, dass man seinen unfähigen Agenten anfangs schwer übers Ohr gehauen hatte, was Chandler einen Haufen Geld gekostet hatte: 1941 verkaufte sein Agent Sydney Sanders die Rechte an dem Roman FAREWELL MY LOVELY für 2000 Dollar an RKO. Die machten daraus das B-Picture THE FALCON TAKES OVER in der Billigserie THE FALCON. „Ein Beispiel wohl noch nie dagewesener Dummheit seitens meines New Yorker Agenten“, sagte Ray später dazu.

Im selben Jahr kaufte die Twentieth-Century Fox für 3500 Dollar die Rechte an THE HIGH WINDOW, um daraus den Film TIME TO KILL für die Michael Shayne-Serie zu machen. 1947 drehte John Brahm danach THE BRASHER DOUBLOON. Üblicherweise zahlten die Studios damals bis zu 50 000 Dollar für Romanrechte.
Kein Wunder, dass Ray seinen Agenten feuerte, nachdem er die geschäftlichen Gepflogenheiten Hollywoods kennengelernt hatte. Statt Sanders vertrat ihn später H.N.Swanson, ein hoch angesehener, mit allen Wassern gewaschener Hollywood-Agent, der auch F.Scott Fitzgerald, William Faulkner und später Elmore Leonard zu seinen Klienten zählte.

FORTSETZUNG FOLGT!

EINE KERZE FÜR RAY



MiC über Dashiell Hammetts RED HARVEST by Martin Compart
2. März 2019, 4:59 pm
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NOIR-KLASSIKER, DIE MAN GELESEN HABEN SOLLTE: INTERFACE VON JOE GORES by Martin Compart

Ein Rattennest aus Junk, Alkohol und Sittenlosigkeit“, überschrieb der Futura-Verlag den Klappentext zur englischen Taschenbuchausgabe von Joe Gores INTERFACE.

Und der Roman fängt gleich richtig böse an: Vietnamkriegsveteran Docker legt einen mexikanischen Dealer um und schnappt sich eine Ladung Junk und gleich dazu auch noch das Übergabegeld. Dann zieht er los, um in San Francisco richtig einen drauf zu machen. Darunter versteht Docker, eine schöne Blutspur durch die Bay Area zu ziehen. Gleichzeitig wird der nicht minder sympathische Privatdetektiv Neil Fargo von einem Plutokraten beauftragt dessen Tochter Roberta zu suchen, die sich in miesen Kaschemmen verkauft um ihre Sucht zu finanzieren.

Und damit öffnet sich für den Leser das Höllentor zu einem San Francisco jenseits der Postkartenromantik der Golden Gate.

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Gores widmete INTERFACE Donald Westlakes Serien-Gangster Parker „because he´s such a beautiful human being“. Tatsächlich hat Gores Romanheld, der Privatdetektiv Neil Fargo, mehr gemein mit dem Gangster Parker als mit Lew Archer oder Phil Marlowe. Fargo ist studierter Jurist, ein Ex-Football-Profi und ein ehemaliger Special Force.

INTERFACE wurde mal als der „Italo-Western unter den Privatdetektivromanen“ benannt. So wie der Italo-Western den klassischen Hollywood-Western dekonstruiert, zertrümmert Gores in seinem Roman jedes Stereotyp der Private-Eye-novel.Interface[1]

INTERFACE gehört zu den richtungweisenden Romanen der Noir-Literatur der 1970er. Auf derselben Ebene wie Higgins´ FRIENDS OF EDDIE COYLE, Crumleys LAST GOOD KISS, Robert Stones DOG SOLDIERS oder Thornburgs CUTTER AND BONE.
Wie die genannten Bücher ist INTERFACE tief verwurzelt in der durch Vietnam, Watergate, den politischen Attentaten und der Sixties-Rebellion traumatisierten US-Gesellschaft. Wie diese Romane ist auch Gores Roman ein Lageplan der Müllkippe, zu der der „amerikanische Traum“ heruntergebrannt ist.

Erzählt ist INTERFACE in der dritten Person in einem ähnlich brutal-objektiven Stil (den Manchette so mochte und durch seinen „subjektivierten Realismus“ revolutionierte) wie Hammetts MALTESE FALCON. Wie Hammett geht auch Gores nie in die Gedankenwelt seiner Figuren und charakterisiert sie behavioristisch durch ihre Handlungen.

Stark-Eine-Falle-fuer-Parker[1]Wenn heute von modernen Klassikern der Kriminalliteratur, hard-boiled novel oder Noir-Thrillern die Rede ist, fällt sein Name seltener als zum Beispiel die von Donald Westlake, Lawrence Block oder gar Robert B.Parker. Irgendwie scheint Joe Gores ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Das ist umso erstaunlicher, da keinem mir bekannten Autor seit Dashiell Hammett so viele Innovationen im Genre gelungen sind:

Mit HAMMETT (1975) schrieb er wohl die erste Private-Eye-Novel als period piece, die auf realen Figuren basiert (Max Allan Collins perfektionierte mit der Nate-Heller-Serie in den 1980ern dieses Sub-Genre).

Mit A TIME OF PREDATORS (1969) antizipierte er vor Brian Garfield und Don Pendleton den modernen Vigilanten, der das Kino und den Kriminalroman der 1970er Jahre folgenschwer mitprägte.

Mit seiner Serie um die Privatdetektivagentur „Dan Kearney and Associates“ übertrug er die police-procedural-Elemente des Polizeiromans à la Ed McBain, nämlich Team und genau geschilderte Ermittlungsarbeit, auf den Privatdetektivroman.

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Gores war sein Leben lang besessen von Dashiell Hammett, mit dem sein Leben mehr Parallelen hatte als nur beider Tätigkeiten für Privatdetektivagenturen.

Man mag kaum an Zufall glauben, verdeutlicht man sich den Todestag von Joe Gores: Er starb mit 79 Jahren am 10. Januar 2011 – auf den Tag genau 5o Jahre nach Dashiell Hammett!

Geboren wurde Joseph Nicholas Gores Weihnachten 1931 in Rochester, Minnesota. Als großer Comic-Fan wollte er ursprünglich Comic-Zeichner und Erzähler werden. Seine Vorbilder war die absolute Weltklasse des Zeitungs-Strips: Milton Caniff, Burne Hogarth, Hal Foster und Alex Raymond.

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“When I was 6, my Ma said I could read anything I could reach, so she made sure on the bottom shelves was Lives of the Saints, The Pilgrim’s Progress. But he quickly figured out how to climb to the top shelf, where Ma Gores kept the hard stuff: Agatha Christie, Sherlock Holmes and, of course, Hammett… I still remember opening The Dain Curse. At 6 years old, you don’t know that much, but ‘It was a diamond all right…’ was the first line of that novel, and I thought, ‘Oh, God, wow!’“

Gores studierte Literaturwissenschaften in Notre Dame und dann in Stanford. “You become very highbrow when you are in college.. I was writing the kind of stuff you write in graduate school, which is, you know, ‘the girl with the ponytail commits suicide.’”

Eines Tages fiel ihm ein Band mit Lew Archer-Kurzgeschichten von Ross Macdonald in die Hand und die erste Zeile von GONE GIRL erwischte ihn genauso hart wie schon als Kind die erste Zeile von THE DAIN CURSE: “The opening line of ‘Gone Girl’ was ‘I was tooling home from the Mexican border in a light blue convertible and a dark blue mood. And I thought ‘My God, that is the way I want to write! . . . That kind of tightness, that kind of directness, no nonsense, no navelgazing. You are in there to create vivid characters who are doing extremely interesting things and that’s it.”

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1954 wollte er seine Masterarbeit über Hammett, Chandler und Ross Macdonald schreiben. Aber das Thema wurde mit der Begründung abgelehnt, es handele sich dabei “um Autoren, die so schreiben würden, als wollen sie ihre Bücher verkaufen“. Also könne es sich bei ihnen nicht um Literatur handeln und infolge dessen könne man über sie auch keine „Master´s Thesis“ verfassen. Dann stellte er fest, dass die meisten Autoren, die über die Südsee schrieben, Pulp-Autoren waren. Mit drei offensichtlichen Ausnahmen: „In 1961, Stanford University granted me a Master’s Degree in English Lit. because it had to. My thesis was on the Literature of the South Seas; my advisor had read only Conrad, Maugham, and Melville of my 50 authors, so he could not say it was wrong to write about the other 47.”

Will Ready, sein Professor für kreatives Schreiben in Stanford, gab ihm einen Rat, den Gores für den wichtigsten Rat für sein Schreiben empfand: Alles runterkochen.

Zusammen mit einem Freund heuerte er auf einen Frachter an und fuhr nach Haiti.manhunt_195312[1] „Damals fing ich ernsthaft zu schreiben an und verkaufte meine erste Geschichte 1957 an das letzte übrig gebliebene Pulp Magazin MAN HUNT.“ Anschließend erwischte ihn die Army. Dort endete er als Schreiber von Generals-Biographien. Er blieb also dem Crime-Thema treu. Dann ging er zurück nach Stanford um sein Diplom zu machen.

Nebenbei schrieb er und arbeitete als Privatdetektiv.

In einem Jahr bekam er über 300 Ablehnungsschreiben, mit denen er sein Badezimmer tapezierte. Drei Jahre lebte er in Kenia um zu unterrichten. „Ich war als Kind ein großer Tarzan-Fan und wollte Afrika kennen lernen.“ Bis Ende der 1960er arbeitete er abwechselnd oder gleichzeitig als Autor und als Privatdetektiv in San Francisco. Kein Autor seiner Generation kannte San Francisco besser als Gores. „Als Repo-Man fuhr ich manchmal 5000 Meilen im Monat – ohne die Stadt zu verlassen. San Francisco war in den 1970er Jahren noch in den größten Teilen so wie die Stadt war, als Hammett über sie schrieb.“

1967 war er mit Kurzgeschichten, die auch im renommierten ELLERY QUEEN´S MYSTERY MAGAZINE erschienen, ganz gut im Geschäft. Die legendäre Krimi-Herausgeberin Lee Wright, damals bei Random House, schrieb Gores: „Falls Sie jemals einen Roman schreiben, wäre ich daran interessiert, ihn zu veröffentlichen.“ Also setzte sich Gores hin und schrieb A TIME OF PREDATORS und gewann einen Edgar-Allan-Poe-Preis der Mystery Writers of America.

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Hammett war ganz klar der größte Einfluss für Gores. Wenn Otto Penzler meint, „Hammetts Welt ist zynisch und unsentimental; Gores ist wärmer und positiver“, hat er wohl vergessen, was Gores mit INTERFACE geschrieben hat: Dieser „Italowestern unter den Privatdetektiv-Romanen“ ist genauso kalt und distanziert formuliert wie Hammett. Wenn Hammett mit RED HARVEST und den MALTESE FALCON die bösartigsten und härtesten Romane seiner Generation geschrieben hat, dann schuf Gores mit INTERFACE eine nie wieder genutzte Blaupause für den Privatdetektivroman des 21.Jahrhunderts. Eine zynische Abrechnung mit den USA, nachdem auch für die Naivsten die Putschblase „Land der Freien“ zerplatzte.Stark-Richard-Harte-Zeiten-weiche-Knie[1]
Neil Fargo ist Richard Starks Parker als Privatdetektiv… Nein, der Typ ist noch viel schlimmer. Gores war gut mit Donald Westlake befreundet. Das drückte sich auch darin aus, dass beide Autoren dieselbe Szene nur aus anderen Blickwinkeln für zwei ihrer Romane nutzten: Gores lässt seinen Serienhelden Dan Kearny in DEAD SKIP, 1972, kurz auf Westlake/Starks Parker treffen. Westlake greift dieselbe Szene dann in PLUNDER SQUAD auf (ähnliches machten sie dann noch mal mit Westlakes Figur Dortmunder in DROWNED HOPES und 32 CADILLACS).

Gores gehörte neben seinem Freund Donald E. Westlake und William L. DeAndrea zu dem Trio, das in drei verschiedenen Kategorien mit dem Edgar Allan Poe-Preis ausgezeichnet wurde. Gores bekam ihn für den besten Erstling (A TIME OF PREDATORS, 1969), die beste Kurzgeschichte (GOODBYE, POPS, 1970) und für das beste Drehbuch einer TV-Serie (KOJAK: NO IMMUNITY FOR MURDER, 1975).

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P.S.:
Die Ullstein-Ausgabe wurde 1975 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften mit der Entscheidung Nr.2572 indiziert. In der Begründung hieß es u.a.: „Insgesamt lehrt das vorliegende Taschenbuch die grundsätzliche Hinnahme von Gewalt, die Heroisierung des Verbrechers und allg. destruktives Verhalten aus Machtgier oder neurotischer Mordlust… ´Wirklich einmal etwas Neues`, sagt der Verlag auf dem Titelblatt. So macht man Rechtsbrecher salonfähig, oder um es lerntheoretisch auszudrücken, schafft man für labile Jugendliche…“

Wo ist er bloß geblieben – der tiefe Glaube an die Macht der Literatur?

Hier die Begründung der Bundesprüfstelle für die Indizierung (Achtung! Spoiler-Alarm!):



P.S.: Neal Fargo tritt in einer einzigen Kurzgeschichte auf: „Dance of the Dead“ (Spring 1991, The Armchair Detective) .