Martin Compart


Erinnerungen an Wolfgang Jeschke von Werner Fuchs by Martin Compart
13. Oktober 2015, 7:00 am
Filed under: Porträt, Science Fiction, WOLFGANG JESCHKE | Schlagwörter: , ,

Naturgemäß ist hat das neue Jahrbuch DAS SCIENCE FICTION JAHR (Heyne) als ein Schwerpunktthema den verstorbenen Schriftsteller und Herausgeber Wolfgang Jescke. Niemand hat die SF in Deutschland in den letzten Jahrzehnten stärker geprägt; niemand hat der deutschen SF-Szene im Ausland ein markanteres Gesicht verliehen.

Aber lesen Sie lieber, was sein langjähriger Freund Werner Fuchs über Wolfgang zu sagen hat…

 

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Zum ersten Mal getroffen habe ich Wolfgang Jeschke im August

1975 in Laichingen/Baden-Württemberg. Anlass war der jährliche Con des Science Fiction Club Deutschland e.V., den der neue Mitherausgeber der SF-Reihe bei Heyne auch besuchte. Vom Telefon her kannten wir uns schon – schließlich hatten meine Kollegen Hans Joachim Alpers und Ronald M. Hahn – beide ebenfalls in Laichingen anwesend – mit mir ein Jahr zuvor die literarische Agentur Utoprop gegründet – und da wir uns auf SF und Fantasy spezialisiert hatten, waren der Heyne Verlag und Wolfgang Jeschke natürlich begehrte Ansprechpartner für uns.

Zu unserer großen Freude hatte er 1974 zwei Texte eines völlig unbekannten Newcomer-Autors angekauft, den wir vertraten: George R. R. Martin. Die Geschichten hießen „With Morning comes Mistfall“ und “A Song for Lya”. Eine Woche nach dem Con in Laichigen gewann „Lya“ den Hugo als beste Novella in Melbourne, Australien und die Geschichte erschien noch im selben Jahr im Story Reader 5. Für Martin bedeutete sie in den USA den Durchbruch, für uns war sie ein wichtiger Schritt nach vorne – für die Agentur, aber auch für uns persönlich. Ein freundschaftliches Verhältnis zwischen uns und Wolfgang entstand, das nicht zuletzt auf gegenseitigem Respekt in Bezug auf unser „SF-Fachwissen“ und unseren Background als Fans fußte.

In den nächsten Jahren arbeiteten wir oft zusammen – als Übersetzer für seine SF-Reihe bei Heyne, als Textlieferanten und schließlich als Verfasser des Lexikon der Science Fiction Literatur, bis heute das Standard-Nachschlagewerk für SF im deutschen Sprachraum.

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Wolfgang und Ehefrau Rosi waren auch häufig Gäste auf SF-Conventions, so trafen wir uns 1978 in Dublin auf der 1. World SF Convention oder 1979 in Brighton zum „SeaCon“, dem 37. SF-WorldCon. Unvergessen hier Robert Asprins (Herausgeber der Anthologienserie Thieves World) erstaunte Frage auf einer Room-Party, wer denn dieser deutsche U-Boot-Kommandant sei.

Sicheres Auftreten, durchdringender Blick, graumelierte Haare und Bart – nun ja, für Amerikaner erinnerte sein Aussehen wohl an einen Hollywood-Deutschen.

Dann, 1990 in Den Haag, beim 48. WorldCon „ConFiction“, war Wolfgang Jeschke nicht mehr nur Besucher, sondern Ehrengast.

Er hatte sich diese Einladung nicht nur aufgrund seiner Romane verdient (die inzwischen auch in den USA erschienen waren), die von Ihm herausgegebene Reihe im Heyne Verlag war mittlerweile die umfangreichste und auch erfolgreichste SF/Fantasy-Reihe in ganz Europa.

Der einzige deutsche Ehrengast zuvor war Herbert W. Franke 1970 in Heidelberg gewesen, das aber im eigenen Land. Wolfgang hielt jedenfalls eine tolle Ehrengast-Rede, die auch das gerade wiedervereinigte Deutschland thematisierte und aufgrund seiner kritischen Aussagen in Holland besonders gut ankam.

Mit Wolfgang als Autor kam ich schon 1970 in Berührung. Der Zeiter hieß die Storysammlung aus dem Lichtenberg Verlag, und die lange Novelle „Der König und der Puppenmacher“ zählte für mich zum Besten, was die deutsche SF bis dahin hervorgebracht hatte. Aber schon als Fan hatte er zehn, fünfzehn Jahre zuvor durch seine Storys von sich reden gemacht, etwa durch „Supernova“ in Utopia Magazin 23, einen leicht experimentellen Text, der es jederzeit mit den Hervorbringungen angloamerikanischer Autoren aufnehmen konnte.

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Sein liebstes Motiv war die Zeitreise. Sein erster Roman, Der letzte Tag der Schöpfung (1981), schildert den Versuch amerikanischer Spezialisten, fünf Millionen Jahre vor unserer Zeit die Erdölvorkommen der späteren arabischen Staaten abzupumpen.

Seine anderen Romane waren Midas (1989), Meamones Auge (1997), Osiris Land (1982, 1997) Das Cusanus-Spiel (2005) und Dschiheads (2013). Fast alle wurden in andere Sprachen übersetzt und gewannen den Kurd-Lasswitz-Preis oder den Deutschen Science Fiction Preis.

Anfang der achtziger Jahre gründete ich zusammen mit Hans Joachim Alpers den Verlag Fantasy Productions. Der erste Vertriebstitel war Osiris Land, den Wolfgang privat hatte drucken lassen. Später verlegte sich Fantasy Productions mehr und mehr auf Rollenspiele und deren Universen. Ab 1989 kam es zu einer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen FanPro und Heyne. Wolfgang hatte sich von den neuen Welten begeistern lassen, und fortan publizierte Heyne die Romane zu unseren Rollenspielen – BattleTech, Shadowrun, Das Schwarze Auge, Earthdawn, Renegade Legion, MechWarrior Dark Age – insgesamt weit mehr als 200 Titel, die über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erschienen. Wolfgangs Verdienst dabei war, das Potential dieser Serien früh erkannt zu haben. Erst als Heyne BattleTech herausbrachte, zogen andere ausländische Verlage wie ROC/Penguin nach und sicherten den internationalen Erfolg.

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Wolfgang Jeschkes Status als Spitzenautor deutscher SF ist unbestritten, aber überstrahlt wird er noch durch seine Arbeit als Herausgeber und Lektor für die Heyne SF und Fantasy Reihe. Seit 1973 zusammen mit Herbert W. Franke, ab 1977 allein, formte er bis 2002 die Reihe und machte sie zum Aushängeschild des Heyne Verlags. Neben der Pflege ausländischer Spitzenautoren gab er auch dem deutschen Nachwuchs eine Chance, etablierte Unterreihen wie die Bibliothek der Science Fiction Literatur, die die besten Werke der SF präsentierte, gab Hunderte von Anthologien heraus und schuf mit dem Science Fiction Jahr eine voluminöse sekundärliterarische Bestandsaufnahme des Genres. Und neben all dem fand er noch Zeit, die Welt bis ihre entlegenen Winkel zu bereisen.

 

Wolfgang Jeschke starb am 10, Juni 2015 in München nach langer, heimtückischer Krankheit. Die deutsche Science-Fiction-Szene verliert mit ihm ihre wichtigste Persönlichkeit und ich einen Freund und Förderer.

Wolfgang hinterlässt seine Frau Rosemarie und seinen Sohn Julian. Unsere Gedanken sind bei ihnen.

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